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Das Jahr ging seinem Ende zu. Die Sonne brannte nicht mehr so heiß vom Himmel, und der Wind wurde unangenehmer. Die Zeit war vorüber, da der Doktor zu seinen Kindern sagen konnte: »Haben wir heute wieder ein Wetterchen!«
Herrlich haben die Erdbeeren mit Milch und Zucker geschmeckt. Die Johannisbeeren waren köstlich und auch die Himbeeren. Was für dicke schwarze Brombeeren der Doktor in seinem Garten hatte, der Doktor hatte überhaupt einen Zaubergarten. Wenn Dieter an die Kirschen, Birnen und Äpfel dachte, dann wurde ihm wohl ums Herz – und auch um den Magen herum. Und erst die Bauernpflaumen! Sie sehen so unscheinbar aus, schmecken aber wie auserlesenes Tafelobst. Und die Bäume tragen so reich und so dankbar. Es lebe die gute Bauernpflaume!
Da träumen die Menschen immer von märchenhaften Südfrüchten, von Tropenwäldern, in denen einem die Bananen in den Schnabel wachsen. Wenn die Erdbeeren und Kirschen in den Tropen wüchsen und bei uns die Kokosnüsse, die Dichter würden von den Erdbeeren und Kirschen singen, die von »so weit her« seien.
Und nebenbei, so erzählte der Doktor, sind die Urwälder der Tropen gar nicht so fruchtreich. Die Früchte der Tropen müssen auch alle von Menschen gehegt und gepflegt werden. Die Urwälder selber sind fruchtarm. Dort müßten wir verhungern.
Der Doktor ging zum letztenmal mit den Kindern hinaus in den Garten. Der nächste Besuch soll erst im Frühling folgen. Es heißt also Abschied nehmen. Leb wohl, lieber Wacholderbaum! Einen schönen Gruß von der Lüneburger Heide! Leb wohl, du knorrige Akazie! Du bist kein Fremdling mehr bei uns. Amerika hat dich schon ausgebürgert. Dafür hast du einen deutschen Ehrenbürgerbrief erhalten. Leb wohl, schöner Vogelbeerbaum! Traute wird dir ein Lied singen. Paß gut auf.
Und Traute stellte sich unter dem Baume auf und sang das Lied:
»Keinen schön'ren Baum gibt's als den Vogelbeerbaum,
Vogelbeerbaum, Vogelbeerbaum ...«
Dieter stimmte mit ein, und auch der Doktor brummte etwas mit. Von der Eberesche ging Traute zur Linde, machte einen Knicks und sang:
»Am Brunnen vor dem Tore,
Da steht ein Lindenbaum ...«
Für jeden Baum fand sie ein Lied. So sang sie vor der Tanne:
»O Tannenbaum, o Tannenbaum,
Wie grün sind deine Blätter ...«
Der Doktor wollte die letzten Arbeiten in seinem Garten machen. Er holte sich Papier, schnitt es zu Streifen, legte die Streifen um die Bäume und band sie fest. Dann bestrich er die Papierflächen mit Leim.
Der Dieter dachte an seine früheste Kindheit, an die Zeit, da er kaum das Sprechen gelernt hatte. Immer wenn er etwas erklärt haben wollte, baute er sich breitbeinig vor einem Manne auf und sagte:
»Mann, wak mat du da?« (Mann, was machst du da?)
So fragte der Dieter auch jetzt. Der Doktor lachte und sagte: »Der Schmetterlinge wegen lege ich die Leimringe um die Bäume, mein Junge.«
Darauf der Dieter: »Aber, Doktor! Erstens fliegen jetzt keine Schmetterlinge mehr, und zweitens ist das doch kein Schutz gegen die Tiere. Die Schmetterlinge müssen doch nicht kriechen, sie können doch fliegen und kommen bequem zu den Baumkronen. Du meinst, die Schmetterlingsraupen sollen nicht die Bäume hinaufkriechen.«
»Nein, die Schmetterlinge – nicht die Raupen. Aber wir wollen uns die Sache mal von nahem besehen. Wozu haben wir denn eine Wunderflasche?«
Und so begann das letzte Abenteuer in Doktor Kleinermachers Garten.
Steigeisen und Seile wurden herbeigebracht, denn man wollte wieder auf einen Baum klettern. Die Wunderflasche ging von Hand zu Hand, und so war alles startbereit zur letzten Abenteuerfahrt in diesem Jahre.
