Henriette Paalzow
Thomas Thyrnau – Zweiter Theil
Henriette Paalzow

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Der erste Duft des Morgens ruhte noch um den klaren Himmel; die Straßen Wiens waren noch still von dem Geräusch der Werkthätigkeit. Nur das Geläut der zahlreichen Glocken dieser frommen Stadt rief die Gläubigen zu dem ersten Dienst des Tages in das Haus des Herrn, um sich in der Frühmesse den Segen zu holen für den Betrieb des Tages.

Zwischen diesen stillen Fußwanderern fuhren zur selben Stunde vier prachtvolle Karossen hindurch und hielten an dem Hinterpförtchen des Profeßhauses der Jesuiten, welches durch einen kleinen Baumgarten unmittelbar in die Kirche Königin der Engel führte.

In reicher Kleidung stiegen zwei Herren aus dem ersten Wagen, welche an der Pforte stehen bleibend uns den Grafen von Lacy und den Grafen von Reutenberg zeigen. Aus dem zweiten Wagen, den sie erwarten, steigt die Prinzessin Therese und ihr folgt die Fürstin Morani, die über ihrer Silberrobe einen den ganzen Kopf verhüllenden Schleier trägt, der bis auf ihre Füße niederfließt. Der Wagen der Prinzessin, der nun folgt, enthält die Gräfin Hautois und Gertrud in kostbarer Seidenrobe, der vierte Wagen ist leer und gehört dem Grafen Reutenberg.

Graf Lacy ergreift die zitternde Hand der Fürstin und führte sie in den Baumgang hinein, an dessen Ende die offnen Thüren der Kirchen ihnen den Hochaltar im Glanze der Kerzen zeigen. Die Bewegung Beider macht sie stumm; aber Lacy hält die Hand der Fürstin viel fester als nöthig ist, und ihr dringt durch diese fest gepreßten Fingerspitzen ein süßer Trost ins Herz.

Dagegen schreiten die beiden Folgenden in offner Fehde hinter ihnen her. Die Prinzessin ist in Rosa-Silberstoff, das Haar mit Rosen durchwebt, schön wie die Göttin des Tages; aber sie hat glühende Wangen und ungewöhnlich dunkle blitzende Augen, sie bekämpft mit Mühe den Sturm in der wogenden Brust. In dem Grafen von Reutenberg erkennt sie ihren scharf beobachtenden spöttelnden Gegner. Er ist so keck wie sie selbst; er sagt ihr, daß sie in Lacy verliebt ist, daß sie ihn nicht aufgeben wird. Er sieht wie durch einen Flor die Absichten der Prinzessin; sogar ihre guten Gefühle kennt er und neckt sie, daß sie eben nicht wisse, ob sie gut ober böse sein solle, und halb gerührt sei. Die Prinzessin entgegnet nicht wie sonst; sie ist zerstreut, sie möchte Zeit haben, die vor ihr her Gehenden zu beobachten. Der Graf bleibt im Vortheil und sie merkt es nicht, wodurch ihm das Vergnügen daran verdorben wird.

Georg Prey empfängt die Verlobten an der Schwelle der Kirche – die Fürstin sinkt überwältigt vor ihm auf ihre Knie. Er segnet sie und seine Stimme bebt und die Fürstin sieht einen hellen Tropfen auf ihre Hände fallen. Eine sanfte Musik hebt so eben an – Lacy führt sie zum Altar. Georg Prey hat seine Fassung wieder erhalten, er spricht rührende kräftige Worte mit ernster und tiefer Stimme – er legte ihre Hände zusammen und segnet den Ehebund für diese Zeitlichkeit unauflöslich ein. – Die Ceremonie ist vorüber – Lacy kniete einen Augenblick vor Claudia hin und küßte ihre Hand. Er ist todtenbleich, aber er hat nur Augen für Claudia, welche seine ganze Sorgfalt bedarf, da ihre Erschütterung ihr die Kraft raubt. Er fährt mit ihr in einem Wagen zurück – sie ist nun sein. Er sagt ihr das so oft, daß ihre Thränen in einem Lächeln untergehn – und das Glück, von allen seinen lästigen Vorbereitungen befreit, nunmehr seinen ungetrübten Einzug in ihr Herz hält.

Die Prinzessin Therese steht nachdenkend vor dem jungen Manne, der sie als Herr des Hauses an der Schwelle empfängt und wie ein Knabe mit allen seinen neuen Pflichten anmuthig scherzend, Alle in kindlicher Heiterkeit mit sich fortreißt. Sie versteht ihn nicht, denn sie hält ihn dennoch für verändert! Um seinen Mund ist eine fremde Spannung – eine Ermüdung; seine Farbe ändert oft und die Augenbraunen sind tiefer gesenkt – bei Tisch entsinkt ihm das Glas, woraus er trinken will und er fühlt es nicht, er springt auf, seinem Kammerdiener entgegen eilend, der ihm einen Brief bringt. Er liest ihn sogleich; dann erst scheint er sein auffallendes Betragen zu fühlen; er kehrt zurück und beklagt jetzt erst die verdorbene Silberrobe der Braut, die diese ihm lächelnd präsentirt.

Die Prinzessin erlebt die Empörung, daß Georg Prey ihr zuflüstert: »Verliebter sah ich im Leben keinen Mann!« sie muß wahrnehmen, daß die Fürstin seine Meinung zu theilen scheint und ist außer sich über diese unverschämte Sicherheit, während sie auf dem Wege ist, ein Geheimniß anzunehmen und ihre Gedanken umher kreisen läßt, die rechte Spur zu finden.

Aber die Prinzessin war nicht zugegen, als der andere Morgen die Neuvermählten unter dem Schatten hoher Buchen um ihren Frühstückstisch vereinte und Lacy der edlen Gattin sein ganzes Herz eröffnete. Die nunmehrige Gräfin Lacy erleichterte ihrem Gemahl während dieser schweren und aufregenden Mittheilung dieselbe durch den rührendsten Ausdruck der Theilnahme und eine höchst verständige und seine Auffassung der besondern Umstände. Sie war tief bewegt durch die Nachricht, daß ihr Liebling – Magda – die ihrem Gemahl zugedachte Braut gewesen, und Beide vertieften sich in der Erinnerung des Zustandes, in welchen Magda an jenem Abend gerathen, als sie plötzlich in Lacy den ihr zugedachten Bräutigam erkannte. Magda's Krankheit bewegte die Gräfin unaussprechlich. Ohne daß Lacy es vermocht hätte anzudeuten, ohne daß sie es ihm aussprach, verstanden sich doch Beide über die rührende Ursache ihres Zustandes – und durch Claudia's Seele zog ein tiefes Weh. Die stolze Frau fühlte die Schranke der Stände nicht mehr; die Menschen, die ihr Lacy mit solchem Feuer geschildert, wurden ihr zu so erhabenen Wesen, daß sie ihr jeden Vorzug, den sie bisher anerkannt, weit hinter sich zu lassen schienen. Magda – Thyrnau waren nun andere Menschen, zu denen sie hinauf sah, und welche sie innig zu lieben und zu verehren beschloß.

»Ob Thyrnau meiner äußeren Lage sogar Opfer gebracht, die das Testament mir darthun sollte – sind Fragen, deren Erledigung ich von einem späteren, ruhigeren Zustande erwarten muß. Ihn zu dieser Mittheilung zu zwingen, in dieser uns Alle so erschütternden Zeit, da er meine Unterwerfung unter seinen Willen als einen Ersatz, als einen Trost von mir forderte, schien mir so unedel, daß ich es gewiß unterlassen hätte, selbst wenn mein tiefes Gefühl für das Erlebte es mir nicht fast gleichgültig gemacht hätte.«

»O Lacy,« sagte die Gräfin – »unterstützen Sie mich bei dem Versuche, mich diesen edlen Menschen anzuschließen – helfen Sie mir die Freundschaft dieses Thyrnau zu erringen. Ich aber will mit dem Besten, was in mir ist, streben, um die Liebe dieser herrlichen Magda zu gewinnen, in der ich mich nicht täuschte, als ich sie so früh schon liebte – ach – und die ich nicht ahnte so grausam beraubt zu haben! O Lacy, welch' eine würdige Gefährtin wäre sie Ihnen gewesen!«

Bei diesen Worten stand sie überflutet von den angeschwollenen Gefühlen ihres Herzens auf und Lacy sah, daß eine große Qual sie erschüttere. Er eilte ihr liebevoll nach und nahm sie zärtlich in seine Arme. »Claudia,« sagte er dann ernst und eifrig – »gehen wir ruhig und fest auf dem Wege der Wahrheit und geben wir es Beide nicht zu, daß wir in Träumereien gerathen, wie sich die Verhältnisse auch anders hätten gestalten können! Daß es grade Magda war, dies, wie ich erkennen muß, edle und ungewöhnliche Wesen, welche mir von meinem Oheim und diesem herrlichen Thyrnau zur Gattin bestimmt ward, stellt das reine Verhältniß meiner Hochachtung und meines Vertrauens zu ihrer Einsicht so schön in meinem Herzen wieder her, daß ich in Wahrheit sagen kann, ich hätte mir keine vollständigere Auflösung denken können. Damit schließe ich aber jede weitere Betrachtung ab, und dies Gefühl theilte mein edler Thyrnau eben so wie Magda, so vollständig, daß ich nach meinem Bekenntniß unserer Verlobung auch kein Wort mehr gehört habe, was mich noch an Verbindlichkeiten erinnern konnte, die Thyrnau doch früher so geneigt war, gegen mich geltend zu machen.«

»Ach,« entgegnete Claudia, »müßten wir nicht zu ihr, mein Freund? – Ich müßte sie pflegen, ich müßte sie überzeugen, daß wir fortan nur eine Familie sein können, daß sie unserm Glück nicht fehlen darf!«

»Nein,« rief Lacy lebhaft sich wegwendend, indem sein ganzes Gesicht erröthete – »das kann nicht sein! Das wäre weder klug noch schonend für uns Alle! Wir müssen der Zeit nicht voraneilen wollen; sie wird gewiß mildernd für uns einschreiten und, wie ich zu Gott hoffe, das endlich herbeiführen, was Sie, meine edle Freundin wünschen. Aber jetzt dieses Resultat erzwingen wollen, würde es vielleicht für immer unmöglich machen!«

Die Gräfin schwieg. Sie bedachte, wie edel und zart Alle gegen sie gehandelt; sie wußte, daß diese Mittheilung ihres Gemahls – vierundzwanzig Stunden früher – sie zum entschiedensten Widerspruch gegen ihre Vermählung mit ihm vermocht haben würde, und sah leicht ein, daß er dasselbe denkend sie eben deshalb bis zu dem Augenblick verzögert, wo das heiligste Verhältniß unter Beiden unwiderruflich geworden war. O! – seufzte ihr Herz – möge, was ihn leitete, nicht blos Ehrenhaftigkeit gewesen sein! Sie hob ihre Augen schüchtern zu ihm auf. Er hatte den Kopf in die Hand gestützt und sah nachdenkend auf den kleinen Tisch, an den sie sich wieder gesetzt. Wie schön war er und wie ruhig war dieser Ausdruck trotz der Schwermuth, die seine Stirn bewölkte! Aber er fühlte ihren Blick – er richtete sich sanft ihr entgegen und sagte fast schüchtern: »Wollen wir nach Prag gehn – ihrem Schmerzenslager so viel näher?«

»O ja! nach Prag!« rief seine Gemahlin – »wir wollen sie wie unsichtbare Freunde umschweben! Kommt dann die Zeit, die Sie noch erwarten wollen, dann dürfen wir sagen: So nah, als wir durften, haben wir Dich umgeben – Du warst, wenn auch äußerlich getrennt, doch innerlich mit uns vereint und bestimmtest unsere Handlungen.«

Mit inniger Zärtlichkeit nahm Lach diese Entgegnung seiner Gemahlin hin und man beschloß am Abend abzureisen und Hedwiga und Georg Prey, dessen Schülerin sie geworden war, mitzunehmen, da Egon bereits in Wien gefesselt war. Die Kaiserin hatte nämlich, von Claudia's Ahnungen und einigen von ihr selbst gehegten Vermuthungen geleitet, beschlossen, die Gelegenheit zu geben, welche Egon eine adliche Erziehung verschaffen konnte, und da seine unbekannte Geburt den Eintritt in ein solches militärisches Lehrinstitut nicht auf gewöhnlichen Wegen zulässig machte, befahl die Kaiserin seine Aufnahme als kaiserlichen Pensionär ohne weitere Nachfrage seiner Geburt, für welche sie selbst die Bürgschaft übernahm.

Dies war eine hohe Gunst; denn das adliche Institut, nach welchem er sogleich in militärischer Kleidung versetzt ward, gehörte zu den besten vorhandenen, und dem Befähigten war jede Gelegenheit gegeben, die Bildung zu erreichen, durch die man sich damals auszeichnen konnte. Auch war Egon mit wahrem Heißhunger über all die herrlichen Dinge hergefallen, die ihm dort geboten wurden, und das kaiserliche Geheimniß, wie man ihn bald in der Anstalt nannte, machte den Anlauf, wenigstens Feldmarschall zu werden.

Lacy fühlte sich nach der Mittheilung an seine Gemahlin ungemein erleichtert und das lebhaft erneute Gefühl, welch' eine edle ausreichende Freundin er in ihr besitze, welch' ein schönes Verständniß sich immer aufs Neue unter ihnen befestige, war der sanfteste Trost, den er nach so schmerzlicher Aufregung erfahren konnte. Der sehnlich erwartete erste Brief von Thomas Thyrnau, den er gestern an seinem Hochzeitstage empfangen, gab Hoffnung für die Genesung Magda's, und wenn diese schreckliche Verantwortung nur von seiner Seele genommen war, Magda nur dem Leben erhalten blieb, dann – hoffte er – würde auch ihm die alte Gestalt der Dinge zurück kehren und er das Glück genießen können, von dem er sich jetzt in einer Art Pietät gegen die dadurch verschuldeten Leiden verschüchtert fühlte.

Im Begriff, sich nach dem Militär-Institut zu begeben, wo Egon erzogen ward, um Abschied von ihm zu nehmen, hielt ihn eine Sendung des Staatskanzlers davon zurück, welche ihn aufforderte, sich in derselben Stunde nach der Staatskanzlei zu begeben.

Solches Gebot hatte der Graf, obwol in keinem ausgesprochenen Dienstverhältnis dennoch stets mit der Ehrerbietung aufgenommen, welche Kaunitz ihm einflößte, und er eilte daher ohne Aufenthalt nach der kaiserlichen Staatskanzlei, welche zugleich das Hotel des Ministers war.

