Georges Ohnet
Der Hüttenbesitzer – Zweiter Band
Georges Ohnet

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Achtzehntes Kapitel

Die Stunden der Nacht schienen Claire in grausamer Langsamkeit zu verstreichen. Als sie sich auf ihr Zimmer zurückgezogen hatte, kam sie erst zum vollen Verständnis der Situation, welche sich ihr nun erschreckend ernst darstellte. Gewiß hatte sie im Vollgefühle ihres guten Rechts gehandelt, indem sie in höchster Entrüstung eine herzlose Feindin von sich stieß, welche sie in ihrem eigenen Heim gekränkt, bedroht und beschimpft hatte. Aber der Zwist war ein allgemeiner geworden und ihr Mann, der gezwungen war, ihre Partei zu ergreifen, stand nun feindlich dem Herzog gegenüber. Sie dachte an das rätselhafte Lächeln des Herzogs, mit dem er sagte: »Abgemacht!«

Dieses Lächeln ließ sie zusammenschauern: denn sie wußte, welch gefährlicher Gegner Bligny war. Wenn es zu einem Duell kam, schwebte Philipp nicht in der furchtbarsten Gefahr?

Sie hatte bemerkt, daß gegen das Ende der Gesellschaft Octave und der Baron mit La Brède und Moulinet sich eifrig besprachen; und da sie ihren Bruder und den Baron befragte, hatten sie ihr ausweichend mit befangener Miene geantwortet, daß die Unterhandlungen ein Arrangement bezwecken.

Claire fragte sich, was für ein Arrangement zwischen zwei Männern, die einander tödlich hassen, möglich sei. Der Herzog hatte die Frage in bestimmtester Weise gestellt: entweder Entschuldigung oder Verantwortlichkeit, das heißt Satisfaction. Daß ihr Gatte Abbitte thun sollte, daran dachte die junge Frau keinen Moment. Es konnte und mußte daher nur ein Duell sein.

Claire entstammte einem tapferen Geschlechte, dessen Frauen niemals vor der Gefahr eines Kampfes gebebt. Ihre Großmutter, eine Bligny, war mit Stofflets Scharen durch die Hohlwege der Vendée gezogen, wobei sie wohl auch selbst einmal einen Karabiner gegen die Blauen abfeuerte; ihr Vater, der Marquis von Beaulieu, war schon mit sechzehn Jahren in la Penissière eingeschlossen gewesen und wurde nach drei Tagen mit zerschossenem Arm unter den Trümmern gefunden, und so fehlte es ihr nicht an tapferen Vorbildern. Aber wenn sie auch selbst den Tod nicht scheute, so fürchtete sie ihn doch für Philipp; auch der Aberglaube spielte dabei mit. Sie betrachtete ihre Verbindung mit dem Hüttenbesitzer als unter einem ungünstigen Stern geschlossen; sie hatte das Vorgefühl, daß ihr Mann getötet würde, wenn es wirklich zu einem Duelle käme, und bald erschienen entsetzliche Bilder vor ihren Augen.

Sie sah Philipp auf dem blutigen Rasen leblos hingestreckt und den Herzog mit seinem bösen Lachen und der noch rauchenden Pistole in der Faust. Warum die Pistole? Weshalb diese gefährliche Waffe? Vergebens suchte sie sich zu bereden, daß man vielleicht Degen wählen würde; immer sah sie die beiden Männer mit der Pistole in der Hand; sie hörte den doppelten Knall, ein leichter, feiner Rauch stieg in die Luft und Philipp, zu Tode getroffen, stürzte schwer zu Boden.

Sie wollte dies Traumgebilde, das sie bei vollem Bewußtsein verfolgte, verjagen und trat ans Fenster. Die Luft war rein und am Himmel funkelten die Sterne in wundervoller Klarheit. In den dichten Baumgruppen des Parkes begannen die venezianischen Laternen zu verlöschen, hie und da von einem Windhauche neu belebt und wie rote Punkte schimmernd, in denen Claire große Blutflecken zu sehen vermeinte. Entsetzt schloß sie das Fenster und ließ die Rouleaux herab, um den düstern Schein nicht mehr zu sehen.

