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XII. Das Trocknen der Ölfarbe und die katalytischen Einflüsse dabei. Nachwirkungen der Trockenmittel. Dünne Technik. Pastoses Malen

Lieber Freund!

Weshalb die verschiedenen Farben, wenn sie auch mit dem gleichen Öl angerieben werden, so verschieden schnell trocknen, fragen Sie. Da die Antwort uns gerade in eines der interessantesten Kapitel der physikalischen Chemie hineinführt, so soll sie ausführlich gegeben werden.

Ähnlich wie der zum Festwerden führende Oxydationsvorgang beim Leinöl nicht augenblicklich vor sich geht, sobald Öl und Luft miteinander in Berührung kommen, so gibt es zahllose chemische Vorgange, die mit einer gewissen Langsamkeit ablaufen, wenn auch die Bedingungen für sie, insbesondere durch das Vorhandensein der erforderlichen Stoffe, gegeben sind. Für das Studium derartiger zeitlicher Verläufe an chemischen Vorgängen gibt es eine eigene Wissenschaft, die chemische Kinetik, die in den letzten Jahrzehnten sehr grosse Fortschritte gemacht hat.

Eines der merkwürdigsten Ergebnisse dieser chemischen Kinetik ist nun, dass die Zeit, welche ein bestimmter Vorgang braucht, nicht nur von den äusseren Bedingungen, wie Temperatur, Druck und Konzentration der beteiligten Stoffe, abhangt, sondern auch in sehr hohem Masse von der Anwesenheit anderer Stoffe, die an der Zusammensetzung des entstehenden Produktes keinen Anteil haben und deshalb durch den Vorgang im allgemeinen auch nicht verbraucht werden. Sie wirken auf den Vorgang, um ein anschauliches Bild zu geben, wie Öl auf ein eingerostetes Räderwerk; dieses nimmt auch unter sonst gleichen Umständen eine weit grössere Geschwindigkeit an, wenn die reibenden Teile geölt werden, und ohne dass das Öl für die Wirkung verbraucht wird. Stoffe, welche eine derartige Eigenschaft haben, nennt man katalytisch wirksame oder Katalysatoren, und den Vorgang der Beschleunigung durch die Anwesenheit solcher Stoffe Katalyse. Meist genügen sehr geringe Mengen des Katalysators, um grosse Beschleunigungen zu bewirken.

Im allgemeinen bestehen für jeden Vorgang besondere Katalysatoren, und man muss von Fall zu Fall ermitteln, welche Stoffe diesen merkwürdigen Einfluss auf eine gegebene chemische Reaktion ausüben können.

Nun ist es wohlbekannt, dass Leinöl u. a. viel schneller »trocknet«, wenn es zum Anreiben von Bleiweiss benutzt wird, als wenn man es etwa mit Zinkweiss benutzt. Andererseits kann man dem Leinöl die Eigenschaft erteilen, unter allen Umständen schnell zu trocknen, wenn man es mit irgend welchen Bleiverbindungen kocht, so dass es etwas von diesen auflöst. In diesen Tatsachen erkennen wir die charakteristischen Eigentümlichkeiten der Katalyse: Bleiverbindungen beschleunigen den Oxydationsvorgang des Leinöls und somit dessen »Trocknen«. Leinöl firnis, d. h. schnell trocknendes Leinöl, ist von dem gewöhnlichen durch den Gehalt an einem solchen Katalysator verschieden, und Sikkativ, d. h. eine Flüssigkeit, durch deren Zusatz man Leinöl schnell trocknend machen kann, ist eine konzentrierte Lösung eines solchen Katalysators.