Kaunitz empfing den Grafen in seiner kleinen Bibliothek, welches Zimmer er immer zu Konferenzen in besonders geheimen Angelegenheiten benutzte, und Lacy konnte auf den ersten Blick bemerken, daß der Graf in einer gereizten und gespannten Stimmung war, denn seine breiten Lippen waren in solchen Fällen zusammengezogen und so nach Innen gekniffen, daß der Mund eine Linie bildete. Er hielt sich dann noch etwas weiter hinten über gebogen und sein ohnehin sehr mienenloses Gesicht schien sich ganz zu versteinern.

»Mein gnädigster Graf,« rief Lacy, als er ihn so dastehen und ihn mit durchdringenden Augen beobachten sah – »ich will hoffen, es ist nichts Unangenehmes vorgefallen?«

»Wie kommen Sie sogleich darauf, Herr Graf?« entgegnete Kaunitz kalt und ohne seine Stellung zu ändern – »erwarten Sie etwas Unangenehmes, da Sie es überall ohne weitere Veranlassung sehen?« Der Graf wußte sogleich, daß er eine Unbesonnenheit begonnen habe; denn der Staatskanzler, welcher sich mit vollem Rechte für den ausgezeichnetsten Diplomaten der damaligen Zeit hielt, rechnete dazu vor Allem eine vollkommene Beherrschung des Aeußeren, er glaubte sie im höchsten Grade zu besitzen und fühlte sich durch nichts leichter verletzt, als durch eine Andeutung, als habe man an seinem Aeußern eine Wahrnehmung machen können.

»Die Stunde, in welcher Euer Gnaden mich befohlen haben,« sagte Lacy – »schien mir ungewöhnlich! Es ist, denke ich, die Zeit, welche die Kaiserin sonst in Anspruch nimmt.«

Bei diesen Worten veränderte Kaunitz zuerst seine bisherige steife Stellung und indem er sich einem Lehnstuhl nahte, winkte er dem Grafen sich niederzulassen, indem er selbst Platz nahm und ein Paket Papiere, die er in der Hand hielt, auf einem Tische neben sich niederlegte.

»So ist es allerdings in der Regel der Fall,« sagte er dann trocken – »Ihro Majestät haben aber in Ihrer heutigen Stimmung für gut befunden, unser Beisammensein abzukürzen, damit mir Zeit bleibe, die Auskunft zu erlangen, welche die Kaiserin sogleich zu erhalten wünscht.«

Er hielt inne und schien eine Frage oder eine Aeußerung des Grafen zu erwarten. Dieser fühlte aber zu genau, er habe es heute nur mit dem Minister zu thun, und hatte sich daher in die kalte Stellung zurückgezogen, welche ihm jede Abweisung von dem stolzen Manne ersparte, da er selbst zu stolz und leicht gereizt war, um der steifen Haltung des Grafen gegenüber sich vollständige Ruhe zutrauen zu dürfen.

Kaunitz begann daher seine goldene Tabatiere zwischen den Fingern herum zu drehen und heftete dann seine Augen durchdringend auf den Grafen. »Mein Herr,« hob er dann an – »Sie haben mich nach Frankreich begleitet, Sie haben mein Vertrauen besessen und sind zu Geschäften gebraucht worden, die wichtig waren und zu denen Ihre unabhängige Stellung mir gerade wohlgefiel und mein Vertrauen vermehrte.«

Der Graf verneigte sich kalt.

»Sie haben dadurch den Schlüssel zu dem politischen System bekommen, welches ich entschlossen bin fortan meinem Vaterlande statt des bisher befolgten zu geben. Dies System, mein Herr, gebietet einen offenen und vollkommenen Anschluß an Frankreich; die nöthigen Schritte wurden seit lange von mir dazu vorbereitet – und Sie wissen das zum Theil! Meine erhabene Herrscherin ergriff mit ihrem großen Geiste den wahrhaften Vortheil dieser politischen Umänderung, obwol sie viel darüber mit alten tief wurzelnden Ansichten in sich selbst zu kämpfen hatte; aber sie war dennoch die einzige Unterstützung, die ich hier fand. Das alte Gleis,« setzte er sarkastisch hinzu – »worin man sich bewegt, ist ausgetreten, die Füße stecken darin fest; weil man zu ungeschickt ist, sie herauszuziehn und den Weg einzuschlagen, der noch neu, keine Spuren eines Vorgängers zeigt, glaubt man, es sei ein Irrweg! Man erträgt lieber jedes Uebel und rechnet es einem unvermeidlichen vom Himmel fallenden Unglück zu, als daß man der natürlichen Auslegung folgt und ein altes Joch abschüttelt, das uns eben nieder hält und die Freiheit beschränkt, unsere Kräfte brauchen zu können.«

»Selbst der Kaiser ist mein entschiedener Gegner; alle Minister, alle Generale, der ganze Staatsrath rebellirt gegen mich. Genug, ich habe nur eine Stütze – und das ist die Kaiserin – und dennoch ist sie beständig und von allen Seiten und von den liebsten Seiten angegriffen, und fühlt dann aufs Neue Zweifel entstehn; denn auch sie ist in dem System erzogen, das schönste Nachbarland, Frankreich, ihren natürlichen Alliirten, mehr zu fürchten als ihm zu vertrauen.« »Dessen ungeachtet war ich auf einen Punkt gekommen, der mich zum Sieger erklärte. Die Kaiserin hatte im Staatsrath mit der Energie ihres Geistes mein System verfochten; sie war selbst da noch standhaft geblieben, als der Kaiser mit der Faust auf den Tisch schlug und diese Allianz unnatürlich nannte; und mir war demnach volle Freiheit gegeben, die höchst geheim zu haltenden Unterhandlungen fortzusetzen. Wichtiger als alles Andere war es jetzt, das Vertrauen der Kaiserin gegen Frankreich ungestört zu erhalten. Was sagen Sie dazu, mein Herr! war es so?«

Der Graf konnte sein Erstaunen bei dieser Frage kaum unterdrücken. Der Staatskanzler hatte bei Berührung der großen politischen Kombinationen, von denen Lacy wußte, daß sie seinen Geist als das wichtigste Ereigniß der Zeit berührten, wieder die Vertraulichkeit des Tones bekommen, die er gegen ihn seit ihrer Anwesenheit in Paris anzunehmen gewohnt war, und Lacy, der die großen Gedanken des Ministers sympathetisch getheilt hatte, vergaß, ihm zuhörend, die Sonderbarkeit dieser übersichtlichen Mittheilung, da der Staatskanzler ihn schon als unterrichtet kannte, und theilte nur aufs Neue die Bewegung, mit der er den Widerstand sah, den dieser große Staatsmann erfahren mußte und der, wie es schien, nicht ermüden wollte. Dagegen ließ diese letzte Frage und der Ton, womit sie ausgesprochen ward, zusammenfallend mit dem Empfang des Ministers, den Verdacht in ihm entstehn, dies Beides eigentlich sei die Ursache seiner Berufung und jener Zwischensatz eine Art Hingebung, die er mehr der Gewohnheit des Grafen verdanke, darüber mit ihm zu reden. Ganz im Unklaren, was er eigentlich wolle, blieb Lacy stumm und suchte nur durch eine eingehende Bewegung anzudeuten, daß er ganz der Meinung des Ministers sei.

»Mein Herr,« rief Graf Kaunitz lebhaft aufstehend – »ich glaube, ich frug Sie um Ihre Meinung, ob das Vertrauen der Kaiserin gegen Frankreich zu erhalten jetzt wichtig sei? Warum beehren Sie mich mit keiner Antwort? Wird sie Ihnen schwer mir zu geben, da Sie vielleicht schon ahnen, daß ich von Allem unterrichtet bin, was von Böhmen aus geschehen ist, dies kaum entstandene Vertrauen der hohen Kaiserin zu erschüttern?«

»Euer Gnaden,« sagte Lacy kalt und ebenfalls aufstehend – »müssen die Gewogenheit haben, sich deutlicher zu erklären. Es wird sich hier um wichtigere Antworten handeln, als die, welche Sie eben fordern, da Euer Gnaden nach den Jahre lang von mir getheilten Bemühungen grade bei diesem Gegenstand keinen Zweifel über meine Antwort haben können, und dies ein unpassendes und jeden Falls zu spät kommendes Examen über meine Gesinnungen sein würde.«

Der Staatskanzler biß sich in die Lippen. Aber als er den Grafen so unerschrocken vor sich aufgerichtet stehen sah, mit so ernstem Angesicht, wendete er sich um und wandelte langsam bis an das Ende des Zimmers, indem er eine große Portion Spaniol schnupfte und die Dose pfeifend auf und zu schlug. Als er sich wieder umdrehte, hatte er seine volle Selbstbeherrschung zurück; er näherte sich dem Tische. – »Dieses Mißtrauen, mein Herr Graf,« fuhr er gemessen fort – »ist in diesem Augenblick mit großer Bitterkeit in Ihrer Majestät wieder erregt worden. Es wird Ihnen nicht unbekannt sein, wie vor Jahren, noch bei Lebzeiten des hochseligen Kaisers, ein nie ganz aufgeklärter Verdacht auf Böhmen ruhte, als ob durch seine übelgesinnten Großen vermittelt, es einem Plane zu einem selbstständigen Königreiche unter der Oberherrlichkeit eines französischen Prinzen beigetreten sei. Die Sache ist mehr unterdrückt als untersucht worden; aber es blieb dieser Verdacht ein Stachel in der Brust der Kaiserin, den sie bei der leisesten Berührung fühlte, und sie gegen den Adel Böhmens, den sie außerdem immer widerspenstig fand, stets mißtrauisch bleiben ließ, zugleich aber einen Vorwurf gegen Frankreich in ihr unterhielt, den sie geneigt war, bei vielen Gelegenheiten durchblicken zu lassen.«

»Nach den von mir gemachten Erfahrungen glaubte ich mit Entschiedenheit diesen Ansichten entgegen treten zu können. Aber die Partei, die, antifranzösisch gesonnen, alles aufsucht, einen möglichen Anschluß an diese Macht zu verhindern, hat Mittheilungen zu sammeln gesucht; und von einem kleinen benachbarten Hofe, vom alten Fürsten von S., gehen plötzlich Nachrichten ein über den böhmischen Hochverrath, und indem man eilt, wie man hinter meinem Rücken gesammelt, so auch hinter meinem Rücken der Kaiserin die Verdachtsgründe beizubringen, nennt man zugleich den Namen, den ich erst vor kurzer Zeit der Kaiserin als empfehlenswerth bezeichnete.«

Der Staatskanzler hielt wieder inne und seine kalten durchbohrenden Blicke wurzelten auf Lacy.

»Mein gnädiger Graf,« rief dieser – »Sie können es nicht verantworten, mich so zu quälen! Hier muß von wichtigen Verdachtsgründen die Rede sein, bei denen auf irgend eine Weise mein Name genannt sein muß, da Euer Gnaden nicht anstehn, in so sonderbarem Tone mit mir zu sprechen. Auf das Dringendste bitte ich um eine Erklärung!«

»Sie soll Ihnen werden,« entgegnete Kaunitz – »und die Kaiserin hat mir befohlen, sie von Ihnen zu fordern.« Er nahm ein kleines Blatt unter den vorerwähnten Papieren, worauf ohne Zweifel ein resumé dessen stand, was der Graf zur Sprache bringen wollte. »Hier zeigt sich« – sprach er dann weiter – »daß der Fürst von S. von einer geheimen Unterhandlung unterrichtet ist, welche der böhmische Adel mit Frankreich angeknüpft, und welche ein verschlagener gewandter Mann, der damals an seinem Hofe vom Nachbarstaate accreditirt war, leitete. Es scheint, der Fürst hatte Ursache gegen diesen Mann Verdacht zu hegen, und er wußte die Briefe, die an ihn eintrafen, selbst wenn sie Couriere brachten, früher zu lesen, als der Eigenthümer. Er sah daraus, daß dieser Mann tief in jenen Plan verwickelt war, und all seine übrigen Angelegenheiten und offenbaren Funktionen nur zum Schein betrieb, um so unentdeckter jene Angelegenheit dahinter zu leiten. An der Spitze dieser hochverrätherischen Verschwörung stand Graf Lacy Wratislaw, Ihr Oheim, mein Herr!«

»Ha!« rief der Graf – »mein würdiger Oheim? Wer wagt das zu behaupten?«

Der Minister hatte ihn mit angehaltenem Athem beobachtet. Als er ihn bleich und außer sich auf sich zu stürzen sah, als wolle er ihn zur Rechenschaft ziehn, ward sein Gesicht milder.

»Ruhig! ruhig, junger Mann!« sagte er im selben Tone – »Sie werden Zeit behalten zur Rechtfertigung, darum hören Sie weiter! Der Agent des Grafen von Lacy, derjenige, der als Abgesandter bei dem Fürsten von S. lebte – war Herr Thomas Thyrnau, der Vertraute Ihrer Familie, derselbe Mann, der noch jetzt eine so große Gewalt über Sie ausübt, daß Sie sich, wie es scheint, von ihm bedroht fühlen.«

Der Graf wechselte jetzt die Farbe bis zum glühendsten Roth. »Euer Gnaden sind im Irrthum! Als ich Dieselben noch mit väterlichen Gesinnungen mir zugethan denken konnte, habe ich eine vertrauliche Mittheilung über diesen sonderbaren Mann mir zu machen erlaubt. Euer Gnaden sind geneigt, dies Vertrauen jetzt gegen mich benutzen zu wollen, indem Sie sich der Thatsachen nicht vollständig zu erinnern scheinen. Nicht abhängig fühle ich mich von Thomas Thyrnau, und mein gestriger Schritt – indem ich meine Vermählung mit der Fürstin Morani vollzog – widerlegt eine so beleidigende Abhängigkeit, als hier angedeutet wird, da dieser frühere Anspruch mich zum Gemahl seiner Enkelin bestimmte!«

»Gewiß muß dieser Anspruch auffallen,« erwiederte Kaunitz – »er läßt durchaus auf geheime und sehr gebieterische Umstände schließen, die Ihren Oheim, von dem Sie mir, denke ich, selbst sagten, er sei ein adelstolzer Mann gewesen, bewegen konnten, eine so ungleiche Verbindung knüpfen zu wollen, die unmöglich mit seinen Grundsätzen übereinstimmen konnte.«

»Ich kenne auch noch jetzt die Gründe nicht, welche meinen Oheim zu einer Bestimmung veranlaßten, die mindestens auffallend ist, und nachdem ich meine Freiheit bei Thomas Thyrnau unverkürzt fand, habe ich seinen Wunsch erfüllt und die Erklärung über seine früheren Ansprüche nicht von ihm begehrt.«

»Dessen ungeachtet kann Ihnen die Stellung und die Wirksamkeit dieses Mannes nicht fremd geblieben sein?« fragte der Staatskanzler forschend –

Lacy schwieg – er senkte die Augen zur Erde – es war eine peinliche Pause.

