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Am gleichen Nachmittag war Frau von Meins mit ihrer immer noch unverheirateten Tochter zum Tee bei der Generalin von Lindstedt eingeladen, einer kinderlosen, rundlichen Dame, mit säuselnder Stimme und feierlichen Hofmanieren, die ihre zahlreichen Mußestunden in den Dienst des Glaubens gestellt hatte. Auch Briegs Nachbarin bei der gestrigen Theatervorstellung, eine fromme Hofrätin, war zu dieser religiös gestimmten Zusammenkunft erschienen. Es war eine geschmacklos eingerichtete Plunderstube, in der sie saßen; auf den altmodischen Fauteuils waren kleine gehäkelte Schutzdeckchen befestigt, und an den Wänden hingen allerhand gestickte Bibelsprüche sowie ein süßlicher Plockhorst, »Christus als Pilger«.
Die Damen gehörten zu den Sittenrichterinnen, welche die Tugend lieben, weil das Laster sie flieht; die dürre Frau von Meins hatte es gar nicht nötig, ihre Röcke fortwährend moralisch zurecht zu zupfen, denn der Einblick in ihre Dessous hätte niemanden verführt, und ebensowenig bestechend war die behaarte Warze auf der rechten Backe der Hofrätin und ihr lächerliches, unter dem Kinn mit ein paar braunen Sammetschleifen zusammengehaltenes Hütchen, das sie soeben ablegte. Selbst Fräulein von Meins, eine ältere junge Dame, hatte schon ganz das harte und knochige Gesicht ihrer Mutter.
Nach dem plämperigen Tee zogen die Damen aus ihren Pompadours wollene Strickstrümpfe für arme Negerkinder, und während die Nadeln klapperten, standen die Zungen nicht still. Das Thema war freilich traurig. Eine Freundin dieses frommen Vereins war von dem Allmächtigen abberufen worden in die ewige Heimat. Dies stand nach ihrem gottseligen Wandel ganz außer Zweifel und die Heiligkeit senkte sich bereits auf ihr letztes Erdenwallen herab. Die letzten Bissen, die sie zu sich genommen, die letzten Worte, die sie gelallt hatte, so belanglos ihr irdischer Sinn schien, waren etwas, das schon dem Himmel angehörte; und ihre tippelige Pedanterie, die früher selbst ihren besten Freundinnen eine Qual gewesen war, erschien jetzt nach ihrem Ableben als eine große und schwere Tugend.
»Ja, das Leben ist schwer,« nickte die dicke Hofrätin, indem sie sich mit ihrer Stricknadel im Kopfhaar kratzte. Dann begannen die Hände wieder mit ihrer gottseligen Arbeit.
»Sieh mal, Mama, wie weit ich schon bin,« schlug Fräulein von Meins einen leichteren Ton an, und allmählich lenkte das Gespräch in andere Bahnen. Man begann zu klatschen, wenn immer auch mit dem gleichen gottergebenen Gesicht, so doch mit mehr innerer Freude als beim Gedanken an den Tod. Ja, die Unterhaltung wurde sogar sehr lebhaft, als der Fall Brieg aufs Tapet kam.
Frau von Meins war als »entfernte Verwandte« von Frau von Carsten, als die sie sich hinstellte, höchst zornig über ihr Benehmen und beschloß, mit ihrer Tochter bald aufzubrechen und der Sünderin sofort die Leviten zu lesen. Sie vollendete nur noch die angefangene Reihe, stopfte die Socke dann heftig in ihren Beutel und brach auf. Die Generalin von Lindstedt bedauerte süßlich ihr Fortgehen; da aber auch die Hofrätin ihr Knäuel einpackte und gehen wollte, schloß sie sich in christlicher Nächstenliebe an und begleitete die Baronin.
Frau von Carsten hatte an diesem Nachmittag den kleinen Adolf auf die Bahn gebracht und dann ein paar Besorgungen gemacht; als die Damen gemeldet wurden, mußte Frau Hüppe sie annehmen.
