Henriette Paalzow
Thomas Thyrnau – Zweiter Theil
Henriette Paalzow

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Den Rand des See's umgaben nach dem Schlosse zu weiße Marmorsitze, deren Stufen von dem leisen Andringen des Wassers, wie von einem sanften Athem getrieben, bespült wurden. Hier saß Magda stundenlang und ahnte nicht, daß sie dem gegenüber ruhenden Wanderer leicht als die Nymphe erscheinen konnte, die hier den stillen Zauber festhielt. Auch heute sah man sie bald hinunter eilen und ihren Traumsitz einnehmen, wie ihn Thomas Thyrnau nannte, weil er mit seinem Scharfblick die Stimmung erkannt hatte, mit der Magda sich diesem Platze entgegen drängte. Sie schien dort die Träumereien zu erwarten, nach deren Lösung sie sich sehnte, da ihr brütender Verstand ihnen keine klare Benennung geben konnte, und sie immer nur aufs Neue erstaunte, daß ihr gerade dort, auf dieser Stelle immer dasselbe geschah. Sie fragte dem Wunder so lange nach, bis sie dort war – und alles dann über das Wunder selbst vergaß. Sie wußte nicht, wie das Jugendleben jedes edlen phantastischen Träumers immer eine Stelle zu bezeichnen hat, wo die zufällig gefundene äußere Gestaltung mit dem inneren unbewußt vorbereiteten Bedürfniß zusammenfällt. In der Harmonie, welche der Seele dadurch zu Theil wird, erzeugt sich die schaffende Kraft, die uns in ein neues Gebiet des Geistes führt, dem wir näher zu kommen ringen, von allen Schauern und Entzückungen ergriffen, welche die Begleiterinnen der lehrenden Psyche sind.

In dem luftigen Bogen der Thüren saßen indeß die Männer – Hieronymus und Thyrnau – und der Erstere äußerte sein liebevolles Bedenken über die Lage des Andern.

»Ich sehe selbst Verlegenheiten vor mir!« sagte Thyrnau mit der Sicherheit, die ihm so eigen war, »und wünsche blos Veranlassung zu haben, mein ganzes Glaubensbekenntniß ablegen zu können. Selbst wenn man mich dann doch strafbar finden sollte, wollte ich diesen Ausspruch nicht beklagen, um des Glückes willen, vor der großen Seele der Kaiserin Gedanken entwickeln zu können, die wie Funken in Zunder fallen müßten. Meine Treue als Unterthan hat allerdings eine Art Krebsgang gemacht; zuerst war ich meinem armen gemißhandelten Vaterlande getreu, hatte aber für seine aufgedrungenen Beherrscher wenig Andacht, und dies Vaterland selbst mußte es sein, was mich nun auch zu einem treuen Unterthanen machte. Ja! es ist wahr, ich habe Leopold den Ersten, ich habe Karl den Sechsten fast gehaßt – denn ich will von Joseph nicht sprechen. Gott wollte nicht, daß seine Regierung so lange dauerte, bis seine edlen Absichten zum Leben erstarkten, sonst wäre ich schon damals ein Unterthan geworden. So aber mußte ich die Qualen des langen ungleichen Kampfes, welchen helleres und besseres Bewußtsein mit bösem Willen und beschränkten Ansichten durchmachen muß, erleiden. O Hieronymus, es ist ein schmerzlicheres Loos, als die Großen der Erde glauben wollen, wenn der in seinen heiligsten Rechten gekränkte Unterthan sich unter dem Joche schüttelt, welches ihm den Nacken wund drückt, und um jeden Preis Befreiung wollend, nach der fremden Hand sucht, die stark genug ist, es ihm zu lüften. Ich will es ihr nicht leugnen meiner großen Kaiserin – wenn sie mich fragt – ich will es ihr sagen, wie ich getrachtet habe, uns armen Czechen einen Herrscher zu geben, der an der Schwelle unseres schönen Landes gelobte, uns zum ungekränkten Besitz unserer unschuldigen menschlichen Rechte zu verhelfen. Ich habe für diese Gedanken gelebt, gelitten, und mit den Besten, die ich kannte, danach gestrebt! Dies alte Zimmer,« rief er, indem er zurück blickte in die hohen Räume der Bibliothek – »weiß davon zu erzählen! Ludwig der Vierzehnte war der Mann dazu, in dem Lande des Feindes Unruhen und Abfall zu begünstigen. Aber er hatte sich dennoch in uns geirrt! Als er uns den französischen Prinzen anbieten ließ, um Böhmen damit zu einem unabhängigen Lande zu erheben, that er es in einer Weise, die uns vor uns selbst herabsetzte und uns gegen unsere Pläne fast mit Abscheu erfüllte. Wir wollten freie Männer mit den Rechten unserer alten uns gemäßen Gesetze werden – er wollte aus uns Bundesgenossen gegen Österreich machen; rächen sollten wir ihn an dem beneideten Nachbarlande! Mit Entrüstung wurde diese Bedingung verworfen und mißtrauisch gegen unser Vorhaben geworden, ließen wir es lange ruhen.«

»Wie war das,« sagte Hieronymus, »führtest Du indessen die Geschäfte des Fürsten von Z.? – oder warst Du damals in Prag?«

»Beides!« antwortete Thyrnau. – »Als wir uns nach dem an Frankreich gegebenen Bescheid hier trennten und einen Plan aufgeben wollten, der uns zu gemeinen Verräthern zu machen drohte, ging Jeder den eigenen Weg und wir gelobten uns, Unrecht zu hindern, Recht zu pflanzen auf der Stelle, wohin uns Geburt und Beruf gewiesen. So ging ich nach Prag und ward mit dem Namen, der durch meinen Vater schon einen günstigen Klang hatte, ein gesuchter Advokat. Es gab viel auszugleichen; geschickte Männer, die von allen Bedrängnissen des Landes unterrichtet waren, thaten Noth in einer Zeit, die so viel Willkür, so viel Parteien, so viel verschobene und gekränkte Rechte zeigte. Ich hatte Glück, gewann Vermögen und bedeutende Stellung; mir wurden aus allen Nachbarstaaten Rechtsfälle, die schwierig schienen, zugeschickt. Die kleinen Fürsten des Reichs suchten besonders meinen Rath und so kam es, daß ich am häufigsten dem Kaiser gegenüber stand. Zur selben Zeit war ich ein glücklicher Gatte und Vater und hatte in Lacy einen Freund der jede Lücke meiner Seele ausfüllte. Mein theures Weib empfing ich aus den Händen der Gräfin Lacy. Sie war die Tochter eines Intendanten der Wratislawschen Güter, und ihr Vater ein Pole von dem dort häufigen Adel; sie war mit der Gräfin erzogen und begleitete diese nach ihrer Verheirathung nach Tein. Nachdem sie mein Weib geworden, schienen wir vollends nur eine Familie. Wir wohnten, so viel es meine Geschäfte zuließen, zusammen und ich bezog das Dohlennest anfangs für die Tage des Sommers, dann dauerten meine Abwesenheiten länger und meine Familie blieb auch den Winter; endlich waren wir nur dort noch heimisch – und welche Einigkeit, welch' Glück war das!«

»Ein sonderbarer Gedanke,« sagte Hieronymus – »das alte Haus zum Wohnort zu wählen! Bot Dir denn Dein Gönner nicht sein eignes Schloß oder das Fremdenhaus an?«

»Gönner?« fragte Thomas Thyrnau, indem er scharf aufblickte – ein satyrisches Lächeln flog um sein ganzes sich etwas röthendes Gesicht – »Gönner?« wiederholte er dann langsam – »hör's alter Freund! es hat mir immer scheinen wollen, diese Benennung passe nicht für Jemand, der mit mir verkehre, am wenigsten für einen dieser vornehmen Herren. Ich habe sie bald gelehrt, daß, auf einer Höhe der Bildung stehen, den Unterschied des Standes auslöscht, und nie geliebt, aus der Unabhängigkeit, die ich mir erworben, zu bedingten Verhältnissen herab zu steigen. Das Dohlennest war mir gerade recht, weil ich es dem Besitzer fast wieder gab durch die Kosten, die ich daran wendete, um es wohnbar zu machen. Er aß so oft an meinem Tisch, als ich an dem seinigen, und er wußte wohl, wie ich über seine sogenannten Vorrechte dachte!«

