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Blumen und Kränze verwelkten und die Erwarteten kamen nicht, statt dessen kam eines Morgens ein Brief aus Dresden: er war von Therese geschrieben und hatte lange gebraucht, bis er anlangte.
Gespannt blickte Gabriele auf die Mienen der Mutter, die wie immer den Brief für sich zu lesen anfing. – »Die Aermste! sie war krank, was hat sie durchgemacht!« unterbrach die Gräfin sich selbst, »wie sehr sehnt sie sich nach Trost am Mutterherzen, nach Aufheiterung an deinem frischen Jugendmuth,« und laut weiterlesend fuhr sie fort: »Wie weise ist es von der Vorsehung eingerichtet, wenn sie uns nicht hinter den Vorhang blicken läßt, der uns die Zukunft verhüllt. Froh genießen wir so die glückliche Gegenwart, nicht ahnend, was hinter jenem Vorhang verborgen liegt. Schaudernd hätte ich vor dem Bilde zurückgebebt, hätte man es mir vor einem Jahr noch gezeigt, obwohl damals schon die Gesundheit meines Mannes mir ernste Mahnungen gab und der unselige Krieg mein Herz mit Angst und Sorgen erfüllte. Das Schlimmste habe ich nun ertragen, daß ich nicht darunter erlegen, das danke ich der göttlichen Gnade, die mir Kraft gab in den schwersten Augenblicken, als ich, eine verlassene Wittwe, einsam dastand in der belagerten Stadt, denn die meisten meiner Freunde waren geflohen, – doch du weißt ja, wie es mir ging, gelang es mir ja doch einmal, dir eine Nachricht zukommen zu lassen. Die täglichen Schrecken, die Spannung jener Zeit fanden mich ruhiger damals, als sie mich vielleicht in glücklichen Zeiten gefunden hätten; wenn uns ein großes Unglück tief am Herzen getroffen, bleiben wir stumpf gegen äußere Gefahr, es ist uns, als ob das Unglück uns nun nichts mehr anhaben könne. Meine Kinder waren bei mir und ließen in glücklicher Kinderart keine Angst aufkommen. Da kam der Tag, an dem Dresden übergeben wurde, es waren außer den Reichstruppen meine Landsleute, nun durfte ich hoffen, endlich in meine Heimath zurückkehren zu dürfen. Wie sollte ich mich täuschen! statt regulärer Truppen zogen zügellose Horden ein! wildes Geschrei ertönte von den engen Straßen der innern Stadt; von meiner Wohnung aus sah ich jenseits der Elbe täglich aus einzelnen Häusern schwarzen qualmenden Rauch emporsteigen, und eine roth züngelnde Flamme zeugte von Excessen in der Vorstadt.
»Händeringend kam eines Tages gegen Abend Sidonie mit den paar weiblichen Dienstboten, die mir über die Zeit der Belagerung geblieben waren, ins Schlafzimmer, wohin ich mich mit den Kindern zurückgezogen hatte. Kroaten seien plündernd in das benachbarte Brühl'sche Palais eingedrungen! Jammernd stürzten sie, meine Bitten, bei mir zu bleiben, nicht achtend, fort, mich mit den Kindern allein lassend; Klara und Rudolf klammerten sich schluchzend an mich, während August nichts ahnend in seiner Wiege schlief. Sidonie hatte versucht, mich zu bewegen, zu fliehen, aber wohin? und mit den Kindern? lieber wollte ich hier bleiben, unter Gottes und der Heiligen Schutz war ich überall. Kaum waren sie fort, als schwere Schläge wider das Portal dröhnten, denen dasselbe bald nachgab, Geschrei ertönte im untern Hausflur und auf dem Treppenhaus und verbreitete sich in den Gemächern; jetzt kamen sie näher – die Braven der männlichen Dienerschaft schienen überwältigt, sie hatten den Weg nun auch hierher gefunden, – meine Gedanken waren nur ein wortloses Gebet, mit dem ich an der Wiege meines Knaben niedersank. Da tönte aus der Ferne ein Militär-Marsch: reguläres Militär! immer näher tönten die Klänge, die von neuem Hoffnung auf Rettung in meine Seele träufelten – ach sie verklangen wieder – da wurde die Thüre mit einem furchtbaren Schlag aufgebrochen, was mir jetzt noch die Besinnung erhielt, das war einzig die Kraft der Mutterliebe. »Wo sind die Schätze,« erscholl es durcheinander von wilden Stimmen, »her damit, Weib, oder das Mädel ist hin. Zum Fenster hinaus mit dem Buben!