»Empfingen Sie nicht bei Ihrer Abreise nach Paris von Thomas Thyrnau Empfehlungsschreiben dorthin, die Sie alle abgaben, und Gelder und Geschenke an wichtige Personen?«

Nach einer abermaligen Pause sagte der Graf: »Ja, dies war der Fall!«

»Das gestehen Sie ein?« rief Kaunitz mit einer Heftigkeit, die doch vom Schmerz kaum zu unterscheiden war – »und wissen Sie, daß diese Menschen Alle verdächtig waren? Daß sie die bezeichneten Agenten dieser französischen Intrigue waren?«

»Davon habe ich keine Kenntniß gehabt,« erwiederte Lacy ruhig – »Ich habe diese Aufträge ausgerichtet, von denen mir gesagt ward, daß sie wichtig wären. Mit den Personen, die sie empfingen, bin ich in keine weitere Verbindung getreten; sie haben mich weder aufzufinden gesucht, noch habe ich in den Verhältnissen, die mir näher standen, Veranlassung gehabt, sie wiederzusehn.«

»Und können Sie sagen,« entgegnete Kaunitz streng – »daß Ihnen die Verhältnisse völlig fremd waren, in denen dieser Thyrnau zu den Briefempfängern stand?«

»Diese Frage, Herr Staatskanzler, führt zu weit! ob ich verpflichtet werden kann, sie zu beantworten, muß ich der Zeit überlassen. Ich habe hier nur zu sagen, was sich auf mein persönliches Verhältniß bezieht – dies ist geschehn!«

»Mein Herr,« erwiederte Kaunitz mit Kälte – »ich hatte den Wunsch, Ihre unangenehme Lage gegen die streng anbefohlenen Maaßregeln ihrer Majestät zu schützen. Vielleicht hoffte ich, in Ihrer offenen Erklärung bloß Unbesonnenheit zu finden wie die Möglichkeit, die Folgen für Sie zu mildern. Die Zurückhaltung, mit der Sie mein Vertrauen vergelten, lähmt meinen Einfluß! Die Kaiserin hat befohlen, alle dabei kompromittirte Personen zu verhaften; der wachthabende Offizier im Vorzimmer wird Ihren Degen empfangen.«

Lacy fuhr auf. »Und Thomas Thyrnau? Was wird ihm geschehen?«

»Er wird in den nächsten Tagen verhaftet werden. Das Specialgericht, welches auf Befehl der Kaiserin zusammen berufen, wird diese Sache mit aller Strenge zu richten haben und ich werde selbst Alles anwenden, um dieses so lang im Finstern gesponnene Gewebe ans Tageslicht zu ziehn.«

»Und können Eure Gnaden diesen über mich verhängten Ausspruch nicht mildern? Wenn Thomas Thyrnau verhaftet werden muß, so ist es für mich von unschätzbarem Werth, meine Freiheit zu behalten. Ich muß dann nach Prag – selbst nach Tein – die Folgen können schrecklich sein!«

»Sie wissen nicht, was Sie sprechen,« sagte Kaunitz hart – »was Sie mir so eben vorschlagen, ist eine sehr naive Proposition für den, der sich als verdächtigt an einem hochverrätherischen Komplott ansehen muß!«

»Es ist nicht möglich, daß Sie das denken!« rief Lacy, ganz außer sich auf Kaunitz zustürzend. »Sagen Sie mir, wie es möglich war, gegen mich Verdacht aufzufinden – sagen Sie mir, was Sie gegen mich stimmen konnte? Ich will Alles so offen und treu beantworten, als stände ich vor meinem Vater, und dann wird wenigstens die Kränkung, sich in mir geirrt zu haben, von Ihrer edeln Seele genommen sein, und das ist mir jetzt so viel werth als meine Freiheit!«

Kaunitz senkte den festen durchbohrenden Blick, womit er jedes Wort des jungen Mannes zu erschüttern gesucht, jetzt auf den Boden. »Was habe ich seit gestern gelitten,« sagte er dann, wie zu sich selbst – »ich glaubte nicht daran! Es sind entweder Lügen oder verjährte Thorheiten! Aber Andere wollen daran glauben, weil es das wirksamste Mittel ist, die Kaiserin in ihren günstigeren Entschlüssen für Frankreich zu erschüttern, und so ist – so wird es wichtig genug!«

»Aber Sie sprachen von Dokumenten,« rief Lacy – »wer kann diese geschmiedet haben? Wie kamen sie in die Hände des Fürsten von S.? Warum glaubt man ihm, da er wenig ehrenvoll bekannt ist, und die hohen Herrschaften selbst den Sohn gegen ihn in Schutz nehmen?«

»Junger Mann,« sagte Kaunitz mit einem verächtlichen Zucken des Mundes – »wer bleibt der Wahrheit treu, wenn sie nicht mehr unsern Absichten dienen will? So lange die Dinge gleichgültig sind, außer Beziehung stehen zu den in uns verfolgten Interessen, lassen wir ihnen ihre Geltung – gut oder übel. – Die Lüge aber wird zur Wahrheit, der wir folgen, wenn sie aussagt, was unserer Leidenschaft dient! – Dieser Fürst von S. ist plötzlich ein wichtiger Mann geworden! Sein Sohn hat einen Auftrag bekommen, der ihn noch länger von Wien entfernt hält, um den Vater, der sich als ein getreuer Reichsfürst zeigt, nicht unangenehm zu berühren. Die Prinzessin Therese hat ihn empfangen müssen – und – doch wozu das?« unterbrach er sich, und diese Mittheilung schien ihn fast gegen sich selbst zu erzürnen – »Alle Diese werden dennoch erfahren, daß Recht und Wahrheit in starker Hand ruhen.«

»O,« rief Lacy, tief erregt von der Lage des großen Mannes – »jetzt, jetzt, wo es so nöthig ist, daß treue, zuverlässige Männer Ihnen nahe sind, jetzt lassen Sie mich meinen alten Platz einnehmen, mit Ihnen arbeiten, forschen und die Wahrheit zu Ehren bringen.«

»Das bietet mir ein Lacy an!« rief Kaunitz – »dessen Name bezichtigt wird, durch drei Generationen immer ein und denselben Plan verfolgt zu haben – gerade diesen Plan, Böhmen durch einen französischen Prinzen zu einem von Oesterreich unabhängigen Königreich zu erheben? Ihr Großvater – Ihr Oheim – Ihr Vetter – Sie selbst stehen auf der Liste!«

»So sind wir durch drei Generationen hindurch verläumdet worden und ich, der Letzte dieser gemißhandelten Lacy's, werde den geschmähten Namen zu vertheidigen wissen. Wäre der Augenblick da, wo ich meinem Richter stehen könnte!«

»O,« sagte Kaunitz mit mehr Theilnahme, als er zeigen wollte – »man hat Sie getäuscht! Wenn Sie unschuldig sind, so gehen Sie selbst großen Entdeckungen entgegen. Aber meine persönliche Ansicht darf hier nicht entscheiden. Diese Unterredung ist mir zugestanden, um Ihre Schuld zu entdecken, nicht den Verdacht gegen Sie zu entkräften. Sie wird fürs Erste unsere letzte sein; doch darf ich Ihnen das Recht Ihrer Geburt zugestehen – Sie werden auf Ihr Ehrenwort Hausarrest erhalten.«

»Und dies Ehrenwort, mich jeden Augenblick jeder Verfügung sogleich zu stellen, wird es mir nicht gestatten, jetzt nach Tein zu gehn, jetzt, wo Thyrnau es so bald verlassen wird, und seine Enkelin in Lebensgefahr ist?«

»Dieser Gegenstand verwirrt jedesmal Ihre Einsicht,« sagte Kaunitz – »Wie wäre dies möglich? Denken Sie doch – zu Thomas Thyrnau nach Böhmen! Den Heerd der Verschwörung, wie man wähnt – zu dem Hauptanführer!«

»Ja, es ist unmöglich,« sagte Lacy mit einem tiefen Seufzer – »so sei uns denn Gott gnädig!«

Der Ausdruck schmerzlichen Kummers, der sich auf dem Angesichte des jungen Mannes zeigte, gehörte offenbar seinem Privatinteresse an, und Kaunitz war ein zu tiefer Menschenkenner, um dies nicht aufzufassen; aber es war ihm in jeder Hinsicht unangenehm, den jungen Mann so haltungslos zu finden. Er wollte dies zu solcher Wichtigkeit erhobene Komplott in Nichts zerfallen sehn, und hätte alle Betheiligte mit seinem Geist, mit seiner scharfen Polemik durchdringen mögen; denn er mit seinem festen Blick und seiner großartigen Sicherheit fürchtete kein Komplott gegen den Staat. Er fürchtete jetzt nichts, als daß frühere Thorheiten dieser Art vielleicht nicht vollständig genug als aufgelöst dargethan werden könnten, und so war er heimlich darauf bedacht, indem er dem Komplott nachzuspüren alle Sorgfalt anwendete, zugleich die Vertheidigungsmittel aufzufinden, die den Angeklagten zugänglich zu machen ihm nöthig schien. Der Staatsmann dominirte dabei den Menschen. Das Komplott soll sich unbedeutend und beseitigt erweisen. Die Betheiligten der Strafe zu entziehen, fiel ihm nicht ein, und, ausgenommen gegen Lacy, den er zu retten wünschte, weil er ihm ein näheres Interesse einflößte, wollte er die größte Strenge anwenden; denn er wußte sich der argwöhnischen Beobachtung bloßgestellt, und hatte diese Stimmung selbst von der maaßlos erzürnten Kaiserin zu erwarten, welche sich durch einige entgegen kommende Schritte gegen Frankreich schon jetzt außerordentlich kompromittirt hielt und Kaunitz daraus einen sein Ansehn bedrohenden Vorwurf machte.

Er hatte gehofft, durch Lacy sogleich einige Aufklärungen zu bekommen; ihn wenigstens, den er der Kaiserin so warm empfohlen, vollständig von den Verdächtigen trennen zu können. Seine moralische Ueberzeugung abgerechnet, hatte er dies Resultat nicht erreicht, und er mußte fürchten, der junge Mann werde, durch seine eignen Angelegenheiten niedergedrückt, der rechten Fassung entbehren, die er ihm doch in jeder Beziehung wünschte.

»Ich muß Sie jetzt entlassen,« sagte er daher, nachdem er dem trüben Selbstvergessen des jungen Mannes ein Weilchen zugesehn – »und fordere Sie dringend auf, sich zu sammeln und Ihre Gedanken von jedem anderen Interesse abzuziehn, allein es dieser wichtigen Angelegenheit zuzuwenden. Denken Sie, daß es dem Namen Lacy gilt, daß die Männer, die Ihnen am nächsten standen, in Ihnen ihren Vertheidiger haben müssen, da der Tod ihre eigne Macht gebrochen. Denken Sie auch, daß ich nichts erwiesen wissen will, als daß Alles Nichts – Thorheit – oder antifranzösische Kabale ist.«

Lacy richtete sich wie ein Kranker auf, der bemüht ist, der Schwäche entgegen zu wirken, die ihn niederbeugt. »Ich werde das heilige Interesse, was ich zu vertreten habe, nicht verkennen,« sagte er mit Fassung – »und bitte jetzt über mich zu verfügen.«

Kaunitz rührte die Glocke. Er befahl den Offizier, der im Vorzimmer die Wache hatte.

»Mein Herr,« sagte er zu dem Eintretenden – »Sie werden die Ehre haben, den Grafen von Lacy nach seinem Palais zu begleiten, dort seinen Degen in Empfang nehmen und ihn mir ausliefern.«

Er grüßte Lacy mit der Hand und zog sich nach seinem Kabinet zurück.

Im nächsten Augenblick saßen Lacy und der Offizier im Wagen und beide fuhren bald darauf in den Palast Morani ein, wo die Linden noch blühten und die Bienen in ihren Blüthen schwelgten; wo Hedwiga mit Gertraud vor einem offenen Reisewagen stand, dessen innere Schönheit sie jubelnd bewunderten, während die Diener die Koffer daran zu befestigen suchten.

Lacy's Herz schwoll, und ein tiefer Schmerz durchzuckte es. Jetzt betrat er die Stelle, wo so Viele durch ihn glücklich waren, und im nächsten Augenblick mußte er sie Alle betrüben.

Hedwiga hatte, ihren geliebten Lacy erkennend, sich sogleich von Gertraud losgerissen, und auf dem niederfallenden Tritt des Wagens streckte sie ihm schon ihre Arme entgegen und hing sich um seinen Hals – seiner Zärtlichkeit so gewiß! Als er sie an seine Brust drückte, fühlte er seine Augen sich nässen. »O Hedwiga,« rief er, sie mit dem heißesten Schmerz betrachtend – »Du bist die einzige Gerettete! und jetzt bin ich machtlos und muß alles Andere vergehen lassen in Leid und Krankheit!«

Das Kind verstand ihn nicht! Sie strich und küßte ihn; doch wünschte sie sich von ihm, durch den fremden Offizier verblödet.

Lacy übergab sie Gertraud und eilte dem Offizier voran in seine Gemächer. Der schwere Augenblick war gekommen. Diesen Degen – dies unanrührbar geachtete Zeichen seines Standes – dies Andenken an seinen Oheim, dem er gehörte – er sollte ihn abgeben! Er blieb sinnend stehn. Der Offizier beobachtete gleichfalls ein ehrfurchtvolles Schweigen, bis Lacy aufschreckte, schnell die Degenkuppel löste und den Degen dem Harrenden entgegen hielt.

»Nehmen Sie, mein Herr,« sagte er mit heftig bewegter Stimme – »ich bin auf mein Ehrenwort verhaftet, aber ich hoffe, Sie, dessen ehrenvolle Begleitung ich zu schätzen wußte, werden mir bald den Degen zurück bringen, welcher der unentweihte Gefährte meines edlen Oheims war, den ich ohne Vorwurf führte und von dem mich zu trennen die schmerzlichste Nothwendigkeit meines Lebens ist.«

»Möge es Euer Gnaden beschwichtigen,« erwiederte der Offizier – »daß ich mit Ehrfurcht den Degen eines Lacy empfange und es für unmöglich halte, daß er lange an Ihrer Seite fehlen könne.«

Es war vorüber: er war allein – aber wie verändert fühlte er sich in den Räumen, die ihn noch vor wenig Stunden frei und unabhängig umschlossen. Er ließ seinen innern Blick über all' seine Verhältnisse gleiten und forschte den Veränderungen nach, die sie durch seine gegenwärtige Stellung erleiden mußten, und von allen kehrte er mit tiefem Schmerz zurück. »O Claudia,« rief er endlich – »das ist das ruhige Glück an meiner Seite, was ich Dir im übermüthigen Jugendmuth verhieß. Auch nicht einen Tag der Glückseligkeit, die Du erwartetest, konnte ich Dir geben! Schon gestern mußte ich Deine Ruhe trüben, und heute? wie wird Deine Liebe zu mir Dich leiden lassen! Und doch – einen süßen Trost will ich diesem Engelherzen geben – sie soll es wissen, daß die Leiden, die sie um mich häufen, mit ihr zu tragen, sie mir erleichtern.«

Er fühlte mit einer tiefen Erkräftigung die Heiligkeit dieses ehelichen Bandes, welches zwei Menschen vereinigte, um mit verdoppelter Kraft dem Leben festzustehn; und der Schmerz um das getrübte Glück der Geliebten milderte sich, wenn er Ihrer edlen Fassung gedachte und der Gewißheit ihrer liebenden Hingebung. Er fühlte nun den Muth, sie aufzusuchen, und doch zögerte sein Fuß an der Schwelle, denn er hörte sie mit Hedwiga im großen Saale kosen und hörte ihr seltenes eigenthümlich anmuthiges Lachen, was ihn zu anderer Zeit so glücklich gemacht hätte – was ihm jetzt aber einen tiefen Seufzer entlockte, denn er war gewiß, er würde es nun für lange Zeit zuletzt gehört haben.

