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Achtzehntes Kapitel.

Es war endlich niedergefallen das Schwert, das so lange über Paula's Haupt gehangen! Sidonie hatte die freche Betrügerin entlarvt, wie sie es verdiente. Ihr Kopf brannte, ihre Pulse hämmerten und doch galt es noch, ehe sie that, was sie längst hätte thun sollen, fliehen – der edlen Fürstin und Max ein reines Bekenntniß abzulegen – Beiden war sie es schuldig. – Sie kniete nieder vor dem Bilde des Erlösers, das traurig und mild auf sie herabsah und betete um Kraft zu dem Werk. Endlich wollte sie die Larve der Lüge abreißen und die Wahrheit reden. Sie that es in beiden Briefen mit wenigen Worten, ohne Beschönigung ihrer Handlungsweise, ohne ihrer Eltern, ihres Bruders zu erwähnen; als einzigen Grund ihrer Handlungsweise ihre Furcht vor dem Kloster darstellen. Ihren Namen verschwieg sie, wer sie war, sollte begraben bleiben in dem Busen der Wenigen, denen der Zufall, wenn es überhaupt einen Zufall gab, es verkündet. Die beiden Briefe waren gesiegelt und adressirt; die eingeschlossene Luft im Zimmer lastete auf ihr, sie mußte hinaus, Luft schöpfen, hinaus in die Stille des Waldes, alles war fort, sie hatte sich entschuldigen lassen, mit einer Lüge, hoffentlich die letzte ihres Lebens! so ging sie aus dem Hause, mechanisch kam sie an den brausenden Fluß. Die wilde Romantik der Gegend zog sie unbewußt an; an einen Stamm gelehnt, der sich weit auf einen Felsen herüberbog, sah sie hinab in die schäumende Fluth. O daß sie es hätte abwaschen können da unten, das Brandmal der Lüge, das auf ihrer Stirne brannte, den Fluch der ihres Lebens Ruhe genommen. Da unten in diesen tosenden Gewässern wäre Ruhe! ... Sie bog sich weit vor in das schäumende Element. Wie die Wellen da unten durch einander strömten, eine die andere verjagend, so stürmten die Gedanken in ihrem brennenden Haupte, lockende Stimmen tönten herauf: »komm herab, bei uns ist Ruhe!« Wenn Gott der Vater aller Menschen ist, darf nicht ein armes Menschenkind einmal früher kommen, als Er es ruft? ... aber hatte sie diese Strafe nicht verdient? kann ein Vater sein ungehorsames Kind bei sich aufnehmen, das sich widerspenstig und feig der gerechten Strafe entzieht? Reumüthig trat sie zurück und sank in die Knie.

»Paula!« ertönte da plötzlich zwischen das donnernde Brausen eine Stimme an ihr Ohr. Sie blickte auf, todtenbleich stand Max vor ihr; ihr Gesicht mit den Händen bedeckend, wandte sie sich zu fliehen. – Er hielt sie zurück. »Paula,« sagte er, »ich mußte Sie noch einmal sprechen – sagen Sie mir, daß ich geträumt habe, daß ich noch träume, sagen Sie mir, daß dieser Brief eine Täuschung meiner Sinne ist?«

»Er ist es nicht, Max, alles, alles ist wahr!« flüsterte sie. Er vermochte nicht gleich zu reden, die Arme über der Brust gekreuzt, stand er vor ihr.

»So log mir auch Vater Johannes,« begann er endlich mit gepreßter Stimme, »ja, die Mutter, die Mutter selbst, als sie mich an Wilmos' Grabe führten.«

»Sie logen nicht, Max,« entgegnete Paula, »unter jenem Grabe ruht der wahre Wilmos Simonitch jener junge Priester, den du von dem Flammentod errettetest.«

»Wer, wer denn aber war mein Wilmos, wer endlich bist du, stieß er mühsam hervor.

» Dein Wilmos war ein Mädchen,« versetzte Paula, »ein thörichtes Kind, das durch einen unüberlegten Schritt sich in einen Abgrund des Elends und der Lüge stürzte. Wer sie war, frage nicht, ihr Name ist für immer von der Liste der Lebenden gestrichen.« Sie sank in die Knie, unfähig, sich aufrecht zu erhalten, und bedeckte das Antlitz mit den Händen.

»Wie konnte meine Mutter mich den Freund beweinen lassen!« grollte es dumpf in Max.

