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VI. Grau, teurer Freund! Wirkungsweise der Farbstoffe. Ergänzungsfarben. Einfluss des Mittels. Mischungen durch Addition und Subtraktion. Pointillieren

Lieber Freund!

Das psychologische Experiment, das ich mir erlaubte mit Ihnen anzustellen, ist richtig gelungen: Sie haben mit dem Wort von der »grauen Theorie« gegenüber den Darlegungen meines letzten Briefes in erwarteter Weise reagiert. In welchem Zusammenhange Derartiges mit allgemeineren Fragen der Ästhetik steht, wollen wir vielleicht später einmal erörtern; dass ich letztlich nur Schwarz und Weiss, und das aus beiden sich ergebende Grau zum Gegenstande der Untersuchung machte, hatte seinen guten Grund darin, dass die dort angestellten Betrachtungen sich mit geringer Änderung auch auf die Farben im engeren Sinne anwenden lassen.

Nehmen Sie wieder ein farbiges Glas zur Hand – am besten ist es, ziemlich hell gefärbt, etwa grün oder orange – und betrachten Sie das Bild des Fensters, das sich darin spiegelt, wenn Sie mit dem Rücken zum Fenster das Glas vor einen dunklen Hintergrund halten. Das Spiegelbild von der vorderen Fläche kennen Sie bereits; es zeigt natürliche Farben, da es aus dem unverändert von der Vorderfläche gespiegelten Licht besteht. Nun suchen Sie das Nebenbild auf, das von der Hinterfläche der Glastafel gespiegelt wird; es ist gegen das erste ein wenig verschoben und daher nur an den überragenden Rändern leicht erkennbar. Auch wird es deutlicher, wenn Sie eine kleine Wendung zum Fenster hin machen. Dies Bild erscheint in der Farbe des Glases. Dass es so sein muss, lässt sich leicht absehen; wenn das farblose Tageslicht durch das Glas tritt, so wird es eben gefärbt; das ist die Eigenschaft des farbigen Glases. Hier ist das Licht aber nicht nur durch, die einfache Glasdicke gegangen und an der anderen Seite herausgetreten, wie wenn Sie etwa das Fenster durch das Glas betrachtet hätten, sondern da es an der Hinterflache der Glastafel gespiegelt worden ist, so hat es, um vorn wieder herauszutreten, die Glasdicke noch einmal durchmessen müssen. Dadurch ist es eben so stark gefärbt, als wäre es durch zwei Glasscheiben von der gleichen Beschaffenheit durchgegangen. Auf dieser Erscheinung beruht nun alle Wirkung der Farbstoffe oder Pigmente. Denn diese haben eine ähnliche Beschaffenheit wie das gefärbte Glas, sie sind Stoffe, die das Licht zwar durchlassen, aber nur, indem sie es gleichzeitig färben. Ebenso, wie ein farblos durchsichtiger Stoff in feiner Verteilung unverändertes, also im allgemeinen weisses Licht zurückwirft, so wirft ein Farbstoff gefärbtes Licht zurück, und er wird auch um so besser decken, je grosser seine Lichtbrechung und je feiner seine Verteilung ist.

Zunächst werden Sie fragen: wie macht es der Farbstoff, damit das Licht farbig wird? Die Antwort ist: indem er gewisse Anteile des weissen Lichtes vernichtet. Die Optik lehrt bekanntlich, dass man das weisse Licht in eine Unzahl verschiedenfarbiger Lichtarten zerlegen kann, etwa indem man es durch ein gläsernes Prisma »bricht«. Bringt man diese verschiedenfarbigen Lichter wieder alle zusammen, so erhält man wieder weisses Licht. Nimmt man aber von den farbigen Lichtern einen Teil heraus, so gibt der Rest bei der Vereinigung gleichfalls ein farbiges Licht. Diese Eigenschaft haben nun die farbigen Körper: sie vernichten einen Teil des Lichtes, das durch sie geht, d. h. sie verwandelt es in Wärme, so dass es aufhört, als Licht zu existieren, und daher erscheint der durchgehende Rest in einer entsprechenden Farbe.