Als er eintrat, eilte Claudia ihm sogleich entgegen. Aber die sanfte Röthe der Freude, die ihr Gesicht einen Augenblick bei seinem Anblick bedeckte, schwand sogleich, als sie sein verändertes Aeußere sah. Die Gemüthsbewegungen der letzten Stunden hatten zu heftig auf ihn eingewirkt. Die Herrschaft, die er über seine Gefühle wieder erlangt hatte, konnte die Spuren auf seinem Antlitz nicht auslöschen, die sich tiefer eingeprägt hatten, als er ahnte.

»Sagen Sie es mir gleich, was geschehen ist,« sagte Claudine und ergriff seinen Arm – »Sie können mich nicht täuschen. Das Lächeln, womit Sie mich beruhigen wollen, paßt nicht zu Ihrem leidenvollen Gesicht.«

Lacy´s Auge streifte seine linke Seite. Es schien ihm, Jeder müsse sogleich die leere Stelle sehn. Claudia sah aber nur sein blasses eingefallenes Gesicht. Er führte sie gegen einen Lehnstuhl, und da Hedwiga von Gertraud mit in den Garten genommen war, beschloß er, ihr sogleich alles Vorgefallene zu sagen.

»Meine Berufung zum Staatskanzler war wichtiger, als ich dachte, theure Claudia!« hob er an. – »Man hat sich bemüht, seine großen politischen Machinationen zu durchkreuzen und hat dazu Mittel gewählt, die mich vorläufig, bis der Augenblick der Rechtfertigung kommen wird, unangenehm berühren. Aus meiner Jugend fallen mir Erinnerungen zu, als hätten einst die Großen Böhmens wirklich den Plan der Selbstständigkeit und Freiheit durch den Abfall von Oesterreich bezweckt, und Frankreich dazu die Hand geboten und einen seiner Prinzen zum König von Böhmen vorgeschlagen. Wie weit dieser gediehen, seit wie lange aufgegeben, wer dabei kompromittirt – das hat mich nie beschäftigt, denn es sind Erinnerungen, die mir wie abgemachte geschichtliche Zustände in Gedanken liegen und deren Kenntniß ich nicht einer mir gemachten Mittheilung verdanke, sondern dem Zufall, daß vielleicht Andere sich in meinem Beisein darüber besprachen. Gewiß ist, daß dem Staatskanzler die Namen Lacy und Thyrnau verdächtigt sind, und daß dies Alles mit dem Schein großer Wichtigkeit gerade jetzt geweckt worden ist, um das sich gegen Frankreich neigende Vertrauen der Kaiserin zu erschüttern.«

»Aber Sie,« sagte Claudia, »wie kann man Sie darein verwickeln?«

»Man hat mich gegen meinen Willen eine Handlung begehen lassen, die mich verdächtigt,« erwiederte ihr Gemahl. – »Von einer Person, die im Vertrauen Thyrnau's war, wurden mir bei meiner Abreise nach Paris Briefe und Besorgungen übertragen, die mir als wichtig empfohlen wurden und zu deren eigenhändiger Ablieferung man mich eifrig aufforderte. Dies habe ich gethan und kann nicht läugnen, daß ich von diesen Personen Andeutungen erhielt, die mich wieder an jene früheren Pläne erinnerten. Um so entschiedener wies ich jedes Vertrauen zurück, da ich von dieser Sache, selbst wenn sie, wie es mir erschien, aufgegeben war, nicht unterrichtet sein wollte. Doch,« fuhr Lacy lebhafter fort – »diese Dinge werde ich Gelegenheit finden, später aufzuklären; es liegt weniger daran für mich, als für Thyrnau. Gegen ihn richten sich zunächst die lästigsten Angriffe, und ich erfuhr so eben durch Kaunitz selbst, daß Thyrnau verhaftet werden wird und bald auf dem Wege nach Wien sein kann.«

»Großer Gott,« rief die Gräfin und stand erschüttert von ihrem Platze auf – »dann lassen Sie uns noch früher als diesen Abend abreisen, dann lassen Sie uns gleich nach Tein zu Magda gehen. Keine andere Rücksicht darf uns halten – sie hat uns dann nöthig, und wir wollen es keinem Andern überlassen, ihr Trost und Hülfe zu geben!«

Mit welchem tiefen Gefühl von Liebe betrachtete Lacy seine edle Gemahlin, und wie empfand er es so schwer, daß er ihr nun noch den letzten Schmerz geben mußte. Ihre Blicke trafen sich; sie war erstaunt, ihn noch zögern zu sehn, während Lacy nach den mildesten Worten suchte, ihr das Unvermeidliche zu sagen.

»Claudia,« rief er – »mein edles theures Weib! meine besondere Stellung zu dieser Angelegenheit macht mir die Reise unmöglich. Ein kaiserlicher Offizier begleitete mich hierher – er brachte dem Staatskanzler meinen Degen zurück – ich bin bis zur Entscheidung dieser Angelegenheit auf mein Ehrenwort in diesem Hause ein Gefangener!«

»Verhaftet!« sagte die Gräfin mit so hinsterbendem Tone, daß Lacy aufsprang und sie in seine Arme faßte. Jetzt erst ging ihr die Wichtigkeit der ganzen Sache auf, die Lacy noch immer vermocht hatte in ruhige Worte zu hüllen, und die sie nun plötzlich als eine wirkliche Gefahr für den Liebling ihrer Seele erkannte. »Wessen sind Sie angeklagt,« stammelte sie – »was droht Ihnen, Lacy – ich will zur Kaiserin – sie ist getäuscht – sie wird mich hören – rüsten Sie mich mit Ihrer Vertheidigung aus – ich habe auch Muth – in dieser Sache gewiß!« Sie schwankte; Lacy führte sie tief gerührt zu einem Ruhebett und jetzt erleichterte ein Thränenstrom die schmerzlich erschütterte Frau.

»Ja, theure Claudia! Sie haben den wahren weiblichen Muth, den Muth der Liebe! Diesen schönen Muth, der jede weibliche Seele in ihrer heiligen Reinheit erhält und, indem er die Tiefen ihrer Befähigung weckt, sie über all' ihre Schwächen erhebt. Vergeben Sie mir,« sagte er zärtlich – »daß ich mehr an das Glück denke, Sie in dieser schönen Kraft erkannt zu haben, als an die Veranlassung dazu, und glauben Sie mir, daß Sie so erschrecken, ist mehr durch die Seltenheit solcher Erfahrungen entstanden, als daß in der Sache selbst etwas Bedrohliches läge. – Was in Wahrheit uns schmerzen muß, und was mir meine Stellung so schwer macht, ist die Lage, in der wir Thyrnau wissen und Magda! Wie unmöglich fast wird es ihm werden, sie in ihrem gefahrvollen Zustande zu verlassen, und wenn ihre anfangende Genesung sie der Qual aussetzte, Thyrnau's Verhaftung zu erfahren, so möchten die Folgen nicht zu übersehen sein.«

»O,« sagte Claudia, ihre Thränen trocknend – »zweifeln Sie nicht, mein Freund! daß ich diesen Schmerz tief mit Ihnen empfinde. Aber Sie – Sie Lacy! Wie bedenklich muß Ihre Lage sein, da man sie zu verhaften wagt!«

»Nein, Claudia! es ist die gewöhnliche Form, der auch der älteste und angesehenste Edelmann sich fügen muß. Sie ist kein Beweis für meine ungünstige Stellung zur Sache, und ich habe diese in Wahrheit nicht zu fürchten. Geben Sie mir den ersten Beweis Ihres Vertrauens, indem Sie mir glauben und jetzt ruhiger werden wollen.«

»Gott wird mir Kraft geben, daß ich Ihre Leiden nicht durch meine Stimmung vermehre,« erwiederte die Gräfin. – »Er prüfte schnell den Segen, der gestern über unsere treue Vereinigung gesprochen ward – und so wollen wir uns Seiner Einwirkung gewiß halten, wo uns Sein Beistand so nöthig wird! Aber lassen Sie uns nun mit dieser Voraussetzung prüfen, ob in Wahrheit nichts zu thun für mich übrig bleibt, da Ihre Schritte nach Außen gebunden sind.«

»Theure Claudia!« erwiederte Lacy – »ich will durchaus keinen Schritt zu meinen Gunsten gethan wissen. Die erzürnte Stimmung der Kaiserin soll durch nichts als durch die Wahrheit der Sache selbst beschwichtigt werden; ich habe nichts zu thun, als mich bis zu dem Augenblick ruhig zu verhalten, wo man meine Vertheidigung fordern wird. In diesem ruhigen Verhalten liegt freilich jetzt für mich die härteste Aufgabe, denn es scheint mir oft, als könnte es keine heiligere Pflicht geben, als nach Tein zu fliegen, ja, jede andere Gefahr würde ich gering achten, wäre nicht mein gegebenes Ehrenwort die abweisende Antwort auf all' diese Wünsche!«

»Nun,« rief Claudia, während alle Farbe, die so schnell von ihrem Gesichte verschwunden war, dahin zurückkehrte – »so lassen Sie mich statt Ihrer nach Tein gehn! Ich will Magda trösten, ihre Genesung abwarten und sie dann zu uns her leiten, wenn uns das gemeinsame Geschick hier Alle vereinigt.«

Lacy war tief bewegt von der Größe des Opfers, das die edle Claudia ihm anbot, und doch war es das Ausreichendste, was erdacht werden konnte. Er fühlte dies auch so überzeugend, daß es ihm unmöglich war es abzulehnen. Als Claudia den Dank des geliebten Mannes empfing, als sie seine Bewunderung, seine Verehrung in jedem Zuge seines Gesichtes ausgedrückt fühlte, da schien ihr das Opfer der Trennung von ihm leichter zu werden, obwol es der schwerste Theil ihres Unternehmens war, und sie trennten sich, um die begonnenen Reiseanstalten dem neuen Zwecke gemäß umändern zu lassen.

 

Auf den Terrassen von Tein wandelten drei sehr verschiedene Gestalten. Die Sonne war von dem Theil der Plattform vor dem mittleren Saal so eben verschwunden und hatte nur den wohlthuend durchwärmten Boden zurückgelassen, der die sanfteste Heilung für den Kranken oder Genesenden enthält. Seit dem vorigen Tage verließ Magda wieder das Bett, und die Jahreszeit begünstigte das Verlangen nach Luft das ihr erstes Bedürfniß schien. Sie versuchte zu gehen und war erstaunt, diese so natürliche Bewegung nur so schwierig herstellen zu können. An der einen Seite stützte sie Thomas Thyrnau mit einer Sorgfalt, die seine Liebe verrieth, an der andern Seite die Kastellanin von Tein, die unverholen still vor sich hin weinte, da das jugendliche Wesen zwischen den beiden Bejahrten hintaumelte, als hätte die Krankheit für immer die zarten Glieder geknickt.

Was Magda empfinden mochte, ließ sich schwer bestimmen. Sie war sehr mager geworden und offenbar gewachsen; die energische Farbe ihrer Haut war weißer und feiner. Ihre Neigung, den schönen Hals so über zu beugen, daß der Kopf sich senkte, war durch die Schwäche mehr hervorgetreten, alle Contoure des edlen Gesichtes waren noch zarter geworden, die Lippen nur wenig gefärbt. Dabei lag das glänzende schwarze Haar um dies weiche Leidensgesicht wie ein Trauerrand, da das übrige Haar unter weißen Binden fest verhüllt um den Kopf war. Sie hatte ihre einfache Prager Bürgertracht an, von schwarzer Seide, ohne Prunk. Sie war ein Wunder von Schönheit in dieser absichtslos phantastisch zusammengefügten Kleidung. Ihren Begleitern wollte das Herz brechen vor Wehmuth! Magda war dabei mit Eifer bestrebt, die über einander schlagenden Füße zu lenken und sich aufzuraffen, wenn sie einsank. Sie hatte am Ende der Terrasse einen Ruhesitz ins Auge gefaßt, der den Blick nach dem See hatte und wo Weiden mit ihren hängenden Zweigen ein Dach bildeten. Dahin trieb sie, ohne es zu sagen, und ihre Begleiter widerstrebten nicht, weil Beide nicht zu sprechen wagten, aus Furcht, ihre bebende Stimme zu verrathen. Nach großer Anstrengung erreichte man den Platz und die Kastellanin bedeckte die Bank mit den mitgenommenen Kissen; die Erschöpfte sank hinein und die Augen schlossen sich, der Schwäche nachgebend.

Thomas Thyrnau setzte sich auf einen kleinen Feldstuhl vor ihr nieder und das Rohr, worauf er sich gelehnt, in die Erde stoßend, senkte er schwermüthig den Kopf auf die darüber liegenden Hände; während die Kastellanin weg schlich, um ungestört zu weinen, denn sie glaubte nach Art solcher Leute leichter das Unglück, und hielt das schöne Kind, das Alle liebten, für verloren.

Dies fürchtete wohl Thomas Thyrnau nach dem Ausspruch des alten Hieronymus nicht. Aber er überdachte mit einem tiefen Weh, was aus ihrem Leben geworden war und zagte – sich ihrer Genesung zu freuen. Welch' eine unverzeihliche Thorheit – welch' eine Herausforderung an die Wechselfälle des Lebens schien ihm jetzt sein und des alten Lacy kühn verfolgter Plan! Wie tief vor Allem beklagte er, daß er dem Freunde nicht gewehrt, als dieser in seiner Zärtlichkeit für Magda das Kind mit seinen Plänen gewiegt und Beide in der Einsamkeit von dem Zauber ihres jungen kühnen Geistes beherrscht, sie zu einem Vertrauen herangezogen, wie es ein ihnen gleich stehender Mann kaum verdient hätte. So mußte Magda erst mit diesen Plänen spielen und später darum wie um den Kern ihres Daseins ihr ganzes übriges Leben spinnen lernen!