»Wie reizend, daß Sie uns einmal besuchen, Frau Baronin,« lächelte sie süß. »Frau von Carsten wird wohl gleich nach Haus kommen, sie ist ausgegangen.«
»So,« brummte Frau von Meins, nachdem sie es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte, »wohl schon wieder eine Promenade im Fürstenpark?«
»Mein Gott, ist denn das auch schon wieder herumgekommen,« himmelte Frau Hüppe. »Es ist ja zu schrecklich, sich so zu kompromittieren.«
»Um das zu verhüten, kommen wir eben her,« erklärte die Baronin und legte ihre gerillte Stirn zu schweren Falten. »Der Anna muß mal wieder der Kopf zurecht gesetzt werden. Das Unglück scheint sie leider noch nicht kuriert zu haben von ihrem sträflichen Leichtsinn,« mummelte sie mit ihren zahnlosen Kiefern.
Frau von Meins hatte in ihrer eigenen Ehe erfahren, wohin Leichtsinn führen kann. Den, welchen sie an ihrem Gatten erfahren hatte, hielt sie für einen Familienzug der Meins und darum fühlte sie sich verpflichtet, ihre Nichte vor dem gleichen Verhängnis zu bewahren, wie ihren Mann. Zum Glück war dieser ja nun an den Krankenstuhl gefesselt und sozusagen unschädlich gemacht, – zum Lohn für seine Sünden, wie sie fest glaubte. Gerade der unverbesserliche Leichtsinn ihres Mannes hatte ihr eine asketische Lebensauffassung gegeben und ihr Christentum war ehrlich und ohne Heuchelei; es lehrte sie die Freuden dieser Welt verachten und pünktlich ihre Hypothekenschulden zahlen, statt ihr Geld in Brillanten, Sekt und Spiel auszugeben; und wenn sie jedes Jahr auch immer noch ein kleines Tanzfest gab – dieses Jahr im Sommer, weil Herr von Meins im Winter zu krank war, – so geschah dies mehr um des guten Namens willen und ihrer noch unverheirateten Tochter wegen, die sie schließlich doch noch an den Mann zu bringen hoffte, als aus einem inneren Bedürfnis nach Saus und Braus. Sie sah die Freuden dieser Welt von oben herab mit überlegenem Lächeln an, und deshalb hatte sie auch so wenig Mitleid mit ihrer schmählich um ihr Erbteil gebrachten Nichte. Hätte sie selbst die Klitsche ihres Gatten nicht immer wieder aus eigenem Vermögen herausgelöst, so hätte Frau von Carsten ja auch noch für die auf das Gut eingetragenen Schulden ihrer Mutter aufkommen müssen, während sie jetzt nur nichts herausgezahlt bekam. Nein, es war ganz gut, daß es ihr nicht besser ging; ihr ererbter, kindischer Stolz war durch ihr Unglück schon etwas gedemütigt worden. »Aber sie muß die strafende Hand Gottes noch lieben lernen; das Unglück allein genügt nicht; es muß auch zu Gott führen,« sagte sie mit säuerlich zusammengeschrumpfter Miene. Dann entspannte sie ihr trockenes Gesichtsfleisch wieder und es hing in schlaffen Faltenzügen von den Backenknochen herab.
»Was ist denn das für ein Bild!« meckerte plötzlich ihre Tochter im Hintergrunde und alles drehte sich um. Fräulein von Meins suchte eben mit dem Lorgnon Frau von Carstens Schreibtisch ab. »Ein Leutnant auf ihrem Schreibtisch!« fuhr das ältliche Fräulein fort. »Ist das nicht Brieg? Sie hätte wenigstens den Kindern gegenüber soviel Schamgefühl haben sollen, das Ding nicht so frech aufzustellen. Also hat sie glücklich zwei Liebhaber. ... In ihrer letzten Garnison soll sie's ja auch schon so getrieben haben.«
»Ja,« nickte die Generalin salbungsvoll, indem sie das Bild mit ihren dicken Kalbsaugen betrachtete, »es ist traurig: ein so notorischer Trunkenbold wie dieser Brieg! Man hört ja die schrecklichsten Sachen über sein wüstes Leben! Aber suchen wir sie von ihm abzubringen, bessern wir sie und beten wir zu Gott, daß er ihren sündigen Wandel zum guten kehre.«
»Aber zwei Liebhaber, Frau Generalin,« wandte Fräulein von Meins ein, »das ist doch zu viel des Guten. Und dazu noch ein Hauptmann, ein heiratsfähiger Mann!« Sie konnte es keinem vergessen, daß ihre jüngere Schwester vor ihr geheiratet hatte.
