Balder Olden
Kilimandscharo
Balder Olden

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Hörselberg

Aus den Armen der Hirtenfrau, in deren Hütte er einen Nachmittag verträumt, hatte man Fritzchen mit großen Ehren dem Kraal der Jungfrauen zugeführt! Ein grauer Alter, der sich in Kisuaheli verständlich machen konnte, hatte ihn verwundert gefragt:

»Warum wählst du das Weib eines Einzelnen, hoher Gast? Die jungen Krieger sind alle ins Feld gezogen, – unsere Jungfrauen allein . . .«

Ein Hörselberg, die Wände aus Dornen und trockenem Kuhmist zusammengestampft, von Gerüchen aus Viehstall und Schlachthof durchzogen, in dem aus großen Eimern heißes Ochsenblut, Milch mit etwas scharfem Beigeschmack und große Fetzen blutigen Fleisches als Labe kredenzt wurden – ein Hörselberg war der Kraal dennoch für den achtzehnjährigen Tannhäuser im Schmuck erbeuteter Waffen. In fünfzig, sechzig, hundert Gestalten umschwebte sie ihn, die schmalgliedrige, ringklirrende, stolzdienende und hinreißend schöne Venus der Steppe! Bog Schlangenglieder ihm entgegen, brachte sich dar in gläubiger Schicksalserfüllung, war nicht Sklavin wie ein 90 Weib aus Negerblut, sondern Geliebte und Priesterin am Flammen-Altar eines Gottes, der seinen Priesterinnen befiehlt: stimme den Krieger fröhlich, ehre den Gast!

Daß ganz nahe der Heeresstraße, ein paar Büchsenschüsse nur vom Hof der nüchternen Bibi Arbeitsschweiß, ein solches Märchenglück bestand und blühte!

Wer ein fremdes Volk erforschen, seine Sprache und Seele begreifen will, ruhe in den Armen seiner Frauen, teile ihre Wohnstatt und ihr Mahl! Danach lebte Fritzchen seine Tage. Aus dem Halbdunkel des Jungfrauen-Kraals aber tastete er sich abends zum Feuer der geselligen Alten. In sein helles Ohr waren die Worte der Massai-Sprache unversehens gefallen und hafteten darin – in kurzem begriff er besser als Ethnographen, Missionare und Kommissäre alles Geheimnis dieses unbezähmbaren Stammes. Begriff und ergriff es, – das waren Herzen nach dem Schlag seines Herzens, Wilde, die ihre Wildheit heilig hielten!

Woher sie stammten? Weit jenseits des großen Sees, fern, ganz fernher waren ihre Väter in dunkler Zeit gekommen! Weite Reisen hatten sie getan, große Völker beherrscht, Länder sich unterworfen. Von Weißhaupt zu Weißhaupt ward die Sage von diesen Reisen und ihren Gefahren, einer Ur-Heimat in Ozeanen glitzernden Sandes, unmeßbar hingebreitet, von großer Not und großen Taten bis zur Stunde getragen. So viel sie gelitten, so oft sie entbehrt – nie hatte ein Mann des Massai-Stammes seine Hände mit Arbeit befleckt, die paar Verachteten ausgenommen, die den Kriegern Speere 91 und Schilde schmiedeten. Kampf und Jagd und Raub war das Gewerbe der Männer gewesen, so weit Menschen-Gedenken reichte, an großen Kriegern, großen Jägern und Räubern hatte es keiner Generation noch gefehlt. Bis die Weißen mit ihren Feuerwaffen ins Land gekommen, den Massai ihre Herrschaft über Tschagga- und Bulu-Leute entrissen, den Viehdiebstahl sogar mit grausamen Strafen belegt hatten. Den ganzen Stamm, wie in einen Kerker, in die Grenzen eines weiten Steppengebietes eingeschlossen!

Es war noch nicht lange, noch nicht die Sonnen eines Alten her, seit diese Schmach dem Volke angetan, das einen feurigen Herrn über den Wolken kannte und dieses Herrn erwählter Liebling war. Es würde nicht mehr lange, nicht die Sonnen eines Rindes lange währen, bis dieser Gott ihre Fessel brach! Zum Gott der weißen Feuerschützen war mit seinem Herzen noch kein Massai übergetreten! Ihren Gesetzen hatte man sich knirschend gebeugt, ihre Lehren, ihr Recht, Herrscher zu sein, hatte kein Massai anerkannt!

