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Was bedeutet es denn, daß ich etztliche von ihnen sehe in die Obren murmelen?
(Hutten Gesprächsbüchlein)
Es wohnt in Deutschland eine Sorte schwarzgerockter Menschen mit Riesenbäuchen, Stiernacken und festgesessenen Schwarten, glatten Fischmäulern und kolossalen Muschelohren, die sich damit beschäftigen, einzelne ihrer Nebenmenschen im Lauf der Woche aufzufressen und das Gewöll in irgendeiner Form wieder auszuspeien. In großen marktartigen Hallen hocken sie tagsüber in vergitterten Häuschen, dessen Öffnung geheime Griffe verlangt, mit ihren Wesens-Organen, die Abscheu erregen würden, verborgen, mit tintenfischruhiger Klarheit ihre Opfer erwartend, und die unsichtbaren Nesseln und Haken durch das Gitter hervorstreckend; bis ein harmloses Menschenwesen in ihre Nähe kommt, meist ein junges Mädchen, oder eine junge Frau, auch ein altes Weib, welches sie sofort packen, hereinziehen und verzehren. Bleich, ausgesogen und entstellt verlassen diese armen Geschöpfe die Tintenfischbude. – Diese schwarzgekleideten Menschen, die dieses ekle Geschäft betreiben, sind Priester einer ausländischen, der römischen Kirche, und stehen unter dem Befehl eines römischen Kardinals. Das Hotel, in dem diese Mahlzeiten ausgeführt werden, heißt Kirche oder Kathedrale; das Büfett heißt Beichtstuhl, und die Mahlzeit selbst – Beichte. Und weil das Maul in diesem Falle das Ohr ist: Ohrenbeichte. – Es handelt sich nicht um den irdischen Leib und dessen Aufzehrung – eine verhältnismäßig geringfügige Sache – sondern um den geistigen Leib, – eine sehr viel wichtigere Sache. Tausende von diesen deutschen Astral-Leibern, wenn ich so sagen darf, von diesen geistigen Innern der Deutschen, wandern wöchentlich in die Mägen der römischen Pfaffen; daher die stiermäßige Aufgedunsenheit dieser letzteren. Der Prozeß ist relativ neueren Datums. Christus und sein Evangelium wußten nichts von diesem ekelhaften Geschäft. Es geschieht zur Zeit auf Befehl eines in Rom wohnenden Papstes, der behauptet, über die Seelen der Deutschen verfügen zu können. – Wenn die Deutschen meinen, einmal wöchentlich oder monatlich ihre Seele von einem päpstlichen Sendling verspeist sehen zu müssen, so ist das ihre Sache. Wir behalten unsere Seele in uns; verantwortlich mit derselben, soweit sie sich in Taten umsetzt, nur dem irdischen Richter, so weit sie in Gedanken besteht, nur dem Gott, der über Wolken thront.
»Wir fragen allhie Papst und alle die Seinen, woher sie Macht haben, die Beicht aufzulegen dem Christen, und wo das Gott geboten habe. Tret herfür ihr lieben Freund, zeigt Brief und Siegel!« – sagt Luther.
»Im Geschäft der Seelen ist weder Brief noch äußerliches Zeugnis von Nöten«, sagt Hutten. In der Tat, ernster und tiefer kann man den Gedanken kaum ausdrücken: Nach der Sünde, nach einer Tat gegen Dein Gewissen, bist Du immer noch ein Schurke vor Dir selbst, – für den Fall Du ein ehrlicher Kerl bist – mag Dich ein Priester oder ein Freund getröstet und absolviert haben; nur Du selbst – wofern Du ein ehrlicher Kerl bist – kannst Dir verzeihen; wenn Du's kannst, und die Zeit wird es verwischen.
Eine Tat kann niemals ausgelöscht werden, heiße sie gut oder schlecht. Eine Tat ist geschehen, wie ein Wort gesprochen; beides ist nicht aus der Welt zu schaffen, eine zweite Tat kann nur unsere Gesinnung hinsichtlich der ersten – falls sie schlecht war – dokumentieren, nicht sie auslöschen. – Hätten alle gleich empfindliche Gewissen, so bedürften wir des Strafrichters nicht. Nur die Gewissensrohen erzwingen die allgemeine Strafe für alle. Den mit empfindlichem Gewissen Ausgestatteten kann die Buße vor dem Richter nicht zufriedenstellen. Seine Tat ist getan; er muß sie mit sich selbst verspeisen, mit sich selbst in Ordnung bringen, »schweigend seinen Schmerz verzehren«, wie Calvin es einmal ausdrückt. Niemand kann ihm helfen. Er ist und bleibt vor sich ein Schurke. – Nur verändert die psychische Arbeit der Reue, mit der Zeit sein Gehirn; – und bald fühlt er, daß er ein anderer Mensch ist, eine andere Persönlichkeit. Erst jetzt, nachdem dieser Personen-Wechsel vollzogen, welches Monate dauern mag, ist die frühere Handlung, als Nicht-Resultat seiner gegenwärtigen Individualität, als nicht mehr ihm gehörig, vergangen und vergessen.
Wegen einer Handlung, die man gegen sein Gewissen, gegen seine Prinzipien, gegen die ganze Macht seiner Persönlichkeit getan hat, tun mußte, weil es nicht anders ging, weil es eine unglückselige Verkettung war, weil man rein dynamisch einem stärkeren Einfluß erlag, begreife ich, daß man wochenlang wie ein Geschlagener, mit sich selbst uneins, umherläuft, und sich zergrimmt, bis der naturgemäße Wechsel den eigenen Körper in dieser Zeit seelisch wie körperlich verändert. Aber mit diesem Gewissensdruck zum Papst oder seinem Pfaffen gehen, und dort gegen Geld und gute Worte wie bei einem Käsehändler sich Sünden-Vergebung kaufen, um dann lustig wie ein Handwerksbursch weiterzuziehen, scheint mir eine unerhörte innere Feigheit zu sein, ein Prozeß, der durch und durch undeutsch ist.
Von allen Völkern des Abendlandes ist es anerkannt, daß der Deutsche, der Germane, die tiefste Innerlichkeit besitzt. Dies setzt doch reichen innerlichen Verkehr mit sich selbst und ein empfindliches Gewissen voraus. Trotzdem läuft der Deutsche, der lockeren römischen Sitte folgend, zu einem fremdländischen, lateinisch sprechenden Menschen in ein kleines Holzhäuschen, und fragt ihn, den Fremden, was er über sein, des Deutschen, Gewissen denke. Welche Schande! Welche Feigheit! Welche schmachvolle Kapitulation vor dem eigenen Gewissen!
Bei Hutten lesen wir folgenden Dialog (Phaeton und der Sonnengott fahren auf dem Sonnen-Wagen, sie sind auf der Höhe des Himmels angelangt und blicken auf Deutschland herunter):
Phaeton: Was bedeutet denn das, daß ich etliche Leute sehe, die den Mönchen und Pfaffen irgend etwas in die Ohren murmeln?
Sonne: Das heißen sie beichten. Denn es wird als eine geistliche und gottesfürchtige Tat angesehen, wenn jeder den Pfaffen bekennt, was er gesündigt habe. Dabei muß er nicht nur die begangene sündige Tat beichten, sondern auch den Gedanken, der ihn dazu veranlaßt hat. Also muß jedermann seine eigensten und heimlichsten Gedanken durch die Beichte preisgeben.
Phaeton: Kann man denn nicht einen Menschen dazu überreden, daß er diesen losen Gesellen nicht seine Heimlichkeiten offenbare?
Sonne: Alle Menschen tun das nach den Verordnungen und Gesetzen der Geistlichen, wohl aber auch aus alter Gewohnheit!
Phaeton: Wenn nun aber die Pfaffen auf diese Art alle heimlichen Dinge erfahren, erzählen sie dann diese auch nicht weiter?
Sonne: Da es so ist, daß manche still und verschwiegen, andere wiederum laut und schwatzhaftig sind, wird es für sich behalten oder weiter erzählt.
Phaeton: Da ist es aber sehr gefährlich, diesen Pfaffen Geheimnisse anzuvertrauen, schon deshalb, weil sie oft mehr Wein saufen, als ihnen zuträglich wäre. – Daß sie aber auch von den Frauen eine Beichte hören wollen, gefällt mir gar nicht. – Und was machen sie eigentlich, wenn sie eine Beichte gehört haben?
Sonne: Sie sprechen jeden frei von seinen Sünden. Von diesem Augenblick an ist er wieder rein, lauter und unschuldig.
Phaeton: Das sind die, die vorher befleckt, schuldig und in der Sünde verstrickt waren?
Sonne: Genau dieselben. Den ganzen Vorgang nennt man »absolvieren«!
Phaeton: Was sagst Du? Die, die selber ein so sündhaftes Leben führen, maßen sich an, andere von ihren Sünden und Vergehen einfach freizusprechen!?
Sonne: Ja! So heißt es in ihrer Religion!
Und Ihr habt, um Eure feige Ohrenbeichte durchzusetzen, auch da Eure großen Lappen-Ohren hingehalten, wo noch nichts zu hören war, und der Kinder Herzen vergiftet, und sie Sünden gelehrt, damit sie Sünden beichten können! Welche Schmach für deutsche Schulkinder, sie herumtrippeln zu sehen, und sich gegenseitig »Sünden« ausfragen und abbetteln zu hören – nur um Namen und leere Begriffe handelt es sich dabei – um den vorgeschriebenen Beichtzettel ausgefüllt abgeben zu können.
So hat sich das Krämer- und Kauf-Geschäft der päpstlichen Sünden-Börse bis auf die Kinder-Welt fortgesetzt: In katholischen Ländern verkaufen sich die Kinder gegen Zuckerwerk, Bleistift, Griffel und dergleichen »Sünden« aus Angst, im Beichtstuhl nicht die verlangte Anzahl nennen zu können. Auch das kommt auf Rechnung der verlotterten, welschen, hurenmäßigen Auffassung der Religion durch die Götter in Rom.
Wenn Eure Beichte noch gewahrt bliebe! – War Euer seelisches Gerüst nun einmal so lidschäftig, daß es ohne Anlehnung an einen andern nicht bestehen konnte, – und darin liegt eine mangelhafte Tätigkeit der Seele – wenn dann wenigstens Eure geheimnisvolle Kommunikation gewahrt bliebe! Aber die wird preisgegeben und ausgeschwätzt, sobald der Vorgesetzte Eures Vertrauten, sei es Rom, sei es wer anders, es befiehlt. – Die Jesuiten haben allein auf diesen Punkt hin ein weltumfassendes Kommunikationsnetz konstruiert, dessen Fäden in Rom zusammenliefen. – Und dann steht Ihr in der ganzen Erbärmlichkeit und Hilflosigkeit Eurer Seele da!
Noch heute hat jeder katholische Fürst seinen eigenen Beichtvater. Und früher wurden diese Beichtväter von Rom aus verschickt und den durchlauchtigsten Königen und Regenten beigegeben. Und ihre Stellung war unermeßlich hoch und einflußreich, da sie die Herzen ihrer Zöglinge »leiteten«. So wichtig waren diese lebendigen, schwarzen Schlummerrollen für die Herzen der Fürsten! Aber oft verkrümpelten sich die Beziehungen des Fürsten zu seinem Beichtvater, die durchlauchtigste Seele schlief nicht mehr so sanft auf der schwarzen Schlummerrolle; und nun war die Situation entsetzlich. Der Fürst war halbiert; der Beichtvater aus Rom hatte seine Seele sozusagen in Pacht. Und nun sollte er fort. Und ein anderer sollte kommen. Und diese Transaktion sollte geschehen, ohne daß die Seele des Fürsten Schaden leide. Und nun begannen diplomatische Verhandlungen. Und Bistümer und Grafschaften wog ein solcher neuer Beichtvater auf. Und oh, wenn der Heilige Vater sich erweichen ließ, wie in dem Falle Herzog Wilhelms II. von Bayern, und ließ sich herbei, dem gewünschten neuen Beichtvater die Seele des Fürsten zu übergeben; und oh, die Freude, wenn es ein Jesuit war; denn die Jesuiten waren unübertefflich geschickt im Beichtehören. Jetzt war der Fürst wieder ganz! Jetzt hatte er sein unentbehrliches, seelisches Kompliment aus Rom erhalten! – Mein Gott, die Sache ist ja herzbrechend! Aber, Gott verzeih mir, mich erinnert die Sache an unsere modernen Hypnotiseure und ihre Opfer: wo auch einer am Stuhl sitzt, unfähig, einen ganzen Menschen zu bilden, und der Beichtvater geht auf ihn zu und reicht ihm eine rohe Kartoffel und spricht: Essen Sie mein Freund, essen Sie diesen süßen Pfirsich! Und der Fürst ißt, ganz entzückt, und schlürft die süße Speise hinunter. – Mein Gott, die Sache ist ja herzbrechend schön; nur weiß man nicht, soll man darüber lachen oder weinen. –
Sarpi schreibt in seiner Geschichte des Tridentiner Konzils über die Jesuiten als Beichtväter: »Niemand kann Gesinnung und Geheimnisse der Fürsten und Könige mit solcher Genauigkeit erforschen als ihre (der Jesuiten) Beichtväter. In der Beichte, besonders jener, welche über das ganze bisherige Leben Rechenschaft ablegt, werden ihnen die geheimsten Herzensfalten der Regierenden offenbar. Diese Art der Beichtablegung hält die Berater des Römischen Stuhls sicherer auf dem Laufenden, als es die Millionen des spanischen Herrschers (Philipp II.) vermögen, die dieser an seine Sendboten ausgeben soll.«
Maria Theresia, eine große, weitblickende, aber bigotte Frau, wollte die Jesuiten in Wien auch nach Aufhebung des Ordens halten; bis man ihr die Abschriften ihrer in Wien abgelegten Beichte insgeheim von Rom aus, durch ihren eigenen Gesandten zustellte.
