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Der frische Morgen, der nach und nach alle Bewohner des Dohlennestes unter den schattigen Bäumen vor der Hausthür versammelte, brachte manche tröstliche Nachrichten, die vorzüglich von Hieronymus ausgingen, der sowol über den Grafen von Lacy wie über Bezo die besten Berichte abstattete. Der Prinz kündigte dagegen seine Rückkehr nach Prag an und suchte zu beobachten, in welchem Grade der Theilnahme er hoffen könne in Magda's Andenken zurückzubleiben. Ihre dunklen Augen prüften ihn mit dem eigenthümlichen Blitzen schalkhafter Lebendigkeit, und sie reichte ihm gern die schlanke Hand, und jede Miene zeigte, daß sie seinen Worten nicht abhold blieb; aber schon war sie Mädchen genug, um ihn über ihre Gesinnungen in Zweifel zu lassen.
Als die Pferde vorgeführt wurden, sah man eine Gruppe Bauern über den Dorfweg kommen und sich dem Dohlenneste nahen. Thyrnau ging ihnen entgegen und man sah aus der Ferne, daß es ein hastiges Gespräch vieler verworren unter einander Kämpfender war, unter denen der Advokat sich endlich mit ein Paar entschiedenen Worten Bahn machte. Jetzt erst redeten Einzelne, und bald darauf entließ sie Thomas Thyrnau mit einem kurzen Bescheid, dem sie ohne Gegenrede folgten und sich nun still des Weges zurückzogen, den sie gekommen waren.
Der Advokat trat jetzt zurückkehrend auf den Prinzen zu, der sich mit Magda und Hieronymus unterhielt. »Euer Durchlaucht habe ich die Pflicht zu melden, daß der Arrestant, der gestern Abend des beabsichtigten Mordes verdächtig in dem Dorfgefängniß wohl verwahrt ward, in der Nacht Mittel und Wege gefunden hat, zu entkommen.«
Thomas Thyrnau verbeugte sich dabei vor dem Prinzen, und die Feierlichkeit seines Wesens hatte einen unverkennbaren Karakter von Ironie. Der Prinz wußte offenbar nicht die rechte Haltung zu treffen, verbeugte sich ebenfalls und vermied die großen feurigen Augen des Advokaten, während er einige unbedeutende Worte erwiederte. »Wir könnten jetzt immer noch den Arrestanten verfolgen lassen,« – fuhr der Advokat fort –
»Wozu das?« rief der Prinz hastig – »er wird gewiß die Grenze suchen und wir haben schwerlich weitere Belästigungen von ihm zu fürchten.«
»Wenn Euer Durchlaucht so meinen,« entgegnete der Andere, »so werde ich für diesmal der Entscheidung folgen.«
Rasch umarmte jetzt der Prinz den Advokaten und Beide blickten sich dann einen Augenblick ernst und prüfend in die Augen. Sie mußten sich viel mit diesem Blick gesagt haben, denn Beide konnten ihre Bewegung nicht unterdrücken. Der Prinz nahm flüchtig Abschied und schnell sah man ihn an der Spitze seiner Diener über den Wiesengrund davon jagen.
Jetzt folgte im Dohlennest eine von den unangenehmen Zeiten, wo man durch ein bedeutendes Ereigniß aus dem gewöhnlichen Gange der Tage getrieben ist, und welches doch statt der gestörten Ordnung unsere Thätigkeit nicht genug in Anspruch nimmt, um uns zur Zerstreuung zu dienen. Magda fühlte die unsichtbare Nähe des Grafen Lacy, von dem Hieronymus noch immer unbewegliche Ruhe forderte, als läge der Alp auf ihr, und wenn sie von ihrem eignen gedrückten Zustand aufsah, in der Hoffnung, bei ihrem Großvater Erhebung zu finden, sah sie leicht ein, daß auch er in etwas seine heitere Ruhe eingebüßt hatte, und selbst mit ihr nachdenklicher war, und auch seine sonst neckende Zärtlichkeit einen ernsteren weicheren Karakter hatte.
Es war daher eine wohlthätige Erschütterung für Alle, als Hieronymus eines Tages erklärte, er werde zu Mittag den Kranken herunter und in die Luft führen. Magda wäre freilich am liebsten in ihrem Thurm zwischen den Baumwipfeln sitzen geblieben; aber ihr stolzer Sinn haderte so lang mit ihrem verzagten Herzen, daß sie sich endlich überwand und muthig zur selben Stunde hinunter stieg.
Hinter der Holzwand, in dem tiefen Fenster, halb von dem Vorhange geschützt, hörte sie, wie Thomas Thyrnau und Hieronymus den Kranken die Treppe hinunter führten, und sie unterschied alle Stimmen. Sie näherten sich dem Eßtisch, an welchem man sogleich Platz nehmen wollte, und jetzt hörte sie deutlich, wie der Kranke klagte, daß ihm das Gehen schwerer werde, als er erwartet habe. Sie horchte hoch auf und bog sich aufstehend vor – da standen sie alle Drei am Ende des Eßtisches ihr gegenüber.
»Ach!« rief der Kranke – »das ist Eure Enkelin. Die Nymphe des See's!«
»Es ist Magda,« sagte Thyrnau – »und hier, liebes Mädchen, siehst Du den Neffen Deines besten Freundes, den Grafen von Lacy.«
Magda blieb unbeweglich ohne Gruß und Entgegnung stehn; nur ihre leuchtenden Augen durchbohrten fast den Kranken. – Dieser war indessen um den Tisch herum ihr näher getreten; er wollte ihre Hand ergreifen, aber Magda zog sie rasch fort und sagte zurückkehrend: »Nein! nein! zum Fastnachtsspiel ist Magda zu gut!«
Thomas Thyrnau erlebte, was er gefürchtet hatte. Er sah, Magda habe sich ihn anders gedacht und wollte ihn jetzt nicht anerkennen. Er lachte daher lauter als die Veranlassung forderte, bemüht, die verlegene Scene zum Scherz auszulegen. »Da haben Sie ein Pröbchen von dem kleinen Trotzkopf und meiner guten Erziehung. Nun sehen Sie zu, wie Sie mit ihr fertig werden, denn ich bekomme selbst gelegentlich Schelte von ihr.«
Magda sah ihren Großvater forschend an. Heute konnte sie nicht in seiner Seele lesen; sie verstand ihn nicht; aber sie glaubte, es sei Alles auf Scherz abgesehen, und plötzlich fühlte sie, es sei ja nun gar keine Veranlassung zum Ernst; ihr fiel ein Stein vom Herzen und sie beschloß, auf den Scherz einzugehen und sie Alle zu necken, da sie annahm, dies habe man eben mit ihr vor. So lachte sie schneller, als der Großvater gehofft, und dem Grafen die Hand reichend rief sie: »Jetzt will ich zeigen, daß mich der Großvater verleumdet! Mein Herr Graf von Lacy, Ihr sollt ein Muster von guter Erziehung in mir kennen lernen.«
Sie war wunderschön in diesem Augenblick. Es lag ein Glanz von Muthwillen und Spott auf ihren Zügen, wohinter noch ein geheimes Feuer lauschte, das wie Zorn und Wildheit glühte. Thomas Thyrnau verstand sie auch nicht; aber es war ihm schon recht, daß sie so lebhaft angeregt war, so im vollen Besitz ihrer Geisteskraft, er durfte ihrer scharfen Beobachtung vertrauen.
So nahm man Platz und die Erregung der drei Hauptpersonen verfehlte nicht, dem Zusammensein Reiz und Leben zu geben. Das Bestreben des Gastes, Magda in die Unterhaltung zu ziehen, glückte ihm sehr bald, denn das Mädchen war wie gestachelt von Muthwillen. Nur sagte der Advokat zuweilen in sich hinein: »Sie ist so keck und wegwerfend lustig! das ist nicht die Stimmung, in der ein Mädchen anfängt sich zu verlieben!«
»Und, wenn Krieg wird, bleibe ich gerade hier,« fuhr Magda im Gespräch fort. – »Erstlich fürchte ich mich nicht – zweitens will ich Ordnung halten – dann sollen sich alle Frauen in Tein bewaffnen und ich will sie anführen – und dann vertheidigen wir das Dorf.«
»Heil'ger Gott!« entgegnete ihr junger Anbeter – »ich glaube, liebe Magda, Sie können Alles, was Sie wollen! Doch warum nicht lieber Verwundete pflegen, Kranke aufnehmen – der Krieg verheert in allen Gestalten.«
»Erst will ich, so viel ich kann, verhüten, daß sie mir den Heerd zerstören, an welchem ich pflegen und warten soll.«
»Nun so nehmen Sie mich als den Vertheidiger Ihres Heerdes an und pflegen Sie daheim, während ich das Dach beschütze, unter welchem Sie athmen.«
»Ihr – daheim? Wenn meine schöne Kaiserin ihre Unterthanen ruft – wenn Alle herbeistürzen – das ganze Volk ein wehrhafter Mann wird – vor dem der Feind sich beugt? Seid Ihr ein Lacy? rief sie sich vorbeugend und ihre blitzenden Augen ihm aufnöthigend. – »Geht! geht! Ihr habt den Namen geborgt – das ist nicht der Lacy Art, daß sie bei dem Gedanken an Krieg und Waffen nur an Vertheidigung des Heerdes denken, damit ein einfältig Mädchen ruhig daheim seine Spitzen klöpfeln kann.«
Der junge Mann lachte unter glühendem Erröthen. »Denken Sie, daß Sie einen in jeder Beziehung Wunden und Besiegten vor sich haben! Denken Sie deshalb nicht gleich schlechter von mir, weil der Heerd, wo ich Sie schützen könnte, mir theurer wäre als aller Ruhm und alle Heldenthaten der Erde. Jedes Gefühl hat seine Zeit und in ihr sein Recht! Jetzt ist meine schönste seligste Zeit, denn ich will nichts als Sie lieben, bewundern und anbeten.«
»Vielleicht dürft Ihr das eben so wenig sagen, als ich anhören – und da Alles seine Zeit hat – so ist jetzt meine Zeit, daß ich's nicht leiden will. Was meinst Du, Großvater, was der sel'ge Graf von Lacy dazu sagen würde, wenn ich dem jungen Herrn hier zuhörte?«
»Nun,« sagte der Alte lachend, aber aufmerksam dem Verfahren des Mädchens zusehend – »er würde, denke ich, wie so oft, Dich in Deiner kecken Weise gewähren lassen und zugeben, daß Du Dich allein zum Verständniß mit Dir selbst durchfühltest.«
»Das denke ich auch,« antwortete sie lebhaft – »Mädchen! würde er sagen – Du hast lange genug mit Lacy's gelebt, um ihre Art und Weise zu kennen. Jetzt prüfe und finde heraus, ob der vor Dir von ächter Art ist!«
So blind die auflodernde Liebe den jungen Mann auch für Magda's Unarten machte, sichtlich schienen ihn diese letzten Worte zu verletzen. Er sah von ihr weg auf den Advokaten hin und traf hier auf eben so schlau prüfende Blicke, so daß diese den Eindruck von Magda's Worten noch verstärkten.
»Würde er nicht sagen,« rief er bewegt: »kränke kein Herz, was Dir in Liebe naht? Höher als den Stamm und den Glanz aller Geschlechter laß Dir ein Herz gelten, dem Du vertrauen kannst – das von allen Rechten und Verträgen nichts kennt und weiß – das ein Herz sucht – um ein Herz wirbt.«
Magda hörte erstaunt zu; sie senkte endlich verlegen den Blick und erröthete. Das war kein Scherz, was die Stimme des jungen Mannes beben ließ und die Worte so wahr und gemüthlich hervorrief. Einen Augenblick ward sie unsicher, was den Zauber mädchenhafter Schüchternheit über ihr Gesicht goß, und dieser hatte ihr noch bis jetzt gefehlt, und er kam nur hinzu, um die Niederlage des jungen Mannes zu vollenden. Wie schnell sind Männer versöhnt, wenn sie ein Herz gewinnen wollen! Nur wenn sie es endlich besitzen, prüfen Sie, wie viel Sie daran gewendet.
»O, zürnen Sie nicht meinem schwerfälligen Ernst!« fuhr er sogleich fort – »wie sehr bin ich zu tadeln, daß ich den Scherz von dieser kindlichen Stirn verscheucht habe! O lächeln Sie wieder, holde Magda! Ich unterwerfe mich Ihrer Prüfung und wenn Sie auch dann Keinen würdig des Namens Lacy gefunden, so wird doch noch Manches übrig bleiben, was den Frieden wieder unter uns vermittelt.«
»Halt! halt!« rief Thomas Thyrnau, »dies Tischgespräch wird für unsere alten Ohren zu rührend! Junges Volk, vergeßt nicht, daß wir an Eurem Geschwätz unsern Antheil wollen. Hieronymus, laß einen Augenblick Deine Wachteln in Ruhe und hülf mir die Unterhaltung aus dem tiefen Geleise der Empfindsamkeit wieder herausheben!«
»Du fürchtest heute sehr den Ernst, Großvater!« sagte Magda, zu ihrer alten Stimmung zurückkehrend, »und da Du drauf ausgehst, meine Laune zu prüfen, so soll sie Dich auch nicht täuschen, obwol Du mir mehr Scherzlust als Verstand zutraust – und dafür werde ich mich schon gelegentlich rächen.«
So fuhr man fort zu scherzen und zu necken, doch blieb es sichtlich, daß der junge Mann bestrebt war, aus dieser Bahn zu dem Ernste einzulenken, der wenigstens zu Anfang einer entstehenden Neigung den Männern so natürlich ist. Magda aber schien, sobald sie den Versuch merkte, dadurch zu einem Uebermuth gereizt zu werden, der fast in seiner Heftigkeit etwas Zorniges hatte.
