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Das Bild unserer Aeltermutter ist vollendet, wie es sich aus den vielen Tagebüchern und Briefen vor meinen Augen entrollt. Durch Stürme und Kämpfe hat es sich herausgearbeitet zu dem Ideal edler Weiblichkeit, vermischt mit männlicher Willensstärke, das auch aus den vielen gesammelten Briefen späterer Zeit hervorleuchtet. Jeder einzelne gibt uns einen Einblick in ein Glück, auf das selbst der bald darauf erfolgte Tod der Gräfin Gisela keinen dauernden Schatten zu werfen vermochte.
Ueber die Schenkungsurkunde fand ich nirgends eine Andeutung, es scheint, die Kaiserin fertigte sie aus für den Fall, daß das Geheimniß an den Tag kommen und die Erbschaft angetastet werden könne. Ebenso forschte ich lange vergebens nach einem Schriftstück, aus dem ich die Zeit und Ursache von Paula's frühem Tode ersehen hätte, der nach allem dem ihres Gatten um geraume Zeit vorangegangen sein muß. Da fand ich, als ich schon längst fertig war, kurz vor meiner Abreise, noch zwischen andern Schriftstücken ein Heft, dessen erste Seiten von der Hand des Grafen Max beschrieben, mir den Beweis gaben, daß er die Absicht gehabt, die Geschichte seiner Gemahlin selbst zu schreiben. Es war vom Jahre 1786 datirt, also zwanzig Jahre nach seiner Vermählung, und lautete:
»Heute sind es zwanzig Jahre her, daß wir vereinigt wurden! dieselbe schöne Frühlingssonne scheint auf Wald und Flur, die Vögel singen wie damals ihr Frühlingslied in die Luft hinaus! Ich aber bin allein! allein schon seit zehn Jahren und doch scheint es mir erst gestern, daß du noch lebtest, mein schönes Weib! allein mit deinem Bild und meinem Schmerz! das höchste irdische Glück habe ich genossen, darf ich mit dem Schicksal rechten, daß es ein kurzer Traum war? –
Zehn Jahre des seligsten Glückes, das Menschen hienieden genießen können, waren uns beschieden, da kam wie ein schwerer, alles vernichtender Gewittersturm die gräßliche Epidemie über unsere Gegend. Der Vater, unsere Kinder, die Familien, die zum Gut gehörten, wurden davon ergriffen – der Vater und unser rosiges kleines Mädchen fielen ihr zum Opfer! Unermüdlich, den ungeheuren Schmerz um Kind und Vater bezwingend, ging Paula pflegend von Einem zum Andern und sorgte mit weiser Umsicht für die Armen, daß die Krankheit nicht um sich greife, ich war auf einer Dienstreise; um mich nicht in die vergiftete Luft zurückzurufen, schrieb sie mir nicht – unsere Söhne wurden gerettet, der Sturm schien vorüber, da wurde sie selbst ergriffen. Als ich zurückkam in jener furchtbaren Nacht, vom 12. Nov. 1776 war es nur, um die letzten Abschiedsworte aus ihrem sterbenden Munde zu hören ... der Morgen traf an ihrer Leiche einen alten Mann mit weißen Haaren ...
Noch einige Jahre versuchte ich in dem Dienste meiner Kaiserin an dem Orte zu leben, wo mich alles an das verlorne Glück erinnerte. Madame Beaumont, die treue Seele, sorgte für die Kinder – als aber auch sie starb und die Söhne in das Stift mußten, das unserer erhabnen Herrin Namen trägt, da litt mich's nicht länger. In der alten Jugendheimat wollte ich mein Leben beschließen, in dem Zimmer meiner guten Mutter, in den Räumen, wo du, meine Einziggeliebte, wieder zum Leben erwachtest. Hier umschweben mich die Geister meiner Lieben. Hier besuchen mich meine Söhne, die einzige Freude meines Lebens. Wilmos, der Aelteste, ist ihr Ebenbild, er hat ihre dunkeln Augen mit dem weichen und träumerischen Ausdruck, den sie einst hatte – sie hätte eine Freude an den zwei stolzen kräftigen Knaben gehabt!
Hier will ich die Erinnerungen alle sammeln, niemand außer mir und Janos weiß mehr unser Geheimniß. Steige herab, du schönes Bild, aus deinem Rahmen, wir sind allein in meines Schlosses Heiligthum, wo Janos alle Reliquien gesammelt und aufbewahrt hat, niemand stört uns hier, ganz allein, fühle ich deine Nähe du theurer Schatten, er gibt mir Kraft zu leben und in deinem Sinne, unsere Söhne zu Männern zu erziehen, würdig ihrer Mutter. Dazu helfe mir Gott und die heilige Jungfrau!
Meine Aufgabe ist längst vollbracht, dies Manuskript übergeben und ich bin wieder daheim in meinem Stift, nachdem ich mich nur schwer von den Kindern losgerissen. Erst kürzlich erhielt ich einen Brief von Max, in welchem er unter Anderm schreibt: »Das Thurmzimmer ist nun das Familienarchiv, wo dein Manuskript gut aufbewahrt wird, das Zimmer selbst jedoch ist noch immer ein verschlossenes Heiligthum, zu dem nur ich den Schlüssel besitze. Der Gang aber ist geöffnet, ebenso das kleine Ausfallspförtchen und die Verbindung mit der Küche, Ernestine hat noch immer eine leise Scheu vor dem Gang und leidet nicht, daß das Bild über der Thüre berührt werde. Dagegen hängt das Porträt der Urgroßmutter nun endlich an seinem rechten Platz neben dem alten Max von Falkenstein und so oft wir in das schöne Gesicht, in die dunkeln Augen blicken, gedenken wir der lieben Tante, die uns erst mit ihr vertraut gemacht hat.«