In dem Breve vom 21. Juli 1773, mit dem Papst Clemens XIV. den Jesuiten-Orden aufhob, beruft er sich ausdrücklich auf »die schwersten Beschuldigungen, die den Mitgliedern des Ordens gemacht werden, und die den Frieden und die Ruhe der Christenheit stören«; eine dieser schwersten Beschuldigungen war das Brechen des Beichtgeheimnisses; »er wolle – schrieb Clemens weiter – den Gläubigen ihre Ruhe, der Kirche den Frieden wiedergeben«, und hob den Orden auf. Der gute Clemens war ein Papst, wie jeder andere; er hob den Orden auf, weil er mußte, und weil der Ansturm zu gewaltig war. – Ich wünschte nur, es möchte auch in Deutschland bald ein Ansturm entstehen, gegen den das gesamte Papsttum sich nicht mehr halten könne, und daß dann das Papsttum, in ähnlicher Weise, durch ein Breve, von kurzer Hand, von den Deutschen für Deutschland aufgehoben werde.
Und aus neuester Zeit erfahren wir von dem aus dem Jesuiten-Orden ausgetretenen Grafen von Hoensbroech, also von autoritativer Seite, daß das Beichtgeheimnis bei den Jesuiten statutengemäß gebrochen wird. »Der Jesuitengeneral Claudius Aquaviva stellte als zu befolgenden Grundsatz auf, daß selbst, wenn die Gewissensrechenschaft abgelegt worden sei in Form der sakramentalen Beichte, dennoch der Obere das in dieser Beichte Mitgeteilte in der angegebenen Weise (das heißt zur Disposition der Oberen und des Generals) benutzen dürfe. Hier wurde also von Menschenhand das von Gott seinem Sakrament aufgedrückte Siegel zerbrochen!«
Es kommt ein letztes hinzu: Wir wissen heute ein bißchen mehr von der Seele des Menschen, als zur Zeit des Jakobus-Briefes. Und da die Geistlichen ebenfalls Menschen sind, so unterliegen sie deren Bedingungen: Das Behalten eines Geheimnisses, selbst in der ehrlichsten Absicht, und selbst wenn beschworen, ist nicht immer in unseren Willen gegeben. Nicht nur wenn wir »voll« sind, wie Hutten meint – und das soll auch bei Geistlichen vorkommen –, sondern unter den verschiedensten seelischen Dispositionen, im Schlaf, im Traum, in der Hypnose, unter dem Einfluß bestimmter Medikamente, geben wir das unserem Unter-Bewußtsein Anvertraute ahnungslos von uns. Und, was wichtiger sein dürfte, unser gesamtes Gedächtnis ist das Material, aus dem wir, uns selbst unbewußt, unser gesamtes Tagesleben, unsere Handlungen, unsere Reden, unsere Andeutungen, unsere Bewegungen, unsere Gesten aufbauen. Mit einem uns anvertrauten Geheimnis in dieser Hinsicht als Baumaterial nicht rechnen wollen, liegt außerhalb des Bereiches unseres Willens; da die tiefste und letzte Verknüpfung dieses Materials im Unbewußten vor sich geht. Unsere Motive, als letzter Anstoß unseres Redens und Handelns reichen tiefer hinab, als unsere Jurisdiktion. Die Wahrung des Beicht-Geheimnisses ist also psychologisch unserem Willen entzogen.
Das ist die katholische Beichte. Ein Narrenwerk; erst vergöttlicht; dann vermenschlicht. Ich glaube, auf Grund des Gesagten darf man jedem Deutschen zurufen: Beichtet überhaupt nicht! Euer Gewissen muß doch wahrhaftig mehr wert sein, als der Papst! –
Und doch war diese Beichte noch ein Kinderspiel gegen das, was ihr folgen sollte: Was auch der Mensch getan haben mochte, schließlich, wenn er reumütig bekannte, mußte er absolviert werden. Die Schuld wurde vergeben. Er war frei. Zu schnell entschlüpfte der sündige Mensch dem kirchlichen Einfluß. Überwachung aber des Menschen in jedem Moment, auf allen seinen Gängen, bis auf seine nebensächlichsten Handlungen, war das Grundprinzip der katholischen Hierarchie. Hier mußte also etwas gefunden werden, um den armen Kerl festzuhalten. Man sagte: die Schuld ist vergeben; das können wir leider nicht hindern; Christus ist am Kreuz gestorben. Aus des Teufels Krallen seid Ihr erlöst. Aber die Strafe für die Schuld muß außerdem gebüßt werden; hier oder im Jenseits; besser hier; und die Strafe geht uns, die Kirche, an. Die Schuld war etwas Moralisches, Jenseitiges, in den Himmel Reichendes: hatte Christi Blut weggewaschen. Die Strafe war etwas Hiesiges, Irdisches, das Fleisch Treffendes, Meß- und Wägbares. – Die lehrhafte Unterscheidung dieser Beziehungen geht übrigens nicht auf einen Kirchenlehrer, auch nicht auf eine Zeit-Periode zurück, sondern entwickelt sich schon seit dem 3. Jahrhundert.
Dazu kam aber noch etwas anderes. Das In-Bezug-Setzen einer bestimmten Menge der Strafleistung mit der Höhe der Schuld. Auch für rein geistige Strafleistungen, wie das Gebet: Wer zwanzig Geldstücke zahlen muß statt eines, um eine Schuld zu sühnen, empfindet die Strafe zwanzigmal stärker; wer zwanzig Rutenhiebe bekommt statt eines, ebenso; dies ist begreiflich und war bei den alten Germanen wie bei den übrigen Völkern Brauch. Aber daß zwanzig »Vaterunser« mehr sein sollen, als eines, wer hat das zuerst eingeführt? Seit meinen Jugendjahren ist dies einer meiner furchtbarsten Gedanken: daß ein Dutzend Vater-Unser oder Ave-Marias mehr seien, als eines im Hinblick auf die Leistung wie auf die Gesinnung des Büßenden. Wer hat diesen entsetzlich rohen Gedanken zuerst in das Christentum eingeführt? Es ist dieser Gedanke der Grund, der mich beim Betreten einer katholischen Kirche alles Händefalten und Dortknieen für einen gegenstandslosen Schabernack, ihre Gottheiten im Gegensatz zum deutschen Herr-Gott für Opernfiguren, ihre ganze Religion für einen fremdartigen, mich neugierig machenden, orientalischen Kultus halten läßt.
Ich kann mir nicht helfen, ich glaube hier einen ursprünglich orientalischen Einfluß zu erblicken: als ich zum erstenmal die Gebetsübungen der Derwische in einer blendenden Schilderung erzählen hörte, wie sie die Köpfe schlenkernd mit ihrem li la la illa hin und her warfen, und in immer schnellerem Tempo diesen stampfend vorgebrachten Rhythmus wiederholten, bis ihnen der Schaum vor den Lippen stand und sie berauscht und besinnungslos niederstürzten, um in einem Außer-Sich-Sein, in einem Verzückungsstadium, die psychische Vereinigung mit dem Göttlichen auf einige Minuten zu erleben, – war mir klar, daß diese religiöse Wort- und Körper-Gymnastik die Quelle unserer Litaneien und Rosenkranz-Übungen seien. Denn hundert oder hundertfünfzig Ave-Marias sind keine Verinnerlichung, keine Gesinnungs-Konzentration, sondern zweifellose Gymnastik; nur fehlt hier der Endeffekt des Orientalen: die Berauschung, die Verzückung. Denn das abendländische Hirn ist dieser Trans-Form auf dem Wege rhythmischer Körper- und Lippen-Leistung nicht fähig; aber der gymnastische Anlauf dazu liegt in der Litanei deutlich vor; und bei den keuchenden Beterinnen auf dem »Käppele« bei Würzburg mag ein Anfangs-Stadium der Berauschung, in Form von Schwindel, eintreten. Ich gebe hier meine Gedanken ganz wie ich sie habe, ohne ihre wissenschaftliche Begründung versuchen zu können: die Massen-Gebets-Leistung mit rhythmischer Akzentuierung in der katholischen Kirche ist orientalische Gottesdienst-Übung: die abendländische, und besonders die nordländische Art der Erhebung zu Gott ist spezifisch: Verinnerlichung in sich selbst, Versenkung in das eigene Gemüt, feierliche Stimmung, Zwiegespräch mit der Seele, Abschluß von der Außenwelt, Aufsuchen großer Stille und Zusammenfassen des Stimmungsinhalts in wenige, hergebrachte oder selbst erfundene Worte, die nicht laut gesprochen, sehr leicht innerlich geweint sein können. – Und nun mag, nachdem wir einige grundlegende Erörterungen und Unterscheidungen gepflogen, das Geißelknallen und endlose Psalmodieren der frühesten Kirche bis zu den großen Portemonnaie-Leistungen der sündigen Christenheit im prächtigen St. Peters-Dom zu Rom ihren Fortgang nehmen.
Ein reines Gewissen wird gegen eine Tracht Prügel oder gegen eine Portion Maulfertigkeit verabreicht, und Sündlosigkeit verzapft wie Bier.
»Seht an, was treibens in der Beicht.
Denn wer dasselbig achtet leicht,
der hat der Sachen nit Verstand.
Ich will verschweigen die große Schand
die da geschieht. So schwatzens ab,
beid, Weib und Mannen, Gut und Hab.
Wo dann ein Frommer sterben muss,
in's Kloster geben, ist sein Buss«
– sagt Hutten.
»Und meynen die törichten Menschen, Gottes Huld und Gnad do mit zu erwerben, das sie ihr Geld zu geistlichem Gebrauch geben. Dann sie glauben gänzlich es sei wohl angelegt. Und zu voran die guten Fräulein, die dann erbärmlich betrogen werden, und mit wunderlichen Zusagungen, durch die Beichtiger überschmeichelt. Dieselbigen melken von jenen so viel sie wollen. Und meinen die guten frommen Weiblein, sie mögen doran nit sündigen« – sagt Hutten weiter.