Thomas Thyrnau mochte deshalb nicht, wie es sonst seine Art war, die Tischzeit verlängern und als er die Tafel aufhob, schien auch Magda von einer großen Last befreit und schnell von Allen sich losmachend, suchte sie ihren Thurm zu erreichen.
Kaum aber hatte sie die Thür sicher verwahrt, als sie in ein maßloses Weinen ausbrach und sich in dem Gefühl einer erlebten unaussprechlichen Kränkung auf ihre Knie warf und ihr glühendes Gesicht in die Polster ihres Bettes drängte. Hier brachte sie den Rest des Tages zu. Trotz der Thränen, die ihr erleichternd entflossen, schien doch das Herz seine Last zu behalten, und die noch wenige Stunden vorher so hoffnungsvolle glückliche Magda suchte während dieser fieberhaften Qualen mit dem Leben abzuschließen und große hochherzige stolze Beschlüsse von sich zu erringen. Gundula ward von der verschlossenen Thür weggeschickt und als die Sterne endlich das dunkle Zimmer erhellten, eilte Magda auf die Platform ihres Thurmgemaches, um der gepreßten Brust Luft zu schenken – und in die mondlose Nacht gehüllt schien ihr der vertraute Wald mit allen seinen von ihr so wohlgekannten Freuden ein stilles weiches Grab, in welches sie niedersinken werde, um ihr tiefes Weh zu vergessen.
Schon neigten sich die Sterne ihrem Untergange, ehe Magda auf der gefährlichen Stelle in einen schweren unerquicklichen Schlaf fiel. Als sie erwachte, erschreckte sie der späte Morgen, dessen Fortschritte sie nach dem Stand der Sonne leicht beobachten konnte. Sie hatte vom Thau durchnäßte Kleider – sie lag halb umgesunken auf dem kalten feuchten Boden des Thurms und ihr Körper war schwer und steif. Aber sie brauchte nur wenige Augenblicke, um die Ursachen dieses ungewöhnlichen Zustandes zusammen zu finden, und diese weckten den Feuerstrom ihres Blutes, daß er belebend durch den erlahmten Körper fuhr.
Sie war später bis in ihre letzten Lebenstage sich dieses Morgens bewußt, und bezeichnete ihn als einen Wendepunkt ihres Lebens. Sie kam sich anders vor; sie stand auf und dachte, sie sei gewachsen – sie war sanft und still in ihrem Innern, und wünschte nur nie mehr sprechen zu dürfen, nie mehr ihren Thurm verlassen zu müssen. Sie dachte an Barbara mit großer Liebe und sehnte sich zu ihr zurück.
Während dem that sie Alles still, wie sie es dort gewohnt war, kleidete sich ohne Gundula's Hülfe mit großer Ruhe und Sorgfalt um, räumte ihr kleines schönes Gemach selbst auf, betete lange ohne Worte vor ihrem kleinen Betaltar und schlüpfte dann mit den gelenkigen Schritten und Sprüngen, die dazu nöthig waren, die äußere, fast verfallene Thurmtreppe hinab in den thauigen Wald. Hier bekam sie zuerst den alten freien Athem wieder, und die geschwollenen Augenlieder erquickten sich und das Auge blickte wieder klar. »Vielleicht ist es besser, als Du denkst,« sagte die Hoffnung leise zu ihr – aber sie fühlte als Antwort einen Stich in der Brust. Da raffte sie sich zusammen und wollte nun blos so handeln, wie sie gestern beschlossen. Doch wo sollte ihre Jugend die traurige Geschicklichkeit erlernt haben, um das, was sie vor hatte, nun auch recht anzufangen. Sinnend darüber hätte sie fast Bezo getreten, der schon längst genesen an der Thurmtreppe kauerte, da ihm sein Instinkt gesagt haben mußte, wo Magda die Nacht geschlafen.
»Bezo,« sagte sie – »wie kommst Du hierher – bist Du in der Küche schon fertig?«
Bezo zeigte mit dem Finger nach der Sonne. »Du meinst, es ist schon spät?« fuhr Magda fort – »Nika noch mal melken,« sagte Bezo – »So?« entgegnete Magda – »meine Milch ist kalt geworden – nun da muß es spät sein.«
»Magda hat Weh!« rief Bezo traurig, sie mit seinen blödsinnigen Augen anstarrend.
»Warum glaubst Du das, Bezo?« Bezo aber wiederholte traurig seine Worte.
»Ist der Großvater noch beim Frühstück? fragte Magda – Bezo lachte heiser auf. »Lise große Pferd – Krips klein Pferd – Bleck schön – da – da –« er zeigte den Waldweg und machte einige unvollkommene Versuche, das Reiten darzustellen.
»Alle fortgeritten?« fragte Magda erstaunt. – Schnell ging sie um den Thurm herum nach dem Eingang des Hauses. Gundula kam ihr entgegen, aber obwol Magda's Aeußeres der guten Frau tausend Fragen in den Mund legte, unterdrückte diese sie doch alle, indem sie rasch fragte: »Wann – und mit wem der Großvater abgeritten sei?«
»Nun mit wem anders als mit dem Herrn Grafen von Lacy und dem Pater Hieronymus! Es ist ja heute die Uebergabe auf Tein; da mußten sie früh aufbrechen, damit der Herr Graf langsam und in der Kühlung ritten. Sie kommen auch nicht zu Tisch zurück wegen der Mittagshitze – es wird auf Tein getafelt – und der Herr Graf bleiben dann dort. Der Großvater hat befohlen, dies an lieb' Magda zu bestellen, die sich heut' allein vergnügen muß.«
Mit glühenden Blicken, – als läge hinter den Worten der Alten das tiefste Geheimniß verborgen – so schien Magda jedes Wort prüfend in sich aufzunehmen. Als die Alte schwieg, athmete Magda tief auf, wandte sich rasch auf der Schwelle um, und klopfte laut in die Hände. »Schnell,« rief sie dem herbeieilenden Reitknecht zu – »sattle mein und Veits Pferd! Aber schnell – ich bitte Dich, schnell!«
»Mein Gott! mein Liebchen,« – rief Gundula – »der Großvater hat nichts von Nachreiten gesagt« –
»Ich weiß wohl,« antwortete Magda zerstreut – »dennoch muß ich hin.«
»Auch wollte ich wohl bemerken,« setzte Gundula unsicher hinzu – »daß Tein für mein Liebchen als junges Fräulein – jetzt nicht mehr so ganz zugänglich sein möchte, als da es unbewohnt war.«
»Ich danke Dir, Gundula,« sagte Magda im selben Ton – »ich würde das sicher ein ander Mal auch denken – aber heute – muß ich dennoch hin.«
»Nun, Du wirst es am Besten wissen« – antwortete Gundula, jeden Widerspruch gegen Magda leicht aufgebend – »aber thu' mir die Lieb und frühstücke etwas; Du hast es ja heut' ganz versäumt.«
»Wie Du willst, liebe Gundula,« sagte Magda und setzte sich auf den Thürsitz – »aber beeile Dich! O beeilt Euch!« rief sie mit wahrer Seelenangst, und klopfte noch einmal in die Hände.
Schon brachte Gundula Milch, Kuchen und Obst, und obwol Magda hastig von Allem etwas genoß, schien sie doch kaum zu wissen, was sie that. »Gewiß hat der Großvater etwas vergessen, daß Du so eilst, mein gutes Kind« – sagte Gundula, die ihr von Allem, was sie zum Frühstück herbei geholt, vorlegte – »aber haste Dich nur nicht zu sehr – ich will nicht sagen, daß Veit es auch hätte überbringen können.«
»Nein! nein!« sagte Magda – »glaub' mir, liebe Gundula, ich – ich muß selbst dort sein!« und schon wurden die Pferde vorgeführt; schnell saß Magda im Sattel und seufzend sah ihr Gundula nach – denn ihre Warnung schien vergessen. Magda war in voller Hast, und das muntere Pferd trabte in dem kühligen Schatten des Waldes so schnell, als die Reiterin es wollte.
Schon am Abend vorher, als Magda die Herren verließ, hatte der junge Mann, der sich für völlig genesen erklärte, von Thomas Thyrnau die endliche Besprechung über das Testament des alten Grafen von Lacy verlangt. Sonderbar war es, daß Thomas Thyrnau, früher so bereit, diese Angelegenheit zur Sprache bringen, dies jetzt stets zurückzuhalten versuchte und es bisher auch so bestimmt verweigert hatte, daß als er aufs Neue die Ansprüche des jungen Mannes erfuhr, er selbst in Hieronymus einen Widersacher fand, da dieser ihm offen heraus sagte, er habe gar kein Recht, es dem Grafen Lacy länger zu verweigern. Wie ungern Thomas Thyrnau nachgab, war leicht zu erkennen; aber ihm schienen doch Gründe für das weitere Abweisen dieser Ansprüche zu fehlen; er willigte ein, am andern Tage mit Beiden nach Tein zu gehn, denn dort nur, erklärte er, befänden sich die nöthigen Dokumente. Er sendete aber denselben Abend noch Boten nach Kaurzim, der ersten Poststation, und sogar noch weiter, da er Briefe zu erwarten schien, und brach am andern Morgen nicht eher auf, als bis auch der am weitesten gesendete Bote, wie es schien, ohne Briefe zurück gekehrt war.
Der Ritt nach Tein wurde nicht durch Gespräche gekürzt. Thomas Thyrnau blieb kalt und abweisend und sein Nachdenken entzog ihn auch dem, was seine Gefährten sich sparsam mittheilten.
Als man an der Terrasse abstieg, hatten sich dort alle Diener des Hauses in großer Livree versammelt, um ihrem jungen Herrn, von seiner Ankunft unterrichtet, die gehörigen Ehrenbezeigungen zu machen. Der junge Mann nahm auch diesmal diese an so viel Güte gewöhnten Leute nicht so auf, wie es Thomas Thyrnau für Recht hielt. Verlegen, flüchtig Alle nur grüßend und anredend, doch Keinen bei Namen nennend, was grade so wohl thut und das Andenken verbürgt, entschuldigte er sich fast gegen sie, daß er das Schloß zu erreichen wünsche wegen seines durch den Ritt schmerzhafter gewordenen Armes und streifte leicht an ihnen vorüber.
Thomas Thyrnau stand am Eingang und hatte die jetzt beendigte Scene genau beobachtet. Er empfing den jungen Mann mit einem Blick, der seltsam scharf und stechend war, daß dem so Angegriffenen eine feurige Röthe aufstieg, und als sie neben einander in das Schloß eintraten, sahen die nachschauenden Diener, daß Thomas Thyrnau schnell, aber heftig, den Kopf schüttelte.
Als man in der Bibliothek Platz genommen, verlangte Thomas Thyrnau, daß zuerst die eigentliche Uebergabe des Testaments, welches in einem verschlossenen Kästchen von ihm herbeigebracht war, attestirt werde. Hieronymus war dazu als Zeuge bestellt, zwei Gerichtspersonen warteten im Vorzimmer, wo sie den kleinen Akt aufgeschrieben hatten, um ihm Rechtskraft zu geben, und es fehle nun nichts – setzte der Advokat hinzu – als daß der Herr Graf sowol als Hieronymus und er selbst diese Erklärung unterzeichne, nachdem sich Alle von dem wirklichen Vorhandensein der in Rede stehenden Dokumente überzeugt haben würden.