»Aber Lacy war als ein adelstolzer Mann bekannt,« fuhr Hieronymus fort. »So bekehrtest Du ihn doch wohl eigentlich nicht – sondern er verbarg Dir nur den Dünkel?«

»So freilich treiben es die Meisten,« sagte Thyrnau fast heftig. »Sie schämen sich, dem hoch begabten Manne des Bürgerstandes gegenüber, die festgeprägte Idee ihrer höheren Berechtigung geltend zu machen – und getrosten sich für den Zwang, den sie sich auferlegen, in den Kreisen ihrer Standesgenossen, wo sie desto offener dann den Eindringling verspotten können, von ihrem Anhange unterstützt, der die Ansichten gern hört, die er um jeden Preis will siegen machen!« »Halt! halt, Freund!« fiel Hieronymus ein – »Du erschreckst mich ordentlich. Standest Du so mit dem Grafen Lacy? Wie reimt sich das mit manchem Verhältniß, von dem ich weiß?«

Thyrnau's Aufregung war vorüber. Schwermüthig war sein Kopf gesunken, und seine Augen wurzelten an dem Goldnetze, das Magda's reichen Haarwuchs umschloß und das über die Lehne des Marmorsitzes blinkte, der sie verbarg.

»Wir waren Beide ein paar scharfkantige Ecksteine,« sagte er dann sinnend – »je schwerer die Aufgabe war, solchen Sinn zu beugen, je mehr reizte sie uns gegenseitig. Aber wir liebten uns mit der schönen Kraft, die alle Hindernisse überwindet. Wir trennten uns oft – harte Zeiten – trostlose Ereignisse traten zwischen uns – dennoch hab' ich ihm die Augen zugedrückt und er verlobte Magda mit seinem Neffen – dem einzigen Nachkommen!«

»Nun!« rief Hieronymus lebhaft – »sie paßt zum Gebieten über Glanz und Reichthum – sie ist eine würdige Besitzerin von Tein. Doch sag' mir – weiß sie es?«

»Sie weiß es! Auf seinen Knieen schaukelte der alte Lacy das Kind – anbeten fast mußte er das heranblühende Mädchen – sie gab seinen Vorurtheilen den letzten Stoß! Wenn er sie fragte: was willst Du werden? So rief sie in die Hände schlagend: Besitzerin von Tein! Wen willst Du heirathen? Keinen andern wie den Grafen Lacy. Da lachte er zuletzt freudig und wollte nicht minder, daß es so sei.«

»Aber sag' mir doch,« fuhr Hieronymus fort – »wie kam es denn damals, daß die unseligen Unterhandlungen mit Frankreich wieder aufgenommen wurden?«

»Du weißt, Lacy hatte einen Sohn,« erwiederte Thyrnau ernst. »Stephan, sein einziger Sohn – sein Stolz – seine Hoffnung! Es konnte nicht fehlen, daß er in denselben Grundsätzen aufwuchs; er war von unsern Ansichten unterrichtet. Schon hatten wir all' unsere Pläne aufgegeben – da kehrte er plötzlich aus Frankreich zurück, wo er einige Jahre gelebt. Er legte seinem Vater einen Plan vor, der von dem früher erwählten Prinzen entworfen und von allen Feinden Österreichs unterstützt, ein Höllengewebe der Verrätherei war und nur schwache Stützen enthielt für das einzige heilige Gut, um dess Willen wir die Trennung möglich gehalten. Das Entsetzen seines Vaters war groß! Stephan, der in die Schlinge gefallen, die ihm gelegt, hatte dem Prinzen einen Kredit eröffnet, wofür bereits ein Corps geworben war, welches dem Prinzen zur Bedeckung dienen sollte, da er den französischen Truppen mißtraute, die damals anscheinend für den Exkaiser Karl den Siebenten Böhmen besetzt hatten. Bald übersah mein alter Freund, daß er Hilfe bedürfe, und vor Allem mußten die Stimmen zum Schweigen gebracht werden, die uns von dorther verrathen konnten. Dazu waren größere Mittel erforderlich, als er damals besaß; denn auf seinen Gütern hatte er langsam das große Werk begonnen, was wir für unser ganzes Vaterland zu erreichen uns aufgegeben hatten. Leibeigenschaft war der That nach dort nicht mehr gekannt; aber er konnte nur helfen, wo er zu gebieten hatte, und als er mir sein Vertrauen schenkte, zeigte es sich, er habe mich nöthig, um die nicht zu verlassen oder in andere Hände und in alte leidenvolle Zustände übergehen zu sehen, die durch ihn Menschen geworden – bessere Verhältnisse kennen gelernt hatten!«

»Ich weiß,« sagte Hieronymus – »Du opfertest Dein ganzes Vermögen, um ihn zu retten; er hatte gegen mich kein Hehl darüber. Aber, obwol er mir damals seine Verlegenheiten vertraute, sind doch Jahre seitdem verflossen, und mein langer Aufenthalt in Ungarn hat manches aus meinem Kopfe verdrängt. Sag' mir, waren es diese Verpflichtungen gegen Frankreich, die sein fürstliches Vermögen so herab brachten?«

»Die großmüthigen Opfer, die mein edler Freund gebracht,« sagte Thyrnau – »freie, an Leib und Leben, Gut und Blut gesicherte Menschen um sich her zu erziehen – sie hatten seine Einkünfte verkürzt und das Kapitalvermögen bereits belastet. Er konnte die ungeheuren Verpflichtungen nicht lösen, die sein Sohn eingegangen. Damals war ich als Bevollmächtigter des Fürsten von Z. am Hofe des Fürsten von S. – Lacy und ich waren seit einiger Zeit aus aller persönlichen Berührung getreten – längst waren unsere Weiber begraben – was mir von häuslichem Glück geblieben, hatte ich unter die Pflege meiner ehrwürdigen Schwester, der Barbara Hülshofen, gestellt. Das Dohlennest war seit Jahren verödet – und wir grollten uns – und der damit verbundene Schmerz hielt uns auseinander. Dennoch war ich sein Geschäftsmann und Keiner mißtraute dem Andern. Als diese Noth kam, dachte er zuerst an mich – und hatte keinen Zweifel an meiner Hilfe – und wollte sie von keinem Andern! O Lacy! edle große Seele – nie – nie vergesse ich diese Liebe! Du verstandest mich – Du hast mich geliebt!«

»Es vermehrte das Unangenehme unserer Lage,« fuhr Thyrnau nach einem kurzen wehmüthigen Schweigen fort – »daß ich zur selben Zeit erfuhr, der Fürst von S. sei von Seiten Frankreichs für diesen Plan gewonnen und im Besitz unseres Geheimnisses – mit ihm hätten sich zum Vortheile Frankreichs Andere bereits ziemlich unumwunden durch Hilfsgelder der französischen Sache verpflichtet. Es galt hier – ihr Geheimniß so sicher und erwiesen in die Hände zu bekommen, als sie das Unsrige besaßen – ein Schwert mußte das andere in der Scheide halten! – Ich bot mich ihnen als Vermittler an – und sie wählten mich, um ihrer Aller Angelegenheit in Frankreich zu betreiben. Meine Lage war hier verwickelt und gefährlich. Lacy und ich hatten uns das heilige Wort gegeben, um jeden Preis jede Verbindung mit Frankreich abzubrechen; denn schon ging das große Gestirn – Maria Theresia – über unserm Vaterlande auf, und wir wollten ihr vertrauen – nicht ihrer nahen Regierung vermehrte Hindernisse bereiten!«