»Ach,« dachte er traurig weiter, »wird sie, nachdem all' diese Fäden so plötzlich zerrissen, noch lernen ein anderes Leben zu beginnen? Werde ich nicht zusehn müssen, wie sie langsam an meiner Seite verwelkt und werde ich zu diesem Schmerz nicht den Vorwurf fügen müssen, daß ich es verschulden half?«

Er hatte nicht bemerkt, daß Magda, aus ihrem leichten Schlummer erwacht, ihre großen Augen prüfend auf ihn gerichtet hielt. Ihre Stimme weckte ihn. »Sieh' nur nicht so bodenlos traurig aus!« sagte sie mit einem leichten Anklang ihres früheren entschiedenen Wesens. – »Ich weiß Alles, was Du denkst, und es quält mich darum so arg, es mit anzusehn, weil es mir noch in der Brust fehlt, um reden zu können. Aber sei Du nur getrost – die Krankheit war eine rechte Gnade von Gott! da schickt Gott seine Engel in Person – denn wo käme es sonst her?«

Ach, was ging bei diesen Worten in Thyrnau vor! Vielleicht dachte er, sie sei selbst ein Engel geworden. Ihm wenigstens; sein Engel des Trostes war sie gewiß; denn ihre Worte legten Zeugniß ab, daß sie innerlich schon eine Stütze gefunden, daß sie nicht an dem Erlebten zu Grunde gehen wollte und ihn zu trösten dachte.

»Magda! mein braves Mädchen,« sagte er leise, um seine Rührung zu beherrschen – »ich werde nur so lange traurig sein, als ich fürchten muß, daß Deine Kraft Dich verläßt. Bin ich Deines inneren Muthes sicher, so will ich getrost sein.«

»So sei getrost!« sagte Magda – »denn Du wirst es erleben, ich werde jetzt ganz was Anderes – aber ich kann mich schon darauf freuen, denn es soll was Tüchtiges werden. Aber anders ist nun die ganze Welt – und ich muß warten, bis mein Herz wieder zusammenwächst – denn Du kannst es glauben, es ist mitten von einander gewesen – und ehe man es nicht ganz fühlt, da kann kein Mensch was.«

»Kann ich nicht etwas thun, meine Magda,« fragte Thyrnau zum Ersticken erweicht – »daß die Wunde sich schließt oder sie Dich weniger schmerzt?«

»Ja,« entgegnete Magda mit einem Engelslächeln – »laß mich wieder Dein liebes heiteres Gesicht sehn! Lächle mir zu – oder lache einmal – sprich einmal wieder so hart und laut wie im Dohlennest! Ich denke, das müßte mich mehr stärken, als die Tropfen, die mir Hieronymus giebt.«

Thomas Thyrnau hob den Kopf mit dem Versuch zu lächeln. Als er aber den Engelskopf sah mit dem Lächeln, was ihn beleben sollte, brach die Kraft des alten Mannes zusammen. Er stürzte vor ihr nieder, schloß sie in seine Arme und ein Strom von Thränen löste die Spannung seiner Brust. Magda liebkoste ihn dabei in stiller Fassung, aber sie weinte nicht – über ihn gebeugt, sagte sie: »Oft denke ich, wenn man weinen kann, ist viel vorüber. Allen Schmerz, den ich bis jetzt hatte, das war Thränenschmerz – dann kommt der Schmerz, den Gott allein kennt und den er dann auch allein theilt – da weinen wir nicht – der Schmerz und der Theilnehmer – Beide sind zu groß dazu. Was erfährt man da Alles! – Weißt Du was,« – fuhr sie fort, als Thyrnau sich aufrichtete und in ihrem Anschaun verloren vor ihr saß – »erzähle mir jetzt, was Du mir immer erzählen wolltest – erzähle mir von meiner Mutter – was sie erlebt hat, und wie Du einmal so lange mit Lacy zürntest.«

»Magda,« sagte Thyrnau – »werde ich das dürfen? Wird es Dich nicht zu sehr bewegen? Spreche ich mit Dir, so kann ich nichts verschweigen, denn Du sollst ein treues Bild der Wahrheit von ihr in Dir auffassen, und doch ist viel Bewegliches dabei.«

»Ach, um so besser,« sagte Magda – »ich möchte gern aus mir heraus bewegt werden – möchte gern in Anderer Leben die Schicksale erkennen, die Gott sendet!«

»Ich will Dir nicht widerstehn« – erwiederte Thyrnau mit zurückkehrender Kraft in Stimmung und Haltung – »Dich treibt Gott, das fühle ich mit tiefer Rührung, und ich will mich mit treiben lassen, denn was ist es – und was wird aus dem, was der eigensinnige Wille des Menschen betreibt.«

»Meine beiden Söhne raubte mir der Tod. Erst später schenkte mir Gott zwei Töchter, wovon die jüngste – Deine Tante – Deiner Großmutter das Leben kostete. Barbara, meine einzige Schwester, welche an Jakob Hülshof verheirathet war, einen der ausgezeichnetsten Baumeister, der mit Buonoccini und Imanuel Fischer die Bauten in Wien leitete – lebte nach dem Tode ihres einzigen Kindes in Wien in günstiger Lage. Ihr edler und gebildeter Geist war mir eine sichere Bürgschaft für Alles, was sie that, sie nahm beide Kinder zu sich und erzog sie. Nach meiner Ansicht – muß ich hinzufügen – denn sie fand meinen Erziehungsplan weit über den Stand der Mädchen hinausgehend und tadelte ihn unverholen, obwol sie sich meiner Gewalt als Vater fügte und sich beschränkte, den Gesinnungen meiner Töchter ihren altbürgerlichen Sinn für Einfachheit und Anspruchlosigkeit einzuflößen, der ihr die allerbeste Sicherheit gegen die Anforderungen des Lebens erschien.«

»Das Haus meines Schwagers war, wenn auch stets einfach, doch durch Wohlhabenheit und Gastfreundlichkeit in gut begründetem Rufe; fremde Künstler seines Faches oder der Bildhauerei und Malerkunst fanden sich um den gastlichen Tisch des heiteren und geistvollen Hülshof ein, und es konnte nicht fehlen, daß dadurch eine erhöhtere Bildung, eine lebendigere Theilnahme in geistiger Beziehung sich anregte, der sich Barbara nicht entzog, da es ganz mit ihren Ansichten übereinstimmte, in mäßiger Form die Gaben des Wohlstandes mit Andern zu theilen und gerade hier sich ihrem Wohlthätigkeitssinne die beste Gelegenheit zeigte, da die jungen Wanderer aus weiter Ferne oft nichts mitbrachten, als ihr Talent, und da die Zeit, bis dieses ihnen zinsbar werden wollte, häufig schwer zu überstehen war. Barbaras beste Freundin war die Frau eines aus Italien herüber gekommenen Bildhauers, der bei der damals von Kaiser Leopold zu errichtenden Dreifaltigkeitssäule beschäftigt ward und später die beiden Statuen über dem Springbrunnen verfertigte, – Cornelius Matielli –«

»Matielli?« rief Magda –

»Ja, Magda,« erwiederte Thomas Thyrnau – »es war Dein Großvater! Bei der Aufrichtung dieser Statuen stürzte er von einem Gerüst und starb, ohne mit den Sakramenten der Kirche versehen worden zu sein. Diesen Schmerz zog sich seine Gattin heftig zu Sinne. Sie konnte in der Welt keine Ruhe finden und beschwor ihre Freundin bei ihrem einzigen Sohne Mutterstelle zu vertreten, sie selbst aber nahm nach dem von Barbara empfangenen Zugeständniß den Schleier in dem Kloster der Büßerinnen zu Mailand, dem Geburtsort ihres Gatten, wohin auch seine Leiche geschafft war. Francesco dagegen lebte wie der eigne Sohn in dem Hause Barbara's; er ward Bildhauer wie sein Vater, und durch größere Gaben und sorgfältigere Erziehung ein bedeutender Künstler. – Die Natur hatte ihn höchlichst ausgestattet; die Liebe der Menschen schien ihm überall mit dem ersten Gruße zu gehören. Er war schön. Aber sein Karakter war so anziehend gemischt zwischen Ernst und Scherz, zwischen Feuer und Milde, daß seine Erfolge bei den Menschen gerechtfertigt schienen.«

»Meine beiden Mädchen lebten bei ihrem Heranblühen oft Monate lang in Tein im Dohlennest, und nur, wenn ich abwesend war, kehrten sie zu Barbara zurück. – Graf Lacy, mein edler Freund, dessen unglückliche Liebe zur Prinzessin von D. Du durch ihn selbst kennst, hatte sich erst später vermählt und ein Sohn blühte ihm zu großer Hoffnung an der Seite. Stephan war der Gegenstand unserer großen Pläne und wir vereinigten uns Beide, seine Erziehung so sorgfältig als möglich zu leiten; so kann ich sagen, Stephan gehörte so zu mir wie zu seinem Vater. Kamen nun meine Mädchen, so war es ein gar glückliches Leben, und die edle Gräfin Lacy machte unter meinen Töchtern und ihrem Sohne ebenso wenig einen Unterschied, wie ich ihn zu machen vermochte. – Als Stephan seine Studienjahre zurückgelegt hatte und von der Universität Göttingen wiederkehrte, bewohnten Magdalene und Lucretia, meine beiden Töchter, mit mir das Dohlennest. Magdalene, Deine Mutter, war sechzehn Jahr und wunderschön. Stephan faßte sogleich die glühendste Liebe zu ihr.« –

»Was jetzt folgt, ist nur noch eine schwere Kette von Leiden und harten Vergehungen, in der fast Keiner dieser bis jetzt glücklichen und tugendhaften Menschen rein von Schuld blieb. Als wir die Neigung des Jünglings erkannten, trat die Kehrseite unserer Verhältnisse ein, und ich mußte einsehn lernen, daß der Mann, der so lange Herz und Seele mit mir getheilt – dessen Autorität ich war, der mich tausendmal über sich gestellt – dem ich der Triumph eines Menschen hieß – er, der meine Töchter eines solchen Vaters werth erklärt hatte, daß er doch einen solchen Mann weit aus der Möglichkeit hielt, mit seiner Familie verbunden zu werden.«

»Was soll ich Dir die Marter der Jahre beschreiben, die dieser Entdeckung folgten! Zur selben Zeit kehrte Gerhard von Lacy, sein jüngerer Bruder, mit seiner Gemahlin und seinem kleinen Sohne aus Italien zurück. Er war vorurtheilsfreier und liebte seinen Neffen, der von der unbezwinglichen Leidenschaft beherrscht, einem Wahnsinnigen glich. Aber Lacy und ich waren harten Sinnes! Schon war die Scheidung unter uns geschehen; ich hatte seine Familie der meinen nicht werth geschätzt und ihm in einer langen Reihe Vorfahren lauter würdige ehrenhafte Männer nennen können, wogegen der Rang und der Name es oft nur vermocht hatten, unwürdige Männer der seinigen vor öffentlichen Tadel zu bewahren. Er erkannte die Wahrheit, aber er haßte den, der das Recht hatte, ihn daran zu erinnern. – Ich verließ Tein und lebte in Prag mit meinen Mädchen; aber ich hatte die Heimat verloren; ich hatte mit dem Freunde meiner Jugend den ganzen Kern meines Lebens verloren und konnte nicht mehr froh sein. Doch auch dahin verfolgte uns die rastlose Leidenschaft des Jünglings, und als des Grafen Gerhard Bemühungen ganz umsonst waren, unsere starren Köpfe zu versöhnen, mußte ich Stephan, den Liebling meines Herzens, den Sohn meines einzigen Freundes, von meiner Schwelle jagen, und als dies nichts half, brachte ich das letzte Opfer, ich trennte mich von Magdalena und übergab sie aufs Neue Barbara, die indeß Wittwe geworden. Wenn Magdalena in ihrem Vorhalten bei den Stürmen, die sie so unschuldig veranlaßt, mir immer Zweifel gegen ihre Gesinnung für Stephan erregt hatte, so schien es mir in Wien bald, daß ihr Herz wohl nur dem Mitgefühl für ihn, nicht der eigentlichen Liebe, unterlegen war; denn ich erkannte leicht, daß Francesco Matielli ihr mit einer offenen Darlegung seiner Liebe nahte und sie diesen ganz anders aufnahm, als den unglücklichen Stephan.«

»Nicht lange nach unserer Ankunft zeigte sie mir an, Stephan sei ihr auch nach Wien gefolgt, und Angela, ihre alte Amme, jage ihn hier wie zu Tein und Prag Nachts unter ihrem Fenster fort. Sie sah mich auf diese Nachricht in rathlosen Schmerz versinken, und jetzt schlug sie mir selbst als einziges Mittel, ihm auf immer jede Hoffnung zu benehmen, vor, sie mit Francesco Matielli zu verheirathen. Bei näherer Nachforschung sah ich, daß dieser Vorschlag in allen Köpfen meiner Umgebung Wurzel geschlagen hatte, Francesco übte auch über mich seine schon erwähnte Gewalt, und ich mußte einsehen, daß es kein wirksameres Mittel gegen die trostlose Lage des unglücklichen Stephan gab, von dem es sehr bestimmt zu fürchten war, er werde sonst nie der Hoffnung ganz entsagen.«

»Magdalena wurde in aller Stille mit Francesco Matielli vermählt und reiste Tags darauf nach Mailand ab, wo sich Beide den Segen der armen Mutter holen und erst nach einigen Jahren nach Wien zurück kehren wollten.«

»Die Wirkung dieser Nachricht auf Stephan war entsetzlich. Er erkrankte zum Tode und seiner Aeltern Herz ward von Reue zerrissen. Jetzt glaubte der stolze Lacy mir selbst darum zürnen zu müssen, daß ich seine Reue unwirksam gemacht hatte, und wir blieben äußerlich Feinde. Hieronymus rettete Stephan und der Vater hing sich an den Jüngling und suchte ihn zu erwecken für vaterländische Zwecke, für unsere Lieblingspläne! Er schlug ihm Reisen vor; er forderte fast einen längern Aufenthalt in Frankreich, um ihn von dem Ort seiner Leiden fern zu halten. Aber dort, wohin ihn sein Vater trieb, war er bestimmt, sich gegen seinen Willen schrecklich an diesem zu rächen und dadurch endlich unsere durch nichts mehr getrennte Vereinigung wieder herzustellen.«

