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Die Gegend, in die ich euch jetzt führe, ist euch bekannt. Der Wald mit dem großen Kruzifix und der Madonna darunter am Eingang – noch aus alten Zeiten stammend, wo der Weg durch den dicken Wald ein gefährlicher war, und der fromme Wanderer vor dem Betreten desselben im Gebet um Schutz vor wilden Thieren und oft noch schlimmern Menschen flehte. Von den alten Buchen fehlt jetzt manche, die der Verschwendung einer frivolen Zeit gefallen ist; manches zarte Bäumchen dagegen steht jetzt, das ein geordneterer Sinn nachgepflanzt, und beschützend blicken die alten Buchen von ehedem heute darauf herunter, es deckend vor Wind und Wetter und zu greller Sonnenhitze.
Die alte steinerne Bank, mit der Aussicht auf die Thürme der stolz auf dem Hügel thronenden Falkenburg, wo wir so häufig auf halbem Wege nach dem kleinen Försterhause ausruhen, stand noch zu der Zeit, in die ich mich zurückversetze. Ein junges, schönes Mädchen sitzt, einen offenen Brief in der Hand, auf derselben, die großen blauen Augen mit dem Ausdruck unsäglichen Weh's hinübergerichtet nach dem Schloß, dessen Thürme fast drohend herüberschauen. In sich zusammengesunken, müde, nicht vom Gehen, sondern von schmerzlichem Denken, sitzt sie da. Ihrer Kleidung nach gehört sie dem Bürgerstande an: ein kleines Mieder mit dem hoch heraufgehenden gefältelten Hemd mit langen Aermeln, ein kurzer Rock, unter dem die kleinen Füße mit Schnallenschuhen leicht gekreuzt sichtbar sind, dazu lange, goldblonde Zöpfe, die hinten noch über die Bank herabhängen. Langsam erhob sie sich jetzt; sich zu den Stufen des Kreuzes niederwerfend, lehnte sie den kleinen Kopf an dasselbe. »Heilige Mutter!« flehte sie, »gieb mir Kraft zu entsagen, selbst umzukehren vor dem irdischen Paradies, das offen vor mir liegt.« Heftiges Schluchzen erstickte ihre Worte und erschütterte gewaltsam die vollen, aber jugendlichen Formen ihres Körpers.
Der herannahende Schritt eines ältern Mannes im Jägerrock, mit der Flinte unter dem Arm und der schweren Jagdtasche an der Seite, schreckte sie auf, zugleich sprang ein großer gefleckter Jagdhund liebkosend an ihr hinauf. Sie trocknete die Thränen sorgfältig vom Angesicht und schritt dem Manne entgegen.
»Du hier, Marie?« sagte dieser freundlich, und ließ es geschehen, daß sie ihm die Jagdtasche abnahm.
»Ich erwartete Euch hier, Vater,« entgegnete das Mädchen, »weil ich mit Euch allein zu sprechen habe, und zu Hause, zwischen der Mutter und den Kindern, dies nicht so ungestört sein kann, als hier im Wald.«
Verwundert strich sich der Mann über den grauen Bart, nahm den Hut ab, und sich auf seine Flinte stützend, lehnte er sich an die nächste Buche. Marie hatte, wie außer Stande, stehend die Kraft zu dem zu finden, was sie zu sagen hatte, sich auf die Bank gesetzt und begann mit leiser Stimme:
»In den nächsten Tagen kehrt Max ...«
»Der Herr Graf von Falkenstein, wolltest du wohl sagen, unser Herr und Gebieter,« unterbrach sie etwas scharf der Vater.
»Kehrt Graf Max zurück,« verbesserte sich das Mädchen und legte die Hand aufs Herz, dann stand sie auf, und, als wäre sie zu entfernt von dem Vater zu dem, was sie sagen wollte, näherte sie sich ihm und legte ihre Hand auf den Arm desselben, mit Mühe die Aufregung bekämpfend, die ihre Stimme erzittern machte.
»Er hat mir geschrieben, Vater,« fuhr sie fort, »er komme zurück, mündig, als unabhängiger Herr über seine Besitzungen und seinen eigenen Willen. Vater, er liebt mich, liebte mich, da ich noch ein kleines Mädchen war; nun schreibt er, er wolle mich zu seiner Gemahlin machen, als Gräfin auf sein Schloß führen, keine Gewalt der Erde werde ihn mehr davon abhalten, höre selbst, was er schreibt;« – sie hielt den Brief in der Hand und las mit so heftig zitternder Stimme, daß sie fast unverständlich war: ›»Meine Mutter liebt dich, hat dich mit ihren Kindern erzogen, du stehst ihnen gleich, wenn nicht an Geburt, so an Bildung des Herzens und des Verstandes, sie wird, sie muß die Vorurtheile des Standes bekämpfen und wird, wenn auch nicht gleich, so doch mit der Zeit dir ihre Arme öffnen.«‹
Ohne ein Wort beizufügen, faltete Marie den Brief wieder zusammen.