Es gehört also je ein Paar Farben zusammen, die herausgenommene und die des Restes. Nimmt man beispielsweise Rot heraus, so erscheint der Rest nach der Zusammenfügung grün und umgekehrt. Solche Farbenpaare nennt man Ergänzungsfarben. Die Paare:

Rot und Blaugrün,

Goldgelb und Blau,

Grüngelb und Violett

sind solche Ergänzungsfarben, doch gibt es natürlich unendlich viele, da man beliebige Gebiete der Farben aus der Gesamtheit des weissen Lichtes herausnehmen kann und daher auch entsprechend viele Ergänzungsfarben erhält. Jedes Paar ist reziprok, d. h., wenn ich Blaugrün herausnehme, erhalte ich Rot, nehme ich Rot heraus, so erhalte ich Blaugrün.

Einstweilen genügt dies, um die einfachen Erscheinungen in der uns vorliegenden Technik des Pastells zu verstehen. Mein Ultramarin hat die Eigenschaft, einen solchen Anteil des weissen Lichtes zu verschlucken, dass der Rest hauptsächlich aus Blau (neben etwas Violett und Rot) besteht, und indem das weisse Licht in die übereinander liegenden Teilchen des Farbstoffes eindringt und von deren Hinterflächen wieder zurückgeworfen wird, gelangt es als blaues Licht in mein Auge. All dieses Licht ist freilich nicht blau, denn von den Oberflächen der obenliegenden Teilchen erhalte ich auch weisses Oberflachenlicht neben dem blauen Tiefenlicht. Aber dieser Anteil ist aus leicht ersichtlichen Gründen um so kleiner, je feiner das Pulver meines Farbstoffes ist, und daher bei fein geriebenen Farbstoffen meist recht gering.

Nun werden Sie bemerkt haben, dass das Ultramarin, als Sie es zum Zweck der Formung der Pastellstifte mit Wasser und Tragant angerieben hatten, sehr viel dunkler blau aussah als vorher in Gestalt des Pulvers und nachher in Gestalt der trockenen Stifte, und Sie wissen allgemein, dass trockene Farbstoffe immer viel heller aussehen als nasse, seien sie nun mit Wasser, Öl, Firnis oder irgend einer anderen Flüssigkeit getränkt. Die Erklärung hierfür ist in den Darlegungen des fünften Briefes gegeben. Wenn die Zwischenräume zwischen den einzelnen Farbkörnchen mit einer Flüssigkeit von grösserer Lichtbrechung als Luft angefüllt sind (und es haben alle Flüssigkeiten eine bedeutend grössere Brechung als Luft), so erfolgt die Zurückwerfung des Lichtes von den Hinterflächen der Farbstoffkörnchen viel schwächer. Das Licht muss also viel mehr hintereinander liegende Körnchen durchdringen, ehe es wieder zurückgeworfen wird, und es wird dabei um so tiefer gefärbt. Hierbei wird natürlich viel mehr von der Gesamtmenge des Lichtes verschluckt, und daher ist die Farbe sowohl reiner wie dunkler.

Das Aufhellen der Stifte durch Kreidezusatz ist demnach eine einfache Sache. Es liegen in dem Gemisch neben blaumachenden Ultramarinteilchen Kreideteilchen, welche weisses Licht unverändert zurückschicken, und das Gesamtlicht besteht daher aus Blau und Weiss nebeneinander. Wegen der Kleinheit der einzelnen Körnchen unterscheiden wir beide nicht, sondern sehen nur ein helles, d. h. viel Weiss enthaltendes Blau. Auch solche Gemische sehen im nassen Zustande tiefer blau aus als trocken, denn auch hier dringt das Licht tiefer in das nasse Gemisch ein, und wird daher von mehr Ultramarinkörnchen beeinflusst als beim trockenen Gemische.

