Georges Ohnet
Der Schritt zur Liebe – Zweiter Band
Georges Ohnet

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Elftes Kapitel

Der schöne André, den seine stählernen Nerven vor allen Folgen der Aufregung bewahrten, war nach gesundem Schlaf zu gewohnter Stunde aufgestanden und, wie Zoë erzählt hatte, in Erwartung von Nachrichten, im Garten auf und ab gegangen. Von der Erschütterung, die der peinliche Auftritt im Klub auf kurze Zeit wirklich bewirkt hatte, war nichts mehr zu spüren, und er überdachte seine Lage mit außerordentlicher Kaltblütigkeit. Die sittliche Bedeutung der begangenen Handlungen ließ er dabei vollständig beiseite, ihn beschäftigten einzig die materiellen Folgen. Da er entschlossen war, über Menschen hinwegzuschreiten wie über einen Bodenteppich, ohne sich im mindesten darum zu kümmern, wen er zertreten oder verwunden würde, so zog er die Ergebnisse seines Betragens nur unter dem Gesichtspunkt des ihm daraus erwachsenden Schadens in Betracht; was andre dadurch leiden mochten, focht ihn nicht an. Die Spielgeschichte machte ihm wenig Sorgen. Er kannte die menschliche Feigheit zu genau, um auch nur einen Augenblick daran zu zweifeln, daß man ihm im Klub ebenso höflich und unterwürfig begegnen würde wie vorher. Er hatte sogar im Sinn, sich noch heute dort zu zeigen, denn er hatte noch nie erlebt, daß einem Mann, der, wenn es galt, zwölfmal nacheinander ins Schwarze traf, irgendwo Gruß und Handschlag verweigert worden wäre. Das übrige würde die unter Spielern übliche gegenseitige Nachsicht besorgen, und er wußte, daß es keine vierzehn Tage anstehen würde, bis unter den an diesem Auftritt Beteiligten die Bemerkung fiele: »Der arme Vicomte hatte mit den Kniffen des falschen Ungarn nicht das geringste zu schaffen. Er hatte vorher ebensoviel verloren, als wir andern alle, und verlor nachher abermals wie alle Kameraden. Man kann ihm durchaus keine Inkorrektheit vorwerfen, und wenn jeder verantwortlich sein sollte für alles, was an einem Spieltisch vorgehen kann, täte man besser, sich nie an einer Partie zu beteiligen.«

Das Protokoll, das in Gegenwart des Vorstands, Valançons, des kleinen Linguet und des Polizisten hinter geschlossenen Türen aufgenommen worden war, machte ihm auch keinen Kummer. Wenn er heute die zur Entschädigung der Spieler bestimmte Summe ablieferte, so würde von dem Wisch Papier nicht mehr die Rede sein, Anninas Auflehnung und ihre Flucht beunruhigten ihn desto mehr. Vor allen Dingen war er sich nicht klar, wie viel die junge Frau wußte. Hatte sie ihn einfach auf seiner Untreue ertappt, nachdem sie ihm vorher angekündigt gehabt, welcher Gefahr er sich dadurch aussetzen würde? Hatte er noch die Möglichkeit, ihr auf Ehrenwort zu versichern, daß dieser Mahlzeit unter vier Augen mit der Cortazzi keine andern Begegnungen vorangegangen seien und daß er es sofort bereut habe, einer flüchtigen Laune und Lockung nachgegeben zu haben.

Die Gegenwart Frau von Préjeans und Saint-Yrieix' verliehen dem ärgerlichen Auftritt freilich den Anstrich einer abgekarteten Sache, was ihn sehr beunruhigte. Er konnte sich nicht verhehlen, daß sowohl die Valançons, als Frau von Préjean und Tristan von Anfang an energisch auf Trélauriers Seite getreten waren und ihm nur feindselige Gesinnungen gezeigt hatten. Ob sie wohl alle zusammen, auch Tristan mit inbegriffen, ihm die Falle gestellt hatten, in der er sich so tölpelhaft hatte fangen lassen? Wenn sie aber in der Angelegenheit mit der Cortazzi so geschickt verfahren waren, mußte man ihnen dann nicht zutrauen, auch im Klub ihre Hände im Spiel zu haben? Und war es in dem Fall nicht logisch, vorauszusetzen, daß man Annina alle ihm zum Vorwurf gemachten Unregelmäßigkeiten berichtet hatte, um das Gewissen der jungen Frau zu beunruhigen, ihr Angst zu machen und sie schließlich seiner Herrschaft zu entreißen?