»Nachdem ich in Paris das Terrain eine Zeitlang beobachtet hatte, faßte ich einen tollen gewagten Entschluß, von dem ich allein noch Rettung hoffen konnte. Ich drängte mich an die Marquise von Pompadour, ich hatte erfahren, daß sie den Prinzen, der unser König werden wollte, haßte, und für die Verachtung, mit der er gewagt, sie zu behandeln, ihn mit dem grenzenlosesten Spotte verfolgte und jedes Ridicüle über ihn zu bringen suchte, was sich entdecken ließ. – Darauf war mein Plan begründet. Dies Weib, das schönste und geistreichste der Erde, erholte sich zuweilen von dem Zwange, den ihre Größe und ihre schwierigen Verhältnisse ihr auferlegten, in einem kleinen ganz geheim gehaltenen Kreise alter Bekannter, welcher sich in einem abgesonderten Theile des Schlosses bei einer ihrer Kammerfrauen versammelte, und wohin auch die Personen wol geführt wurden, die sie nicht öffentlich empfangen wollte. Diese Frau kannte ich seit lange und bearbeitete sie jetzt für meine Pläne! Von ihr erfuhr ich die Abneigung der Marquise gegen den Prinzen, die ich nur zu lebhaft theilte, seit ich ihn persönlich kennen gelernt. – Damals war Witz und Heiterkeit meine tägliche Laune – ich verwandte sie hier zu meinen Zwecken. Die Marquise ward neugierig, mich zu sehn, und von da an gehörte ich dem kleinen Kreise an. Nach ihrem ersten Witz über den Prinzen äußerte ich ihr mein grenzenloses Erstaunen und gab vor, daß ich sie für seine Verbündete gehalten habe. – Sie lachte eine Stunde lang in einem Athem – und jetzt bat ich um eine geheime Unterredung. Ich entdeckte ihr den ganzen Plan und bat sie um Schutz und Hilfe, da – seit ich den Prinzen kennen gelernt – ich ihn nur noch auslachen könnte, aber nie mehr seine Wünsche fördern. Das war, was sie brauchte, und jetzt hatte ich fast nur zuzusehen, wie sie mit der Geschicklichkeit, um die sie jeder Diplomat beneidet hätte, Einen mit dem Andern täuschte – und wie der Prinz endlich vom Könige die mündliche Weisung erhielt – bei Strafe einer Wohnung in der Bastille – die Sache aufzugeben, die man in diesem Falle vergessen wolle. – Jetzt war der Prinz in der Notwendigkeit, Alles abbrechen zu müssen. Wir wurden über Hals über Kopf abgewiesen – das französische Kabinet wollte nichts gesagt, nichts gethan haben – Alles war eine Grille des Prinzen, eine Intrigue der böhmischen Großen!«

»Der Fürst von S., dem meine Unterhandlungen zu lange währten, kam selbst nach Paris. Auch er wollte die Marquise in das Interesse ziehn, und sie mystificirte ihn, indem sie den Plan als ihrem Schutze übergeben erklärte und ihm sagte, auch ich habe mich bemüht, ihre wirksamste Fürsprache zu erreichen; er solle sich gar nicht mehr darum bekümmern – sie wolle Alles allein durchsetzen! – Jetzt war er überzeugt, die Sache wäre, wie sie sein müsse – und reiste befriedigt zurück.«

»Auch ich durfte dies sein, aber leider nur in der Hauptsache; denn die Verlegenheiten für die Abschließung der Geldverpflichtungen stiegen immer höher. Auch die Marquise pflegte nichts umsonst zu thun, und ich bekam zuweilen Anweisungen von ihr zugeschickt, als sei ich ihr Banquier – und durfte mich nicht einen Augenblick besinnen, sie zu bezahlen.«

»Die übrigen Verhältnisse brachten mich aber zuweilen zur Verzweiflung. Ich sah die Ungerechtigkeit, die Ehrlosigkeit der Forderung ein, in welcher der Prinz, seine Umgebungen, seine Helfershelfer sich förmlich überboten – und wenn ich voll Entrüstung alle Unterhandlungen abbrechen wollte – gab mir der nächste Augenblick ruhiger Ueberlegung die feste Ueberzeugung, ich habe nirgends Schutz, nirgends Gerechtigkeit zu suchen – und mehr wie Vermögen sei hier zu retten – der bedrohte Name Lacy! Ich legte die Umstände endlich dem unglücklichen Vater vor – ich durfte ihn nicht länger schonen, denn jede Zögerung vermehrte das Uebel.«

»Die Kaiserin vertheidigte ihren vielfach angegriffenen Thron. Wir ertrugen beide die falsche Lage zu der großherzigen Frau nicht, und Lacy schlug mir endlich vor, seine Güter zu verkaufen und seinem Sohne nach Italien zu folgen, wo er in völliger Zurückgezogenheit seine wahre Lage zu verbergen hoffte. Dahin wollte ich ihn haben, um ihm endlich helfen zu können, wie ich wollte, denn hartnäckig hatte er bisher jedes Anerbieten meines Vermögens abgewiesen.«

»Eine kürzlich erschienene Verordnung der Kaiserin erlaubte den vermögenden Bürgerlichen, adelige Güter anzukaufen. Ich benutzte sie sogleich für mich – und ward der Eigenthümer von Tein. Doch nur unter der einen Bedingung, daß diese Erwerbung ein tiefes, unverbrüchliches Geheimniß zwischen uns beiden bliebe – Lacy nach wie vor im Besitz erscheine – als Verwalter der ganzen Herrschaft öffentlich jede Autorität behielte. Stephan war auf einem fernen Gute gestorben, wohin er nach dem Unglück, das er angerichtet, ging. Lacy erzog den Sohn seines jüngeren Bruders, den die Eltern ihm bei ihrem fast zu gleicher Zeit erfolgten Tode anvertraut. Dies Kind wurde der Balsam seines verwundeten Herzens.« – Thyrnau schwieg.

Hieronymus wischte mit seinem Aermel über die Augen. »Alter braver Thyrnau,« sagte er dann – »ja, ja, ich wußte wohl, ich liebte Dich nicht umsonst! Auch erinnere ich mich, Lacy hat es mir damals erzählt – aber so nicht. Denn es war in seinen letzten Tagen, und er konnte immer vor Liebe und Anbetung nicht zu Worte kommen. Auch war es ihm bei seiner Mittheilung die Hauptsache, daß ich eine Art Zeuge oder Mitwisser für die Vermögens-Verhältnisse würde.«

»Ja,« sagte Thyrnau – »und er wird Dir auch nicht erzählt haben, welche Noth er mir gemacht hat, ehe er sich fügte. Niemals hätte er eingewilligt, hätte ich nicht seinen Lieblingsplan – diese von ihm und mir nie aus den Augen verlorene Freimachung der Bauern, – zu Hülfe aufgerufen. Ich konnte damals die Herrschaft Tein weder bewohnen noch verwalten; verließ er sie, mußte das Gute, was bereits im Keimen war, wieder zu Grunde gehn; denn noch waren wir unter den Großen Böhmens mit diesen Plänen isolirt. Ihre Privilegien, ihr selbstständiges Ansehn wollten sie wieder erlangen, darum waren sie leicht gereizt und geneigt, fremden Einflüsterungen zu horchen. Was uns im Sinne lag – die entsetzliche, schmachvolle Lage der Geringeren zu heben – das sahen sie als Thorheit mit tadelnden Blicken an, und suchten zu hindern, so viel als möglich. – Da ich weder nach Tein – noch er nach Paris kommen konnte, wählten wir auf halbem Wege einen kleinen Ort, an welchem sich ein Gericht befand, und hier stellten wir nach langen gegenseitigen Kämpfen unsere Verhältnisse fest.«

»Ich ward Besitzer von Tein und bezahlte die Forderungen in Paris, welche die vorläufig aufgebrachten Summen noch überstiegen. Jetzt beleuchteten wir, was ihm blieb. Es war der Palast in Prag – es war ein kleines Allodium von der Gräfin Wratislaw, seiner Gemahlin, die ihm nur geringes Vermögen zubrachte. Bei dieser Angelegenheit entstand der Kampf. Ich wollte nur Darleiher, nicht Besitzer werden – Lacy's Neffe, den ich zwar nicht kannte, aber herzlich liebte, weil er sein Trost war, sollte unser Beider Sohn sein. Welche Kämpfe waren das, ehe ich siegte! Endlich – nach vierwöchentlichen Beratungen – schlossen wir den merkwürdigen und geheimnißvollen Vertrag ab. Er kehrte zurück als unbeargwöhnter Herr der Besitzungen, und ich hatte ihm mein Wort gegeben, sobald als möglich zu ihm nach Tein zu kommen – was ich zwei Jahre später auch wirklich that.«