Prost, Wunderflasche! Du hast uns herrliche Abenteuer beschert, du hast uns die Augen geöffnet und die Wunderwelt der kleinen Lebewesen gezeigt. Die Welt wird nicht kleiner, wenn man kleiner wird, sondern größer und erhabener, schöner und prächtiger. Wunderflasche, mit dir sind wir in die Erde und in die Pflanzen hineingegangen, mit dir sind wir auf die Bäume geklettert und selbst in einen Baum hineingegangen. Wunderflasche, du hast uns alle Herrlichkeiten der Natur gezeigt, und wir sind aus dem Staunen nicht herausgekommen. Mit dir war das Leben schöner und erhabener. Prost, Wunderflasche!
Die drei Abenteurer tranken und wurden kleiner und kleiner. Wieder wuchsen die Grashalme über die Zwerge hinaus, bis sie so klein wie Ameisen waren. Wo sind denn die Steigeisen? Der Doktor hatte sie doch auf die Erde gelegt, und die Seile müssen doch auch irgendwo liegen?
Als die drei das Wunderwasser tranken, lagen die winzigen Sachen dicht vor den Füßen der Trinker. Als Ameisenzwerg muß man kilometerweise das Gelände absuchen, ehe man die Steigeisen findet. Wir haben doch sonst immer unsere Utensilien gefunden, soll es zum letzten Male schief gehen?
Die drei suchten und suchten und konnten ihr Bergsteigerwerkzeug nicht finden. Als sie das Gelände durchwanderten, kam Dieter an eine Grube, die – er brauchte den Stoff nicht zu untersuchen, er konnte ihn riechen – mit Mist gefüllt war.
»Doktor, Doktor, komm schnell her, ich habe etwas entdeckt!«
»Hast du die Steigeisen gefunden?«
»Nein, aber etwas viel Interessanteres, nämlich eine Mistkute.«
Lächelnd kamen der Doktor und Traute näher. Vor Mist hatten die drei Gärtner keine Angst mehr. Wer siedelt und einen Garten bestellt, der sieht und riecht meist den Mist ganz anders als alle Nichtgärtner. Mist kostet schweres Geld, nach Mist verlangen die Pflanzen alle, die Erdbeerpflanzen und Obstbäume. Warum soll denn Mist so furchtbar schlecht sein? Als Dieter einst bei einem Zusammenstoß in der Stadt zwei Kutscher schimpfen hörte und einer zum andern »alter Mistbauer« sagte, da mischte sich Dieter in die Unterhaltung:
»Sie haben jetzt etwas sehr Schönes gesagt. Mist ist sehr wertvoll und teuer. Einen ganzen Wagen voll können Sie gar nicht bezahlen. Und der Name Bauer ist ein Ehrenname.«
Die beiden Kutscher lachten, und alle herumstehenden Leute lachten auch. Der Streit war beigelegt, und mit Scherzworten fuhren die beiden Kutscher weiter. Ein Kind hatte einen häßlichen Streit beendet.
Aber jetzt hatte keiner Mistbauer gesagt, sondern Mistkäfer. Dem Doktor war sofort alles klar. Hier sind Mistkäfer am Werke.
Und richtig, kaum war der Doktor nähergetreten, sah er auch schon am Grunde der Erdröhre einen Mistkäfer arbeiten. Bald kam ein zweiter hinzu, der kleine Mistpakete anschleppte. Er warf sie dem anderen Käfer in der Grube zu, und der da unten schichtete sorgsam die Mistpakete in der Erdröhre auf.
Was machen denn die beiden in der Grube? Der Doktor hatte wieder mal etwas zum erzählen.
»Hier arbeitet ein Mistkäferehepaar an seiner Kinderwiege. Die Väter unter den Vögeln sind nicht schlecht, viele helfen beim Nestbau und beim Brüten. Manche Vogelväter übernehmen sogar das Brüten ganz allein, zum Beispiel der Regenpfeifer oder der Emupapa. Ihr kennt doch den straußartigen Vogel Emu mit den drei Buchstaben aus den Kreuzworträtseln?