»Doch zurück zu Deiner Mutter! Sie war sehr glücklich verheirathet, und obgleich ihr erstes Kind, ein Knabe, gestorben war, brachte sie doch Dich als neugebornes Kind zu uns zurück. – Meine Stellung rief mich damals als Anwalt des Z.'schen Hofes zu dem regierenden Fürsten von S. zur Feststellung einer Successionsfrage. Barbara war mir seit Magdalenens Vermählung überall gefolgt; sie führte Aufsicht über Lucretia, die, so schön wie Deine Mutter, von mir mit Allem ausgestattet ward, was Reichthum und Bildung nur an dem schönsten fähigsten Naturell zu vollenden vermag. Als mein Aufenthalt in S. sich zu verlängern drohte, rief ich Barbara und Lucretia zu mir – es war der Anfang tiefer maaßloser Schmerzen – bald sandte ich beide zurück und hielt sie in einem Landhause bei Prag gesichert.«

»Da traf die Nachricht dort ein, daß Deine Mutter und Du selbst an den Pocken tödtlich erkrankt danieder lägen. Lucretia's Bitten entschieden Barbara zu einer Reise, auf der Lucretia sie wegen der Ansteckung nicht begleiten durfte. Deine Mutter erlag der fürchterlichen Krankheit, die Dich dagegen nur leicht erfaßt hatte. Barbara aber blieb an Prag gebunden, da Francesco sie mit großer Besorgniß erfüllte, indem sein Schmerz sie von ihrem eignen Kummer abzog und er vor Allen die größte Aufmerksamkeit bedurfte. Lucretia blieb daher allein, nur von Angela und ihren Dienern umgeben, auf dem Landsitz, den ich ihr angewiesen. Diese traurigen Nachrichten trafen mich alle in Paris, wohin eben die Dir bekannten Angelegenheiten Stephan Lacy's mich gerufen. Vorher, nach vierjähriger Trennung, war unsere Versöhnung erfolgt, und mit neuer inniger Hingebung widmete ich mich dem wiedergewonnenen Freunde. – Doch hiermit ist meine Erzählung aus, Magda! denn Deine unvorsichtigen alten Freunde haben nicht unterlassen, Dich in ihre Geheimnisse einzuweihen – die freilich Dich früher gezeitigt haben als gut ist!«

»Ja!« sagte Magda – »und doch gehst Du abermals um das Leben meiner alten Tante Lucretia herum – und abermals scheinst Du mir nicht sagen zu wollen, was aus ihr ward; denn weiter als bis zum Landhause, wo Du mich auch jetzt läßt, bin ich noch nie gekommen!«

»So denke, daß es mir zu schwer ward, weiter zu gehen,« sagte Thyrnau mit seiner alten Strenge – »und fordere mich nicht auf, den schweren Weg noch einmal zurückzulegen. Der Tod hat auch ihre Lichtgestalt unserm Auge entzogen – und die Umstände waren hinreichend, das Herz des Vaters zu verwunden. Hättest Du mir nicht gelebt, hätte Barbara nicht verstanden, Dich mir zuzuweisen als ein meiner Sorgfalt anheim fallendes Wesen, so hätte von da an der Trübsinn über mich geherrscht; denn Francesco verließ uns bald und starb wenige Jahre nachher in Mailand. Hier aber wüthete der Tod und ließ mir nur Schmerzen und Erinnerungen!«

»Und Deine Magda?« sagte das blasse Kind und versuchte es, ihn zärtlich und ermuthigend anzublicken – »Deine Magda – die nun nichts auf der Welt mehr hat, als Dich – die nur für dich leben und sich gar nicht mehr von Dir trennen will. O Du lieber Guter – sage mir doch, wie hast Du es gemacht, nach so viel Kummer – nach so viel erfahrenem Unrecht, so heiter zu bleiben? Wie oft rühmte ich Das gegen Barbara, der das Leben wahre Grabesspuren eingeätzt hat – und Du bliebest immer derselbe!«

»Magda,« erwiederte Thyrnau – »ich bin nicht heiter geblieben – »ich bin es wieder geworden! Wir müssen mit dem Kummer abschließen und uns blos die Erinnerung bewahren können. Gesunde Geister, welche Zeit hatten, zu einer kräftigen Anschauung des Lebens zu gelangen, werden nie der eigensinnigen Hingebung an erfahrene Verluste oder erlittenes Unrecht überlassen bleiben. Ich glaube daß ich zu diesen Kräftigen gehörte. Von Jugend auf lag ein tiefes Bedürfniß nach Klarheit und scharfer Consequenz in meinem Karakter. Es war dieser Trieb ein Gegengewicht gegen ein glühend leidenschaftliches Gemüth, das mich bei jeder Veranlassung in Verwirrung zu stürzen drohte. Dieser Trieb machte mich zu einem fleißigen Arbeiter in mir selbst; ich war mir ein scharfer Beobachter; ich räumte immer wieder auf und brachte Alles an seinen Platz, wenn dazwischen die Windsbraut der Leidenschaft Alles über einander geworfen – und ich hatte eine Stütze, Magda! meine Gedanken standen von Jugend auf vor Gott! – Es war das lebendigste Leben der Gegenseitigkeit, wenn ich das profane Wort gebrauchen darf; ich sendete zu ihm meine ganze Seele, mit ihrem Ungestüm, mit ihren heißen Wünschen, mit ihren Schmerzen – und wie ich sie ihm hingab mit der kindlichen Inbrunst, von Ihm jede Weisung, jede Linderung fordernd als mein unveräußerliches Recht an Ihn – so empfing ich sie in diesem Kämpfen und Ringen zurück; oft wunderbar verändert, aber am häufigsten mit einer Begeisterung für das Leben erfüllt, das ich aus seiner Hand empfing, und das mir nur mit seinen heiligen Leiden und Schmerzen doch von der unvergleichlichsten Schönheit und Herrlichkeit erschien und in meinem Geiste eine geheimnißvolle Anschauung der Dinge eröffnete, die dem Grabe seinen Stachel, der Kränkung ihre Dornen nahm.«

»Wer sich eines reinen, tiefen Gefühls bewußt ist, fürchtet nie von demselben einen Abschluß mit dem Erfahrenen zu begehren, welches seinen ganzen Menschen der Welt zurück giebt, deren laute Anforderungen er erkennt, weil er Gottes herrliche Offenbarung in ihr sieht – und so findet es sich, daß wir oft zum Abschließen gezwungen leichter die Stützpunkte wieder gewinnen, nach denen wir zuerst gegriffen; und endlich liegt die Welt der Schmerzen, die wir durchliefen, wie ein schönes Eiland hinter uns, worauf wir jede Stelle mit Liebesblicken grüßen und dort zu landen pflegen, wenn unsere Seele in Freiheit und Frieden mit uns selbst lebt! Dann kommt das von selbst zurück, was Du Heiterkeit nennst. Wir üben uns und lernen endlich die Gläser, durch die wir das Leben betrachten, zusammen zu setzen, wie die großen Mechaniker. Nicht wie in der Jugend greifen wir bloß nach dem Vergrößerungsglase unserer Leiden und Thaten; nicht, wie in späteren Jahren dann oft folgt, nur nach dem Verkleinerungsglase; sondern wir fügen mit der erlangten Erfahrung das Eine zum Anderen an den Anfang und das Ende des dunklen Raumes, der dazwischen liegt und den unser Auge suchend durchirrt – und freuen uns dann des klarer gewordenen Bildes, welches wir durch sein Näherrücken in seiner wahren Gestalt auffassen und erkennen lernen!«

»Ach,« sagte Magda – »ich kann Dich gut verstehen – Du bist mir herzstärkend! Aber sage mir nur das Eine! Das, was Du hier aussprichst – das hast Du als Mann gekannt – erfahren – aber wir – ein Mädchen – was hältst Du davon?«

»Was ich erfahren, habe ich als Mensch erfahren,« erwiederte Thyrnau – »unsere Stellung zu Gott, unsere Gemeinschaft mit ihm ist durch kein Geschlechtsverhältniß bedingt, wenn auch die Wirkungen desselben durch unser äußeres Leben verschiedene Gestalt annehmen. Das, worauf es ankommt: die Offenbarung in unserm Geiste, der Glaube an diese inbrünstige Gemeinschaft mit ihm, das ist das Gut der Menschheit, die dadurch von den Fesseln der Erde befreit und im Geiste wiedergeboren des Sieges mächtig ward! Und ich sage es Dir – Magda, mein heißgeliebtes Kind – Du wirst des Sieges theilhaftig werden.«

Magda senkte den Kopf zur Erde, als ob sie den Worten nachspürte in ihrem Innern. »Ach,« sagte sie umherblickend – »welch ein Wunder ist der Schmerz! Wenn Du meinst, ich könnte wieder werden wie sonst, da möchte ich doch nie vergessen, wie mir jetzt ist.« Sie sah mit trostlosen Augen umher und schien nicht zu fühlen, wie Thränenströme aus den gehobenen Augen über ihre Wangen flossen. »Magda,« sagte Thyrnau weich – »eben faßte ich Hoffnung für Dich und nun, scheint es, soll nichts davon in Erfüllung gehen. Haben wir denn ganz vergeblich geredet, hat nichts davon Deine Ueberzeugung erreicht?«

»Alles! Alles! Vater,« sagte Magda – »aber es ist zweierlei in mir. Ich kann wie eben in die Zukunft blicken und darin auch für mich einen andern Zustand erkennen. Aber es ist ein Weg dahin, ein langer dunkler Weg, an dessen Ende ich wieder die Sonne sehe, wie sie auf eine grüne Erde scheint – nur jetzt, Vater – ist keine Sonne – keine grüne Erde da. Ich strenge mich an, Alles wieder zu erkennen – aber wo ist es! Alles wußte ich auswendig hier – Alles wollte ich ihm zeigen. Er sollte mit mir hören, was der See da unten so lange Zeit zu mir geredet – er sollte sehen, wie die Wege so schattig und lang sind – und das Wild so neugierig – und wie über den Blättersälen und kleinen Kammern, wo die Marmorbilder stehen, der Himmel immer viel blauer und wie eine schöne Decke ruht. Und nun das Schloß um das Siechenhaus, was ich ganz umändern wollte – und die Gemälde und die schönen Bücher – ach! er findet sich nie ohne mich zurecht – und ich kann ihn nie mehr zurecht weisen, denn ich habe selbst Alles verloren und kann nichts wieder finden. Wenn ich nach dem See sehe – so ist er gar nicht mehr einsam – und die Schwäne sind nicht mehr still – und das Schiff hat keinen Nymphen-Rand und die sonst so lieben Blätterkämmerchen – da – und überall da hat was drin gehaust! Ich erkenne es nicht wieder – mein altes Heiligthum ist es nicht mehr, aber wenn mir davor graut und ich denke – wo anders willst Du hin – wo's so schön sonst war – da ist es überall dasselbe – es thut Alles fremd mit mir – sieh! als ob diese seelenlosen Dinge wüßten, daß er mich verworfen hat, so stoßen sie mich alle aus und meinen Antheil an ihnen habe ich nicht mehr zu fordern! Und,« fuhr sie eifrig fort, da sie sah, Thyrnau wollte ihr etwas entgegnen – »vom Dohlennest rede mir nur nicht! Da will ich nie wieder hin. Die Mauern fielen zusammen und deckten mich wie Leichensteine – und nach Wien will ich nicht und zu Barbara will ich gar nicht – da war er auch – da hatte ich solch Glück! Aber wohin ich nun soll vors Erste – das mag Gott wissen.«

Thyrnau hatte ihr mit tiefem Schmerz und einigem Erstaunen zugehört. Der Anfang ihres Gesprächs hatte ihn zu größeren Erwartungen berechtigt; er sah, wie umfassend die Erfahrung getäuschter Hoffnung sich ihres ganzen Lebens bemächtigt hatte, und Alles verändert und umgestürzt; er mußte über die Kraft ihres Geistes erstaunen, der wie durch Offenbarung mit Seherblick diesen Zustand überschaute und sich die Kraft bewahrt hielt, ein anderes neues Leben zu beginnen. Ein stilles Gelübde stieg aus seiner Brust zum Himmel, sie keinen Augenblick zu verlassen, Alles für sie zu erdenken, was die Erfahrung ihm als Hilfsmittel gelehrt, um Seelenschmerzen zu lindern, um so ihr die erste Zeit erträglich zu machen.

»Sammle nur noch etwas Deine Körperkräfte, mein Mädchen,« sagte er, als sie sinnend schwieg – »dann verlassen wir diese Gegend und ich reise weit weg mit Dir und zeige Dir die schönen warmen Länder jenseits der Berge, wo Dein Vater herstammte, Dir noch Verwandte leben und die Natur das ganze Jahr nicht zu Grabe geht, und Keiner, der dort lebt, auf sie zu warten braucht, weil sie immer zum heitern Genuß des Lebens geschmückt steht und Jeder eingeladen ist, die glücklichen Stunden zu theilen.«

»Rede lieber noch nicht von Glück,« sagte Magda ängstlich und legte die Hand aufs Herz – »ich kann es noch nicht vertragen. Aber ich will Dir folgen, wohin Du gehst – denn hätte ich Dich nicht, dann wäre es bald mit mir vorbei. Doch sage mir, lieber Großvater, ob wir nun wirklich arm geworden sind und künftig so dürftig leben müssen wie Barbara?«

»Nein, Magda,« entgegnete Thyrnau – »das haben wir nicht nöthig; aber wir haben aufgehört, reich zu sein. Mein Vater hinterließ ein großes Vermögen, welches er nur dem Sohne hinterlassen wollte und Barbara mit einem Pflichtteile abgefunden hielt, welches die edle stolze Seele mir nie direkt zu vergrößern gestatten wollte; dies Vermögen ward durch mein eigenes bewegtes und thätiges Leben, welches mir nie große Bedürfnisse zu hegen erlaubte, bedeutend vermehrt. Aber ich habe alle Kapitalien meines väterlichen Erbtheils damals aufgenommen, als Stephans unglückliche Uebereilung uns Alle an den Rand des Abgrunds geführt hatte, und sie gegen den Besitz der Herrschaft Tein nach Frankreich geliefert. Dieser Theil meines Vermögens ist daher verloren und jeder meiner Ansprüche daran ist mit den Dokumenten in dem kleinen Kamin begraben, an dessen traulicher Flamme ich und Lacy so oft die Freude überlegten, all die Ansprüche auf Dich übertragen zu haben, die er mir jetzt nach unserer innigen Vereinigung so gern schuldete.«

»Ach,« sagte Magda – »das ist der einzige Lichtpunkt dieses Schreckentages! Die Asche dieses Testamentes, die hole ich mir immer in Gedanken aus dem Kamin und lege sie auf mein Herz – sie hat Balsam in sich – jedes Mal thut sie mir wohl!«

»Wie ich Dich so gut kannte,« erwiederte Thyrnau – ich wußte das vorher! – Das war, was wir retten konnten; denn was wäre uns der Besitz weiter geworden als ein tiefes Weh, von dem wir uns ohne diesen schnellen Entschluß nie mehr zu befreien vermocht hätten; denn wenn dieser edle stolze Jüngling einen Blick in diese Dokumente gethan, so hätte kein Gott ihn vermocht, auf seine Armuth zu verzichten!«