»Nun?« sagte Hieronymus – »und wie steht es denn jetzt? Bin ich hier bei Thomas Thyrnau oder bei dem Grafen von Lacy?«

»Ich weiß es nicht,« sagte Thyrnau – »gewiß aber ist, daß ich die Herrschaft nicht bedarf. Mein Vermögen ist nicht groß, aber ich habe genug. Lacy hätte auch wohl die Schuld getilgt, wäre der Krieg nicht gekommen. Wie sollte er aber bei diesen fürchterlichen Zerstörungen und Abgaben, bei der Noth seiner Unterthanen, welche die Lage ihres Herrn nicht kannten und Hülfe von ihm begehrten, solche Schulden tilgen können?«

»Wir wohnten damals schon wieder zusammen und als er nach einem plötzlichen Schlaganfall sein Leben für bedroht hielt, wuchs die Sorge, dem geliebten Neffen, der in der Erwartung eines großen Besitzes erzogen ward, nach seinem Tode, die Entdeckung machen zu lassen, daß er für einen Namen, wie er ihn führte, fast arm zu nennen war. Da kam es im täglichen Beisammensein, im langsamen Getriebe von Frage, Antwort, Beobachtung und Geständniß endlich dahin, daß wir ein gegenseitiges Testament machten. In dem meinigen war Magda – die Einzige, die mir geblieben – Erbin meines ganzen Vermögens, – also, wenn Du willst – der Herrschaft Tein. Doch unter der Bedingung, daß sie keinem Andern als dem Grafen Lacy ihre Hand gäbe – und in diesem Falle wurde sie verpflichtet, nie diese Herrschaft als ihr disponibles Eigenthum anzusehn, sondern nur den Theil meines Vermögens dafür zu halten, der ein davon unabhängiges Kapital war. Sollte sie eine andere Heirath schließen, so ginge die Herrschaft Tein unbestritten an den Grafen von Lacy über und sie habe daran keine weitere Ansprüche zu machen.«

»Im Testamente Lacy's waren dieselben Bedingungen: nämlich – die als letzter Wille befohlene Ehe mit Magda. Da dies Testament jedoch eine mögliche Öffentlichkeit erhalten konnte, und diese die wahren Verhältnisse meines edlen Freundes unnützen Schwätzern Preis gegeben haben würde, ward blos darauf hingewiesen, daß dies eine dringende Forderung sei, und mir blieb die Vollmacht überlassen, die Gründe dafür dem Erben aufzudecken.«

»Nun,« sagte Hieronymus – »mit Deiner Erbin bist Du grade nicht großmüthig umgegangen; das ist ja eine Art Enterbung, wenn diese Heirath nicht zu Stande kommt!«

»Ist das denkbar?« rief Thomas Thyrnau begeistert. – »Sieh das Mädchen an – ist sie nicht wie eine Blume des Paradieses – ein Juwel, für den man die Fassung in einer Krone suchen möchte? Wer kann sie sehn, ohne sie zu lieben – wer dürfte nicht mit Entzücken denken, daß sie die Stammmutter eines blühenden Geschlechtes werden könne? Auch gefällt mir Lacy's Neffe – und obwol ich ihn nie sah, da er kurz vor meiner Rückkehr nach Tein die Universität bezog, haben doch seine Briefe das Bild bestätigt, welches mein alter Freund stets von ihm entwarf. Und Magda? Ich habe sie den Gefahren der Welt nicht ausgesetzt – hier – oder in der klösterlichen Zucht der Frau Barbara, wo sie den nöthigen Unterricht der Nonnen von St. Ursula genoß – ist sie groß geworden. Sie hat keinen Mann gesehen und Lacy ist eben so schön als liebenswürdig.«

»Das ist wahrscheinlich genug,« erwiederte Hieronymus – »aber – wenn er sie nun doch zurückwiese? Solche Ehen sind doch immer noch in der vornehmen Welt ein wenig anstößig.«

»Dann,« rief Thomas Thyrnau, indem er heftig aufsprang, »ist sie Besitzerin von Tein und bedarf der Grafenkrone nicht! Denn nur im Falle sie diese Ehe zurückweiset und einen Andern heirathet, verliert sie das Recht an diesem Besitz.«

»Ich weiß das längst!« sagte Magda, die bei den letzten Worten aus dem Studierzimmer des Grafen von Lacy trat, wohin sie von den Männern unbemerkt durch die Fensterthüren des Gartens gegangen war – »und Du hast von mir nichts zu fürchten. Aber ich sage Dir noch einmal, ich will nicht, daß ich oder der Graf gedrängt werden – Du mußt mir darin meinen Willen lassen, denn Du bist schon viel zu rasch gewesen!«

Thomas Thyrnau lachte über den Verweis, den er bekam und rief ihr munter zu: »Da er in seiner Jugend keinen Hofmeister gehabt, würde es ihm in seinen alten Tagen nachgeholt.« Magda flog lachend auf ihn zu und strich seine Wangen, während er sie an die Brust drückte. Doch plötzlich fuhr sie in seinen Armen empor: »Laß mich,« rief sie – »ich kam, Dir zu sagen, daß ein Fremder hier ist! Erst sah ich ihn gegenüber am See, als er kleine Steine hineinwarf und die Schwäne davon erschreckten, die zu mir kamen – dann war er mir aus den Augen, als ich sie rief und ihrem hastigen Segeln zusah. – Jetzt aber, wie ich die Blumen von der Terrasse holte für das Zimmer Lacy's, da sah ich ihn von der Reitbahn her um die Terrasse nach den Stufen zu gehn.«

»Dann werden wir gleich die Ehre haben, ihn zu sehn!« rief Thomas Thyrnau – fuhr aber etwas zusammen, als ein Diener eintrat und mit höchst bewegter Stimme den Grafen von Lacy anmeldete.

Magda war blaß und streckte unwillkürlich die Hand nach Hieronymus aus, der aus seiner gewöhnlichen Ruhe erwachend liebevoll ihre Hand ergriff: »Komm, mein liebes Mädchen, wir wollen zuerst noch ein wenig nach dem Krankenhause gehn,« sagte er – »dort wünschen sie mich zu sprechen und Du hast dort auch zu thun. Dann halten wir das Gebet zusammen.«

Hieronymus versuchte, aber vergeblich, als sie zusammen gingen, seiner Gefährtin in harmlosen Bemerkungen Rede abzugewinnen. Magda wandelte mit gesenktem Kopfe neben ihm, und ihr Athem war so ungleich und heftig, daß er sie einlud, im Bosket, wo Sitze waren, ein wenig auszuruhn. Hier sank die frische leichtfüßige Magda, die von ihrem Großvater oft Atalanta genannt wurde, wie völlig erschöpft nieder und die Blässe ihres Gesichtes, die so jäh mit glühender Röthe wechselte, machte den alten Arzt besorgt, der seinen Finger an ihren Puls legte und ängstlich fragte, ob sie auch weiter gehen könnte.

»O ja! weiter!« rief Magda, indem sie entschlossen, aber mit Anstrengung, aufstand – »ich will heute nicht nach dem Schlosse zurück. Die Pferde können außer dem Krankenhause auf die Landstraße geführt werden – und Du guter Hieronymus reitest mit voran.«

Der Alte glaubte Magda's Zartgefühl zu verstehn und versprach, was sie wünschte, mit der Bedingung, daß sie ihn erst seine Geschäfte im Krankenhause abmachen lasse.

So wandelten sie fort bis unter das Portal des Hauses, wo die Schaffnerin mit einigen von den Aufwärterinnen unter vielem Lachen in lautem Gespräch begriffen stand. Hieronymus fragte etwas ungeduldig, was es hier gäbe – und die Schaffnerin, die sich auch nicht gern so aus ihrer sonst angenommenen ernsten Würde vor den Angekommenen heraus gefallen sah, suchte wenigstens die Veranlassung zu ihrer eigenen Rechtfertigung zu übertreiben.