Unaufhörlich von der entsetzlichen Befürchtung gepeinigt, daß der Tod ihres Mannes nahe bevorstehe, ging sie ruhelos im Zimmer auf und nieder. Sie ertappte sich in lautem Selbstgespräche bei den Worten: »Ich bringe jedem Unglück, der sich mir nähert.« Der Ton ihrer eigenen Stimme erschreckte sie inmitten der Stille ringsum und sie legte sich auf die Chaiselongue nieder und versuchte zu lesen. Aber Glockenton klang ihr in den Ohren wie Trauergeläute.

Da beschloß Claire, nach Philipps Zimmer zu gehen und ihn zu belauschen. Auf den Fußspitzen schlich sie durch den Salon und gelangte so bis zur Thür seines Gemaches. Es lag finster und still; weder ein Geräusch, noch Licht war zu entdecken. Sie glaubte, daß Philipp schlafe, und von diesem Gedanken etwas beruhigt, kehrte sie in ihr Zimmer zurück, und verbrachte die Nacht halb wachend, in einer Aufregung, die sich nicht beschwichtigen ließ.

Philipp war nicht in seinem Zimmer und schlief auch nicht. Er hatte sich in sein Arbeitskabinett eingeschlossen, das im Erdgeschoß unterhalb Claires Zimmer lag. Er erkannte vollkommen den Ernst des Zweikampfes, der zwischen ihm und dem Herzog stattfinden sollte, denn die Unterhandlungen zwischen den vier Zeugen waren noch am selben Abend geführt worden, und da der Vorfall trotz seines Ernstes von seltener Einfachheit war, wurde sehr rasch ein Uebereinkommen erzielt.

Trotz der flehentlichsten Bitten und Beschwörungen Moulinets, der um jeden Preis das Duell verhindern wollte, wurde das Rendezvous für acht Uhr morgens anberaumt. Man sollte sich an der Grenze der Waldungen von Pont-Avesnes und Varenne treffen, in gleicher Entfernung von den beiden Wohnsitzen, bei demselben Rondell an den Teichen, welches einige Tage früher von dem fröhlichen Lachen der Jagdgesellschaft erklungen war, die sich hier bei dem reich besetzten Lunch versammelt hatte.

Die von dem Herzog gewählte Waffe war die Pistole, die Distanz dreißig Schritte, Feuer nach Belieben. Philipp nahm diese Bedingungen ohne Widerwillen an. Gebrauchte er zwar die Pistole äußerst selten, so handhabte er doch die Flinte mit Meisterschaft, und seines Blickes sicher, dachte er mit wilder Freude, daß, wenn er sich auch selbst dem Tode aussetzte, es doch fast eben so gewiß sei, daß er ihn gleichfalls geben könne.

Zwischen diesen beiden Männern, die mit gleich großem Mute und erprobter Kaltblütigkeit begabt waren, den Sieger im voraus zu erkennen, war unmöglich; aber ebensowenig war es zweifelhaft, daß einer von beiden zum Bleiben verdammt war.

Allein mit sich selbst, vielleicht nur noch eine kurze Spanne Lebens vor sich, überließ sich Philipp tiefgehenden Betrachtungen. Er prüfte möglichst unparteiisch seine bisherige Handlungsweise und er konnte den Gedanken nicht los werden, daß er gegen Claire zu hart gewesen. In dieser schweren Stunde fühlte er tiefes Mitleid mit dem gequälten Herzen seiner Frau; er sah, wie all ihr Sehnen nur nach ihm ging, wie die hochfahrende, trotzige Frau, die er so heftig von sich gestoßen, demütig, zärtlich und ergeben geworden war. Sie hatte die harte Prüfung, die er ihr auferlegt hatte, bestanden, und er hielt sich zu dem Glauben berechtigt, daß er, falls er am Leben bleiben würde, ihre Liebe ganz besitzen und, wenn er fallen sollte, für immer in ihrem Andenken fortleben würde.