Wenn dem aber so war, hatte er dann noch Einfluß genug, sie zu überzeugen und umzustimmen? Und wenn es ihm nicht gelang? Was für eine Schlappe für ihn! Der Gedanke, daß Annina ihm entrinnen, möglicherweise zu Trélaurier zurückkehren könnte, versetzte ihn in Wut. Das Herz krampfte sich ihm zusammen, wenn er an ihre Jugend, Schönheit und die Leidenschaft der jungen Frau dachte, und lächelnd, strahlend, in erlesener Schönheit tauchte ihr Bild vor ihm auf. Die Hingebung, die er nicht hatte erschöpfen können, die Großmut, die keine Grenzen kannte, alle Vorzüge, die sie über alle Frauen erhoben, kamen ihm in den Sinn, nicht etwa bittre Reue weckend, sondern zum finstern Haß spornend. Der häßliche Gedanke stieg in ihm auf, daß es besser wäre, Annina würde sterben, als einem andern angehören. Das Ungeheuer in ihm erwachte, das kühle Berechnungen auf die Liebe der Frauen angestellt und kalten Blutes mitangesehen hatte, daß sie den Tod einer Trennung von ihm vorzogen. In der Einsamkeit seines Gartens brach er in ein schauriges Gelächter aus. Er sann nur darauf, die Leiden zu verschlimmern, die das herzensgute Wesen seinetwegen ertrug, und von dem Augenblick an, wo sie sich ihm zu entziehen trachtete, war ihm keine Qual zu schlimm für sie.

Er sagte sich: »Ob sie nun weiß oder nicht weiß, was ich getan, ob sie mich entschuldigt, oder verurteilt, Annina wird meinem Einflusse nicht widerstehen, sondern zu mir zurückkehren. Andernfalls werde ich sie von Stund an als meine Feindin betrachten. Mein Interesse sowohl als meine Neigung verbieten mir, mich von ihr narren zu lassen.«

Unter »von Annina genarrt werden« verstand der Vicomte, daß es ihm nicht gelingen würde, sie auf dem abschüssigen, schlüpfrigen Pfad, wohin er sie geführt hatte, weiter mit fortzureißen, und in einer merkwürdigen Verkehrtheit des sittlichen Gefühls setzte er all die von andrer Seite gemachten Anstrengungen, sie ihm zu entreißen, der jungen Frau selbst aufs Kerbholz.

Als die Jungfer gegen elf Uhr von ihrem Besuch in der Stadt zurückkam, führte er sie in Anninas kleines Wohnzimmer, wo er sie aufs genaueste ausfragte. Er folgerte aus ihrem Bericht mit Sicherheit, daß die Valançons, Frau von Préjean und Saint-Yrieix gemeinsam alle Vorsichtsmaßregeln trafen, eine Begegnung zwischen ihm und Frau Trélaurier zu verhüten. Folglich waren seine Feinde ihrer durchaus nicht sicher, zweifelten vielmehr an ihrem festen Entschluß, den Bruch herbeizuführen, was ihn äußerst hoffnungsvoll stimmte.

Zu allererst aber mußte er sich die Mittel verschaffen, um die auf Linguets Antrag gestellte Forderung der Klubkasse zu befriedigen. Ohne Zögern nahm André abermals Zuflucht zu Anninas Scheckbuch. Er hatte ja keine Ahnung, daß sie um den Mißbrauch wußte, den er mit ihrer Unterschrift getrieben hatte. Ein paar Zahlen und Buchstaben auf ein Blatt Papier zu schreiben, war eine Kleinigkeit. Im Handumdrehen hatte er das Mittel in Händen, seine Ehrenhaftigkeit zu bekräftigen und jede Gefahr von sich abzuwenden, und während im Valançonschen Hause alle Herzen bangten, setzte er sich gemütsruhig zum Frühstück.

