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Schon am frühesten Morgen war die Baronin zu ihrer Freundin geeilt. Sie fand dieselbe nach der furchtbaren Aufregung der Nacht in einem Zustande unbezwinglicher Abspannung. Frau von Préfont bemühte sich vergebens, ihr Mut zuzusprechen; sie erhielt keine Antwort. Mit starrem Auge, zusammengepreßtem Munde und abgeschlagenen Gliedern lag die junge Frau regungslos auf einer Chaiselongue. Alles Leben schien sich in ihrem düsteren Blick konzentriert zu haben, der, wie es schien, durch irgend eine entsetzensvolle Vision gefesselt war.
Eine lange Zeit verstrich in dieser Weise. Das Schlagen der Uhr, den Lauf der Stunden verkündend, machte Claire jedesmal erbeben. Ohne diese Bewegung und den wilden Glanz ihrer Augen hätte man glauben können, sie schlafe.
Die Ankunft ihres Bruders riß sie aus ihrer Apathie. Mit Leidenschaft hing sie sich an die Hoffnung, Philipp vor seiner Wegfahrt zu sehen, und mit tonloser, fast gebrochener Stimme beauftragte sie Octave, von ihrem Manne diese Gunst zu erbitten.
Und von nun an wartete sie in einem neuen Anfalle von fieberhafter Erregung, eilte abwechselnd vom Fenster, dessen Laden sie öffnete, um hinabzusehen, ob man sie nicht täusche und ob Philipp etwa schon wegfahre, zur Thüre, an der sie stehen blieb, und horchte, ob er nicht käme. In ihrer großen Angst und Aufregung erschien sie der Baronin vom Wahnsinn erfaßt.
Plötzlich ließen sich herannahende Schritte vernehmen; sie fuhr bebend zurück, als fürchte sie, dem gegenüberzutreten, den sie mit der ganzen Kraft ihrer Seele herbeisehnte. Sie erblaßte, und ein schwarzer Ring legte sich um ihre Augen. Mit einer Handbewegung bedeutete sie der Baronin, sich zu entfernen, und blieb zitternd, sprachlos stehen. Philipp war eingetreten.
So standen sie eine Weile stumm einander gegenüber und er gewahrte mit Schmerz die Spuren, welche die schreckliche Angst dieser Nacht auf dem Gesichte der jungen Frau zurückgelassen; sie, die noch vor einem Augenblick vieles zu sagen gewußt hätte, suchte nun vergebens ihre Gedanken zu sammeln und fand in ihrem schmerzenden Gehirn nichts als erschreckende Leere.
Claire vermochte dies drückende Schweigen nicht länger zu ertragen. Sie schritt auf Philipp zu, nahm seine Hand in die ihrigen, und in heftiges Schluchzen ausbrechend, bedeckte sie dieselbe mit Thränen und Küssen.
Der Hüttenbesitzer erwartete eine Auseinandersetzung; er war auf Bitten und Beschwörungen gefaßt, aber diese völlig physische Aeußerung eines Schmerzes, den er als aufrichtig kannte, brachte ihn vollständig aus der Fassung. Er wollte die Hand zurückziehen, auf der er die heißen Thränen der geliebten Frau fühlte, aber er vermochte es nicht, mit tiefer Rührung fühlte er sich solch großer Schwäche gegenüber selbst machtlos werden.
»Claire,« sagte er mit tonloser Stimme, »um des Himmels willen! . . . Sie erschüttern mich auf das tiefste. Ich bedarf heute meiner ganzen Kaltblütigkeit . . . Ich bitte Sie, beruhigen Sie sich . . . Seien Sie etwas stärker, schonen Sie mich, wenn Ihnen etwas an meinem Leben liegt . . .«
Bei diesen Worten erhob Claire den Kopf. Der Ausdruck ihres Gesichts war nicht mehr derselbe. Sie schien einen plötzlichen Entschluß gefaßt zu haben.