Wenn Sie sich nun noch vergegenwärtigen, dass die Anwendung eines Fixiermittels in abgeschwächtem Masse ganz dieselbe optische Wirkung tut wie das Befeuchten, so wissen Sie, warum das Pastellbild nach dem Fixieren ein wenig tiefer in der Farbe zurückbleibt, als es vorher war, und damit haben Sie die wesentlichen Kenntnisse über die Optik der Pastelltechnik zusammen, soweit es sich nicht um Mischungen handelt.

Was letztere anlangt, so ist ihre Theorie von Helmholtz, Brücke u. a. wiederholt so ausführlich und genügend dargelegt worden, dass ich mich hier auf die Angabe des Allernötigsten beschränken kann. Ich bitte Sie, die nachfolgenden Zeilen zu überschlagen, ausser wenn Sie Ihre Erinnerung wieder auffrischen wollen.

Denken Sie sich aus einem mittleren Weiss in der eben geschilderten Weise verschiedene Gebiete farbigen Lichtes herausgenommen und den Rest zu der Ergänzungsfarbe vereinigt, so haben Sie zunächst eine unendliche Reihe paarweise zu einander gehöriger Farben. Jede dieser Farben können Sie nun in zweierlei Art verändern. Erstens können Sie die Farbe einerseits immer heller, andrerseits immer dunkler denken, ohne dass sie aufhört, die fragliche Farbe zu sein. So können Sie etwa ein gegebenes Grün einerseits bis zum hellsten, andrerseits bis zum dunkelsten Grün vom gleichen Farbcharakter (etwa Blaugrün) verfolgen. Diesen Unterschied nennen wir die Helligkeit der Farben. Andrerseits aber können Sie das Grün, ohne seine Helligkeit zu andern, immer weniger grün werden lassen, so dass es zuletzt in Grau ausläuft. Diesen Unterschied nennen wir die Sättigung der Farbe. Während also die Helligkeit von der Gesamtmenge des Lichtes abhängt, die in unser Auge gelangt, hängt die Sättigung davon ab, wieviel von dem Gesamtlicht farbig und wieviel farblos ist. So wird beispielsweise ein Farbstoffauftrag durch die Mitwirkung des Oberflächenlichtes um so heller, aber gleichzeitig um so weniger gesättigt, je mehr Oberflächenlicht sich dem Tiefenlicht beigesellt.

Zerlegen wir ein beliebiges farbiges Licht in seine Bestandteile, so wird ein Licht von gesättigter Farbe sich dadurch kennzeichnen, dass nur ein verhältnismässig kleines Gebiet von Strahlen vorhanden ist, während alle anderen fehlen; ein gesättigtes Blaugrün wird also, wenn man es mittels des Prismas zu zerlegen versucht, nur blaugrünes Licht und kein anderes ergeben. Je weniger gesättigt eine Farbe ist, um so mehr andere Strahlen werden sich darin finden, und im neutralen Grau sind alle Strahlen in demselben Verhältnis vorhanden wie im Weiss, nur weniger hell.

Was geschieht nun, wenn man zwei Farben mischt? Um hierauf die richtige Antwort zu finden, muss man sich vor allen Dingen gegenwärtig halten, dass es zwei wesentlich verschiedene Arten gibt, zwei (und mehr) Farben zu mischen, nämlich durch Addition oder durch Subtraktion. Lässt man beispielsweise grünes und gelbes Licht, etwa aus zwei Scheinwerfern, auf dieselbe weisse Fläche fallen, so erhält das Auge von dieser die Summe der beiden Lichtarten, es findet Addition statt. Setzt man aber umgekehrt das gelbe Glas vor den Scheinwerfer, der bereits das grüne tragt, so entnimmt es dem bereits grün gefärbten Lichte {dem nun vorwiegend die roten Strahlen fehlen) noch diejenigen (vorwiegend blauvioletten) Strahlen, durch deren Verlust das weisse Licht gelb gefärbt wird, und es fehlen im durchgegangenen Lichte die beiden Gebiete. Dass beide Arten der Farbmischung wesentlich verschiedene Resultate liefern, hat Helmholtz an verschiedenen auffallenden Beispielen gezeigt: während man durch Subtraktion aus Blau und Gelb Grün erhält, geben diese beiden Farben durch Addition Weiss. Ferner ist das additive Licht natürlich heller, als unter gleichen Umstanden das subtraktive.