Als es ein Uhr schlug, stieg André in seinem eleganten grauen Straßenanzug, die Zigarette im Mund, in den Wagen, um nach der Seytonschen Bank zu fahren. Dort erwartete ihn die erste peinliche Überraschung. Nachdem der Angestellte hinter seinem Schalter den Scheck mit ungewohnter Genauigkeit studiert hatte, erklärte er dem Vicomte, ohne Rücksprache mit dem Inhaber der Bank die Summe nicht ausbezahlen zu können, und bat André, ihm in sein Arbeitszimmer zu folgen. Preigne fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. So frech er auch war, stieg doch bei den Vorsichtsmaßregeln, die man gegen ihn anwandte, plötzlich eine unangenehme Vorstellung in ihm auf. Statt im Flur des Bankhauses, wo die Angestellten aus und ein gingen, glaubte er sich in den Vorsälen des Justizpalasts, wo die Gerichtsdiener auf Holzbänken sitzend, das Zeichen abwarten, die Verhafteten dem Untersuchungsrichter vorzuführen. Er war daher ungewöhnlich blaß, als er Seytons Arbeitszimmer betrat. Der Bankier bot ihm mit kühler Höflichkeit einen Sitz an und sagte, den strittigen Scheck in der Hand haltend: »Ich bedaure sehr, Frau Trélauriers Wunsch nicht sofort entsprechen zu können und ihrem Beauftragten Mühe zu machen, aber ich habe zur Zeit keine Deckung für den Scheck und auch vom Haus Barante keinen Auftrag . . .«

»Können Sie nicht an Barante telegraphieren? Das Geld wird dringend gebraucht . . .«

»Das soll sofort geschehen,« versetzte der Bankier nicht unfreundlich, »aber eigentlich nur, um mich Ihrem Drängen nicht zu widersetzen, denn ich kann Ihnen im voraus sagen, daß ich nicht auf zustimmenden Bescheid rechne. Eine kürzlich erhaltene Mitteilung unsres Florentiner Korrespondenten verpflichtet uns zu größter Vorsicht betreffend Frau Trélauriers Konto.«

»Und weshalb, wenn ich bitten darf?«

»Ach!« warf der Engländer lachend hin. »Vielleicht findet man in Paris, daß Frau Trélaurier ein wenig zu scharf ins Zeug ging . . .«

Und André den Scheck hinreichend, setzte er hinzu: »Ich bedaure sehr, Ihren Wünschen nicht besser entsprechen zu können, aber im Geldgeschäft gibt es keine Gefälligkeit, sondern nur Kredit.«

Er begleitete den Vicomte bis zur Tür und ließ ihn dann allein seinen Weg finden. Mit trockenem Mund und einem peinlichen Sausen in den Ohren durchschritt der verdutzte Vicomte die Räume und es schwante ihm, daß das Verhängnis über ihn hereinbreche. Diese Zurückweisung des Schecks, denn daß es eine unwiderrufliche Zurückweisung war, darüber täuschte ihn die Höflichkeit des Bankiers nicht, war die erste Kundgebung ernstlicher Feindseligkeit. Von Annina konnte sie nicht ausgehen, sie kam also von Trélaurier. Der Ehemann trat auf den Plan und machte seine Gewalt fühlbar. André hatte ihn besiegen können, solange man mit Gefühlen kämpfte, jetzt, wo Geld die Waffe war, mußte der Sieg auf seine Seite treten und alle vom Kriegsrecht erlaubten Repressalien waren zu fürchten.

Bekümmert verließ er das Seytonsche Bankhaus. Er wußte sehr gut, daß er die hundertfünfzigtausend Franken, die er zu bezahlen hatte, auf keine andre Weise beschaffen konnte. Annina mußte sie ihm geben, aber Annina war nicht mehr in seiner Gewalt, er hatte sein schönes Liebespfand aufs unbesonnenste entwischen lassen, und es kam ihm fast vor, als ob Trélaurier schon darum wüßte. Reichte denn die Verfolgung, als deren Opfer er sich betrachtete, weiter zurück, als er geglaubt hatte? Hatte der Ehemann mit heimtückischer Geduld auf den Augenblick gelauert, wo Annina sich von dem Geliebten lossagen würde, um dann in der entscheidenden Stunde das Gewicht seines Geldes in die Wagschale zu werfen?

»Darüber werde ich ja rasch ins klare kommen,« sagte sich André. »Nach einer Unterredung mit Annina werde ich sofort wissen, was ich von ihr zu erwarten habe. Wenn ich nur eine Viertelstunde mit ihr sprechen kann, und sei es selbst vor Zeugen, so werde ich ihr das Geheimnis der gegen mich angezettelten Verschwörung entreißen. Was sie auch gegen mich auf dem Herzen haben mag, die großmütige, zärtliche Annina wird nicht fühllos bleiben beim Klang meiner Stimme. Sie kann in einem kurzen Augenblick ihre Liebe nicht begraben haben, und die Frau, die mir gestern ohne Zaudern ihr Leben geopfert hätte, wird sich heute nicht weigern, mir Gehör zu schenken.«