Lehrte nicht der Priester des weißen Stammes, daß jeder Jüngling eine einzige Jungfrau besitzen, jede Jungfrau einem einzigen Manne gehören sollte, vom Tag der Reife an bis zu den Tagen des Welkens? Das hätte Blutrausch und Kampfdurst der Jugend getötet! Kein Gesetz wie dieses sollte die Arme der jungen Krieger lähmen, ihre Herzen zage machen! Wer herangewachsen, die Probe der Beschneidung bestanden hatte, wer Schild und Speer gebrauchen, den Kraal beschützen konnte – der 92 gehörte dem Stamme, gehörte ihm und beherrschte ihn! Kam er heim von der Jagd, vom Kampf mit Simba, dem Steppenlöwen, wunden- und trophäengeschmückt, dann schlief er im Jungfernkraal, war jedes Mädchen des Stammes sein, solang er es begehrte. Für diese Heimat, für diesen Reichtum edelster Lust gab er sein Leben feurig hin, bangte nicht um eine Einzelne, um ein heulendes Weib, ein plärrendes Kind.

Daß der Krieger kinderlos blieb, sein Gemüt unbelastet, dafür sorgten kundige Frauen und vielerfahrene Priester nach Gesetzen, die den Vätern gegeben. Rohe Milch, heißes Rinderblut und blutiges Fleisch war die Nahrung, die allein den Menschen zäh und kampffreudig hielt. Das Beste von allem, so viel ihm behagte, stand dem Krieger zu! Dann erst kamen die Männer in höheren Jahren, nach ihnen die Mädchen, Kinder und Mütter.

Wer zehn Jahre lang Ehren und Last des Kriegerstandes getragen, suchte sich unter den Freundinnen seiner Jugend ein Weib zu eigenem Besitz, bezog eine Hütte mit ihr, mehrte den Stamm, pflegte und trieb das Vieh, durfte den Mädchen-Kraal nicht wieder betreten. Den Speer gab auch er nicht aus der Hand. Wenn die Not rief, trat er wieder in die Reihen der Krieger. Schwere Arbeit war auch ihm undenkbar und wider den Sinn des Lebens – zum Bauen und Lasten-Tragen, sich bücken, Schweiß in den dornigen Boden der Seringeti-Steppe vergießen, hatte Gott die Weiber bestimmt, deren Leib jungen Kriegern kein Glück mehr zu geben hatte.

Des Zwangs zu Steuer und Arbeit, den der 93 Weiße über alle Eingeborenen des Landes gelegt, dem alle – bis zu den wilden Somali des Nordens hinauf – sich gebeugt, hatte nur der Massai sich bisher erwehrt! Und nun, da Krieg ins Land gekommen, die Weißen selbst einander zerrissen und mordeten, war die letzte Befreiung nah! Aus allen Prophezeiungen großer Qual und glorreicher Befreiung erkannte man, daß die Stunde gekommen!

Hatten nicht die Weißen schon um Hilfe gebeten? Waren ihre Sendlinge nicht ins Reservat gezogen, grünes Laub auf den Hüten, sanfte Worte und große Versprechen im Mund?

Als Späher und Boten sollten die jungen Krieger gegen hohen Lohn, gegen Freiheiten für alle Zukunft des Stammes ihnen dienen! Ei, sie wußten, daß kein Raubtier schärfer sieht, keine europäische Glasröhre den Blick weiter trägt als das Auge des Massai, des jungen, unverdorbenen Ilmoran! Daß kein Pferd so flüchtig ist wie er, kein Weißer und kein Neger die Steppe so mit jedem Busch und jedem Stein kennt!

In langem Kriegsrat hatte jeder Massai-Stamm diesseits wie jenseits der Grenze das Angebot durchraten und geprüft. Man hatte eingewilligt, – Priester und Aelteste hatten dafür gestimmt, den Weißen Beistand zu leisten. Unter vielen Bedingungen, aber mit wenig Worten. Denn der Massai geizt mit seinem Atem, denkt lange nach und spricht kurz.

Sie waren hinausgezogen, die prachtvollen Elmuran-Jünglinge, kriegerisch bemalt, mit frischem Fett gesalbt. Zogen wie Raubtiere durch die Steppe, standen Wache auf jedem Hügel, jeder Bergkante 94 weitum, trugen Briefe und Botschaften von Posten zu Posten. Als Boten und Späher – als Kundschafter, die nie gesehen wurden und alles sahen, was im Lager des Feindes, in seinem Hinterland, auf seinen Straßen geschah. Nur daß sie, eines Blutes, eines Stammes, hüben und drüben unter dem Joch fremder Gesetze standen, hüben und drüben nur einen Haß und eine Sehnsucht kannten: Haß gegen die Weißen, Sehnsucht nach der Freiheit!

