Balder Olden
Kilimandscharo
Balder Olden

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Mungo will es!

Der frühe Morgen sah Isonsky, wie er allein am Tisch saß, den Boy anknurrte, wie er, das Gesicht bitter und bös gezeichnet, in seine Pflanzung lief. Da sollte gearbeitet werden, da mußte etwas gedeihen, wenn alle Weltgeschichte gegen ihn mobil war! Mochten andere Gärten und Haine in blutige Sümpfe verwandeln, gußeiserne Denkmäler schmieden, wo eine Handvoll Mais gedeihen konnte und Segen brachte! Er pflanzte! In der Zeitung von Dar-es-Salam stand, auf das Ergebnis eines Vierteljahrhunderts kolonialer Arbeit käme es heut nicht mehr an, noch auf das Leben von ein paar Hunderttausenden, noch auf Milliarden nationalen Gutes. Ihm kam es an auf ein Bäumchen, das rote Beeren tragen sollte und tragen mußte, auf jede Arbeitsstunde eines schwarzen Kindes, auf den Raubgriff, den nachts ein einziger Hundsaffe in seinen tropischen Kirschgarten tat.

Solange es dunkel war, mußte Isonsky das Trommeln und Rufen seiner Wächter hören, die er zum Schutz gegen naschhafte Bestien aufgestellt. Er erwachte, wenn es still wurde, schlich mit dem Kiboko 184 in seine Schamba – weh' dem Kerl, den er schlafend fand! Er prügelte drauf los, bis Wehgeschrei alles Schmarotzervolk wegscheuchte! Hielt Strafgericht um einen Stengel Unkraut, der sich unbemerkt zwischen die jüngsten Bäumchen gestohlen hatte, um eine Handvoll Beeren, die beim Abernten vergessen waren. Der Gesang seiner Arbeiter verstummte, wenn er kam. Die erntenden Kinder verkrochen sich, manche aber verrieten durch Zittern ihr Versteck.

Isonsky war krank und voll von Sorgen. Jeder Tag machte ihn kränker und böser, denn jeder Tag vermehrte sie.

Es gab keine Schiffahrt mehr, schon lagen zwei ganze Ernten unverkauft und unverkäuflich im Vorratshaus. Keine Bank lombardierte sie, die großen Firmen hatten selbst kein Geld. Dritte und vierte Kommis leiteten sie statt der eingezogenen Chefs, verstanden es nicht zu helfen, taten großspurig. Er hatte Gemüse angepflanzt, Hirse, Mais, um nur von Lohntag zu Lohntag Arbeiterfutter und die notwendigsten Rupierollen in die Tasche zu bekommen. Trotzdem hatte er schon zweimal mit leeren Händen vor seinen Arbeitern gestanden, Versprechungen gemacht, hatte sich in Beschämung gewunden. Seine fleißigen Leute vom Wanjamwesi-Stamme hatte die Schutztruppe ihm weggenommen, ohne Ankündigung waren sie plötzlich requiriert worden. Wanjamwesi, die schon seit Jahren bei ihm siedelten, fern ihrer Heimat, auf ihn angewiesen, – die hätten auch ohne Lohn noch lange weiter gedient. Jetzt hatte er nur noch Tschaggavolk, träges Gesindel, 185 das am Kilimandscharo daheim war, auf und davon ging, wenn die Arbeit nicht mehr behagte. Bei der Verwaltung war kein Schutz – wie oft schon hatte er den Weg nach Moschi getan, wie viele Stunden und Tage im Vorzimmer des Bezirksamtmanns vergessen! »Polizei-Askari, um die Kontraktbrüchigen zurückzuholen, abzustrafen, ihm zur Arbeit wieder zuzustellen!« Es gab keine, das Bezirksamt hatte andere Sorgen . . .

Er sprudelte seinen Zorn aus, kritisierte und beschimpfte die Verwaltung, nahm kein Blatt mehr vor den Mund: daß Krieg in den Kolonien Verbrechen sei, daß pure Rauflust dazu geführt hätte, ihn anzunehmen! Sein Lieblingswort vom Studenten-Komment – er schrie es raus: »Wünsche mit Ihnen zu hängen, mein Herr!« »Hängt!«

Eine englische Regierung würde den Pflanzer nicht derart im Stiche lassen, wüßte auch in Kriegszeiten für Kredite, Arbeiter, Schutz zu sorgen! Er kannte England, gut sogar, hatte englische Verwandte, seine halbe Jugend auf den Inseln zugebracht!