Mittlerweile war die Droschke vor Valançons Wohnung angelangt. André sprang rasch heraus; alle Unschlüssigkeit, alle Befürchtungen waren wie weggeblasen. Er war sich seiner Stärke bewußt und hielt den Sieg für sicher. Mit festem Griff klinkte er die Tür auf und schritt elastisch zwischen den blühenden, duftenden Rosenhecken aufs Haus zu. Bei einem Blick auf die Fenster nahm er im ersten Stock eine rasch verschwindende Gestalt wahr. Er lächelte – das war ohne Zweifel Annina, die nach ihm ausgespäht hatte! War sie etwa nur die Gefangene ihrer Freunde und nicht deren Verbündete? Nun, das mußte sich ja sofort zeigen!

An der Freitreppe kam ihm ein Diener entgegen. Zu streng in der Form, um nach Frau Trélaurier zu verlangen, gab André ihm einfach seine Karte, worauf ihn der Bediente in den Salon führte und mit der Bemerkung: »Ich werde Herrn Valançon benachrichtigen,« allein ließ.

Schon nach wenigen Augenblicken ging die Tür auf und Valançon trat ins Zimmer. Der Vicomte verbeugte sich, ohne dem Künstler die Hand zu bieten. Dieser erwiderte den Gruß höflich, aber mit einem Beigeschmack frostiger Zurückhaltung, und schien abwarten zu wollen, daß André den Zweck seines Besuchs erkläre, was dieser ohne jegliche Befangenheit sofort tat.

»Ich höre, daß Frau Trélaurier seit heute nacht Ihr Gast ist, mein lieber Valançon, und ich möchte mich zuerst nach ihrem Befinden erkundigen und dann, wenn Sie mir gestatten, um eine Unterredung mit ihr bitten.«

»Frau Trélaurier befindet sich so wohl, als es nach den überstandenen Aufregungen möglich ist,« versetzte Valançon, »ob sie Ihnen aber die gewünschte Unterredung gewähren wird, bezweifle ich . . .«

»Weshalb nicht?« fragte der Vicomte, die Stimme erhebend in hochfahrendem Ton.

Valançon machte eine beschwichtigende Handbewegung.

»Es ist nicht an mir, Ihnen Aufschluß zu geben über ihre Gründe. Bitte, folgen Sie mir, in meinem Atelier erwartet Sie ein dazu Befugter.«

Mit feierlicher Höflichkeit ließ er dem Vicomte den Vortritt und führte ihn in seine Werkstatt, wo der Vicomte auf den ersten Blick Vernaut entdeckte, der neben dem hohen Kamin stand, worin trotz der vorgerückten Jahreszeit ein Holzfeuer brannte.

»Ach so!« rief André spöttisch aus. »Nun fange ich an, die Schwierigkeiten zu begreifen, auf die ich stoße . . .«

Vernaut rührte sich nicht vom Fleck, nickte aber beifällig.

»Ihr Scharfsinn überrascht mich nicht, Herr Vicomte,« erwiderte er, »denn ich weiß längst, daß Sie viel Verstand haben. Ich hoffe, davon sofort einen weiteren Beweis zu erhalten . . .«

»Ihre günstige Meinung von mir entzückt mich,« warf der Vicomte verbindlich hin, »ich muß aber in erster Linie die schon an Herrn Valançon gestellte Bitte erneuern, da Sie ja, wie ich merke, den Befehl im Hause übernommen haben – ist es mir gestattet, Frau Trélaurier zu sprechen?«

»Nein, Herr Vicomte,« entgegnete Vernaut in vollkommen ruhigem Ton. »Man wird Ihnen das nicht gestatten.«

»Ist Frau Trélaurier in Privathaft?« fragte Preigne unverschämt.

»Frau Trélaurier hat vollkommene Freiheit des Handelns und will Sie nicht sehen. Gestatten Sie mir die Bemerkung, daß ich es nach den Vorgängen von heute nacht überraschend finde, daß Sie der Dame Ihre Gegenwart aufdrängen wollen.«

»Ich halte es für durchaus nötig, mich ihr gegenüber auszusprechen.«

»Und Frau Trélaurier hält es für unnötig.«

»Wenn ich einen Fehler begangen habe,« erklärte der junge Mann mit Selbstüberwindung, »so kann ich ihn ja bereuen und ihr meine Reue zeigen wollen.«

»Der Fehler, den Sie da im Auge haben, ist nicht der schlimmste, den sie Ihnen vorzuwerfen hat. Eine Untreue des Geliebten hätte sie vielleicht verzeihen können, über die Ehrlosigkeit des Mannes kommt sie nicht hinweg.«

Bei diesen schwerwiegenden Worten, denen die Ruhe, womit sie gesprochen wurden, eine vernichtende Kraft verlieh, wurde der Vicomte aschfahl.

