Balder Olden
Kilimandscharo
Balder Olden

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Bibi pekejake

Vor den reitenden Buren-Armeen, die nicht anmarschierten, sich wie ein Strom langsam, widerstandslos durchs offene Meru-Kilimandscharo-Tor wälzten, waren alle Farmen, alle Pflanzungen, selbst die Missionen geräumt worden. Die Stadt Aruscha, die Städte Alt-Moschi und Neu-Moschi wurden übergeben, von zerschossenen oder halb erloschenen Offizieren dem Feind übergeben, leere Bungalows, verödete Plätze, ausgebrannte Herde.

Ehe Bahn und Brücken gesprengt waren, hatte man Frauen, Kinder, Kranke, Hilflose zur Küste geschickt. Frau Lisa wollte Mikatera nicht verlassen. »Hier sind wir zu Hause, bleiben hier, Beatrice, Kandy und ich!«

Frau Timm war aufgeboten worden, hatte Frau Lisa in Schutz genommen.

Wo man sie sah, ihren Knabenkörper in Khaki und Hosen, ihr Mädchengesicht mit jungen Falten und lieben, zarten Krähenfüßen, wurde jede Hand hilfsbereit, jedes Wort achtungsvoll.

Unter Frau Timms Schutz reiste selbst Lisa sicher, 228 die Frau des Ueberläufers, der Heiliges bespuckt und Heiligstes verraten, den tapferen Pfisch und einundzwanzig der besten Schwarzen verkauft, sich selbst in die Reihen der Feinde gestohlen hatte.

Gegen jede Kränkung, jede Härte konnte die Frau des klügsten Mannes im Norden, die achtzehn Monate lang dreier Männer Arbeit getan hatte, sie schützen.

Nicht gegen den elenden Hunger des reichen Landes an Chinarinde, an Imitin, Moskitonetzen, Fieber-Thermometern, Bettpfannen, Aerzten, sterilisiertem Wasser, sicheren Heimstätten, Höhenluft, Frieden.

Beatrice und Kandy, die Kilimandscharo-Prinzessinnen von Gottes Gnaden, verloren ihre blanken Augen, als sie kaum den Berg verlassen hatten, sein gotisches Haupt »Kibo« nicht mehr gleißen sahen. Waren nicht mehr Königskinder, wirbelten nicht mehr nackt, auf fein bossierten Beinen, regenbogenumstrahlt durchs Sonnenlicht. Waren nicht mehr umtreut und gepflegt von Abdullah, Asmani, Hamiß, den jungen, schwarzen Mann-Dienern, die sich Stück um Stück für ihre lebendigen Heiligtümer hätten schlachten lassen. Sie atmeten nicht mehr den gletschergekühlten, von Sonne durchwärmten Aether des heiligen Berges.

Malariakranke Fliegen fielen über die armen Kinder her, bohrten ihre kranken Eier ins blühende Fleisch. Eine Zecke, die Rückfallfieber schleppt, nur dem Mikroskop sichtbar ist, ein armes, selbst totkrankes, wie in Gier todverbreitendes Beest, pürschte sich im Damen-Biwak an die schlafenden Kinder. 229 Ein Wurm kam in ihre Därme, aus den Därmen hinsiechender Neger entflohn. Diese Sonnenkinder mit gerade noch runden Wangen wurden blasser von Meilen- zu Meilenstein. Hatten Fiebergesichter, abgehungerte Beinchen und kein Gottesgnadentum mehr im Bewußtsein, als sie die Küste erreichten. Fiebernde Stirnen, fliegender Puls, blutig und vereitert, was aus den kleinen, siechen Körpern rann. Die Flucht war viel zu eilig vor sich gegangen – vielleicht wären sie in langen Etappen sicher gereist. So fuhren sie voll Lebendigkeit ab und kamen, wo sie weiterleben sollten, an, um zu sterben. Frau Timm half ihrer Mutter pflegen und trösten, betten, Stirnen kühlen, Augen zudrücken, begraben, weinen. Mehr konnte sie nicht helfen, war nicht zu helfen. Hüssens süße kleine Sklavenmädchen waren dem Schicksal einer Flucht nicht gewachsen. Sie starben am Krieg.

Vielleicht half sie Frau Lisa noch, an die verlorene Süße ihres Lebens sich zu erinnern. Sie hatte jetzt keine Pflichten mehr, konnte früh und spät wiederholen und hören, was Beatrice einmal geschwatzt, Kandy ihr nachgepappelt hatte.

Fremd und allzu adelig waren die beiden Kleinen Frau Lisa immer gewesen, solange sie lebten: zwei Wundergeschöpfe, die sie ins Leben gesandt hatte, aber nicht besitzen, nur bewundern durfte. Jetzt . . .

Als der Norden bis zur Küste dem Deutschen verloren war, erfuhr Frau Lisa von der Durstpatrouille, Herzerweiterung, Ende und militärischem Begängnis ihres Mannes. Ein englischer Stabsarzt erzählte ihr: »Nice looking chap he was, and gallant! 230 Would'nt die, I tell you, would'nt . . . But he had got to die, since long ago . . .«

Aus ihrem Notquartier, einer Station französischer »Pères noirs«, schrieb und schrieb sie an den neuen, englischen Gouverneur, bis ihr erlaubt wurde, nach Mikatera heimzukehren. Acht Wochen nach ihres Mannes Tod kam sie dort an – fand ihr Haus zerstört, die Pflanzung verwachsen. Unkraut schlang sich über Beete und Wege. Wer hatte das Herz besessen, mit jungen Kaffeebaumstämmchen Feuer zu machen? Hamiß, der Koch, Asmani, ihr Kammerdiener, begleiteten sie. Alle Arbeiter, Wanjamwesi und Watschagga, waren längst entflohen, Stute und Fohlen, Kuh und Ziegen verschleppt, die Möbel zerstört, Fenster zerbrochen, Blumenbeete und Gemüse zertrampelt.

Mit ihren beiden Treuen baute sie eine Hütte auf, grub sie ein Beet, pflanzte Rosen und Artischocken.

»Bibi pekejake« nannten die Tschagganeger sie, bald auch die Weißen, Engländer, Griechen, Missionare, die nicht geflohen, noch verschleppt waren.

»Bibi pekejake« – das heißt: »Die Frau mit ihrem Allein«. Das Wort, wie ein Handschuh paßte das Wort! Sie hatte nur noch »ihr Allein«, ein paar Erinnerungen, keinen Menschen, der zu ihr gehörte, nicht ein einziges Grab.

Eine letzte Hoffnung noch, Hüssens Versprechen. Er hatte geschworen, wiederzukehren, selbst als Toter.

Aber in Lisas hohlgeweinten Augen war keine Hoffnung. Auch darauf keine Hoffnung. Nur 231 manchmal – ergreifend – ein Staunen und Fragen, ob er sein Versprechen halten würde.

Lieben konnte dies vernichtete Herz – freilich, das konnte es nicht mehr. Ganz schwach irgendein Wunder erwarten konnte es vielleicht noch.

Sie trug Kleider, die keine Kleider mehr waren, hungerte oft, hatte Augen ohne Glanz, Lippen ohne Feuchtigkeit, lebte mit ihrem Allein und einer einzigen Erwartung. 232

 


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