Die Eigenschaft, die Oxydation des Leinöls katalytisch zu beschleunigen, haben nicht nur Bleiverbindungen, sondern auch Manganverbindungen und vermutlich auch andere Metallabkömmlinge. Wenigstens schliesse ich aus den Angaben über die Trockenwirkung des Grünspans, die in alten Malbüchern sich finden, dass auch vielleicht das Kupfer wirksam ist. Doch liegen hierüber noch zu wenige exakte Arbeiten vor, als dass sich Bestimmteres sagen liesse. Ebenso machen bekannte Rezepte zum Firniskochen den Eindruck, als wenn auch durch längeres Erhitzen des Leinöls an der Luft ein Beschleuniger entstände, denn sie beruhen darauf, dem Öl durch blosses längeres Erhitzen die Eigenschaft des Schnelltrocknens zu erteilen. Doch müssen auch hier erst die wissenschaftlichen Arbeiten einsetzen, für die übrigens die Bahn vorgezeichnet ist, denn mit katalytischen Erscheinungen weiss die physikalische Chemie jetzt trefflich umzugehen.

Aus diesen Angaben werden Sie alsbald entnehmen können, welche Bedeutung die Warnung vor allzu reichlicher Anwendung solcher Trockenmittel hat, die jeder gewissenhafte Lehrer seinen Schülern zukommen lässt. In meinem vorigen Briefe entwickelte ich Ihnen die Theorie des Reissens der Ölfarbe; der wesentliche Punkt dabei war die verschiedene Zeit, welche einerseits die oberflächlichen Schichten, andererseits das Innere der Farbmasse zur Oxydation brauchen. Durch die Anwendung des Sikkativs wird nun dieser Zeitunterschied noch weiter gesteigert: die Oberfläche trocknet in wenigen Stunden und schliesst das Innere auf eine ebenso lange Zeit vom Festwerden ab, wie eine gewöhnliche Farbe, denn in beiden Fällen erfolgt das Festwerden im Innern wesentlich nur in dem Masse, als die feste Schicht Sauerstoff durch Diffusion, d. h. durch langsame Durchdringung ihrer Masse hineinlässt.

Nun beschleunigt das Trockenmittel nicht nur das erste Festwerden des Öls, sondern anscheinend in gleichem Masse auch die weiteren unerwünschten Veränderungen des festgewordenen Öls, insbesondere das Schwinden und Braunwerden, Was also bei gewöhnlicher Farbe normal nach langer Zeit eintritt, tritt bei Anwendung von Sikkativ in entsprechend kürzerer Zeit ein, und zwar um so schneller, je mehr Trockenmittel angewendet worden ist. So ist denn ein mit viel Sikkativ gemaltes Bild auf seiner Oberfläche bereits nach wenigen Jahren ein Greis, während es im Innern noch ein Jüngling ist, und dass eine derartige Kombination nicht gut tut, braucht nicht erst lange dargelegt zu werden.

Viel weniger bedenklich ist die Anwendung von Trockenmitteln bei der Einhaltung eines dünnen Farbauftrages, denn die eben geschilderten Übelstände steigern sich naturgemäss in schneller Progression, je dicker die Farbschichten sind. Ist das Bild dünn gemalt, so wird das enthaltene Öl in wenigen Tagen so fest, wie ohne Sikkativ in Monaten, und wenn es dann gefirnisst wird, so ist der weitere Sauerstoffzutritt zum Öl und damit die unerwünschten Änderungen des festen Öls praktisch zum Stillstande gebracht. Ich würde es also für unbedenklich halten, ein Bild, das schnell hergestellt werden soll, in dünner Technik mit genügendem Sikkativ in einem Zuge fertig zu malen und es dann nach einer Woche Trocknens zu firnissen. Allerdings hat auch hier die Erfahrung das entscheidende Wort zu sprechen, und meine Darlegung bezweckt nur, auf Grund der vorhandenen Kenntnisse eine Gruppe von Bedingungen zu formulieren, welche ein gutes Ergebnis erwarten lässt.

