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Alle waren aufgestanden, Magda ergriff wieder den Arm des Großvaters, und indem sie sich daran fest klammerte, war es ihm, als habe sie übermenschliche Kräfte. Wangen und Augen glühten; sie blickte bald den Gerichtsherrn, bald den Offizier mit einer Strenge an, als wollte sie sie warnen, mit ihr den Kampf zu beginnen. – Auf dem Gesichte Thyrnau's drückte sich der tiefe Gram aus, den der Zustand des geliebten Kindes ihm verursachte. Wie rathlos fühlte er seinen Verstand, wie unbedingt hätte er in ihr Begehren eingewilligt, da er die unbezwingliche Gewalt ihres Verlangens so wohl verstand, hätte er nicht eingesehen, daß die Beamten sich widersetzen mußten.
»Herr Thomas Thyrnau,« redete ihn in diesem Augenblick der Gerichtsherr wieder an – »Sie werden am Besten den Gehorsam ihrer Enkelin in einer Sache bewirken können, die Sie als Geschäftsmann so gut einsehen werden als wir selbst; verhüten Sie es durch Ihren Zuspruch, daß wir dem lieben Kinde wehe thun müssen.«
Der Beamte wie der Offizier traten in die Thüren und blickten in den Garten, um dem alten Herrn eine freiere Mittheilung zu gestatten. Thyrnau seufzte tief auf. »Magda,« sagte er – »der schwerste Theil dessen, was mir diese Zeit an Leiden brachte, ist Dein maaßloser Widerstand in diesem Augenblick! Denke Dir, wie verletzt mein Herz sein würde, wenn ich meine ganze Strenge gegen Dich hervorrufen müßte, um Deinen starren Sinn zu brechen, da doch Dein Unrecht nur der Unverstand Deiner mir so theuren kindlichen Liebe ist.«
»So glaube an Nichts als an diese Liebe,« sagte Magda, rasch sich vor ihm niederwerfend und seine Füße umschlingend – »denkst Du, es ängstige mich nicht, so streiten zu müssen? Hu! es ist sogar schrecklich. Darum nimm den Streit von mir, denn ich kann nicht anders! Sieh', ich habe es vorher versucht, Dir nicht zu folgen – ich dachte es einen Augenblick – bleibe hier, weil er es will – aber das denke ich nie wieder, denn Höllengeister sind nicht schlimmer, als das böse Gelächter, was da Alles in mir aufschlug!«
»So muß ich denn Deinen Streit beendigen,« rief Thyrnau, von seinem tiefen Herzenschmerz zu seiner alten Energie getrieben. »Ich will Deinen Streit beendigen, denn ich will Dir keinen Willen lassen. Ich befehle Dir zu bleiben!« rief er und hob sie wie eine Feder vom Boden auf – »So wie Hieronymus nach Tein zurück kommt, wirst Du ihm folgen und Dich unbedingt in diese Anordnung finden, wenn Du es verweigerst, die Nothwendigkeit davon einzusehen.«
Es entstand eine Todtenstille. Er hatte sie in einen Lehnstuhl gesetzt und ging, die Hände auf dem Rücken, in einer Bewegung auf und nieder, die zornig hätte scheinen können und doch nur Schmerz war. Als er sich wieder umwandte und den Kopf hob, als lausche er einem Geräusch im Vorzimmer, erschrak er vor Magda's Anblick. Sie war so sitzen geblieben, wie er sie hingesetzt hatte, aber sie machte ihm einen schrecklichen Eindruck! Ihre erstarrten Züge, ihr farbloses Gesicht, ihre unbeweglichen und völlig leblosen Augen hatten den Ausdruck des Blödsinns. Er mußte denken, seine Heftigkeit habe ihr den Verstand geraubt. Er schauderte und eilte durch das Zimmer bis zu ihr hin.
Seitwärts öffnete sich die Thür; er hörte es nicht. Die Gräfin von Lacy trat ein, ihr Blick überflog wie ein Blitz die Anwesenden – sie wußte Alles – und als sie Magda erkannte, die fast unkenntlich sich scheu vor ihrem jetzt vor ihr knieenden Großvater zusammen kauerte, entfuhr ihren Lippen ein Schrei und sie stürzte auf Magda zu und hatte ihren Arm um sie geschlungen, ehe noch Beide sie gesehn.
Magda behielt den Großvater mit allen Zeichen der Furcht im Auge; sie zog die Füße auf den Stuhl hinauf und drückte sich, ohne die Gräfin anzusehn, ganz in ihre Arme hinein.
»Magda,« rief Thyrnau außer sich – »erkenne mich doch – ich bin es ja – Dein Großvater! O fürchte Dich doch nicht vor mir – gieb mir doch Deine Hand!« Doch, als er sie fassen wollte, stieß Magda einen herzerreißenden Schrei aus und mit einer Schnelligkeit und Kraft, die sie augenblicklich befreite, sprang sie über die Seitenlehne des Stuhls und stürzte sich gegen die Gartenthür.
Doch weiter konnte sie nicht, sie taumelte. Die Gräfin, die alle Besonnenheit behalten, hielt sie schon in ihren Armen. – Diese Ohnmacht – die den Zustand vielleicht brach, war eine Wohlthat für den unglücklichen Thyrnau; er half der Gräfin sie auf ein Ruhebett tragen, er hielt ihre kalten Hände, die sie ihm nicht mehr entzog, und suchte sie zu erwärmen – und ihr in dem Schlaf der Ohnmacht sanft beruhigtes Gesicht zeigte nicht mehr die Verzerrung, die ihn vorher erschreckte. Wunderbar war es, daß diese Beiden, die sich in Magda's Pflege unterstützten, ganz diesem einen Interesse hingegeben waren und mit keinem Worte oder Zeichen sich befrugen – wer es war, der sich dem Andern zugesellt. Ob Beide es ahnten – ob nur die Gräfin – ob es überhaupt schon zu dieser Frage in ihrem Innern gekommen war – es blieb noch unentschieden. Aber wer sie beobachtet, hätte sie für alte längst vereinigte Freunde halten müssen. –
Auch rief das Flacon der Gräfin Magda schnell ins Leben zurück und zu Thyrnau's unsäglichem Entzücken lächelte sie Beide an – richtete sich auf ihrer einen Hand empor und sagte sanft: »Wie mag das Alles zugehn – wie kommt die liebe Fürstin Morani hierher – und warum bist Du so traurig, Großvater?«
Die Gräfin erröthete; Thomas Thyrnau stand gefaßt auf, aber Beide fühlten einen peinlichen Augenblick. Die Gräfin war indessen gekommen, um zu sprechen; sie fand das Wort zuerst. Sie reichte Thyrnau mit einem fast bittenden Blicke die Hand und wandte sich mit rührender Zärtlichkeit zu Magda: »Wir erfuhren in Wien die Maaßregel, die Dich heute so erschreckt hat, mein liebes Mädchen, und da Lacy – durch dieselben Umstände verhindert ward, selbst nach Tein zu kommen, beschloß ich, statt seiner die Reise zu machen, da Du unser größter Kummer warst, weil wir Dich noch krank wußten und uns Deinen Schmerz und Deine Sorge lebhaft denken konnten!« Die Gräfin fühlte hier, daß Thyrnau ihre Hand warm drückte und es that ihr innig wohl.