»Mein alter Freund!« sagte der junge Mann – »wozu diese Förmlichkeiten? Sind wir uns denn nicht genug – ist unter Freunden so etwas zulässig?«
»Auch unter Freunden bliebe dies nöthig,« entgegnete Thomas Thyrnau – »und selbst wenn diese Benennung auf uns anwendbar wäre! Ist es doch die Frage, ob nach den Verhandlungen, die uns bevorstehen, wir Freunde bleiben! Vergessen Sie überdies nicht, daß dies der einzige gerichtliche Schritt sein wird, den die Lage der Sache zuläßt; daß das hohe Interesse, was an das vollständigste Geheimhalten geknüpft ist, Ihnen wie mir jede gerichtliche Zuziehung später unmöglich machen wird!«
»Ach,« entgegnete der Andere, »ist nicht eher zu hoffen, daß dies unangenehme lästige Geheimniß dadurch in Nichts zerfallen wird, daß sein Inhalt aufgedeckt wird?«
»Junger Herr!« sagte Thomas Thyrnau – »was ein Mann wie der verstorbene Graf Lacy – ja – ich muß hinzusetzen – was ich selbst als eine dringende Nothwendigkeit ansah, das sollte billig Ihnen den Eindruck machen, an seine Wichtigkeit Glauben zu haben! Wir hatten Beide ein Alter erreicht, das Erfahrung zutheilt – und an unserer Einsicht ist selten gezweifelt worden. Ich wiederhole Ihnen hiermit, daß dies Geheimniß von einer Wichtigkeit ist, daß ich Jeden, der außer den genannten Personen durch Zufall oder unberufene Neugier die Gewissenlosigkeit haben könnte, sich hinein zu drängen, für einen Ehrlosen erklären würde und ihn vor meine alte, aber sichere Hand fordern – gleichviel, ob sie mit dem Degen oder der Pistole sich bewaffnen müßte – denn ich würde glauben, daß ein solcher Schurke nicht leben dürfe, um die edlen Absichten zweier redlicher Männer zu zerstören.«
»Halt,« rief der junge Mann und sein Auge sprühte Feuer, während Todtenblässe sich über sein Antlitz verbreitete – »Eure Drohungen – Eure Heftigkeit sind nicht am rechten Ort. Für so unfehlbar darf sich Niemand in seinen Beschlüssen halten, daß er die Handlungsweise des Andern völlig unterjochen will! Was auch der Graf von Lacy für sich und Euch bestimmen mochte, er konnte dasselbe nicht auf den Willen seines Nachkommen ausdehnen, dem es unbezweifelt zusteht, sein Vertrauen ebenfalls zu übertragen – sich eben so, wie er in Euch, einen Freund und Vertrauten zu wählen – und welche unerhörte Anmaßung müßte es dann für Euch werden, gegen einen Solchen mit Euren eben ausgesprochenen Beleidigungen aufzutreten!«
»Und dennoch, mein Herr!« sagte der Advokat – »würden dieselben vollständig gerechtfertigt sein und sich gegen den Erben des ehrwürdigen Grafen von Lacy, meines Freundes, selbst mit allem Rechte richten, wenn er die Aufforderung eines sterbenden Greises – seines Wohlthäters – im Stande wäre so wenig zu achten, daß er das von ihm geforderte Geheimniß geringschätzig verschleudern und der Beurtheilung eines Andern Preis geben könnte, ehe er es selbst kennt! Ha! womit hätte der ehrwürdigste der Menschen diesen Verrath an seinem Vertrauen, diesen Mangel an Achtung vor seinem Willen gerade von dem verdient, der bisher zu jung und unbedeutend war, um die Wohlthaten, die er von seiner Kindheit an erfuhr, in etwas Anderem als in Worten bezahlen zu können? Und was stände dem Anderes zu, der der Theilnehmer jener edlen und geheimen Beschlüsse war und eben so berufen, sie ins Leben einzuführen, als sie gegen die leichtsinnigen Pläne jugendlicher Uebereilung zu schützen – oder sie zu rächen, wenn das Erstere mißglücken sollte!«
»Halten wir ein,« rief der Andere tief bewegt – »wir sind Beide zu heftig gewesen. Lassen wir einen Augenblick diese Unterhandlungen, die so erregend sind und so wenig zu der Stellung passen, nach der ich mich allein sehne! Sagt mir nur, ob Ihr mir Magda geben wollt, wenn ich im Stande bin, ihre Liebe zu gewinnen? Ich kann nichts Anderes recht denken, als dies Eine, und fühle, daß die Wichtigkeit dieser einen Erfüllung mich zu Allem fähig machen könnte.«
»Wenn Magda die Bestimmungen des Testaments erfüllen will, ist meine Einwilligung darin eingeschlossen!«
»So haltet noch inne,« sagte der junge Mann bewegt – »ich muß mich etwas zu erholen suchen. Ein kurzer Weg an den See wird mich kräftigen!«
Er entfernte sich und Thomas Thyrnau sah ihm düster nach. »Wenn es möglich wäre, Hieronymus? Wenn es möglich wäre,« rief er dann heftig – »daß er mich höhnte, so verriethe? Heil'ger Gott! mein armes Mädchen!«
»Seid vorsichtig!« sagte Hieronymus, ohne aufzusehn. Der Advokat hob den kleinen Schlüssel zu dem Kästchen empor und rief leise, aber fest: »Noch habe ich ihn!« Hieronymus nickte und Beide blieben stumm einander gegenüber sitzen, die Rückkehr des Andern erwartend. Als er wieder zu ihnen eintrat, sagte er zu Thomas Thyrnau: »Laßt jetzt die gerichtlichen Unterhandlungen beginnen, da Ihr dieselben nöthig haltet.«
Der Advokat rührte die Glocke und die Gerichtsherren traten ein; die Verhandlungen gingen mit aller Förmlichkeit vor sich. Der Advokat schloß das Kästchen auf, alle Anwesenden überzeugten sich von dem darin enthaltenen wohlversiegelten Testament. Nach dieser Ansicht verschloß der Advokat dasselbe wieder und steckte den Schlüssel zu sich. Man war bis zu den Unterschriften fertig.
»Wir haben nicht überlegt, daß ich nicht schreiben kann,« sagte jetzt der junge Mann und zeigte die geschwollene rechte Hand, die mit dem Arm in der Binde ruhte.
»Diese Anstrengung wird möglich sein, ohne nachtheilige Folgen,« entgegnete der Advokat ruhig.
»Es wird sich zeigen,« rief der Andere gereizt – »ich bitte um eine Feder!« Sie ward ihm gereicht – gerade die drei ersten Finger waren unbeweglich. Es mußte auch dem Laien einleuchten, daß es nicht ging.
»Ich will das Wappen der Lacy dabei drücken,« rief er, – »es mag meine Berechtigung zu diesem Akt beweisen.«
Der Advokat ließ diese unstatthafte Procedur ohne weitere Bemerkungen zu. Er ward blasser und immer fester und beeilte das Ende des gerichtlichen Verfahrens.
Nachdem die Uebrigen unterzeichnet, entließ der Advokat die beiden Gerichtspersonen, welche augenblicklich wieder abreisten. – Die drei Herren waren jetzt allein und es entstand eine Pause, die Niemand zuerst zu unterbrechen Lust zeigte. Beide Hände auf den Tisch gepreßt, stand der Advokat ruhig da, und die vorige Heftigkeit hatte einem tiefen Ausdruck von Kummer Platz gemacht. Zwischen seinen auf den Tisch gestemmten Armen stand das Kästchen, auf dem seine Blicke mit dem eben bezeichneten Ausdruck ruhten.
Jetzt richtete er sich mit einem schweren Athemzuge auf, er nahm den Schlüssel und zog das verhängnißvolle Testament hervor. In seinen Händen wog er es, als schiene es ihm von seinem Inhalt schwer – dann schlug er seine großen ernsten Augen auf und sie wurzelten auf dem bleichen jungen Manne, der ihm gegenüber erschöpft in einen Sessel zurückgesunken war.
»Der Augenblick ist gekommen, wo ich den Inhalt dieser Blätter Ihnen nicht mehr entziehen kann. Ich wiederhole noch einmal, daß das Testament von großer Wichtigkeit ist – daß kein Mensch, die Kenntniß desselben erlangen darf als der – welcher sich Nachkomme des Grafen Lacy nennen darf, der den Inhalt desselben entwarf. Wie ich geschworen habe, dies Geheimniß vor Entweihung zu schützen und Alles zu thun, was möglich ist, um ihm sichere Folgeleistung zu verschaffen, der Absicht des Verewigten gemäß – so schwöre ich eben so feierlich, den Verrath desselben gegen Jeden zu rächen, ohne Ansehn der Person! – Jetzt bestimmen Sie selbst, ob ich die Siegel lösen soll, und noch einmal – nur ein Lacy darf den Inhalt kennen lernen!«
Der Advokat ergriff die Schnur, woran die Siegel hingen, bereit sie aufzubrechen; aber der junge Mann sprang auf und drückte mit seiner linken Hand die Hand des Advokaten nieder. »Halt,« rief er – »bis hierher« –
Er wollte weiter sprechen – da hörten sie hastige Schritte über den Vorsaal eilen – die Thüren flogen auf und Magda stürzte herein bleich, athemlos, am ganzen Körper zitternd.
Mit einem Blicke übersah sie, daß der verhängnißvolle Augenblick über Allen schwebte. Sie sah den zürnend aussehenden Großvater nicht, sie hörte ihren Namen fast von Allen aussprechen, aber sie beachtete es nicht und flog nur auf ihren Großvater zu. – »Verrath ihm nichts,« rief sie stockend, als wollte sie ersticken, – »um Gotteswillen verrath' ihm nichts! Er betrügt Dich – er ist kein Lacy!«
»O Magda! welch' Gericht!« rief der junge Mann und sank, sein Gesicht verhüllend, in seinen Stuhl zurück. – »Meine Ahnung,« setzte Thomas Thyrnau hinzu – »aber,« rief er schnell gefaßt – »wo hast Du die Kunde her, – wer sagt Dir das?«
»O Großvater,« rief Magda angstvoll, während alles Blut des gepreßten Herzens in ihre Wangen flog – »ich habe ihn gesehn – ich kenne ihn – und so sieht er aus – so –« und sie eilte nach der Thür, die in das Seitenzimmer führte, wo des alten Grafen Bild, wie er als Jüngling gemalt war, hing – doch indem sie die Thüren aufstieß und noch einmal rief: »So sieht der Graf von Lacy aus,« that sie einen lauten Schrei, taumelte zurück und ward von Hieronymus aufgefangen, der ihr zunächst stand und die brechenden Knie gewahrte.
Aus dem Innern des Zimmers trat in diesem Augenblick ein junger Mann hervor, der das lebendig gewordene Bildniß schien, was Magda so eben zum Zeugniß aufgerufen. Er schien aber weder Magda noch diese seltsame Einführung zu beachten: in großer Bewegung schritt er vor und sein Auge überflog unruhig den ganzen Kreis: dann haftete es vorwurfsvoll auf dem verwundeten Jünglinge, den Magda so eben des Betruges beschuldigt. »O,« rief er schmerzlich, zu ihm gewendet – »was hast Du gethan – wie weit über das Ziel hinaus hast Du Dich gewagt – was hast Du mir hier bereitet?«
Thomas Thyrnau hatte mit der Erfahrung, die ihn leicht die Zustände erkennen ließ, selbst wenn ihm dazwischen vieles dunkel blieb, eine schnelle Uebersicht gewonnen und außer allen Zweifel gestellt, daß jetzt erst der Graf von Lacy vor ihm stehe. Jeder Zug – die schöne Gestalt – der Ton der Stimme – Alles rief ihm das Bild des geliebten Jugendfreundes zurück. Das Herz schwoll ihm auf – er hatte ihn gerne an seine Brust gedrückt, aber er bezwang den Zug seines Herzens, denn es stand ein Zweifel zwischen ihnen: Hatte er um den Betrug gewußt oder war er wie Alle der Betrogene? Dies mußte ausgeglichen werden, ehe er dem Herzen zu reden gestattete. Auch schien der Angekommene sich dazu von selbst zu treiben – und Thomas Thyrnau fühlte, er werde mit seiner Erkenntniß weiter kommen, wenn er sich einige Ruhe und blos Beobachtung abgewönne.
Schon hatte sich der verwundete junge Mann in die Arme des Angekommenen gestürzt und Thomas Thyrnau horchte seinen Worten: »Vergieb mir, geliebter Lacy! vergieb mir meine Thorheit!« hörte er ihn rufen – »Es ist die größte meines Lebens. Ich ahnte, als ich sie erdachte, nicht, wie hier Alles stand. – Ja,« rief er, indem er sich aus Lacy's Armen riß und auf Thyrnau zueilte – »ich ahnte nicht, daß dies wunderbare Geheimniß mir Ehrfurcht einflößen würde, da es von einem so edlen hochbegabten Manne beschützt ist – ich ahnte nicht, daß das Mädchen, welches der Preis sein soll, mich so völlig um den Rest meines Verstandes bringen würde.« –
Thyrnau gab einen Augenblick seine kalte, stolze Haltung auf, um sich zu überzeugen, daß Hieronymus Magda entfernt habe. Dann wurzelte sein Auge aufs Neue mit ernster Ruhe auf beiden jungen Männern.
»Thyrnau!« rief Lacy, tief bewegt auf ihn zugehend – »verkennt mich nicht! Laßt den ersten Augenblick, der den Neffen Eures Freundes zu Euch führt, nicht durch Mißtrauen getrübt werden – blickt mich an – sind das nicht die Züge Eures Freundes? Werden sie lügen?«
»Welch' Zeugniß ruft Ihr auf!« sagte Thyrnau stark und feierlich – »und gegen wen? Wenn Ihr die Züge dessen tragt, in dessen Seele kein falscher Hauch war, der von der Bahn des Rechtes keinen Zoll breit abwich, so denkt, wie ich, der Gefährte seines Lebens, den Neffen ansehen muß, der mit seinen Zügen diesen Charakter fortpflanzen soll, und in dessen erste Schritte ins Leben ich Zweifel setzen muß – dessen erste Begegnung mich von ihm abstößt und eine traurige Beleidigung zu werden scheint! Denn was auch dieser leichtsinnige junge Mann hier mehr gethan, als verabredet war – die Absicht einer Täuschung meinerseits war jedenfalls verabredet.«
»Hört mich,« sagte Lacy und drängte die Andern von Thyrnau fort – »laßt mich allein sprechen! Der Freund meines Oheims hat Rechenschaft von mir zu fordern; ich werde ihm die Wahrheit sagen, er mag dann selbst das Maaß meines Unrechts bestimmen. – Der Baron von Pölten, den Ihr hier vor Euch seht, ist mein Freund, er besitzt mein Vertrauen und nie bis jetzt hatte ich es zu bereuen. Wir haben oft über die Forderung des Testaments gesprochen, die mir eine Gemahlin bestimmt, ohne meiner Neigung nachzufragen. Meine Verhältnisse machten es mir in der letzten Zeit schwieriger, diese Verpflichtungen zu erfüllen. Ich wünschte Euch zu sprechen – eine Annäherung an die Kaiserin in Bezug auf einige Verbesserungen in Böhmen, die Euch ebenfalls theuer sind, fesselte mich an Wien. Mein Freund erbot sich, zu Euch zu reisen und mit Euch selbst als mein Bevollmächtigter zu sprechen. Ich unterrichtete ihn von allen Umständen, die ich kannte – ich wünschte, Ihr möchtet ihm die Gründe der oft erwähnten, so nöthigen Vermählung darthun. Er reiste schneller ab, als ich erwartet – ich kann sagen in dem Augenblick, als einige Aeußerungen von ihm mich fürchten ließen, er könne diese Angelegenheit mit einem Leichtsinn behandeln, der Euch beleidigen würde. Seine Abreise ohne Abschied verhinderte meinen beabsichtigten ernsten Einspruch – doch sendete ich nach Prag, wohin er früher zu gehen dachte, eine ernste Mahnung und dringende Forderung über die Art seines Verhaltens. Dieser Brief wird, wie ich fürchte, noch in Prag liegen, denn er war früher hier, als ich erwarten konnte. Dies mag er uns Allen später selbst erklären! Ihr faßtet Verdacht im ersten Augenblick und Eure Stafette mit der Anfrage, ob ich in Wien oder wo sonst zu finden sei, erreichte mich selbst und ich hatte über den unglücklichen Plan des Barons keinen Zweifel mehr, als ich las: »es sei ein junger Mann hier eingetroffen, der sich für den Grafen von Lacy ausgebe.« Daß nur ich selbst die möglicher Weise Euch widerfahrene Beleidigung gut machen könne, sah ich ein. Kaunitz übernahm, im Fall der Nachfrage, meine Abreise bei der Kaiserin zu entschuldigen – und ich hoffe, ich bin noch zur rechten Zeit eingetroffen, um Euch zu versöhnen!