Das letztemal hatte der Beamte ihn rausgeworfen. »Sie finden nicht wieder Gelegenheit, mein Heiligstes zu bespucken, Herr Baron!«

»Es wird auch mehr nützen, wenn ich mich an den nächsten Akiden wende, an den nächsten Tschagga-Dorfschulzen, Herr Amtmann! Der wird mehr Verständnis haben 2. 2. 2.«

Er war losgerannt, so voll Wut, daß er sich die Seele weiter frei schimpfen mußte: bei Missionaren, Buren, seinen griechischen Nachbarn. »Nie hat diese 186 Verwaltung etwas getaugt, nie begriffen, wozu sie da ist! Jetzt nimmt sie den Krieg als Vorwand für ihre Faulheit und Unfähigkeit!«

Dann kam er nach Hause, sprühende Augen im weißen Gesicht, den kranken Körper mit Energie geladen. Stürzte sich über die Arbeit, wollte sich durchsetzen, den Erfolg zwingen! Ganz allein! Rings herum waren nur Feinde, bestenfalls Gleichgültige. Manche fanden ihn, in seiner rabiaten Unreife, die zum Martyrium drängte, schön. Viele fanden ihn komisch, die Meisten verachteten oder haßten ihn, der nicht mittat, was Alle taten, ihre Begeisterung, ihr Leiden nicht teilen wollte. Sie leisteten qualvoll schweren Dienst. Ließen sich kommandieren – Afrikaner, die selbst nur gewohnt waren, zu befehlen! – warfen sich ins Feuer. Er, der frühere Offizier, wollte reich werden! Seine dreckige Schamba war ihm wichtiger als das Vaterland.

Wenn er das hörte! »Hier draußen wollt ihr das Vaterland retten, ihr Narrenpack! Euer Herdentrieb geht so weit, daß ihr notwendig krepieren müßt, weil in Europa der Heldentod epidemisch ist! Zugweise Selbstmord begehen, noch das wäre nützlicher!«

Frau Lisa sah ihn einsam, hörte ihn toben, wußte, daß er litt. Manchmal fand sie Gelegenheit, für ihn zu sprechen, wie Hüssen gegenüber, Mitleid für ihn zu fordern. An seiner Seite stehen konnte sie nicht.

Es war Lüge, daß Isonskys sich vor Kindern, Dienern, Arbeitern und Gästen mit wutverkrampften Gesichtern entgegentraten. Dumme Lüge, daß 187 die feine Frau mißhandelt wurde, schamlose Lüge, daß sie Frauenrache nahm, wo sich ein Partner fand. Das Elend aus Mikatera war viel tiefer: zwei einander ganz fremde Menschen hatten Kinder, einen Besitz, ein Lebenswerk gemeinsam, wurden sich fremder von Tag zu Tag, fanden kein Wort und keine Brücke mehr. Wie lange schon!

Lisa wußte sich nur schwach zu erinnern, daß sie ihren Mann einmal bewundert und vielleicht sehr geliebt hatte. Damals, als er in der guten Stube ihrer Eltern saß, die so nach a. D. roch, so voll von a. D.-Gedanken, Trostlosigkeit, Muffigkeit war, daß man einen Menschen lieben mußte, der nur ein Wort wie Timbuktu oder Trapezunt mit vollem Ton aussprach. Da drinnen hatte Paul Isonsky eines Tags gesessen – sonst wäre sie heute Turnlehrerin oder Professeuse in Häkeln und Sticken. In dieser nie gezeigten, nie bewohnten guten Stube eines Majors a. D. saß plötzlich der gute Junge, der von Ozeanen, dunklen Weltteilen, farbigen Menschen erzählen konnte. Er hatte wenig Zeit, seine paar Wochen Urlaub gingen zu Ende, wollte eine Frau mit sich nach Afrika nehmen, fieberte nach ihr. Für sie waren blaues Meer, blauer Himmel, berauschende Farbigkeit der weiten Welt eins mit ihm.