»Valançon,« stammelte er, bebend vor Wut, »Sie haben aus der Schule geschwatzt! Das werden Sie mit dem Leben zu verantworten haben!«

»Nur ruhig, Herr Vicomte, wenn ich bitten darf,« mahnte Vernaut, den auf Valançon Zuschreitenden, »denn unser Freund hat mit der Erklärung, die ich Ihnen eben gab, nicht das geringste zu tun. Ich habe ja die Auswahl unter den Anklagen, die man gegen Sie erheben kann. Vorläufig handelt es sich nur um eine bestimmte Tatsache, mit dem übrigen können wir uns später befassen, wenn wir Zeit dazu haben. Sie haben auf verschiedene von unserm Haus ausbezahlte und in unsern Händen befindliche Schecks eine Namensunterschrift gesetzt, die nicht Ihre eigene war. Das nennt man in allen Sprachen der Welt Fälschung.«

André bäumte sich unter diesem Schimpf.

»Sie schwelgen in Rache! Ohne sich einer Gefahr auszusetzen, rächen Sie den Freund aus feigem Hinterhalt.«

Vernaut gebot ihm durch eine Gebärde Schweigen.

»Ich bitte, sich nicht in so zwecklosen Äußerungen zu ergehen, Herr Vicomte. Sie wissen sehr genau, daß Herr Trélaurier nicht nach Rache dürstet, und daß es nur an Ihnen gelegen hätte, ihm mit den Waffen Genugtuung zu geben. Ich bedaure, Ihnen den Tag ins Gedächtnis rufen zu müssen, an dem Herr Valançon und ich Sie in Trélauriers Auftrag zur Rechenschaft ziehen wollten, und Sie, indem Sie uns mit Grazie mystifizierten, die allerberuhigendsten Zusicherungen Ihrer vortrefflichen Gesinnung gaben. Am selben Abend noch sind Sie abgereist, und heute, nach einem Jahr, habe ich zum ersten Male das Vergnügen, Sie wiederzusehen. Wenn Ihre eilige Abreise damals keine Flucht war, so wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich eines Bessern belehren wollten. Einstweilen muß ich Ihnen gestehen, daß mir weder Ihre Gegenbeschuldigungen, noch Ihre Großmäuligkeit Eindruck machen, und sollten Sie jetzt noch nicht genügend aufgeklärt sein, so füge ich hinzu, daß zwischen einem makellosen Ehrenmann wie Trélaurier und einem so fraglichen wie Sie ein Ehrenhandel ausgeschlossen ist.«

»Diese Beschimpfungen werden Sie mir teuer bezahlen!« rief André, unter Vernauts verächtlichem Blick vor Wut bebend.

Doch Trélauriers Freund verlor die Fassung nicht.

»Sich bezahlt zu machen, gehört ja zu Ihren Gewohnheiten, mein Herr,« sagte er trocken, »das ist bei Ihnen in der Regel das Ende vom Lied. Sowohl die Marquise von Courgiron als die kleine Linguet haben es ja erfahren, was es kostet, Sie zu lieben: die eine ist drüber zur Bettlerin geworden, die andre gestorben. Frau Trélaurier zu Grunde zu richten, lag nicht in Ihrer Macht, aber es würde Ihnen vielleicht nicht unangenehm sein, wenn sie Ihrer schönen Augen willen in den Tod ginge? Dem haben wir aber einen Riegel vorgeschoben – ich sage gewohnheitsmäßig wir, denn wenn vom Haus Trélaurier die Rede ist, rechne ich mich auch dazu. Solange es sich nur um Leidenschaft gehandelt hat, waren wir die Unterliegenden, sobald es sich aber um Geld handelt, sind wir im Vorteil, und wenn Sie nichts dagegen haben, scheint mir der Fall jetzt so zu liegen. Uns ist berichtet worden, daß Sie heute vor Abend eine bedeutende Summe bezahlen müssen, um nicht gesellschaftlich unmöglich zu werden. Höchst wahrscheinlich haben Sie schon den Versuch gemacht, sich diese Summe durch Ihre gewohnten Mittel zu schaffen, aber wir hatten unsre Vorkehrungen getroffen, die Ihnen ganz einfach die Zufuhr abschneiden. Verstehen Sie mich? Ich sagte zu Anfang unsrer Unterredung, daß ich mit Sicherheit auf einen Beweis Ihrer Klugheit rechnete, jetzt ist der Augenblick da, ihn zu geben. Sie brauchen hundertfünfzigtausend Franken, um wenigstens den Schein Ihrer Ehre zu retten; diese Summe werden Sie nie und nimmer auftreiben können, ich aber stelle sie Ihnen zur Verfügung.«