»Ihr Leben!« sagte sie. »Ach, lieber wollte ich zehnfach das meinige darum geben! O, ich Elende, ich bin es, die durch meine Heftigkeit Sie in diese Gefahr gebracht! Hätte ich nicht alles ertragen sollen? Durch meine Leiden hätte ich ja meine Schuld sühnen können . . . In einem Augenblick zorniger Uebereilung vergaß ich dies alles! Aber dieses Duell ist ein Unsinn . . . Es wird nicht stattfinden, ich werde es zu verhindern wissen . . .«
»Und auf welche Weise?« fragte Philipp, die Stirne runzelnd.
»Indem ich meinen Stolz Ihrer Sicherheit opfere,« erwiderte Claire. »O, nichts schreckt mich zurück, da es sich um Ihr Leben handelt . . . Ich werde mich vor der Herzogin demütigen . . . Es ist noch Zeit . . .«
Die Züge des Hüttenbesitzers verdüsterten sich.
»Ich verbiete es Ihnen!« sagte er mit Nachdruck. »Sie tragen meinen Namen, vergessen Sie das nicht! Jede Demütigung, die Sie erleiden, trifft mich selber. Und dann, begreifen Sie denn nicht, daß ich ihn hasse, diesen Mann, der alle Schuld an meinem Unglücke trägt? Seit einem Jahre schon sehne ich mich danach, ihm gegenüberzustehen . . . Glauben Sie mir, dieser Tag ist mir hochwillkommen!«
Claire neigte den Kopf. Sie hatte sich gewöhnt, zu gehorchen, wenn Philipp befahl. Er fühlte sich durch diesen lebhaften Ausbruch beruhigt und fuhr in mildem Tone fort:
»Ich weiß Ihre guten Absichten zu würdigen und bin Ihnen dankbar dafür. Zu Beginn unseres gemeinschaftlichen Lebens hat zwischen uns ein Mißverständnis stattgefunden, das uns beiden sehr viel Weh verursacht hat. Ich mache nicht Sie allein dafür verantwortlich. Auch ich trage Schuld daran . . . Ich konnte Ihre Handlungsweise nicht begreifen . . . und verstand es nicht, mich selbst zu opfern . . . Ich habe Sie zu sehr geliebt! Aber ich will nicht fortgehen und Sie in dem Glauben lassen, daß ich gegen Sie einen Groll im Herzen bewahre . . . Darüber dürfen Sie vollkommen beruhigt sein, Claire. – Verzeihen Sie mir nun auch das Leid, das ich Ihnen zugefügt, und sagen Sie mir Lebewohl . . .«
Bei diesen Worten strahlte das Gesicht Claires, und die Hände in leidenschaftlicher Dankbarkeit zum Himmel erhebend, rief sie:
»Ihnen verzeihen! Ich! Aber sehen Sie denn nicht, daß ich Sie liebe? Hat denn die Erregung meiner Stimme, die Verwirrung meiner Augen es Ihnen nicht schon längst verraten?«
Claire hatte sich Philipp genähert und ihre schönen Arme um seinen Hals schlingend, lehnte sie ihren blonden Kopf an seine Schulter, ihn mit ihrem Dufte berauschend, und mit ihrem Blick berückend.
Sie sprach jetzt wie im Traume:
»Oh! geh nicht fort! Wenn du wüßtest, wie ich dich liebe! Bleibe da, bei mir, ganz mein! Wir sind noch jung, wir haben noch so viel Zeit vor uns, um glücklich zu sein! Was liegt dir an dem Manne und der Frau, die uns beide hassen! Wir werden sie vergessen . . . Wir wollen fortreisen, weit fort, nicht wahr? weit von ihnen weg . . . Dort werden wir das Glück, das Leben und die Liebe finden.«
Philipp löste sanft die Arme, die ihn umschlossen hielten, und Claire von sich entfernend, sagte er einfach:
»Hier, hier ist die Pflicht und die Ehre . . .«
Claire stieß einen schweren Seufzer aus. Die furchtbare Wirklichkeit stand drohend vor ihr, sie sah den Herzog wieder mit seiner bösen Miene, lachend, die Pistole in der Faust und sie wollte eine letzte Anstrengung machen und Philipp gegen seinen Willen zurückhalten.