»Das gab Ihnen Gott ein, gnädigste Gräfin,« sagte Thyrnau – »denn Sie finden uns in Wahrheit grade um dies theure Kind in großer Sorge. Wie leicht verfehlt ein Mann die Art und Weise, wie so tiefer Aufregung zu begegnen ist, während die bloße Nähe einer Frau schon lindernd wirkt.«
»Ich danke Ihnen für dies Vertrauen,« sagte die Gräfin gerührt – »möchte es Magda theilen – möchte sie fühlen, wie wir um sie sorgten – wie wir es als unsere heiligste und nächste Pflicht ansahen, ihr zu helfen – möchte meine Nähe, meine Pflege doch etwas die herbe Trennung von Ihnen vergüten können.«
Magda hatte gespannt zugehört und jedes Wort wohl erwogen. Vieles mochte ihr in der kurzen Zeit klar geworben sein, und von so tiefem Weh erschüttert, ward sie kaum noch von dem neuen Zuwachs dieser Gefühle überrascht. Auch hatte sie die Wahrheit gegen sich selbst gehabt, sich keiner Hoffnung, keiner Träumerei mehr hinzugeben, seit Lacy's erstem Geständniß, und so fragte sie sich fast hart: warum sie nicht solle sehen können, was sie wisse? Sie blickte deshalb Claudia fest an und die alte Liebe siegte; ja! wie sie den gütigen Ton der Stimme, die wohlwollenden Gesinnungen aussprechen hörte, sehnte sie sich nach ihr; sie setzte beide Füße zur Erde und dann lag sie plötzlich an dem Busen der Gräfin. Mit welcher Liebe drückte die edle Frau das theure Kind an sich; wie hob diese innige Umarmung so viel unter ihnen auf, was sie beängstigen wollte und gönnte der Liebe ihre freie Entwicklung.
»Du nimmst mich also an, meine Magda,« sagte sie zärtlich – »und ich soll bei Dir bleiben – und hier Dich trösten?«
»Ja,« sagte Magda – »bei Ihnen will ich bleiben – und trösten werden Sie mich können. Aber nicht hier – jetzt ist das letzte Hinderniß entschwunden! Es wird Ihnen Niemand wehren können, hinter dem Großvater her zu fahren, oder voran. Dann bin ich, wo er ist – und kann ihn täglich sehn, wenn er aussteigt oder der Wagen hält, durch das Wagenfenster, und in Wien will ich schon Alles erreichen, was sein muß und darum sendet Sie gewiß Gott; denn sie hätten mich nicht mitgelassen und Gott wußte doch, daß ich nicht bleiben konnte.«
Die Augen der Gräfin streiften Thomas Thyrnau. »Ich überlasse die Entscheidung Ihnen, Frau Gräfin,« sagte er. »Zu lange habe ich schon den Wunsch des armen Kindes bestritten; jetzt weiß ich nicht, ob mein Widerstand noch Grund hat; da Sie mit dem großmüthigen Wunsche gekommen sind zu helfen, so willigen Sie ein, dies arme Mädchen in Ihren Schutz zu nehmen. Und – Magda – ich hoffe, Du wirst Dich zu dem lenken lassen, was die edle Gräfin für Dich bestimmt.«
Magda schwieg; als die Gräfin sich aber zu ihr setzte und sie umschlang, da hob Magda das blasse Gesicht zu ihr auf und mit einem leisen Versuch zu lächeln sah sie so bittend, so unwiderstehlich überzeugt zu ihr hin, daß Claudia bloß ihre Stirn küßte und leise fragte: »Wirst Du auch die Reise aushalten? Du siehst noch so krank aus, Du bist so schwach, so reizbar und heftig zugleich; das deutet Alles darauf hin, daß Du noch krank bist.«
»Ich will sanft sein wie ein Lamm,« sagte Magda leise – »wenn ich nur mit ihm kann. Davon bin ich wieder so krank geworden, daß Alle dachten, ich könnte es lassen, wie sie es mir befahlen!«
»Nun,« entgegnete die Gräfin – »so soll Dir nichts weiter in den Weg gelegt werden und wir überlegen dann in Wien das Nöthige. So nehmen Sie uns denn mit, Herr Thomas Thyrnau,« fuhr sie fort, sich gegen ihn wendend – »dann sind wenigstens Alle, die ein gemeinsames Geschick umschlingt, beisammen, und sie wissen Magda bei mir und Lacy in sichern Händen.«
»Nein,« sagte Magda – »ich gehe sogleich zu Barbara, meiner Tante, nach dem Ursulinerhof!«
»Sie ist in Mailand bei Deiner Großmutter,« erwiederte Thyrnau, sie scharf beobachtend –
Magda senkte erschrocken den Kopf. »Der alte Palast Morani ist Deine wahre Heimat,« sagte die Gräfin gütig – »von dort aus bleibst Du am Besten mit Allem in Verbindung, was Deinen Großvater betreffen wird und Deinen Absichten förderlich sein kann.«
»Ist das auch Gottes Wille?« rief Magda lebhaft und blickte Beide ernst und forschend an. –
Sie blieben ihr die Antwort schuldig, denn so eben traten Hieronymus und die nach dem Dohlennest Versendeten mit ihrem Auftrag fertig zu ihnen in den Saal. Hieronymus wurde sogleich von dem Willen Magda's unterrichtet und obwol er oftmals mit dem Kopf schüttelte und viel Widerstrebendes in den Bart murmelte, kannte er doch Magda zu gut, um den Sturm, nachdem sie anfing einige Ruhe zu genießen, noch einmal anregen zu wollen. Er beschäftigte sich daher blos damit, so weit es seine eigne Lage gestattete, alle Reisemaaßregeln vorsichtig einzuleiten und von den Kommissarien auszuwirken, daß die ganze Abreise erst gegen Abend unternommen werde und bis dahin Jedem – unter den ihnen nöthig scheinenden Vorsichtsmaaßregeln – eine abgesonderte Ruhe im eignen Zimmer zugestanden werde. Die Gräfin Lacy nahm diesen Vorschlag nicht minder dankbar an, als alle Uebrigen, da sie sich bei der Hinreise keine Rast gegönnt und sie jetzt den unmittelbaren Aufbruch als das Beste und Allen Hülfreichste ansehen mußte und fest entschlossen war, durch keine Rücksicht auf sich selbst ein Hinderniß eintreten zu lassen.
Das Bestreben der antifranzösischen Partei, die aufgefundene Konspiration so öffentlich wie möglich zu machen, um dadurch aus der vertrauenderen begütigenden Stellung, die nachgerade zwischen den beiden beteiligten Höfen eingetreten war, in eine drohende überzugehen, ward mit allen Waffen, die Kaunitz noch in diesem wüsten unüberlegten Andrang zu gebrauchen vermochte, bekämpft. Aber die Kaiserin sträubte sich gegen ihre eigene höhere Einsicht, um sich endlich einmal mit allem Rechte, wie sie wünschte, über eine Angelegenheit erzürnen zu dürfen, die immer in der Stille sie dazu gereizt hatte und wozu ihr beständig und namentlich von Kaunitz das Recht nicht zugestanden worden war. Sie zeigte jetzt eine Aufregung, die sie an Allen ausließ, die sie in dieser Angelegenheit früher aufgehalten oder sie später zugleich zu annähernden Schritten verleitet, und da dies leider nur wenige waren, so bekamen Kaunitz und die Prinzessin Therese ihr volles Theil. – Es hätte scheinen können, daß Kaunitz ihr ganzes Vertrauen verloren habe, so stachelte sie ihre Rede bei jeder nöthigen Erörterung mit ihm – und doch blieb der große Menschenkenner diesen Erscheinungen gegenüber gefaßt und, sich und was er augenblicklich zu leiden hatte, gänzlich vergessend, nur darauf gerichtet, seine angebetete Kaiserin in dieser Zeit ihres unbezähmten Zürnens zu bewachen, damit keine Handlungen ins Leben treten konnten, von denen er gewiß war, ihr erleuchteter Geist werde sie bei wieder gewonnener Ruhe zu bedauern haben. Seine Lage war um so schwerer, da er allein stand und die Kaisenn von Keinem wiederholen oder bestätigen hörte, was Kaunitz mit der wahrhaft ungestümen Inbrunst eines treuen Dieners von ihr forderte. Sie hatte den Grafen Bartenstein und Uhlefeld, ihren beiden Ministern des früheren Systems, die Einrichtung einer Special-Kommission übertragen, in der diese ganze Sache verhandelt werden sollte. Sie mußte wissen, wie tief sie Kaunitz durch einen Schritt kränke, der ihn bei einem so wichtigen Vorfalle fast zum Besitzenden machte und diese Sache in die Hände einer Partei legte, die, wenn auch von ehrenhafter Gesinnung, doch völlig bornirt in einem dem seinigen entgegengesetzten System, ganz natürlich geneigt sein mußte, diese Entdeckungen als Belege ihrer fest behaupteten Grundsätze anzusehn, und deren Unparteilichkeit daher in so arge Versuchung geführt ward, daß die Sache selbst dadurch bedroht werden mußte. Doch hielt Kaunitz in diesen täglich sich häufenden Uebelständen an der Seite der Kaiserin muthig aus, um zu retten, was sich ihrer Aufregung entziehen ließ. Auch lag oft in den Blicken der Kaiserin ein Etwas, was ihn kräftigte – es war ein Feuerblick, mit dem sie durch ihr verdüstertes Auge plötzlich durchzudringen schien und der wie gegen ihren Willen dem unerschütterlich treuen Unterthanen zurief: Du bist doch ein tüchtiger Mensch! – Er war vielleicht nie großer, nie edler! verdiente vielleicht die Bürgerkrone und die goldenen Sporen nie mehr, als indem er Unbill erlitt und sich ihr nicht entzog, um schwere Dienste seiner Herrscherin, seinem Vaterlande leisten zu können!