Das ganze merkantile System wird zusammengefaßt unter dem Wort Ablaß. Das Wort kommt nicht von: ablassen, im Sinne von: Sünden nachlassen; sondern daher, daß der Papst die von Orden und Betbrüderschaften durch sogenannte Leer-Beten, oder Im-Voraus-Beten und Kasteien, aufgehäufte Spannkraft, die man »Gnadenmittel«, oder »gute Werke« nannte, und die in Zahlen oder dem Druck nach angegeben werden konnte, zu seiner Verfügung nahm, und davon gegen Bezahlung »abließ«, was ihm gutdünkte. – Die Sache ist nicht direkt verständlich, und durchaus kein so einfaches Kassengeschäft, wie oberflächliche Protestanten oft meinten: Wenn z. B. einer einen Mord begangen hatte, so wandte er sich an einen Priester, und durch dessen Vermittlung erhielt er vom Papst einige tausend »Vater-Unser«, die irgendwo anders, von anderen, im Kloster, oder sonstwo, gebetet worden waren, die also als saubere, verwendbare, sündentilgungsfähige Vater-Unser dalagen. Diese tausend oder wieviel »Vater-Unser« also, die zwar gebetet, aber nicht verbetet waren, die also einen Wert repräsentierten, weil der betreffende Beter, der sich gerade sündenfrei fühlte, oder gerade absolviert worden war, für seine Vater-Unser nichts vom Himmel bekommen hatte, auch nichts nötig hatte, gab der Papst dem betreffenden Totschläger; und dieser zahlte dafür fünfzig Grossi, zirka zweihundertfünfzig Mark (dies war ungefähr der Sühnepreis für einen Mord in der Tax-Liste Papst Leos X.). – So weit war die Sache allerdings reines Kassengeschäft; nun kommt aber das Merkwürdige: der Totschläger bekam die »Vater-Unser« eigentlich nicht. Was sollte er denn mit den »Vater-Unser« tun? Er konnte ja damit nichts anfangen; was kann denn ein Totschläger mit »Vater-Unsern« machen. Er kann sich ja mit denselben krumm beten. Er kann sich in seiner Verzweiflung damit vor Gott hinwerfen: es hilft ihm nichts: der Katholik hat ja keine direkten Beziehungen zu Gott. Gott ist ja für den Katholiken keine Instanz. Er kann also mit den »Vater-Unsern« rein nichts anfangen. – Wer bekommt dann die »Vater-Unser«? – Gott, das allerhöchste Wesen, der Inbegriff unserer höchsten und heiligsten Vorstellungen! – Und von wem? – Vom Papst. Hat denn der Papst mit diesem höchsten Gott solche Beziehungen, daß er ihm »Vater-Unser« mit einer entsprechenden Weisung überreichen kann? – Das glauben in Deutschland Millionen Menschen, und geben ihren letzten Sparpfennig dafür her, und verraten ihren Fürsten, wenn es gewünscht wird. – Und der Mörder? – Erhält die »Vater-Unser« nur nominell; sie werden ihm angerechnet; und Gott muß ihn dafür von den ewigen Strafen befreien. – Muß? – Das ist eben die dritte Seite im Ablaß: erst die Beziehung des Mörders zum Papst; demnächst die Beziehung des Papstes zu Gott; und jetzt die Beziehung Gottes zum Mörder, die eigentlich keine Beziehung, nur eine unsichtbare Funktion ist. Gott muß für jedes Vater-Unser etwas leisten. Wird es von jemandem gebetet, der selbst keine Sünde begangen, so muß Gott das Vater-Unser für einen andern annehmen, und diesem eine Strafe erlassen. So ist der Pakt, den der Papst mit dem Herr-Gott geschlossen hat. Gott muß also dem Mörder, für den die nötige Anzahl »Vater-Unser« hinterlegt wurden, die Strafe erlassen, ohne daß er mit ihm in direkte Beziehung tritt. Dies ist lediglich ein Rechengeschäft. – So also ist der Instanzenweg. Der Ablaß ist, figürlich ausgedrückt, ein spitzes Dreieck. An der Spitze der Papst, unten an den Schenkeln der Sünder und Gott. Obwohl diese beiden Enden der Schenkel sehr nahe beieinander sind, ist doch eine Beziehung zwischen Gott und Sünder unmöglich; diese Drei-Eck-Seite ist nicht ausgezogen; muß als punktiert betrachtet werden. Ausgezogen ist nur die lange Linie vom Sünder hinauf zum Papst; dorthin geht der Instanzenweg; und ferner die lange Linie vom Papst herunter zu Gott; dies ist der Weg, den nur der Papst beschreiten kann.
Ich sehe, einem jungen Menschen aus Norddeutschland, der vielleicht noch nicht zwanzig Jahre alt und der Sohn ehrlicher Leute ist, schwindelt hier das Hirn. Ich kann ihm aber nicht helfen. Zu irgendeiner Zeit muß eben jeder, der nicht zurückbleiben will, das schmutzigste System, das Menschen konstruiert haben, kennenlernen.
Die Rechnung nach »Vater-Unser«, »Ave-Marias«, »Litaneien« und dergleichen war aber bald zu umständlich. Man rechnete nach »Monate« und »Jahre« Buße, einerlei, was vorgefallen war. Man sagte: ein Mord braucht, um hinsichtlich seiner Straf-Wirkung ausgelöscht zu werden, soundsoviel Monate »Buße«, und diese monatelangen Gebete und Kasteiungen kosten so und so viel. – Da aber die Buß-Zeit für den Missetäter gar kein Interesse hatte, da er sie ja nicht abbüßte, sondern nur bezahlte, so setzte man in den Taxbüchern gleich die Summe neben das Verbrechen, und sagte: Ein Mord kostet soundsoviel. – Und der Papst ließ die Mönche in den Klöstern fleißig beten und psalmodieren und gab ihnen einen Teil des dafür eingehandelten Geldes, und schenkte ihnen Privilegien; und »Tausende von Jahren Sünden-Vergebung« sammelten sich beim Heiligen Vater an; man nennt dies den Gnadenschatz der Kirche, und er gab davon ab an Könige, Fürsten und Herren, und beruhigte ihre Gewissen; nur die Armen ließ man in Verzweiflung, und rief ihnen zu, sie möchten sich selber kasteien, und beten, so gut es ging. Und was ein Papst an »Gnadenschatz« nicht brauchte, überließ er seinem Nachfolger, wie einen Schatz an barem Gelde, Die Höhe schwankte wie in jedem anderen Staats-Sau-Stall – wollte sagen: Staats-Haushalt. Ich weiß wirklich nicht, wie viel tausend Sünden-Vergebungs-Jahre der gegenwärtige Papst, Leo XIII., gesammelt, und was das Jahr kostet. – Und der Herr Gott im Himmel schlug diese verdammte Sünden-Krämer-Bude nicht in Trümmer? – Nein, lieber Freund, ehrliche Menschen schlossen aus dem Umstand, daß diese päpstliche Sünden-Bude aufgeschlagen werden konnte, daß es keinen Kirchen-Herr-Gott gebe! –
»O ihr Mönche und Pfaffen,
Was habt ihr gethan?
Habt uns gemacht zu Affen;
Die Läng' mag's nit bestan,
Es soll euch bald gereuen,
Das sage ich fürwahr,
Das Fell soll man euch bleuen
und ziehen bei dem Haar.«
So sangen die Stralsunder im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts.
Das Nächste war, daß man, nachdem man sich des Gewissens der Menschen bemächtigt hatte, nach ihrem Körper langte, ihren Magen untersuchte, was sie aßen, ihre Kleider visitierte, was sie trugen, ja bis ins Ehebett stieg, und alle Funktionen beobachtete und abzählte, und alles besteuerte und zur Sünde machte, nicht, um es zu verbieten, sondern um es auslösen zu lassen, und die menschlichen Funktionen gegen Geld zu verkaufen.
»Hört zu ihr Deutschen, was ich sag,
aus Gottes Stiftung nimmer mag
bewiesen werden, uns schuldig sein,
dem Papst zu geben Geld hinein,
und um ihn kaufen geistlich War',
Pfründ, Kirchen, Pfarren und Altar.
Gott hats gegeben alls umsonst,
und mag nit sein der göttlichen Gunst
wo man die Sacrament verkauft.
Kein hat Gott nie ums Geld getauft.«
»Veräußerung des Innerlichsten« nennt Ranke mit einer glücklichen, vieldeutigen Wendung den Ablaß, als er auf die zerstörende Wirkung dieser frivolen, päpstlichen Einrichtung auf die Innerlichkeit und das Gemüt der Deutschen zu sprechen kommt. In der Tat, ihre Sünden glaubten sie verkauft zu haben, und ihren Anstand, ihr Gewissen, hatten sie in Wirklichkeit verkauft. –
Der nächste Schritt war, daß man die Leute nach Rom zu kommen zwang; es genügte nicht, ihre Gewissen zu beherrschen, ihre Handlungen alle aus der Ferne zu kontrollieren; auf diesem Weg blieb zu viel Geld in den Händen der Zwischenhändler, der Bischöfe und der Geistlichen kleben; man wollte den Leuten zeigen, wo der Statthalter Christi wohne, von wo der direkteste Weg zum Himmel sei, wo die Wirksamkeit der Gebete und Almosen am größten sei; man wollte die Sündenvergebung lokalisieren. Schon Bonifaz VIII. fing im Jahr 1300 an, allen Rompilgern, welche während dieses Jahres nach Rom kämen und die Kirchen des Petrus und Paulus besuchten und daselbst beichteten, »nicht nur volle und reichlichere Sündenvergebung als sonst (man beachte die Sprache), sondern vollkommensten Nachlaß aller Sündenstrafen zu versprechen«; und dies sollte sich alle hundert Jahre wiederholen! Man nannte dies Jubeljahr, ein für einen Nordländer im Hinblick auf Sündenvergebung, Reue und Beichte kaum verständliches Wort. Der finanzielle Erfolg war enorm. Der Geschichtsschreiber Villani erzählt im achten Buch seiner Weltgeschichte als Augenzeuge, daß sich täglich während dieses Jahres zweihunderttausend Pilger in Rom befanden, die Zuströmenden und Abziehenden ungerechnet. Am Altar des Paulus standen Tag und Nacht zwei Geistliche, und scharrten mit Rechen das Geld der Gläubigen zusammen, wie ein Chronist berichtet, der sich selbst unter den Pilgern befand. Greise, Kranke, Kinder schleppten sich den langen Weg nach Rom hin, oft sich einander tragend, um gegen Geld ihre Sünden los zu werden, das heißt, ihre Furcht, in dem eigens für diese Zwecke konstruierten Fegfeuer sitzen zu müssen. In Rom angekommen rutschten sie auf den Knieen die Stiege zum Vorhof von St. Peter hinauf und warfen sich in Ekstase am sogenannten Apostelgrab nieder. Der Zweck wurde vollkommen erreicht: Die Sündenvergebung, von der wir oben meinten, sie ruhe als letzter Prozeß im Gewissen des Einzelnen, war hier an eine Steinplatte lokalisiert. Dante sah noch dieses Jubiläum und erwähnt es im achtzehnten Gesang seines »Inferno«. Das Gedränge muß darnach entsetzlich gewesen sein. Man berechnete allein die Kupfermünzen der Armen auf 50000 Goldgulden; die Gesamt-Einnahme auf dreizehn Millionen.
Dieses Jubiläum, welches man mit Recht »das goldene Jahr« nannte, und sein enormer Geldeingang machte die Päpste, und noch mehr ihre Umgebung, zu gierigen Wölfen, zu goldfressenden Schakalen. In unseren Tagen sagt man, der erste Morphium-Genuß wirke auf dazu disponierte Leute derart, daß sie es unter allen Umständen wieder haben müßten, und sie würden darüber zu Dieben und Betrügern, und verlören das Gefühl für Schande. So wirkte das gelbe Metall damals auf die Päpste. Sie mußten es unter allen Umständen haben. Und wenn sie zu ehrlosen Betrügern dadurch wurden. Und die Römer erklärten, sie könnten ohne den Fremdenzufluß nicht mehr existieren. Ganz Rom bestand aus Wirtshäusern und Herbergen. So ließ man denn in der Welt sündigen, damit der Vatikan zu seinem Geld käme. Und wo nicht genug gesündigt wurde, konstruierte man neue Sünden. Gleich Clemens VI. setzte, kaum gewählt, 1344 das Jubiläum auf alle fünfzig Jahre herunter; wie er wehmütig hinzufügt, »als Gnadenkonzession aus dem unerschöpflichen Schatze der Verdienste Jesu Christi, zu dessen Haufen die Jungfrau Maria und alle Auserwählten ihre Verdienste bekanntlich hinzugäben«. Urban VI. setzte es noch im gleichen Jahrhundert auf alle 33 Jahre fest; und Paul II. im Jahr 1470 auf alle fünfundzwanzig Jahre; und was wäre erst gekommen, wenn die Päpste nicht 1309 auf ein volles Jahrhundert nach Avignon in Südfrankreich ausgewandert wären. In Rom entstanden jetzt die Sünden-Kanzleien mit einem Heer von Beamten und Schreibern, von denen Ablaß-Bullen und Indulgenzen, Lossprechungen vom Bann, bis herunter zu den kleinsten Butter- und Eier-Briefen in Tausenden und Abertausenden von Exemplaren gegen Barzahlung im Namen Gottes ausgefertigt wurden. Die Einnahme aus all diesen Quellen berechnen sich nach Hunderten von Millionen. Und Papst Leo X., der »große Ablaßkrämer«, konnte mit Recht zum Kardinal Bembo sagen: »Was Uns und den Unsrigen jenes Märchen von Christus für Vorteile gebracht hat, ist durch alle Jahrhunderte zur Genüge bekannt.«
Nachdem der große Ablaß-Bau ausgeführt war, kamen noch eine Menge Ausschmückungen und Zierrate hinzu. Die wichtigste war wohl die, die Alexander VI. einführte, wonach der in Rom gewonnene Ablaß auch auf die »Seelen im Fegfeuer« ausgedehnt werden konnte. Welche Anstachelung der Phantasie! Ein Besuch in Rom verschaffte allen verstorbenen Verwandten das Himmelreich. Der gleiche Papst führte auch die sogenannte goldene Pforte auf, eine Türe der Peterskirche, die nur im Jubeljahr geöffnet ist, nach Schluß desselben wieder vermauert wird. Mit drei Schlägen eines goldenen Hammers und den Worten: »öffnet mir die Tore der Gerechtigkeit« wurde sie vom Papst am ersten Tag des Jubeljahres geöffnet. Jeder, der durch sie hindurch geht, wird aller Sünden quitt und ledig, und kann dies auch für andere, zu Hause Gebliebene, mit dem gleichen Erfolg besorgen. – Eine größere Anzahl von Sünden und Vergehen behielten sich die Päpste vor, persönlich zu vergeben. Kein Priester oder Bischof konnte daran rühren. Selbst Christus nicht, auf den sich jemand hätte berufen können. Ihretwegen war es natürlich vor allem angezeigt, nach Rom zu pilgern. – Clemens VI. befahl in einer Bulle den Engeln im Paradies, allen etwa auf der Reise zum Jubeljahr nach Rom Verstorbenen direkt den Himmel zu öffnen, da ihre Seelen aus dem Fegfeuer schon befreit seien. Und in einer Bulle vom Jahr 1342 erklärte der gleiche Papst: Christus habe das Menschengeschlecht mit einem einzigen Tropfen seines Blutes erlöst; der Rest des vergossenen Blutes, welches doch nicht umsonst vergossen sein könne, bilde, vermehrt um die Verdienste Marias und der Heiligen, den unermeßlichen Gnadenschatz der Kirche, zu dem der Papst den Schlüssel habe, und von dem er zur Entsündigung der Menschheit ablassen könne, soviel er wolle, ohne Gefahr, denselben je zu erschöpfen.