Unter den Insekten gibt es weit weniger gute Väter. Sie sind rasch aufgezählt. Zum Beispiel hilft unser Totengräber – ihr kennt ihn – beim Eingraben eines toten Tieres mit, damit die Frau Totengräberin ihre Eier am Aas ablegen kann. Auch der heilige Pillendreher in Afrika entzieht sich nicht seinen Vaterpflichten. Ebenso edel handelt unser Mistkäfer. Warum soll denn die Mutter allein alle Mühen beim Kindergroßziehen haben? Die Drohnen unter den Bienen kümmern sich nicht um Kinderwiegen und um Bienenkinderbrei. Der Mistkäferpapa aber will mit dabei sein, er hilft die Miströhre bauen und schichtet auf dem Grunde sorgfältig die Mistpakete. In die Grube werden die Eier gelegt. Die auskriechenden Larven haben dann reichliche Nahrung, und gleichzeitig hält der Mist die Kinderstube warm, denn der Herbst ist oft bitter kalt und der Winter noch mehr. Die Mistkäfereltern müssen die Wohnung gut mit Mist einheizen, wenn die kleinen Käfer im Frühling gesund herausklettern sollen. Die Tiermütter sind fast alle gut, davon ist schon genug gesprochen worden. Aber auch der Mistkäferpapa ist ein treusorgender Vater. Der Name ›Mistkäferpapa‹ sollte ein Schmeichelname sein. Er klingt mir viel besser als ›kleiner Goldkäfer‹ oder so ähnlich. Aber die Menschen können sich nicht daran gewöhnen, darum schimpfen sie immer noch, ›alter Mistkäfer‹ oder ›alter Mistbauer‹. Es sind dumme Menschen, die so schimpfen.
Aber wo sind denn unsere Steigeisen und Seile? Eigentlich wollten wir doch eine Klettertour auf den Obstbaum machen.«
Die drei fingen wieder ihre alte Suche an, und endlich hatten sie alles beisammen, was sie suchten. Hier liegen ja die sechs Steigeisen und die schönen strammen Bergsteigerseile. Dabei waren die Seile noch dünner als Zwirnsfäden.
Nun ging die Wanderung dem Obstbaume zu, um mit der Kraxeltour zu beginnen. Sie mußten über Felsen klettern, die nur Sandkörnchen waren, und mußten Abgründe übersteigen, die nur Rillen im Erdboden waren. Eine Ameise hat es nicht leicht, über Land zu gehen, darum legen ja die Ameisen auch besondere Ameisenstraßen an, wie wir Landstraßen anlegen.
Endlich war der Baum erreicht. Die Steigeisen wurden angeschnallt und die Seile befestigt. Als erster kletterte der Doktor empor, dann folgte, gut angeseilt, Traute, und zum Schluß kam Dieter. Die Borke war rissig und uneben. Um so besser für die drei Bergsteiger. Manchmal kletterten sie in engen Kaminen empor, oft aber auch mußten sie eine steile Wand nehmen.
Solange der Doktor kletterte, mußten Traute und Dieter stehenbleiben und das Seil gut sichern. Erst wenn der Doktor einen guten Platz erobert hatte, dann sicherte er das Seil, und Traute konnte das Klettern fortsetzen. So kraxelte man in Etappen empor. Die Kletterei war mühsam und anstrengend, aber sie war schön, und man kam vorwärts.
Eben hatte der Doktor sein Seil gesichert und um eine Borke gelegt, auch Dieter, weiter unten, hatte sein Seil auf die gleiche Art befestigt. Traute, noch beim Klettern, war schon bis zur Mitte zwischen Doktor und Dieter gelangt – da geriet sie ins Rutschen, schrie gellend auf und stürzte hinab. Wird das Seil halten? Das Seil bis zum Doktor hin straffte sich, es zog gewaltig, riß aber nicht. Traute schwebte in der Luft. Gerade wollte der Doktor von seinem Platz aus Traute wieder emporziehen, da platzte die Borke ab, an der das Seil befestigt war, und nun stürzte auch der Doktor ab.
Dieter konnte alles beobachten, Zeit zum Überlegen fand er nicht mehr. Er mußte schnell handeln. So umwickelte er denn rasch sein Borkenstück noch fester mit seinem Seilende. Kaum war er fertig, da kamen schon die beiden Körper heruntergestürzt. Das Seil straffte sich. Wird es halten? Dieter beobachtete ängstlich sein Tau. Es knallte in der Borke und zerrte und zog im Seil, aber es hielt – gottlob – es hielt.
Nun konnte Dieter mit dem Werk beginnen, die beiden Abgestürzten, noch in der Luft Schwebenden, wieder emporzuziehen. Aber der Doktor rief ihm von unten zu, er möge nichts unternehmen. Er selbst werde wieder emporklettern, denn seine Füße hätten wieder Halt bekommen.
Der Doktor hatte sich von dem Schlage schnell erholt, und bald war auch Traute wieder in ruhiger Verfassung. So ein Absturz in den Bergen ist nicht ungefährlich. Die Ordnung war wiederhergestellt, und die Kraxelei konnte weitergehen. Hab Dank, Dieter, daß du so tapfer ausgehalten hast. Ein Glück, daß wir solch klugen kleinen Bergsteiger bei uns haben. Dieter ist unser Retter. Hätte der Junge sein Seil nicht so gut verankert, die Fahrt in die Tiefe wäre noch weiter gegangen. Braver Dieter!