Er mußte es schon als einen Sieg dieser nicht wankenden Treue ansehn, daß die Kaiserin endlich den Befehl unterzeichnete, daß die ganze Unterhandlung bis zu ihrem Ende ein Staatsgeheimniß bleiben, auch die Untersuchungen nicht öffentlich in dem Staatsarchiv gehalten werden sollten, sondern in einigen festen Gemächern der Hofburg, und daß der eingebrachte Gefangene nicht nach dem öffentlichen Zuchthausgefängniß, sondern nach einem jener befestigten Gemächer geführt werden sollte; welche Auskunft die Angelegenheit aus dem Bereiche einer Menge unberufener Neugieriger zog und eine leise Hoffnung des Grafen Kaunitz nährte, daß dies Gericht – in die Nähe der Kaiserin gebracht – vielleicht ihre eigene Theilnahme gewinnen könnte. Daß er dies wünschte, zeigte, wie hoch er sie ehrte, wie gut er sie kannte! Ihre ungeduldige Lebhaftigkeit sollte sie zu dem Schritte verführen; von ihrem großen Geiste, von ihrem wahrhaftigen Karakter hoffte er dann die Unterstützung zu erhalten, die ihn nicht mehr allein zu stehn fürchten ließ.
Die Zeit, die nothwendig hingehen mußte, ehe diese Einrichtungen bis zu der Form eines zu eröffnenden Gerichtes vorschritten, blieb bei der Stimmung der Kaiserin auch nicht ganz ohne Einfluß; da sie genöthigt war, während dieser Zeit mit Kaunitz über die laufenden Geschäfte zu unterhandeln, trat theilweise das alte Verhältniß in seine Rechte und der Graf freute sich oft, wenn er wahrnahm, wie sie sich erst darauf besinnen mußte, daß sie ihm zürnen wolle.
Bartenstein und Uhlefeld benutzten dagegen diese Zeit, um sich von den Umständen zu unterrichten; sie hatten mit dem Fürsten von S., welcher vorläufig der Träger dieses ganzen Aufruhrs war, täglich Konferenzen und ordneten danach den Gang, den der Prozeß zu nehmen habe. Wie viel Lücken ihnen blieben, mochten sie sich kaum eingestehen, oder hofften doch, sie durch das Erscheinen der beiden Angeklagten, des Grafen von Lacy und des Advokaten Thyrnau, gelöst zu sehen. Die Hauptbeweise blieben zunächst der Nachweis, daß durch Thomas Thyrnau die bedeutendsten Summen nach Frankreich gegangen waren und daß die Gegenstände, wofür diese Zahlungen erfolgten, einen sehr verdächtigen Namen führten, der nothwendig eine wirksame Stütze der übrigen Anschuldigungen werden mußte. Daß diese Zahlungen sogar durch den jüngeren Grafen Lacy gegangen waren, ließ sich nachweisen, und selbst noch spätere Zahlungen schienen die Dauer dieser verdächtigen Verhältnisse bis in die Gegenwart hineinziehen zu wollen.
Nach der Unterredung mit Lacy, die so unbefriedigend ausgefallen, während die Erlaubniß dazu der Kaiserin schon fast gegen ihren Willen von Kaunitz entrissen war und ihr der schlechte Erfolg derselben gar nicht zu entziehen blieb, wodurch sie sich noch mehr erbittert hatte – enthielt sich Kaunitz jeder geheimen Unterredung, von der er überzeugt sein konnte, sie werde beobachtet und verrathen. Nur Stahrenberg, der würdige Gefährte seiner großen Pläne, ward von dieser störenden Episode unterrichtet und zu wol berechneten Nachforschungen auf seinem Platze als Gesandter am Versailler Hof aufgefordert; er durfte hoffen, daß dieser kluge und vorgeschrittene Staatsmann geneigt sein werde, auch das zu entdecken, was die Voraussetzungen widerlegen oder entkräften könne, mit welchen seine ministeriellen Instruktionen ihm die Richtung zu geben suchten. Auch bei diesen Instruktionen hatte es der ganzen klugen Beredsamkeit und der eisernen Festigkeit des Staatskanzlers bedurft, um das äußerlich eingeleitete Verhältniß zu Frankreich nicht damit zu verderben. Er hatte darauf gedrungen, sich des tiefsten Geheimnisses zu bedienen, um Zeit zu gewinnen, die durch Graf Stahrenberg verlangte Auskunft erst mit dem erregten Verdacht zu vergleichen, ehe man ihm Einfluß nach Außen gestattete. Eben so hatte man endlich nachgegeben, die im Lande selbst vom Fürsten von S. bezeichneten Personen unangefochten zu lassen, da durch ihre Verhaftung ein Aufsehn erregt werden mußte, welches Kaunitz so lange als möglich verhindern wollte.
Lacy's Verhaftung auf Ehrenwort war wenig auffallend, und – da er versprochen, sie, so weit es thunlich war, der Aufmerksamkeit zu entziehen – so kam ihm die Abreise seiner Gemahlin, mit der man die seinige verbunden hielt, dabei zu Hilfe.
Kaunitz fühlte, daß Alles auf diesen so oft genannten Thomas Thyrnau ankomme; er erwartete ihn deshalb mit eben so viel Ungeduld als steigendem Mißbehagen, und hatte sich von ihm fast gegen die geltendsten Zeugnisse ein ungünstiges Bild zusammen getragen und fand sich aufs Höchste gereizt, weil er annahm, daß die Thorheiten eines mit müßigen Träumen angefüllten Kopfes seine so hochwichtigen Pläne durchkreuzt hätten. Er fürchtete nur zu sehr, daß der lange mißleitete französische Hof in die Schlingen eines Ränkemachers habe fallen können, der nun vielleicht die Mittel besitze, jene Unbesonnenheiten zu erweisen, um sich auf Rechnung derselben der schweren Verantwortung zu entziehen, die in der gemachten Anklage lag. Thomas Thyrnau war aber bekannt genug, um jede Nachforschung über ihn zu erleichtern; schon der Name seines Vaters war ehrenvoll bekannt, der Sohn hatte das Ansehen seines Vaters geerbt; er stand überall ohne Tadel, und Kaunitz kannte seine Standesgenossen zu wol, um nicht zu wissen, was er von der hochmüthigen Gleichgültigkeit zu denken habe, mit der man ihn passiren ließ. Er mußte sich eine sehr tadellose Stellung zu gewinnen gewußt haben, da diese durch jede Bedeutenheit außer den Kreisen ihres Standes fast Beleidigten ihn blos verleugneten, obwol gelegentlich entschlüpfte Aeußerungen andeuteten, wie nöthig Viele ihn gehabt hatten. Dessen ungeachtet glaubte Kaunitz die Eigenschaften eines geschickten Advokaten, eines fähigen Rathgebers möchten sich sehr wohl mit einem intriguanten Kopf und hochstrebendem Ehrgeiz vertragen, und gewiß war es kaum möglich, in der Kaunitz entgegen gesetzten Partei entschiedene Vorurtheile gegen Thomas Thyrnau zu nähren, als dies bei dem Einzigen der Fall war, der doch lebhaft wünschte, er möge sich und die Sache als unschuldig beweisen zu können.