»... zu Rom, und nehmen täglich ein
von Deutschen, unser Schweiß und Blut.
Ist das zu leiden, und ist's gut?
Ich rat, man geb ihn fürderhin
kein Pfennig, das sie Hungers
ersterben.«
»All ding ums geld man kaufen muß,
wer dies nicht hat, dem hilft kein Gruß,
Und sind zu Rom die Pfründen feil.
Sie sprechen auch der Seelen Heil,
Vergebung aller Missetat;
Und was die Geistlichkeit angaht
gehör in solcher Kauffleut Schatz.
So haben seitdem Päpste viel
Gekartet ganz das Widerspiel,
und machen neu Gesetz ohne Zahl,
das Evangelium wurde schmal.«
Dreierlei Dinge – sagt Hutten – bringen die zurück, die gen Rom zum Papst gehen: »ein verdorbenes Gewissen, einen bösen Magen, und leeren Säckel.«
»Nur die Gutmütigkeit der Gläubigen – meint Ranke – gewährte dem Papst die großen Einkünfte aus Jubiläen und Indulgenzen.« – Nein, da kennt Ranke seine Landsleute denn doch zu wenig. Es war naiver, ehrlicher Glaube und Sorge für das Jenseits auf der einen, rücksichtslose Berechnung auf der andern Seite. – Laurence Sterne definiert in einer seiner Predigten das Papsttum als: »ein Gaunersystem, welches unter Berechnung der Schwachheiten und Neigungen der Menschen ihnen die Taschen plündert.« Gutmütig war nur das, aber zugleich ein Beweis für den Ernst der Auffassung, daß es keine Nation so weit und so bunt mit sich treiben ließ, wie die deutsche; so daß einst Alexander VI., als er hörte, sein Sohn Cäsar habe im Brettspiel hunderttausend Goldgulden verloren, achselzuckend erwidern konnte: »Es sind nur die Sünden der Deutschen!«
»Da schickt der Papst uns sein Legaten
Mit viel Gewalt, wenig Dukaten,
Er gibt ihnen aber sonst daneben
Die Ablaßbrief, davon zu leben,
Da mit das, was in die Kisten fällt,
Ihnen unverletzt werd' zugestellt,
Und uns die Flügel mit gefärden
Des soll dadurch beschroten werden.
Wenn nun die Botschaft uns gesandt
Kommt irgendeinem ein Stadt im Land,
So muß man ihn entgegen gon
Mit herrlicher Prozession,
Sie führen hin mit großem Prangen,
Mit Kreuzen, Fanen und Kerzstangen,
Mit großem Gesang und auch Geschrei
Von Pfaffen, Mönchen, mancherlei.
Als dann so würd' ein Kreuz aufgesteckt,
Damit der Menschen Herz bewegt,
und würd der Ablaß wie der Wein
Ausgerufen mit großem Gleiß und Schein.
Da mit kommt's Geld dann auch von den,
Die sonst gen Rom nit mochten gehn.«
»Der dort auf Erden jetzt an meiner Statt
Den Platz sich angemaßt, regieret, hat
Aus meinem Grab gemacht 'ne Düngergrube
Voll Unflat und voll Schmutz, – der Lotterbube
An meiner Stelle Christus sein? – zum Lachen,
Zum Lachen ist's und Hölle lustig machen!«
– singt Dante. Wie fürchterlich Deutschland geblutet haben muß, zeigt uns ein lateinisches Gedicht des Konrad Geltes aus dem 15. Jahrhundert: »Gegen Rom« überschrieben: »Wie hast Du Dich verändert Rom, und wie gemein erscheint uns heute Dein Gesicht! Ehemals handeltest Du mit alten Körpern und Heiligenknochen, heute handelst Du mit Seelen. Unser gesamtes Deutschland ist infolge dieser Handelschaft vom Süden bis zum entferntesten Norden, von einer Grenze zur andern, ausgesaugt und ausgeplündert, all unser Gut in eure Spinde und Kästen gewandert, damit Du, gottloses Rom, deinen Lüsten Genüge tun könnest. Und die Gelder, die wir Euch schickten zum Aufbringen der Heere, die unsere Grenzen gegen die Heiden und Türken schützen sollten, die habt ihr in Rom vor den Altären des Bachus und der Venus vergeudet!«
Man wird mir hier entgegnen: Der Ablaß ist ja vorbei. Die schmutzigste Ära ist überwunden! – Der Ablaß ist nicht vorbei. Er blüht in Deutschland und Rom, wenn auch nicht in dieser Form, aufs üppigste. Millionen werden jährlich in Deutschland für das Erlösen der Seelen aus dem Fegfeuer ausgegeben. Ich kenne manchen schwarzgerockten armen Teufel auf dem Lande, der auf dieses Fegfeuer-Geld angewiesen ist. – Ich sage nur: Laßt Euch nicht weiter beschmutzen von der päpstlichen Religion; laßt Euch nicht weiter verwickeln in ihre Unterrocks-Dogmen und heilige Gebärhaus-Exerzitien. Habt nichts zu tun mit den Erweiterungen zur »Christlichen« Religion, die nur die Erhöhung der Person des Papstes im Auge haben. Merkt Ihr denn nicht, daß man den Papst zum »Gott« machen will? In Frankreich wird er schon »Sohn Gottes« genannt. Wollt Ihr ihn denn anbeten? (Ihr habt es schon getan!) Was geht Euch ein Welscher an? Seid deutsch! Ihr habt doch deutsche Sprache, deutsche Kunst, deutsche Literatur, deutsche Herzen: warum wollt Ihr welsche Religion?
Auch irrt Ihr, wenn Ihr meint, die katholische Kirche habe ein Titelchen ihrer Ablaß-Einrichtungen aufgegeben. Zweihundert Jahre nach Luther hat Pius VI. »das Schmähen gegen die in der Kirche gebräuchlichsten Ablaß-Verzeichnisse strenge gerügt und solches für vermessen, anstößig (!), ärgerlich und schimpflich für den heiligen Stuhl und für die in der ganzen Kirche bestehende Praxis« erklärt.
Und der zweimalige Sturm des aufgeklärten katholischen Deutschlands gegen die Trierer Rockwallfahrt im 19. Jahrhundert ist ebenso vergeblich verrauscht wie der Zorn der Reformatoren gegen dieses sündenvergebende Kleidungsstück im 16. Jahrhundert; wie Luthers rücksichtslose Philippika aus dem Jahr 1531 vergessen ist: »Hilf Gott, wie hat es hier geschneiet und geregnet, ja eitel Wolkenbruch gefallen, mit Lügen und Bescheißerei? Wie hat der Teufel hie tote Knochen, Kleider und Geräte aufgemutzt. Wie sicher hat man allen Lügenmäulern geglaubt? Wie ist man gelaufen zu den Wallfahrten; welches alles der Papst, Bischoffe, Pfaffen, Mönche haben bestätigt, und die Leute lassen irren, und das Geld und Gut genommen. Was tat allein die neue Bescheißerei zu Trier mit Christus Rock? Was hat hie der Teufel großen Jahrmarkt gehalten in aller Welt, und so unzählige falsche Wunderzeichen verkauft? Ach was ists, daß Jemand hiervon reden mag? Wenn alles Laub und Gras Zungen wären, sie könnten allein dies Bubenstück nicht aussprechen.«
Die Kirche hat immer ihr ganzes System im Auge, und verteidigt immer ihren ganzen Kodex und ihre ganze Geschichte. Und Du kannst Dir nicht das eine auswählen und das andere zurückweisen. Da nun die römische Kirche alle ihre Taten von Sylvester bis Leo XIII., die Schlächtereien der Waldenser wie die Nieder-Metzelung der deutschen verehelichten Geistlichen im 11. Jahrhundert, die Demütigungen deutscher Kaiser wie die Lehren der Jesuiten, den Ablaß, wie die Inquisition unter ihren Schutz nimmt, und als einziges göttlich-inspiriertes Ereignis feiert, so soll sie auch – wie Luther gelegentlich bemerkt – den ganzen Kübel ihrer Laster und Vergehen übergestülpt bekommen, damit sie bedeckt mit dem Schmutz von Jahrtausenden als das vor der Welt erscheint, was sie wirklich ist, und die Deutschen sich entscheiden können, ob sie hinter diesem Dreckwagen noch länger dreinmarschieren wollen. Auch Ihr habt noch nicht alles vom Ablaß gehört: Nachdem man unbeschränkte Sünden-Vergebung zu Rom wie zu Hause, mit oder ohne Reue, für sich wie für andere, für Tote wie für Lebende gegen Geld erhalten konnte, blieb für die Bequemlichkeit der Menschen wie für die Kasse des Papstes noch immer etwas zu tun übrig: – kein Deutscher war darauf gekommen – die Kirche vergab die Sünden im voraus. Und wie heute die englischen Reisenden mit den Kupons der Firma Cook in der Tasche für noch nicht gegessene Beafsteaks, noch nicht beschlafene Betten, noch nicht gesehene Sehenswürdigkeiten ihre Reise antreten, aber alle diese Kupons schon bezahlt haben, so könnte man von Rom aus mit einem bestimmten, im Namen Jesu ausgefertigten Pergament in der Tasche für vergebene Sünden nach Hause zurückkehren, und brauchte die Sünden jetzt nur noch zu begehen; wie jene Engländer die Beafsteaks nur noch zu essen brauchten.
Am Hochaltar der Sebastianskirche in Rom konnte man gegen Bezahlung acht Seelen auf einmal aus dem Fegefeuer befreien und erhielt selbst zweitausendachthundert Jahre Ablaß hinzu. – Solche Altäre, deren es mehrere und mit verschiedener Wirksamkeit gab, hatten die Überschrift: »Wenn Jemand an diesem Altar eine Messe lesen läßt (dafür zahlte man je nach der Wirksamkeit des Altars eine verschiedene Taxe), so erlangt er vollkommene Vergebung seiner Sünden. Wenn aber die Messe für die Seele eines Abgestorbenen gelesen wird, so steigt dieselbe sogleich während der Handlung und Feier der Messe aus dem Fegefeuer in den Himmel auf, und wird bewahrt bleiben. Nichts ist gewisser!«
Dreißigtausend Jahre Sündenvergebung versprach mit eigenem Munde Alexander VI. allen, die in Rom vor einem bestimmten Bild der heiligen Anna ein bestimmtes kleines Gebet sprächen.
Die Kirchen Roms besaßen an und für sich das Recht der vollkommenen Sündenvergebung. Wollte eine ausländische Kirche diese Fähigkeit erwerben, so mußte sie bezahlen, wie z. B. die Deutsch-Orden-Kirche tausend Goldgulden. Diese konnte dann wieder ihre Taxen von den Gläubigen erheben. –
»Hier wird dein göttlich Lehr ermordt,
Hier tut man Gewalt der Predigt dein,
Hier gibt man alles Lasters Schein,
Hier lehrt man Rauben sei kein Sünd,
Hier lobt man böse List und Fündt,
Hier wird dein Evangelium veracht,
Hier übt der Papst ein unverschämten Pracht,
Hier man bekommt all Ding ums Geld.
Und ist betört die ganze Welt.
Hier gibt man Ablaß und Gnad,
Doch keinem, der keinen Pfennig hat,
Hier wird gelogen, hier gedicht,
Eine Sünd vergeben, ehe sie geschieht.
