Balder Olden
Das Herz mit einem Traum genährt
Balder Olden

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Elftes Kapitel

Am Ende des Toblacher Sees, oberhalb vom Kurort Echtach, mit dem Blick ins Gletscherfeld des großen Woergel, lag auf einem Hügel das Feldbergschlößl. Der ganze Hügel gehörte dazu, breite Feldstreifen an seinem Fuß ringsum, Weideland an seinen Hängen, der tiefe Nadelwald an seiner Kuppe. Mit dem Feldstecher sah man von weitem, von Ayalas Veranda etwa oder vom Dampfboot, das über den Toblachsee stampfte, ob das Vieh auf die Weide ging, in welchem Zimmer des Schlößchens Lichter brannten, ob vom Herrenhaus oder Gesindehaus ein blaues Rauchwölkchen anzeigte, daß auf eigenem Tannenholz das Mahl bereitet wurde.

Ayalas hatten den Hof entdeckt, den fünfzigsten oder sechzigsten, den Ernst und Cilli besichtigten. Jeder von ihnen hatte seinen Reiz gehabt und in Versuchung geführt; manchmal war das Wohnhaus ein kleiner Palast gewesen, manchmal hatte 157 der Stall von Kachelpracht geglänzt wie Porzellan, einmal war das Vieh ausstellungswürdig oder die Rentabilität in die Augen springend. Aber verliebt hatten sie sich nur diesmal, – das Feldberggut war nicht Kapitalsanlage, sondern, vom ersten Blick an, Herzenssache.

Vom See her, behauptete Cilli, sei dieser Hügel ein Männerkopf, dem Praxmarers ähnlich; dieser dunkle Ackerstreifen war sein Mund, Herrenhaus und Gesindehaus, das waren die Augen. An der Stirn war nicht zu zweifeln, dieser stolzen Wölbung jenseits der Häuser, und der tief verschneite Wald, der sie eingrenzte, war Ernsterls liebes weißes Haar. Freilich trug der Feldbergmann einen Bart aus Schnee, der sich breit und wellend in die Echtacher Ebene ergoß. Den aber würde der Frühling fortnehmen!

Hundert Hektar, alles zusammen, nicht viel, eine so große Familie zu ernähren, soviel Sommerpflegekinder und Gäste, wie Ernst in Aussicht hatte. Es machte die Arbeit wohl auch schwerer und kostspieliger, daß alles an Hängen lag, zum Teil steilen Hängen; aber daß dies Ganze, in sich geschlossen, ohne Enklaven, ein eigenes Reich war, ein fruchttragender kleiner Berg, eine Insel im Tiefland, gab wieder den betörenden Reiz dieser hundert Hektar. Wenn vom See die Nebel stiegen – das Schlößchen blieb frei über der grauen Masse, war 158 dem Himmel näher als alles Land; wenn die Sonne schien, dorthin kam sie zuerst, dort blieb sie am längsten. Von dort sah man auf die Welt herab wie auf eine Landkarte, sah Schiffe und Züge kommen, gehen, Menschen die Straße füllen, Menschen und Pferde sich plagen, hatte Teil und war doch ganz in seinem Horst. Es war schwer, dem Verkäufer sein Herz zu verbergen, nicht zu gestehen, daß der Kauf längst, auf den ersten Blick schon, beschlossen war.

Praxmarer, der sich mit Geld nie beschäftigt hatte, folgte nur halb seinen Darlegungen und Kalkulationen; Cilli aber, die weiß Gott von Landwirtschaft etwas verstand, kontrollierte wie ein vereidigter Expert.

Viele »wenn's«, das stellten sie beide fest, aber zweifellos diskutable »wenn's«.

Herr Caspari hatte sich nur kurze Zeit selbst mit der Wirtschaft beschäftigt, war Geschäftsmann – das sagte er ganz offen – und hatte sich mühsam die wichtigsten Kenntnisse angeeignet. Den größten Teil des letzten Jahres war er in der Stadt oder auf Reisen gewesen, und niemand macht größere Investitionen, die er nicht selbst überwachen kann.