Eine derartige Technik ist insbesondere für Arbeiten vor der Natur ungemein bequem und förderlich. Benutzt man als Malgrund farbiges Zeichenpapier mit ziemlich starkem Korn, das man mit einer Leimlösung von etwa 6 Prozent präpariert hat, und malt man darauf mit gewöhnlicher Ölfarbe, die man mit einem Malmittel aus Sikkativ mit der zehnfachen Menge Terpentinöl so stark verdünnt, als es der erstrebte Zweck nur zulässt, so verliert man nirgend Zeit mit technischen Schwierigkeiten und kann in einer Stunde eine Studie bereits recht weit durchführen. Die Fernen werden mit dünnster Farbe, fast wie Aquarell angelegt; die passend gewählte Farbe des Papiers kann hier die Arbeit ausserordentlich erleichtern. Grosse Flächen darüber liegender Gegenstände werden ausgespart, kleine übergangen. Nach einer Viertelstunde, die man mit der Anlage der übrigen Flächen ausgefüllt hat, ist die Farbe der Ferne bereits so fest geworden, dass man Einzelheiten sicher und sauber hineinsetzen kann. Indem man stets von hinten nach vorn arbeitet, ergibt es sich unwillkürlich, dass die im Vordergrunde befindlichen Dinge den stärksten Farbauftrag erhalten, und damit ist ihr plastisches Vortreten leicht gesichert. Ich besitze derart hergestellte Skizzen, die über zwanzig Jahre alt sind, gar keine Sorgfalt bei der Aufbewahrung erfahren haben und an denen ich nicht die geringste Spur des Alterns entdecken kann, trotzdem die meisten nicht einmal gefirnisst sind. Ich schreibe dies ausschliesslich dem dünnen Farbauftrage zu, denn die übrigen Erfordernisse für eine möglichst grosse Dauer bei diesen Ferienprodukten einzuhalten, habe ich nicht der Mühe wert gefunden. Ja, ich habe sogar meist zu dem oben erwähnten Malmittel etwas Bernsteinlack (etwa 1/10) gesetzt, welcher das Einschlagen verhindert, um mir das spätere Firnissen zu ersparen, und damit bewusst gegen die Bedingungen der möglichsten Dauerhaftigkeit gesündigt, ohne dass ich bisher Schädigungen davon bemerkt habe. Vielleicht werden solche nach einigen Jahrhunderten sichtbar werden, falls die Blätter dann noch existieren sollten.

Schliesslich einige Worte über das pastose Malen. Fragt man nach den optischen Wirkungen, die man damit erreichen kann, so ergibt sich nur eine einzige, nämlich das Glanzlicht auf der glatten Oberfläche eines gewölbten Farbtropfens. In dieser Form kennt und verwendet insbesondere Rembrandt in feinster und bewusstester Weise den plastischen Farbauftrag. Im übrigen sind die Ölfarben, wie sie auf dem Bilde stehen, durch das in den meisten reichlich enthaltene Bleiweiss so gut deckend, dass bereits eine Schicht von rund einem Zehntelmillimeter das Durchscheinen der Unterlage ausschliesst. Wendet man, was man der Sicherheit wegen für endgültige Werke stets tun sollte, einen rein weissen Malgrund an, so wird eine vollkommene Deckung meist nicht nur nicht erfordert, sondern ist sogar oft ein Nachteil; demgemäss kann der Auftrag noch viel dünner sein, und das Durchscheinen des weissen Grundes kann erfolgreich zur Erzielung einer lebendigeren Farbwirkung benutzt werden. Wird endlich der pastose Auftrag sinngemäss auf einzelne kleine Stellen beschränkt, so fallen auch die Ursachen der Schollenbildung und des Reissens fort. Vom Standpunkte der künstlerischen Wirkung bleibt also zu Gunsten des dicken Farbauftrages über das ganze Bild gar nichts übrig, denn die »Handschrift« des Künstlers dürfte gleichfalls nicht proportional der pro Quadratmeter verwendeten Farbenmenge bewertet werden. Umgekehrt bewirken die zahllosen Reflexe auf der Oberfläche eines mit dickem und unregelmässigem Farbauftrag gemalten Bildes, dass es namentlich bei künstlichem Lichte oft unmöglich ist, überhaupt einen Standpunkt zu gewinnen, an welchem man nicht durch unerwünschte Reflexe gestört wird. Bleiben also nur Ursachen übrig, welche ich unter dem Worte Mode am richtigsten zusammenzufassen glaube.


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