Thomas Thyrnau hatte mit festgeschlossenen Lippen und mit kaltem, strengem Ausdruck die Erklärung des Grafen angehört, und auch nachdem er schwieg, zeigte sich wenig Veränderung auf dem stolzen Gesicht. Von der Täuschung, die hier versucht worden, mußte er ihn lossprechen; aber seine Rechtfertigung erhielt mehr wie einmal den alten Widerspruch gegen die beabsichtigte Vermählung; sie erwähnte sogar Hindernisse, die hinzugekommen und die Sache schwieriger gemacht haben sollten. Thomas Thyrnau konnte sich wenig erleichtert fühlen, und zu erfahren stand nur, ob sein Stolz oder seine edle Absicht am meisten gekränkt werden sollte. Er mußte daher noch immer unentschieden lassen, ob er dem Neffen seines Lacy als Freund oder als Feind gegenüber stehen werde.
»Jetzt,« rief der unglückliche Pölten, als Lacy schwieg, – »jetzt hört auch mich! Ich möchte mir selbst das Duell ansagen, womit Ihr mich bedroht habt, ehrwürdiger Thyrnau – meine Thorheit, mein Leichtsinn war grenzenlos! Nur das Eine glaubt mir, eben diesen Morgen im Augenblick, als Ihr die Siegel brechen wolltet, hielt ich Eure Hand fest, um Euch daran zu verhindern und Euch Alles zu entdecken. Ich wußte, daß Ihr Lacy nicht kanntet; ich glaubte, wenn ich als Lacy hier aufträte, in der ersten Unterredung sogleich Euer Geheimniß zu erfahren und fürchtete kaum, von Euch der Verzeihung zu bedürfen, noch mit Lacy nicht darüber fertig zu werden, wenn ich die Sache für ihn ausgeglichen. Da sah ich zuerst am See Eure Enkelin, und dies änderte meinen Plan. Ich faßte eine tolle, rasende Leidenschaft für dies herrliche Mädchen und beschloß um sie zu werben, und wenn ich ihre Neigung gewonnen, mich zu entdecken und als Ersatz für Lacy anzubieten. – Sagt nichts,« fuhr er bittend fort – »ich richte mich selber stärker, als Ihr es könnt! Oft während dieser Zeit habe ich den ganzen Plan verwünscht und ein hoffnungsvolles Wort aus Eurer Enkelin Munde hätte mich Euch Alles entdecken lassen. Doch, glaubt mir – ich hasse, ich verabscheue mich um dieser Thorheit willen, die noch ein trauriger Nachlaß jener Versailler Schule ist, der ich zu lange überlassen war.«
Thomas Thyrnau richtete einen Augenblick mit kaum unterdrückter Verachtung das Auge auf ihn, grüßte ihn kurz und wandte ihm den Rücken.
»Herr Graf,« sagte er darauf kalt zu Lacy – »da es einer so außerordentlichen Veranlassung bedurfte, um Sie hierher zu führen, wo Sie die letzten Wünsche Ihres verewigten Oheims erfahren sollten, frage ich an, ob Sie geneigt sind, diese zufällige Veranlassung zu benutzen und mir soviel Zeit gönnen wollen, als nöthig ist, um Ihnen die geheimen Artikel des besagten Testaments vorzulegen?«
»Zweifelt nicht, verehrter Herr,« rief der Graf mit Wärme – »daß ich jetzt mit voller Achtsamkeit mich allen Angelegenheiten widmen werde, die sich darauf beziehen und nur mit Euch selbst Alles überlegen will, was sich dabei ergeben wird. Möchte es nur dem edlen Thomas Thyrnau möglich sein, den Neffen seines Freundes auch als einen solchen anzunehmen!«
Die Hand, die Lacy fassen wollte, entzog sich ihm in einer kurzen Verbeugung. »Mein Herr Graf,« entgegnete Thyrnau dann im vorigen Ton – »unleugbar fühlen wir Beide, daß noch zuviel zwischen uns liegt, ehe wir über unsere Stellung zu einander entscheiden können. Wir wollen uns nicht voreilig Freunde nennen, ehe wir wissen, ob wir es bleiben können!«
»Dennoch wünsche ich zu erfahren,« sagte Lacy etwas gereizt – »ob Herr Thomas Thyrnau an meinem ihm dargelegten Verhältniß Zweifel hegt oder ob ich auf Glauben an meine Worte bei ihm rechnen darf?«
»Vollkommen!« entgegnete Thyrnau kalt und mit einem Tone, der hinlänglich anzeigte: wir sind darum nicht weiter! »Vielleicht ersuchen Sie den Herrn Baron Pölten uns jetzt allein zu lassen.« Er rührte indessen die Glocke und befahl, den Pater Hieronymus herbei zu rufen. Lacy führte den unglücklichen Pölten nach der Terrasse und konnte sich nicht enthalten, ihn zu trösten, wie unzufrieden er auch mit ihm war, da die Verzweiflung des jungen Mannes ihn nicht ohne Rührung ließ.
Als er zurück kam, sah er Thomas Thyrnau vor dem Tische sitzen, auf dem das verhängnißvolle Kästchen stand. Er konnte nicht ohne tiefe Bewegung das würdevolle Antlitz des Mannes betrachten, dessen Namen seit seiner Kindheit, vereint mit allen theuren Namen seiner Familie, ihm ins Ohr geklungen – dem er so tief verpflichtet war – den einzigen ihm noch übrig gebliebenen Freund dieses verehrten Oheims.
An seiner Seite saß bereits Hieronymus, welchen ihm Thyrnau bei seinem Eintritt sogleich vorstellte. – Auf dem Umschlage des Testaments stand geschrieben, daß Hieronymus als Zeuge gegenwärtig sein solle – im Falle des Ablebens von Thomas Thyrnau, solle aber der Pater Prämonstratenser Doktor Hieronymus, der Exekutor sein – nach dessen Tode solle die Enkelin des Thomas Thyrnau, Magdalena Matielli, die einzige Berechtigte sein, um diese Siegel zu erbrechen und den ihr bereits bekannten Inhalt dem Erben des Grafen Lacy mitzutheilen.
»Sie werden die Handschrift Ihres Oheims erkennen,« fuhr der Advokat zum Grafen gewendet fort, nachdem er die Aufschrift gelesen.
»Eure Handschrift wäre eben so genügend,« entgegnete der Graf, ohne hinzusehn, denn es zog ihn mit wahrer Liebesgewalt zu dem alten stolzen Manne hin, und er wollte ihm Beweis von Vertrauen und Achtung geben.
»Mein Herr,« hob Thyrnau jetzt an – »dies Dokument entstand in einer schweren, höchst traurigen Lebensepoche des Verewigten. Es ist nach langen Kämpfen unter uns Beiden aufgesetzt, und als wir es endlich so abschlossen, wie sie es nun hören sollen, hatten wir nach vierwöchentlichem reiflichem Nachdenken keine andere Auskunft für uns Beide entdecken können. Ich muß bedauern, daß von mir hier eben so viel die Rede sein muß, wie von dem edlen Hause Lacy. Sie werden diese Entschuldigung gelten lassen, um Ihre Ungeduld zu zügeln, bis Sie den Inhalt kennen, denn die mündlichen Versprechungen an meinen verstorbenen Freund legen mir die Verpflichtung auf, Ihnen vor der Eröffnung des Testamentes Magdalena Matielli, vorzustellen, die Tochter des Bildhauer Matielli, und Sie zu fragen, ob Sie auf den bloßen Wunsch Ihres Oheims hin das Mädchen zur Gattin wählen wollen, welches Ihr Oheim Ihnen, abgesehen von jeder andern Rücksicht, dazu erwählt hatte.«
Lacy wollte antworten. Aber Thomas Thyrnau erhob sich mit einer so stolzen drohenden Miene von seinem Stuhl, ging so festen Schrittes nach der Thür, daß es Lacy war, als bliebe ihm der Athem in der Brust stecken. Er öffnete sie indessen, und das Zimmer nicht verlassend, rief er seine Enkelin. Ohne Zögern erschien diese in der Thür und jetzt stand an der Seite von Thomas Thyrnau vor dem Grafen Lacy – Magda – das wunderbare Mädchen, welches ihm bereits bekannt war.
»Magda,« rief er fast überwältigt von Ueberraschung – »Magda – Du – Du bist die Enkelin von Thomas Thyrnau? – Du – Du bist –« Er vollendete nicht. Er drückte beide Hände vor sein Gesicht, als wolle er sich der Wahrheit entziehn.
Thyrnau feierte im tiefsten Innern einen süßen Triumph. Er glaubte, die Sprache eines Herzens zu erkennen, das von dem Zauber der Liebe überwältigt ist. Doch hielt er sein Gefühl verschlossen. Die Entwicklung wollte er mit kaltem Sinne erwarten; er war durch das bis jetzt Erfahrene mißtrauisch aufgeregt.
»Es scheint, Herr Graf,« hob er deshalb ruhig an – »meine Enkelin ist Ihnen nicht unbekannt! Etwas früher schon nahm ich wahr, daß Magda Sie kenne, da Sie die Erste war, die den Betrug des Baron Pölten aufklärte und um Ihr Aeußeres zu schildern, uns das Bildniß Ihres Oheims zeigen wollte.«
»O Magda,« rief Lacy und zog die Hände vom Gesicht – jetzt verstehe ich Dich! Du erkanntest mich damals an der Aehnlichkeit – deshalb Dein Schreck – Deine tiefe Bewegung. O meine arme Magda,« rief er und ergriff ihre kalten Hände – »und der, den es so nah anging, stand Dir fremd und ohne Theilnahme gegenüber.« Seine Blicke wurzelten in Magda's bezauberndem Antlitz, welches blaß und mienenlos, mit den unbeweglichen Augen auf Lacy gerichtet, einem Marmorbilde glich. Ihre Lippen blieben geschlossen – sie bebten zwar, aber kein Laut drang hervor.
»Ich hatte also in diesem Punkt das Vertrauen meiner Enkelin verloren?« sagte der Großvater mit einem sanften Vorwurf im Ton. Magda zuckte zusammen und schlug die Augen flehend zu ihm auf. »Bei der Fürstin Morani sah ich ihn zuerst,« stammelte sie dann fast undeutlich. Lacy ließ bei diesen Worten Magda's Hände fallen und auf seinem Gesicht zeigte sich eine große Veränderung, Thyrnau sah dies, ohne es zu verstehn.
»Graf Lacy,« fuhr jetzt Thyrnau in einem freieren Tone fort – »ich habe mein Wort erfüllt und muß Sie jetzt in Magda's Gegenwart fragen: Ob Sie diese Ihnen von Ihrem Oheim bestimmte Braut aus meinen Händen annehmen wollen?«
Lacy fuhr zurück – er faßte die Lehne seines Stuhles und seine Wangen sanken ein unter der tödtlichen Blässe seines Gesichts. Aber er schwieg und sein Auge haftete düster am Boden. Thyrnau's Angesicht glühte auf – er glaubte die Zurückweisung in den Zügen des Grafen zu lesen. – »Entferne Dich,« rief er Magda streng zu – »entferne Dich!« Er trat an Lacy heran und wiederholte mit fester Stimme seine eben ausgesprochenen Worte. Lacy richtete sich auf; er ergriff den Arm des zürnenden Alten und senkte sein erloschenes trostloses Auge mit einem solchen Schmerz in die glühenden Blicke seines Gegners, daß die beredtesten Worte an dieser Sprache zu Schanden wurden. »Thomas Thyrnau,« sagte er gebrochen, aber fest – »mein Oheim und Ihr – Beide habt Ihr nicht recht an mir gehandelt. Warum habt Ihr den jungen feurigen Mann ungewarnt in die Welt gestürzt, ohne ihm zu zeigen, was er verlieren konnte? Wie habt Ihr hoffen können, das freie bedürftige Herz des Jünglings zu fesseln durch die geheimnißvolle Ankündigung einer Bestimmung über ihn, die, so lange er nicht den Gegenstand kannte, der Euch vollständig rechtfertigte, ihm eine Fessel werden mußte, die er abzuwerfen, gering zu achten berechtigt schien, und wozu ihn der Ungestüm der Jugend und alle angewöhnten Vorurtheile seines Standes in jedem Augenblick verführen mußten? Wir werden nun Alle unglücklich und unser einziger Trost wird sein – daß wir irrten, aber nicht sündigten! – Magda,« rief er innig, sich gegen diese wendend, die noch auf derselben Stelle stand – »Magda, Du bist das kostbarste Vermächtniß meines Oheims – und auf meinen Knien würde ich ihm dafür danken und glauben, daß der Grafenkrone der Lacy's nie eine schönere, reinere Perle eingesetzt ward. Aber es ist für mich ein verlorenes Gut – ich bin nicht mehr frei, – seit dem Tage, wo ich Dich zuerst sah – bin ich verlobt mit der Fürstin Morani.«
Wer beschreibt die Gewalt des Augenblicks, der diese große Entscheidung enthielt? Alle erlagen unter dem Gewicht desselben, ohne Kraft der Gegenwehr. Magda hatte sich mit ihrem bleichen Angesicht zu ihm übergebogen und die angstvolle Qual ihres Innern lag in ihren Augen ausgedrückt, aus denen wie große Perlen eine Thräne nach der andern schwer und heiß über die bleichen Wangen floß. Sie ließ Lacy willenlos ihre kalte Hand, und drängte mit der andern mit allen ihr noch bleibenden Kräften den Großvater zurück, als wolle sie mit Lacy allein den schweren Augenblick durchleben. Auch fesselten ihre Bewegungen den brausenden alten Mann, denn seine Liebe zu ihr beherrschte ihn ganz, bei dem Anblick ihrer Aufregung.