Den Tod durchs Pulverrohr, Röhren, die weithin krachende, platzende Glutkörper warfen, Spiegel und Lampen, mit denen sie einander Briefe schrieben, ja große Vögel, die Menschen auf ihre Fittiche nahmen und durch die Lüfte trugen – all' das hatten die Weißen erschaffen! Wagen, die von selbst und furchtbar tobend liefen, Lichter ohne Feuer, die plötzlich aufblitzten, glühende Schlangen, weiße, rote, blaue, die in der Nachtbläue zuckten und Feuergarben niederwarfen, daß für einen Augenaufschlag alles Land in Tagesklarheit lag – alles, alles hatten sie ersonnen, geschaffen, durchdacht. Aber daß die Massai eins waren und sein mußten, die hüben, die drüben, eins in Haß und Sehnsucht, das begriffen die armen Weißen nicht.

Wenn ihre Kriegerscharen, Neger, die sie belehrt hatten, und weiße Häuptlinge aufeinander trafen, die Röhren donnern, Patronen rasseln ließen, wenn ihr furchtbares Bumbum, das Maschinengewehr, prasselte, dann verkroch sich der tapfere Massai, fühlte die Macht des Teufels, der gegen sich selbst wütet. In solchem Zusammenprall freilich waren Schild und Speer nutzlos. 95 Kämpfenden Elefanten-Bullen konnte man die Ferse treffen, die Sehne durchschneiden – gegen den Weißen im Kampf gab es keine Gewalt! Aber List! List gab es, ach, sie machten es einem so leicht, die Weißhäutigen mit ihrem kindlichen Hirn. Ließen sich wie Rinder auf Schleichwegen aneinanderführen und taten, was der Elmuran nicht vermochte: bliesen einander Hirn aus den Schädeln, Blut aus den Adern.

Fritz Hartlieb war Gast des Stammes, seit sein Gewehr am Eingang zum Kraal lehnte. Dem Gast gewährte man alles, kein feindlicher Blick durfte ihn streifen, ihm galt kein drohendes Wort. Von den geheimen Plänen des Massai-Volkes wurde ihm freilich nichts preisgegeben.

Fritz Hartlieb aber stand der Seele des Schwarzen viel zu nahe, um nicht plötzlich zu wissen! Er war ja selbst ein Elmuran, ein zufällig blaßgesichtiger. Nachts am Feuer, im Kreis der Alten, geschah es manchmal, daß lautlos – wie ein Falter aus dem Dunkel heraus – ein Elmuran erschien, sich niederließ, zu erzählen begann. Von seinen Worten verstand Fritzchen nur wenige – aber die Namen vieler Menschen und Orte waren ihm vertraut, und er begriff – es schien ihm ja mit Händen greifbar und selbstverständlich –, daß irgendwo in den Falten der Grenzberge die Massai-Späher beider Parteien sich trafen, fröhlich beisammen saßen, die Neuigkeiten beider Lager tauschten. Für silberne Rupies und Berge von frisch geschlachtetem Ochsenfleisch hielt man sich da auf beiden Seiten Verräter, organisierte sie, vertraute ihnen Stellung und Stärke, Parole und Feldgeschrei 96 an. Ihm, Fritzchen, machte diese Wissenschaft den Massai nur vertrauter.

Es weckte und übertraf die tiefsten Indianerträume seiner Kindheit, wenn sie durch die Steppe glitten auf schlanken, stählernen Beinen, wenn er ihre unerschütterliche Würde beim Rat, am Feuer sah, wenn er fühlte und genoß, wie diese Wilden ihre Mädchen zahm und demutvoll hielten. Durchdachte er, wie sie ihre Zwingherren aus Europa überlisteten und – als sei es selbstverständlich – verrieten, dann fühlte er Schauer der Bewunderung.

So waren aus den Honigstunden, die er sich zugedacht, Flittertage, fast eine Flitterwoche geworden. Sein Blut verlangte neue Abenteuer.

Einmal zerriß Löwengeheul die Nacht, rollte um die Mauern des Kraals. Als Fritzchen ins Freie stürmte, sah er, daß Männer und Weiber die Lagerfeuer schürten, hohe Flammen an die Wolken zucken ließen, um dann mit Schilderschlagen, Rasseln und Lärmen den Räuber in Angst zu jagen. So hoch war keine Kraalmauer, daß ein hungriger Löwe sie nicht mit einem Satz genommen hätte! Alles Vieh brüllte in jammervoller Angst.