Wenn Praxmarer in der Bewirtschaftung dieses Gutes seinen Beruf sah, ihm seine ganze Arbeitskraft widmete, dann . . .! 159

Wenn die gnädige Frau selbst im Stall und Hof regierte, von Küken und Hühnern etwas verstand, auf die Leute schaute . . .

»Ich bin selbst Bauernmagd gewesen, Herr Caspari.« Er warf einen hilflos erstaunten Blick auf diese pelzumhüllte, kindlich junge und höchst weltkundige Dame. Aber zu Psychologie und Freundschaftsgeplauder war keine Zeit, er war ein smarter Kaufmann, der Erklärungen geben und an seine Arbeit zurückkehren wollte. Nach Ueberreden und die-Käufer-einwickeln sollte es nicht aussehen.

»Wenn so viel Vieh eingestellt wird, wie der Hof tatsächlich nähren kann . . .

»Wenn das vorzügliche Jungvieh erst beim dritten Kalb steht . . .

»Wenn vor allem die Gärtnerei ausgebaut und scharf kontrolliert wird, denn das Auge des Herrn, das lang gefehlt hat, macht die Kühe fett . . .«

Hier mußte Qualitätsware erzeugt werden, dieser Boden war viel zu kostbar für Bauernwirtschaft. In Echtach schossen die Hotels aus der Erde, jedes zweite Haus war schon eine Pension; vier Monate lang war jedes Zimmer dreifach besetzt, so daß die Butterkonsumenten auf Billards schliefen; man konnte phantastische Preise bekommen, weil für all diese anspruchsvollen Esser nicht vorgesorgt war. Butter und Gemüse kamen meilenweit hergerollt, wer die vermisteten Bauernställe sah, verlangte 160 Importmilch und gestempelte Eier aus anderer Wirtschaft.

»Ich hab das Experiment gemacht, einen Acker Kukuruz strichweise anzusäen,« erzählte Caspari. »Alle drei Tage eine neue Reihe; im Frühling haben wir die ganz jungen Kolben als Delikateßmais auf den Markt geschickt, für vierzig Groschen das Stück! Acht Wochen lang hatten wir täglich an zweihundert Stück, immer wurde mehr verlangt, als wir hatten. Sie können sich ausrechnen, was dieser eine Acker getragen hat. – So geht's hier mit allem: dank der hohen Lage haben wir die beste Sonnenbestrahlung, alle Gemüse als Primeurs, alles Obst zuerst, von vierhundert Bäumen! Man sitzt auf diesem Hügel wie in einer Festung, man spürt den Badeort nicht. Aber als Markt ist er da und zahlt dem Erzeuger sechs Schilling für ein Kilo Teebutter, die in Innsbruck im Laden höchstens fünf Schilling kostet . . .«

Caspari hatte gesessen. Dieser schlanke, große und noch schöne Mensch mit Weltmannsallüren war ein Abgestrafter, das wußten Praxmarers. Eine Kriegsschieberei, die man doppelt schwer genommen hatte, weil er eigentlich feindlicher Ausländer war, den man im loyalen Oesterreich seinem Erwerb nachgehen ließ, – er war hier geboren, versippt und verheiratet mit dem Land –, während die Oesterreicher in seiner Heimat vier Jahre lang hinter 161 Stacheldraht saßen. Dank hoher Protektion war ihm ein Teil der Strafe geschenkt worden; aber in die guten Wiener Häuser, in denen er als Freund und Schwager zu Hause gewesen, hatte er sich nicht mehr gewagt und ein paar Jahre Einsiedelei auf dem Feldberghof mürrisch ertragen. Jetzt wurde das langsam vergessen, er hatte aus diesem Geierhorst heraus glücklich spekuliert, an den Inflationsgewinnen ohne viel Aufsehen mitgenossen und konnte sich mit vollen Taschen zeigen; einem wohlhabenden Mann trug man Verfehlungen der wilden Jahre nicht ewig nach, Gold riecht nicht nach seiner Herkunft. Wenn er in Wien wieder ein gastliches Haus aufmachte, würden sich auch Gäste finden. Ein erster Rout, den seine Frau kürzlich im Hotel Sacher gegeben, hatte das unwiderleglich bewiesen. Um das Stadthaus einrichten zu können, das ihm die verlorene Welt neu erschloß, mußte er seinen Landsitz verkaufen.