»Verlobt! verlobt!« das waren die ersten Worte, die sie leise hervorhauchte, so daß nur die lautlose Stille des Gemaches sie verständlich machten. »Ach,« sagte sie dann, wie im Traume und der Welt entrückt – »Dein Oheim hatte mich so lieb – so lieb wie ich Dich – von Kindheit an sagte er mir, ich solle recht glücklich werden durch Dich. Und nun bin ich so jung und muß so lange leben – und Du willst die gute alte Fürstin heirathen – und Dein Oheim hat Sie Dir doch nicht gewählt.«
Selbst Thyrnau entglitt der Zorn aus dem Herzen, als er sie hörte – als er sah, wie sie nun auch ihre zweite Hand auf Lacy's Hände legte – und ihm immer näher kam – ihn immer rührender anblickte – und ihr ganzes Herz wie eine Sterbende vor ihm enthüllte. Hätte Thyrnau an Rache denken können – wie hätte er sie besser ersinnen sollen? Lacy schien unter ihren Worten wie vom Tode getroffen – seine Seele drängte sich in seine Augen – und diese waren voll anbetender Hingebung. Er wehrte es nicht, daß die aufsteigenden Thränen sich ihr zeigten, – aber das Wort fand er nicht. Wie mußte er es auch fürchten, da es ihn hier oder dort zum Verräther machen konnte. Auch fühlte er vielleicht nur Magda's Gegenwart – er schien den Moment fesseln zu wollen, der ihn mit ihr vereinte – fürs ganze Leben wollte er ihr Bild in sich aufnehmen – er faßte die schönen kalten Hände immer fester und fester und Beide blickten sich an, als wollten sie das Glück ergründen, was ihnen ihr Anblick gewährte.
»Aber,« sagte Magda dann träumerisch weiter – »der arme alte Großvater, dem verderben wir nun seine ganze Freude – und er hat es so gut mit uns gemeint.«
»O Thyrnau,« rief Lacy jetzt erwachend – »endet diese Qual, rettet mich! Bis jetzt war ich blos thöricht, – schützt mich, daß ich kein Verbrecher werde!« Er ließ Magda los – er überwältigte den Alten, dem es noch halb und halb schien, als müsse er blos ihr zuhören, und stürzte weinend in seine Arme, ehe er ihn zurückweisen konnte. Da widerstand Thyrnau nicht, denn ihn hatte innerlich nach dem Ebenbilde seines Freundes verlangt; er drückte ihn an sich und senkte sein Gesicht auf den Jüngling, der ihn fest umklammert hielt.
»Ich fürchte selbst,« sagte Thyrnau dann langsam, indem er sich sanft von ihm los machte – »daß wir nun Alle unglücklich sind. Aber wir müssen die Uebel befragen, die uns quälen. Das Hinderniß, was zwischen uns tritt, zerstört zu viel hochwichtige Interessen, als daß wir seine Rechte nicht erst prüfen müßten, denn wir dürfen uns nur im äußersten Falle ergeben.«
»Ach,« entgegnete Lacy – »worauf hofft Ihr noch – welche Entscheidung steht mir noch zu?«
»Vielleicht könnte ich Ihnen antworten?« sagte Thyrnau, »daß Ihnen gar keine Entscheidung zustand, und da der Vorwurf aus Ihrem Munde kam, daß wir Sie ungewarnt Ihren Weg verfolgen ließen, so ist dies erstlich nicht so ganz der Fall gewesen, daß wir die gegebenen Warnungen, durch die Achtung vor dem Willen Ihres Oheims verstärkt, nicht hätten ausreichend halten dürfen; und zweitens möchte dieser Sinn der Eigenmächtigkeit schwerlich so entschieden gewirkt haben, wenn die angedrohte Braut nicht ein bürgerliches Mädchen, nicht die Enkelin des Advokaten Thyrnau war.«
»Ich muß dies zugeben,« sagte Lacy schon mit mehr Ruhe als vorher – »und wenn ich darüber Eure Vorwürfe erfahre, muß ich Euch an die Erziehung erinnern, die ich empfing, und ob der Lacy, den Ihr Euren Freund nennt und dessen Grundsätze mich leiteten, an eine Verbindung ungleicher Stände je anders als mit Unwillen denken konnte? Daß er dieser Absichten nie selbst gegen mich erwähnte, gab mir die heimliche Hoffnung, er wolle mir einen Widerspruch überlassen, den gegen Euch zu führen ihn seine Liebe verhinderte.«
»Das führt zu nichts!« sagte Thyrnau gereizt – »die Sache ist, daß diese Verbindung nothwendig war, um das durchzusetzen, was Euren Vetter rettete – Euren Oheim vor –«
Bei diesen Worten bekam Magda, die in den Lehnstuhl ihres Großvaters gesunken war, plötzlich Leben. Sie sprang auf und legte beide Hände auf das vor ihnen liegende Testament und ihr Auge blickte drohend auf den Großvater.
»Rede nicht weiter, Großvater!« rief sie heftig – »denn er darf nichts weiter wissen. Das,« fuhr sie fort, auf das Testament zeigend – »ist nun Alles vorbei. Er kann es nicht brauchen und wir auch nicht. Ich will es verbrennen, ehe es Schaden anrichtet,« setzte sie hinzu und nahm es auf, als wolle sie damit fortgehn.
Thomas Thyrnau fühlte diese Worte wie den trostlosesten Schmerz seines Lebens. Dies Mädchen – dies Kind hatte das ausgesprochen, was ihm von dem ganzen langenährten theuren Plane – was ihm von den großen Opfern der hingebendsten Freundschaft übrig geblieben war. Ehe jedoch der erschütterte Greis zu einem Entschluß kommen konnte, trat Lacy auf Magda zu und hielt sie auf, als sie wie eine Träumende fort wandeln wollte.
»Nein,« sagte er – »jetzt darf mir nichts mehr vorenthalten werden – ich fordere meinen Antheil als ein Recht! Die Worte, Thyrnau, die Ihr so eben gesprochen, machen es unerläßlich, daß ich Alles erfahre, und ich bin Mann genug, um jedes Verhältniß kennen zu lernen, welchen Einfluß es auch auf mein Schicksal haben mag. Ihr habt von Rechten über mein Vermögen gesprochen – Ihr nennt sogar den Namen Lacy bedroht – wenn ich die eine Bedingung unerfüllt ließe – sprecht es aus – und Du, Magda,« setzte er im weichsten Tone hinzu – »Du fürchte nicht für Deinen Freund! Er wird Alles ertragen und Du wirst sein Schutzgeist sein.«
Magda hatte sich von ihm halten lassen, aber sie drückte das Testament mit beiden Händen fest gegen ihre Brust, während ihre Augen groß und schwermüthig auf ihn gerichtet blieben. – Thomas Thyrnau hatte sich niedergesetzt und war in trübes Nachdenken verfallen.
»Und dennoch,« sagte Magda endlich – »dürft Ihr es niemals kennen lernen – ich habe ein Recht darauf – und wenn ich es will – wer kann dann dagegen.«
»Graf Lacy,« sagte Thyrnau entschlossen – »erklären Sie sich, ob die Verbindung, von der Sie sprechen, unwiderruflich ist! Ich sage Ihnen, daß Gründe in Ihre Macht gestellt werden können, die wichtiger sind, als Sie noch immer geneigt scheinen zu glauben – Gründe – die wenigstens vor Ihrem eignen Gewissen Sie frei sprechen würden.«
»Ha!« rief Lacy – »lassen wir diese Räthselsprache, die nicht mehr passend ist unter uns. Noch einmal – man darf mir den Willen meines Oheims nicht vorenthalten und ich will ihn kennen lernen!«
»Und entsagen Sie jener Verbindung,« fragte Thyrnau, »die Sie leichtsinnig und thöricht geschlossen?«
»Halt, mein Herr!« entgegnete Lacy lebhaft – »ich habe Ihnen gesagt, daß ich verlobt bin. Ein Lacy hat noch nie sein Wort zurückgenommen – die Verbindung ist die ehrenwertheste; sie ward aus reiner Neigung geschlossen – ich bin der Gegenliebe gewiß – und ich liebe die Fürstin!«
Magda hatte sich über die Arme des Großvaters gelehnt und blickte zu Lacy mit einem Ausdruck empor, der ihn vielleicht seinen Muth gekostet hätte, wenn er nicht seine Augen in dem düstern stolzen Antlitz des alten Thyrnau hätte wurzeln lassen. Jedes seiner Worte durchzuckte ihren Körper wie elektrische Schläge, und die letzten drängten einen Schrei über ihre Lippen, der wie das Zerreißen eines menschlichen Innern klang. Ihr Kopf sank über ihre Hände, sie lag über den Armen Thyrnau's, wie gebrochen.
»Nun,« rief dieser halb traurig halb zornig – »so kann ich Ihr selbstgewähltes Schicksal nicht länger aufhalten, denn ich habe nicht allein Ihre, ich habe Magda's Rechte zu wahren, und handele nach dem feierlich gelobten Vertrage zwischen Ihrem Oheim und mir.«
Er erschrak aber fast, als Magda jetzt von seinen Händen auffuhr und er in ihr plötzlich glühendes Antlitz sah. – »Was willst Du machen, Großvater?« rief sie. – »Weißt Du denn nicht, daß Alles vorüber ist? Ich bleibe nun bei Dir – Du hast mich nun ganz allein, und für Dein ganzes Leben muß ich Dir allein Freude machen, und dafür sorgst Du für mich! Und bleibe ich leben – da will ich werden, wie Barbara – aber er – o! er ist ein Lacy, dem Tein angehört! Denke doch, wer soll hier herrschen und befehlen können, als ein Lacy? – Großvater!« rief sie, und ihre Aufregung hatte etwas Aengstliches, sie glühte wie im Fieber und hielt den Alten auf seinem Stuhl fest, obwol er immer versuchte, sie abzuwehren – »Großvater! ich will Dein Gewissen befreien – ich will Lacy verwerfen! ich will ihm sagen, daß ich ihm nie angehören will!« Dann richtete sie sich auf, als sie aber den Grafen ansah, der tief erschüttert an ihrem Anblick hing, fuhr sie mit der Hand nach dem Herzen – ihre Lippen wurden weiß – und sie lehnte den geknickten Kopf einen Augenblick an die Stuhllehne. Kaum aber fühlte sie, daß Thomas Thyrnau sich zum Aufstehn anschicke, da blickte sie wieder auf und ihre Kräfte sammelnd rief sie: »Graf von Lacy! gegen den Willen Deines Oheims und gegen den Willen meines Großvaters verwerfe ich Dich! – ich will Dir nicht angehören, ich verwerfe Dich hiermit feierlich!«
Da wurde dies von den tiefsten Schmerzen gezeichnete Gesicht plötzlich von dem süßesten Lächeln der Entzückung übergossen – freudestrahlend schlug sie die Hände zusammen – triumphirend sah sie Alle an, die wie unter einem Zauber gebannt vor ihr standen. »Nun,« fuhr sie immer holder lächelnd fort – »nun ist alle Verwirrung gelöst, Vater Lacy!« rief sie, als sähe sie ihn – »Magda hat nun doch Alle gerettet! Dich hat sie doch glücklich gemacht,« rief sie dem Grafen zu – »und von Dir, Großvater, alle Sorge genommen. – Ach, wie bin ich glücklich! glücklich!« rief sie in steigender Aufregung, die einen gefährlich überreizten Geisteszustand andeutete. »Hieronymus, hörst Du sie singen! Das sind Deine Engel! Hör', wie sie so süß singen – sie bringen kühle Luft mit, weil mein Kopf so brennt. Nein! nein! sie kommen von Vater Lacy – er will das schwere heiße Testament haben – o! sieh nur, wie er die Arme ausstreckt! Ja, er hat mich lieb – ich hab's ihm recht gemacht! Komm – komm Hieronymus! rede Du die Engel an – Du bist ein heil'ger Mann – ach, wie schön, wie süß das ist – wie ich so glücklich, so selig bin!«
»Um Gotteswillen,« schrie Lacy, vor ihr niederstürzend und ihre Hände an seine Brust drückend – »Magda, erwache! sammle Deinen abirrenden Geist – oder ich muß zu Deinen Füßen sterben!«
Magda erschrak bei seiner Stimme und legte die Hand an ihre Stirn. Dann setzte sie sich still nieder und hielt mit ihren beiden Händen Lacy's Hände fest und lächelte den Knieenden, über dessen Gesicht unaufhaltsam Thränen stürzten, wie ein Engel an.