»Ah! wo sind denn Euer Ehrwürden hergekommen?« rief sie und küßte ihm und Magda die Hand – »daß Sie den gnädigen Herrn nicht gesehen haben? Es ist noch keine Stunde her, da stand er hier vor mir, der junge Herr Graf von Lacy! Ach, welch' ein schöner junger Herr! aufgewachsen wie eine Tanne – wie eine Rose am Zweige so frisch und schön! Ganz das Ebenbild seines hochseligen Herrn Oheims.«

»Schon gut! schon gut!« sagte Hieronymus – »immer sehe ich nur den Grund zum Lachen und Toben nicht, Frau Grete!«

»Heiliger Gott! Euer Hochwürden! so lang sind wir arme Leut' ohne den gnädigen Herrn verblieben – soll uns das Herz nicht lachen, wenn Seine Gnaden endlich eintreffen und dabei selbst mit Lachen und Scherzen ihren Einzug nehmen? Ach, war's denn nicht auch komisch genug, daß Seine Gnaden den Eingang vergessen hatten, und anstatt vor dem Thorpförtchen hier vor unserm Hause vom Pferde stiegen, nicht anders denkend – als dies große Haus mit Gitter und Einfahrt sei das Schloß?«

»Was sagst Du, Grete?« rief Magda hier schnell vortretend und mit fragendem Erstaunen ihre Hand auf Grete's Arm legend – »der Graf von Lacy glaubte das Krankenhaus hier sei das Schloß?«

»Ja! lieb Fräulein, – denken Sie nur! Darum lachten wir auch so sehr, und ich erzählte an Kathrin' und Stina, was die lange Abwesenheit nicht thut. Zu Michaelis müssen es just zehn Jahr sein, daß Seine Gnaden – ein blasses schlankes Bürschchen – nach der hohen Schule abgingen. Ja! zehn Jahre sind eine liebe lange Zeit und wirken aufs Gedächtniß! Hätte ich in dem schönen rothwangigen jungen Herrn nimmermehr das blasse schmächtige Herrchen wieder erkannt, was damals von uns ging. Da sagte er nun selbst – es war' ihm auch nicht ganz wie recht erschienen – aber er hätte gedacht, irgendwo fände er schon Einlaß.«

Magda las der guten Grete die Worte aus dem Munde. Doch Hieronymus unterbrach die gesprächige Frau und that nöthige Fragen über die Kranken. Magda erwachte nun aus ihrem Nachdenken und trat ihre gewöhnliche Wanderung an nach dem Viertel des Hauses, wo die Alten und die Kinder beisammen lebten, zu gegenseitiger Dienstleistung auf einander angewiesen.

Hier war Magda immer gewiß, die höchste Freude durch ihren Besuch zu erregen. Jung und Alt streckte die Hände nach ihr aus, und hier zeigte sich ihre ganze Eigenthümlichkeit; denn scherzend und neckend, scheltend und befehlend ging sie von Einem zum Andern. Aber mit halbem Blick sah sie dabei, wo es fehle – was Erleichterung, Hülfe oder Trost gewähren konnte – und dann zog sie es das nächste Mal aus der Tasche – oder Frau Grete wurde beordert, es her zu geben, und da Niemand ihr zu widerstehn vermochte, mußte auch Frau Grete manche wohl überlegte Einschränkung aufgeben, wenn Magda in ihrer Weise, die keinen Widerspruch duldete, ihr Regiment hier führte. Doch heute hätte man denken können, Magda wandre blos aus Angewöhnung hier umher. Sie nickte mit dem Kopfe jedem Gruße entgegen – aber Niemand hätte gewagt, sie anzureden. Selbst die Kinder kicherten nur in ihrem Spielwinkel, und es schien Allen ungewiß, ob es Magda sei, ihr Schutz und Schirm – ihre heitere Gefährtin. Auch ging sie nur durch den Saal, der Alle bei Tage versammelte, um in das Gemach der alten Angela zu kommen; denn diese ihre alte Kinderfrau, jetzt blind und nahe an die achtzig Jahr, saß hier in einem kleinen wohnlich eingerichteten Gemach, welches ein Fenster nach dem Wildgarten zu hatte, in dessen Nische Angela Tag vor Tag ihr Rädchen drehte und das feinste Garn im ganzen Hause spann.

»Nun, Alte,« sagte Magda – »hast Du Deinen Wocken noch nicht leer? Mußt Du immer arbeiten wie um's liebe Brod?«

»Schmäle nur! entgegnete die Alte – thu's auch um's Brod – denn es schmeckt mir nicht, wenn ich nicht drum gearbeitet;« »Du sollst aber aufhören,« rief Magda – »ich will nicht, wenn ich bei Dir bin, daß Du halb an Deinen Faden, halb an die Worte denkst, die Du mit mir redest.«

»Nun, Du bist heute wieder wirrsch,« sagte Angela, »hast wieder Deinen Trotzkopf aufgesetzt! Geh! geh! so mag ich Dich nicht leiden!«

Damit schob sie aber doch das Rädchen fort und Magda fragte sogleich: »Sag', war meine Mutter auch so trotzig wie ich?«

»Das soll wohl sein,« erwiederte die Alte – »doch wie frägst Du danach? Laß die verstorbenen Leut' ihre Sache gemacht haben in der Welt – mach' Du nur Dein Theil klüger!«

»Du sollst mir aber von ihr erzählen, Angela! sag' mir nur – hieß der Graf Lacy, der sie so sehr liebte, nicht Stephan?«

»Stephan! Stephan! Mein Kind! das war eine Liebe – mein Gott, wie groß! hat ihm auch das Leben gekostet! Aber, was war Deine Mutter auch für'n Mädchen! Und das sahen die Alten wol ein – aber es war immer Stahl und Eisen beisammen – unser alter Thomas, der hatte auch sein Dünkelchen! Da sollte der große Herr Graf herabsteigen, in das Dohlennest kommen und um die Ehre bitten, daß die Tochter des Bürger und Advokaten Thyrnau Frau Gräfin von Lacy werde. Ja sieh! so was geht denn nicht nach Wunsch! Wir Bürgersleute bleiben immer über die Achsel angesehen von den althergebrachten Leuten! Ich hab' mein' Zeit viel gesehn – aber nie hat so was glücken wollen.«

»Und sie Beide – auf die es ankam,« rief Magda – »Stephan liebte die schöne Mutter – aber sie – sag' mir, sie – liebte sie ihn denn?«

»Ach, was das nun so schwätzt,« fuhr Angela auf – »lieben und lieben! Ein junger Herr, wie gedrechselt – warum sollte sie ihn denn nicht lieben? Hat's ihm doch das Leben gekostet, als er hörte, sie wäre vermählt und auf und davon!«

»Das Leben!« rief Magda, die Hände zusammenschlagend, »der arme, arme Stephan! Ja, das kann ich begreifen – lieber sterben.«

»Was hast Du Dich denn so, Magda?« rief die alte Frau, verdrießlich über den ungewöhnlichen Ton des jungen Mädchens. – »Was kannst Du davon begreifen? Männern bricht all Zeit das Herz um das, was sie nicht erreichen können! Ich hab' ihn oft gescholten, oft weggejagt, wenn er vor dem Thurme, wo das arme Kind schlief, die halbe Nacht im feuchten Thau lag und immer blasser und elender ward. Sie hat so übel nicht gethan, als sie fort ging. »»Angela,«« sagte sie – »»hier ist nichts als Unfrieden und Feindschaft – ich bin die Ursach – bin ich aus dem Wege, wird Jeder sich wieder finden.«« Aber darin hatte sie Unrecht! Denn nun ging erst ein unnatürliches Haben an – der Sohn machte dem Vater Vorwürfe, der Vater dem Sohn – unser alter Herr Thomas sagte, der Graf habe ihm die Tochter geraubt – der sagte wieder, der Sohn werde das Opfer!«

»Ach! und darin hatte er Recht,« rief Magda – »denn meine Mutter war doch – wenn auch nur kurze Zeit – doch war sie glücklich.«

»Das soll wol wahr sein,« sagte Angela – »denn hier war kein Glück mehr – Alles stob aus einander – das Dohlennest stand leer – Herr Stephan starb endlich auf einem kleinem Gute seiner verstorbenen Mutter. Was da noch hinzu gekommen? – Man sagte viel! Wovon ich aber nichts sah, das weiß ich auch nicht – genug, bald war's vorbei – der schöne schmucke Herr ließ den Vater an sein Sterbebett fordern – ja! da kam die Reue zu spät – Tod kennt kein Gebot!«

