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Lieber Freund!
Aus den Fragen, die Sie mir stellen, ersehe ich mit Genugtuung, dass Ihnen meine Erörterungen wirklich zum Nachdenken Anlass geben; damit ist ihr Hauptzweck erreicht. Die Fragen will ich der Reihe nach beantworten. Zunächst wollen Sie wissen, wozu die Galle eigentlich beim Aquarellieren dient, d. h. wie sie wirkt. Sie wissen, dass dieser Stoff den gleichförmigen Auftrag der Farbe erleichtert und die Neigung der wässerigen Farbe, in Tropfen zusammenzugehen, aufhebt. Die Ursache liegt in der Oberflächenspannung des Wassers, die sehr gross ist. Vermöge dieser Eigenschaft hat das Wasser mehr als jede andere Flüssigkeit das Bestreben, eine möglichst kleine Oberfläche zu bilden. Da nun offenbar ein runder Tropfen eine kleinere Oberfläche hat, als eine ausgebreitete Schicht, so hat das Wasser immer das Bestreben, aus dem Zustande der Schicht in den des Tropfens überzugehen. Wo nun die Unterlage nicht benetzt wird und dadurch den Bestand der Schicht sichert, bilden sich demgemäss Tropfen. Sie sehen dies am besten an den Tautropfen auf solchen Blättern, die durch einen Überzug von Haaren oder Wachs die Benetzung verhindern. Die Galle wirkt nun in doppeltem Sinne. Einmal vermindert sie sehr stark die Oberflächenspannung des Wassers, in dem sie aufgelöst ist; andrerseits erleichtert sie die Benetzung, indem sie etwa vorhandenes Fett auf der Papierfläche (welches in den meisten Fällen die Ursache der schlechten Benetzung ist) in lauter kleine Tröpfchen verwandelt und so unschädlich macht. Diese letztere Eigenschaft des Emulgierens ist von massgebender Bedeutung für die Temperatechnik, und wir wollen sie dort eingehender erörtern.
Ferner fragen Sie, woher das Gerinnen oder Grieslichwerden mancher Aquarellfarben rührt. Hierüber kann ich Ihnen allerdings nur Vermutungen sagen. Durch die äusserst feine Verteilung nähert sich der Zustand vieler Aquarellfarben dem, der in der Wissenschaft der colloidale Zustand genannt wird; es ist dies ein Mittelding zwischen einer mechanischen Aufschlämmung und einer wirklichen Lösung. Solche in »colloidaler Lösung« befindliche Stoffe werden nun leicht aus diesem Zustande herausgebracht und in Flocken gefällt, wenn andere, salzartige Stoffe in die Lösung gebracht werden. Ich halte es daher für ganz wohl möglich, dass das gewöhnliche Quellwasser, das der Wasserleitung entnommen wird, durch seinen nie fehlenden Salzgehalt eine solche Fällung hervorbringt. Da die verschiedenen colloidalen Lösungen sehr verschiedene Empfindlichkeit gegen Salze haben, so ist es ganz erklärlich, dass gewisse Farben die Erscheinung leichter zeigen als andere. Wenn diese Theorie richtig ist, so muss sie auch die Mittel an die Hand geben, den Fehler zu vermeiden. Fragen wir, wodurch die Ausfällung verhindert werden kann, so sehe ich zwei Mittel. Eines ist die Anwendung salzfreien Wassers; destilliertes oder Regenwasser enthält kein Salz und wird also ein besseres Verhalten der Farben erwarten lassen. Unwirksam wird dies Mittel sein, wenn das Papier selbst Salze enthält. Dies ist nicht ganz selten der Fall; Alaun oder Natriumthiosulfat kommen am meisten vor. Hier könnte man ein zweites Mittel anwenden. Es ist eine allgemeine Erfahrung, dass eine colloide Lösung viel schwerer gefällt wird, wenn gleichzeitig gewisse andere colloide Stoffe zugegen sind. Wenn man also dem Wasser während der Arbeit stets ein wenig Eiweiss, Leim oder Gummi zusetzt (welche alle colloide Stoffe sind), so wird auch bei salzhaltigem Wasser oder Papier eine Fällung weniger leicht eintreten. Versuchen Sie es, wenn Sie nächstens mit diesem Umstande zu kämpfen haben, und versäumen Sie nicht, mir Ihre Beobachtungen mitzuteilen.