»Ach! wie hatte ich's mir so oft gedacht, wie es sein würde, wenn wir uns zuerst sähen,« fuhr sie fort – »und dann wie mich Egon da vor Dich hinstellte – das war lächerlich!« sie lachte wie ein Kind dabei – »und wie ich nur allein wußte, Du sei'st mein lieber Bräutigam – ach! war das nicht traurig? Da bekam ich zuerst den kleinen Stich am Herzen – der heute nun so groß geworden ist wie die Sonne, wenn sie brennt! – Und dann hier in Tein – was weißt Du wohl von hier? Aber ich – jeden Weg kenne ich – jeden Baum – jede Blume – und Dein Bild daneben! Es ist Dein Oheim – aber ich wußte wohl, daß Du so aussähest. Da habe ich Dich geschmückt, Jahr aus Jahr ein – mit den Blumen, die die schönsten waren. Ach, es wäre wol nöthig, daß wir das ganze Leben beisammen blieben – ich dachte es immer, wir würden nie fertig mit all' der Freude, die hier steckt.«
Lacy verbarg sein Gesicht in ihrem Schooß – er fühlte den größten Schmerz seines Lebens.
»Fasse Dich, Magda,« sagte Thomas Thyrnau sanft – »Dir ist vielleicht nicht wohl – wir wollen nach dem Dohlennest zurück – gieb mir oder Hieronymus das Testament.«
»Ach nein,« sagte Magda – »lass' mich hier – es ist hier so schön! Ich kann ja doch mit ihm umher gehn – wenn er auch die gute alte Fürstin heirathet. – Ach! ich hatte mich doch so lange darauf gefreut, ihn umher zu führen – soll ich denn nichts behalten?« Sie fing plötzlich an zu weinen und die beiden alten Männer wendeten sich rathlos von ihr ab, während Lacy schluchzend zu ihren Füßen liegen blieb.
Ohne sich stören zu lassen, fuhr Magda wieder fort – »Ihr seid Alle so stumm – und ich fühle wohl, ich mache Euch Sorge. Aber wenn Ihr wollt, daß ich nicht an den Schmerzen hier sterben soll, dann müsset Ihr Alle zusehn, wie ich es mache, damit sie sanfter werden. Ich weiß Alles – ich bin gar nicht von Sinnen – ich weiß, daß ich ihm ganz entsagt habe – damit ihn nichts kränkt und ich die Schuld habe. Das habe ich mir schon die Nacht ausgedacht, wie der Betrüger kam, und ich dachte, Lacy achtete uns so gering – und wollte mich an ihn verrathen.«
»O nein!« rief Lacy – »nein, Magda! nie hätte ich unredlich gehandelt. Doch ich bitte Euch, Thyrnau – wenn ich den Verstand behalten soll, so endet diese Qualen – schreitet ein – entscheidet!«
»Sie hat entschieden!« sagte Thyrnau ernst, aber milde. – »In ihrer reinen Seele ist kein Irrthum – ihr tüchtiger Verstand reifte in der Qual dieser Stunde, Sie hat Recht, und da sie Euch entsagt, durch ihren Willen sich dem Testamente widersetzt, so seid Ihr frei, und dies ist ein umsonst beschriebenes Stück Papier.« Ein bitteres Lächeln schwebte um des Alten Mundwinkel – er nahm Magda das Pergament weg und reichte es mit dem brennenden Lichte Hieronymus, dem er einige Worte zuflüsterte.
Aufmerksam und ruhiger als vorher hatte Magda ihm zugehört. Jetzt sprang sie auf und warf sich dem Großvater in die Arme. »Dich hatte ich so gefürchtet – und nun bist Du so gut! Jetzt bring' mich fort – ich wollte ihn nur nicht verlassen, weil ich dachte, dann kämest Du hervor mit Allem. Nun kann ich aber gehn – o sieh! sieh! wie es brennt!« rief sie aufjauchzend.
Im Kamin hatte Hieronymus das Testament angezündet – Alle wandten sich der Flamme zu.
»Mein alter Freund!« sagte Thomas Thyrnau, indem er zum Himmel sah – »das sind die Entwürfe der Menschen! – Graf Lacy,« fuhr er fort – »jetzt sind Sie der Besitzer von Tein!«
»Es ist nicht der Augenblick, um einer Erklärung nachzufragen,« erwiederte der Graf – »doch werdet Ihr gewiß fühlen, daß sie mir nicht fehlen darf. – Magda muß aber unser erstes Interesse sein!«
»Für sie hab' ich fortan allein zu sorgen,« rief Thyrnau mit der alten Energie.
»Magda,« flehte Lacy – »geh' nicht fort, ohne mir den Trost zu geben, daß Du mir verzeihst! Nenne das, was hier geschehen, nicht Verwerfung – ich kannte Dich nicht! O vergiß das nie. Als ich die unübersteigliche Scheidewand zwischen uns aufbaute, glaubte ich in einer Grille entgegen zu treten. – Denen, welche mein Glück beabsichtigten, mißtraute ich – Magda, das sind meine Fehler – und meine grausame Strafe – daß ich Dir nicht angehören kann! Aber merk' es wohl, Dich, Dich habe ich nicht verworfen! O verzeihe mir – verzeihe mir.«
Magda's Kopf ruhte auf der Schulter des Großvaters; die Anspannung schien sie zu verlassen; sie glühte wie eine Rose, aber ihre Glieder waren gebrochen. Hieronymus hatte ihre müde niederhängende Hand erfaßt, er prüfte ihren Puls. Dennoch strengte sie sich an, Lacy zuzuhören, und ihre Augen suchten sein Bild festzuhalten. Sie entzog Hieronymus ihre Hand, sie drückte sie an ihre Stirn und sagte: »Es wird mir so schwer, zu denken, was nöthig ist. – Sage nicht, daß Du mir nicht angehören kannst – ich – ich habe das gesagt – ich habe Dich verworfen! Ach! nimm es doch so an, Lieber – sonst kann der Großvater nicht ruhig werden – und ich habe nur noch wenig Zeit zum Denken. – Und verzeihen soll ich Dir? Ach, ich weiß nicht was! Zwischen uns steht etwas – das sind aber Engel, die uns lieben, und die stören uns nicht – die tragen Deine Liebe zu mir und meine zu Dir. – Heirathe Du doch, wen Du willst – ich kann Dir ja doch bleiben. Die Engel lächeln, wenn ich weinen will – dann singen sie und ich bin dabei so selig, denn ich verstehe wohl: sie finden das Alles nicht traurig, was ich heut' erlebt habe. Ach sie singen mich in Schlaf – das thut gut – jetzt wird es Nacht! Sieh, die Sterne kommen vom Himmel – wie sie glänzen! Gieb mir Deinen – da – hier hast Du meinen!« Sie schwankte – sie griff lächelnd in die Luft – in diesem Augenblick fing Lacy sie in seinen Armen auf, denn ihre Knie brachen zusammen. Er drückte sie fest an seine Brust und sie legte unschuldig sicher die Hand unter ihre Wange, als wolle sie nun schlafen. Doch trat Hieronymus hinzu, denn Thyrnau sah im stummen Schmerz die anwachsende Krankheit des allzu heftig erschütterten Mädchens. »Wir können sie in diesem Zustande und bei der Glut der Mittagssonne nicht von hier fortbringen,« sagte Hieronymus – »ein Aderlaß ist das Nöthigste. Graf Lacy, gebt Befehl, daß die Zimmer der verstorbenen Gräfin Lacy geöffnet werden – und weibliche Bedienung herbei komme.«
»Befehlt Alles, was Euch nöthig scheint,« sagte Lacy – »ich will sie hinüber tragen.« Lacy hob sie wie ein Kind auf seinen Arm, denn sie hatte jetzt die Besinnung verloren, und trug sie fort, den Weg, den er so wohl kannte, nach dem Schlafzimmer der alten Gräfin. Thyrnau folgte, ohne ein Wort zu sprechen, und Hieronymus sah ihm kopfschüttelnd nach, denn die Stille in seinem Wesen ließ ihn auf den hohen Grad seiner Erschütterung schließen.
Nach dem Aderlaß war Magda erwacht, aber das Fieber mit großer Stärke ausgebrochen. Sie sang mit einem wahrhaft seraphartigen Schwung der Stimme, und Hieronymus stand Niemand Rede und that alle Handreichungen selbst. Mit dem Untergang der Sonne sank die höchste Glut des Fiebers; sie schlief abwechselnd oder lag in einem stillen halb bewußtlosen Zustande.
Die Kastellanin von Tein, die Tochter Angela's bekam nun ihren Wachtposten am Bette. Hieronymus löste sich endlich ab, denn der ehrliche Alte fühlte, daß er den ganzen Tag keine Nahrung zu sich genommen. – Er führte die beiden Unglücklichen, die im Vorzimmer den heftigen Zustand der Kranken belauschten, mit sich in den mittlern Saal, wo die unbenutzte Mittagstafel stand. Erst als er hier die Thüren nach dem Garten aufgerissen und die Kühlung des Abends eingeathmet hatte, stand er den dringenden Fragen der Beiden Rede.
»Ich sage Euch, sie kam schon im Fieber her. Ich hab's wohl gedacht; die ganze Nacht ist sie nicht im Bett gewesen, sondern auf dem Thurm über dem feuchten Walde. Das ist so, wenn man die Kinder erzieht, daß ihnen alle unvernünftigen Neigungen durchgehn. Ich konnte es gut wahrnehmen, daß sie um Mitternacht noch umher wandelte; aber Gundula wurde von der verschlossenen Thür weggeschickt: was war da zu thun? Ich konnte die Thurmtreppe nicht erklettern wie eine Katze; da holt' ich den Bezo – nun, das arme Thier versteht's gleich, wenns sich um Magda dreht. Aber was half es viel, als daß er hinauf kletterte und sie ansah, wieder herab kam und immer zeigte, Magda sei da! Erst gegen Morgen ist sie eingeschlafen, aber in den Kleidern und oben in der tödtlichen Nachtluft; ich konnte ihr nicht helfen! – Was nun wird, müssen wir abwarten – das Eine, sage ich aber, habe ich nöthig: Keinen Lärm, keine dumme Hätschelei oder Pflege, keine Gemüthsbewegungen! Wie viel ich von Allem will, werde ich selbst anwenden – jetzt aber will ich essen, denn seit dem Frühstück ist hier eine große Lücke entstanden.« Er rührte die Glocke und befahl anzurichten. Man nahm Platz und Jeder versuchte, so viel die vorwaltende Stimmung zuließ, sich nach dem erschütternden Tage etwas zu stärken; doch selbst Hieronymus brachte es darin nicht so weit wie sonst, und Wein versagte er sich ganz, damit die Kranke, zu der er die Nacht zurückkehrte, durch den Geruch nicht belästigt werde.
Als er sich zurückgezogen und versprochen, von Zeit zu Zeit Nachricht zu bringen, traten beide Männer in die beschwichtigende Nacht hinaus, die einen dunklen Himmel mit glänzenden Sternen über ihnen ausbreitete. Sie waren Beide froh, daß sie den glühenden Blicken ihrer Augen nicht mehr begegneten und äußerlich so sanft vor einander verhüllt, erkannten sie jetzt erst klar ihr Inneres, und als sich Lacy überwältigt an Thyrnau's Brust stürzte, drückte der alte bekümmerte Mann ihn fest an sich, und diese stumme Umarmung löste die schreckliche Spannung ihrer Herzen, und Beide entschlossen sich in ihrem Innern, sich grenzenlos zu lieben.