Darum der Schand trägt niemand Scham.
Hier wird verschworn dein heiliger Nam,
Und doch gehalten nit ein Wort,
Das Recht gebracht an keinen Ort,
Hier wird verkauft der Himmel dein,
Geurteilt zu der Hölle Pein;
Ein jeder der dagegen sagt,
Hier wird, wer Wahrheit pflegt, verjagt,
Hier wird deutsche Nation beraubt,
Ums Geld viel böse Ding erlaubt,
Hier bedenkt man nit der Seelen Heil,
Hier bist du, Herrgott, selber feil,
Und ist ein Leo geworden Hirt,
derselb dein Schäflein schabt und schirrt
und würgt sie nach dem Willen sein,
Gibt Ablaß aus, nimmt Pfennig ein,
Mit seiner Gesellschaft, die er hat,
die geben diesen Dingen Rat,
Viel Schreiber, und Kopisten viel
Die machen was ein jeder will,
Und schreibens dann der Kirchen zu,
Als hättest das bewilligt du,
Und sei zu Rom die Kirch allein,
Ach Gott nun mach dich wieder gemein.
Sieh wie man deinen Schäfer trägt
Mit Seide, Purpur ausgelegt
Wie er so weiblich ist geziert,
Wie man ihm schmeichelt und hofiert.
Sieh wie er Wollust treibt und Pracht,
Dadurch wirst Du es nur veracht,
Beim Heiden und im Türkenland, –
Gott wird es aber rächen bald,
Fürwahr du mir das glauben sollt,
Denn er den Gerechten nie verließ,
Verlaß dich drauf, es ist gewiß.«
Ich hab's gewagt,
Ulrich von Hutten.
»O Rom Du bist das gemein Schauhauß der gantzen Christenheit, darinnen was geschehen würt, meynet man sey recht und billig. Du bist die weyt rüchtig Scheuer der welt, darein man fürt und zusamen trägt, was man von yederman geraubt und nommen hat, darinen mitten sitzt der unersättlich Geizwurm, der vil verschlingt und stets einen großen Hauffen guter Frucht verzehrt. Umgeben von seinen Mitfressern, die uns erstlich unser Blut ausgesogen, darnach vom Fleisch gefressen, biß sie uns jetzo an das Marck kommen, zerbrechen uns die innerlichsten Beyn, und was noch übrig ist, wollen sie auch verzehren. Suchen hie Deutsche nit waffen herfür? Gehen sie die nit mit Eysen und Flammen an?«
Es war nach alle dem, nach all den riesigen Transaktionen in Sünden und Geld-Einheimsungen, nicht zu verwundern, wenn eines Tags einer dieser Legaten den Kopf verlor und in einem plötzlichen Raptus das Papsttum zum Verkauf ausbot: »Durch denselbigen Ablaß hat der Barfusser Mönch von Mailandt, Samson genannt, so viel tausend Gulden in allerley Landen gesammelt, daß sich die Welt darüber verwundert. Denn es trug über zwölf mal hundert tausend Dukaten; daß er auf einen Tag das Papsttum zu kauffen außbotte.« – Der Mönch hatte nicht so arg fehlgegriffen, als man auf den ersten Moment glauben sollte. Er hatte nur auf der unrechten Seite angefangen: Er konnte das Papsttum nicht verkaufen. Aber gekauft konnte das Papsttum werden; und ist wiederholt; sogar gegen bar, wie der Fall Alexanders VI. und anderer Päpste beweist, gekauft worden; und geschieht bis zum heutigen Tag in irgend einer Kaufform. – Aber das war nicht der Gedankengang des Mönchs. Der Mönch lebte noch in jener Zeit, in der die Sündenvergebung, nicht wie heute wie ein Pfund Wachs oder Wacholder, welches der Katholik kauft, angesehen wird, sondern wie eine transzendentale Leistung, die mehr oder weniger den Himmel passieren müsse. Nachdem nun dieser brave Mönch, der täglich, autorisiert von seinem Herrn, Tausende solcher Himmels-Transaktionen wie mit spielender Hand vorgenommen, juckte es ihn sozusagen, und er überlegte, und kam auf den nicht unebenen Gedanken, daß im Verhältnis zu dem, was ihm täglich an überirdischen Leistungen gegen bar durch die Hand gehe, das Papsttum als eine relativ geringe und irdische Sache nicht allzu teuer zu stehen kommen könne; ähnlich wie andere unter den Katholiken, die wußten, man könne sich den Himmel kaufen, auf die Meinung kamen, man könne sich die Maria, sich die Unbefleckte Empfängnis und ähnliches kaufen.
Ähnliche Gedanken müssen damals überhaupt im Umlauf gewesen sein. Wenigstens läßt Hutten den »Pasquillus« in einem Dialog sagen: »Das hab ich lang wol gewisst, was für eine grosse Macht der Pfening het, dass ich nit allain die Pfründ, sondern Gott, die Sacrament, das Himmelreich und den Papst selbs kauffen möcht, dann diese ding seynd alle feil zu Rom, und so frey, dass hie zu Rom nicht freyeres gehandelt wird.«
Eine Ablaß-Verkündigung des Erzbischofs Albrecht von Mainz aus dem berühmten Jahr 1517 »meldet und thut kund zu wissen, dass der allerheiligste Herr (Gott? – Gott bewahre!) Leo X., Papst, allen und jeden Christgläubigen, die nach unserer Verordnung zur Wiederaufbauung des Münsters St. Peters zu Rom hülfreiche Hand leisten, ausser dem vollkommenen Ablass, auch andere Gnaden und Vollmachten, nachgelassen, und vergönnet habe, dass sie einen bequemen und tüchtigen Beichtvater erwählen mögen, welcher von den von der erwählenden Person begangenen Verbrechen und Exzessen, wie auch allerhand andere Sünden, ob sie gleich schwer und gross seien, auch in Fällen, die besagtem Stuhl vorbehalten sind, auch in Ansehung eines Interdikts, so sie sich auf den Hals geladen – ausgenommen heimliche Empörung wider die Person des allerheiligsten Papstes einmal im Leben und in der Todesnot, wie oft dieselbe anstossen wird, obschon der Tod alsdann nicht erfolget, vollkommen absolvieren, wie auch einmal im Leben und in besagter Todesnot ihnen vollkommenen Ablaß und Vergebung aller ihrer Sünden (Strafen) widerfahren lassen, wie auch alle ihre Gelübde, die nach Gelegenheit und Zeit von ihnen getan worden, in andere Werke der Gottesseligkeit aus Apostolischer Macht verändern könne und vermöge. So hat auch dieser unser allerheiligster Herr (merke: der Papst) nachgelassen und erlaubt, dass vorbenannte Bezahlende (das ist der Inhaber des Ablaßbriefes) und ihre verstorbenen Eltern der Bitten, Fürbitten, Almosen, Fasten, Gebete, Vigilien, Züchtigungen, Wallfahrten, und aller anderen dergleichen geistlichen Werke, die in der ganzen, allgemeinen, allerheiligsten, streitenden Kirche und in allen ihren Gliedern geschehen, oder noch geschehen können, teilhaftig werden sollen. Gegeben den 1. Juli 1517.« – Deutscher Katholik, was willst Du mehr? Aller guten Handlungen in der Welt kannst Du für wenige Kreuzer teilhaftig werden, und Du selbst darfst ein Schurke sein.
»Sie sollen uns wohl lehren
Den alten Pfennig Tanz,
Es sind gar feine Herren,
Ja, Diebe meine ich ganz«,
sangen die Stralsunder! In einer Ablaß-Predigt Tetzels heißt es: »Man kann in einem jeden Vergehen, ausgenommen Totschlag und Bigamie, Absolution und Dispensation erlangen. Ingleichen diejenigen, die durch Bluts-, Freundschafts- oder Schwägerschaft gehindert, sich doch verehelicht haben, können in der Ehe verbleiben, oder, wo nötig, sie von Neuem vollziehen, indem man die bereits geborenen Kinder für rechtmäßig erklärt. Ingleichen kann Absolution und Dispensation erteilet werden bei allen unrechtmäßiger Weise an sich gebrachten und durch Wucher erlangten Dinge. Daher so überlege denn das Volk, daß hier Rom ist. Hier ist jetzt die heilige Peterskirche. Gott und der heilige Petrus rufen Euch. Schicket Euch, wie Ihr eine so hohe Gnade, nicht nur vor Eurer, sondern auch vor der Eurigen Seelen Seligkeit erlangen möget. Verziehet doch ja nicht. Denn des Menschen Sohn wird zu der Stunde kommen, da Ihr es Euch nicht einbilden werdet. – Warum beichtest Du jetzo nicht vor Vertretern des Allerheiligsten Herrn Papstes? Jetzt hast Du ein Exempel an Laurentius, der die übergebenen Schätze, die er hatte, aus Liebe zu Gott ausgeteilet, und seinen Leib zu braten dargegeben hat. Und Du bringst die geringen Almosen nicht? Laufet doch alle nach Eurer Seligkeit! Höret Ihr nicht Eure Eltern und andere Verstorbene rufen und schreien: Ach erbarmet Euch doch! Wir müssen die allerhärtesten Strafen und Qualen ausstehen, davon Ihr uns doch durch ein kleines Almosen erlösen könnt. Und Ihr wollt doch nicht. Ach! – Ihr könnt ja jetzt Ablaß-Briefe haben, durch deren Kraft Ihr im Leben und in der Todesstunde, auch in vorbehaltenen Fällen, so oft Ihr nur ein solches verlangen werdet, vollkommene Vergebung aller Strafen erhaltet. O Ihr Menschen, die Ihr Gelübde getan, o Ihr Wucherer, o Ihr Räuber, o Ihr Totschläger (er nimmt sie doch hinzu) jetzt ist es Zeit der Stimme des Herrn zu gehorchen. – Die Murmler und Verleumder aber, die auf was Art und Weise es nur geschehen kann, heimlich oder öffentlich dieses Werk verhindern, sind ipso facto von unserem Allerheiligsten Herrn (hier steht »Allerheiligst!«) – dem obgesagten Papst Leo in Bann getan und stehen in Ungnade bei dem allmächtigen Gott, und werden auch von diesem Bann nicht befreit werden können, als nur vom Papst. Dahero hütet Euch, dass Ihr wider Gott im Himmel nicht murmelt!« Übrigens hatte Tetzel selbst Gelegenheit, die Kehrseite des Sünden-Ablasses kennen zu lernen! In Freiberg in Sachsen, wo er im Jahre 1507 innerhalb zweier Tage schon für zweitausend Goldgulden Ablaß verkauft hatte, mußte er plötzlich flüchten unter Gefahr, von den armen Bergleuten, die kein Geld für dergleichen Dinge hatten, aber doch gläubig waren, erschlagen zu werden. – Der Sohn eines solchen sächsischen Bergmannes war Luther. – Und auf dem Wege von Leipzig nach Jüterbog soll Tetzel von einem Edelmann überfallen, durchgeprügelt und seiner Ablaß-Kasse beraubt worden sein. Als er sich den Täter näher ansah, erkannte er in ihm einen Mann, dem er tags zuvor in Leipzig für dreißig Goldgulden Absolution für eben dieses Vergehen im voraus erteilt hatte. – Die Erzählung bewegt sich durchaus im Rahmen der damaligen Vorkommnisse. Denn die päpstliche Kurie schickte, wie wir bald sehen werden, eigene Legaten nach Deutschland, um solche, im Besitz von gestohlenem oder geraubtem Gut Befindliche gegen Bezahlung zu absolvieren.