Bei der gewöhnlichen Mischung der Farben treten nun ganz vorwiegend die Erscheinungen der Subtraktion auf; wir sind in der Tat gewohnt, aus Blau und Gelb Grün zu mischen. Doch kann man auch additive Wirkungen auf Bildern hervorbringen. Dies gelingt, wenn man die zu addierenden Farben in möglichst kleinen Punkten oder Flecken nebeneinander setzt, ohne sie über einander zu lagern. Wird dann das Auge des Beschauers so weit vom Bilde entfernt, dass es die einzelnen Flecken nicht mehr unterscheiden kann, so findet auf der Netzhaut eine Wirkung statt, die der Übereinanderlagerung oder Addition der beiden Farben entspricht. Von diesem Vorgange machten die Pointillisten oder Neo-Impressionisten gebrauch.

Nach dem, was vorher erörtert worden ist, wird sich jede derartig erzielte Farbwirkung ebenso in das System der nach Helligkeit und Sättigung geordneten Farben einreihen lassen wie irgend eine durch Subtraktion erzielte Farbe, nur müssen in beiden Fällen andere Verhältnisse der Farbstoffe nebst Weiss gewählt werden, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Man muss daher in Abrede stellen, dass in bezug auf Helligkeit, Tiefe, Feuer, oder wie man sonst die Farbwirkung kennzeichnen will, durch das Verfahren der additiven Mischung grundsätzlich andere oder weitergehende Resultate erhältlich sind als durch die gewöhnliche subtraktive Mischung. Auf beiderlei Weise hat man die gleiche Reihe vom weissesten Weiss bis zum schwarzesten Schwarz zur Verfugung, welches die Pigmente hergeben können, nur hat man zur Erreichung der gleichen Farbwirkung jedesmal andere Mittel anzuwenden. Nur darin besteht ein Unterschied, dass beim Nebeneinandersetzen der Farben, also der additiven Mischung durch die nicht unerhebliche Grösse, die man aus technischen Gründen den einzelnen Flecken geben muss, eine feinere Zeichnung sehr erschwert ist, während dadurch, dass die Farbflecken sich hart an der Grenze der Unterscheidbarkeit befinden, ein psychophysisch begründeter Nebeneindruck entsteht, ein Flimmern, das mit einem glatten Farbauftrag nicht zu erzielen ist. Hierin liegt die Erweiterung der Mittel, welche durch diese Technik erreicht wird. Man wird von vornherein sagen können, dass für gewisse Erscheinungen ein solches Mittel von grossem, ja unersetzlichem Werte ist, wahrend andrerseits zahllose andere Erscheinungen vorliegen und dargestellt werden, denen diese besondere optische Wirkung nicht angemessen ist.

In ihrer Anwendung auf die Pastelltechnik ergeben diese Betrachtungen, dass auch hier beim Mischen meist Subtraktionsfarben erzielt werden, und zwar um so mehr, je durchsichtiger die einzelnen Farbstoffkörnchen sind. Farbstoffpulver, die mit geringer Durchsichtigkeit eine etwas gröbere Kornbeschaffenheit verbinden, zeigen indessen Mischungserscheinungen, die sich zuweilen denen der Addition annähern. Hierüber sammelt der Künstler unter der Arbeit sehr bald die erforderlichen Erfahrungen. Für die Durchführung einer rein additiven Technik gewährt das Pastell gute Möglichkeiten, indem man erst die eine Farbe in kurzen Strichen oder Punkten hinsetzt, darauf fixiert, und dann mit der anderen Farbe in die Zwischenräume geht. Durch das nach jedem Auftrag vorgenommene Fixieren ist ein Mittel gegeben, die Vermischung der nacheinander gebrauchten Farbstoffe zu verhindern.


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