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Am nächsten Abend trat Ernesto verbissen und geistesabwesend in den Roulettesaal. Schlaflose Nächte in steter Bereitschaft hatten ihn mitgenommen, Angst um Niëves sein Leben vergiftet. Ihr Fieber war heute gering, die Stimmung gut, aber gestern schien in diesen schönen Menschen, Ayala und Helena, wirklich der Tod mit seinem Engel am Bett zu stehen. Jeder Bissen quoll Ernesto seither im Mund, er fühlte, daß sein Haar grau wurde, daß er seit drei oder vier Tagen eine Frau hatte, die er liebte, nicht hergeben wollte. Das Wort »Oeffnen« klang so schauerlich.
»Du mußt die Siebzehn setzen, Räuberle, ich brauch Geld. Nur fünfzig Peso, gelt!«
Am Tisch, an dem gestern die Aerzte gespielt, warf er seinen Fünfzig-Pesoschein auf die Siebzehn. Nur schnell umkehren und daheim lachend erzählen, daß er alles verloren hatte!
Niëves' nackter Leib stand ihm vor Augen und 34 Helenas Handbewegung, die Anklage ihrer flammenden Augen, als hätte er schuld am Tumor, oder wie die bösartige Neubildung hieß. Von welchem Dichter war der Vers »Es ist kein Fehl an dieser Blume Gottes«?
Dahinein die Messer, das »öffnen«, sechs oder acht Menschen mit maskierten Gesichtern, Hauben auf dem Kopf, in Lederschürzen um eine qualmende Wunde, so würde es sein. Niëves allein, ohne ihn, wenn's um Leben und Sterben ging. Er mußte beten, daß es bald geschah.
Es surrte, klapperte, der Croupier schnarrte ein paar Worte, Ernst hörte nicht zu.
Ein Herr im Gehrock brachte ihm eine ganze Handvoll grünblauer Runder und wünschte »Guten Verbrauch, Señor«.
Aufgestört, aber in Gehorsam zu Niëves, die den halben Tag Spielordres gegeben hatte, warf Ernst die Hälfte wieder auf die Siebzehn zurück. Ein Croupier ordnete sie. Der Sinn dieses Spiels, Geld zu gewinnen, ging dem Spieler nicht auf, er gehorchte nur. Er glaubte, schon lang hier zu stehen, maßlos lang und in Unruhe, weil er das Thermometer nicht sah, Niëves' Stirn nicht hielt, nicht wußte, ob sie schlief und aß.
Lang drehte sich das Rad, wurde träg, stand. Ein Aufschnappen kam zugleich aus den Kiemen all dieser Fischmenschen rings um den Tisch. 35
Wieder der freundliche Herr im Gehrock, diesmal beide Hände voll Knochen-Valuta.
»Zweimal das Feld, Señor! Ich gratuliere, wünsche guten Verbrauch.«
Die länglichen Tausender eingesteckt, die runden alle auf den Tisch geworfen, nur fort! In Ernestos Rücken war Stille, dann rief eine große Stimme: »Sechshundert Peso für die Angestellten!«
»Sehr vielen Dank, Señor«, sprach ein machtvoller Chor.
»Sie spielen nicht weiter, Don Ernesto?«
Vor ihm stand Dr. del Ayala, sah gedankenvoll zum zweitenmal, wie seine Schule siegreich bestand, er selbst nur, der kein Kapital mehr besaß, leer ausging.
»Jetzt kommt Ihr großer Schlag, setzen Sie . . .«
»Ich denk' nicht dran!«
Wie durch eine Gasse rannte Praxmarer ins Kassenzimmer, man machte ihm Platz, sah ihn mit grenzenlosem Respekt. »Zweimal das Feld! Der Mann, der stärker war als die Roulette!«
»Elftausend, Señor. Guten Verbrauch!«, er hörte nicht und zählte nicht, wand sich hinaus, sprang in den Wagen.
Fünf Minuten später warf er dem kranken Kind, seiner Frau, dies Bündel Scheine auf die Decke.
»Darf ich Champagner bestellen, Ernschtle? Das 36 soll so lustig schmecken. Einmal im Leben möcht ich Champagner trinken.«
Heut ging es Niëves so gut, sie lachten beide, Niëves war stolz, und nichts war ihr verboten.
Als Ernst im Nebenzimmer schlief, verlangte sie Papier und Bleistift.
»Lieber Herr Knudsen, ich bin Niëves Schneiderli de Praxmarer, die Frau Ihres Siam-Freundes, und schicke Ihnen dieses Geld. Vielleicht können Sie irgendwo ein Häuschen dafür kaufen, damit er später eine Heimat hat. Aber schreiben Sie uns nichts darüber, nie! Es soll eine Ueberraschung werden!«
»Den Brief muß ich selbst an den Kasten tragen, Helena, schnell meinen Mantel! Ich muß, ich muß unbedingt!«
»Santa Maria, das könnte dein Tod sein, Kind!«
»Dann schwören Sie, daß Sie es tun, Helena! Sonst tu ich's trotzdem selbst!«
»Beim Herzen der heiligen Mutter, ich schwöre es!« Helena, die ihre Patientin duzte, wenn der Señor Marido nicht anwesend war, tat mit Widerstreben, was die Kleine verlangte, trug einen gewöhnlichen Brief, in dem ein Vermögen in Tausendern steckte, eilfüßig zum Kasten.
Einen Tausender schenkte ihr Niëves für diesen Dienst. Helena wollte das Geld nicht nehmen, 37 wollte nach Niëves' Tod dem Señor Witwer den Schein wieder aufdrängen. Aber der begriff das alles nicht, saß tränenlos da und hielt sein Gesicht mit den Händen.
»Ich glaub's net, ich glaub's net« zischte er manchmal und herrschte später die Leute an:
»Weg mit dem Sarg! Die Mediziner sund Idioten. Sie kann gar nicht tot sein.« 38