Tags darauf, im ersten Licht, zog Fritz mit seiner Donnerbüchse aus, von einem ergrauten Fährtenleser geführt, um sich nach vielen Tagen und Nächten des Schwelgens dem Stamm erkenntlich zu zeigen. Er fühlte das Kapua dieser Tage in seinen Gliedern, fühlte, wie er verweichlicht und verwildert zugleich war. Diese Jagd tat ihm gut und sollte ein Abschluß frech aus dem Leben gestohlener Feiertage werden. 97

Noch vor Mittag war der alte Mähnenlöwe aufgespürt, mit einem Blattschuß erlegt. Decke und Krallen bot Fritzchen großmütig dem Aeltesten des Kraals für soviel Gastfreundschaft an, belohnte die Genossinnen seiner Liebesstunden mit allen silbernen Rupies, die er bei sich führte, ließ Bakari und Gotthold Beenike, die reichlich Fett angesetzt hatten, marschieren und nahm den Dienst wieder auf.

Freilich, die alte Route war nicht wieder einzuschlagen. Sie führte am ausgefahrenen, ausgerittenen Weg hin, von Farm zu Farm, und mehr als eine der Farmen war zur Militäretappe verwandelt, von Offizieren beaufsichtigt, in telephonischer Verbindung mit dem Lager der Kompagnie. Oberleutnant Hüssen verstand ja Spaß und hatte bei Fritzchens Abreise eine Bemerkung gemacht, die man so deuten konnte, als billige er dem Kompagnie-Jüngsten ein wenig Abenteuer zu. Aber es war doch besser, das Märchen vom schweren Malaria-Anfall, der ihn irgendwo festgehalten hatte, erst bei der Heimkehr und nach wohlerledigten Geschäften zum besten zu geben, einstweilen aber Siedelungen mit Telephonanschluß zu meiden.

So trabte Fritz durch verbrannte Steppe, durch Dornen und Sansivieren-Busch, zur Qual Bakaris, dem das schmutzige Khaki bald in Fetzen am Gürtel hing, zum Jammer seines Maulbocks, der die behagliche Fahrstraße kannte. Ohne Steg und Furt wurde die schäumende Geraragua überschritten – eine Leistung, die Gotthold Beenikes Leben in Gefahr brachte. Ueber Geröll und Felsplatten mußte 98 er steigen, hinab in den reißenden Bach, – mit Hieben, Geschrei und Steinwürfen wurde er jenseits emporgehetzt, einen Hang hinauf, der Antilopen als schlechte Passage erschienen wäre.

Gotthold Beenike war alt, phlegmatisch, hatte im Massai-Kraal seinen Bauch kugelrund gefressen. Als er, zerschunden und zitternd, den Bach überquert, schrie er sein Leid über so viel Kümmernis laut in die Welt hinaus, wie sonst nur ganz junge Maulesel ihr Verlangen nach Lenz und Liebe kundtun. Fritzchen aber schwang sich hohnlachend auf seinen Rücken, schnalzte Gotthold Beenike und Bakari fast mit einem Hieb Reiselust in die Hinterkeulen. Dann wehten ihm Hutkrempe und Ohren siegesfroh um den kurzen, rostbraunen Nacken. Sein »Heiah – Heiah, Safari!« krähte in den heißen Tag hinaus. Jetzt ging es durch offene Steppe, die letzte Etappe war in weitem Bogen umritten, holdrioh, jetzt ging's zur Heimat!

Denn ein Stolz, den er nach keiner Schlacht und keiner Jagd empfunden hatte, blähte Fritzchens trophäengeschmückte Brust. Jede Massai-Jungfer, die er besessen, schmeckte sich nach wie herrlicher, echtester Sieg! Mann war er, ein ritterlicher Mann, dem des Lebens Tropenglut entgegenstrahlte. Nach all' den heißen Genüssen in Kuhmistmauern kam jetzt die liebe, kalte Küche europäischer Kultur: Bad, gedeckte Tische, Skat und Poker – dazu andere Zungenlabe als Ochsenblut und angebitterte Milch!

In solchen Erwartungen zog, als es Abend ward, die Kolonne des Gefreiten Hartlieb auf Mikatera, der Pflanzung des Herrn von Isonski, ein. 99

 


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