Tetzel bezog – gegen Luther, der noch nicht zweihundert Gulden bekam –, ein Jahresgehalt von neunhundertsechzig Goldgulden, bei freier Verköstigung, mit einem besoldeten Diener und drei Pferden »ohne was er gestohlen und namentlich in den Trinkhäusern und am Spieltische unnütz vertan.«
Er war so frech und übermütig, daß er, wie Sleidanus erzählt, sich rühmte, »so große Gewalt vom Papste zu besitzen, daß er selbst denjenigen absolvieren könne, der die Jungfrau Maria geschändet und geschwängert habe!«
»Solange Du kein Hirn hast, Deutschland« – ruft einer der Humanisten des 15. Jahrhunderts in bitterem Zorn aus bei Gelegenheit, des Hintritts eines Bischofs, nach dessen Tod die betreffende Diözese wieder ein neues Pallium, das Schulterband des Kirchenfürsten, um ungeheuren Preis, oft bis zu neunzigtausend Dukaten, in Rom kaufen mußte, – »so lange Du kein Hirn hast Deutschland, und so lange Du keine Augen hast, kaufe Du Pallien, und kaufe immer wieder Pallien, – und Du Verschacherer des Christentums, Papst in Rom, verkaufe Du Pallien, und verkaufe immer wieder Pallien – solange Deutschland kein Hirn hat und keine Augen!«
Aber was sich nicht mehr diskutieren läßt, ist zum Beispiel die Nachlassung des Eids für sechzehn Grossi, das sind also zweihundertdreißig Mark. – Man starrt für den Moment. Ist das möglich? Aber man bleibe nur kühl! Was war die Folge? Man ließ, wenn jemand einen Eid zu schwören hatte, ihn sogleich einen zweiten schwören, sich von dem ersten durch den Papst nicht entbinden zu lassen!! Der Eid im Namen Gottes vor dem angeblichen Stellvertreter Gottes durch bürgerliche Jurisdiktion geschützt, das ist eine Situation, die die furchtbare Verwirrung der Köpfe zu Rom, die auf der Basis der Goldkrankheit entstandene moralische Insanität, und die Niederträchtigkeit dieser Statthalter Christi in ihrer ganzen Erbärmlichkeit offenbart. – Und doch, Leser ist das noch nicht alles. Du mußt noch tiefer in der Gemeinheit gehen, um Deinen Mann zu treffen: Der Papst löste auch diesen zweiten Eid, wie er früher den ersten gelöst hatte; er bekam ja doppelte Taxe. Und der Schurke, der sich auf die Gewalt des Papstes verlassen hatte, sah sich nicht getäuscht; und der sich auf Gott verlassen hatte, war betrogen.
Um dreierlei Dinge – sagt Hutten – soll man Rom fliehen: »ein gut gewissen, andacht zu gott, und den eyd.«
Eine der häufigsten Absolutionen war die für gestohlenes Gut; sie war teuer; ein Armer, – der ja jetzt, nachdem er gestohlen, nicht mehr arm war, zahlte zwanzig Grossi; ein reicher Mann fünfzig Grossi; eine ganze Stadt zahlte hundert Grossi. Um aber, wenn die Diebstähle größeren Umfang annahmen, – nicht etwa, das Verderben einzuschränken, sondern dem heiligen Stuhl seinen Anteil zu sichern, – mußte sich der Betreffende in jedem Fall außer Bezahlung der Taxe noch mit der Kurie »vergleichen«, das heißt, einen Teil des Geldes oder Gutes abgeben, um den Rest sicher behalten zu dürfen. Man wartete aber nicht, bis die Übeltäter kamen, sondern suchte sie durch Legaten auf, und ließ ihnen, auch wenn man sie gar nicht kannte, öffentlich verkündigen, der apostolische Legat sei jetzt da, und für gestohlenes Gut könne gegen Vergleich päpstliche Absolution und ewige Garantie des Besitzes erlangt werden. So gab Sixtus IV. 1480 seinem Legaten Angelus de Clavasio folgende Bulle mit, die mit den Worten »Im Namen unseres Herrn und Erlösers« beginnt: »Wir haben dem Angelus de Clavasio die Ermächtigung erteilt, über gestohlenes, zweifelhaftes oder durch Wucher erworbenes Gut in der Art zu vergleichen, daß die Schuldigen, nachdem sie einen Teil abgegeben haben, von der Zurückgabe des übrigen gestohlenen und erwucherten Gutes absolviert und auch weiterhin durchaus nicht zur Rückgabe verpflichtet sind.«
Und der Erzbischof Albrecht von Mainz, der im päpstlichen Auftrag derartige Legaten ebenfalls im Land herumschickte, fügte seiner Spezial-Instruktion ausdrücklich hinzu: »Um derartiger Gnade teilhaftig zu werden, bedarf es der Reue und Beichte nicht.« Das war auch besser so.
Unter diesen Umständen durften sich die Päpste nicht wundern, wenn sie Geschäfte, wie das folgende, machen mußten: Gregor XIII. (1572–1585) war seinem Sohn Giacomo, den er zum Gonfaloniere der Kirche machte, besonders zugetan; dieser letztere war aber von einem vornehmen Spießgesellen, Alfonso Piccolomini, der mit seiner Mordbande die ganze Campagna plündernd und raubend durchzog, bedroht; und dieser erklärte, er werde nur dann von der Ermordung Giacomos abstehen, wenn ihm alle seine früheren Mordtaten, mehrere hundert, vom Papst im Namen Jesu vergeben würden. Der Papst, aus Angst für seinen Sohn, ließ alle Sünden und Missetaten des Piccolomini durch einen Kurialbeamten als »vergeben« registrieren und es wurde ein Breve darüber ausgefertigt, welches der Papst dem adligen Räuber in Audienz überreichte. – Diese Sünden waren nicht etwa nur im Himmel vergeben – was dem Piccolomini ganz gleichgültig – sondern auch auf Erden, was viel wichtiger war; denn niemand konnte den Piccolomini nun belangen. – Das Sündenvergeben war eben damals nicht nur ein Kassen-, sondern auch ein politisches Geschäft.
Nicht so gut ging die Sache mit einem andern, ebenfalls gefürchteten und vornehmen Räuberhauptmann, Marianazzo, unter dem gleichen Papst. Man leitete Verhandlung mit ihm ein, ob er die Sünden ebenfalls vergeben haben wolle; man hätte sie ihm gern vergeben, und wahrscheinlich noch Geld herausgegeben, wenn er nur sein Mordhandwerk aufgegeben hätte; so große Furcht hatte man vor ihm. Die Verhandlungen zerschlugen sich aber, und Marianazzo erklärte, es sei ihm so lieber; er fühle sich im nicht vergebenen Zustande sicherer. So tief sank das Lastergeschäft der päpstlichen Sünden-Vergebung. Ich muß sagen, dieser Räuber Marianazzo, und der deutsche Student Myconius, die beide sich weigern, aus solchen Händen Sünden-Vergebung zu empfangen, erscheinen mir noch als die propersten Menschen in dieser ganzen Gesellschaft.
Nichts war dem Papst zu heilig, wenn es galt, einen hierarchischen oder politischen Zweck zu erreichen: Als der jüngere Sohn Kaiser Heinrichs IV., Heinrich, auf des Papstes, Paschalis II., Anraten sich gegen seinen eigenen Vater empört hatte, und der junge Empörer, um sein Seelenheil besorgt, an den Papst schrieb, schickte ihm dieser durch den Bischof Gebhard von Konstanz seinen päpstlichen Segen, und versprach ihm »Vergebung wegen seiner Empörung beim jüngsten Gericht.«
Doch die stärksten Leistungen des päpstlichen Pönitenz-Buches finden sich erst unter der Rubrik »De absolutionibus« – »Wer das Beichtgeheimnis bricht« – sieben Grossi; – »Wer mit einem Weib in der Kirche coitiert« – sechs Grossi; – »Wer im Geheimen Wucher treibt« – sieben Grossi; dabei war der Wucher selbst als etwas so Schmähliches angesehen, daß – »Wer den Leichnam eines Wucherers wirklich bestattete« – sogar mehr, nämlich acht Grossi, betrug. – »Wer sich eine Konkubine hielt« – sieben Grossi; – »Wer mit Mutter, Schwester, Blutsverwandten, Verwandten oder Hausgenossen sich fleischlich vermischt« – nur fünf Grossi. Hier sieht man deutlich, daß die Sühne für Verbrechen nur nach finanziellen Gesichtspunkten geregelt war: das Halten einer Konkubine war etwas Alltägliches, fast Selbstverständliches,und noch immer der anständigste und gern gesehenste Ausweg für einen Kleriker in der Zwangslage des Zölibats; es war im gewissen Sinn ein Vorteil für ihn; hier mußte er also zahlen, und schon wegen der Häufigkeit dieser Taxe, nicht zu wenig, sieben Grossi; die Kirche betrachtet dies als eine Art Luxussteuer; der unzüchtige Verkehr hingegen mit der Schwester und dergleichen war doch etwas Seltenes, hier genügten fünf Grossi. Jede moralische Unterscheidung menschlicher Handlungen war diesen golddürstigen Vampyren unmöglich geworden. – »Wer eine Jungfrau schwächte« – stand natürlich höher, weil es häufiger vorkam: sechs Grossi; noch höher, wer Simonie trieb, – wer Ämter verkaufte, weil ja hier der Übeltäter schon eine Bestechungssumme erhielt: acht Grossi.
Ein eigenes Kapitel bildet der Mord »Super homicidio«: Ein Laie, der einen Laien tötete – zahlte fünf Grossi; war der Täter ein Kleriker: sechs Grossi; wenn er alle höheren Weihen schon hatte, acht Grossi; ein Bischof und Dekan zwanzig Grossi. Die hohen Geistlichen, ganz in der Gewalt des Papstes und reich, wurden tüchtig herangezogen. – Wer Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Frau oder Blutsverwandten tötet, zahlt, wenn der Getötete kein Kleriker ist, fünf Grossi; ist es ein Kleriker, so werden sieben Grossi gezahlt und der Täter muß sich in Rom stellen. – Absolution für einen Mann und Frau, die ihr Kind neben sich »erdrückt« aufgefunden haben (wie vieldeutig!): jedes von ihnen sechs Grossi; Absolution für Kindesabtreibung: fünf Grossi; ist der Täter ein Kleriker, so wird die Sache behandelt, als wenn er einen »Laien« getötet hätte.
Die höchsten Geldstrafen verlangte die Kurie nicht wegen Übertretung göttlicher Gebote, sondern wegen Auflehnung gegen päpstliche Verordnungen. So ließ sie sich für die Aufhebung des gegen eine Stadt ausgesprochenen Interdikts hundert bis hundertfünfzig Grossi bezahlen; also zwei bis dreitausend Mark. Und bei Lösung eines Banns, besonders gegen einen Fürsten, fanden nicht Gewissens- sondern diplomatische Verhandlungen statt, um so viel Geld, wie möglich zu erpressen.
Die Kirche leistete überhaupt gegen Geld alles; sogar das Unmögliche; selbst Verschnittene, die als solche nicht Priester werden konnten, machte die Kurie gegen Geld wieder mannbar, oder wenigstens priesterbar, indem sie gegen Bezahlung der Taxe ihnen »das Abgeschnittene« auf den Nabel band und sie damit für wieder hergestellt erklärte. Die Taxe betrug ungefähr zweihundertachtzig Mark; sechzehn Grossi. – Selbst das schwerste Vergehen, Auflehnung gegen den Papst und »Ketzerei«, welche ursprünglich von jeder Remission ausgeschlossen sein sollten, konnten gegen Geld gut gemacht werden. »Es gibt nichts, was die römische Kurie ohne Geld verliehe«, sagt Pius II. mit eigenem Munde.
Nur für die Armen war nichts zu hoffen. Deshalb sagt auch das Taxbuch an einer Stelle: »Merke, daß derartige Gnaden und Dispensationen an Arme nicht verliehen werden; da sie nicht zahlen können, können sie nicht getröstet werden.«
Einen Auszug dieser Taxe hatten die Deutschen Stände ihrem großen Beschwerdebuch gegen die Habsucht, Geldgier, Krämerei und Sittenlosigkeit der römischen Kirche, welches sie auf dem Reichstag zu Worms 1521 Karl V. überreichten, stillschweigend angeheftet. Jeder Zusatz war in der Tat überflüssig; denn diese Taxae schrien laut für sich selbst. Aber unter Nr. 86 und 91 ihrer hundert Beschwerden hatten sie erklärt: Deutschland ist durch solchen (Ablass)-Handel zugleich des Gebets und der christlichen Frömmigkeit beraubt, Hurerei, Blutschande, Ehebruch, Meineid, Mord, Diebstahl, Raub, Wucher und der ganze Pfuhl der übrigen Laster sind die Folge. Denn vor welchen Übeltaten werden die Menschen noch zurückschrecken, wenn sie einmal überzeugt sind, dass sie sich von den Ablasspredigern die Erlaubnis und Straflösigkeit nicht bloss in diesem,sondern auch in jenem Leben mit Geld verschaffen können?« – Wenn man erwägt, es ist ein Papst, der sich so etwas sagen lassen muß! – Aber schon 1524 gab der päpstliche Legat Campigio als Antwort auf diese Schrift die Erklärung ab: »dass sich der Papst zu einer Abhülfe hinsichtlich der darin berührten Punkte unmöglich verstehen könne, da dieselben dem päpstlichen Interesse ganz entgegengesetzt seien.«
Nachdem jedoch Luther mit seinen Brandschriften den entsetzlichen Augias-Stall der Ablaß-Einrichtungen beleuchtet, sodaß der Widerschein durch alle Länder leuchtete; nachdem er den stillen Herzens-Prozeß jenes sächsischen Studenten in Annaberg mit seiner Stentor-Stimme durch das ganze Abendland geschrieen – Huttens schneidende Dialoge und Erasmus witzige Colloquien nicht zu vergessen – und damit das ausgesprochen hatte, was tausende ehrliche Katholiken innerlich bewegte, sah man sich in Rom zum Einlenken genötigt. Es begann, um in der heutigen Morphium-Sprache zu reden, die Gold-Entziehungs-Kur.