Praxmarer wußte das, die Tiroler Spatzen pfiffen es von den Dächern. Aber gerade darin schien ihm Gewähr zu liegen: wer einmal diese Hölle durchwandert hat, aus einem Herrn der Gesellschaft ein Sträfling im grauen Kittel zu werden, sich aber zum zweitenmal der Gesellschaft zu nähern wagt, der streift nicht wieder am bürgerlichen Abgrund hin. Wenn irgendein Verkäufer die Wahrheit peinlich genau sprach, würde es dieser Mann mit 162 dem stolzen und zugleich abgestraften Gesicht sein.

Später bemerkte Cilli, die oft hellsichtig war:

»Ich glaube, er haßt uns.«

Kein Wunder, dachte Praxmarer, daß ein Graukopf dem andern diese blühende Mädchenfrau, diesen Göttersitz und alles Glück nicht gönnte!

Sie hatten zusammen gegessen, aus der Hand und aus Papier, weil in diesem Winter das Herrenhaus nicht bewirtschaftet war. Caspari hatte wie ein böser Geier da gehockt und an den kalten Speisen nur gekostet; er war magenkrank seit den Hungerjahren im Kerker; sein Blick verriet, daß er Cilli und Praxmarer ihre Freude an Milch und Schinken verdachte.

»Er gönnt uns auch die Luft und den Wald nicht,« behauptete Cilli. »Er wird drei Kreuze über den Weg machen und einen Sack voll Flüche zurücklassen.«

»Aber wir drei?« hatte Ernst gefragt. »Haben wir uns nicht so lieb, daß dem seine Flüche verdampfen wie Regentropfen auf dem heißen Stein?«

So lieb hatten sie sich! Aennchen von Tharau folgte Vater und Mutter schon mit den Augen, wohin sie gingen, plusterte sich vor Freude, wenn sie die beiden zusammen sah. Cillis großes Herz sang nur von Liebe, es gab da Möglichkeiten, die Ernst nicht geahnt hatte, einen Strom Zärtlichkeit, der brausend und glühend von ihren Lippen kam. 163

»Sie ist so sehr dein Geschöpf, daß Liebe gar kein Begriff ist«, hatte Felicitas ihm gesagt, die Cillis Vertraute geworden und ihr Glück mit bitterer Teilnahme sah. »Es ist, als lebte sie nur durch dich, wie Aennchen durch sie gelebt hat. Sie müßte verdorren, wenn du plötzlich nicht mehr wärst.«

Die Nähe von Ayalas fiel endlich und endgültig ins Gewicht, als der Feldberg gekauft wurde. Für den Bäcker-Carl eine halbe Stunde, wenn er guter Laune war, für das Auto ein Sprung; dazu fuhren am Tag zwölf Züge hin und her zwischen Echtach und Stucknach am See. Die Kinder würden zueinander gehören, einander lebenslang Stütze sein. Ringsum lebten Cillis Verwandte, Felicitas und Camillo waren Freunde fürs Leben, Aennchen von Tharau blühte aus dem Mark dieses Landes. Feldberg mußte die Heimat werden! Praxmarer hatte für Cilli, für die Kinder, für sich selbst nur eine Angst auf Erden: Einsamkeit. Wenn er die fünfundzwanzig Einsiedeljahre seines Lebens empfand, diese ungeheure Wunde seiner Seele, die nur langsam narben wollte, fror ihn.

Das Gut war teuer, mit Caspari war nicht zu handeln; der nannte seinen Preis selbst einen »Liebhaberpreis«. Er wußte schon bei der ersten, und zehnmal stärker bei der zweiten Begegnung, daß diese Käufer sein Gut mit den Empfindungen ganz Verliebter umkränzten. Er nahm wohl eine 164 Hypothek in Kauf, wenn Praxmarer so rasch nicht den ganzen Kaufschilling realisieren konnte, aber eine Hypothek zu vierundzwanzig Prozent.