Endlich waren die Vorbereitungen mit der Ankunft des Beklagten beendigt und die Herren baten um eine Audienz bei der Kaiserin, um ihr Anzeige davon machen zu dürfen und ihre weiteren Befehle zu erbitten.
Kaunitz sah, wie das stolze Blut der sanguinischen Frau ihr Angesicht überflog, als der Graf Bartenstein als Vorsitzender diese Rede an sie richtete: aus ihren großen Augen schoß ein Blick wie ein Pfeil, als dürfe sie keine Gelegenheit versäumen, Kaunitz jede Verantwortlichkeit für die ihr auferlegten Kränkungen in Erinnerung zu bringen. Als sie wie gewöhnlich dafür den ruhig kalten Blick ihres Staatskanzlers im Empfang genommen, wandte sie sich zu den Grafen Bartenstein und Uhlefeld und sagte kurz und streng: »Ich hoffe, ich habe diese Sache in die Hände von Männern gelegt! Ich hoffe, Ihr werdet meinen Willen, diese Angelegenheit mit aller Strenge und Genauigkeit bis zu ihren Wurzeln zu verfolgen, hinreichend erkannt haben – und ich mache Euch für jede Versäumniß oder Uebereilung derselben bei meiner Ungnade verantwortlich – ich bin,« fuhr sie, die Fronte etwas gegen Kaunitz nehmend, fort – »es durchaus müde, mich mit Freundschaftsbetheuerungen meiner falschen Nachbarn täuschen zu lassen und will diese Sache klar dargelegt haben – und werde dann meiner eignen Ueberzeugung folgen, die mich alle aufgenöthigten Neuerungen ihrem wahren Gehalte nach wird durchschauen lassen, um sie demnach wieder dahin zu verweisen, wo meine erhabenen Vorfahren sie bis jetzt – mit gutem Grunde denke ich – zu erhalten wußten.«
»Wenn Euer Kaiserliche Majestät zu gestatten geruhen,« sagte Graf Bartenstein – »so werden wir morgen das erste Verhör beginnen.«
»So sei es,« erwiederte die Kaiserin – »jedes Protokoll soll mir nach jedem geschlossenen Verhör überbracht werden; über jedes Einzelne verlange ich Euren jedesmaligen Vortrag, denn ich will diesen Schlangenwegen jetzt Schritt vor Schritt selbst folgen, mich nicht wieder überreden lassen, daß ich den Träumen einer milzsüchtigen Frau nachhänge, sondern mich überzeugt halten, wie gerade die Fehler, die man mich hat machen lassen, jetzt meine Erfahrung gewitzigt haben, um Euch damit zu Hilfe kommen zu können.«
Obwol sie Alles hatte sagen müssen, wozu ihr cholerisches Blut sie trieb, machte sie doch, nachdem sie ihm genug gethan, die alte Erfahrung, daß sie wiederum den Andern ihren Triumph über Kaunitz nicht gönnte, und als sie ihn gerade und ruhig in seinem einfachen und doch so ausgezeichnet feinem Wesen mit den großen geöffneten Augen und dem blassen mienenlosen Gesicht, woran alle Beobachtung zu Schanden ward, vor sich stehen sah, ihren Worten ohne das kleinste Zeichen der Kränkung lauschend, sagte ihr großes gerades Herz: »er steht Dir doch am nächsten,« und sie senkte nachdenkend ihr Auge, und viel leiser und milder als alles Frühere setzte sie dann hinzu: »Versteht sich, Graf Kaunitz, daß ich dabei Eure Ansicht nicht entbehren will, denn noch nie hat es der Ergründung der Wahrheit geschadet, wenn wir aus einem geistreichen Kopfe und wahrhaftigen Munde entgegengesetzte Meinungen hörten. Wir werden wissen, zwischen beiden die unsrige zu bestimmen, denn hier haben alle Anwesende mein gleiches Vertrauen.«
Ihr rasches Kopfnicken beurlaubte die drei Minister; ihr Auge lag auf Kaunitz und es war, als erwartete sie, daß das seinige einen Augenblick länger, als nöthig war, auf ihr ruhen werde.
Das bezeichnete Special-Gericht hatte sich jetzt gebildet und bestand aus dem Grafen Bartenstein als Vorsitzendem, aus den Grafen Uhlefeld und Kaunitz, aus dem Baron Binder und den beiden Minister-Sekretären Dorn und Kallenbach.
Die Anklage des Fürsten von S. nebst den schriftlichen Beweisen, welche er zur Unterstützung seiner Aussagen übergeben hatte, lagen der Verhandlung als Aktenstücke zu Grunde. Nach der Prüfung derselben war man darin überein gekommen, das gerichtliche Verfahren, welches man auf den von Kaunitz bewirkten Befehl der Kaiserin in das tiefste Geheimniß zu hüllen genöthigt war, jetzt auch von den gerichtlichen Umschweifen loszumachen, die dem gewöhnlichen Gange der Gerichtshöfe anhingen und jede Verhandlung in ein Meer von Formalitäten stürzten, welche sie in nicht zu berechnende Verzögerungen verwickelten.
Es war zufällig das Interesse Aller, daß sich das zu erwartende Resultat sobald als möglich zur Entscheidung herausstellen möchte; denn keinem der Mitwissenden war zugleich unbekannt, wie die politischen Verwicklungen theils eine entscheidende Stellung zu Frankreich nothwendig machten, theils die Thätigkeit Aller nur mit Nachtheil den wichtigeren Geschäften entzogen werden konnte, die der aufs Neue bedrohte Zustand des Vaterlandes von allen Seiten mehrte. Jeder hoffte freilich, aus dieser schnellen Beendigung des Allen wichtigen Vorfalls, für das Interesse Vortheil zu ziehn, dem er besonders ergeben war, und vielleicht blieb die Kaiserin trotz ihres äußerlich dargelegten Zürnens auf Kaunitz doch die Einzige, die nicht schon im Voraus bestimmt wünschte, welche Entscheidung sich ergeben sollte. Sie beschloß, beide Parteien mit größter Strenge zu überwachen und sich durch Nichts in der Handhabung des Rechts irren zu lassen. Am liebsten hätte sie selbst zu Gericht gesessen und Allen merklich hatte sie den Verhältnissen, unter denen so etwas – ohne ihrer hohen Person zu nahe zu treten – möglich war, nachzuforschen gesucht; auch hatte Kaunitz ihr mit der Miene, als habe er sie nicht entfernt errathen, dazu eine Brücke gebaut, indem er es wirklich durchzusetzen gewußt hatte, daß man für den Gefangenen wie für das Gericht selbst die alten festen Gemächer, die in den Burggraben gingen und doch durch die bewußten ehemaligen Zimmer der Prinzessin Therese mit dem von der Kaiserin bewohnten Zimmer in Verbindung lagen, angewiesen hatte.
Es war am 20sten September des Jahres 1755, als das oben erwähnte Personal des Spezialgerichts sich in dem alten Gemache versammelte, auf welches in der Stille einige Sorgfalt verwendet worden war, und das bei hellem Kaminfeuer einen würdigen Anblick gewährte. Eine große Tafel, mit vier Lehnstühlen und zwei Tabourets für die Sekretäre umgeben, erhob sich gegen die Fensterwand; gegenüber befand sich eine Reihe Stühle, die man nicht aus ihrer Ordnung gerückt; ein sammetner Fauteuil war für den Fürsten von S. der Tafel gegenüber gestellt; in den Wänden rechts und links befanden sich Thüren. Die eine führte in die Gemächer, in deren Ende der Gefangene untergebracht war; die andere Thür führte nach einer Art Vorzimmer. Die Herren begaben sich durch dasselbe zur Versammlung. Die Thüren dahin blieben geöffnet und nur ein Vorhang trennte beide Gemächer. Man hatte an den Fenstern dieses Zimmers Vorhänge angebracht, den Kamin in Glut gesetzt, einen Teppich auf dem vernachlässigten Fußboden ausgebreitet und mehrere bequeme Lehnsessel herbeigeschafft, und die Herren, die sich darin sammelten, richteten, nachdem Jeder die besondere Ausstattung wohl in Augenschein genommen, Blicke auf einander, die eine Frage enthielten, welche jedoch Niemand aussprach. Später als Alle erschienen Graf Kaunitz und Baron Binder; der erstere entschuldigte sich sogleich gegen die Wartenden und nöthigte den Grafen Bartenstein den Vortritt zu nehmen, während er sich mit Graf Uhlefeld und Baron Binder anschloß.