»Da liegt das Ablass, und sind Briefe und Siegel zerstoben und zerflogen, und ist nichts Verächtlichers in der Welt, denn das Ablass, also, dass sie auch selbst zu Augsburg den Kaiser baten, er solle den Papst vermögen, dass er keinen Ablass mehr nach Deutschland schicken wollte, angesehen, dass es in Abfall und Verachtung kommen wäre«, sagt Luther.
»Ja, die Grundfeste alles Ablass, nämlich das warme, seelfegend Fegfeuer, der Probiertiegel der verschiedenen verdienstlosen Seelchen fing an zu erkalten, und ohne die Schürung der Messgabel und Feuerblas der Messtiftung abzugehen. Der Papst selber ward für ein Eulenspiegel, Gaukler, Medusischen Zauberkopf, Nachtraben und Hanfbuz angesehen; seine Bannstrahlen wollten nicht mehr haften; die Decreten und Decretalen, die Glossen der Sophisten, die Sententien, die Quodlibeten und andere Grillen der Kleriken begann man hinter die Bank nach den Mäusen zu werfen, oder Wurzbrief und Buchbinderpapp daraus zu machen; die Satisfactionen oder Genugtuungen und übrige Verdienste hatten ihren Glauben verloren; die Ohrenbeichte hatte schier ihre besten Tage erlitten; die Mess, die Mess, sag ich, ja die heilige liebe Mess lag so krank, dass man schon anfing ihr das Requiem zu singen; die Frau Fasnacht und der Graf von Halbfasten und Fronfasten hatten beinah den Hals gebrochen; alle die heiligen ansehnlichen Prozessionen, Ausfahrten, Seelgerät und stattliche Kreuzgäng wurden für eine Kinderpest geachtet; das heilige Monstranzen-Sakrament ward nicht mehr mit Pfeifen und Trommeln andächtig umhergeführt; in Summa alles Heiligtum der römischen katholischen Kirche fing an, in die Asche zu fallen«, so schrieb Johann Fischart.
»Wie? Wenns mit der Zeit einmal eins ihnen auch mit ihrer Kirchengewalt und Weihe also gehen würde, dass, gleichwie die Ablassbriefe zerstoben und zerflogen, also auch beide Chresmen (Chrisma, das heilige Öl zum Salben) und Platten (Tonsuren) zerstreuet würden, daß man nicht wüsste, wo Bischof und Pfaffe bliebe«, so, und:
»Gott ist wunderbarlich, er hat das Ablass gelegt, das Fegfeuer gelöscht, die Wallfahrten gedämpft, und viel ander des Mammonsgottesdienst und Abgötterei der Papisten niedergeschlagen durch sein Wort; ob er auch soviel Mark in seinen Händen noch hätte, dass er einen garstigen Chresmen hinter seinem Willen durch lauter Menschengedicht eingeführt, könnte ausstäubern? Wohlan, kompts dazu, lieben Papst und Bischöffe!«, – sprach Luther.
Besonders für Leo X., den großen Ablaß-Löwen, war es schmerzlich, auf die gewohnten Gold-Eingänge verzichten zu müssen. Hunderte von neugeschaffenen Beamten, die ihr Amt vom Papst gekauft hatten, warteten auf den Eingang der Taxgelder, auf die sie mit ihren Zinsen angewiesen waren, auf die Fuhren Sünden der Deutschen, die über die Alpen kommen sollten, und sie kamen nicht. – Er starb; vergiftet; nicht an einer allegorischen Gold-Vergiftung; diese zerstört nur den moralischen Leib; sondern regelrecht, römisch, toxisch vergiftet nach Aussage der Ärzte und seines Zeremonienmeisters Paris de Grassis. So schnell, daß er, der Tausende von Absolutionen »in Gefahr des Todes, auch wenn er nicht eintritt«, verkauft hatte, selbst ohne die Sakramente von hinnen fahren mußte, und die Römer, – nicht die Protestanten – auf ihn den bissigen Vers machten: »Wenn Ihr wissen wollt, warum Leo in der Sterbestunde nicht mehr die heiligen Sakramente nehmen konnte: Er hatte sie verkauft!«
Aber die Gesundung war nur von kurzer Dauer. Die nun bald beginnende, und staatlichen Schutz findende, definitive Trennung von Protestanten und Katholiken ließ die letzteren in ihren fortgesetzten Ablaß-Leistungen gegen den Papst von dem Spott und der Kritik der ersteren fortan unberührt. Und die Gegenreformation, der erwachende Jesuitismus, und für Deutschland besonders die glückliche Kriegführung der verbündeten katholischen Mächte Bayern und Österreich zu Beginn des 17. Jahrhunderts befestigten das ganze katholische System fester als jemals in unseren Landen. Speziell der Ablaß kam zwar nicht auf die marktschreierische Höhe wie unter Leo X., aber das System, und das war doch das Entscheidende, blieb, und ist geblieben bis zum heutigen Tag. Das katholische Gewissen ist heute noch dasselbe wie unter Tetzel und Bonifaz VIII.: Die Sünde ist etwas Äußerliches, nichts dem Herzen Anhaftendes, ein zufälliges Ereignis; um sie zu tilgen, muß wieder etwas Äußerliches geschehen: ein mechanisch ausgeübtes Werk, ein Auszahlen von Geld, ein Ausfüllen eines Beichtzettels, die Arbeit eines päpstlichen Kurial-Beamten in Rom. Die Transaktionen zwischen dem Sünder hier und dem Pontifex dort gehen hinüber und herüber wie Geschäfts-Korrespondenzen; sie sind das eigentliche Geschehnis, auf das die Aufmerksamkeit gerichtet ist; die Gewissen – wenn dieser Ausdruck an dieser Stelle nicht zu hoch ist – schlafen. Und so wie diese irdische Beziehung zwischen dem Sünder und Papst, respektive Priester; so ist jene zwischen Papst und Fegfeuer konstruiert. – Es ist hier gar nicht zu lachen! – Es handelt sich unter anderem um den Glauben von fünfzehn Millionen Deutschen! – Die Sünder im Fegfeuer leiden. Etwas rein Äußerliches. Um ihnen zu helfen, muß hier auf Erden wieder etwas Äußerliches geschehen. Der Papst kann ihnen helfen; nicht direkt; aber über Gott. Interessiert sind zunächst die Angehörigen. Sie kaufen sich Messen, Gebete, oder stellen am Alier-Seelentag betende, lebende Weiber neben ihre Gräber auf. Die Angehörigen tun nichts. Sie bezahlen. Sie leisten. Das genügt. Das weitere besorgt der Papst.
Hören wir noch einen katholischen Gelehrten über diese beachtenswerte Materie sich äußern. Sehr deutlich erklärt uns der Jesuit Mendo in seinem Werk über die »Kreuz-Bulle« den Unterschied zwischen Nachlaß der Sündenstrafen durch den Papst – Absolution – und »Erlösung aus dem Fegfeuer« durch den Papst auf dem Weg der »Fürbitte«. Hinsichtlich der letzteren sagt Mendo: »Der Papst kann aus dem Schatz der Kirche (in dem die überschüssigen Verdienste der Gläubigen aufbewahrt werden), deren Verwalter er ist, Gott soviel zukommen lassen, als für jene Seelen im Fegfeuer (zur Tilgung ihrer Sündenstrafen) notwendig ist. Auf diese Weise verscharrt er, und zwar auf dem Wege der ›Fürbitte‹, nicht der ›Absolution‹, den Seelen im Fegfeuer den von den Lebenden (Verwandten) aufgewandten Sünden-(Strafen)-Nachlaß. Es ist kein Unterschied zwischen dem Nachlaß der Sündenstrafen auf dem Weg der Fürbitte, und dem auf dem Wege der Absolution, weder hinsichtlich der Größe, noch der Unfehlbarkeit der Wirkung. Denn in letzterem Fall läßt der Papst die Strafe nach als Richter, in ersterem Fall, indem er Gott einen der Strafe angemessenen Preis zahlt.« Der Papst offeriert hier Gott einen »Preis«, ähnlich wie er, der Papst, unter Sixtus IV., gewöhnt war, von Leuten, die unrechtes Gut an sich genommen, eine Abfindungssumme anzunehmen, um ihnen ihren Raub zu sichern; das heißt, der Papst konstruiert sein Verhältnis zu Gott nach seinem eigenen Verhältnis zu den Sündern und Verbrechern. – Diese »Kreuz-Bulle«, über die der Jesuit Mendo hier eine Aufklärung gibt, ist eine Art General-Ablaßbrief für Spanien, die von Pius IX. noch 1866 aufs neue bestätigt wurde, und die bis zum heutigen Tage in Spanien fleißig gekauft wird. Sie gewährt außer vollkommenem Sünden-Nachlaß und Befreiung der Seelen Verstorbener aus dem Fegfeuer eine Menge Vorteile: das Recht der Übertretung der Abstinenz-Gebote, Nachlaß vom Eid, das Recht für Richter und Advokaten, die durch Bestechung wissentlich falsches Urteil gesprochen, sich hinsichtlich des errungenen Profits mit dem geistlichen Kommissar zu »vergleichen«, ebenso für solche, die falsches Maß und Gewicht anwenden, für Ehebrecher, Ehebrecherinnen, Diebe, Wucherer, gegen eine Abfindungssumme sich absolvieren zu lassen. – Was meint Ihr, deutsche Katholiken, zu dieser »Kreuz-Bulle«, mit der die stolzen Spanier ihre stolzen Gewissen einschläfern? – Ihr habt den Staatsanwalt, meint Ihr! – Gewiß, gewiß, der sorgt für Euch! Aber es gibt ein Reich, wo der Staatsanwalt nicht herrscht. Wißt Ihr, wo das liegt?
Der Jesuitismus ist immer als gesteigerter Katholizismus definiert worden. Auch der jesuitische Ablaß ist gesteigerter Ablaß. Der ehemalige Jesuiten-Zögling Bode schreibt, und dies gilt für das gegenwärtige Jahrhundert: »Vermöge der vorgeschriebenen Gebete erwirbt ein Mitglied (des Jesuiten-Ordens) jeden Monat sieben vollständige Ablasse, außerdem täglich sechzig Jahre und vierzig Tage, und nochmals extra hundert Tage; außerdem ist es ihm teils möglich, teils vorschriftsmäßig notwendig, gegen zwanzig vollständige Ablässe im Jahr zu gewinnen, die vielen einzelnen ›sechzig Jahre‹, ›hundert Tage‹, gar nicht gerechnet, überhaupt gehört nur der Vorsatz beim Aufstehen dazu, an allen unbekannten Ablässen, die irgendwo erworben werden können, teil zu nehmen, um eine Unzahl zu gewinnen; denn die Gesellschaft Jesu hat das Vorrecht, alle immer verliehenen Gnaden mitzugenießen. Hierbei ist das Abbeten des Rosenkranzes, wozu nur eine Viertelstunde gebraucht werden darf, noch nicht gerechnet; an jede Perle knüpfen sich hundert Tage Ablaß; also insgesamt sechstausend Tage, die man täglich verdient.« Ich frage, wo ist das Denken dieser Leute? – Sind wir hier in China – nein, in einem chinesischen Irrenhaus? Und über ihre Spiele in den Ferien und Erholungsstunden erzählt uns derselbe Autor, daß »die Novizen Billard und Domino um Ave-Maria's spielen. Wer verliert, ist verpflichtet, sogleich nach entschiedener Partie niederzuknieen, und ein Ave-Maria zu sprechen, welches dem Gewinner gehört.«
Und Ziele und System dieser Gesellschaft bekräftigte und erneuerte vor wenigen Jahren Leo XIII. in seinem bekannten Breve vom 13. Juli 1886 mit diesen Worten: »... damit Unser Wohlwollen gegen die Gesellschaft noch mehr erkennbar werde, bestätigen wir und bekräftigen durch das apostolische Ansehen alle Apostolischen Schreiben, welche sich auf die Errichtung und Anerkennung der Gesellschaft Jesu beziehen, und erneuern alle Vorrechte, Freiheiten und Ausnahmen, welche durch diese Schreiben verliehen waren, oder aus ihnen gefolgert wurden. – Deshalb bestimmen wir, daß dies Unser Schreiben unverletzlich, gültig und wirksam sein, und denen, welche es angeht, in jeder Hinsicht zustatten kommen soll. –
Es sei dies unser Schreiben ein Zeugniss für die Liebe, mit welcher Wir beständig die hochberühmte Gesellschaft umfassen, jene Gesellschaft, welche Uns und Unseren Vorgängern so ergeben, welche der Hort ist für gründliche und gesunde Lehre, und niemals aufgehört hat, freudigen Mutes den Weinberg des Herrn zu bauen. So möge denn diese verdienstliche Gesellschaft Jesu fortfahren zu arbeiten für das Heil der Seelen, fortfahren in ihren heiligen Bemühungen, Ungläubige zum Licht der Wahrheit zu führen, die Jugend in den christlichen Tugenden und edlen Künsten zu unterrichten. – Indem wir die uns so teure Gesellschaft Jesu liebend umfassen etc. ... Gegeben zu Rom.«
Inzwischen hat das Ablaß-Wesen durch Verquickung mit modernen Institutionen die wunderlichsten Formen angenommen: Während des ganzen 18. Jahrhunderts waren in Frankreich die großen Bankiers die Verkündiger des Ablaß. Sie nannten sich »banquiers expeditionnaires en cour de Rome«; sie gaben gedruckte Preis-Kurants heraus, in denen jeder die Dispense für Verwandtschaftsheiraten, Bigamie und sonstige Sünden und Verbrechen nachlesen konnte. Aufhebung des Keuschheitsgelübdes (für die französischen Geistlichen eine wichtige Sparte, um den Zölibats-Zwang ruhig über sich ergehen lassen zu können) ließ sich der Papst damals mit fünfzehn livres, nominell heute zwölf Mark – dem Wert nach etwa sechsunddreißig Mark – bezahlen. Das Recht, verbotene Bücher zu lesen, mit achtundzwanziglivres. Mord stand damals hoch: achtundachtzig livres.