Das war das Ziel, das er sich gesteckt. Es war erreicht, aber nicht überschritten und er konnte zufrieden sein. In dem Grunde seines Gewissens bereute er es nicht, diesen harten, eisernen Charakter ohne Erbarmen so lange behämmert zu haben, bis er ihm die gewünschte Form gegeben hatte. Er erblickte in dem erreichten Resultat eine Garantie für Claires Glück, wenn das Geschick ihm günstig war und er lebend zurückkehrte. Wäre sie in der Regellosigkeit ihrer moralischen Anschauungen sich selbst überlassen geblieben, so hätte sie unfehlbar unglücklich werden müssen; denn zu intelligent, um ihr verfehltes Leben nicht zu begreifen, zu stolz, um ihren Fehler einzugestehen, hätte sie ihr Leben in bitterem Grolle und unfruchtbarer Reue hingebracht. Die Prüfung, die er ihr auferlegt hatte, war zu ihrem Heile geworden. Sie hatte sich gesammelt, gekämpft und sich wiedergefunden. Und nun war sie zum Glücke reif.

Doch ach! Sollte in dem Augenblick, als das Werk ihrer Umgestaltung vollendet war, wo eine lachende Zukunft sich für sie aufthat, ein feindliches Geschick sie vielleicht für immer in Verzweiflung stürzen?

Ein Geräusch, das über seinem Haupte hörbar wurde, machte ihn erbeben. Er lauschte. Es war das regelmäßige, ununterbrochene Auf- und Niederschreiten der jungen Frau in ihrer qualvollen Angst, welche bloß durch den dünnen Fußboden von ihm getrennt, durch seinen unversöhnlichen Willen jedoch unendlich weit von ihm entfernt war.

Aus jedem Erzittern des Plafonds, das Claires Schritte hervorbrachten, erriet Philipp die furchtbare Aufregung der armen Frau. Er sah sie im Geiste ruhelos umhergehen, mit entstellten Zügen und zitternden Händen, mit jenem verstörten Blick, der ihr eigen war, wenn sie in schmerzliche oder zornige Aufwallung geriet. Er fühlte sein Herz weich werden und zum erstenmal machte ihn seine Liebe schwach. Mit zusammengeschnürter Kehle und pochenden Schläfen kämpfte er gegen ein heftiges Verlangen, hinaufzugehen zu der Frau, die er anbetete und die ihm nicht gehörte. Gleich einem Kinde gab er sich selbst die Gründe an, um sein Vorhaben zu rechtfertigen. Wäre er nicht ein Narr, sein Leben aufs Spiel zu setzen, bevor er seine Lippen auf die duftenden Flechten ihrer blonden Haare gedrückt? Er brauchte nur ein Wort zu sagen und sie eilte an sein Herz. Der Tag war noch fern und er konnte noch eine Nacht glücklich sein, der vielleicht für ihn kein morgen folgte . . . Ein Schwindel erfaßte ihn, er that einige Schritte vorwärts und schon berührte seine Hand die Thür, als eine Wiederkehr seiner Willenskraft ihn aufhielt.

War er der Mann, um sich von solch niedriger Schwäche hinreißen zu lassen? Sollte es ihm nach so viel erduldeten Qualen im letzten Momente an Mut fehlen? Sollte er sich so weit vergessen, um von der Frau, die er bezähmt und besiegt hatte, einige Stunden erniedrigender Wonne zu erbetteln? Er stand vor der Stunde, die in moralischer und materieller Hinsicht über sein ganzes Leben entscheiden mußte. Kam er davon, so war Claire sein, zweifellos für die Gegenwart und ohne Besorgnis für die Zukunft; mußte er sterben, so blieb er in ihren Augen für immer groß, stolz und unbezwinglich. Er wollte das Spiel vollständig wagen. Alles oder nichts. Ein Leben des höchsten Glückes oder der kalte, starre Tod. Und fest entschlossen ließ er sich an seinen Schreibtisch nieder.