»Nein! . . . Nein! . . .« rief sie aus.
Im selben Momente wurde die Thür geöffnet und Octave erschien in derselben. Er machte Philipp ein Zeichen mit dem Kopfe und zog sich wieder zurück. Claire begriff, daß der Augenblick zur Abfahrt gekommen sei, und es war, als ob ein Schleier vor ihrem Geiste zerrisse. Sie wußte, daß alles zu Ende sei, und an die Brust ihres Mannes sinkend, klammerte sie sich nochmals mit konvulsivischer Kraft an ihn.
»Adieu,« murmelte der Hüttenbesitzer.
»Oh, verlassen Sie mich nicht in dieser Weise! Nicht mit diesem eisigen Worte auf den Lippen! . . . Sagen Sie, daß Sie mich lieben! Gehen Sie nicht fort, ohne es mir gesagt zu haben!«
Philipp blieb unerschütterlich. Er hatte verziehen, aber er wollte noch nicht gestehen, daß er liebe. Er entfernte Claire von sich, schritt zur Thür und im Begriffe, hinauszutreten, sprach er:
»Bitten Sie Gott, daß ich lebend wiederkehre,« ihr in diesen Worten die höchste Hoffnung gebend.
Das war alles. Die junge Frau stieß einen Schrei aus, der die Baronin herbeirief. Der Wagen, der den Hüttenbesitzer entführte, rollte dumpf in der Allee dahin.
Claire ließ sich, ohne die Gegenwart der Baronin zu beachten, seufzend auf die Chaiselongue fallen und den Kopf in den Kissen vergrabend, wollte sie nichts sehen und hören, und wünschte während der schrecklichen Stunde, die ihr bevorstand, den Lauf ihres Lebens hemmen zu können. So verblieb sie einige Minuten.
Eine sanfte Stimme ließ sie plötzlich in die Höhe fahren. Susanne klopfte an die Thür und rief: »Darf man eintreten?«
Claire wechselte einen schmerzlichen Blick mit der Baronin. Man mußte sich verstellen und das Kind über die Wahrheit, die sie nicht kannte, hinwegtäuschen. Durch die halbgeöffnete Thür blickte das rosige heitere Gesicht Susannens.
»Komm herein, mein Kind,« sagte Claire. Und mit erstaunlicher Willenskraft nahm sie eine lächelnde Miene an.
»Wie! Sie sind noch nicht angekleidet?« rief das junge Mädchen, als sie ihre Schwägerin im Morgengewande sah. »Ich habe bereits mit dem kleinen Wagen eine Fahrt durch den Park gemacht.«
Susanne lief mit der Lebhaftigkeit eines jungen Kätzchens, alles durchstöbernd, im Zimmer umher.
»Höre,« rief sie, »soeben begegnete ich Philipp mit dem Baron und Octave. Sie saßen in einem verschlossenen Wagen . . . und machten ganz merkwürdige, seltsame Gesichter . . . Wohin mögen nur die drei gefahren sein?«
Claire errötete und erblaßte abwechselnd und Angstschweiß perlte auf ihrer Stirn. Jedes Wort ihrer Schwägerin war ihr peinlich.
»Oh, wenn mein Mann dabei ist, sagte die Baronin, so handelt es sich gewiß um einen wissenschaftlichen Versuch . . . wohl eine Fahrt nach den Steinbrüchen . . .«
»Welche Richtung nahmen sie?« fragte Claire mit bebender Stimme.
»Die Richtung nach den Teichen,« antwortete das junge Mädchen. »Vielleicht fahren sie nach Varenne.«
»O nein,« versetzte die Baronin, »der Herzog von Bligny steht nicht vor zehn Uhr auf . . .«
Claire hörte nicht mehr zu. Die Richtung nach den Teichen, hatte Susanne gesagt. Sofort zog die Lichtung im Walde, mit ihrem Rasenteppich und den weißgestrichenen Pfählen, im Hintergrunde die stillen Wasser unter den niederhängenden Zweigen der Bäume, vor ihrem innern Auge vorüber. Dieser einsam gelegene Platz eignete sich vorzüglich für ein Rencontre. Er hatte ein düsteres Aussehen, das ihn zum Schauplatz einer tragischen Scene im voraus zu bestimmen schien. Dort war es, wo der Herzog und Philipp sich duellieren sollten. Sie wußte es gewiß, sie sah die beiden vor sich.