»Und doch freut es mich,« rief Magda – »daß er meine schöne gute bürgerliche Mutter so geliebt hat, dieser vornehme Graf von Lacy.«

»Was das ein Unverstand ist!« rief Angela – »da hat sie wol groß Glück gehabt! Und der arme Herr selber! Das ist auch zu freuen, wenn Einer das Leben dran giebt – geh' mir doch mit Deiner Freude!«

Ehe Magda antworten konnte, trat Frau Grete ein und sagte, Pater Hieronymus wäre im Betsaal und Alle schon um ihn versammelt. Angela stand sogleich mühselig von ihrem Sorgenstuhle auf und Magda gab ihr den Arm, an den sie sich hängte. Im Hinausgehen sagte Magda aber: »Deine Hände sind kalt, Angela! Du mußt noch immer des Abends ein wenig Feuer im Kamin machen lassen; das thut in Deinen Jahren nicht gut, so kalt zu werden. Grete sorge mir, daß Angela des Abends ihr Kammfeuer hat – die Sonne kommt gar nicht durch bei dem Waldfenster.«

»Was das klug thut,« entgegnete Angela – »als wüßte sie, was alten Leuten Noth thut! Nu! nu! wie Deine Mutter! Die hatte auch für alle Menschen was übrig in ihrem guten Herzen.«

»Wollte Gott, ich glich ihr!« sagte Magda rasch, und alle Drei traten in den Betsaal ein.

Das Gebet hatte begonnen; als Hieronymus aber seinen Liebling an Angela's Seite so trübe und gedrückt daher kommen sah, da erhob er die Stimme und rief mit großer Bewegung: »Kommt Alle, die Ihr mühselig und beladen seid, ich will Euch trösten! Aber,« fuhr er fort, »wenn Ihr der Einladung des Herrn folgt, der Euch ruft, so bedenket, vor wen Ihr gefordert werdet, und wenn Ihr voll Vertrauen seiner Hülfe Euch entgegen dränget, so lasset vor Allem den eignen Willen Eures sündigen Herzens vor der Thür. Damit der Herr Euch helfen könne, sagte vor Allem: Dein Wille geschehe! denn wol glaubt Ihr, von thörichten Einbildungen umstrickt, von Euch gelte, wenn es heißt: Mühselig und beladen! Aber wißt Ihr auch, ob das, was Ihr vor Ihn hinschleppt – wofür Ihr Trost oder Hülfe begehrt – ob es nicht blos die eingebildeten Uebel sind, die Euer eignes Herz erzeugt? Empfindet Ihr sie nicht blos darum, weil Euer Herz sich festklammert an die Güter dieser Erde – seid Ihr nicht darum beladen weil Ihr nicht aufgeben könnt und mögt, was Eure Begierden reizt – leidet Ihr nicht, weil Ihr nicht entbehren, nicht tragen, nicht dulden wollt? Seid Ihr nicht mühselig, weil Euer Auge blind ist für das Gute, was Ihr habt, und hellsehend für das, was Euch versagt ist? Darum sage ich Euch, wer dem Rufe des Herrn folgt – der Keinen täuscht – der erwartet nicht, daß die verheißne Hülfe, der Trost – der Balsam wird für jegliches Uebel – den erreichen wird, der mühselig und beladen von irdischen Wünschen vor ihn tritt. Er hat seinen Theil dahin! Er wird weiter keuchen unter dem selbst gewählten Joch, denn der Herr unser Gott und Heiland hat nicht Raum in ihm, seine Gnade wirken zu lassen. Sein Gebet wird ein unfruchtbares Werk seines Mundes sein – ein schöner Handel um die thörichten Wünsche des Herzens, und er ward in Gottes Allmacht und Gerechtigkeit zweifeln, weil nicht erfüllt ward, was er von ihm begehrt! Wer aber mühselig und beladen mit meinem demüthigen Herzen vor den Herrn kommt, der wird des unvergänglichen Trostes inne werden, der bei Ihm ist und Keinen je getäuscht! Aber Dein Herz muß ein leer Gefäß sein, worin Er seine Gnade ausgießen kann – auf Deine Leiden mußt Du blicken mit der Bitte: vergieb mir meinen Antheil daran – auf Deine Hoffnungen und Wünsche mit dem Begehren: nicht mein Wille, Herr, geschehe, sondern der Deinige! Dann machst Du den Herrn mächtig in Dir und Großes wird er wirken – denn für Dich steht geschrieben: die auf Ihn hoffen, haben nicht auf Sand gebaut, sondern auf Felsengrund!«

Als Magda nach beendetem Gebet im Vorflur mit Hieronymus zusammentraf, hatte ihr Auge und ganzes Antlitz den alten Glanz wieder und als er sie forschend anblickte, sagte sie: »Das that mir grade Noth! Du hast mich tüchtig gerüttelt und geschüttelt – nun ist mir aber viel besser!«

»Ja,« sagte Hieronymus – »der Schlaf der Seele ist bald da; wir können uns nicht oft genug zurufen! Wachet und betet!«

Im selbigen Augenblick hörten sie die Stimme des Herrn Thomas Thyrnau. Er hielt schon zu Pferde auf der Landstraße vor dem Garten, und Magda's Pferd und Hieronymus Maulthier hielt der Reitknecht daneben.

»Kommt! kommt!« rief er – »Ihr seid heute sehr lange beschäftigt gewesen! Die Sonne ist kein langer Gast mehr – sie geht unter und es ist Zeit zum Abendbrod!«

Schnell bestieg Magda ihr kleines schönes Pferd, und ihm einen leichten Schlag mit der Gerte gebend, flog sie den Männern voran und flüchtig wie ein gejagtes Reh in den Wald hinein.

»Nun,« sagte Hieronymus – »wie gefällt Dir Deine neue Bekanntschaft – der Herr Graf von Lacy?«

»Hm!« entgegnete der alte Advokat – »das ist ein komisch Ding! Warum er jetzt gerade kommt, ohne sich vorher anzumelden – so übereilt in Allem – so unruhig – so obenhin – so fremd und zerstreut – dahinter steckt was! Es ist in ihm oder seinen Verhältnissen etwas nicht in Ordnung. Aber er will mit der Sprache nicht heraus. Sonst könnte er mir wohl gefallen – es ist ein schöner offner freundlicher Bursche, dem man schon gut sein kann, wenn er erst das verwirrte Wesen abgelegt hat. Aber, Alter! was Magda wol zu ihm sagen wird? Ich woll't darauf schwören, sie hat ihn sich anders gedacht!«

»War denn von ihr die Rede?« fragte Hieronymus.

»Das war das tollste,« fuhr Thyrnau fort – »daß er auf einmal wie besessen auf sie ist! Er hat sie wol länger, als sie denkt, am See belauscht und ist wie rasend in das Mädchen verliebt – ich glaube, er ließe sich morgen mit ihr trauen!«

»Das will mir gerade nicht sehr gefallen,« entgegnete Hieronymus, das schadet ihm auch eher bei dem Mädchen, als es ihm hilft.«

»Die Wahrheit zu sagen,« entgegnete Thyrnau – »mir gefällt es auch nicht sehr. Ueberhaupt, ich habe ihn mir auch anders gedacht – obwol er mir nicht mißfällt.«

»Er war bei Frau Grete abgestiegen, erzählte jetzt Hieronymus – »weil er das Schloß verfehlt hatte. Sie schwatzte viel von seiner Aehnlichkeit mit dem seligen Oheim! Ist das wahr?«

»Die Närrin!« lachte Thyrnau – »auch kein Zug! Die Größe mag er haben und auch braune Augen – aber sonst keinen Zug! Nun, Du wirst ihn bald genug sehn! Morgen will er im Dohlenneste zu Mittag essen – am Vormittag will ich hinüber und Du reitest lieber mit und hilfst mir gelegentlich! Sieh! der Eindruck ist unklar, den mir der Junge macht. Es ist sonderbar, wenn man von Jemand nur die Handschrift kennt und nach Art und Weise der Worte, Gedanken und Gefühle sich überredet, wie der aussehen müsse, der sie niederschrieb. Tritt nun ein ganz Anderer vor uns als der, den wir erwarteten, so geben wir die Schuld nicht unserer thörichten Einbildung, sondern wir möchten es dem zurechnen, der uns darin täuschte. Wir sehen ihn mißtrauisch an, als wäre er nicht der Rechte!«

»Ja! ja!« sagte Hieronymus – »der Mensch ist ein eigensinnig rechthaberisch Ding und die Zugeständnisse, die er sich selbst macht, sind immer die weitreichendsten; seine Einbildungen sollen allemal mit der Wahrheit zusammen stimmen und wenn sie uns den Gefallen nicht thun will, glauben wir lieber, die Wahrheit irre sich, als wir!«

Jetzt hatten sie Magda erreicht, die, nachdem sie in den Wald eingelenkt war, ihrem Pferde die Zügel über den Hals geworfen hatte und es ihm überließ, langsam den Weg zu suchen. Sie selbst indessen hing so träumerisch im Sattel, als habe sie dafür keine Gedanken.