Dann erlebte sie durch ihn, nur durch ihn, das Schiff, die Häfen, Palmen, Korallenriffe, schwarze Kinder, die nach Silber tauchten, Delphine, die Wasserstrahlen bliesen, und fliegende Fische. War ihm dankbar für jedes seiner Wunder.

So weit lag das zurück! Als sie ihn wirklich kennen 188 lernte, war Afrika ihr fast schon vertrauter als ihm. Sie fühlte Harmonien dieses Landes, sie verstand es, verstand Schwarze, Tiere, Morgenstunden, Steppe. Er rannte an allem vorbei, aber er brauchte einen Kameraden. Sie nahm sich vor, ihm Kamerad zu sein. Das Tempo, in dem sie atmeten, war zu verschieden, bald blieb nur Mitleid.

Isonsky hatte sich nach einer weißen Frau gesehnt in steigender Einsamkeit, durch viele Jahre. Zum erstenmal wieder in Europa, waren Städte, Bahnen, Häuser, waren Schnee und Flieder, Warenhäuser, Kirchen, Denkmäler ihm gleich wieder vertraut, als hätte er Geruch und Atem einer großen Stadt immer um sich gehabt. Aber die weißen Frauen – diese Massen weißer Frauen, die überall waren, die man ansehen, deren Hand man küssen durfte, die gar nicht ahnten, daß sie ein Geheimnis gewesen, von dem man im Zelt, am Feuer geflüstert hatte – sie waren neu! Ihn berauschte es, wenn eine Frau beim Tanz sich fühlen ließ, ihren Körper zu erkennen gab, den sie doch dem Auge in Mieder, Röcke und Mäntel hüllte. Dieser Begriff: weiße Frau, war im Busch, nach wenig Jahren schon, für ihn heimlich, himmlisch, verboten geworden. Etwas Verstecktes, daran man ohne Pein nicht denken konnte! Jetzt saßen sie da, europäische Mädchen, bewunderten ihn, der sich hilflos fühlte, waren kokett, müd, hungrig, ungezogen, kälberten, weinten, ahnten nicht, daß ihn schauerte, wenn er bestätigt fand: wie sehr sie Menschen waren. Auf der Heimfahrt hatte es ihn ja durchzuckt, als er zum erstenmal wieder eine weiße Frau essen sah – 189 als triumphiere da ein dunkelsüßer Verdacht. Weiße Ehepaare lebten auf dem Dampfer wie Kameraden zusammen, saßen nebeneinander bei Tisch, wohnten in einer Kabine! Solch ein Geschöpf, das sich pflegte, unter dem Kleid mystisch berauschendes Leinen trug, in Batist und Spitzen schlief, das bei jedem Ankleiden sein Wesen wandelte: aus einer Eva eine Puppe, dann eine drollig lockende Art Bub, Bild um Bild endlich eine fertige Dame wurde – das gab es auch für ihn, konnte auch er für sich, allein, für immer haben!

Sein kurzer Urlaub verging in einem Staunen über dies eine Wunder. Den Mut, zuzupacken, das Wunder zu greifen, fand er erst in der Abschiedspanik der letzten Woche. Da lernte er Lisa kennen Man bestätigte ihm, daß sie schön war, wie er selbst sie fand, schöner als die meisten. Trotzdem hatte sie keinen Verlobten, keinen Liebsten, war wundersamerweise frei! Sie hing an seinem Mund, begeisterte sich über eine arme Photographie von drüben, über den Bericht eines nüchternen Arbeitstages in Afrika. Ihm fielen die Bibis ein, die durch seine Assistentenhütte in Usambara ihren Reigen gezogen hatten. Statt ihrer könnte er – das war zu stark, es auszumalen – bewundert und beneidet mit diesem fragilen, blonden, duftigen Geschöpf reisen, in die Abende spazieren, bei Tisch sitzen – mit ihr schlafen! Mehr, mehr, sie wollte ihn pflegen! Als eine Art Dienerin – für ihn, den armen Teufel, leben! In letzter Stunde faßte er Mut, warb so stürmisch, war so voll begeisterten Verlangens, daß alle Hindernisse fielen. Reiste dann 190 mit Lisa hinüber, war rasend stolz, wenn sie die Ferne so aus seinem Herzen nahm, als hätte nur seine Güte sie zu geben.