« Damit riß Einer Klara aus meinen Armen und ein Anderer packte den sich sträubenden schreienden Rudolf, trug ihn gegen das Fenster, während ein zweiter mich hinter der Wiege vorzerrte, und die Andern die Kästen aufrissen, und fluchend, nichts zu finden als Kleidungsstücke und Wäsche, alles im Zimmer umherwarfen; dazwischen drang grell der Hülferuf: »Mama, Mama!« meiner Kinder an mein Ohr, und August, den die Unmenschen nicht entdeckt hatten, fing zu schreien an. Eben wollte ich mich zu den Schlüsseln schleppen, sie ihnen hinzuwerfen, als schwere klirrende Tritte sich dem Gemach näherten. War es Hülfe? war es Zuwachs zu der räuberischen Schaar?«
Die Gräfin hielt inne. »Kind,« sagte sie, Gabrielen das Papier gebend, »ich kann nicht mehr lesen, lies, wenn du kannst – meine arme Therese!«
Todtenbleich ergriff Gabriele, die auf einem Tabouret zu den Füßen der Mutter sitzend athemlos gelauscht hatte, den Brief. Mit Mühe das fieberhafte Klopfen ihres Herzens unterdrückend, fuhr sie fort: »Gefolgt von einer Anzahl Soldaten erschien eine Gestalt unter der Thür, die mir ein Engel schien, von Gott zu meiner Rettung gesandt, und eine gebieterische Stimme rief ein trotz ihrer Weichheit durchdringendes »Halt!« in das Zimmer herein. Einige stutzten, Andere waren zu betrunken, um den Offizier zu erkennen. »Hund von einem Menschen, wirst du das Kind loslassen!« rief der Offizier, und ein Hieb mit der flachen Klinge ernüchterte den Mann, ein weiterer Hieb befreite mich von dem eisernen Griff meines Peinigers und rettete Rudolf, der sich an mich hing, während Klara schluchzend in meine Arme floh, – ich hörte nur noch einige strenge Befehle; mit dem Gefühl, gerettet zu sein, meine Kinder in den Armen zu halten, war die Kraft dahin – ohnmächtig sank ich zu Boden. Als ich zu mir kam, war alles still um mich her, ich lag auf dem Bette, statt des einengenden Mieders meines Oberkleides, in einen weiten Mantel gehüllt, das Haupt, das mich schmerzte, mit einem Tuch leicht verbunden, mir zur Seite in seiner Wiege lag August, an mich angeschmiegt fest eingeschlafen der kleine Rudolf, und am Fußende meines Bettes war auf ihrem kleinen Stuhle Klara auf ihrem Wächterposten eingeschlummert; die Lampe brannte und erhellte matt das Zimmer – noch konnte ich mir nicht klar werden, was war denn geschehen? mein Kopf brannte. – Schritte wie von einem Posten tönten von draußen her: »Die Kroaten!« schrie ich, und griff nach Klara, die sogleich erwachte und sich erhebend mich unter Küssen und Thränen beruhigte, indem sie mir Wein eingab und das Tuch von meinem Kopf nahm und es in frisches Wasser eintunkte.
»Wer legte mich denn auf das Bett, wer ordnete all' dies an, was ist denn mit meinem Kopf?« frug ich überrascht, allmälig erst klar werdend.
»Das that alles der Freund von Onkel Max – Wilmos von – den Namen habe ich vergessen,« erwiederte die Kleine, und unter ihrer ruhigen Erzählung ward mir alles klar. Die schrecklichen Unholde waren gefesselt abgeführt worden und um das Haus Posten zum Schutz aufgestellt.