»Nun, Feenkind!« rief Thomas Thyrnau – »hat Dich der Erlenkönig nicht besucht – tanzen die Elfen nicht im Moor – hörst Du Titanien's Ballmusik zu?«

»Von Allem ein wenig,« sagte Magda – »Mondschein und Herbstnacht webt der Feen Festgewand! Da flüstert's in allen Zweigen, da rauscht es im welken Laube, da haben die Quellen zu viel und die Bächlein reisen weiter als ihr Bett. Wer sich niederlegt aufs linke Ohr, der träumt, er habe zu wenig; wer's auf dem rechten versucht, dem erfüllen sich alle Wünsche; wer auf dem Rücken liegt, der weiß, daß die Elfen lügen und hört, wie sie lachen.«

»Das hast Du Dir gewiß selber ausgedacht,« sagte Thomas Thyrnau – »oder saß Dir Frau Mab auf der Nase und wollte Dich zu ihrem lustigen Hofstaat werben?«

»Hätte sie sich die Mühe gegeben, ich wäre ihr gefolgt; denn lustig muß es sein, wo der winzige Kelch des Farrenkräutleins ein behaglich Ruhebettchen für die Frau Königin ist, und das Blatt der Wasserlilie die Insel, wo das Bankett gehalten wird; wo die Leuchtwürmer angestellt sind, die Illumination zu besorgen, und sich an dem Tropfen Honig, den die Biene beim Vorüberfliegen verlor und den die sorgliche Schaffnerin in dem mächtigen Schlauch eines leeren Ameisenei's auffing, die ganze Gesellschaft berauscht! Das nenne ich mir, ohne viel Aufwand, lustig sein! Was hast Du dagegen für Noth und Frau Gundula und Bezo und Veit und wie sie all heißen, um so viel Gäste zu speisen, als in Deinen kleinen Gitterstuhl im Dohlennest hineingehn.«

»Darum brauch ich dabei auch so weise Leute zu Rath und Hülfe, die Abends im Walde von den Elfen und Feen Lection nehmen und gerade zur rechten Stunde hast Du Audienz bei ihnen gehabt, um mir morgen mein Mahl einzurichten, wenn uns der neue Herr von Tein seine Aufwartung machen wird im Dohlennest. Doch bitte ich Dich, verändere etwas Deinen Maaßstab und nimm zu dem Tropfen Honig – auch Anderes zu Hilfe!«

»Das dachte ich,« sagte Magda – »deßhalb lockte mich der Wald heute Abend so sehr und ließ mich mehr verstehn als sonst – und versprach mir all seine Geheimnisse, wenn ich ihm folgen wollte und das Andere lassen, was nichts verspricht als Herzeleid. – Hör' Großvater! ich muß Dir sagen, meine ganze Freude zu Deinem Grafen Lacy ist weg, nun er uns so nah kommt; ich möchte ihm am liebsten sein Tein lassen und mit Dir durch die Welt ziehn oder bei Tante Barbara den Staub kehren und den Kaffee kochen!«

»Nun,« rief der Großvater zurück – »das ist nicht sehr schmeichelhaft für den armen Jungen da droben; den Kaffee kochen und Staub kehren, ist, denke ich, Dein letztes Vergnügen.«

»Wenn nur beides für den Rechten ist!« erwiederte Magda. »Die Muhme versteht es, aus Allem was zu machen; ich glaube, es war mir nie bei ihr zur Last und hier möchte ich's mir nicht nah kommen lassen. Aber sag mir doch, wie gefiel Dir der junge Herr?«

»Aha!« lachte der Advokat – »sind wir dahin gelangt mit allen unsern Umwegen? So keck und gleichgültig zuerst – und dann wollen wir doch wissen, wie er aussieht!«

»Das brauch' ich von Dir nicht zu erfahren,« rief Magda – »Gieb Acht, ich will es Dir sagen: Da standest Du nun in der Bibliothek allein und hattest nicht den Muth, ihm entgegen zu gehn – und da that sich die Thür auf – und Du fuhrest zurück – denn herein trat das lebendig gewordene Bild Deines alten Freundes, wie er als achtundzwanzigjähriger Herr gemalt in dem Kabinet hängt. Und da that er den Mund auf und das war die sanfte Stimme des sel'gen Herrn – und da stürztest Du auf ihn ein und hast ihn geherzt und gedrückt.«

»Siehst Du,« rief Thyrnau, sich zu Hieronymus wendend – »das Mädchen hat sich ihn gerade so gedacht als ich. Das habe ich wohl gefürchtet!«

Doch Magda hörte nichts mehr. Beim Dohlenneste angekommen, stieg sie vom Pferde und als die alten Herrn eintraten, rief sie ihnen schon von der Gallerie einen Nachtgruß zu und verschwand in ihr Thurmzimmer.

Wenn Magda am andern Morgen den Kopf zu ihrer Thür hinausstreckte, so hörte sie, wie Gundula's sanfte Stimme sich zuweilen stärker als gewöhnlich erhob, um außerordentliche Zurüstungen ins Leben zu rufen. Schnell zog sie dann den Kopf zurück und mochte nicht hinunter in den Tumult und noch weniger die alten Herren sehen, die heiter und redselig bei dem schönen Herbstwetter vor der Thür saßen und das reichliche Frühstück verzehrten. Ueberall mochte sie sich nicht zeigen, denn sie war unsicher mit sich selbst geworden und fühlte, gerade heute thue ihr eine sichere und ruhige Haltung Noth. Wol sah sie sonst gern, wenn sich Alles um Ihre kleine Person drehte – heute ward sie wund von dem Gedanken, daß Alle auf sie sahen, daß Jeder wußte, es sei ein wichtiger Tag für sie. Dazu kam, daß sie sich nie hatte überwinden können, dem Großvater zu entdecken, wie sie ihren Verlobten bereits kenne und daß, obwol es zu diesem Geständniß noch Zeit schien, ihr es doch heute völlig unmöglich ward. Sie fürchtete die Entdeckung, als habe sie eine große Schuld auf dem Herzen, und sie wollte lieber den Großvater nicht sehen, den sie glaubte betrogen zu haben. Dabei ward Alles zum Wegreiten der alten Herren gerüstet und sie konnte ihren Abzug gleich nach Beendigung des Frühstücks erwarten, wo sie denn vielleicht in der Ruhe der Abwesenheit die Fassung wieder gewann, die sie so ungern vermißte.

Es fand sich, wie sie es wünschte. Thomas Thyrnau erhob sich nach gehaltenem Frühstück, und da er von Frau Gundula vernommen, es rege sich noch nichts in Magda's Thurm, so wollte er ihre vorausgesetzte Ruhe nicht stören. Beide alte Herren bestiegen die bereit stehenden Pferde und ritten nach Tein, ihre Rückkehr mit dem Gast zur Mittagszeit verheißend.

Der nunmehrige Bewohner von Tein hatte indessen, den Besuch erwartend, sich auf seinen Empfang so gut wie möglich vorbereitet, und obwol er die nöthigen Dinge, die zu verhandeln waren, etwas scheute, hatte er doch Zeit gefunden, das kleine anmuthige Schloß mit seinen reizenden Umgebungen zu durchwandern. Er war eben wieder in das hohe großartige Bibliothekgemach getreten, wo er Thomas Thyrnau zuerst sah, als dieser in seiner raschen lebendigen Weise, von Hieronymus begleitet, schon bei ihm eintrat und, wie es dem Bewohner von Tein schien, etwas steifer und förmlicher als am Abend vorher ihn begrüßte und Hieronymus vorstellte. Dies Mißbehagen war in der That vorhanden und bezog sich auf Einiges, was der Advokat beim Eintritt in das Schloß von den alten Dienern desselben vernommen hatte.