Sie verlor viel bei ihm, als sie seekrank wurde. Später hatte sie Malaria, war gelb, unappetitlich, armselig. Sie bekam ihre Kinder, denen er zur Welt helfen mußte – der Traum von letzter Intimität war für sein Empfinden allzu wirklich geworden. Wie bald ein Mädchen in Batisthose und seidenen Strümpfen kein Geheimnis mehr war, – wie rasch man selbst aufhörte, ein Fakir zu sein, der den indischen Ozean geschaffen, Palmengestade und Mangrovenwälder aus nackten Händen wachsen ließ! Manchmal sehnte er sich nach den Bibis zurück, manchmal fand er wieder zu ihnen. Schließlich, Lisa war schwer und phlegmatisch, vibrierte nicht mit in seinen tausend Fibern, schnellte nicht auf, wenn er brauste, sang nicht mit ihm die ewig neue Verzückung seiner Fata Morganen. Es ließ sich kein Vorwurf gegen sie bilden, sie erfüllte jegliche Pflicht, bekam und pflegte Kinder, führte seinen Haushalt, tat in der Pflanzung mit. Was fehlte ihr?

Eines Tages glückte ihm die Formel und vernichtete den letzten Schimmer um sie: kein Champagner im Blut! A. D., a. D., sie stammte, blond, schlank, hübsch, was immer, aus einem a. D.-Salon in der Kaiser-Wilhelm-Straße einer norddeutschen Stadt. Er liebte sie manchmal, oder empfand sie doch als wertvollen Besitz, wenn ein Gast im Haus war, der sie bewunderte. Hüssens rückhaltlose Anbetung war komisch gewesen, aber so wohltuend, daß er ihm seinen Abschiedskuß tausendmal gönnte. 191 Diesem Besuch waren ein paar wärmere Tage gefolgt. Lisa dachte an Hüssen, sprach offen aus, wie frisch, wie sprudelnd, wie kraftvoll-gütig er sei. Bedauerte, daß der liebste Gast aus vielen Jahren so rasch fortgemußt, hoffte, daß er bald wiederkehre, um lang zu bleiben. Man hatte doch etwas zu sprechen! Ein paar Tage lang hielt er vor, der kleine Hüssen, der so komisch-jockeihaft auf seine Suse geklemmt saß und sicher im Schlaf sogar das Monokel trug. Dann wurde Isonsky seiner müde, versank Mikatera wieder ganz in Einsamkeit und vielen Sorgen, die beide – nicht gemeinsam! – tragen mußten.

Vielleicht hätte Isonsky gefühlt, daß Lisa ihm ferner war als je zuvor, wenn nicht sein Kampf mit ganz Ostafrika, dem »Amok-Veitslauf« der Weißen, dem indolenten Phlegma der Schwarzen, allen tückischen Verwicklungen des Krieges ihn absorbierte.

* * *

An einem solchen Tage zog Fritzchen auf Gotthold Beenike, den Wadenprotzen Bakari als unberittenen Vorreiter, in Mikatera ein. Von Moschi her aber nahte sich ein anderer, an Schicksal schwererer Zug Isonskys Schamba. Ein mageres Schwein, das zwei mit Bündeln und Rucksäcken beladene Schwarze trieben, eröffnete diesen Zug. Ihm folgte Hannes Timm, ein Pflanzer, den man den klügsten Kopf des Nordens nannte. Timm marschierte langsam und sah bedenklich aus. Vierzehn nackte Wilde mit schweren Lasten schlossen seine Karawane. 192

»Einen hätten wir!« begrüßte Hannes Timm seinen jungen Waffenkameraden. »Respektive zwei hätten wir!« Dabei wies er nach Fritzchen auf das gelenke Schweinchen an der Spitze seiner Abteilung. »Euch zwei soll ich nämlich zur Stelle schaffen – und leider noch einen Dritten.«

»Ich hab' einen dienstlichen Auftrag, streng geheim!« muckte Fritzchen mit halber Sicherheit. »Muß eiligst nach Moschi!«