Der Förster war todtenbleich geworden, den forschenden Blick auf die Tochter geheftet, begann er langsam, mit tiefer nach Fassung suchender Stimme:
»Vor Jahren irrte dein Großvater, ein armes halbnacktes Bettelkind, dessen Eltern an der Landstraße gestorben waren, hier in der Gegend umher, sich mit Beerensuchen vor dem Hungertode wahrend, so fand ihn der Großvater des jetzigen Herrn, nahm ihn herauf ins Schloß, ließ ihn erziehen und die Försterei erlernen, und als der alte Förster starb, wurde er Förster, die Herrschaft steuerte ein armes Mädchen aus, das er liebte, und sie bezogen jenes Haus. Ich, sein Sohn, folgte ihm im Amt, und meine Geschwister wurden alle versorgt durch die Herrschaft, die wie eine gütige Vorsehung über uns gewaltet, welche aus einer armen, verkommenen Bettelfamilie eine angesehene Familie gemacht.
»Als deine Mutter starb, meine erste Frau, und du, ein armer hülfloser Säugling, zurückbliebst, und ich rath- und trostlos mit dir an der Leiche der todten Mutter stand, da kam Gräfin Gisela herab, nahm dich an die eigene Brust und legte dich zu ihrer kleinen Gabriele.«
Er hielt einen Augenblick inne und fuhr langsamer und mit fast harter Stimme fort: »Sollte sie eine Schlange an der eigenen Brust genährt haben, die nun das Gift der Zwietracht aussät zwischen sich und dem geliebten Sohne? Denn freiwillig wird die aus fürstlichem Geschlecht Stammende der niedrig gebornen Magd die Thüre nie öffnen, und noch dann, wenn sie es gezwungen gethan hätte, wird der Geist des erlauchten Vaters zürnend aufstehen und die Enkelin des Bettelbuben von der Schwelle zurückweisend verfluchen.«
In sich zusammenschauernd stand Marie da, die Hände herabgesunken, in einander gefaltet und blickte träumerisch hinüber nach dem Schloß, dessen Scheiben von der untergehenden Sonne erglühten. Leise, wie zu sich selbst, sprach sie:
»Sie kamen herab, die zwei leuchtenden Kinder, und holten mich aus der niedern Hütte hinauf, und der Knabe wurde ein Jüngling, und ich wuchs heran, und ich merkte es nicht, und wähnte, es seien noch Kinderworte, die er zu mir sprach, und lauschte ihnen, wie zur schönen seligen Kinderzeit den Feen- und Geistergeschichten! So wiegte ich mich ein, und Beide ahnten wir nicht das süße Gift, das darunter verborgen lag.«
Sich aufrichtend fuhr sie mit festerer Stimme fort: »Es war ein Traum und ich bin daraus erwacht, erwacht schon ehe ich an diesen Platz kam, Euch zu erwarten, mein Vater, mein Entschluß ist gefaßt, dort unter jenem Kreuz habe ich mein Kreuz auf mich genommen und will es tragen mein Lebenlang. Fern von hier in Oberöstreich liegt ein stilles Kloster, wo längst die Schwester meiner seligen Mutter ist, dorthin hat Vater Johannes auf meine Bitten geschrieben, und einen Zufluchtsort für mich erbeten;« ein tiefer Schmerz zuckte über des Mannes wetterbraune Züge, vermischt mit Stolz und Befriedigung, stumm drückte er das Mädchen näher an sich. – »Dorthin will ich gehen,« fuhr sie fort, sich an ihn schmiegend, »weit, weit weg von ihm, den ich um, seiner selbst willen nimmer sehen darf. Wenn er aber kommt und nach mir fragt, dann gebt ihm diesen Brief, in welchem ich Abschied von ihm nehme, sagt ihm, er solle des Kindes aus dem Försterhaus vergessen, das fortan für ihn beten wird so lang noch ein Athemzug in ihm ist, sagt ihm, von mir allein sei der Entschluß ausgegangen, nie habe seine Mutter um meine Liebe gewußt – ach sagt ihm, wiederholt ihm alles, was ja schon in dem Briefe steht, in den ich meine ganze Seele gelegt,« sie barg das Haupt an die Brust des Vaters, der zärtlich über ihre blonden Haare strich. – »Ihr, mein Vater,« fuhr sie, sich fassend fort, »könnt mich entbehren, es ist ja die Mutter da und die Kinder sind nicht mehr so klein.«
Das Gewehr war an einen Baumstamm angelehnt; die eine Hand wie segnend auf der Tochter Haupt gelegt, bedeckte sich der Förster das Gesicht mit der andern Hand, fast traurig saß der Hund vor ihnen als verstünde er alles, unverwandt von einem zum andern sehend.
»Du hast recht gethan, mein Kind,« sagte endlich, den Schmerz mannhaft bekämpfend, der Förster, »das ist die ächte Liebe.« Und stillschweigend schritten sie heim, dem Försterhause zu.