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Palmweinschänke! das sind drei brusthohe Ziegelmauern, schmutzig verkalkt, darüber ein wenig Bambusgestänge und ein Sonnendach aus gelben, raschelnden Blättern. Die Einrichtung: ein Steinwürfel, wie ein Herd, in dem ein mächtiger Kessel steckt. Um die Oeffnung dieses Kessels schlingen sich die Schenkel einer braunen Frau. Ihre Arme wühlen einen Holzkrug in seine Tiefen hinein, schöpfen immer neu die trübe, leicht gärende Brühe empor, lassen sie in vollem Strom zurückrauschen. Zwei Freundinnen kauern rechts und links von ihr auf dem Herdbau. Alle drei sind jung, in ihren zerrissenen Ohrläppchen hängt pfundschwerer Zierat. Ihre sanften Gesichter sind tiefernst, denn ringsum lagern Männer; ein Lächeln könnte mißdeutet werden.
Die Männer genießen ein Glück, das bald nach dem Nirvana kommen mag. Draußen scheint ja die Sonne, daß Staub und Lehm die nackten Sohlen brennt – so kühl ist's hier, man liegt wohlig auf gestampftem Lehmboden, ein aromatisch-fauler Duft entsteigt dem Kessel, den Mündern, hängt sich dicht in die Kleider, der Palmwein nebelt in der Holzmaß und treibt milchige Blasen. Man schläft zwischen 14 zwei Schoppen, erwacht, blinzelt die dampfheiße Straße hinab. Man liegt eng, Bein an Bein, und stört sich nicht. Schläft alles, dann läßt auch Pythia ihr Köpfchen hängen.
Wir sind weit über Land gewesen, Kriegsgefangene auf Urlaub, die sich während dreier Wochen das Elend von drei Jahren Stacheldraht aus den Gliedern toben. In einem Schleier von Schweiß, viel nackter als die Hindu, nicht viel heller als sie an Brust und Armen, brechen wir in den Frieden der Schänke ein. Man rückt nach rechts und links, gastlich, nicht verschreckt. Wir sind Europäer, aber tiefe Kaste, gefangene Soldaten. So geht es hier von Mensch zu Mensch, obwohl man uns »Sahib« nennt. Ein paar allzu Devote stoßen vielleicht höflich auf, uns zu begrüßen, die Andern blinzeln nur. Der Wein schmeckte erst wie faules Gemüse, später dachte man an verdorbene Stutenmilch. Aber jetzt rauscht ein ganzer Palmenhain auf, wenn man ihn die staubverklebten Wege hinunterschickt. Man streckt sich lang, deckelt die Augen zu, stöhnt, blinzelt wieder – – und da ist der Eingang zum Rathaus verbarrikadiert von braunem Kindervolk.
Fasernackt drängt es sich, ernste Münder, die Augen lachend, aufgeplusterte Bäuche, die Beinchen Polster an Polster – ach, das braune Fleisch, dies Porzellan in offenen Goschen, das Aeugen aus Hafenlichtern! Sie sind alle gewaschen, gekämmt, die Mädchen – »Tschokri« heißt's auf Hindustani – tragen ein schön gedrechseltes Schwänzchen von Zopf, ihr braunes Fell glänzt tauig. Man lacht, schaut hin, ist aufmerksam – da fliegen die 15 festen Beinchen in die Luft! Gesichter verziehen sich zu weinerlicher Angst, zwanzig Sprünge weit geht es in einer Flucht, und der Eingang zum Palmweintempel ist frei. Im großen Halbkreis steht, was sich hinter der Puttenschar versteckt hatte: die längst Entwöhnten, die schon ein Hemd bis zu den Hüften tragen, nur die untere Hälfte ihres runden Körperleins der lieben Welt präsentieren. Backfische, die nicht mehr auf Polstern rollen, sondern gedrechselte Beine haben, rührend schlank, wie Europa sie nie gesehen hat, und Kittel darüber, fast bis zu den Knien. Dahinter große Mädchen und Frauen in bunten Gewändern, eine Mauer von lustigem Stoff in zagen Falten, schöne Gesichter, die neugierig und andächtig sind. Hebt man sich noch höher, stützt sich auf den Ellbogen, dann flattert es auch in den Kitteln, alle Beine kriegen Leben, die Elfen jagen den Putten nach, und unser gewecktes Blut siedet auf. Wo ist der Bürgermeister?
Durch die Straße lehmfarbiger Hütten, an kleinen, umrankten Veranden vorbei, kommt er geschritten, sieht aus wie ein Garribaldi in Braun und trägt einen neuen Khakirock. Er hat Zeit und Würde, läßt sich langsam auf den Lehmboden sinken, sieht seine Untertanen nicht. Man will ihn einladen, aber er lehnt ab, er zahlt seinen Schoppen selbst und vertritt die Interessen seines Dorfes. Man beichtet ihm sein Leid.
»Eine Tschokri, Sahib? Ich bin der Schulze, du tatest gut, dich an mich zu wenden. Niemand hier könnte dir dienen wie ich. Hast du deine Wahl getroffen?«
»Sie ist lieblich, Sahib, aber du mußt ein Jahr 16 warten, sie ist noch dumm, kann dich noch nicht erfreuen!«
Er weist mit rundem Arm nach der braunen Wand, die sich mit allem Puttenzierat im Vordergrunde wieder geschlossen hat.