»Mama,« sagte Klara, »der Offizier kam mir vor wie der Erzengel Gabriel in unserer Kirche, so schön, so freundlich war er, als er zu uns trat, die wir beide schluchzend über dir lagen, denn wir glaubten, du seiest todt. Er beruhigte uns aber mit solch sanfter Stimme, daß wir gleich Vertrauen empfanden; Rudolf sanft streichelnd, legte er ihn auf das Bett und sagte ihm, recht stille zu sein, wir sollten nicht weinen, du seiest nicht todt, sondern nur ohnmächtig und habest dir beim Fallen wehe gethan. Er zeigte mir nun, wie ich dir das Tuch herumbinden solle, und suchte durch Bespritzen mit Wasser dich wieder ins Leben zurückzubringen – es half nichts, und von Neuem fingen wir an zu schluchzen und August in seiner Wiege schrie. Unschlüssig sah er sich um, und fast böse murmelte er vor sich hin: »Das feige Weibsgesindel! Das feste Kleid verhindert sie zu athmen,« damit zog er einen kleinen Dolch heraus, und dich sorgfältig aufhebend, schnitt er die Schnürbänder auf und löste sachte, was zu fest war, dann hüllte er dich in diesen Mantel und legte dich sanft auf das Bett neben Rudolf, der sich endlich beruhigte. »So, Kind,« sagte er nun zu mir, »setze dich so, daß die Mutter dich beim Erwachen gleich sieht, und wenn sie erwacht, binde ihr ein frisch eingetauchtes Tuch um den Kopf.« Inzwischen schrie August immer stärker, er nahm ihn heraus und wickelte ihn in eines der herumliegenden Tücher; ich sah zum Glück etwas Milch, die ich dem Kind gab, worauf es still wurde. »Ich muß jetzt fort,« sagte er, die Lampe noch anzündend. »Wenn deine Mama nun erwacht, so sage ihr, dein Onkel Max habe mich geschickt, ich sei sein bester Freund Wilmos von Simonitch. Sei jetzt ganz unbesorgt, die bösen Menschen sind alle fort und Wachen um das ganze Haus aufgestellt.« So Klara's Erzählung, die sie in ihrer ruhigen Art, wie Sie, liebe Mama, sie an dem elfjährigen Mädchen kennen, vortrug.
»Ich hatte nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, da ich von Müdigkeit überwältigt, wieder einschlief; als ich erwachte, war es heller Tag – reumüthig stand Sidonie mit der treulosen Kindsfrau an meinem Lager, sie waren in ein ruhiges Viertel geflüchtet und hatten dort ebenfalls Angst genug durchgemacht, bis sie bemerkten, daß die Straßen durch das reguläre Militär von dem räuberischen Gesindel gesäubert worden waren. Ich muß aber sagen, meine Liebe zu Sidonie ist nicht gestiegen durch dieses Benehmen, und nur ungern nehme ich sie mit.
»Die ausgestandenen Schrecken und ein leichtes Wundfieber in Folge der Wunde fesselten mich eine Zeit lang ans Bett und verhinderten meine Abreise, die auch ohne genügenden Schutz nicht gerathen war. Graf Wilmos kam den Tag darauf, sich von dem vollständigen Gelingen seines Rettungswerkes zu überzeugen. Mit einem fast weiblichen Zartgefühl den Antheil daran überspringend, der mir das Blut in die Wangen trieb, erzählte er mir, welcher Schrecken sie alle erfaßt, als sie beim Einmarsch von der Zügellosigkeit der Kroaten gehört. Max, der das Regiment in Abwesenheit des verwundeten Obersten kommandirt, habe ihn sogleich zum Schutze dieser Stadttheile detachirt. Bald darauf kam Max! es war die erste Freude seit dem Tode meines Mannes. Unter seinem Schutze bleibe ich hier, bis es ihm möglich sein wird, mir eine genügende Eskorte mitzugeben – es heißt, das Regiment soll wieder nach Oestreichisch-Schlesien beordert werden.«
»Dann sehen wir sie wieder hier,« jubelte Gabriele, den Brief der Mutter zurückgebend. Noch konnte die Gräfin keine Worte finden. Welch' furchtbarem Geschick waren ihre Kinder wie durch ein Wunder entronnen! Wieder war es derselbe Wilmos, den die Vorsehung ihnen zugesandt. Wer hatte in diesen Jüngling eine solche fast weibliche Weichheit, solch' feines Zartgefühl gelegt, vermischt mit mehr als gewöhnlichem Muth? Der strenge, rauhe Vater war es nicht, der ihn offenbar von seinem Herzen verstoßen, so war es wohl die Mutter gewesen, deren er ein paar Mal als einer kränklichen schwachen Frau erwähnt hatte.
»Mama,« sagte Gabriele, das Köpfchen, das sinnend in ihren Händen geruht hatte, erhebend, indessen ihre Mutter gedankenvoll in den Brief geschaut, »wieder war es Wilmos, der gleich einem Engel des Lichtes helfend von Gott gesandt wurde – könnten wir doch zum Dank Licht und Freude in die Nacht seines Herzens senken!«
»Laß uns Gott bitten, mein Kind,« entgegnete die Gräfin, »ihm zu lohnen für das, was er uns und so manchen andern Bedrängten gethan. Ist es eine Schuld, die durch eine unüberlegte Jugendthorheit sein Leben vergiftet hat, so möge Gott sie ihm vergeben und ihm das Herz seines Vaters wieder zuwenden!«