Endlich fragen Sie, weshalb ein mit Deckweiss gemischter Farbstoff einen ganz anderen Farbton zeigt, als wenn man ihn entsprechend dünn als Aquarellfarbe auf dem weissen Papier ausbreitet. Mit Weiss gemischt erschienen die Farben alle bedeutend »kälter«. Nun nennen wir einen Farbton kälter, wenn er mehr Blau enthält, und die Frage heisst daher, warum macht die Zumischung von Weiss die Farben bläulicher aussehen?
Die Ursache liegt in der Erscheinung, welche Goethe seinerzeit für das »Urphänomen« der Farbenlehre erklärt hat, dass nämlich ein durchscheinend weisses oder trübes Mittel gegen einen dunklen Grund gesehen blau aussieht. Am einfachsten überzeugen Sie sich von der Tatsache, wenn Sie dünne Milch in ein Gefäss mit dunklen Wänden giessen: am Rande erkennen Sie leicht einen ausgesprochen blauen Streifen, wo das dunkle Gefäss noch durch die weisse Milch erkennbar durchscheint. Die physikalische Ursache dieser Erscheinung ist ein wenig umständlich zu erklären; Sie finden das Nähere darüber in Brückes Physiologie der Farben. Es kommt wesentlich darauf heraus, dass sehr kleine Teilchen am vollkommensten solches Licht zurückwerfen, welches die kürzesten Wellen hat, und dies ist das violette, blaue und grüne Licht. Dieses überwiegt daher in dem von der Milch zurückgeworfenen Lichte, während das durchgegangene Licht diese Strahlen verloren hat und daher gelb bis rotgelb aussieht. Dies ist die Ursache, warum die Schatten in den Fernen blau aussehen, denn dort lagern die kleinen Trübungen der Luft vor einem dunklen Hintergrunde. Umgekehrt geht bei niedrigstehender Sonne deren Licht durch diese Trübungen hindurch und ihr Licht wird daher gelb bis rot. Indessen hängt hierbei sehr viel davon ab, wie fein die trübenden Teilchen sind: das Blau, bezw. Rot ist um so reiner, je feiner sie sind. Grössere Teilchen, z. B. ein Nebel, üben nicht mehr diese auswählende Zurückwerfung aus und erscheinen daher in beiden Ansichten, auf dunklem wie hellem Grunde ungefärbt, d. h. grau.
Wenn Sie nun einem Farbstoff, etwa gebrannter Terra de Siena, Weiss zumischen, so wirken die weissen Teilchen als ein trübes Mittel vor dem dunklen Grunde des Farbstoffes und es mischt sich daher dem zurückgeworfenen Lichte Blau bei. Dies wird vermieden, wenn Sie zuerst die Stelle mit Weiss eindecken und dann die Siena darüber »lasieren«, d. h. unvermischt mit Weiss darüber bringen.
In diesen Verhältnissen liegt ein ausgezeichnetes Mittel, um leichter und vollkommener gewisse natürliche Erscheinungen nachzubilden. Das Blau der Fernen lässt sich z. B. natürlicher durch Auflasieren von Weiss auf die Schatten hervorbringen, als durch eine verdünnte einfache Farbe gleichen Tones, und so wird man sich einer jeden Naturerscheinung gegenüber fragen, auf welche Weise sie in der Wirklichkeit optisch zu stande kommt, um ein entsprechendes Verfahren für die Wiedergabe zu wählen. Insbesondere bringt der durchscheinende Charakter der menschlichen Haut eine Menge derartiger »Farben trüber Mittel« zu wege, die auf gleiche Weise wiedergegeben werden können. Da indessen erst in der Ölmalerei diese Verfahren die leichteste und mannigfaltigste Ausführung gestatten, so wollen wir dort naher auf diese Dinge eingehen. Beim Aquarell machen sich nämlich die Änderungen beim Trocknen gerade am meisten an den schwachen Lasuren von Deckfarbe geltend, so dass es äusserst schwer ist, den schliesslichen Effekt eines solchen Auftrages genau vorauszubestimmen.