»Es scheint viel,« sagte er. »Wenn man von der eigenen Nutznießung absieht, trägt das Gut etwa sieben Prozent. Aber soviel bringt bares Geld heute in Oesterreich, mündelsicher sogar. Das sind die giftigen Blüten des allgemeinen Zerfalls, man kann sich entsetzen, aber man kann sich dieser Fiebererscheinung als Einzelner nicht entziehen. Ich rate Ihnen selbst, nur dann zu kaufen, wenn Sie Aussicht haben, in kürzester Zeit die Hypothek abzustoßen. Mir wäre es so lieb wie Ihnen, momentan brauche ich Kapital, nicht hohe Zinsen. Es gibt heute für mich wesentlich bessere Anlagen.«

Harald Knudsen war zwar immer noch Direktor der Kommandit-Gesellschaft, aber seit Praxmarer zu Kreuz gekrochen, behandelte er ihn mit smarter Verachtung, kritisierte seine Ausgaben und drohte bei jeder Meinungsverschiedenheit, seinen Stuhl vor die Tür zu setzen.

Was Praxmarer sofort brauchte, waren einhunderttausend Mark Kaufschilling, fünfzigtausend Mark für die von Caspari selbst als wichtig bezeichneten Investitionen, zwanzigtausend – falls sie reichten –, um das Haus mit seinen elf Zimmern auszustatten; es blieb kein Bett darin zurück, Cilli und Ernst wollten auch nicht eine Spur dieses Bösen 165 in ihrem sauberen Nest behalten. Die Erinnerung an ihn sollte vergehen und verwehen. Außerdem verlangte Praxmarer die Liquidation von siebzigtausend Mark, sobald wie irgend denkbar, um die erschütternd teure Hypothek abzustoßen.

»Allerliebst« schrieb Knudsen. »Hundersiebzig Mille cash down von heut auf morgen. Aber außerdem weiß ich, daß auch das nicht reicht, selbst wenn ich's herausbringen könnte. Sie haben sich angewöhnt, wie ein verschuldeter Graf zu leben, Sie werfen das Geld zum Fenster raus, und Ihr Schloß scheint viele Fenster zu haben. Ich kann mir denken, in welchem Zustand dies Herrenhaus ist, wenn es nicht einmal Zentralheizung und kein Bad hat. So einen Stall wollen Sie mit zwanzig Mille zum Wohnhaus machen, prost Mahlzeit, Herr Eisenbahningenieur. Und wie erst die Ställe aussehen, die zu einem solchen Schloß ohne Heizung und Wasser gehören, das riecht man auf tausend Kilometer gegen den Wind. Was für Vieh in solchen Ställen steht, kann ich mir höflichst vielmals vorstellen. Zu all dem dürften Sie von der Landwirtschaft genau soviel verstehen wie von Geldgeschäften, nämlich einen Dr . . . Sie wissen, scheint's, nicht einmal, daß hundert Hektar nur ein besserer Bauernhof ist, kein Landgut.«

Knudsens Ton war eine Schattierung zu grob geworden, um überzeugend zu wirken; aber 166 Praxmarer war überhaupt nicht gewillt, sich überzeugen zu lassen. Zu lange hatte sein ausgehungertes Herz sich mit diesem Traum genährt.

»Ich will kein Kapitalist sein«, erklärte er sich. »Eine Heimat zu schaffen, das war der Sinn von Niëves' letzter Tat. Ich will dies Stück Land und das Haus schuldenfrei haben, mich nach der Decke strecken und ein ehrlicher Bauer sein!«

»Zwanzig Kühe, zwölf Muttersäue, eine Handelsgärtnerei, vierhundert Obstbäume, schlagreifer Wald, davon sollen wir nicht leben können? Viertausend Liter Milch im Jahr, zwanzig Kälber, hundertzwanzig Ferkel, die man aus eigenem Wachstum, mit eigenen Kartoffeln fettmachen kann, zwölfhundert Körbe Gemüse, dazu was der Hühnerhof trägt, dazu eine Kiesgrube, die kaum angeschnitten ist!«

»Für Putz und Zigaretten gibt es noch einen Geheimfonds« vertraute er Cilli an. »Dreihundert Mark Pension hab ich doch von meiner Bahnbaugesellschaft, fünfhundert Schilling! Davon allein kann eine Familie leben.«