»Sie that es um meinetwillen, er war ja auch todt für dich! »sagte sich erhebend Paula, »Gott lohne ihr, was sie an mir gethan, ach, hätte ich die verborgene Heimat, die ihre mütterliche Vorsorge mir angewiesen, nie verlassen! Ich sah dich wieder – du erkanntest mich nicht und statt zu fliehen, blieb ich, denn, Max, ich liebte dich – liebte dich schon damals unbewußt, o daß ich für dich hätte sterben dürfen, ehe der Augenblick kam, da du mich verachten mußtest!«

»Noch immer bin ich wie im Traume« sagte Max und blickte ernst und sinnend auf sie, die sich auf einen Felsen stützte, um nicht zu sinken, »es wirbelt mir im Kopf und Bilder der Vergangenheit ziehen an mir vorüber. Ich gedenke einzelner Züge von Weichheit, gedenke deines einsamen träumerischen Wesens – gedenke endlich des Tones, mit dem du getroffen sankest und riefest: »Max, ich sterbe für dich« und begreife nicht, daß ich so verblendet sein konnte. – Was ich für Freundschaft hielt, war unbewußte Liebe, die Aehnlichkeit mit dem jugendlichen schwärmerischen Jüngling, der mir Freund wurde, machte dich für mich zum Ideal, das ich mir geschaffen.«

»Paula,« fuhr er, sie leidenschaftlich betrachtend fort, indem er eine ihrer Hände erfaßte, »meinst du, daß aus solcher Liebe so schnell Verachtung wird? – Ich weiß nicht, wer du bist, seltsames, räthselhaftes Mädchen, ich weiß nur, daß ich dich liebe, wie ich nie geliebt, daß ich nicht mehr von dir lassen kann!« Er umschlang sie mit diesen Worten und preßte sie heftig an sich.

Konnten die Wasser da drunten sich nicht brausend aufthürmen und sie Beide verschlingen? Einen Augenblick vergaß Paula alles um sich her – sie hörte nur dies eine Wort, sie sah nur ihn – aber nur einen Augenblick war es. Sie entwand sich seiner Umarmung.

»Max,« sagte sie mit mehr Festigkeit in der Stimme, als bisher, »das Bewußtsein, nicht verachtet zu sein von dir, wird der helle Punkt sein auf meinem dunklen Lebensweg. – Behalte den Freund im Herzen, aber vergiß das arme Mädchen, das deine Worte nicht hören darf. Lebe wohl für immer!« sie wandte sich zu gehen.

Er hielt sie zurück: »Paula,« rief er, »soll ich zum zweiten Mal in meinem Leben lieben, nicht mehr mit dem Ungestüm des Jünglings, sondern mit der unvergänglichen Gluth des reiferen Mannes, um zum zweiten Mal zu entsagen? den jungen Trieb reißt man heraus – hat aber der Baum schon Wurzel gefaßt, so bleibt er fest.«

»Max,« bat sie mit dem eignen Zauber ihrer Stimme, »wir müssen scheiden. Du durftest die Niedriggeborne nicht einführen in die Hallen deiner Väter, du darfst noch weniger eine Namenlose bringen, auf der der Fluch eines beleidigten Vaters liegt.«

Namenlos! – verflucht! – Wie eine Eisrinde lagerten sich diese Worte um sein Herz und preßten es ein.

»Soll denn immer eine Scheidewand sich aufthürmen zwischen mich und mein Glück?« sagte er düster.

»Das Leben liegt sonnig und hell vor dir, Max,« sagte Paula sanft, »die Liebe und der Segen einer Mutter begleitet es, und wird die Sonne, wenn sie sich auch für kurze Zeit hinter Wolken verborgen hat, wieder hell aufleuchten lassen. Laß mich zurück in meine Verborgenheit, die ich nie hätte verlassen sollen.«

»Ich weiche,« sagte endlich Max, »aber nicht für immer sage ich Lebewohl – ich werde dich zu finden wissen und verbärgest du dich am Ende der Welt!« Noch einmal preßte er sie an sich und verließ sie. Sie sah ihm nach – jetzt bog er um die Ecke, er war verschwunden!– es wurde ihr dunkel vor den Augen, die Kniee zitterten und kraftlos brach sie zusammen.

Die Dämmerung warf schon ihre tiefen Schatten auf Fluß und Wald, als sie in ihrem Zimmer ankam – da saß mit dem für sie bestimmten Brief in der Hand die Fürstin. – Keines Wortes fähig, stürzte Paula zu ihren Füßen nieder, ihr Haupt in deren Schooß bergend.