Hierdurch sind wir denn auch naturgemäss auf die Wasserfarbentechnik mit Deckfarben oder die Guasche-Technik gekommen. Für die Kennzeichnung der optischen Eigentümlichkeiten der Guasche ist fast dasselbe zu sagen, was über Pastell gesagt worden ist, da die Aufhellung der Farbstoffe hier wie dort durch Beimischung von Weiss hervorgebracht wird. Nur dient in diesem Falle nicht Kreide, sondern ein Stoff mit viel grösserem Brechungskoeffizienten, das Permanentweiss (Baryumsulfat) oder das Zinkweiss (Zinkoxyd). Es ist dies erforderlich, da beim Auftrag die Farbe nass, d. h. mit überschüssigem Wasser vermischt ist, und deshalb dunkler und weniger deckend aussieht, als sie nach dem Trocknen, d. h. dem Fortgehen des Wassers, erscheint. Da es für den ausführenden Künstler sehr unbequem ist, wenn die Farbe wesentlich anders auftrocknet, als sie aufgetragen wurde, so sorgt man durch Anwendung des stärker brechenden Weiss und durch Zusatz genügender Mengen Bindemittel dafür, dass der daher rührende Unterschied möglichst gering wird, doch gelangt man hierin keineswegs sehr weit.
Hierdurch entsteht allerdings gleichzeitig ein Problem, welches uns von jetzt ab durch die weiteren Verfahren begleiten wird. Das Bindemittel bildet mit dem reichlich aufgetragenen Farbstoff nach dem Trocknen einen festen Körper, der in Gestalt einer verschieden dicken und unregelmässig begrenzten Platte auf dem Bildgrunde liegt. Hat nun diese Platte in ihrem Verhalten gegen Wechsel der Temperatur und der Feuchtigkeit wesentlich andere Eigenschaften als der Bildträger, so beginnt die Gefahr aufzutreten, dass sich der Bildstoff vom Träger ablöst und in kleinen oder grösseren Stücken abfällt. Dies geschieht dadurch, dass die Ausdehnung durch die genannten Einflüsse verschieden stark wirkt, so dass Bildstoff und Unterlage, die bei gegebenen Verhältnissen gleich gross waren, bei anderen Verhältnissen verschiedene Grösse annehmen.
Ist eines von beiden, der Bildstoff oder die Unterlage, nachgiebig, so wird eine derartige Verschiedenheit nicht viel schaden, denn das eine zwingt dem anderen seine Bewegungen auf. Erst wenn beide hart und widerstandsfähig sind, treten die Schiebungen und Zerrungen ein, die zunächst zu Sprüngen, schliesslich zum Abblättern führen. Beim Pastell, auch dem fixierten, ist jedenfalls der Bildstoff so weich und nachgiebig, dass von einem Reissen oder Abblättern überhaupt nicht die Rede sein kann. Dagegen kann die Guaschefarbe bei starkem Auftrage ganz wohl eine hornige oder steinige Masse von erheblicher Härte bilden. Hier sichert man sich gegen eine mögliche Trennung durch Benutzung eines Papiers mit rauher Oberfläche, zwischen dessen Fasern die Farbstoffmasse eindringt, und von denen sie auf die Dauer festgehalten wird. Auf glattem, hartem Stoffe, wie Pergament, hergestellte Guaschebilder bieten keine Gewähr für eine unveränderte Dauer, um so weniger, je dicker der Farbauftrag ist. Auch dieser Umstand wird uns später immer wieder begegnen; es gibt keine Manier, die mehr selbstmörderisch wäre als die pastose Malerei.