Der Fürst von S. erwartete die Herren bereits in dem Gerichtszimmer und der beschlossene Gang der Verhandlungen bestimmte, daß in dieser ersten Sitzung den beiden Vorgeladenen – Lacy und Thyrnau – die Anklage des Fürsten von S. aus den darüber aufgenommenen Akten und von dem Fürsten selbst ergänzt, vorgetragen werden sollte.
Als man daher Platz genommen, gab der Graf von Bartenstein den Befehl, die Angeklagten einzuführen und die Gerichtsboten entfernten sich nach beiden Seiten. Der junge Graf von Lacy trat zuerst ein und seine Gestalt schien auf den Fürsten von S. einen lebhaften Eindruck zu machen; er ward noch braunrother als vorher, und seine Augen maßen mit stolz zurückgebogenem Halse den schönen jungen Mann, während dieser mit Ehrerbietung die Herren an der Tafel grüßte. Als er sich umwendete, um auf der gegenüber liegenden Stuhlreihe Platz zu nehmen, begegnete er dem unverschämt prüfenden Blick des Fürsten, und da er sogleich stehen blieb und in seiner Haltung die stolze Frage des Edelmanns hervortrat, sagte der Fürst leicht mit dem Kopfe nickend: »Sie gleichen Ihrem Ohm in seiner Jugend wie aus den Augen geschnitten!«
»Da Eure Durchlaucht mir durch Ihr dreistes Anblicken dies ehrenvolle Zeugniß ertheilen wollen,« erwiederte Lacy, »glaube ich es übersehen zu können!«
»Oho!« rief der Fürst – »es scheint, ich muß Euer Gnaden um Verzeihung bitten für meine Augen, die sich herausnehmen, Ihre werthe Person zu berühren.«
Die Antwort des Grafen blieb aus, denn eben öffnete sich die Thür, die nach den Zimmern des Gefangenen führte und Thomas Thyrnau ward Allen, die ihn mit Ungeduld erwartet hatten, sichtbar. Von jedem Bedenken verlassen, eilte der Graf von Lacy auf seinen edlen Freund zu, und Vater und Sohn konnten sich nicht inniger umschlingen als diese beiden Schwergeprüften.
»Und Magda?« fragte Thyrnau, sich aus Lacy's Armen zurückbiegend.
»Sie ist ein Engel in ihrem heil'gen Schmerz – und eine Heldin in ihren Entschlüssen!«
»Behüte sie!« sagte Thyrnau – »und lass uns jetzt zurücktreten, wir dürfen nicht zusammen sprechen.«
»Es schien, als habe Thyrnau selbst das Gericht an seine Rechte erinnern müssen. Mit einiger Beschämung hörten die Herren die Worte des Advokaten und fühlten, daß sie sich Alle einem neugierigen Anstaunen überlassen hatten, denn Thomas Thyrnau war ihnen auch außer der jetzt vorwaltenden Beziehung als ein ausgezeichneter Mann, berühmter Advokat und sehr reicher Kapitalist wohl bekannt und erregte ganz die Aufmerksamkeit, als wollten sie nun den Vergleich zwischen seiner Person und diesem auffallenden Ruf anstellen.
Thomas Thyrnau eilte aus den Armen Lacy's mit raschen und kräftigen Schritten der Gerichtstafel zu und grüßte alle Anwesende mit Ruhe und Achtung.
»Er weiß sich zu beherrschen,« sagte Kaunitz mit großem Vergnügen zu sich selbst. Er begleitete ihn mit den Augen bis zu seinem Stuhl, und es freute ihn noch mehr, als er sah, daß der Fürst von S., der sichtlich ungeschickt auf seinem Sessel umher rückte, um seine Verlegenheit zu verbergen, von Thyrnau so ruhig angeblickt wurde, als sei er ein leeres Meuble, an das sein Kleid nicht rühren dürfe.
Als beide Angeklagte ihre Plätze eingenommen hatten, traten die Gerichtsdiener zwischen sie und der Sekretär Kallenbach empfing das Aktenstück, um es laut vorzulesen, woraus wir das unserer Mittheilung nöthige Resumé heraus heben.
Der Fürst von S. hatte damit angefangen, das Erziehungsinstitut des verstorbenen Advokaten Caspar Eusebius Thyrnau als eine Pflanzschule unpatriotischer und höchst gefährlicher Grundsätze und Bestrebungen darzustellen. Er hatte dies mit der sichtlichen Absicht hervorgehoben, um damit zu erklären oder zu entschuldigen, wie er selbst zur Kenntniß und Theilnahme des Hochverrätherischen Komplotts verführt worden, das er zu erweisen bemüht war. Dieser Caspar Eusebus Thyrnau ward als ein Freund des Fürsten Wenzel Lobkowitz bezeichnet, und der Fürst von S. hatte ein Kästchen Briefe eingereicht, deren Inhalt der Schlüssel werden sollte zu der unter Leopold dem Ersten stattgehabten Ungnade dieses früher in so hoher Gunst gestandenen Ministers. Diese Briefe sollten einen Verdacht konstatiren, der, obwol er durch den Tod beider Briefführer wie überhaupt durch die Zeit gleichgültig zu werden begann, doch die Wurzel des Gedankens zu sein schien, der nun um so leichter als ein von französischer Seite aufgegebener sich darstellte und den Namen Thyrnau in der ersten Generation schon verdächtigte. Die Briefe, deren Durchsicht sich der Graf Bartenstein selbst unterzogen, bewiesen zuerst die zärtlichste Freundschaft beider Männer, dann einen glühenden Enthusiasmus für die Beförderung einer höheren Volksentwicklung, einen tiefen Groll gegen den Despotismus des allmächtigen Jesuiterorden, der sich mit der schlausten Feinheit aller öffentlichen Schulen und Bildungsanstalten versichert hatte, und gegen das hohle Wissen, was dort getrieben ward, um als Deckmantel zu dienen für den nie aufgegebenen Plan, durch geistigen Druck und abergläubische Beherrschung der Gemüther die Massen zu ihren ultramontanen Zwecken sich bequem zu erhalten. Beide Freunde sprachen dabei ihre Hinneigung zu dem damaligen Zustande Frankreichs aus, das in einer kurzen geistigen Blüte unter Colberts Verwaltung große Früchte für die Zukunft versprach. Damals aber suchten die beiden befreundeten Männer Alles auf, um die dort erscheinende geistige Entwicklung auf das so weit zurückstehende Vaterland zu übertragen, und in Böhmen sollte eben unter Caspar Eusebius Thyrnau jene Bildungsschule erstehen, in der die Häupter großer Familien, selbst die Prinzen kleinerer Staaten, eine höhere Bildung gewönnen, die ihnen das Bedürfniß geben sollte, die dort erworbene Einsicht um sich her weiter zu verbreiten. Dies hatte das Ansehn des Fürsten Lobkowitz wie die Klugheit Thyrnau's durchzusetzen gewußt, und die Anstalt war in einer Blüte und zu einer Berühmtheit gelangt, welche die Wache haltenden Jesuiten, die vergeblich bemüht gewesen waren, dieselbe ganz zu unterdrücken, zu einer nicht rastenden Verfolgung antrieb, und beide Männer theilten sich in voller Empörung die Hindernisse mit, die, wie Fußmangel, still und geräuschlos um alle ihre Schritte gelegt wurden. Unumwunden sprachen Beide auch ihren Unwillen über den geringen Schutz aus, der ihnen von Seiten des Hofes ward. – Die Herrschaft der Jesuiten über Kaiser Leopold war so entschieden, daß er wohl in einzelnen Augenblicken, wo ihn der Geist des Lobkowitz belebt und zu freier Anschauung verholfen, den Druck, unter dem man ihn erhielt, fühlen konnte, aber dennoch unfähig blieb und unfähig gelassen wurde, sich zu einer Handlungsweise zu erheben, die von den Grundsätzen abwich, unter deren Bann diese wachsame Partei ihn zu erhalten bestrebt war. Hier kamen nun Briefe, die dem in Frage stehenden Punkte näher rückten. Die erwähnten Verhältnisse wurden mit dem schonungslosesten Spotte verfolgt, der besonders die unschöne Gemahlin Leopolds oft ziemlich stark traf. Es mußten sehr entgegen kommende Schritte von Seiten Frankreichs erfolgt sein; sie wurden besprochen, die Vortheile geprüft und erwogen und der Enthusiasmus für ihre großartigen Bildungspläne mochte Gedanken erzeugt haben, die vielleicht Beide unbewußt über die feine Grenze getrieben hatten, deren Ueberschreitung der Unterthan zu fürchten hat, in dessen Brust der freiere Strom der Erkenntniß sich ergießt, an der er sein Vaterland wünscht Theil nehmen zu sehen.