»Und wir brauchen keinen Verwalter, sobald du dich eingearbeitet hast, Ernst! Eine Wirtschafterin brauchen wir von vornherein nicht, das versteh ich!« Sie reckte ihre Arme aus dem weißen Bauernhemd mit roter Garnstickerei: 167

»Da, schau her, das sind ein Paar Bauernmägde? Ich hab mein Fach von der Pike auf gelernt.«

In einem Punkt hatte Knudsen absolut recht: während der letzten drei Monate hatte Praxmarer mehr Geld ausgegeben, als ihm für zwei Jahre etwa zur Verfügung stand. Davon war das Auto übrig geblieben, Cillis Schrankkoffer voll kostbarer Kleider, ein paar Erinnerungen an Verlobung, Hochzeit und Aennchens Geburt, die Cilli um den Hals und an den Fingern trug. Außerdem die vielen schönen Bilder, echte Braunsburgs . . .

Das Leben selbst, in Hotels und auf der Landstraße, hatte natürlich phantastisch gefressen. Gerade deshalb! Das war ja der dringendste Grund, ein Stück Boden unter die Füße und ein Dach über den Kopf zu bekommen.

»Verkaufen, Gesellschaft liquidieren!« drahtete er an Knudsen. »Hunderttausend sofort, da sonst von mir geleistete Garantiesumme verfällt.« Aber das war, selbst innerhalb eines Jahres, nur mit ungeheuren Verlusten möglich.

»Laßt Euch vom Grünzeughändler über Kapitaltransaktionen unterrichten«, telegraphierte Knudsen zurück.

Dann schrieb er einen Brief, in dem er dies Telegramm bestätigte, wegen der nicht genügend deutlichen Fassung um Entschuldigung bat und jetzt 168 brieflich mit Ausdrücken wie »nur ein Idiot kann . . .« um sich warf. Da er »auf Praxmarers Winseln hin« die Geschäftsführung der Gesellschaft behalten, seine Arbeitskraft also weiterhin einkalkuliert hatte, war das Geld in schöpferische Anlagen überführt worden. Viereinhalbprozentige Staatsanleihen kann man von heut auf morgen verhökern, aber nicht hoffnungsvolle junge Anlagen, die man persönlich überwacht. »Da Sie nun einmal Landwirt sind, lieber Praxmarer: können Sie Ihren Kohl verkaufen, wenn das erste Grün im Mistbeet kaum sichtbar ist?«

Er, Knudsen, wollte jedenfalls bei diesem Hetzverkauf nicht zu Schaden kommen. Sein Vermögensstand sollte mindestens bleiben, wie er bei der Verrechnung in Berlin gewesen: Hunderttausend und das Lokal. Die gingen vor, den Rest konnte Praxmarer seinem Privat- und Leibwucherer in den Hals schmeißen.

So blieb die Hypothek »bis auf weiteres«, aber das war nicht schlimm, denn ihre Zinsen flossen aus dem Berliner Vermögensrest; die übrigen Gelder hatte Knudsen, der gute Kern in seiner rauhen Schale, flüssig gemacht und überwiesen; wenn man sich beides wegdachte, den Zinsenquell in Berlin und den Zinsenfraß auf dem Feldberg, blieb der Hof übrig, gewissermaßen schuldenfrei, dazu ein schönes Stück Geld, das nun in Betten und Bädern, Kali 169 und Saatgut, Werkmaschinen angelegt wurde; vor allem das Aktivum ihrer vier arbeitsfrohen, arbeitswütigen Hände. Von Süden her atmete der Föhn heiß über die Berge, blies durchs Tal, schmolz die Eisdecke des Toblacher Sees auf und rasierte den Schneebart vom Feldbergkopf. Noch hämmerte es durchs Schlößchen, in metertiefe Mauern, die hundertfünfundsiebzig Jahre schon standen, wurden Rinnen geschlagen, Rohre gelegt, Wände wurden verputzt und Decken gemalt, Mauern durchbrochen, Fenster vergrößert, Bäume gefällt, weil sie Licht abfingen; Maurer und Maler, Schreiner, Tapezierer, Installateure werkten vom Keller zum Dach, Praxmarers hatten es eilig.