»Mein Herr Graf,« sagte der Advokat, indem sein großes feuriges Auge durchbohrend auf dem Angeredeten ruhte – »ich habe bei meinem Eintritt in das Schloß nichts als Klagen über Euer Gnaden gehört und habe nach alter Leute Art gleichfalls Lust, etwas zu schmählen, welches der Freund Ihres sel'gen Oheims, denke ich, wol wagen darf.«

»Jedes Ihrer Worte, belehrend, tadelnd oder welcher Natur sonst,« sagte der junge Mann mit aufrichtiger Empfindung in Ton und Ausdruck – »wird mir von Werth sein. Daher bitte ich, sagen Sie mir, was hab' ich gethan, was Ihnen mißfällt. Ich denke, es soll mir nicht schwer werden, es wieder gut zu machen.«

»Hm,« sagte der Advokat, dem die Aufrichtigkeit der Entgegnung nicht entging, in etwas milderem Ton – »mit mir persönlich haben Sie es nicht zu thun! Aber die alten Diener Ihres Herrn Oheims, diese Diener, die Euer Gnaden gekannt und geliebt haben und den achtzehnjährigen Jüngling, der damals dies Schloß verließ, keinen Tag ihres Lebens vergessen haben, sie empfinden es jetzt schwer, daß ihr junger Herr, der nach zehn Jahren zurückkehrt, keine Erinnerung – keine Theilnahme für sie hat; von seinem eignen fremden Kammerdiener sich bedienen läßt, nach Keinem fragt und ihr unterthäniges Gesuch, sich ihm vorstellen zu dürfen, zurück weist.«

»Ah! ist es das?« rief der junge Mann, ganz erleichtert lachend – »nun das wollen wir bald wieder gut machen. Und Sie, mein würdiger Freund! sehen Sie es der Jugend, der langen Abwesenheit nach! Gewiß, ich mache das wieder gut, und die alten Leute sollen zufrieden sein. Es ist wahr,« fuhr er theilnehmend fort – »ich fragte noch nicht. Sagen Sie mir doch etwas – nennen Sie mir doch die Leute – wer lebt von ihnen noch, der mich damals kannte? Sie werden mich verändert finden!«

»Es ist Keiner gestorben,« entgegnete der Advokat – »und so werde ich sie Ihnen wol nicht zu nennen brauchen; und wenn auch der Herr Graf sich in zehn Jahren verändert haben können, bin ich doch sehr sicher, diese alten Leute werden nicht Gleiches erfahren haben, und der Herr Graf müssen, wie sehr auch zerstreut und abgezogen, die lang gekannten Diener wieder herausfinden.«

»O gewiß, gewiß!« rief der junge Mann – »ich würde es mir wenigstens zum Vorwurf machen, wenn mir mein Gedächtniß hier Streiche spielte!«

»Das halte ich für unmöglich!« entgegnete der Advokat mit entschiedenem Tone – »und so wollen wir, denke ich, zu andern Angelegenheiten übergehn, und ich muß nach Ihren Absichten bei diesem schnellen, unvorbereiteten Besuch fragen, da noch Ihre letzte Antwort auf meine dringenden Aufforderungen entschieden abweisend war – lassen Sie mich hinzusetzen: mit dem Vorsatz geschrieben schien – mir jede Hoffnung zu einer friedlichen Ausgleichung zu nehmen.«

»Wenn es nun die Absicht gewesen wäre, Ihre Enkelin selbst kennen zu lernen? Wenn ich nun dieser Verstimmung herzlich überdrüßig, den geheimnißvollen Vorbehalt, den der würdige verstorbene Herr entgegenstellt, endlich kennen lernen wollte – wären das nicht Gründe genug?«

»Ich muß das zugeben,« erwiederte der Advokat – »aber es thut mir leid, sagen zu müssen, diese Ueberlegung hätte – etwas früher eintretend – manchen unangenehmen Eindruck erspart.«

»Und doch besser spät als gar nicht! Also lassen Sie sie gelten, und stören Sie mich in Nichts. Das heißt, stören Sie mein Bemühen nicht, die Liebe Ihrer Enkelin zu erwerben. Gewiß, ich meine es redlich, und gelingt es mir, so wird diese Vereinigung allen Hader, alle Verlegenheiten ausgleichen.«

»Das ist gewiß!« rief Thomas Thyrnau – »und weiß ich keinen andern Rath. So sonderbar diese Maaßregeln sind, zu denen Ihr Oheim sich bei Abfassung seines Testaments veranlaßt sah, werden Sie diese doch natürlich finden, wenn Sie die Veranlassung kennen und sich den Karakter Ihres ehrwürdigen Oheims zurückrufen. Er war auf keine andere Weise zu retten.«

»Zu retten?« rief der junge Mann in lebhafter Ueberraschung – »so ernsthaft war die Sache! Zu retten! von was? – Ich erstaune! Was konnte die Veranlassung so ernster Beziehungen werden?«

»Kein Kinderspiel! keine Thorheit! keine geträumte Wichtigkeit, junger Herr,« rief Thomas Thyrnau gereizt – »das glauben Sie mir! Doch lassen wir das heute. Sie kennen das Mädchen nicht – das Mädchen Sie nicht. Ehe Ihr Beide entschieden habt, bleiben meine Mittheilungen auf Warnungen beschränkt. Meine Enkelin hörte dieselben so gut, wie Sie. Jetzt lernt Euch kennen! Lassen Sie uns indessen zu den nöthigen Geschäften übergehen; lassen Sie uns die Maaßregeln vornehmen, die nothwendig sind, Sie hier als Herrn anzuerkennen. Die Gerichtspersonen der Grafschaft sind noch gestern Abend benachrichtigt und um diese Stunde hierher bestellt. Ich werde in ihrer Gegenwart Euer Gnaden die bisher geführte Verwaltung übergeben und erwarte dagegen eine eigenhändig geschriebene Erklärung Ihrer Seits, daß dies nach aller Form geschehen ist, wonach Sie Ihr Privatsiegel hinzu fügen werden – welche Formalität Sie dann vorläufig in Ihre Rechte einsetzt.«

»Ach! nur heute noch keine Geschäfte!« rief der junge Mann – »ich dachte, ich wäre Ihr Gast im Dohlennest? Sind die Herren von der Feder angekommen, so wollen wir sie hier ausruhen und pflegen lassen. Aber ehe ich mich Ihrer Enkelin vorgestellt, ehe ich dies schöne bezaubernde Wesen, was mich in der Ferne entzückt, auch in der Nähe erblickte, mag ich hier nicht eingeführt sein. Bis dahin habe ich für nichts Anderes Andacht!«

Wir überlassen den hieraus entstehenden Streit den dabei Beteiligten. Als Thomas Thyrnau endlich nachgab, diese Angelegenheit, die ihm in mehr als einer Beziehung wichtig schien, bis zum andern Tage zu verschieben, können wir nicht sagen, daß es seine gute Laune vermehrt habe. Er zog sich eine ziemlich lange Zeit mit den eingetroffenen Gerichtspersonen zurück, und ein Brief, den er verfaßte, ging noch denselben Vormittag bis zum nächsten Posthause, von wo eine Stafette ihn sogleich nach Wien beförderte.

Der junge Mann konnte nicht müde werden, mit Hieronymus über Magda zu sprechen und wußte in die Unterredung mit vielem Geschick eine Menge Fragen einzuweben über Thomas Thyrnau sowol, wie über die besonderen Verhältnisse desselben. Hieronymus ließ sich lächelnd auf diese Gegenstände ein und hatte sein Vergnügen an der Schlauheit des jungen Mannes und seinen geschickten Anspielungen. Ob er dessen ungeachtet damit sehr viel weiter kam, wollen wir nicht behaupten, denn die träumerische Gutmüthigkeit in dem Aeußeren des alten Herrn verbarg eine sehr ausreichende Schlauheit.


 << zurück weiter >>