Vertreibung der Jesuiten, freie Religionsübung, Beschränkung der adeligen Vorrechte, Entlastung der Bauern, freie Bildungsanstalten, Aufhebung der willkürlichen Steuern, Berufung der Stände zur Prüfung der Gesetze, diese Staatsverfassung, Böhmens Zuständen mit größter Weisheit und Umsicht angepaßt – dies war eine an sich höchst ausgezeichnete und lobenswerthe Arbeit des Caspar Eusebius Thyrnau, mit vielen Randbemerkungen des Fürsten Lobkowitz versehen. Aber sie war auch zugleich das Concept einer Erwiderung an das französische Kabinet, welche hinreichend andeutete, was sie beantwortete, obwol sich die Vorschläge Frankreichs nicht vorfanden. Indem man den nicht genannten französischen Prinzen als minorenn bezeichnete, verlangte man, die Vormundschaft desselben aus böhmischen Großen zu bilden, und hier stand wieder der Name Lacy, der Großvater des jetzigen, an der Spitze und auch Thyrnau's Name fehlte nicht. Dagegen schien man den Gedanken einer völligen Trennung von Oesterreich nicht eigentlich zu beabsichtigen, und hierüber lag ein merkwürdiger Aufsatz bei, an dessen Anwendbarkeit und möglicher Ausführung Glauben fassen zu können, von dem Enthusiasmus zeugte, der für die zu erreichende Idee diese Männer an allen ihren Erfahrungen vorübergeführt hatte und ihnen entweder das Ansehn einer absichtlichen Selbsttäuschung, oder einer durch leidenschaftlichen Eifer bornirten Einsicht verlieh. Man wollte bei Oesterreich in einer politischen Anhängigkeit bleiben – dessen Rechte gegen das Ausland vertreten helfen und dazu eine, alten Verpflichtungen entsprechende Heeresmacht stellen – man wollte eine jährliche Kontribution als einen Abtretungstribut an Oesterreich zahlen, der durch den gesammten Grundbesitz Böhmens garantirt wurde – man wollte als Staatsgesetz ewige Freundschaft für das Haus Habsburg aufstellen und nichts dafür einhandeln, als die Freiheit auf der Bahn der Civilisation das Banner für ganz Deutschland voran tragen und der Einmischung Oesterreichs sich entziehen zu dürfen, unter dessen starren Formen jeder neue Aufschwung erliegen mußte!
Diese letzteren Vorschläge hatten aber, wie zu erwarten war, im französischen Kabinette die Würdigung gefunden, welche allerdings die Kluft zeigte, die hier auszufüllen war, da von beiden Seiten ganz verschiedene Zwecke beabsichtigt wurden.
Hier trat in dem Berichte wieder eine Lücke ein, welche vielleicht im Zusammenhang stand mit der Ungnade des Fürsten Lobkowitz; denn die Verlegenheiten Österreichs, die durch den Aufstand in Ungarn und den Einfall der Türken, wie durch die Belagerung Wiens erwuchsen, waren vorübergegangen, ohne daß der Plan wieder aufgenommen worden wäre. Böhmen that sogar wichtige Dienste und stellte bedeutende Männer. – Vielleicht aber zog der Ausbruch der Pest, der 100,000 Opfer kostete, die Gedanken von diesen Plänen ab.
Nach dem Ryßwicker Frieden waren die Unterhandlungen zuerst wieder aufgenommen.
Daß diese Besitznahme Böhmens nur mit französischen Waffen erreicht werden konnte, war ein von beiden Seiten eingesehenes Zugeständniß, obwol eine bedeutende Partei im Lande selbst aufzustehn bereit war, um die zu gewinnenden Rechte zu behaupten. Dagegen dachte Frankreich an Nichts, als Oesterreichs europäischen Einfluß durch diesen Abfall Böhmens zu schwächen, französische Truppen dort festzusetzen, so Oesterreich zu bedrohen und mit dem leichtesten Erfolg zu beunruhigen, da die ferne spanische Successionsfrage es höchst wichtig machte, die Ansprüche des Hauses Habsburg durch eigne Verlegenheit in ihrer Wichtigkeit zu lähmen.
Doch war auch hier die Unterhandlung abgebrochen, oder die Nothwendigkeit, alle Kräfte Frankreichs für den spanischen Successionskrieg zu vereinigen, verschlang dies kleinere Interesse, welches man vielleicht nebenher zu erreichen hoffte.
»Wenn es uns nun nicht befremden kann, meine Herren,« nahm hier Graf Bartenstein selbst das Wort – »daß Frankreichs Absichten auf Böhmen trotz des Ryßwicker Friedens dennoch wieder hervortreten, da wir Alle wissen, daß es zu den zahllosen habsüchtigen Plänen des Auslandes auf Böhmen jederzeit begierig die Hand bot; so muß es doch unsere schmerzliche Aufmerksamkeit wecken, wenn wir die Beweise vorfinden, daß in Böhmen während eines Zeitraumes von 32 Jahren der Heerd dieser hochverrätherischen Verschwörung fortbestand und daher seine Stellung zu den Kaiserstaaten stets eine schwierige und verdrossene blieb, die sich der Segnungen unwürdig zeigte, welche die erhabenen Herrscher des Hauses Habsburg ihm angedeihen zu lassen überall bemüht waren. Wenn wir den Feind nach Außen bis jetzt immer richtig zu erkennen uns erleuchtet fühlten, hat doch der Feind im Innern unser großmüthig wieder aufgelebtes Vertrauen so zu täuschen gewußt, daß es des geehrten Fürsten von S. edelmüthiges Interesse für das erlauchte kaiserliche Haus bedurfte, um uns mit großer Aufopferung seinerseits auf die im Dunkeln schleichenden Umtriebe und Verbindungen zwischen Böhmen und Frankreich aufmerksam zu machen. Zur Anerkennung dieses bedeutenden Dienstes hat Ihrer Majestät zu befehlen geruht, daß jede Frage oder Hinweisung – durch welche Wege oder Verhältnisse Seine Durchlaucht zu dieser Kenntniß gekommen, in so fern Sie selbst sich nicht geneigt zeigen, sie anzuführen, als Ihrer Majestät hinlänglich bekannt – für unstatthaft hiermit erklärt werden, wobei zu bemerken, daß diese Seiner Durchlaucht zugestandene Freiheit der Verteidigung der Angeklagten keinen Nachtheil bringen soll, weil die höchste Gerechtigkeit bei allen Vorkommenheiten wachen wird.«
»Seine Durchlaucht sind nun mitzutheilen geneigt gewesen, daß Sie in dem erwähnten Institute des Eusebius Thyrnau sich vom siebenzehnten bis zum zwanzigsten Jahre während der Wintermonate aufhielten und dort den Studien der Staatswissenschaft, der alten Klassiker und der neuen französischen Literatur oblagen. Seine Durchlaucht schlossen in dieser Zeit Freundschaft mit dem einzigen Sohne des schon bejahrten Eusebius Thyrnau – mit dem anwesenden Thomas Thyrnau – welcher damals sieben und zwanzig Jahre alt, ein Mitarbeiter des Vaters war, und sowohl durch Collegia im Institute selbst, wie durch eine bedeutende Advokatur schon einen anerkannten Ruf genoß. Mit ihm befanden sich noch zwei Prinzen dort, der Erbprinz von D. und der Erbprinz von Z., sehr viele Söhne der bedeutendsten Familien Böhmens, darunter der Graf von Lacy, der Oheim des Angeklagten, mehrere ungarische Edle, einige Deutsche, kein einziger Oesterreicher! Obwol dies Institut seit der Verbannung des berühmten Fürsten Lobkowitz in ihm seinen unmittelbaren Beschützer verloren, hatte es sich doch fast in gleicher Bedeutendheit erhalten, und alle Versuche