Aus Innsbruck kam schon angerollt, was Onkel Clemens an Hausrat eingewirtschaftet, stand verpackt und verschalt herum, Ballen und Kisten. Das war geheimnisvoll, Cilli kratzte an den Latten, schabte die Nähte der Sackumhüllungen auseinander, sah frisch poliertes Holz blinken, die Seide von neu überspanntem Biedermeiergerät blitzen, wie sie als Kind Weihnachtspakete geschüttelt, bekratzt und behorcht hatte.

»Ist ein Flügel dabei?«

Ein Flügel ist teuer, aber daran hatte sie die letzte Sehnsucht gehängt. Wenn der kam, war jeder irdische Wunsch erfüllt.

Clemens hatte für ein paar lumpige Tausender 170 Waggons voll Kostbarkeiten erworben; es war beschämend, wie alte Tiroler Häuser sich für Trinkgeld von ihren Erbschätzen trennten. Jedes zweite Stück hatte die Geschichte, die in Onkel Clemens' Briefen treu verzeichnet war; Burgen und Abteien hatte all dies Gerät einst wohnlich gemacht, Teppiche kamen an, die vor Jahrhunderten Kriegsbeute gewesen, Silber und Porzellan, davon die Großen der Welt in historischen Stunden gespeist hatten.

Ein paar Enttäuschungen hatte Praxmarer in seine Berechnung längst eingestellt; sie blieben nicht aus. Caspari hatte ihm das Herrenhaus im bescheidenen Glanz elektrischer Lichter vorgeführt; nicht ohne zu bemerken, daß ein eigener Motor den Strom erzeugte; in kurzem aber würde das Inntaler Kraftwerk seine Leitung am Fuß des Feldberg vorbeiziehen, und dann war, da die Installation schon vorhanden, der Anschluß eine Bagatelle; solang half man sich mit eigener Kraft aus Benzin.

Nun stellte sich heraus, daß der Motor ein verbrauchtes Möbel aus Kriegsmaterial war, das ächzend lief, so lange sein Wärter kein Auge von all den Schäden und Brüchen ließ. Er fraß mehr Benzin, um die paar Lämpchen zu speisen, als Praxmarers Wagen bei Schnellzugsgeschwindigkeit – und verschlang das Doppelte an Reparaturen. Dies Inntaler Kraftwerk aber, kapitalarm wie 171 jedes Unternehmen im Land, überlegte noch kaum, ob eine Weiterleitung ins Hinterland von Echtach dereinst tragbar würde. Für Feldberg allein setzte man nicht drei Kilometer weit Masten und Transformatoren.

Ob Caspari da bewußt gelogen hatte? . . . Ob der Schluß, daß gerade der einmal Ausgestoßene seinen Rückweg in die Gesellschaft nur auf saubersten Schuhen gehen würde, ein Trugschluß war? Bald stellte sich heraus, daß »der alte Herr Chef« zwischen Stallbesichtigung und Kaufvertrag rasch zwei Ochsen verkauft hatte, Zuchtschweine, ein Dutzend Hammel. Von siebenprozentiger Verzinsung war überhaupt nie die Rede gewesen, im Buch des Verwalters stand jeden Monat ein Posten »bar vom Herrn Chef«. Bisher hatte Feldberg sieben Prozent gekostet, nicht getragen. Ob Caspari sich auch darin geirrt hatte? Sein erster Monat mit aktiver Bilanz war jedenfalls der Monat des Verkaufs gewesen, dank Ochsen, Schweinen, Hammeln. Freilich hatte Caspari zugegeben, erst beim zweiten oder dritten Kalb würden die Milcherträgnisse entsprechen. Es stand nur junges Vieh im Stall, Kühe, die nicht weniger fraßen als gutes Milchvieh, sich aber kaum fünf Liter magerer Milch aus dem Euter pressen ließen.

Ein hoffnungsloser Pessimist war der Schweizer. »Zwanzig Stierdeln im Stall wär grad so gut! 172 Und da schaun's her, gnä' Herr!« Er bohrte mit der Mistgabel in den Boden, sie drang ein wie in Gartenerde. Das Vieh stand auf verfaultem Holz, einer Art verjauchten Holzmehls; der Misthaufen, weiser Knudsen, war gleich im Stall!