Die Kurie hält bis zum heutigen Tage, nicht nur dogmatisch, sondern auch rein geschäftsmäßig, ihre Pönitenz-Taxen aufrecht. Freilich, um Diebstahl zu sichern, wird sich heute niemand mehr einen Dispens von Rom kaufen; nicht, weil ihn der Papst nicht hergäbe, sondern weil er vor der weltlichen Gerichtsbarkeit nichts mehr hilft! Das gleiche gilt für Ehebruch, Bigamie, Mord, Totschlag, Wucher, Entjungferung und Blutschande. Die päpstlichen Dispense halfen außerhalb des Kirchenstaates nichts mehr. An Stelle der päpstlichen Sündenvergebung um Geld trat die weltliche Sünden-Bestrafung auf Staatskosten.
Wenn noch ein Geschäft ging, ging es geheim: Im Jahre 1857 Versandte ein französischer Advokat Sgambaty eine Dispens-Liste im Namen des Papstes an alle französischen Geistlichen, in der Nachlaß des Eids, Ehedispense, diverse Sünden-Ablässe, Absolution vom Ehebruch und Gattenmord und ähnliche liebliche Dinge gegen Geld angeboten waren. In der Einleitung zu dem Zirkulare findet sich der Satz: »Unser Zweck ist ein wesentlich sittlicher.« – Ein französischer Geistlicher hatte den Mut, das Schriftstück zu veröffentlichen, mit der Aufforderung an den päpstlichen Nuntius in Paris, den Advokaten bloßzustellen. – Der Nuntius schwieg. – Dann haben wir auch nichts zu sagen.
An Ehe-Dispensen nimmt heute noch der Papst Unsummen aus allen Ländern ein. Allein aus dem kleinen Bayern zog die Kurie innerhalb sechs Jahre rund fünfunddreißigtausend Gulden für Ehedispense. Und die Geistlichkeit selbst wird geschröpft nach Noten; ist aber zu vorsichtig, um Lärm zu machen. Für jedes Käppchen, das der Bischof während der Messe statt der Mitra trägt, für jeden Privat-Altar, der in der Haus-Kapelle eines Adligen errichtet wird, muß bar an die Kurie bezahlt werden.
Auch die mönchische Form des Ablasses, des Ab-Betens, des Ab-Kasteiens, des Ab-Geißelns für Andere, für fremde Sünden, – das Miserabelste für ein ehrliches Gewissen, das Prinzip der Arbeitsteilung aus der merkantil-ökonomischen Welt in die Ethik übertragen – blüht heute noch in Deutschland: So las ich an der Damenstifts-Kirche in München folgenden Anschlag der »Erzbruderschaft zur Sühnung der Gotteslästerungen«: »Gelobt sei Jesus Christus! In der St. Peters-Stadt-Pfarrkirche ist am künftigen Sonntag den 30. Juli um zwei Uhr Convent für die Mitglieder der Erzbruderschaft zur Sühnung der Gotteslästerungen. Zur Teilnahme sind die Mitglieder der Erzbruderschaft eingeladen.« – Ihr Herr-Gott-Sakramenter, was braucht Ihr für fremde Flüche zu sühnen?! Da lassen sich diese Erz-Brüder die Gotteslästerungen ihres Bezirks per Brief und Paket zusammenschicken, und gehen dann an die Arbeit und sühnen, und leiern unendliche Rosenkränze prestissimo durch ihre wackelnden Kiefer. – Ihr Gotteslästerer! – Wenn Ihr in Amerika am Panama-Kanal nur eine Stunde in der Sonnenhitze arbeitetet, und stürbet dann am Fieber, hättet Ihr Verdienstvolleres vollbracht, als mit Eurer Jahrzehnte langen, fauligen Zahnarbeit. Eure Gotteslästerungs-Tilgungs-Arbeit ist wahrhaftig auch ein solcher Panama-Kanal, der nie fertig wird: die Ihr Euer Verhältnis zu Gott so roh-physisch, Wagenladungsweis auffaßt. – Fluchet nicht, arbeitet, dann kommen Euch keine so verrückten Anwandlungen. – Aber die katholische Kirche hat durch jahrhundertelange Vergiftung und Umwertung aller religiösen Werte dafür gesorgt, daß jeder Katholik für den andern die Sünden der Welt tragen will, jeder ein bißchen »Christus« spielen will, eine jede ein bißchen »Jungfrau Maria« und »Unbefleckte Empfängnis« spielen will. Und Er selbst, der römische Pontifex, spielt bekanntlich schon seit Jahrhunderten – Gott. Wie geht es erst außerhalb Deutschlands zu! Jede Spur der ursprünglichen christlichen Lehre ist dort fast verwischt. Und eine Schilderung der dortigen Gebräuche liest sich wie die Erzählung eines exotischen, fremden Gottesdienstes. Über den meisten Kirchen empfängt den Besucher die Inschrift: »Indulgentia plenaria, sempiterna, quotidiana pro vivis et mortuis« – »vollständigen, immerwährenden und täglichen Sünden-Ablaß für Lebende und Tote«; man meint wirklich, die Sünden seien das erste und letzte im Christentum; in den gesamten überlieferten Aussprüchen des Jesus von Nazareth, also in den vier Evangelien, kommt das Wort, glaube ich, noch nicht ein Dutzend mal vor. In den sämtlichen Beschlüssen des Tridentiner Konzils, der letzten großen Fixierung der katholischen Lehre, findet sich das Wort »Ablaß«, indulgentia, vier mal; und für das Volk Italiens ist es das erste und letzte, das Mittagessen und Abendessen. Neben der Verehrung der Maria kennen sie nur noch den Ablaß. Und was ist das? »Der Ablaß besteht darin – lautete in einem Fall die Auskunft – daß jemand, der hundert Jahre im Fegfeuer sein müßte, nur zehn Jahre drin bleibt. Der Priester besorgt das. Wir zahlen und der Priester macht dann alles.« Der Unterschied zwischen »Sünden-Vergebung« – und »Nachlaß der Sünden-Strafen«, wie ihn die Kirche selbst dogmatisch festhält, ist ebenfalls vollständig verwischt und wird selbst von dem Haupt der katholischen Christenheit in seinen Erlassen nicht mehr auseinandergehalten. Das Volk würde es sowieso nicht auseinanderhalten. Das Volk weiß nur, daß es gegen Geld von seiner Fegfeuer-Angst befreit wird. Auf Erden besorgt dies der Priester durch Messe-Lesen; im Himmel besorgt es die Maria durch Fürbitte. Das ist die Gesamtsumme der Religion der Kurie.
Und mit diesem Ablaß stopft sich das Volk voll bis zum Platzen. Wer ein Salve Regina betet, erhält vierzig Tage Ablaß; für die Maria-Litanei zweihundert Tage; für eine Kniebeugung beim Sakrament ebenfalls zweihundert Tage; wer immer den Rosenkranz trägt, hundert Jahre; wer fünf Pater noster und Ave Maria bei der Passion Christi und den Schmerzen der Maria sagt, erhält zehntausend Jahre; »wenn man sechs Vater-Unser, Ave Maria und ›Ehre sei dem Vater‹ zu Ehren der heiligsten Dreifaltigkeit und der unbefleckten Jungfrau Maria betet, so gewinnt man jedesmal alle Ablässe von Rom, von Portiuncula, Jerusalem und Galizien.« Und die Kirche gibt Ablässe »bis zu zweihunderttausend Jahren«.
Die Kirchen der verschiedenen Betbrüderschaften in Neapel – sagt Santo-Domingo – besitzen die verschiedensten Privilegien: »Da ist eine gesegnete Stiege, zu der man auf einem Bein hinaufhüpfen muß; jede Stufe bringt Ablaß; dort rutscht man auf den Knieen hinauf; und wieder wo anders auf allen Vieren.«
In drei Kirchen Süd-Italiens, in »St. Anastasia« am Vesuv, in Corpo di Cava bei Salerno, und in »St. Gaudioso« in Neapel, befindet sich unter Glas und Rahmen der Umriß einer Schuhsohle und darunter die Inschrift: »Umriß vom Schuh der allerheiligsten Madonna, der in einem Kloster Spaniens verwahrt wird. Papst Johann XII. bewilligte dreihundert Tage Ablaß dem, welcher dies Bild küßt und drei Ave sowie drei Gloria patri sagt. Klemens VIII. hat dies bestätigt. Dieser Ablaß ist übertragbar – auf die Seelen im Fegfeuer. Man kann von diesem Bild Kopieen nehmen, welche dieselbe Wirkung haben.«
Im Jahre 1886 entstand in Scafati, bei Pompeji eine Aktien-Gesellschaft, welche in den Zeitungen folgendermaßen anzeigte: »Diese Gesellschaft bietet für eine einmalige Zahlung von dreißig centesimi allen Teilnehmern für immer ca. fünfhundertsiebzig jährliche stille und gesungene Messen – sowie zahlreiche Priviligien und vollständige Indulgenzen, da diese Gesellschaft der Primärkirche von St. Maria di Monterone in Rom zugesellt worden ist. Die genannte Gesellschaft kann in Wahrheit den im Fegefeuer befindlichen Seelen einen reichen Schatz von Verdiensten bieten und stellt sich unter das Protektorat der allerheiligsten Jungfrau. Der Erzbischof von Tarent Mons. P. Jorio, hat bereits dreihundert Aktien gezeichnet. So etwas kommt wohl in Deutschland nicht vor? – Am 23. Mai 1893 versandten Kapuziner-Mönche in München per Post unter dem Segen des Münchener Erzbischofs Einladungen an gänzlich Unbekannte zum Kirchenbau-Beitrag mit dem Versprechen, für die Zahlenden, ein ganzes Jahr hindurch wöchentlich drei heilige Messen zu lesen; außerdem war ein gedrucktes vierstrophiges Gedicht an den heiligen Antonius von Padua beigelegt mit dem Zusatz: »Hundert Tage Ablaß jedesmal; wer dieses Responsorium einen ganzen Monat hindurch täglich betet, kann an einem beliebigen Tage des Monats einen vollkommenen Ablaß gewinnen. Mit Oberhirtlicher Bewilligung.« Es ist wie zu Zeiten Leo's X. Man braucht eine Kirche; man sammelt Geld bei den Gläubigen, und verkauft an sie im voraus Sünden-Vergebung für beliebige Tage und beliebige Vergehen; und diese Sünden-Berechtigungs-Scheine gehen wie Bankbillets von Hand zu Hand, und werden sogar im Jenseits als Zahlung angenommen. Und Die können nun bauen, und Jene können sündigen. Ich weiß es, deutsche Katholiken, daß Tausende von Euch dieses Verfahren für selbstverständlich halten, und nicht einmal merken, wo hier die Niedertracht liegt, das Chinesische, woran wir die tiefe Kulturstufe erkennen. So ist Euer Gewissen ruiniert, und Eure geistige Nase von dem römischen Weihrauch verstopft!
Diejenigen aber, denen beim Lesen der letzten Kapitel doch einige Bedenken aufgestiegen sind, frage ich, da ich eine »Warnung an meine lieben Deutschen« im Stile Luther's nicht schreiben kann, nur soviel: Gefällt es Euch in Eurem welschen Religions-Gebäude? – Wenn Nein?! Dann verlaßt es, und werdet Deutsche!