Totenstille trat nach diesen Worten ein. Preigne stand wie niedergeschmettert da; seine Augen waren starr zu Boden geheftet, auf seiner Stirn perlte kalter Schweiß. Er hatte sich indes bald gesammelt und sagte, einen bösen Blick auf Vernaut werfend, in rauhem Ton: »Sie wollen mir Frau Trélauriers Freiheit abkaufen!«

»Da täuschen Sie sich gründlich,« versetzte Vernaut mit Nachdruck, »Frau Trélaurier ist frei. Aber so unwürdig Sie an ihr gehandelt haben, will sie doch nicht, daß Sie unter der Trennung leiden sollen. Ihre Großmut wie ihr Stolz treiben sie, Böses mit Gutem zu vergelten. Sie kennt ja jetzt den Wert Ihrer Gelöbnisse, sie konnte, dank Ihnen, Vergleiche anstellen zwischen der gefälschten, ungesunden Liebe, die Sie ihr zu bieten hatten, und der tiefen, unwandelbaren Zuneigung, die sie verkannt hat. Aber indem sie sich für immer von Ihnen lossagt, will sie Ihnen einen letzten Dienst erweisen. Das ist ihre Auffassung von Rache.«

Wie ein Widerhall dieser Worte drang ein leiser Wehlaut durch den weiten Raum. André erbebte, denn er erriet Anninas Gegenwart. Mit einer Hinterlist, die er nicht hatte voraussehen können, mußte Trélaurier sie ohne Zweifel hier verborgen haben, damit sie Zeuge dieser Unterredung und seiner endgültigen Niederlage sei.

Tolle Wut wallte in André auf und er suchte nach einer Waffe um dreinzuschlagen. Wie ein blutiger Nebel lag's vor seinen Augen und er wünschte sich den Tod, unter der Bedingung, vorher die zu erschlagen, die ihn so grausam gedemütigt hatten. Aber diesem Vernaut gegenüber, der ihn mit seiner beschimpfenden Freigebigkeit zu Boden drückte, diesem Valançon gegenüber, der in seinem Künstlerbewußtsein den Spieler verächtlich belächelte, war er ja machtlos. Sich als besiegt bekennen wollte er aber nicht, mochte es kosten, was es wolle; so warf er denn den Kopf zurück und rief mit einer harten, heisern Stimme, ach! so unähnlich der, womit er Liebesworte zu flüstern pflegte: »Ich will nichts von Ihnen! Glauben Sie mich so vollständig in der Hand zu haben? Geld! Geld bieten Sie mir! Sie müssen verrückt geworden sein! Als ob es mir daran je fehlen könnte!«

Der Klang seiner Worte belebte, berauschte ihn, das Selbstvertrauen kehrte ihm durch die eigenen Vorspiegelungen zurück, und er raffte sich gewaltsam auf, um ungebeugt aus diesem Abenteuer hervorzugehen, sollte sein Stolz ihn auch zu Grunde richten.

»Ach was, Geld! Daran wird es mir nie gebrechen, das ist meine geringste Sorge! Mit Geld glauben Sie mich niederwerfen zu können? Sie tun mir wahrhaftig leid!«

Und er stieß ein Hohngelächter aus.

»Jedenfalls haben Sie meine Macht unterschätzt. Soll ich Ihnen Beweise dafür geben? Sie behaupten, die Frau, die zu suchen ich hieher kam, wolle mich nicht sehen? Wenn es mir beliebt, wird sie im nächsten Augenblick erscheinen! Soll ich sie rufen? Ich weiß, daß sie mich hört. Sie haben ein gewagtes Spiel getrieben. Glauben Sie vielleicht, daß ich der Narr sei, es nicht zu durchschauen?«

Und mit triumphierendem Hohn wies er auf den Winkel des Ateliers, wo Annina sich in namenlosen Qualen wand.