der Jesuiten, dasselbe zu verdächtigen und zu stürzen, waren diesmal an Kaiser Leopold und an seines Sohnes und Nachfolgers Willen gescheitert. Seine Durchlaucht erwähnen dieser erwiesenen Thatsache als einer Merkwürdigkeit und führen das darüber umgehende Gerücht an: »Es habe nämlich in dem großmüthigen Herzen Kaiser Leopolds stets für den verbannten Fürsten Lobkowitz eine Stimme gesprochen, und als die gepflogenen Untersuchungen nichts ergeben wollten, habe sich der Wunsch gezeigt, den Verbannten zu begnadigen. Solches habe jedoch vielen Widerstand gefunden; Kaisers Majestät habe aber auf eine Ansprache des verbannten Fürsten gewartet und so mit vielem Vergnügen ein ihm heimlich zugegangenes Briefchen desselben empfangen. Dieses habe aber nichts enthalten, als die dringende Bitte, das Institut des Eusebius Thyrnau zu schützen und es bestehn zu lassen gegen alle dawider erhobenen Einwände, und habe es als die segensreichste Schöpfung des Herrn Fürsten – und Thyrnau – als seinen würdigsten Vertreter geschildert.«
»Von da an sollen Seine Majestät jeden Nachtheil davon abzuwenden bemüht gewesen sein, und Thyrnau ein Handbillet besessen haben, welches ihm im dringenden Falle bei der Majestät selbst Schutz zu suchen gestattete und als Kaiser Leopold die Regierung in die Hände Josephs seines Erstgeborenen legte, empfahl er ihm dies Institut, und auch Kaiser Joseph schützte es während seiner sechsjährigen Regierung.«
»Seine Durchlaucht waren außerdem am genausten mit dem Erbgrafen von Lacy befreundet, welcher an Alter dem Fürsten näher stand als Thomas Thyrnau, und sie wurden bald in das Vertrauen gezogen, welches ihm einen bestimmten Plan aufdeckte, zu dessen Verwirklichung die jungen Männer hier herangebildet werden sollten. Böhmen trachtete stets nach Wiedererlangung seiner alten Vorrechte und Institutionen, vornehmlich nach Gewissensfreiheit, und sein Adel wollte Ansprüche machen, die mit der Oberhoheit Oesterreichs nicht verträglich waren. Königswahl und Selbstbewaffnung konnten Böhmen nicht mehr zustehn, blieben aber immer noch das heimliche Streben der Adligen. Um das Volk für diese Pläne zu gewinnen, wurde es über seine eigene Lage aufgeregt und empfing Zusagen über zu machende Bewilligungen, die aber immer erst in den wieder zu erlangenden alten Vorrechten ihre Erledigung finden konnten. Die Erziehungsweise in dem oft angedeuteten Institut ging nun darauf hin, die jungen Böhmen vorzüglich mit den Zuständen bekannt zu machen, die zur Zeit ehemaliger Selbstständigkeit dem Lande Vorzüge gewährten. Und man beschränkte sich nicht auf diese gefährliche Lehre, sondern man suchte ihr noch eine sogenannte Ausbildung zu geben, indem man ihr ein neues Bauernrecht anhing, nach welchem diesem Stande eine fast bürgerliche Freiheit zugesprochen wurde, und Jeder zu einem freien Manne auf seiner Scholle erhoben werden sollte. Frankreich nun, welches, stets feindlich gegen Oesterreich gesonnen, jede Bewegung Böhmens überwachte, was schon öfter so bereitwillig zum Verrath die Hand geboten, hatte bald die beiden Thyrnau's, wie die bedeutendsten der für Neuerungen gewonnenen jungen Edelleute ins Auge gefaßt, und abermals schlichen sich Agenten König Ludwigs des Vierzehnten in den Kern dieser Länder ein, um ihnen Schutz und Hülfe gegen ihren rechtmäßigen Landesherrn anzubieten und den Krieg, den der Rastadter Frieden im Jahre 1713 beendigt, jetzt im Geheimen gegen den immer beneideten Nachbarstaat fortzusetzen.«
»Wir sehen aus den Mittheilungen Seiner Durchlaucht, daß der Tod des Herrn Eusebius Thyrnau, der einst der Unterhändler war, keinen Unterschied für die Betreibung dieser Pläne machte; denn derselbe Geist lebte in dem Sohne fort. Es zeigt sich, daß ihm von den jungen Männern des Instituts, wie von deren Familien, ein grenzenloses Vertrauen und eine blinde Anhänglichkeit gezollt ward. Ihm stand eine Macht über die Gemüther zu, die selbst die fürstlichen Jünglinge, welche unter seinem Einflusse lebten, nicht unbetheiligt ließ, und Alle verpflichteten sich mit hohen Eiden: Böhmen zur Wiedererlangung seiner beabsichtigten Rechte behülflich werden zu wollen, und zwar mit allen Mitteln, die ihnen früher oder später zu Gebote stehn würden. Keiner war jedoch, nächst Thyrnau selbst, thätiger dabei gewesen als dessen Freund, Graf Joseph Lacy, der Oheim des hier anwesenden Grafen selbigen Namens.«
»Er hatte sich zu verschiedenen Malen selbst nach Frankreich begeben, und nur der frühe Tod Karls, Herzogs von Berry, den man als König von Böhmen proklamiren wollte, verschob den vorbereiteten Aufstand. Bald darauf finden sich aus den letzten Lebensjahren Ludwigs des Vierzehnten neue Vorschläge, und hier wird zuerst der natürliche Sohn Ludwigs des Vierzehnten, Ludwig August von Bourbon, Herzog von Maine, genannt. Das abermalige Wüthen der Pest in Böhmen, so wie der Tod des Königs von Frankreich und die bis zum Jahre 1723 dauernde Regentschaft bis zur Thronbesteigung Ludwigs des Fünfzehnten scheint die ganze Angelegenheit zur Ruhe verwiesen zu haben.«
»Wir haben bis hierher die Hochverrätherischen Pläne unter den vorangegangenen Regierungen beleuchtet, welche als Vorbereitung der Beschuldigungen dienen, die wir jetzt hervorzuheben haben, da diese uns einen traurigen Beleg geben, daß die aufrührerischen Ideen in Böhmen von denselben Personen genährt, fortdauerten und bis zur neuesten Zeit und bei anscheinend annähernden Schritten der Versöhnung gegen unsere erhabene Kaiserin dort in der Stille eine fortlaufende Unterstützung fanden.«
»Es zeigt sich hier zuerst, daß Stephan, Graf von Lacy, der einzige zwanzigjährige Sohn des früher bei derselben Verschwörung schon bezeichneten Grafen von Lacy Wratislaw, des Freundes von Thomas Thyrnau, im Jahre 1741 über Italien nach Frankreich ging und in dieser schweren Zeit, wo unsere erhabene Herrscherin von allen ihren Unterthanen die hingehendste Unterstützung erfuhr, wo Frankreich auf das Treuloseste die Garantie für die pragmatische Sanktion brach und sich mit den Feinden der erhabenen Habsburgischen Dynastie verband, um Oesterreich zu zerstückeln, zu berauben – daß dieser Jüngling, sage ich, zur selben Zeit die alten Intriguen im Lande des Feindes aufnahm und in noch ausgedehnterem Maaße als früher, die empörendsten hochverrätherischen Anknüpfungen begann. Hier liegen die allertraurigsten Belege vor uns. Obwol der Name des anverwandten Prinzen, der nun zu Böhmens Königsthron Begehr zeigte, nirgends genannt ist, so wird dies unwesentlich, wenn wir dagegen die Schmach vernehmen, daß dieser Prinz trotz dem, daß Böhmen schon von französischen Truppen besetzt war, dennoch ein eignes Truppencorps mit böhmischem Gelde anwirbt, an