»Und ich hab' einen streng öffentlichen Auftrag, Gefreiter Hartlieb! Ich soll dich an deinen Kondorschwingen von Ohrwascheln nehmen und zur Kompagnie zurückschleifen. Dich und das Mastschwein – wenn ihr Widerstand leistet, soll ich euch aneinanderschließen.«

»Wie nennen Sie den Edelmarder, Herr Timm?«

»Ein Mastschwein aus meiner Zucht ist das, Lausbub! Besser als die Zucht, der du entlaufen bist!«

»Zweifellos, Vater Timm! Ich neige zum Fettwerden. Das kann man von Ihrem Kampfeber nicht behaupten. Kein Lot zu viel. Alles Nerv und Sehne! Wollen Sie ihn für sich selbst zureiten?«

»Du wirst in vierzehn Tagen auch schlanker sein. Wenn wir uns den Kampfeber aufschmier'n, hockst du, fürcht' ich, bei Wasser und Brot!«

Fritzchens stärkste Qualität war ein faszinierend schlaues Lächeln, das zu dem Quadratgesicht unter seiner Dümmlingsperücke rührend paßte.

»Ich hab' wichtigen Dienst gemacht, Herr Timm! Hab' unsere Kundschafter bekundschaftet. Ich weiß was, wenn ich das melde, bekomm' ich keinen Mittelarrest, sondern Schnauze und Pfoten, falls Ihre 193 Berber-Sau wirklich gemeuchelt wird. Wieviel Tage Urlaub verdanken Sie der?«

Timm stopfte sich die Pfeife, hockte auf einem Stein am Wege.

»Erst hatt' ich nur einen Tag, um Gemüse für die Europäer zu holen. Dann noch einen Tag für Schweinebraten. Dann noch acht Tag', weil das Schwein noch nicht fett war. Dann drei Tag', um deine Aufträge in Moschi auszuführen. Dann unbegrenzt, um den Gotthold Beenike, den Troßbuben Bakari und nebenbei dich Lausbuben zu greifen. Zu meinem Leidwesen bist du mir gleich in die Hände gelaufen!«

»Ich dräng' mich nicht auf! Gucken Sie fünf Sekunden lang in Ihre Pfeife – und weg bin ich!«

»Nein,« sagte Timm, war wieder nachdenklich und sehr ernst. »Vielleicht brauch' ich dich jetzt für den letzten Auftrag, der mir zum Schluß die vierzehn Tage Urlaub versaut. Den der Teufel holen soll!«

Fritzchen hatte irgendwo eine Art Respekt vor Hannes Timm, obwohl der zweifellos zu jenen Blaßgesichtern gehörte, die den Begriff »Pflicht« nach Afrika importiert hatten. Vielleicht, weil Timm das Wort nie brauchte, nicht einmal im Gespräch mit jungen Burschen, Mohren und Kolonialbeamten. Er war so gescheit, daß er mit allen Menschen reden konnte, als ob sie Verstand hätten. »Pflicht«, »Ehre«, »Dienst«, »heiligstes Gut«, all' die schönen, saftigen Worte hatte er einfach nicht nötig, obwohl er das Mundstück der Kilimandscharopflanzer war, Mitglied des Parlaments in 194 Dar-es-Salam, Mitarbeiter der Kolonial-Zeitungen. Trotz aller Opposition, zu der sein quellklarer Menschenverstand ihn drängte, Berater und Vertrauensmann des Gouverneurs. In seinem energisch-klaren Bauerngesicht saßen, hinter eigentlich stilwidrigen Zwickergläsern, Augen von so nachdenklicher Güte, daß jeder im Strahl dieser Augen sich irgendwie aufgehoben fühlte.

»Sie sind traurig?«

»Ja, ich bin traurig!« Timm sprang auf, nahm sein Gewehr, setzte sich in Marsch.