»Und hast Du sein Forschen jetzt noch bezwungen?« fragte Magda schüchtern –

»Deine Krankheit erstickte jedes andere Interesse. Selbst als die erste Gefahr vorüber war, fügte er sich meinen Bitten, nicht in mich zu dringen, denn er bedurfte wie ich der Schonung. – Aber wie ich später seinen Forschungen entgehen werde, muß ich erst lernen, und vorerst denke ich ihnen zu entfliehen, da ich unsere Reise betreiben will, sobald Deine Genesung es erlaubt.«

»Das wird bald sein,« erwiederte Magda in großer Aufregung, indem sich ihre Wangen fieberhaft rötheten – »denn dies Gespräch mit Dir hat mich recht gestärkt, plötzlich fühle ich meine alten Kräfte – mir wird so warm ums Herz, so klar, ich bin gewiß mit eins gewesen. Wenn Du Dich eilst, kann ich übermorgen reisen. Ich sehe sie vor mir die langen sonnigen Wege zwischen himmelhohen Felsen, worauf Mauerkronen liegen und von den Thürmen Glocken läuten und bunte Züge mit Fahnen und Baldachin und gnadenreichen Bildern den gebogenen Fußweg ziehen – und Cypressenwälder decken sie – und grüne Wiesen – auf denen edles Wild in zahmer Ruhe weidet – die sind an unsern Wegen! Und am Meere liegt die Bucht, wo Gondeln schaukeln und die Schiffer singen Tasso's Stanzen und Alle landen an der Marmortreppe, die hinauf führt zu der Säulenhalle, wo im Mondschein die purpurrothen Wände leuchten, auf denen rosig schimmernd Marmorbilder stehen. Und wir nicken hinauf aus dem Nachen, der uns trägt; Kinder mit blonden Locken werfen uns mit Blumen – und wir zählen, wie die Sterne kommen in der blauen Nacht – und wir lassen alle Städte, alle Schlösser – ich schlafe auf Deinem Schooß und Du weckst mich, wenn die Sonne kömmt; und wieder weiter geht es auf den bequemen Pferden durch die grünen Wälder mit dem bleichen Laube – und durch die feuchten Thäler, wo die dunklen Myrten blühen – da ist es kühl – da ist es still – da ist der Marmorbrunnen, wo wir trinken – da – siehst Du wohl?«

»Magda, halt ein, erwache!« rief Thyrnau. Erschrocken stand er auf, denn Magda hatte sich erhoben und schien Alles vor sich zu sehen – sie wollte schreiten und fiel in tiefer Ohnmacht zurück. Der Ausdruck, der Thyrnau hier entfuhr, rief die Nahen herbei, Hieronymus und die Kastellanin standen bald an seiner Seite.

»Ihr habt wieder vergessen, daß sie geschont werden muß« – sagte Hieronymus schmählend zu Thyrnau – »das lange Geschwätz um dasjenige, was ihr das Herz brach, soll ihr wohl bekommen! he? – Wo ist Eure Weisheit, mein Herr Thyrnau?«

Niemand antwortete ihm, denn geschickt und überlegt bündelte er während dieser Worte das arme bleiche Kind in ihre Decken ein, wobei die beiden Andern ihm behülflich waren und lud sie sich dann mit seiner Riesenkraft auf die Arme und ging raschen festen Schrittes dem Schlosse mit ihr zu.

Doch nicht, wie Thyrnau in vorwurfsvoller Angst es erwartete, kam Magda durch diese allerdings bis zum Delirium gesteigerte Aufregung in ihrer Genesung zurück; nein – man hätte denken können, sie habe sich damit gewaltsam aus dem müden schlaffen Zustande, der sie vorher beherrschte, empor gerissen. Hieronymus schüttelte selbst den Kopf, als sie ihn von da an Schritt vor Schritt aus seiner beherrschenden Position verdrängte und er endlich einsah, er habe das Schicksal der Andern getheilt, die auch am Ende nur zuließen, was Magda sich selbst erdachte. »Sie hat einen festen Instinkt!« pflegte er zu murmeln – man kann gerade nicht sagen, daß ihr das schadet, was sie wie von innerem Bedürfniß getrieben ergreift; obwol es meistens der gewonnenen Erfahrung der Vernünftigen widerspricht.«

Thyrnau betrieb unterdessen, so schnell es die Umstände zuließen, die beabsichtigte Reise; denn die Nachricht von Lacy's Vermählung hatte er schon durch ihn selbst erhalten und er wünschte so sehnlich, wie Magda selbst, all diesen Anregungen zu entfliehen. Er ordnete und überlieferte dann alle noch notwendigen Papiere an Hieronymus, ihn mit den Vollmachten ausrüstend, die ihn und seine Anwesenheit für Lacy nicht mehr nöthig machen sollten.

Diese wichtigen Einrichtungen konnte ihn keinen Augenblick von seinen Beobachtungen über Magda abziehen. Er fühlte, wie muthig das junge Wesen mit dem Schmerze kämpfte, um ihm genug zu thun, und wie diese Anstrengungen sie zu den ungleichsten Zuständen hintrieben. Aber er sah daraus ganz neue Seelenkräfte sich entwickeln, und Magda jetzt erst die Stufe der Kindheit verlassen und in den geheimnißvollen Bereich der Jugend eintreten, wo die Füße von dem irdischen Boden sich lüften und die Krone in den Himmel wächst. Sie war von poetischen Träumen, die oft an Delirium streiften, wie von unsichtbaren Geistern umwoben, und er schützte mit weiser Schonung die Stille, die ihr Zeit lassen konnte, den Weg ins Leben zurück zu finden, ohne durch zu jähe Anforderungen in Widersprüche zu gerathen. Er hoffte viel von der Reise dieser glücklichen Unthätigkeit, die selbst den Unglücklichen keinen Augenblick unbeschäftigt läßt und sich gegen unsern Willen unserer Gedanken bemächtigt, weil sie uns überall eine andere Gestalt zeigt, als die war, vor der wir uns gekränkt zurückzogen.

Am Morgen des dritten Tages nach dem uns bekannten Gespräch mit Magda wandelte Thomas Thyrnau, sie nur noch leicht am Arm stützend, mit ihr durch den hohen beschnittenen Buchenweg nach dem Eingangsthor und erzählte ihr von der morgenden Abreise und welchen Weg sie nehmen wollten, Prag und Wien zu vermeiden. Ueber die Wiesen kam ein würziger Duft von den aufgethürmten Heuhaufen zu ihnen, und Magda überschritt zuerst die Schwelle der Gartenpforte und lenkte der schönen schattigen Weidenallee zu, welche die Landstraße bildete und an Wiesen vorüber führte. Sie hatte heute einen kurzen, bewegten Athem und obwol der Kopf nach ihrer eigentümlichen Art gesenkt war, schreckte sie doch oft von Innen heraus zusammen und ihre Augen suchten nach allen Seiten umher. »Ist Dir übler geworden, mein Kind« fragte Thyrnau. – »Bist Du vielleicht zu weit gegangen – willst Du ausruhen?« Dort an der Wiesenbrücke sind Sitze – erhole Dich ein wenig!«

Sie setzte sich still nieder und betrachtete vor sich die Erde, als dränge ihr Auge bis zu den tiefsten Schachten. Der unruhige Athem legte sich und der Ausdruck des lieblichen Angesichts ward wieder still. »Wenn mir mit einem Male die Augen geöffnet würden,« flüsterte sie dann leise, als spräche sie in sich hinein – »und ich Alles sähe, was viel mehr ist als die Worte! – Zu Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott! Das ist – was ich meine! Das Wort ist bei Gott geblieben und wir müssen zu Gott, dann haben wir das Wort, was leuchtet – dann erleuchtet es die Pracht, die in uns ist – wir erkennen die Pracht und sind selig! – Die Lilien, die spinnen nicht und säen nicht; sie warten in der Knospe – die hat den innern Trieb und den Schmerz der Sehnsucht, den braucht sie und hat ihn, und davon wächst sie, und jeden Tag stellt sie sich der Sonne hin und ihre Seufzer schwellen sie an, bis der Strahl kömmt, der Feuer ist und sie aufbricht, damit er sie durchglühe. Und dann offenbart sie ihre Herrlichkeit und hat nichts zu thun, wie zu blühen – denn Gott ist in ihr und sie hat ihre Seligkeit im Duften! – Du sollst in mir Wohnung nehmen, dann bedarf ich kein Gesetz – der Selige hat Gott und Alles ist aufgelöst – denn das Wort ist bei Gott!«

»Nicht wahr, Vater, jedem Menschen wird einmal offenbart? Warum fürchtest Du Dich – weil auf Dich die Gefahr wartet – was kann Dir geschehen, sagt Christus, wenn Du aus mir sie erleben mußt! Sie stehen in dem Nachen, in ihren langen Kleidern, und die Sonne, von Wolken wie von Gebirgen umsäumt, in einem Feuerharnisch schießt Strahlen wie Pfeile, und die Wellen springen erschrocken auf und bäumen sich, als streckten sie Hände aus zur Abwehr. Dann reißen sie Abgründe auf und schleudern Berge in die Höhe und der Nachen muß ihnen dahin folgen! Die Welle sinkt zusammen – wie sein Fuß sie betritt, und der stille helle Weg liegt geebnet – es sinkt Keiner unter! Komm,« fuhr Magda fort und blickte den Weg hinab – »was mögen sie wollen – wir müssen sie fragen?«

Thyrnau hatte sich schweigend in Magda's Phantasien vertieft. Er störte sie nie und glaubte auch kein Wort dagegen zu haben. Jetzt stand er jedoch mit ihr auf und blickte wie sie den Weg hinab. Da sah er einen Trupp Reiter mit einem Offizier an der Spitze; Alle schienen sich ziemlich zu beeilen; eine unbeholfene Karrosse kam hinten nach. Als sie an der Brücke die beide Harrenden sahen, ritt der Offizier vor und bat Thyrnau, ihm den Weg zu zeigen nach einem hier im Teiner Walde liegenden alten Herrensitz, den man das Dohlennest nenne.

Thyrnau warf seine durchdringenden Augen über den ganzen Zug und wußte augenblicklich ihr Vorhaben. Um Magda's willen schien es ihm jedoch großer Gewinn, sie nach dem Dohlenneste ablenken zu können; er streckte die Hand aus und bezeichnete ihnen den Weg abwärts zum Walde. Es war aber wegen des schmalen Dammes, auf dem sich Alle befanden, nöthig, daß Thyrnau mit Magda stehen blieb und so mußte der ganze Zug vorüber. In dem Wagen erkannte er zwei Gerichtspersonen der Wiener Stadtpolizei und diese sahen ihn kaum, als sie den Zug anzuhalten befahlen, und im selben Augenblick wurden auf einen Wink an den kommandirenden Offizier Thyrnau und Magda von den berittenen Soldaten umzingelt. Die Wagenthür öffnete sich und ehe Thyrnau zu einem Worte Zeit behielt, standen die beiden Insassen desselben vor ihm und der Eine, indem er die Hand auf seinen Arm legte, sagte:

»Thomas Thyrnau! ich verhafte Sie auf Befehl unserer allergnädigsten Kaiserin wegen Hochverrats!« Ein gellender Schrei erschütterte Alle. Magda stieß ihn aus und drängte sich zwischen ihren Großvater und die Gerichtspersonen; ihre Arme um seine Schultern schlingend, rief sie: »Fort! fort!« Dann ließ sie ihn los und vor den erschrockenen Beamten tretend, sagte sie rasch: »Ich weiß, was Hochverrath ist, darum weise ich Euch ab: denn lieber solltet Ihr ihn zum Kronenwächter machen, wie vormals die Besten und Tapfersten dazu kamen – als Hochverrath nennen – an dem Tage, wo Ihr seinen Namen ausgesprochen!«

»Magda,« unterbrach sie Thyrnau schnell – »das sind die Dinge, von denen ich Dir sagte, eine Frau müsse sich von ihnen zurückhalten. Tritt weg,« befahl er in einem Tone, dem das unglückliche Kind trotz ihrer Aufregung nicht zu widerstehen vermochte – »und warte meiner Entscheidung!«

»Ich bitte um Ihre Vollmacht,« sagte Thyrnau und er hatte nur nöthig, die Hand nach dem schon entfalteten Pergament auszustrecken. Mit Ruhe überlas er den Kabinetsbefehl, welcher ihn wegen Hochverrats verhaftete, von der Kaiserin mit wilden Buchstaben unterzeichnet; gefaßt senkte er seine Augen auf das Blatt, das ihm sein lang erwartetes, nun erfülltes Verhängniß verkündigte. Er wendete sich in diesem kurzen Augenblick der entgegengesetzten Seite seines Lebens zu und streifte das weiche träumerische Glück, für ein holdes Kind in einem schöneren Lande leben zu wollen, mit muthiger Hand sich ab. – Es galt jetzt seine volle Mannhaftigkeit. Er brauchte sie nicht erst zu wecken. – Aller Augen hingen an ihm und die Ruhe und erhöhte Würde, die auf seinem ganzen Wesen hervortrat, machte einen vortheilhaften Eindruck. Magda verschlang jeden seiner Athemzüge; aber sie schwieg, denn sie wußte, er werde reden.

»Meine Herren,« sagte er – »Sie haben den Weg nach dem Dohlennest erspart; ich bewohne eben das Schloß Tein, wohin ich Sie bitte mir zu folgen.«

»Unsere Instruktionen lauten dahin: sowol im Dohlennest als im Schlosse Tein alle Ihnen zugehörige Papiere in Beschlag zu nehmen. Wir werden also den Weg nach dem Dohlenneste nicht ersparen können.«

»Sie sollen in Nichts gehindert werden, was sich aus dieser Maßregel herleiten läßt. Doch ruhen sie von Ihrer Reise nach Tein zuerst aus!«

»Ich muß bemerken,« sagte der Beamte – »daß wir gehalten sind – Sie – wo wir Sie finden sollten, zur augenblicklichen Abreise mit uns zu nöthigen!«

»Ich werde mich nicht weigern,« entgegnete Thyrnau – »doch möchte diese den Pferden gegönnte Rast keine Versäumniß zu nennen sein, und die für Sie alle damit verbundene Erquickung mir wenigstens zu einer kleinen Bestimmung für dies junge Mädchen – meine Enkelin – Zeit lassen; der einzige mir zustehende Wunsch – an dessen Erfüllung mir die Gegenwart dieser Herren nicht hinderlich sein wird.«

»Vater,« rief Magda – »willst Du einwilligen, mit ihnen zu gehen? Du! Du willst ihre Anklage annehmen?«

»Ruhig, Magda!« entgegnete Thyrnau. – »Hier ist nicht mein Gericht! Ich habe hier keine Zugeständnisse, keine Weigerung zu machen. Da es so weit gekommen, ist dies Blatt mein bester Freund, denn es führt mich dahin, wo ich mich rechtfertigen kann.«

»Ha!« rief Magda – »jetzt verstehe ich Dich! Du hast nun nichts mehr von mir zu fürchten – ich werde die Reise wohl ertragen und in Wien Alles leicht mit Dir bestehen.«

Thyrnau's Blicke trafen hier mit unverholenem Schmerz das theure Wesen, das keinen Augenblick zweifelhaft geblieben war, mit ihm auch dort ihr Geschick zu vereinigen. Er fürchtete, man werde ihr dies Zugeständniß versagen, und übersah den Eindruck hiervon auf sie mit großer Besorgniß.