»Du sollst Freude haben, Herr, du bist ein Fremder und sollst glücklich sein. Die dort, die im blauen Gewand?«
Bis zu den Dreijährigen, den Walzenbäuchlein auf Watschelbeinen, weiß jedes, wovon man spricht. Die Blaue versteckt ihr Gesicht, flattert wie ein zahmer Vogel, den fremde Hände greifen wollen.
»Ich werde mit ihren Eltern sprechen, Herr, sie wird gehorsam sein, wenn du wiederkommst.«
Dann geht er in Einzelheiten, zählt an Fingern die Summe Rupies auf, die das Dorf erwartet, bemerkt, daß man sich mit einer guten Familie verbände, einer sehr guten, kerngesunden Familie.
Darüber brechen wir auf. Die Frauen blicken ernst, die Kleine in Blau steht fern mit verhülltem Gesicht, in zagen Falten aus nüchternem Kattun, den die Psyche-Form ihrer Glieder blühend beseelt.
Die Putten wissen's alle! Sie rennen uns nach, Beinchen wirbeln den Staub auf, ganz winzige Händchen schlagen einen obszönen Takt, kreisrunde Kindermäulchen jubeln ein Wort, das keinen Doppelsinn hat. Hochzeitsstimmung ist im Dorfe, große Hochzeitsstimmung! Weit in den Dschungel hinein, der im Abend verblaut, folgt uns der Jubel. Aus dem Akkord ist ein Brautmarsch geworden, der taktfest hinter uns läuft, sich steigert, endlich verhallt!
Die Jungfrau in Blau! Sie erscheint wohl zwei 17 Tage später zum Stelldichein im Palmengarten, aber die Lider gesenkt, den Mund in Zucken, mit schmalen Gliedern, die in Frösten schauern. Wie arm ihre müden Füße im gelben Rasen, wie weh das Körperchen der Opferbraut!
»Sahib!« will sie sagen: in den Schmerzensmund, die verängsteten Lippen hinein rollen Tränen. Ihr Kinderleib denkt nur an Flucht.
»Nur ein Spielchen, mein Kind,« tröstete der Vater, der sie führt. Und zu dem Fremden: »Sie ist noch so dumm, Herr!«
Aber sie weiß, was dieses Spielchen sagt, in ihrem jungen Schoß ist Grauen. Sie hat eine Nacht in Tränen gelegen, fürchtet eins grimmiger als das andere: den Zorn des Vaters, des Dorfes und das schreckliche Spielchen, den furchtbaren Fremden, das grausam-grausame Leben.
Will man gut zu ihr sein, nur Zuckerwerk in ihren bangen Mund tun, nur zart berühren, was so weich und trostlos ist, und hebt die Hand vorsichtig zu einer Liebkosung – da schreit alles in ihr auf, ihre Glieder möchten einzeln entrasen, obwohl das Mädchen erstarrt ist. Jammer tobt hinter stummen Lippen. Es gibt kein Trostwort, das zu ihrem Herzen käme. Sie hört keines.
Wir können uns nicht lieben, kleine Seele! Mein Blut weiß noch zu gut, von fern, was Liebe war. Sich suchen und wollen, Eins das Andere. So soll sie auch einmal dir begegnen, der Liebste braun und schmal wie du, die Liebe froh und begrüßt!
»Brautvater, komm! Dein Kind ist noch zu dumm, du hast recht! Nimm dein Silber, strafe sie nicht.« 18
Wie ihre Angst sich löst, das Auge sich auftut, wie sie selig entkommt – und dann, zehn Sprünge weit, neugierig wird, zurückäugt, dankbar ist –: mehr hatte sie nicht zu geben! Du weiße Dame zwischen ihr und mir, ich hätte dich nicht gefunden im fiebrigen Erliegen dieses Kindes. Und dich suchte ich doch, ich suchte dich. –
Du nur bist mein Weib und meine Schwester, kennst die argen Wege, die ich ging, gehst sie nach, wenn im Takte meines Blutes dein Blut rauscht. Fällst dem deinen nicht zu wie die Schwarze, erliegst ihm nicht in schmerzhafter Demut wie die Braune – du gibst, du gibst, in aller Lust des Schenkens! Du bist mir nicht Tropenblüte, Trophäe oder Kunstwerk wie der farbige Leib einer farbigen Frau – bist Nerv von meinem Nerv, trägst allein und verkörperst die Seele meiner Heimat! Dir kann ich opfern, kann mit dir hadern, dich opfern kann ich nie.
Bist du gütiger, schöner, klüger als die Frauen der sonnigen Länder? Ich weiß es nicht, weiß nur tief, daß du zu mir gehörst. –
Daraus wurde mein Buch: ein weißer Mann, ein weißes Weib und ihre Sehnsucht.
Da es im heut verlorenen Ost-Afrika Deutschlands spielt, mußte es zugleich Lied dieses Landes werden, eines Landes, daraus jeder Ansiedler verbannt, Weib und Kind, Bauer, Priester, Lehrer – aus dem jeder vertrieben wurde, der dort nicht sein Grab hat. In dem kaum Gräber an uns erinnern sollen, die fünfundzwanzig Jahre dort geschafft, gelebt, ihr Dasein verwurzelt hatten. 19