»Wenn ich leben soll,« rief der junge Mann, »so mußt Du mir vergeben, Du mußt mich lieben, wie Deinen Sohn, Du mußt mir das Leben überwinden helfen – das selbst Bereitete mir lehren zu ertragen.«
»So wird es sein müssen,« entgegnete Thyrnau sanft – »ich fühlte es längst – ohne Liebe kommen wir aus diesen Schmerzen nicht heraus. Das fühlte Magda schon, die nichts zwischen sich und Dir als Engel sah, die ihr nicht zu weinen erlauben wollten. O! mein Sohn, – sie hat uns Großes gelehrt in ihrem Irrwahn!«
»Lass' mir den Namen Sohn,« bat Lacy – »die Loose sind anders gefallen, aber dies haben wir noch in unserer Gewalt. O! sei mir nie weniger als ein Vater, und Du wirst die Lücke ausfüllen, die ich seit des Alten Tode fühle. Ich muß Dein Sohn sein, Magda's Bruder, dann können wir vielleicht so viel durch mich geschaffenen Schmerz ertragen.«
»Es ist seit diesem Tage vieles zerstört, was ich mit Deinem Oheim aufbaute; aber das Eine will ich fest halten – und das war – daß wir Dich Beide adoptirten, daß wir uns gleiche Rechte an Dir zugestanden, daß, wie er Magda sich zueignete, ich zu Dir berechtigt sein sollte, daß wir unser Eigenthum zusammen warfen, Dir an dem meinigen, ihr an dem seinigen das gleiche Recht zustehen sollte.«
»O mein Vater,« rief Lacy – »halte das fest, dann ist Magda und bleibt sie Herrin hier und überall, wo ich selbst bin. O dann wird Gott dem schwachen Herzen gnädig bleiben und wir noch Alle glücklich werden.«
»Noch,« sagte der Alte mit bebender Stimme – »steht selbst ihr Leben in Frage – bleibt sie uns erhalten, dann wird sie wohl viel einzuwenden haben, und nie konnte ich sie überreden; sie hat eine Unbezwinglichkeit, vor der sie selbst nicht weiter kann. – Doch lass' uns die Nacht benutzen und sage mir viel von Dir und laß mich Dir gestehn, daß mich Deine Verlobung in doppelter Beziehung traurig überrascht. Du warst nicht ganz unbeobachtet und bliebst nur ungewarnt, weil ich wußte, Du habest nirgends Dein Herz gefesselt. Keine Frau rang Dir auch nur flüchtige Theilnahme ab, und vollends hielt ich Dich gesichert, als ich erfuhr, nur das Haus der Fürstin Morani besuchtest Du täglich – unter dem Schutz dieser tugendhaften Dame hielt ich Dich so sicher bewahrt!«
»Nur das Eine, theurer Vater, eh' ich zu erzählen anfange; lass keinen Argwohn auf die fallen, die jetzt zwischen Deine Pläne tritt. Nicht durch die Künste der Gefallsucht, womit ältere Frauen dem ungezügelten Herzen noch in späteren Jahren jüngere Männer zu erwerben suchen, hat die Fürstin meine Neigung gewonnen. Ich darf kühn sagen: ich habe sie früher geliebt, als sie mich! Ich liebte die Reize, die sie nicht verbergen konnte – diesen edlen geläuterten Sinn – dies Herz voll Güte und Weisheit, das in jedem Augenblick hervortrat. Die Schuld, die hier in mir entstand, trifft mich allein – lange widerstrebte sie meinen Bitten – und als sie einwilligte, fühlte ich mich vielleicht glücklicher, als sie.«
Lacy fuhr nun fort, mit der Offenheit eines Sohnes alle seine Verhältnisse dem neu gewonnenen Freunde darzulegen, und dieser fühlte am Ende dieser Mittheilung, daß seine Hoffnung, noch eine Wendung darin zu finden, welche die Dinge anders zu gestalten vermöchte, vergeblich war, und daß, wenn er nicht über den eben gewonnenen Sohn ein tiefes, nie gekanntes Leiden bringen solle, er ihm für's Leben den Verlust des Vermögens verbergen müsse, auf dessen Besitz er bei der Verbindung mit der verarmten Fürstin so sicher gerechnet hatte.
»Sie wird genug haben, wenn sie's überlebt,« sagte er in sich hinein– »und ich, der arme bürgerliche Advokat, rette das stolze Haus Lacy!«
Doch war des Advokaten Stellung nicht so leicht wie die des Grafen, dem es vergönnt war, sein ganzes Innere offen aufzudecken. Thyrnau empfand eine fast unüberwindliche Abneigung, von seinen und des Oheims Jugendplänen zu sprechen, die ohne die entschuldigende Kenntniß der damaligen Verhältnisse jetzt etwas Beleidigendes für das Gefühl des Unterthanen haben konnten – und überdies – wie schwer es war, der daraus entstandenen Verwickelungen zu gedenken und die Mittel zu umgeben, welche diese lösten? Thyrnau fühlte, er dürfte sich nicht überraschen lassen und fürchtete auch seine Stimmung, die durch den Gedanken an Magda's gefahrvollen Zustand zerstreut war.
Dieser letzte Grund, dessen Wahrheit Lacy fühlte, weil er ihn theilte, überhob ihn der näheren Erklärung, und da Beide durch die Mittheilungen des alten Hieronymus ruhiger wurden, die Nacht auch vor dem röthlichen Lichte, welches im Osten aufstieg, verschwand, nahmen sie, von der Erschöpfung überwältigt, die der erschütternde Tag nach sich führte, auf den Sopha's des mittleren Saales Platz und genossen einer kurzen Ruhe.
Hieronymus hatte ihnen am Morgen über Magda guten Trost zu bringen; doch versagte er jedem Andern den Eintritt zu ihr, da der halb bewußtlose Zustand, in welchem ihre Schwäche sich erhielt, durch Nichts unterbrochen werden sollte, und selbst die weinende Gundula wurde zurück geschickt, weil das fremdere Gesicht der Kastellanin ihm weniger aufregend erschien.
Thyrnau und Lacy ergriffen jetzt mit muthigem Geist die gestörte Stellung nach Außen. Pölten erhielt von Thyrnau Verzeihung. Die Absichten des jungen Mannes hatten etwas Versöhnendes – seine Strafe war nicht gering – auch konnte man annehmen, daß er die Täuschung bis zu dem ehrlosen Einschleichen in die Geheimnisse des Testaments nicht würde getrieben haben. Thyrnau gab ihm unaufgefordert dieses Zeugniß, und war seit dem Mittage im Dohlennest schon, wie Magda, vollkommen überzeugt gewesen von dem Betruge, der gespielt ward. Gleich am ersten Tage hatte er Verdacht geschöpft, aber er hielt Pölten für keinen Ehrlosen; er erkannte in ihm den blos leichtsinnigen Thoren und suchte durch seine feierliche Weise am letzten Morgen das schlummernde Ehrgefühl zu wecken. Die Hand, die Pölten in dem Augenblick, wo Thyrnau anscheinend die Siegel erbrechen wollte, verhindernd gegen ihn ausgestreckt, bestätigte die gute Meinung des Advokaten und verschaffte Pöltens Versicherung vollen Glauben, daß er entschlossen gewesen wäre, Alles zu gestehen, wenn Magda's Erscheinen dies nicht verhindert hätte.
Der junge Mann fühlte jedoch, daß er hier nicht bleiben könne, und nahm daher nach diesen Erklärungen Abschied, um jetzt die Reise nach Ungarn anzutreten, die er in Prag bei seinen dortigen Geschäftsfreunden als wichtig erkannt hatte. Erst nachdem Pölten das Schloß verlassen, übernahm es Thyrnau, den versammelten Dienern des Hauses anzuzeigen, daß jetzt ihr junger Herr eingetroffen sei, indem er das Erscheinen des Barons in einige Worte hüllte, die der Respekt der alten Leute verhinderte, unverständlich zu finden, und die auch bald in der Freude vergessen wurden, als ihr junger Herr jetzt unter sie trat, Alle kannte, beim Namen nannte, nach allen Verhältnissen mit gutem Gedächtniß fragte, und als die schöne, vollständig entwickelte Aehnlichkeit mit ihrem sel'gen Herrn ihnen die gute alte Zeit wieder zu bringen verhieß.
»Ach,« sagte sich Thyrnau, der ein nachdenklicher Zeuge dieser Scene war – »womit könnte ich ihnen das ersetzen? Wie vergeblich würden meine und Magda's Rechte hier auf Bestätigung warten; wie würde ich ihnen immer wenig mehr als der Räuber dieser Rechte sein! Ein langer Besitz, von Vater auf Kinder sich vererbend, ist ein Heiligthum, für dessen Erhaltung in jedes Nachkommen Brust der wärmste Eifer leben sollte. Es ist das einzige Verhältniß, was noch die patriarchalischen Elemente einer verschwundenen Zeit enthält; die geschonte Pflanzstätte uneigennütziger Liebe und Treue, wo der schöne Traum moralischen Einflusses auf die uns zugegebenen geringeren Stände so weit Wahrheit wird, als der Werth in uns es ist. Hier tritt uns ein Glauben entgegen, den wir muthwillig zerstören müssen, wenn er uns nicht eine Stütze werden soll, die wir mit dem Namen und Besitz ererbten, der zugleich der Besitz dieser Armen ist, die ihn fortgeerbt sehen wollen an den, dem sie gehorchen sollen.«
Auch war kein Zweifel mehr in dem großmüthigen und entschiedenen Karakter Thyrnau's. Er, der die Rechte des Andern ehrte, bis zu der Laune, die ihn hier oder dorthin trieb, sobald er zu einer straflosen Richtung der Seele folgte; er hielt den äußeren Besitz so gering, daß er keinen Skrupel empfand, Magda ihres bedeutenden Vermögens zu berauben.
Thomas Thyrnau hatte schnell heraus gefühlt, was von seinem Entschluß und seiner Thätigkeit abhing; aber er fühlte, daß dies nur äußere Verhältnisse sicherte und erst, nachdem diesem genügt war und eine geräuschlose Feststellung derselben das bedrohliche Aufsehn abgewendet, kehrte der Blick nach Innen zurück und forschte, was hier nach so vielen Verlusten geblieben war. Es gehörte ein entschlossenes Herz dazu, um mit scharfer Erwägung die Wahrheit durchzudringen, das Resultat zusammen zu fassen und sich mit seiner neuen Gestalt zu versöhnen. Die wundeste Stelle nach diesem Verfahren blieb für Thyrnau Magda's Schicksal.
»Sie wird aus der Bahn damit gedrängt sein,« sagte er seufzend, »und den beklagenswerten Frauen angehören, die nicht auf dem natürlichen Wege ihrer Bestimmung den Reichthum ihres Innern entwickeln können. Nachdem ihr die schönste Bestimmung verloren geht, wird sie sich in den Versuchen abmühn, sich selbst genug zu thun – aber wenn der Bogen des Friedens sich einst über ihr wölbt, so wird er den langen Regentag andeuten, dessen scheidende Sonne erst die fallenden Tropfen verschönt!« Dabei ließ ihn seine Achtung vor der Freiheit jedes Einzelnen gar keine Pläne für Magda machen. Er liebte in diesem jungen Wesen die Entschiedenheit des Sinnes, die ihr immer auf ihre Weise Bahn machte, und erwartete, ohne sich zum Einschreiten Berechtigung zuzugestehn, wie diese große Umwälzung sich in ihr gestalten werde. Aber – er wäre lieber allein unglücklich gewesen. Da er seine eigne schöne Natur nicht so vollständig erkannte, als sie sich doch gerade hierbei bethätigte, erstaunte er fast, daß er das Scheitern des alten, wohl ersonnenen Plans und den damit verbundenen stillschweigend und anerkannt geopferten Verlust seines großen Vermögens so wenig empfand oder nur mit dem wehmüthigen Lächeln des Philosophen begleitete, der den Erscheinungen des Lebens mit dem Antheil zusieht, der ihm die Kurzsichtigkeit menschlicher Beschlüsse verräth, die in ihrer nothwendigen Entwicklung dem Einschreiten der Zeit verfallen. Daß wenigstens die Rettung des Namens Lacy erreicht war – das Besitzthum des adoptirten Jünglings – des Neffen des geliebten Freundes gesichert – und damit dem verklärten Geist genug geschehen, war der Trost, der sein großmüthiges Herz befriedigte. Er suhlte sich bei seiner vielgeprüften Erfahrung überdies nicht sicher, ob den jungen Mann – abgesehen von dem äußeren jetzt festgestellten Besitz – nicht ein größerer Verlust an Glück getroffen, als die Zeit gut zu machen vermöchte. Er hatte seine Mittheilung mit großer Selbstbeherrschung angehört, und Thomas Thyrnau war der Einzige bis jetzt, der nicht gestrebt hatte, Lacy das Gewagte und Unpassende seiner beabsichtigten Verbindung vorzustellen. Aber dies Benehmen entsprang aus der an Schreck grenzenden Ueberzeugung, welchen Gefahren der junge Mann mit der Unschuld der Unerfahrenheit entgegen ging. Sein starkes Ehrgefühl zeigte ihm dabei das eingeleitete Verhältniß als unauflöslich, und er glich dem zärtlichen Vater, der vor dem Laut zittert, der den nachtwandelnden Sohn an dem Rande des Abgrunds wecken könnte, ihm die gefahrvolle Tiefe aufdeckend, an der er sorglos vorüber geht. Er dachte nur daran, wie er ihn stützen wolle – und bewahren helfen – und mußte sich sagen, schon möge durch jenes Zusammentreffen mit Magda, durch die gefährlichen Beziehungen zu ihr, das unberührte Herz, was sich so schnell dem Anbeten der Tugend gewidmet hatte, von der Ahnung beschlichen sein, daß der Jugend eine Entzückung aufbehalten ist, die keinen Verstand zu ihrer Erklärung braucht, weil in der Harmonie des Eindrucks die zweifelloseste Befriedigung liegt – die Glück ist! – »O, Jugend,« sagte Thyrnau – »räche nicht zu schwer die Schuld, die an Deinen Rechten begangen ist – fordere nicht Deinen Tribut nach – denn Du erhältst ihn nur, indem Du das Individuum aufopferst.« Er wünschte in Lacy den Gedanken zu erregen, daß es seine Stellung, wie die hochwichtigen Interessen Böhmens nöthig machten, daß er nach Wien zurückkehre. Er wollte ihn auf diese Weise von der leidenschaftlichen Theilnahme zerstreuen, die Magda's Krankheit in ihm erregt hatte und er benutzte Hieronymus' Aussagen, um ihn zu erinnern, daß eine Erkältung des eigenwilligen Kindes und ein schon vorhandenes Fieber dem darauf Folgenden zu so großem Einfluß verholfen habe, und die Krankheit eigentlich da gewesen sei ohne die blos vermehrend wirkenden Gemüthsbewegungen. Wie viel Lacy davon glaubte, konnte Thyrnau nicht erkennen; wie überhaupt die Stimmung des jungen Mannes nach der offensten Hingebung des Vertrauens jetzt wieder in eine Zurückhaltung übergegangen war, die einen tieferen Blick in seinen Herzenszustand von sich abwies. Er hatte sich, wie es selbst Thyrnau schien, nach den erlebten Erschütterungen äußerlich verändert. Außer seiner Blässe waren seine Augenlider gesenkt und seine Stimme hatte einen leisen nach innen gedrängten Ton. Aber was es auch sein mochte, Thyrnau sah mit innigem Wohlgefallen, er sei Keiner, der mit unnützen Worten die innere Kraft beim Kampf zersplitterte, und freute sich der Bestätigung seiner wachsenden Liebe.