»Soll ich sie rufen?« wiederholte er, höhnisch lachend. »Sie wollten mich übertrumpfen, aber Sie hätten mich besser kennen sollen! Nun denn, auf jede Gefahr hin, die daraus entstehen mag, soll diese Probe entscheidend sein. Wenn ich das Haus verlassen soll, ohne ein Wort der Verzeihung und der Hoffnung, so muß sie selbst, von der ich das Wort hören wollte, es mir verweigern.«

Er machte ein paar Schritte nach der Loggia und rief mit erhobener Stimme: »Annina, man behauptet, daß du nur noch Haß und Verachtung für mich empfindest. Wenn dem so ist, so sage es mir doch selbst! Annina . . .«

Auf diese Beschwörung antwortete ein erstickter Schrei, und die von André Herbeigerufene erschien irren Blicks, mit vorgestreckten Händen wie eine Nachtwandlerin. Unsichern Schritts, als ob sie die Füße gar nicht auf die Stufen setzte, kam sie die zum Atelier führende Treppe herab, während Trélauriers Blick sie angstvoll verfolgte. Hoch aufgerichtet, leichenblaß aber entschlossen, ging sie auf Preigne zu und blieb zwei Schritte von ihm entfernt stehen. Mit zusammengepreßten Lippen durchforschte er ihr Gesicht. Sie aber blieb schweigend und regungslos stehen, und ihm, dem Vermessenen, versagte der Mut, sie zu befragen.

»Sie haben verlangt, daß ich komme,« sagte sie dann, den Arm, wie um Gnade flehend, erhoben. »Hier bin ich. Aber Sie haben mich genug gequält. Wenn ein Rest von Menschlichkeit in Ihnen ist, so schonen Sie mich . . .«

»Ich weiß, daß du ehrlich bist und nie lügst,« versetzte er ohne Erbarmen. »Sind die Worte, die ich zu hören bekam, und die du mitangehört hast, mit deiner Zustimmung gesprochen worden?«

Sie zögerte einen Augenblick, und Trélauriers Herz schien stillzustehen vor Angst, aber sie sagte mit schwacher Stimme: »Ja, zwischen uns ist jedes Band zerrissen. Ich hatte Liebe ersehnt und fand nur Schande. Ich kann nicht mehr . . .«

Er trat so nah auf sie zu, daß sein Hauch ihr Gesicht streifte. Sie zitterte, und er glaubte schon, Sieger zu sein. Aber sie zog sich von ihm zurück und flüsterte mit einer Gebärde der Verzweiflung: »Leben Sie wohl . . .«

Preigne begriff, daß alles zu Ende war. Den Zeugen seiner Niederlage trotzig ins Gesicht blickend, wandte er sich, ohne ein Wort zu sprechen, kalt und hochmütig dem Ausgang zu.

Annina lauschte dem Geräusch seiner auf der Treppe verhallenden Schritte, griff an ihre Stirn, als ob ein unerträglicher Schmerz sie quälte, stieß einen jammervollen Seufzer aus und sank leblos in Trélauriers Arme.

* * *

Annina war sechs Wochen lang schwer krank. Nur die Hingebung der Freunde, die sich Tag und Nacht an ihrem Bett ablösten und Trélaurier beistanden, sie dem Tod streitig zu machen, rettete ihr Leben. Die unbezwingliche Zähigkeit des Gatten, sowie Géraldines und Frau von Préjeans unermüdlicher, liebevoller Eifer trugen den Sieg davon, und an einem strahlend schönen Maitag konnte Annina in den Garten hinuntergebracht werden. Valançons kleiner Junge jagte eifrig nach Schmetterlingen, und die noch unsteten Blicke der Genesenden folgten freundlich seinem fröhlichen Spiel. Géraldine rief den Knaben und hieß ihn zu Annina hingehen.

»Hans, gib unsrer Frau Trélaurier einen Kuß!«

Die junge Frau umfaßte das Kind und drückte es mit Innigkeit an sich, als ob sie in dieser Bewegung der Zärtlichkeit allen Dank ausströmen wollte, der ihr Herz erfüllte, und zum ersten Male wieder lächelnd beim Anblick dieser Unschuld und Frische, streckte sie ihrem Mann die Hand hin und zerfloß in Tränen.