»Du wirst nichts wollen, Magda,« sagte er im ernsten Ton – »was meine Lage erschweren würde. Ich vertraue Dir ganz; ich verlasse mich auf Dich! Meine Herren, geben Sie uns Raum; ich gehe mit meiner Enkelin zu Fuß voran; Ihre Pferde bürgen für die Sicherheit des Arrestanten.«

Die Herren stiegen ein; der Offizier theilte achtungsvoll seinen Reitertrupp, ließ Beide durchgehn und folgte in einer schicklichen Entfernung so langsam, als Magda's schwache Füße sich zu fördern vermochten.

Sie gingen an dem Sitz vorüber, wo Magda so eben noch laut und wunderbar ahnungsvoll gedacht hatte, und er sah zu ihr nieder, aber sie wußte nichts davon. Tief war der Kopf gesenkt; doch war es keine Aufregung mehr, die sich in ihr ausdrückte: sie war still und ruhig mit sich selbst.

»Ach,« dachte Thyrnau – »es ist doch gut, daß wir beide alte Thoren sie von Jugend auf an Allem Theil nehmen ließen, was wir vollführten, es kommt ihr nun das immer Erwartete nicht unvorbereitet.

Als sie durch das Gitterthor in den großen Buchenweg einlenkten, trafen sie auf Hieronymus, der mit zwei Dienern und einem Tragsessel für Magda ihnen nachgegangen war.

»Alter Leichtsinn!« sagte er scheltend zu Thyrnau – »Bei der zunehmenden Hitze so unnütz ihre Kräfte zu erschöpfen – als wenn wir so viel übrig hätten. He! ist das vernünftig?«

Mit welchem Ausdruck von Liebe blickte Thyrnau dagegen dem alten schmählenden Freunde in das ehrliche Angesicht – welch' ein Trost ward ihm in dieser Stunde seine zärtliche Sorgfalt für Magda. »Ja wohl,« entgegnete er, »Du bist ihr immer ein verständigerer Freund gewesen als ich! Wie wird sie Dich bald nöthig haben und wie bitte ich Dich, den Dingen, die über uns gekommen sind, mit Ruhe und Fassung zu begegnen.«

Hieronymus hatte zu keiner Frage Zeit, als er aufblickte, um zu sehen, ob Magda, die tödtlich erschöpft schon in den Stuhl gesunken war, auch seiner Hülfe bedürfe, rückte der nachfolgende Zug, der Thyrnau hierher geleitet, in die Thore ein.

Er blieb starr stehen und sah mit stetem Wechsel der Farbe auf die Ankommenden: dann suchte sein Auge den Freund, der ihn erwartete. »Es ist so, mein alter Freund!« sagte Thyrnau. »Es ist das Ende des Drama's, in welchem ich das ganze Leben gespielt – laß uns hoffen, es werde kein Trauerspiel werden! Er faßte Hieronymus Arm, wendete ihn um und Beide gingen dem Tragstuhl nach, der den Gegenstand ihrer zärtlichsten Sorge trug. »Bleib' bei ihr,« bat Thyrnau – »und tröste sie – ich muß sogleich fort.«

»Verhaftet bist Du?« rief jetzt Hieronymus – »Ist es möglich? Verhaftet – wie kann dies jetzt ausbrechen – wer kann der Verräther sein?«

»Darüber bin ich außer Zweifel! Vergißt Du den Besuch, den ich vom Fürsten von S. hatte? Vergißt Du das Attentat im Walde von Tein? Dem jungen Thoren, den es traf, galt es nicht, aber dem Erbprinzen und zwar von seinem Vater! Ernst hat es mir nicht eingestanden; aber ich wußte es so gut, wie er selbst, und er ließ den Gefangenen entspringen, um das grauenhafte Verbrechen der Öffentlichkeit zu entziehen.«

»Ist ein solcher Haß zu begreifen?« rief Hieronymus. »Für wie schlecht ich auch den alten Sünder hielt; diese teuflische Unnatur überrascht mich doch!«

»Er hat sich noch nie überzeugen lassen, daß es sein Sohn ist, und als er den Beweisen dafür nichts entgegen zu stellen wußte, hat er doch den allerhöchsten Eid geschworen, daß er ihn nicht dafür ansehe und Alles thun werde, diesen Bastard von der Erbfolge zu entfernen. Diese wahnsinnige Verblendung rettet doch in etwas die menschliche Natur – er hält sich doch wenigstens nicht für den Vater.«

»Wie aber kann er als Dein Ankläger auftreten, da er selbst eine mitspielende Person ist?«

»Seine Lage ist besser als die meinige, das ist gewiß, und der Angeber wird im Vortheil sein, vielleicht schon Zugeständnisse empfangen haben. Doch zu Magda zurück. Du bist meine einzige Stütze für sie; denn Barbara hat mir aus Mailand geschrieben: sie hat ihre alte Wanderung zu Francescos Mutter angetreten und lebt für einige Zeit als Pensionärin im Kloster der Büßerinnen. Dagegen hofft Magda bis jetzt noch mich begleiten zu können, und die Ruhe, in der Du sie siehst, ist blos eine Folge dieses Entschlusses, dieser Hoffnung! Bereite sie auf die Unmöglichkeit vor, der sie sich wird fügen müssen – ich will indessen Alles zusammen suchen, was sich noch an Papieren über diese Sache vorfindet. Gott schütze das unglückliche Kind, auf das die Schläge des Schicksals sich jetzt häufen.«

Das wird harte Stürme geben!« sagte Hieronymus. »Und dabei ihre erschütterte Gesundheit – sie hat eine Reizbarkeit, die wenig Nachhülfe bedarf, so phantasirt sie ohne Fieber – und dann renke ein, wer kann!«

Magda hatte befohlen, auf der Terrasse Halt zu machen; sie wartete, bis alle Nachfolgenden hier versammelt waren. Die Gerichtsherren erklärten, des Hieronymus kurze Unterredung mit Thyrnau habe auch ihn zu ihrem Gefangenen gemacht, bis die Beschlagnahme der Papiere vollzogen sei, und beide Männer sahen nun kein rechtes Mittel mehr, Magda zu entfernen, welche vielleicht nur den Bitten Hieronymus nachgegeben hätte. Sie ertheilte in ihrer Gegenwart der Kastellanin Anweisung, ihre Reisekleider zu dem Gepäck des Großvaters zu fügen, und wendete dann wieder ihre ganze Aufmerksamkeit ausschließlich jeder Bewegung zu, welche Thyrnau und die beiden Gerichtsherren machten.

Die Herren theilten sich nach dem kurzen Frühstück, das sie stehend eingenommen. Der Eine begab sich mit der Hälfte der Mannschaft nach dem Dohlenneste, während der Andere mit Thyrnau, Hieronymus, Magda und dem Offizier des Kommandos die Zimmer durchstreifte und alle sich vorfindenden Papiere in Verwahrung nahm. Thyrnau war den Herren hierbei auf eine unbefangene Weise behülflich und zeigte die Ruhe und Sicherheit, die sich keineswegs mit einer Anklage, die den ernsten Namen des Hochverrates trug, zu vereinigen schien. Nach Beendigung dieses Geschäfts trat eine lästige Zeit der Ruhe ein, da die Rückkehr der Andern vom Dohlenneste erwartet werden mußte. Thyrnau sah ein, daß der Augenblick gekommen sei, der ihn zwinge, nun selbst den Kampf mit Magda anzufangen, von dem er fühlte, daß er überstanden werden mußte. Aber das herausfordernde Wort kehrte immer wieder in sein bewegtes Herz zurück, wenn er auf das bleiche Mädchen sah, die ohne Thränen mit der festesten Entschlossenheit auf dem schönen Antlitz neben ihm saß, ihren Arm unter den seinigen gesteckt und mit großen Augen jede Bewegung der beiden fremden Männer bewachend, als wolle sie Den abwehren, der ihm zu nahe kommen könnte. »Magda,« sagte er fast schüchtern – »ich habe Dich an Hieronymus übergeben« – er hielt inne, denn er begegnete dem großen, ruhig sich zu ihm wendenden Auge Magda's. – »Geht Hieronymus mit uns?« fragte sie – mit Mühe die fest gepreßten Lippen öffnend. –

»Nein, Magda!« Hieronymus bleibt hier und deshalb sagte ich – daß ich Dich ihm übergeben habe –«

»Was soll mir das?« entgegnete Magda, während eine seine Röthe auf ihren Wangen aufstieg – »da ich mit Dir gehe!«

»Das wünsche ich weder,« sagte Thyrnau – »noch ist es möglich! Ein Verhafteter kann nie einen seiner Verwandten bei sich haben.«

»Aber ein junges Mädchen,« sagte Magda – »ein halbes Kind, wie Du immer meinst – die nichts will, als bei Dir sein oder Dich bedienen – die lassen sie überall mit ein, das kannst Du glauben!« Es lag so viel Sanftmuth, so viel tiefer Kummer in ihrem Ton, daß Thyrnau sich umsah, wie nach Hülfe. Sein Auge streifte den Gerichtsherrn, der wegen seines Amtes ihnen hatte nah bleiben müssen.

»Es thut mir leid,« sagte dieser, Thyrnau verstehend, »das arme junge Mädchen betrüben zu müssen. Aber allerdings hat der Herr Großvater Recht, wir dürfen Ihre Begleitung nicht gestatten. Außer uns darf Niemand in dem Wagen bei ihm einsitzen!« Sie hatte ihren Arm zurückgezogen und beide Hände fest in ihren Schooß gepreßt; sie zählte die Worte aus dem Munde des Fremden – dann sagte sie: »Ach, das thut nichts! Ich bin schon wieder gesund genug – ich habe ein kleines Pferd, darauf kann ich gut nebenher reiten – das läuft so schnell wie Ihre großen Pferde. Dies richtete sie an den Offizier, der sich stumm vor ihr verbeugte.

Sie stand sogleich auf, denn sie hoffte nun, alle Ursach' ihres großen Schreckens sei vorüber und seufzte tief auf, als wolle sie sich entlasten – und als sie Thyrnau ansah, lächelte sie zuerst seit langer Zeit, fiel vor ihm nieder und küßte seine Hände. Diese muthigen Männer, die sich rühmten, Jedem Widerstand leisten zu können, wußte Alle nicht das Wort zu finden und Einer erwartete vom Andern den Widerspruch, der hier nothwendig eintreten mußte.

Thyrnau zerriß endlich sein gepreßtes Herz. »Muthig, Magda! muthig! Sei mir jetzt die Stütze, die Du oft gelobt – die ich in Dir zu finden erwartet habe. – Du kannst mir nicht folgen – Du mußt mir versprechen, hier unter dem Schütze von Hieronymus ruhig Deine Genesung abzuwarten – Du mußt mir versprechen –«

»Ich will Dir versprechen,« rief Magda – wie eine Feder von der Erde aufspringend – »Dir überall zu folgen, wohin die bösen Menschen Dich treiben werden! Ich will Dir versprechen, daß Dir Dein Schatten nicht treuer sein soll, als Deine Magda – und ich will sehen, wer Kraft und Recht hat, es mir zu wehren! O! wie mochtest Du denken, daß es anders sein könnte – wie mochtest Du denken, die leeren Einwände könnten mich abhalten! Guter Herr! betrübt Euch nicht um Eure Kutsche,« rief sie – »die müßt Ihr mir abschlagen – das kann sein – aber weiter braucht Ihr nicht zu gehn!«

»O Magda! fasse Dich,« rief Thyrnau schmerzlich – »mache Dir und mir das Unvermeidliche nicht so schwer!«

»Nein! nein!« fuhr Magda in steigender Aufregung fort – »sieh Du nur ein, was unvermeidlich ist! Unvermeidlich ist, daß ich Dir folge in die große Wüste hinein, wo sie Alle zornig stehn und auf Dich warten, wie reißende Thiere. Wie Du nur nicht einsehen willst, daß ich da mit Dir gehen muß – denkst Du, daß ich sie fürchte? Sieh', ich sehe Deine blauäugige Kaiserin – Deine Theresia – mit dem schönen stolzen Hals, der so wogt wie ihre Gedanken – aber der Muth sinkt mir nicht, sondern ich fühle ihn erst recht! Gut, daß ich ein Kind bin, wie Du mich oft bezeichnet – das hat alle Thüren auf – die Ihrige auch! Was will sie wohl machen vor der großen Wahrheit, die ich ihr sagen kann? Siehst Du's nun ein?« fragte sie – immer noch hoffend, sie wäre fertig mit dem Widerstände.

»Nein! Magda, denn Du irrst Dich, wenn Du hoffst, Du würdest zur Kaiserin dringen können. Auch wird Alles, was mich vertheidigen kann, vor die Kaiserin kommen – so sicher – als sagtest Du es ihr selbst.«

»Desto besser!« fuhr Magda fort – »dann brauche ich mich gar nicht von Dir zu trennen – dann bleibe ich den ganzen Tag bei Dir und wir können uns recht viel erzählen.«

»Das geht eben nicht, mein liebes Kind,« sagte der Gerichtsherr – »denn unter den Umständen, wo der Herr Großvater nach Wien geführt werden, darf Niemand ihn begleiten – ich muß das streng untersagen.«

»Untersagen,« wiederholte Magda – und lachte erschreckend wild dabei auf – »untersagen müßt Ihr es? Habt Ihr auch Gewalt, es zu untersagen? Ich werde ihm folgen wie die Luft, die Euch umströmt – ich werde ihm nah sein wie das Laub der Bäume, das um Euren Wagen schlägt – wie der Vogel, den Ihr am Wege aufscheucht und der Euch nachfliegt – könnt Ihr es ihm untersagen? Die Blüte, die Euch in den Schooß fällt und dann mit fährt, der Sonnenstrahl, der Eure Schläfe brennt – könnt Ihr es ihnen untersagen? Und so wird Magda sein! Magda wird ihrem Großvater folgen – sie wird bei ihm bleiben und Ihr werdet leichter den Epheu aus dem alten Eichenstamm reißen, wohinein er die langen Wurzeln senkte – als Magda von seiner Seite.«


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