Von neuem von heftiger Aufregung erfaßt und hingerissen von dem Verlangen, alles zu erfahren, vermochte sie nicht mehr ruhig auf ihrem Platze zu bleiben; sie griff nach einem Kleide und schlüpfte hastig hinein. Ein Plan, so rasch ausgeführt, als er entstanden war, verlieh ihrem Willen die höchste Spannkraft . . .
»Du fuhrst im kleinen Wagen?« fragte sie Susanne. »Wo hast du ihn gelassen?«
»Bei den Stallungen,« antwortete das junge Mädchen. »Man wird ihn gerade ausspannen.«
»Ich will ihn benützen, ich habe diesen Morgen eine Fahrt in die Umgegend zu machen,« sagte Claire lebhaft.
Und ohne einen Moment zu zögern, nur einen Spitzenshawl um den Kopf werfend, stürzte sie hinaus.
Mit mutiger Hand ihren Wagen allein lenkend, fuhr sie in schnellem Trab davon. Die rasche Bewegung, weit entfernt, ihr Fieber zu dämpfen, erregte sie immer mehr, und sie trieb ihr Pferd zu immer rascherem Lauf an, so daß es mit rasender Schnelligkeit über die Unebenheiten und Sümpfe des Waldweges dahinflog und sie jeden Moment der Gefahr aussetzte, umzuwerfen.
Sie ließ sich jedoch durch nichts aufhalten und mit überreizten Nerven, krampfhaft in die Lippen beißend, vermehrte sie noch stets die Geschwindigkeit der Fahrt, den Flug der Vögel beneidend und mit hochklopfendem Herzen und angehaltenem Atem lauschend, ob sie nicht im Schweigen des Gehölzes ein dumpfes Knallen vernehme.
Der Wald blieb stumm. Der Moosteppich, welcher sich unter den Hufen des Pferdes ausbreitete, dämpfte ihren Schlag und das Rollen des Gefährtes. Ein dichter Dampf, der den Flanken des Tieres entströmte, hüllte es wie in eine Wolke und mit übergroßer Heftigkeit angetrieben, strauchelte es endlich und stürzte zusammen. Claire sprang vom Wagen hinab und lief quer durch den Wald fort. Ihr Instinkt sagte ihr, daß sie ihrem Ziele nahe sei; sie horchte und vernahm menschliche Stimmen.
Rasch warf sie einen Blick um sich. Kaum zwanzig Schritte vor ihr erhob sich am Ufer des Weihers der chinesische Kiosk, dessen Porzellanplatten sich im Wasser abspiegelten.
Von dort aus konnte Claire alles übersehen, ohne selbst gesehen zu werden. Mit der Behendigkeit eines verfolgten Rehes schlüpfte sie zwischen den Zweigen hindurch, und nachdem sie die Stufen, die zur Rundgalerie führten, erstiegen hatte, blieb sie angstvoll bebend stehen.
In der Mitte des Rondells zählte der Baron die Schritte ab, um die Distanz zu markieren. La Brède, unterstützt von Moulinet, der totenblaß und verwirrt dreinschaute, lud die Waffen, während Philipp am jenseitigen Ende der Lichtung im Gespräch mit Octave und dem Doktor langsam auf und nieder schritt. Der Herzog, wenige Schritte vom Kiosk entfernt, kaute an einer Cigarre, indem er mechanisch mit einem Stäbchen, das er in der Hand hielt, die hohen Stengel des Fingerhutkrautes abschlug.