dessen Spitze er wie ein Glücksritter, das von jeder Kriegsdrangsal zerrissene Böhmen in Besitz nehmen wollte, und dazu die ungeheuersten Summen durch die Hände dieses jüngern Lacy aus Böhmen geliefert bekam. Wahrscheinlich zeigte sich jedoch der jüngere Agent hierzu nicht thätig genug, und wir sehen bei seiner Abreise nun den alten Feind der Ordnung und des Rechts, diesen Anhänger all der heimtückischen französischen Pläne, diesen Thomas Thyrnau aufs Neue auftreten und diesen jungen Lacy durch einen frühen Tod der verbrecherischen Laufbahn entzogen werden. Zu seiner strengeren Beobachtung stellte sich der Fürst von S. zur selben Zeit in Paris ein. Der Advokat Thyrnau fand Zutritt bei Madame de Pompadour, und durch sie wußte er auf die Gesinnungen Ludwigs des Fünfzehnten einzuwirken und behielt freie Hand zu jeglicher Disposition. Er blieb einige Jahre in Paris, und es ist der Feigheit des bösen Gewissens zuzurechnen, daß dennoch nach so vielen Opfern und Anstrengungen der Schlag nicht geschah, der bei der bedrängten Lage des Landes nur ein zu sicheres Gelingen hatte vermuthen lassen.« »Auch dieser Thyrnau kehrte noch vor dem Aachner Frieden zurück, und die letzte Berührung, die uns das immer noch dauernde Fortbestehn der habsüchtigen französischen Pläne verbürgt, sind die Beweise, daß zur Zeit der Abwesenheit des Herrn Grafen von Kaunitz als Gesandter in Paris, der in seinem Gefolge sich befindende Graf Lacy Wratislaw, der Vetter des damals schon verstorbenen letzten Unterhändlers, wieder eine bedeutende Zahlung an ein dortiges Handlungshaus machte, welches für Rechnung des Prinzen, dessen Name nicht genannt ist, darüber quittirte. Fünf Jahre später empfing dasselbe Haus noch einmal von diesem Thyrnau eine Zahlung zu gleichen Zwecken, und Seine Durchlaucht halten sich überzeugt, daß der Advokat Thomas Thyrnau sowol wie der hier gegenwärtige Graf von Lacy noch in diesem Augenblick Träger und Unterhändler des immer fortbestehenden hochverrätherischen Komplotts sind, welches Frankreich, unbehindert des Friedens und einiger in der letzten Zeit äußerlich annähernd erscheinenden Schritte, dennoch fortzuführen keine Scheu getragen hat.«
Der Graf von Bartenstein endigte hiermit den mündlichen Vortrag; die Angeklagten wurden vorgerufen und man stellte ihnen folgende Fragen: Ob sie die mit angehörte Anklage, in so fern sie sich auf sie bezöge, für richtig anerkennten – ob sie einen gerichtlichen Vertheidiger ihrer Rechte begehrten – und wie viel Zeit sie zu ihrer Vorbereitung bedürfen würden.
Der Graf von Lacy, dem wegen seines Ranges die erste Antwort zustand, entgegnete darauf: »Bei der Stellung der Anklage scheint mir von selbst hervorzugehen, daß meinem hochwürdigen Freunde Thomas Thyrnau das Recht zusteht, zuerst seine Erklärung abzugeben. Sehr wahrscheinlich wird Alles hierin mit begriffen sein, was ich zum Erweis meiner gänzlichen Unschuld nöthig haben werde, und es wird dann leicht sein, meinerseits das hinzuzufügen, was diese Behauptung vollständig rechtfertigen wird. Ich erkläre demgemäß für meine Person die vernommene Anklage auf Mitwissenschaft eines hochverrätherischen Planes für gänzlich grundlos – ich fordere zur Darlegung dieser Behauptung keinen gerichtlichen Vertheidiger und wünsche keinen Aufschub meiner Erwiederungen, als den, welchen mein hochwürdiger Freund Thomas Thyrnau zu seiner bei weitem schwierigeren Vertheidigung für nöthig halten wird.«
Als diese Erklärung zu Protokoll genommen und von Lacy unterzeichnet war, trat er zurück, und Thomas Thyrnau ward zur Beantwortung der drei Fragen aufgefordert.
Alle die, welche die Gerichtstafel umgaben, durchbohrten mit ihren Augen den Mann, dessen gefährliche Richtung seit einem Menschenleben eben dargethan worden war, und Jeder suchte mit seiner Erfahrung und Menschenkenntniß die Ausbeute auf seinem Gesichte zu machen, die nach so harten Anschuldigungen vielleicht verrathen möchte, welche Bestätigung man zu erwarten habe. Aber als der Angeklagte bis zur Tafel vortrat, schien Alle ihre Voraussicht zu verlassen – sie verstanden ihn Alle nicht.
Die kräftige und edle Gestalt war von der tiefsten Ruhe durchdrungen und gehoben, und die vorzüglich schöne Stirn, deren antike Furchen ihr den Ausdruck hoher geistiger Kraft gaben, leuchtete in mehr als Ruhe – man hätte es Heiterkeit nennen können! Dagegen war die Blässe des Gesichts ungewöhnlich und Mund und Augen wehmüthig und ernst.
»Es ist mir nicht vergönnt,« hob er mit fester Stimme an – »wie mein junger Freund mit wenigen Worten alle die Fragen zu erörtern, die das hohe Gericht uns zur Beantwortung zugesteht. Die Anklage abzuweisen, bin ich nicht im Stande – ich erwartete sie Zeit meines Lebens. Ich werde Aufschluß geben über alles hier vorgekommene, dann wird sich die Frage – schuldig oder unschuldig – von selbst beantwortet finden. Wollte ich mich vertheidigen, dürfte ich vielleicht mit einigem Selbstvertrauen glauben, ich wäre mir dazu genug – ich will mich aber nicht vertheidigen, von Niemand vertheidigt sein! Aufschub bedarf ich nicht; die Wahrheit, die ich sagen will, ist meinem Gedächtniß nicht entzogen und sie erfordert keine Vorbereitung – ich danke daher meinem jungen Freunde für das mir zugestandene von sich abgelehnte Recht der Verzögerung, und da ich sehr wohl übersehe, daß eine baldige Beendigung der ganzen Sache dem hohen Gerichte wichtig sein muß, bitte ich, den nächsten Termin anzusetzen.«
Nachdem auch diese Erklärung zu Protokoll genommen und unterzeichnet war, trat Thomas Thyrnau zurück und die Herren der Tafel beriethen eine kurze Zeit, worauf die Verteidigung für den andern Tag festgesetzt ward und Alle Anwesende das Gerichtszimmer verließen.
Die Minister begaben sich nach Beendigung dieser Konferenz zur Kaiserin; sie hörte ihren Vortrag mit strenger Zurückhaltung an und nur, als man ihr die Protokolle, welche die Entgegnung der Angeklagten enthielt, vorlegte, griff sie mit einiger Hast selber danach und durchlief mit Blitzesschnelle die abgegebenen Antworten.
»Wir werden sehen! wir werden sehen!« rief sie dann und wies ein paar Mal auf Thyrnau's Antwort, die sie zuerst gelesen – »hier ist eingestandene Schuld und doch eine hochmüthige Sicherheit, die unser Mißfallen erregt. Wir befehlen, daß das Verhör nach dem Staatsrate, dem deshalb keine Aufmerksamkeit entzogen werden darf, seinen Anfang habe, und werden Gelegenheit nehmen, uns morgen noch näher darüber zu erklären. Bis dahin erlauben wir, daß, da der Graf von Lacy sich seines Vorrechts begeben, der Advokat Thomas Thyrnau mit seinen Geständnissen den Anfang machen darf.«
Und an diesem Tage bekam kein Mensch mehr ein gütiges Wort und die Herren zogen sich zurück.