»Da gibt auch ein richtiges Vieh keine Milch, gnä' Herr! Sauber will's ein besseres Rindvieh haben, das weiß die gnä' Frau ja selbst, und gute Luft.«

Praxmarers fuhren zur Direktion des Inntalkraftwerks, Strom braucht man nicht nur zum Lesen und Tafeln, sondern auch zum Sägen und Mahlen, zum Obstpressen, zum Melken, zur Sicherheit, um die Feuerversicherung halb so teuer zu machen, – Strom ist so wichtig wie Luft und Wasser!

Er kostete zehntausend Schilling Zuschuß für die Leitung, aber er kam, bewundernswert rasch! Der Chefingenieur machte mit Praxmarers eine Propagandafahrt durch die nächsten Dörfer, im Wirtshaus sprach er, vor allem aber Cilli, zu den Bauern über Segen und Glück, die ihnen die Elektrizitätsgesellschaft ins Haus tragen wollte. Ein paar Dörfer schlossen sich mit kleinen Aufträgen an, alle würden neiderfüllt nachkommen, wenn beim Nachbarn erst die schönen, stillen Birnen glühten. Rentierte sich der Ausbau dieser Leitung erst einmal, dann sollte Praxmarers Kapitalzuschuß in Naturalleistung amortisiert werden.

»Das heißt, daß wir einfach ein paar Jahre Strom 173 im Vorschuß bezahlt haben, Ernsterl, verstehst du's? Ob du's heut gibst oder in drei Jahren, ist ja schließlich ein Ding.«

Als das Herrenhaus auf den Glanz gebracht war, – die Termine hielt kein Unternehmer ein, was die Kosten aufs Doppelte trieb, aber endlich war die Arbeit doch nicht mehr zu strecken, – flog der faulende Bohlenbelag aus dem Stall, das hoffnungslose Kroppzeug von »Stierdelkühen« marschierte zum Metzger. In schön zementierte, geweißte, helle Rindviehgemächer, an betonierte Tröge, über denen die Wasserleitung hinzog, marschierten zwanzig junge Allgäuer Kühe, geführt von einem jungen Stier, der gutmütig war wie seine sanften Frauen. Cilli war mit Ernst und dem Schweizer zum Einkauf nach Bayern gefahren, gleich als Aennchen von Tharau auf die Mutterbrust verzichten lernte, sich an Flasche, Brei und Müslein zu halten begann. Sie suchte das Vieh nach Temperamentproben aus.

»Du mußt das wissen, Ernst, was jeder Bauernbub weiß, nur die Händler nicht: Milchzeichen sind gar nichts, der reinste Aberglauben. Eine Kuh muß sanft sein, das heißt: mütterlich. Je besser ihr Gemüt ist, desto freudiger gibt sie Milch. Felicitas hat für ihre Kinder eine Amme gebraucht, sie ist streng und männlich. Aber ich, ich hab das Aennchen überfüttert, ich hätte Zwillinge nötig gehabt! . . . 174 Siehst du, weil ich eine sanfte, liebende Amme war.«

Nun standen freilich abermals Kühe im Stall, die ihr erstes Kalb erwarteten, und deren Milchleistung zunächst gering sein würde. Aber was für Tiere waren das, prall und schwarz wie Nilpferde! Ein paar Rote, die als Blüte des alten Bestandes zurückgeblieben, sahen dazwischen aus wie leere Felle. Die kindlich-holde Gutmütigkeit des Stiers, dem Cilli die Hand tief ins Maul stecken konnte, der ihr auf der Weide wie ein Haushund nachlief, war Garantie, daß auch für kommende Generationen Friede, Sanftmut und damit Reichtum im Herrschaftsstall hausen würden. Bis ins Toblacher Wochenblatt drang die Kunde von dieser Investition in lebendigem Blut. »Aus dieser Zucht wird die Wirtschaft unseres ganzen Kreises Gewinn haben. Die Initiative und Kapitalkraft eines Landwirts wie Herrn Oberingenieur von Praxmarer-Braunsburg hat uns bis heute bitter gefehlt!« Auch die neue Milchkammer, weiß gekachelt, mit blitzendem Alphagerät: Separator, Buttermaschine, Kneter war eine Sehenswürdigkeit des Kreises.