»Welcher Hauptmann?« fragte Frau Hüppe neugierig.
»Nun, der Hauptmann Althoff, kennen Sie den Herrn nicht?« fragte Fräulein von Meins spitzig und warf ihr mit ihrem Lorgnon einen strafenden Blick zu. In solchen Augenblicken glich sie schon ganz der Mutter.
Frau Hüppes Wangen erglühten. »Allerdings kenne ich ihn, gnädiges Fräulein,« entgegnete sie verschämt. »Aber der Hauptmann Althoff ist ein viel zu edler Mann ...«
»Ei, ei, Sie erröten ja,« drohte die Generalin schalkhaft mit dem Finger. Wenn sie lachte, hatte sie eine tiefe Stimme, wie ein alter Ziegenbock.
»Ich hab' auch ein Recht dazu, Frau Generalin,« erwiderte die Angeredete und senkte die Augen. »Denn ich lieb' ihn und werd' ihn heiraten.«
»Ei sieh mal an. – Das ist ja nett. – Gratuliere herzlich! – hätte das gar nicht gedacht!« riefen alle drei Damen durcheinander und schüttelten ihr bewegt die Hände. »Das ist ja reizend für Sie, endlich aus diesen Verhältnissen herauszukommen,« wiederholte die Generalin.
»Ich bin selig, Frau Generalin,« seufzte Frau Hüppe und schlug die Augen auf. »Er ist solch ein Edelstein, solch eine Perle und wir passen beide so gut zusammen ...« »Es ist mir lieb, das zu hören,« bestätigte die Baronin. »In der Stadt sprach man schon von ihm und meiner Nichte. Natürlich wunderte es uns da, als wir hörten, sie gäbe sich auch mit Brieg Rendezvous.«
Frau Hüppe wollte wieder himmeln, als Fräulein von Meins mit giftigem Tonfall rief: »Da kommt sie ja, die liebe Frau.«
Frau von Carsten las dieser heiligen Feme ihre Absicht gleich von der Stirne ab. Aus anderen Gründen besuchte ihre Tante sie schon lange nicht mehr. Im Grunde boste sie dies moralische Gehabe, wo nicht allein die christliche Nächstenliebe, sondern schon die irdische Gerechtigkeit es ihr zur Pflicht gemacht hätte, sie mit etwas anderem als mit Moralsprüchen abzuspeisen. Aber sie wußte, daß selbst die Almosen ihrer Tante unzertrennlich waren von solchen Demütigungen, und sie hoffte insbesondere jetzt auf das Almosen, daß sie eines ihrer Kinder für einige Zeit zu sich nehmen würde. Sie zwang sich also zur Freundlichkeit. »Das sind ja mal wieder nette Geschichten, die über dich kursieren,« begann die Baronin streng, während Frau Hüppe sich an ihrem betretenen Schweigen weidete. »Immer junge Offiziere im Haus ...«
»Du hast mir früher sogar den Rat gegeben, ich sollte hier Zimmer an Assessoren und Offiziere vermieten,« rechtfertigte sich Frau von Carsten ruhig. »Ich sagte damals noch, ich wollte lieber eine Pension anfangen, denn es wäre mir zu schmerzlich, von Leuten, mit denen ich früher vielleicht getanzt hätte, Geld anzunehmen.«
»Das mag auf sich beruhen,« fuhr die Baronin unwirsch fort. »Jedenfalls handelt es sich noch um etwas andres, aus dem du dich nicht so leicht wirst herausreden können. Zum Beispiel warst du gestern in einem weißen Kleid im Theater und bist im Zwischenakt sogar herausgegangen, und zwar mit einem jungen Herrn, mit dem du schon tags zuvor ein Rendezvous im einsamen Fürstenpark hattest. Alle Welt ist schokiert über dein Benehmen. Wenn du dir wenigstens noch ein einfaches Kleid angezogen hättest,« sagte sie mit einem Blick auf ihre altmodische schwarze Robe. »Ich weiß überhaupt nicht, wozu du noch solchen Luxus treibst. Für dich wäre doch wahrlich die Zeit gekommen, dich unauffällig zu kleiden, statt die hübsche junge Frau zu spielen ...«
»Rendezvous?« unterbrach sie Frau von Carsten. »Ich bin mit Herrn von Brieg, dessen Vater hier bei mir wohnt, durch die ganze Stadt gegangen und dann erst in den Park.«