Immer höher stiegen die drei Abenteurer. Dann endlich kamen sie an den Leimring, der den Baum umspannte. Bequem konnten die drei unter den Papierstreifen durchkriechen, so straff auch der Doktor vorher als Riese die Schnur gespannt hatte. Die Borke ist so rissig, daß unter dem Leimring die Ameisen noch ungehindert durchkriechen können. Aber immerhin, so klein wie Ameisen sind Schmetterlinge nicht. Für die Schmetterlinge wird wohl der Leimring ein ernsthaftes Hindernis bleiben.
Aber da entdeckte der Doktor unter dem Leimring eine größere Lücke. Sollte hier etwa – –? Dem Doktor war doch etwas zweifelhaft zumute, ob Leimringe wirklich ein unüberwindliches Hindernis für Schmetterlinge sind?
Dieter wollte wieder einwerfen: »Aber, Doktor, Schmetterlinge können doch fliegen. Dann nützen doch deine Leimringe nichts!«
Aber der Doktor lächelte nur und forderte die Kinder zum Weiterklettern auf. Unter dem Leimring war es dunkel. Nur spärliches Licht brach hindurch. Jetzt hatten sie den Leimring passiert, und nun ging es immer höher. Mühselig war der Weg, und endlos schien die Kletterei. Dann, endlich, erreichten sie den ersten Ast des Obstbaumes. Noch nie hatte man soviel Mühe auf die Vorarbeit verwendet. Die Kraxelei hatte sehr viel Zeit gekostet. Auf dem Ast ruhten sich die drei Kletterer aus. Kinder, war das eine Kletterei! Das geht ordentlich an die Nieren. Aber schön war sie doch, die Kraxele! im Gebirge des Obstbaumes. Ohne Arbeit und ohne Mühe gibt es kein Erlebnis und keine Abenteuer.
Da kommt schon ein kleines Abenteuer an. Was mag das nur für ein Tier sein? Soll man Käfer zu diesem seltsamen Tier sagen?
»Doktor, was krabbelt denn da?«
»Das ist der Schmetterling, den ich suche.«
»Das ist ein Schmetterling? Der hat ja gar keine Flügel! Welcher Bösewicht hat denn dem armen Tier die Flügel ausgerissen?«
»Das ist ein sogenannter Frostspanner. Die Weibchen werden alle ohne Flügel geboren. Nur die Männchen fliegen durch die Luft. In der Erde verpuppen sich die Raupen. Die entwickelten Männchen fliegen empor, die Weibchen aber suchen mühsam den nächsten Baumstamm auf, krabbeln an ihm empor, und wenn keine Leimringe da sind, gelangen sie bis in die Krone. Hier warten sie die Dunkelheit ab, hoffend, daß ein geflügelter Bräutigam herbeieile, mit dem sie Hochzeit feiern können. Die Eier werden dann an die Knospen gelegt, und die Gärtner schimpfen über den Schaden an ihren Obstbäumen. Man legt die Leimringe, damit die flügellosen Weibchen nicht die Bäume erklettern können.«
»Das ist ja wunderbar, das habe ich ja gar nicht gewußt, daß bei uns Schmetterlinge leben, die keine Flügel haben. Andere Schmetterlinge fliegen durch den Frühling oder durch den Sommer. Die Frostspannermännlein warten den Herbst und den Winter ab, ehe sie ihre Luftreise beginnen. Und der Tag ist ihnen noch zu warm, deswegen warten sie die kühlen Abende und Nächte ab. Das sind seltsame Gesellen, die Frostspanner. Ihretwegen müssen die Obstbäume alle Baumringe tragen.«
»Ja, und mein Leimring ist sogar nicht in Ordnung, sonst wäre das Weibchen gar nicht hier oben«, sagte der Doktor. Die drei hatten sich die Steigeisen abgeschnallt und die Seile zusammengerollt. Der Doktor wollte sich den Frostspanner von nahem besehen und ging auf das flügellose Tier zu. Die Kinder folgten ihm. »Du böser Frostspanner, willst mir meine Obsternte vernichten? Ich werde dir helfen!« Der Doktor ging immer näher an den Frostspanner heran und wollte ihn bedrohen.