»Komm mit, Fritzchen! Du hast lang' genug herumgestromert, kannst vielleicht etwas Nützliches tun.«

»Weil Ihre Pflanzung verkommt? Ach, die bringen Sie schon wieder hoch!«

»Die verkommt nicht. Wir sind alle drei eingezogen, meine beiden Assistenten und ich. Meine Frau macht die Arbeit von drei Männern, sie macht sie! Kautschuk, Kaffee, Sisal, Zwischenkulturen . . . Alles gedeiht. Ich kann totgeschossen werden, sie arbeitet weiter. Keinen Griff hab' ich umsonst getan, mein Lebtag lang.«

»Sagen Sie's doch!«

»Wirst's schon seh'n.«

Dann standen sie vor Isonsky, der ihnen seine fiebrige, schmale Hand bot. Hannes Timm nahm diese Hand nicht an, sah sie nicht in seiner elenden Beschämung.

»Ich soll – hab' einen Stellungsbefehl – soll Sie mitnehmen . . .«

»Wieder Stellungsbefehl! Jeder Mensch weiß, 195 daß ich dienstuntauglich bin, Invalidenrente beziehe! Hab' den Wisch schon zweimal zurückgeschickt und meine Meinung an den Rand geschrieben . . .«

»Falls Sie sich weigern, hab' ich den Befehl . . .«

»Daß Sie sich – dazu hergeben!«

»Zu nichts geb' ich mich her,« sagte Timm ganz dumpf. »Ich werd' hergegeben . . . Weigern Sie sich?«

»Ob ich mich weigere!« Isonskys blaue Augen führten jetzt ihr eigenes, funkelndes Leben. »An die Wand laß ich mich stellen! – Aber den Wahnsinn mach' ich nicht mit: Schwarze auf Weiße zu hetzen, mein eigenes Haus verbrenn' ich nicht! Ich bin keine Hure, laß mich nicht zum Heldentod prostituieren.«

»Sie sind mein Arrestant!«

* * *

Hannes Timm mußte Isonsky nach Moschi eskortieren. Isonsky schritt aus wie zum sehnsüchtig erwarteten Kampf. Gequält und fahl, so folgte ihm sein Häscher.

Lisa kniete beinahe vor dem Flegel Hartlieb. »Reiten Sie, reiten Sie! Sagen Sie Herrn Hüssen, er soll kommen, Urlaub nehmen, retten!«

Fritzchen benahm sich wie ein Erwachsener, der Mensch ist. Er sattelte eigenhändig, schnallte die Sporen fester, wollte handeln.

»Wenn Sie mir eine Zeile mitgeben würden, gnädige Frau.«

Lisa schrieb: »Sie einziger Freund, kommen Sie!« 196

Es war ihr Schrei, der Hüssen durchgellte, als er den Eukissai anritt.

Dann war Frau von Isonsky mit ihren Kindern allein. Neun Jahre Ehe. Elend, Enttäuschung wogen nichts mehr, sie gehörte zu ihrem Mann, der allein gegen Alle stand.

Der Bezirkshauptmann war sein Feind. Wenn der ihm etwas antat, schoß sie! Sie, mit ihren Händen, schoß einen Menschen tot!

Frau von Isonsky suchte nach einer Waffe, fand das alte Möbel, mit dem man Hundsaffen jagte. Sie nahm es, preßte den Lauf in ihren Arm.

Beatrice und Kandy! Ach!

Sie rannte ein paar hundert Meter weit die Pflanzung hinunter, im flatternden Rock rannte sie Sturm.

Beatrice und Kandy! . . .

Noch hastiger kehrte sie um, als sie geflohen war. Sah die Kinder, die leise und nackt durch die Sonne huschten, denen nichts fehlte, kniete vor ihren hellen, sorglosen Gesichtern. Und griff wieder zum Karabiner.

Den Männern nach! Hin und her, immer in tobender Flucht.

»Mungo will es! Laß Mungos Wille geschehen, Bibi!« riefen ihre Schwarzen. Bis ein schmaler, junger Reiter angaloppierte, vom Maultier sprang, sie in die Arme schloß. Das war Frau Timm, die Männerkleider trug, eine Pflanzung leitete, dreier Männer Arbeit tat. Sie hatte ein Mädchengesicht mit jungen Falten und lieben, zarten Krähenfüßen. Sie hatte sich selbst in der Hand, einen Mann, der Halt war, konnte Halt geben. 197

 


 << zurück weiter >>