»Mit deinen Engländern und Amerikanern magst du das ja tun,« fuhr die Baronin erregt fort. »Das kann immer noch als Geschäftspflicht oder so etwas angesehen werden, obwohl sich längst die ganze Stadt darüber aufhält, aber unter welchem Deckmantel du mit einem jungen Ulanenoffizier herumspazierst, noch dazu einem so anrüchigen, wie diesem Brieg, weiß ich wirklich nicht.«
»Unter gar keinem,« entgegnete Frau von Carsten, einen Augenblick alle guten Vorsätze vergessend. »Die Deckmäntel überlasse ich andern Leuten.«
Diese Worte platzten wie eine Bombe unter die Damen. Fräulein von Meins erhob ihr Lorgnon und Frau Hüppe begleitete diese Bewegung mit gut geheucheltem Entsetzen. Die Baronin saß mit offenem Munde da, so daß man ihre zwei gelben Raffzähne in dem welken Zahnfleisch erblickte. Trotzdem fand sie zuerst die Worte wieder.
»Du solltest lieber daran denken, dir einen Mann zu suchen, der dich auskömmlich ernähren kann,« sagte sie, »statt solche Theorien in die Praxis umzusetzen. Wozu hast du dich überhaupt scheiden lassen? Was Gott zusammentut, das soll der Mensch nicht scheiden, sagt der Apostel Paulus. Ich habe auch manches Schwere durchgemacht in meiner Ehe und bin meinem Gatten doch nicht weggelaufen, obwohl ich Geld genug hatte, allein zu leben oder zehn andre zu heiraten.«
»Also verlangst du, ich sollte mich von diesem Menschen zu Tode martern lassen?« fuhr Frau van Carsten auf. »Nennst du das vielleicht christliche Nächstenliebe oder verwandtschaftliche Rücksicht, mich in diesen Höllenpfuhl zurückzudrängen ...«
»Verwandtschaftliche Rücksicht,« nahm die Baronin das Wort auf, ihre schlaffen Hängebacken runzelnd. »Nennst du das etwa verwandtschaftliche Rücksicht, wenn du uns durch deine Extravaganzen kompromittierst? Freilich, wo es am Nötigsten fehlt, wie bei dir, wo du nie in die Kirche gehst ...«
»Was soll mir das Kirchengehen in meiner Lage wohl nutzen,« unterbrach Frau von Carsten sie bitter.
»Aber in die Oper kannst du laufen, nicht wahr?« gab die Tante höhnisch heraus. »Und in skandalösen modernen Stücken kannst du dir mit jungen Herren an den Kraftstellen Blicke zuwerfen? Glaub' nur nicht, ich erführe das nicht. Ich habe meine sicheren Quellen, wo ich mehr erfahre, als dir lieb ist.«
»Ich gehe auch jeden Sonntag in die Kirche, trotzdem ich mir da jedesmal eine Erkältung hole,« fiel die Generalin in mildem Ton ein. »Und unsre alte selige Freundin, die Majorin Lauchhammer, war eine ebenso fleißige Kirchgängerin, obwohl sie kaum mehr gehen konnte und völlig taub war. Hören Sie nur getreulich Gottes Wort; das Christentum ist der Regulator des Lebens, meine liebe gnädige Frau! Lassen Sie sich das von einer alten Dame sagen, die viel durchgemacht hat,« seufzte sie, ihre Hand zuredend auf Frau von Carstens Arm legend, »Wo Unglück oder heftige Triebe vorhanden sind, tröstet und läutert es. Wollen Sie nicht mal den Pfarrer Ismael von der Parochialkirche besuchen; er ist ein so trefflicher Seelsorger und wird Ihnen gewiß wieder auf den rechten Weg verhelfen.«
»Was soll mir ein Pfarrer wohl nutzen, Frau Generalin, wo ich von heute auf morgen nicht weiß, wie ich leben soll?« sagte Frau von Carsten kopfschüttelnd. »Begreifen Sie denn meine Lage gar nicht?«
»Und wenn Sie morgen sterben; was tut das?« entgegnete die Generalin mit gottseligem Lächeln, indem sie die Hände über ihrem rundlichen Leib faltete. »Die Hauptsache ist doch vor Gott eine gerechte Seele.«
»Du willst eben nicht hören in deinem strafwürdigen Leichtsinn!« fuhr die Baronin dazwischen. »Deine Ohren sind taub. Du wirst nicht eher zur Einsicht kommen, als bis es zu spät ist ...«
»Aber Frau Baronin, christliche Milde,« begütigte die Generalin, »und auch Sie, gnädige Frau,« setzte sie hinzu, ihre Hand wieder auf Frau von Carstens Arm legend; aber diese hörte nicht auf ihre Worte.