Mit fürchterlicher Herzbeklemmung dachte sich Claire das Rondell mit fröhlichen Kavalieren erfüllt, mit Gruppen elegant geschmückter Frauen und dem Buffett, mit den feierlichen Lakaien von Varenne. Wie war an jenem Morgen alles so heiter, so glänzend und glücklich! Sie war damals eifersüchtig gewesen; doch was war jene Eifersucht im Vergleiche zu der Qual, die sie in diesem Momente erduldete! Da hatte sie vor ihren Augen die beiden Männer, die einander das Leben zu nehmen suchten. In wenig Minuten würde einer von ihnen im Grase niedergestreckt liegen.
Eine Wolke umzog ihre Blicke und sie mußte sich an der Balustrade festhalten, um nicht umzusinken. Ihre Schwäche war indes nur von kurzer Dauer. Schweratmend, mit entsetzlicher Neugier, blickte sie nochmals hinüber.
Die beiden Gegner standen schon auf ihrem Platze, einander gegenüber; Moulinet stürzte nochmals vor und schrie mit flehender Stimme:
»Meine Herren, um Gottes willen, meine Herren! . . .«
Er wurde von La Brède fortgezogen, der ihn dann in einer Ecke gehörig abkanzelte. Octave reichte Philipp die Waffe und trat eilig zurück. La Brède fragte mit fester Stimme:
»Meine Herren, sind Sie bereit?« Der Herzog und Philipp antworteten zu gleicher Zeit: »Ja!«
Der junge Mann fuhr fort, indem er langsam zählte: »Eins – zwei – drei – Feuer!«
Claire sah die beiden Pistolen sich drohend senken. In dieser letzten Sekunde verlor sie die Besinnung, eine unbezwingliche Bewegung trieb sie vorwärts. Sie übersprang mit einem Satze die Stufen des Kiosk, und sich vor den Schuß werfend, welcher Philipp bedrohte, verschloß sie mit ihrer weißen Hand den Lauf der Pistole Blignys.
Ein Schuß krachte. Claire wurde blaß wie eine Tote, und die verletzte blutende Hand lebhaft schüttelnd, bespritzte sie das Gesicht des Herzogs mit großen roten Flecken. Dann sank sie mit einem tiefen Seufzer besinnungslos zu Boden.
Ein Moment unbeschreiblicher Verwirrung folgte. Der Herzog war erschreckt zurückgewichen, als er den warmen Blutregen auf seinem Antlitz verspürte. Philipp eilte zu Claire hin, hob sie wie ein Kind empor und trug sie zu dem Wagen, der an einer Wendung des Weges wartete.
Die Augen der jungen Frau waren geschlossen und mit peinlicher Bangigkeit hielt der Hüttenbesitzer, von dem Arzte unterstützt, die arme zerschossene Hand empor. Inbrünstig küßte er das geliebte Wesen, das für ihn litt.
Sehr besorgt entblößte der Arzt mit der Geschicklichkeit einer Frau den Arm Claires.
»Nichts gebrochen,« sagte er endlich erleichtert, »wir kommen auf die beste Art davon, die man hoffen könnte. Die Hand wird freilich für immer entstellt bleiben. Aber Madame Derblay kann sich aus der Verlegenheit helfen, indem sie ihre Handschuhe nicht ablegen wird.«
Er fing an zu lachen, die Kaltblütigkeit des Operateurs wieder findend.
Alsdann ordnete er die Kissen des Wagens, damit die junge Frau bequem liegen könne.
Philipp, der noch völlig außer Fassung war, ließ kein Auge von Claire. Ihre lange Ohnmacht beunruhigte ihn. Der Baron, der ihn beim Namen rief, brachte ihn zum Bewußtsein der Situation zurück; in seiner Begleitung befand sich La Brède, der sehr aufgeregt war.