Ueber seinem Haupte setzte Claire ihr fieberhaftes Umhergehen fort. Er hörte sie die Thür öffnen, mit flüchtigem Schritt den Salon durcheilen und bei seinem Zimmer anhalten. Ein Lächeln glitt über seine Lippen und er horchte aufmerksam. Nach Verlauf einiger Minuten kehrte sie auf ihr Zimmer zurück. So hatte sie also, gleich ihm, an eine Annäherung gedacht und war, wie er, davon zurückgekommen. Daraus ersah er, wie tief er von seiner Höhe herabgestiegen wäre, hätte er sich ihr genähert: er würde aufgehört haben, der höherstehende Mensch zu sein, der durch seine Willenskraft alles beherrscht, um ein alltägliches, von seinen Sinnen abhängiges Geschöpf zu werden.

Ein schwacher Lichtschein, der den Tag ankündigte, erinnerte ihn an die materiellen Sorgen, die seine letzten Augenblicke beschäftigen mußten. Seiner Schwester wollte er für den Fall, daß er nicht mehr sein sollte, eine feste Stütze zurücklassen. Er hatte die trefflichen Eigenschaften des Marquis von Beaulieu gar wohl schätzen gelernt und ließ dem hervorragenden Geiste und dem edlen Herzen des jungen Mannes Gerechtigkeit widerfahren; wenn er trotzdem auf dessen Bewerbung mit Nein geantwortet, so geschah dies bloß, um seiner ehelichen Taktik treu zu bleiben und um noch einen härteren Schlag, als alle vorhergehenden, gegen das Herz seiner Frau zu führen. Nun nahte die Krise ihrem Ende und er wollte das Unrecht, welches er an Octave begangen, gut machen. Außerdem liebte Susanne den Marquis, und bei dem Gedanken, diesem Kinde, das die einzige Freude seines Lebens gewesen, Kummer zu bereiten, fühlte er sein Herz weich werden.

Er beschloß, die jungen Leute miteinander zu verheiraten, und um seiner Einwilligung mehr Feierlichkeit zu geben, verlieh er ihr die Form eines Testamentes. Ruhig und gesammelt traf er alle weiteren Verfügungen, vermachte die eine Hälfte seines Vermögens Susannen, die andere überließ er Claire, mit der Bemerkung, »seine teure Frau möge es freundlich annehmen als Erinnerung an die zärtliche Liebe, die er ihr stets gewidmet.« Alsdann wählte er unter seinen Ingenieuren einen Direktor aus, der fähig war, an seine Stelle zu treten, und nachdem er auf diese Weise alles sorglich geordnet hatte, gedachte er eine kurze Weile zu schlafen, denn er bedurfte heute einer festen Hand und eines sicheren Blickes. Er streckte sich auf den breiten Lederdiwan aus und schloß mit einem Seufzer die Augen.

Auf Schloß Varenne herrschte große Aufregung. Athénaïs war in einem Zustande unaussprechlicher Erbitterung aus Pont-Avesnes heimgekehrt. In dem Augenblick, wo sie die gehaßte Rivalin ganz in ihrer Gewalt geglaubt, hatte ein mächtiger Ruck sie triumphierend und stolz in die Höhe gebracht. Und sie selber, die Herzogin von Bligny, war es, die sich gedemütigt, hinausgejagt, besiegt sah, denn sie konnte es sich nicht verhehlen, daß dieser aufsehenerregende Bruch ihr unheilbaren Schaden zufügen mußte.