»Ich habe dich hier erwartet, mein Kind,« sagte sie mit zitternder Stimme, »daß du mir nicht unversehens entfliehest.«

»Vergeben Sie, daß ich je kam,« hauchte kaum hörbar Paula.

»Was hätte ich dir zu vergeben,« entgegnete die Fürstin, »war ich es nicht, die dich aus der stillen Verborgenheit deines Waldes lockte?« Sie sah lange ernst in das Antlitz des knieenden Mädchens und strich die dunkeln Locken zurück, »Paula,« fuhr sie fort, »ich schloß dich in mein Herz, ich glaube an dich, was Sidonie, was dein Brief, in dem du dich selbst so hart anklagst, mir sagen mag, ein thörichter Trotzkopf magst du gewesen sein, doch Schuld, Schuld steht nicht geschrieben auf dieser Stirne. – Wie du fieberst, deine Hände sind glühend heiß, deine Stirne brennt und doch willst du fort?«

»Ich muß,« entgegnete Paula sich erhebend, »noch diese Nacht will ich den Postwagen in S... erreichen; fügen Sie, theure Fürstin, zu aller Ihrer Güte und Liebe noch die Wohlthat, mich dorthin führen zu lassen, so haben Sie meine letzte Bitte erfüllt.« –

Seit Jahren war es nicht vorgekommen, daß die Fürstin so spät ihr Lager aufsuchte, sie erschien auch des andern Tags nicht wie sonst beim Frühstück, wo heute statt des alten Wenzels einer der Lakeien Sidonie bediente.

»Fräulein Paula,« berichtete Amalie unten im Zimmer der Dienerschaft, »hatte Nachrichten erhalten, die sie dringend abriefen, und Musjö Wenzel den Befehl bekommen, sie eine Strecke Weges zu begleiten.«

Nach dem Frühstück ward Sidonie in das Zimmer ihrer Tante berufen, die heute ungewöhnlich ernst aussah.

»Sidonie,« begann dieselbe, nachdem die Eintretende mit tiefer Verbeugung ihr die Hand geküßt »was du gestern enthüllt, hat seine Früchte getragen, das Mädchen, das du für eine Betrügerin hältst, ist fort, freiwillig fort aus dem Hause, doch nicht aus meinem Herzen; du handeltest, wie du es für richtig hieltest, daß du einer alten Frau damit ihre letzten Tage trübtest, das bringe ich nicht in Betracht, du konntest eben nicht anders und ich will nicht darüber urtheilen, ebenso wenig will ich untersuchen, wie du auf Schloß Falkenburg das entdecktest, was Gräfin Gisela in Geheimniß gehüllt wissen wollte.«

Mit unsicherer Stimme und erröthenden Wangen wollte Sidonie eine Entschuldigung hervorbringen, die Fürstin schnitt ihre Worte und Betheuerungen scharf ab.

»Nicht um deine Gründe und Entschuldigungen zu hören, ließ ich dich rufen,« sagte sie, an ihren Schreibtisch gehend und daraus einen großen Brief hervornehmend, »sieh hier, das ist mein Testament, ein Legat ist darin für dich ausgesetzt, das dich vollkommen unabhängig, ja reich macht, wenn ich die Augen schließe, sollte aber – und nun höre gut auf – sollte je ein Wort, auch nur andeutungsweise, mir zu Ohren kommen, daß das Geringste von dem, was du in allzugroßer Fürsorge enthüllt, hinausgedrungen in die Welt, so bist du mit einem Federstrich enterbt, und sollte ich ihn noch mit sterbender Hand thun.« Sie verschloß die wichtige Schrift, an der Sidonie mit gierigen Augen hing (doch nur so lange die gefürchtete Tante nicht hersah). Sobald dieselbe sich umwandte, küßte sie ihr die Hand und bat weinend um Verzeihung, wenn sie etwas gethan, was die allergnädigste Tante betrübt, dabei einen heiligen Eid schwörend, zu schweigen wie das Grab.

Ihre Hoffnungen, Max noch einmal zu sehen, wurden getäuscht. Der junge schöne General kam noch einmal, um sich von der Fürstin zu verabschieden, und war für Niemand anders sichtbar. Hinter den Gardinen ihres Zimmers sah sie ihn wegreiten, es war an einem kalten regnerischen Vormittag, bleicher und ernster, als sie ihn je gesehen, hüllte er sich in seinen Mantel.

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