Gegen Ende des Tages wußte er ihn zu dem Entschluß zu ermuthigen, am andern Morgen nach Wien zurückzukehren, in welchem Vorschlag Lacy zwar einging, jedoch abermals um Erklärung der vielfach vernommenen Drohung bat, die ihm sein Vermögen in Zweifel gestellt hatte.
Obwol dieser Antrag Thyrnau nicht unerwartet kommen mußte, fühlte er sich doch nicht vorbereitet darauf. Hastig griff er nach beiden Händen Lacy's, und indem er sie heftig drückte, rief er, fast von sich selbst überrascht: »Was willst Du? Da Du eingewilligt hast, mein Sohn zu sein, so sage ich Dir, ist Alles in meine Willkür gestellt, und ich, Dein Vater, versichere Dich – Dein Vermögen ist unbedroht, unangerührt. Das war ein Geheimniß, was nun werthlos geworden ist – im Kamin ist seine letzte Spur verglimmt.« »Aber,« entgegnete Lacy – »Magda kennt es – Hieronymus kennt es. Darf ich es zugeben, der Einzige zu sein, der darüber unwissend bleibt? O mein Vater, prüfe genau, darf eine Lacy es sich gefallen lassen – ist nichts dahinter, was edler wäre, selbst als Nachtheil ertragen zu werden, als unwissend Andere darüber entscheiden zu lassen?«
»Sei ruhig,« sagte Thyrnau bewegt – »der Name Lacy ist Dir nicht theurer als mir; er ist bei meinem Verfahren vollkommen gesichert – streite nicht weiter darüber. Viele habe ich seit gestern aufgeben müssen, Du bist mir eine kleine Genugthuung schuldig, und sie besteht darin, daß Du Dich jetzt fügst wie ein Sohn, der seinem Vater vertraut.«
Thyrnau war aus seinem Karakter heraus gegangen, indem er, um zu seinem Zweck zu kommen, den Andern erweicht hatte. Er fühlte das, und nachdem sie sich stumm aber in großer Rührung und Zärtlichkeit umarmt hatten, eilte Thyrnau diese Zusammenkunft zu beendigen.
Hieronymus' Aussagen ließen Magda's Zustand eher gefahrloser erscheinen; Lacy wollte deshalb schon die Nacht zu seiner Abreise benutzen, und die Männer beschlossen, bis dahin zusammen zu bleiben. Thyrnau gewann bald die Geistesfreiheit wieder, die ihn geschickt machte, Lacy über seine verlegen verhehlten nächsten Schritte zu befragen. Mit großer Gemüthsbewegung hörte er, daß die Fürstin Morani den Bitten des Jünglings nachgegeben und ihn bei seiner Rückkehr die vorbereitete Hochzeit erwarte. Aber auch hierbei zuckte bloß Thyrnau's Herz; sein Aeußeres drückte wahren Antheil aus und Lacy, der das edelste und klügste Verfahren, was ihm bisher zu Theil geworden – tief erkannte, fühlte, wie wohl begründet ein solcher Mann die ehrfurchtsvolle Liebe genießen mußte, die ihm überall zu Theil ward.
Ein schwerer Seufzer rang sich aber aus Thyrnau's Brust, als der Augenblick der Abreise gekommen war und Graf Lacy eine Gemüthsbewegung zeigte, die ihn seine streng behauptete Haltung zu kosten schien. Hieronymus hatte ihm die letzte Nachricht, daß Magda fest schlafe, schon einige Male wiederholt und immer stand er blaß und forschenden Blickes vor dem alten Manne. Plötzlich rief er heftig und dringend: »Ich bitte Euch um Gotteswillen, laßt sie mich noch einmal sehen – ich werde dann ruhiger sein und leichter abreisen.«
Die beiden Alten erschraken über die unerwartet hervortretende Aufregung, doch suchten sie ihn abzuhalten. Aber es ging hier wie überall, wo ein bestimmter Wille so lange gegen Gründe das Ohr verschließt, bis er eine Einwilligung erzwingt, die er allein zu verstehen scheint. Hieronymus kehrte, von Lacy auf dem Fuße gefolgt, nach dem Krankenzimmer zurück, und als er Magda noch schlafend fand, trat er zur Seite und – Lacy stand jetzt vor dem Bette.
Das Zimmer war nicht so traurig verdüstert, wie Krankenzimmer gewöhnlich, und die schweren grün damastnen Bettgardinen waren zurückgeschlagen. Magda's Kopf ruhte auf dem weißen Kissen und die langen schwarzen Flechten hingen auf beiden Seiten nieder. Die geschloßnen Augenlider zeigten die breiten dunklen Wimpern; das sonst von keinem Krankenzug entstellte Gesicht hatte eine Marmorweiße und bloß um die Augen einen tiefen Rand, das Zeichen des Leidens.
Lacy betrachtete sie lange; dann kniete er nieder. Er sah die schöne längliche Hand, die so still gebettet am Rande hing – dann bog er sich leise nieder – küßte die Fingerspitzen und verließ das Zimmer mit sichereren Schritten, als er es betreten hatte. – Aber er sprach zu Keinem ein Wort mehr. Stumm umarmte er Thyrnau und eilte den Wagen zu erreichen, der ihn in die verschwiegene Nacht hinein trug. Wenn der Fürst Morani aus seiner Gruft gestiegen wäre, um seinen Palast, den Schauplatz heiterer Launen, zu durchwandern, würde er mit Wohlgefallen die neue Ausstattung betrachtet haben, deren Gediegenheit und wirklich höheren Kunstwerth er sehr wohl zu schätzen vermocht, wenn er auch gern die Frivolitäten seines lüsternen Sinnes noch hinzugefügt haben würde. Von diesem waren die Spuren wie auf stillschweigend ergangene Zauberformeln überall verschwunden. Obwohl man den heitern Bacchischen Zug des Daniel Gran an dem hohen Kuppelgewölbe des Audienzsaales gelassen, waren doch purpurrothe Sammettapeten in die goldenen Rahmen gespannt, welche diese frivolen Gegenstände früher in eine beleidigende Nähe brachten, der man sich in den Zimmern kaum entziehen konnte – und schon schmückten statt dessen einige werthvolle Landschaften von Ruysdal und Claude Lorrain die einfachen Wände. Die Fürstin sah mit großer Genugthuung diesen Schöpfungen zu, die ihr jetzt erst – den Verhältnissen vollkommen entsprechend, eine wahre Freude gewährten, und ihr feiner gebildeter Geschmack gab immer den günstigsten Ausschlag, wo in irgend einer Hinsicht Zweifel entstanden. Sie ertrug daher, so angenehm beschäftigt, die Abwesenheit des Grafen, dessen Reise sie so nöthig hielt als er selbst, mit vieler Ruhe und betrieb, ungestört von der geliebten Gegenwart, Alles was nöthig war, um bei seiner Rückkehr ihr Versprechen erfüllen und den Hochzeitstag ihm anzeigen zu können.
Der Graf von Lacy ließ sich in seinem Reisewagen vor die Hof- und Staatskanzlei fahren, um den Grafen Kaunitz seine Rückkehr sogleich anzuzeigen und war so glücklich, dem Staatskanzler auf der Treppe zu begegnen, als er eben im Begriff war, der Kaiserin aufzuwarten.
»Ach,« sagte Kaunitz – »ich erkannte Sie nicht gleich – sind Sie krank gewesen? Sie sehen übel aus, vielleicht haben Sie sich bei der Reise übereilt. Nun, ich hoffe, Sie sind mit Ihrem Vormund, dem Herrn Advokaten Thyrnau, jetzt völlig abgefunden.«
»Vollkommen mit ihm einverstanden vielmehr; und mehr wie je von seiner Güte und seinem hohen Werth durchdrungen!« erwiederte Lacy.
»Ich gratulire dazu,« sagte der Staatskanzler frostig – »und freue mich, Ihrer Majestät der Kaiserin sagen zu können, daß Sie ihrer Befehle harren.«
Lacy sandte einen Diener nach dem Palast Morani und ließ sich zur Mittagstafel anmelden, dann eilte er seiner Wohnung zu, um die Kleidung zu ändern, und hier war es, wo er selbst einen Augenblick erstaunt sein Bild im Spiegel auffaßte und leicht erkannte, wie der Staatskanzler zu seinen Bemerkungen gekommen war. Er war daher sorgfältiger wie gewöhnlich bemüht, durch seine Kleidung sein Aeußeres vortheilhafter darzustellen, als es seine Farbe zulassen wollte.
So wie er nur in den Hof des Palastes Morani trat, war es ihm, als fielen Centnerlasten von seinem Herzen. Die unverhehlte Freude der alten und neuen Diener rührte ihn tief, und als die Thüren des Gartensaals sich hinter ihm schlossen und die edle Fürstin an seine Brust sank, da fühlte er eine Begeisterung, daß er die Hände über ihrem Haupte zum Himmel hob und Gott laut anflehte, Er möge ihm Kraft geben, sie so glücklich zu machen, als sie es verdiene. Seine Zärtlichkeit hatte etwas leidenschaftliches – er kniete vor ihr – bedeckte ihre Hände mit Küssen und seine Augen schwammen in Thränen. Er zeigte eine ernste tiefe Aufregung des ganzen Wesens, die sein schönes Gesicht so oft veränderte, daß die Fürstin es nicht übersehen konnte. Aber eine Frau, die dem geliebten Manne eingestehen soll, daß sie den Hochzeitstag festgesetzt hat, nimmt einen etwas erhöhten Ausdruck der Liebe seinerseits gern an, und so fühlte sich die Fürstin ungestört glücklich. »Nach der Hochzeit, geliebte Claudia, erzähle ich Ihnen alles in Tein Erlebte mit der treuesten Wahrheit,« so beantwortete er ihre Nachfragen über seine Reise – »vorher verschonen Sie mich! Ich habe schwere Stunden verlebt und Sie sollen meine Vertraute sein. Sagen Sie mir jetzt, ob dieser Tag auf morgen festgesetzt ist?«
»Ich habe nichts dagegen,« sagte die Fürstin – »die Einrichtungen sind getroffen – die Prinzessin Therese wird meine Brautjungfer sein – der Graf von Reutenberg will Sie begleiten – Georg Prey wird uns in der Jesuiter-Kirche in der frühesten Morgenstunde trauen. Die mir zugedachten Ehren der Kaiserin habe ich dankbar abgelehnt, damit ist jeder andere Anspruch abgewiesen, und dieser heilige Tag gehört uns ganz.«
»Gottlob, meine theure Claudia! denn wahrlich, ich sehne mich nach einer recht tiefen Stille an Ihrer Seite. Die erfahrenen Aufregungen wollen wieder an ihren Platz verwiesen sein; es kommt mir vor, als wäre eine Art Unordnung in mir, die Sie mir aufräumen helfen müßten.«
»Und,« fragte die Fürstin – »reisen wir dann denselben Tag nach Tein ab?«
»Nach Tein?« rief Lacy und schreckte empor, als ob er das oft Besprochene zuerst hörte – »nein, Claudia, nach Tein können wir nicht!«
Die Fürstin verschwieg ihr Erstaunen. War doch seit lange von nichts Anderem die Rede gewesen, als nach Tein zu gehn; war diese Reise und der Aufenthalt dort, den Lacy für ihre Gesundheit nöthig hielt, doch mit der Grund zu einer so nahen Bestimmung des Hochzeitstages gewesen! Doch drängte sich ihr damit die Ueberzeugung auf, daß Lacy dort Unangenehmes erlebt habe, und daß dieser veränderte Plan mit dem Verhältniß zu Thomas Thyrnau in Verbindung stehe, über welches sie nach der Hochzeit sein Vertrauen erwarten durfte. »Wohin denken Sie alsdann, lieber Lacy,« hob sie daher ruhig an – »Sie wissen, die Sitte erfordert eine kurze Abwesenheit?«
»Lassen Sie uns nach Prag gehen!« rief Lacy – »Ich besitze dort einen schönen Palast mit interessanten Sammlungen und werthvollen Familien-Andenken. Es sind schöne Gärten dabei, die Luft ist herrlich und gesund – doch lassen wir überhaupt die Pläne bis nach der Hochzeit – ich habe Ihnen so viel zu sagen, meine theure Claudia!«
Mit einem wehmüthigen Lächeln blickte die Fürstin ihn an. Ihr ward plötzlich so bang vor diesen Mittheilungen – sie fühlte die Hastigkeit in Lacy's Wesen – wie viel mußte er erlebt haben, was sein schönes ruhiges Gleichgewicht so aufzuheben vermochte! Doch behielt sie nicht viel Zeit zum Nachdenken, denn der Tag, der dieser wichtigen Veränderung voranging, führte noch manche Pflichten mit sich, welche die Zeit und die Gedanken der Fürstin in anderer Beziehung in Anspruch nahmen.