Die ganze Familie des Herzogs würde Claires Partei ergreifen, die Ursache des Duells würde bekannt werden und die schmähliche Art, in der sie Pont-Avesnes verlassen mußte, erzählt, erläutert und von der gehässigen Welt vergrößert werden. Bei diesem Gedanken knirschte Athénaïs mit den Zähnen und blutdürstige Triebe erhoben sich in ihrem Herzen. Sie hätte selber an der Stelle des Herzogs sein mögen, damit das blutige Werk besser und sicherer vollbracht würde. Sie stellte sich Claire als Wittwe vor, und sah sie schon im Geiste, schwarzgekleidet, blaß und vernichtet die Stunde verfluchen, in der sie ihre Rivalin beschimpft hatte. Und konnte sie Claire in dem geliebten Gatten treffen, so drang sie damit bis an die Quelle ihres Lebens selbst vor. Mit entsetzlichem Lachen schleuderte sie Handschuhe und Fächer mit Heftigkeit auf den Tisch des Salons, in welchen sie eben eingetreten war, und sich zu ihrem Vater und zu ihrem Gatten wendend, welche sie schweigend ansahen, rief sie im höchsten Zorn:

»Dieser Mann, der diejenige verteidigt, die mich beschimpft hat, muß getötet werden.«

Ein Augenblick der Bestürzung folgte.

Moulinet war von dem tragischen Ausrufe seiner Tochter völlig niedergedonnert; der Herzog war überrascht in Athénaïs einen Haß zu finden, der dem seinen an Stärke gleich kam. Er zürnte indes der Herzogin dafür, einen Skandal herbeigeführt zu haben, der für sie und für ihn mit einer demütigenden Flucht geendigt hatte, und er tadelte sie, daß sie sich nicht zu beherrschen vermocht hatte. Gewohnt an die perfiden Vertuschungen des guten Tones und an einen Haß, der sich unter einem Lächeln zu verbergen weiß, fand er Athénaïs schrecklich gemein und ungeschickt und schließlich verdroß ihn auch die Haltung à la Borgia, welche die junge Frau annahm. Er sah ihr ruhig ins Gesicht und erwiderte in leichtem Tone:

»Diesen Mann töten! Sie sprechen darüber eben in Ihrer Weise, meine Liebe. Diese Phrasen passen sehr gut in ein Melodrama, im gewöhnlichen Leben sind sie höchst lächerlich. Gewöhnen Sie sich doch diese übertriebenen Ausdrücke und theatralischen Gebärden ab!«

Dann fügte er mit kaltem Lächeln hinzu:

»Seien Sie übrigens versichert, daß ich mein möglichstes thun werde, um Ihnen Genugthuung zu verschaffen.«

»Erlauben Sie, Herr Herzog,« begann Moulinet, sich einem anstrengenden Nachdenken entreißend, »ich sehe Sie bereit, die Dinge aufs Aeußerste zu treiben.«

»Haben Sie nicht eben Ihre Tochter gehört, mein lieber Herr?« fragte Bligny kalt. »Glauben Sie, daß ich meine Pflichten so wenig kenne, um meine Frau nicht zu verteidigen?«

»Es handelt sich nicht darum,« erwiderte Moulinet. »Ihr Benehmen, ich muß es anerkennen, war höchst korrekt. Aber es ist eine Tollheit, daß meine Tochter Sie zur Gewalt treibt, sie sollte Sie vielmehr zu einer Versöhnung zu bestimmen suchen. Alles kann noch gut werden. Ein flüchtiges Mißverständnis zwischen zwei Freundinnen, ein leichter Streit zwischen zwei Cousinen! Man umarmt sich und alles ist zu Ende! Aber ein Duell, ein Skandal, ein Bruch? Denken Sie denn nicht an die Folgen dieses Falles? Für Sie sind dieselben schrecklich! Und für mich? . . . Für mich sind sie beispiellos unheilvoll! . . . sie töten meine Kandidatur!«

Trotz des Ernstes der Lage konnte der Herzog ein Lächeln nicht unterdrücken. Athénaïs, die zusammengekrümmt wie eine Schlange in einem Fauteuil kauerte, ließ ein verächtliches Zischen hören.