Es war fast Sommer, als endlich das Schlößchen bezogen wurde. Das strahlte abends im Glanz seiner hundert elektrischen Lampen, Hof und Stall waren beleuchtet, Knechte und Mägde hatten die Türen umkränzt. Ein weißgestärktes 175 Dienstmädchen trug Ayalas, Praxmarers und Onkel Clemens das erste Mahl auf, ganz aus eigenen Produkten zusammengestellt. Erste Radieschen, Hühnerbouillon, ein eingeborener Hammel, erste Kipfelkartoffeln, selbstgebackenes Roggenbrot, Kirschenkompott mit Schlagobers; Birnenmost, aus übernommenem Bestand vom letzten Jahr, der wie alter Mosel schmeckte, nur besser.

Im Biedermeiersalon, zwischen edlen Vitrinen, leuchtender Furnitur, unter echten Braunsburgs stand Cillis erbettelte, ersehnte Morgengabe: ein Flügel! Clemens wollte spielen, zwei Paare sollten den ersten, tief symbolischen Tanz in diesem Hause tanzen. Aber in einem dunklen Schrank hatte Ernst verstohlen gedreht und gebastelt; als Clemens sich an den Flügel setzte, scholl groß und unfaßbar aus einem verborgenen Lautsprecher der dritte Akt »Carmen« durchs Haus, zu vollem Orchester von den schönsten Stimmen Europas gesungen. Von seinem Hügel herab strahlte und tönte das Feldbergschlößchen über die Lande.

»Auf in den Kampf!« jauchzte es von der Opernbühne in München. Aber alle fünf empfanden den Ruf:

»Auf in das Glück! . . .«

Kein Haus im Land war so voll Glück wie dies. Sie umarmten sich, durch Tränen lachend, schlossen Brüderschaft und Freundschaft fürs Leben. Dann 176 befahl Ernst der Kapelle des Grand Hotel in Rom, zum Tanz aufzuspielen . . .

Er bediente die Schrauben, während feierlich wie zum Menuett Ayala und Clemens die Basen Braunsburg führten. Ayala tanzte gut, er überragte Cilli noch um einen Kopf, sie lag an seiner Schulter, ließ die glanzerfüllten Augen aber nur zu Ernst hinüberleuchten.

Der zweite Step kam nicht zu Ende, es klopfte geheimnisvoll. »Nur herein«, befahl Praxmarer. »Für die Wirtschaft sind wir immer zu sprechen.« In all die Pracht, unter geschmückte Damen, befrackte Herren, trat schüchtern der Schweizer.

»Bittschön, gnä' Herr, s'erste Kaibi kimmt.«

So schloß die Feier im Kuhstall, ums Wochenbett der bravsten, pünktlichsten Allgäuerin. Sie litt ihre Wehen und gab keinen Ton von sich; viele Hände griffen zu und zerrten an einem Strick, den der Schweizer um die Vorderbeine des ungeborenen Kälbchens geschlungen hatte. Der Morgen dämmerte, als es gebadet und froh auf der sauberen Streu lag, ein Kuhkaibi namens Cilli! Sie, die bei der Geburt geleitet und kommandiert hatte, reichte der tapferen, jetzt entkräfteten Mutter eine Schale süßesten Tee, in den sie Rum gegossen hatte. Das schleckte die Kuh mit Entzücken, vergaß sofort, was sie gelitten hatte.

»Unser Biedermeierzimmer ist schön«, schwatzte 177 Cilli schlafschwer, als sie mit Ernst, das erstemal unterm eigenen Dach, zur Ruhe ging. Riesenhaft war das Bett, ein historisches Bett mit Schnitzwerk und einem Himmel drüber. Im frühen Licht schimmerte zu den Ostfenstern herein der Toblacher See, von Süden das Gletscherfeld des großen Woergel. Die Woergelkette ragte wie eine Bastei mit hundert Zacken und Schroffen. »Unser Schlafzimmer ist sicher das schönste in Europa. Aber unsere beste Stube ist der Kuhstall!« 178

 


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