Acht Tage später verließen Herr und Frau Trélaurier Nizza, um sich nach dem Schloß Varenne zu begeben, wo sie den Sommer zubringen wollten. Man hatte dort den Eindruck vollständiger Einigkeit zwischen den Gatten. Sie lebten in stiller Einsamkeit, die nur durch Vernauts gelegentliche Anwesenheit und Besuche der Tante Perceval dann und wann unterbrochen wurde. Als sie Ende Oktober nach Paris zurückgekehrt waren, nahmen sie die früheren Lebensgewohnheiten wieder auf, und das Haus an der Rembrandtstraße öffnete sich dem vertrauten Kreis. Die Welt nahm die Versöhnung mit derselben wohlwollenden Nachsicht auf, womit sie seiner Zeit den Bruch beurteilt hatte. Die Erinnerung an die schönen Feste, die Trélaurier einst gegeben hatte, sprach zu seinen Gunsten: man sieht einen Hausherrn, der so großartige Gastfreundschaft ausübt, nicht gern schief an, und als Annina zum ersten Male wieder im Opernhaus erschien, stellten sich die früheren Besucher der Loge ein, als ob man sie Tags zuvor zum letzten Male gesehen hätte.

Trélaurier hatte sich mit der Rührigkeit eines jungen Mannes wieder in die Arbeit gestürzt. Er hatte sich äußerlich sehr verändert, war magerer, schlanker geworden und erschien dadurch, trotz der beinahe ganz weißen Haare, verjüngt. Bald verbreitete sich auch das Gerücht, daß Frau Trélaurier ein Kind zu erwarten habe.

Eines Morgens, als der Bankier in seinem Privatzimmer eben die Unterschrift der Geschäftsbriefe erledigt hatte, erschien Vernaut, ein Zeitungsblatt in der Hand, mit geheimnisvoller Miene bei ihm. Er stand an den Kaminsims gelehnt und wartete bis der Angestellte, der Trélaurier die Briefe gebracht hatte, abgefertigt war. Als dieser gegangen war, trat er an den Schreibtisch und hielt dem Freund die Zeitung hin, worin er einen Abschnitt blau angestrichen hatte.

»Lies das!«

Trélaurier überflog die bezeichnete Stelle, und erblassend blickte er zu Vernaut auf.

»Lies nur bis zum Schluß,« sagte dieser gelassen.

Trélaurier nahm das Blatt wieder vor und las: »Man schreibt uns aus Belgrad: ›Einer der glänzendsten Vertreter der Pariser Gesellschaft, der Vicomte André von Preigne, der seit über einem Jahr aus der französischen Gesellschaft verschwunden war, wo ihm seine Eleganz so viele Erfolge eingetragen hatte, verlor kürzlich auf geheimnisvolle und abenteuerliche Weise sein Leben. Auf einer Reise durch die Donauländer begriffen, hatte er sich einige Wochen in Belgrad aufgehalten, wo er wie alle Franzosen in den vornehmsten serbischen Kreisen freundliche Aufnahme fand. Gestern aber, als er gegen zwei Uhr morgens zu Fuß vom Klub in seine Wohnung zurückkehren wollte, wurde der Vicomte von Preigne auf der Straße von vier Männern überfallen, die ihn nach heftiger Gegenwehr, von drei Kugeln und zahllosen Messerstichen durchbohrt auf dem Pflaster liegen ließen. Als die durch den Lärm herbeigeführte Polizei auf den Schauplatz trat, ergriffen die Mörder die Flucht, und niemand war bei der Leiche zu finden, als ein andrer Franzose, namens Linguet, der wohl zu gleicher Zeit mit dem Vicomte den Klub verlassen hatte. Herr Linguet vermochte den Landsmann, zu dessen Verteidigung er herbeigeeilt war, nur noch in seinen Armen aufzufangen, als dieser den letzten Seufzer ausstieß, und ihm die Augen zuzudrücken.‹«

Mit zitternder Hand schob Trélaurier die Zeitung zurück, Vernaut aber nahm sie, ballte sie zu einem Knäuel und warf sie ins Feuer.

»Sehr angenehm für die Canaille, seinen letzten Seufzer in Linguets Armen auszuhauchen,« bemerkte er mit finsterer Ironie. »Der Biedermann hat also sein Ziel erreicht! Er wollte im Blut seines Feindes waten, nun konnte er die Schuhsohlen tief hineintauchen: wahrscheinlich hat er die Mörder gedungen! Klar ist an der Geschichte nur, daß wir den Schurken los sind. Die Vergangenheit ist abgeschlossen, befassen wir uns mit der Zukunft.«

»Die Zukunft?« wiederholte Trélaurier schwermütig. »Wie wird sie sich gestalten? Annina ist wieder vernünftig geworden, aber wird sie je wieder glücklich werden?«

»Gewiß,« versetzte Vernaut, »zweifle nicht daran!«

»Und wodurch?«

»Durch das erste Lächeln eures Kindes.«

 

Ende.

 


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