»Pardon, Herr Herzog!« fuhr Moulinet mit hoheitsvoller Miene fort, »ich habe, wie ich glaube, genug für Sie gethan, um nun auch meinerseits einige Forderungen stellen zu dürfen. Diese beklagenswerte Affaire muß gütlich beigelegt werden. Täglich ereignen sich ähnliche Fälle, die alle mit einer schließlichen Aussöhnung enden.

»Das geht ganz leicht. Man setzt ein kleines Protokoll auf, in welchem Madame Derblay sich bereit erklärt, alles zurückzunehmen, was sie gesagt hat, meine Tochter muß zurücknehmen, was sie antwortete, Sie, mein Schwiegersohn, werden Ihre Herausforderung zurückziehen, und wenn so jedermann etwas zurückzieht, wird nichts mehr übrigbleiben . . .«

»Als uns selbst zurückzuziehen!« fiel der Herzog ein.

»Was sehr oft vorkommt.«

»Nicht doch, wenn es sich um Leute handelt wie Herrn Derblay und mich. Legen Sie Ihrem ausgezeichneten Herzen Schweigen auf, Herr Moulinet, ersticken Sie die Klagen des bedrohten Kandidaten und lassen Sie den Dingen ungehindert ihren Lauf . . . Ich wünsche Ihnen einen guten Abend; ich habe mich noch mit La Brède zu besprechen, bevor ich zu Bett gehe.«

Und seine Frau und seinen Schwiegervater leichthin grüßend, schritt der Herzog hinaus.

Moulinet machte einige Schritte nach seiner Tochter hin.

»Sieh doch, mein liebes Kind!« stammelte er.

Doch die Herzogin erhob sich blaß und kalt, und ohne ihn nur eines Blickes zu würdigen, öffnete sie mit erregter Hand die Thüre ihres Zimmers und verschwand in demselben.

Moulinet schüttelte melancholisch den Kopf und zum erstenmal mußte er sich gestehen, daß es Schwierigkeiten im Leben gebe, die man mit Hilfe des Geldes nicht überwinden könne.

»Guter Rat kommt über Nacht!« sagte er zu sich selbst; »morgen am Tage werden wir klarer sehen.«

Und indem er sich an diese schwache Hoffnung anklammerte, ging er auf sein Zimmer, um in dem Bette Kaiser Karls V. auszuruhen. – –

Zwei Stunden waren ungefähr verstrichen, seitdem der Hüttenbesitzer in ruhigem Schlummer lag, als ein leichter Druck auf die Schulter ihn erweckte. Er öffnete die Augen, und als er den Marquis von Beaulieu vor sich stehen sah, sprang er rasch auf die Füße. Es war bereits heller Tag und die Uhr zeigte eine halbe Stunde nach sechs.

»Wir haben noch Zeit,« murmelte Philipp.

Niemals hatte er seinen Geist freier und seinen Körper kräftiger gefühlt und er empfand darüber etwas wie Stolz. Diesem willensstarken Manne verursachte jede Bestätigung seiner moralischen Kraft eine geheime Freude. Er trat ans Fenster und öffnete es. Eine milde, von Wohlgerüchen der taufeuchten Blumen erfüllte Luft umfing ihn mit köstlicher Frische und er ließ seine Blicke über die dunklen Baumgruppen des Parkes schweifen. Ein feiner, blauer Nebel lagerte über den Bäumen, und die Sonne, die schon hoch am Himmel stand, spielte in glänzenden Lichtern auf der stillen Oberfläche des Teiches. Die Natur hatte sich geschmückt, um ihm ein Fest zu bereiten.

»Ein schöner Tag!« rief Philipp heiter aus, als wäre er im Begriff, sich auf die Jagd zu begeben.

Sein Blick begegnete dem des Marquis und er las in dessen traurigen Augen einen stillen Vorwurf. Er schritt auf seinen Schwager zu und sagte, ihm liebevoll die Hand drückend:

»Wundern Sie sich nicht darüber, mich heute morgen so sorglos und fast fröhlich zu finden. Ich habe das Vorgefühl, daß alles für mich gut endigen wird.