»Mein Herr, ich bin von dem Herzog von Bligny beauftragt, Ihnen sein tiefes Bedauern über das Unglück auszudrücken, dessen unfreiwillige Ursache er geworden ist. Der Unfall, der Madame Derblay getroffen, betrübt ihn auf das tiefste und ändert seine Ansichten wesentlich. Es scheint ihm nun unmöglich, die begonnene Affaire fortzusetzen. Der Mut meines Freundes steht hoch über jedem Verdacht. Der Ihrige gleichfalls, mein Herr. Wir sind alle Ehrenmänner . . . Das Geheimnis dessen, was hier vorging, wird treu bewahrt bleiben . . .«
Der Hüttenbesitzer richtete seine Blicke auf den Herzog. Dieser lehnte totenblaß und zitternd an einem Baumstamm und trocknete mit einem Taschentuche mechanisch das Gesicht ab. Und jedesmal zog er mit schmerzlichem Erbeben den feinen Battist mit einem roten Fleck darauf zurück. Er dachte daran, daß seine Kugel Claire tödlich treffen, ihre schöne Stirn zerschmettern und ihre weiße Brust durchbohren konnte, und in diesem Augenblicke verurteilte er seine ganze Handlungsweise auf das strengste; seine schmählichen Vorsätze flößten ihm Entsetzen ein und er beschloß, sich für immer von dem Wege derjenigen zu entfernen, die seinetwegen so viel gelitten hatte.
La Brède fuhr fort mit einer Rührung zu sprechen, die bei ihm höchst selten vorkam. Der Hüttenbesitzer hörte zerstreut den Ausdruck persönlichen Bedauerns des jungen Mannes an und ließ sich von ihm die Hand in kräftigster Weise schütteln. Und als er sah, daß der Herzog, von Moulinet fortgezogen, sich entfernte, drängte er den Arzt in den Wagen, bestieg selber den Bock, ergriff die Zügel und fuhr rasch davon.
In dem weiten Schlafgemach mit den alten Tapeten, auf welchen die Göttinnen den Kriegern die Becher füllten, saß Philipp, wie während der langen Krankheit Claires schweigend am Fuße des Bettes. Die junge Frau, welche seit einer vollen Stunde nicht zum Bewußtsein gekommen war, bewegte sich, von Fieber geschüttelt, unruhig auf ihrem Kissen hin und her. Plötzlich öffnete sie die Augen. Der Hüttenbesitzer erhob sich lebhaft und beugte sich zu ihr nieder. Ein Lächeln glitt über die Lippen Claires, sie schlang den Arm um Philipps Nacken und zog ihn zärtlich an sich. In ihrem gestörten Gehirne war die Erkenntnis der Wirklichkeit noch nicht wiedergekehrt und es schien ihr, als schwebe sie körperlos in himmlischen Räumen. Sie litt nicht. Eine köstliche Mattigkeit hatte sich ihrer bemächtigt und mit so leiser Stimme, daß Philipp sie kaum vernahm, murmelte sie:
»Ich bin gestorben, nicht wahr, mein Geliebter, und gestorben für dich? Oh, wie glücklich fühle ich mich! Du lächelst, Du liebst mich! Du hältst mich in deinen Armen! Wie süß ist der Tod! Und wie anbetungswürdig die Ewigkeit!«
Der Klang ihrer eigenen Stimme erweckte sie. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihre Hand und sie erinnerte sich mit einemmal an alles: an ihre Verzweiflung, an ihre Angst und ihr Opfer . . .
»Nein, ich lebe!« rief sie aus.
Sie stieß Philipp zurück und ihm angstvoll fragend ins Auge blickend, als hinge Tod und Leben an seinen Lippen, sagte sie:
»Ein einziges Wort, antworte! Liebst du mich?«
Philipp wendete ihr sein von Begeisterung strahlendes Gesicht zu.
»Ja, ich liebe dich!« antwortete er. »Es wohnten in dir zwei Frauen. Die eine, die mich so viel leiden ließ, ist nicht mehr . . . Du bist die andere, die anzubeten ich niemals aufgehört habe.«
Claire stieß einen Schrei aus, ihre Augen füllten sich mit Thränen, glühend preßte sie Philipp an sich, ihre Lippen berührten sich und in unaussprechlichem Entzücken wechselten sie ihren ersten Liebeskuß.
(Ende.)