»Liebe Tante,« sagte sie in plötzlichem Entschluß, »du brauchst dich über mich nicht mehr aufzuregen. Ich habe mich entschlossen, in eine größere Stadt zu gehen, wo die Leute mehr zu tun haben als zu klatschen ...«
»Anna!« protestierte die Baronin, mit ihren knochigen Fingern auf die Tischplatte klopfend, »vergiß dich nicht in deinen Worten.«
»Durchaus nicht,« antwortete diese ruhig. »Ich kann nicht länger den Zwang eurer Gesellschaftsformen respektieren und zugleich im Erwerbsleben stehen. Ich werde in Berlin oder sonstwo eine reguläre Fremdenpension auftun oder mich als Repräsentationsdame in einem großen Hause unterbringen, Hab' keine Angst, ich bitte dich nicht um einen Pfennig Unterstützung!... Nur eines möchte ich: daß du mir die Agathe für ein paar Monate oder ein Jahr abnimmst, bis sich alles geklärt hat. Ihr bleibt den Winter über ja doch in der Stadt und da kann sie hier die Schule weiterbesuchen.«
Frau von Carsten hatte die letzten Worte wie eine Bedingung gesprochen; nun wartete sie, die Tante anblickend. Diese zog ihre Runzeln mehrmals zusammen, bewegte die Kiefer und sagte dann schließlich:
»Du allein in einer großen Stadt, wo die Sünde sich auf den Straßen feilbietet? Damit kann ich mich wenig befreunden! Eins deiner Kinder ins Haus zu nehmen geht leider nicht an; wir erwarten diesen Winter Logierbesuch von meinem Sohn und seiner Familie. Da ist das ganze Haus voller Kinder. Bei den Hühnern kann ich sie doch nicht schlafen lassen! Lebe wohl! Hoffentlich wirst du deinen neusten Schritt nicht zu bereuen haben!«
Damit stand sie starr auf und ging mit ihren Kolleginnen im Richteramt fort. Die Generalin grüßte mit hochmütigem Seufzer und Fräulein von Meins erhob sittenstreng ihr Lorgnon.
»Adieu, meine liebe Frau Hüppe!« sagte die Baronin kordial, indem sie sich vor der Tür nochmals umdrehte. »Hoffentlich sehen wir sie bald im Brautkleid in der Kirche wieder. Lassen Sie sich dach mal bei uns sehen; mein Mann wird sich sehr freuen.«
»Aber nicht wahr, Frau Baronin, es bleibt vorläufig alles noch ganz unter uns,« bat Frau Hüppe lieblich und geleitete die Damen hinaus, während Frau von Carsten sich schluchzend auf das Sofa warf.
»Siehst du wohl,« lachte sie schadenfroh, als sie zurückkam, »wer nicht hören will, muß fühlen!«
»Du Komödiantin!« schrie Frau von Carsten zornbebend in ihren Tränen, »du bist um kein Haar besser als die da. Im Frühjahr gabst du dir im Fürstenpark zwanzig Stelldicheins mit deinem Herrn Ehlert, und jetzt spielst du die Tugendheldin, pfui!«
Frau Hüppe würdigte sie keiner Antwort und ging trällernd hinaus.