Er wurde ernsthaft.

»Indes, da man auch ein Unglück ins Auge fassen muß, habe ich meine Verfügungen getroffen. Sie werden dieselben in jenem Briefe niedergelegt finden.

Dabei wies er nach seinem Schreibtische, auf dem ein großes Couvert lag, welches den Namen des Notars Bachelin trug.

»Mein alter Freund und Sie werden meine Testamentsvollstrecker sein. Ihnen, mein lieber Octave, vermache ich mein Teuerstes . . .«

Ein Strahl der Freude erhellte das Gesicht des Marquis. Der junge Mann wollte sprechen, aber die Stimme erstickte in seiner Kehle und Philipp mit seinen Armen umschlingend, den Kopf an dessen Schulter gelehnt, fing er zu weinen an.

»Beruhigen Sie sich, Octave, ein wenig mehr Festigkeit!« fuhr der Hüttenbesitzer fort. »Ich hoffe, daß Sie meine Schwester aus meiner Hand empfangen werden. Doch wenn ich nicht mehr sein sollte, mein Freund, seien Sie zärtlich und liebevoll gegen sie, sie verdient es. Sie hat ein zartes Herz, das der geringste Kummer brechen würde . . .«

Seine Stimme war unendlich mild und weich geworden, als er von dem Kinde sprach, dem er ein wirklicher Vater gewesen. Er strich mit der Hand über die Stirne und ruhig lächelnd sagte er:

»Ich muß mich ankleiden. Wollen Sie mit mir hinaufgehen und mir Gesellschaft leisten? Nachher suchen wir den Baron auf. Ich wünsche mich unbemerkt zu entfernen.«

Octave neigte den Kopf, ohne zu antworten; dann, nach einer kurzen Pause, begann er mit Mühe:

»Philipp . . . bevor ich heute morgen zu Ihnen kam, habe ich meine Schwester gesehen . . . Versprechen Sie mir, nicht fortzugehen, ohne zuvor bei ihr eingetreten zu sein.«

Philipp heftete einen fragenden Blick auf den Marquis.

»Es ist nicht denkbar, daß Sie Claire verlassen wollen, ohne ihr Gelegenheit zu bieten, sich vor Ihnen zu rechtfertigen, wenn dies möglich ist . . .«

Und als der Hüttenbesitzer eine Gebärde der Ueberraschung machte, fuhr Octave ernst fort:

»Seit drei Tagen weiß ich, was zwischen Ihnen und Claire vorgefallen. Sie hat mir alles gestanden, ich weiß, wie sehr meine Schwester schuldig ist, und beklage Sie, glauben Sie es mir, Philipp, daß Sie so peinliches Weh erdulden mußten, ebensosehr, als ich Sie bewundere, dasselbe so vollständig verborgen zu haben. Aber ich bitte Sie, seien Sie nun nachsichtig, seien Sie gut . . . Es wird Ihrer würdig sein, die arme verzweifelte Frau nicht völlig niederzudrücken. Sie sind ein energischer und tapferer Mann, man darf mit Ihnen offen sprechen . . . Nun denn . . . denken Sie daran, daß Sie Ihre Frau vielleicht nicht mehr wiedersehen werden. Wollen Sie dieselbe von dem doppelten Vorwurf vernichtet zurücklassen, Ihr Leben zerstört und Sie vielleicht in den Tod getrieben zu haben . . .«

Der Hüttenbesitzer wendete sein erbleichendes Antlitz ab. Nach kurzem Bedenken sagte er dann:

»Ich werde thun, was Sie von mir verlangen. Aber diese Unterredung wird für Ihre Schwester und für mich furchtbar peinlich werden. Trachten Sie, dieselbe abzukürzen, und erleichtern Sie mir den Abschied, indem Sie kommen, um mich abzuholen . . .«

Der Marquis machte ein Zeichen der Einwilligung, und nachdem er Philipp herzlich die Hand geschüttelt, entfernte er sich mit ihm.



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