Darauf machte der Frostspanner eine Kehrtwendung, die drei wichen zurück, aber Astrinde ist so glatt wie Parkettfußboden, und so rutschten die drei Zwerge aus, kamen ins Schleudern, und in elegantem Bogen glitten sie in die Tiefe. Wären die drei Zwerge Frostspannerraupen gewesen, sie hätten sich sanfter hinabgelassen. Die Raupen spinnen nämlich einen Faden und lassen sich an ihm hinab, bis sie unten angelangt sind. Hier, auf der Erde, verpuppen sie sich, um im nächsten Jahr wieder an dem Baum emporzuklettern, soweit es Weibchen sind. Die Männchen können ja fliegen.
Die Menschen-Zwerge aber wirbelten durch die Luft, kreiselten hier- und dorthin, und endlich langten sie sanft auf dem Erdboden an. Der Sturz in Ameisengröße ist nicht so schlimm. Die Angst ist größer als der Schmerz.
Dieter landete auf der Erde, Traute geriet auf einen Grashalm. Bald hatten sich die beiden gefunden. Traute mußte den Grashalm hinunterrutschen, und Dieter fing unten das Mädchen auf. Das ist ja alles ganz gut gegangen.
»Hast du dir weh getan. Traute?«
»Nein, nur einen großen Schrecken habe ich bekommen.«
»Wo ist denn eigentlich der Doktor? Hast du ihn gesehen?«
»Nein. Wo ist er nur?«
Die Kinder suchten das Gelände ab, konnten aber ihren Doktor nicht finden. Ist ihm ein Unglück geschehen? Hat ihn die Frau Frostspannerin aufgefressen? Aber wir sahen ihn doch stürzen!
Mitten im Suchen setzte das Wachstum ein. Trotz des Reißens und Ziehens dachten sie immer nur an ihren Doktor. Wo mag der gute Doktor Kleinermacher sein? Der Traute saßen die Tränen schon sehr locker in den Augen. Da hörten die Kinder einen Ruf von oben. Sie blickten hinauf. Da ist er ja, der Doktor!
Beim Sturz war der Doktor dem Leimring zu nahe gekommen. Er klebte fest. Wie er auch zappelte und strampelte, immer wieder verfing er sich im Leim seines Baumringes. Es war einfach jämmerlich. Dann setzte auch bei ihm das Wachstum ein. Je schwerer er wurde, desto weniger Gewalt hatte der Leim, ihn festzuhalten. Endlich löste er sich durch seine eigene Schwere und fiel wie ein Sack vom Baume.
Das war aber eine Freude unter den dreien, als sie sich in voller Größe wiedersahen! Der Doktor hatte nur einen kleinen Schmutz- und Leimfleck auf seinem Rücken. Das war alles. Mit warmem Wasser war der Schandfleck bald entfernt.
Nun heißt es aber nach Hause gehen! Die Tage werden immer kürzer, vor Einbruch der Dunkelheit wollte man schon in den Wohnungen sein.
Aber es ging alles nicht so schnell, wie es der Doktor sich wünschte. Den letzten Teil der Reise mußten die drei ihre Räder schieben – es war zu unsicher, Waldwege zu fahren, auch wenn man Lampen an den Rädern hatte.
Viel hatten die drei sich zu erzählen, ehe sie ihre Behausungen erreichten. Weißt du noch, damals ...? So ging es immerzu. Dieter und Traute waren so begeistert von dem Garten, daß sie ganz bestimmt selber einen Garten bestellen wollten, wenn sie erst große Menschen geworden seien. Sie konnten gar nicht verstehen, daß es Menschen geben soll, die ohne Garten auskommen. Wer einmal einen besessen hat, der kommt von der Gärtnerei nicht wieder los. Ein Stück Natur, und wenn auch nur zwischen vier Zäunen, ist so herrlich, daß man Pflanzen, Bäume und Erde richtig liebgewinnen kann. So ist es, man gewinnt die Bäume lieb wie Menschen. Traute hatte sogar schon von dem Wacholderbäumchen geträumt, und wenn der Doktor den Garten allein aufsuchte, dann bestellte sie immer Grüße für den Wacholderbaum.
»Doktor, wirst du wieder ein Buch über unsere Abenteuer schreiben?«
»Aber gewiß, Kinder. Jetzt kommt der Winter, und da habe ich ja Zeit.«
»Meine Freundin Ellinor hat nämlich dein erstes Buch gelesen, und Ellinor ist so begeistert, daß sie immerzu fragt: ›Wann schreibt denn der Doktor Kleinermacher ein neues Buch?‹«
»Bestelle deiner Freundin Ellinor einen schönen Gruß von mir. Das neue Buch kommt noch, nur Geduld. Auf Wiedersehen, Kinder, wir sind zu Haus!«
»Auf Wiedersehen, Doktor Kleinermacher! Du hast uns viel Freude bereitet mit deinen Abenteuern. Recht schönen Dank auch dafür.«