Bertha Pappenheim
Sisyphus: Gegen den Mädchenhandel
Bertha Pappenheim

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Biographischer Überblick

Bertha Pappenheim als Patientin (Anna O.) im Sanatorium Bellevue Prof. Binswanger in Kreuzlingen 1882.

27. Februar 1859

in Wien-Leopoldstadt geboren. Vater Sigmund aus streng ungarisch-orthodoxer Familie (Preßburg), Mutter Recha aus der vornehmen Frankfurter Ghettofamilie Goldschmidt.

Sommer 1880

Bei der Pflege des erkrankten Vaters in Bad Ischl selbst erkrankt.

April 1881

Tod des Vaters.

Ende November 1880

Behandlung durch Dr. Josef Breuer (tägliche Visiten) bis Mitte Juni. Ihre Krankengeschichte als Anna O. in den von Sigmund Freud 1882 und Josef Breuer 1895 veröffentlichten Studien über Hysterie.

Juli 1882 bis Sommer 1888

Immer wieder monatelange Aufenthalte in verschiedenen Sanatorien, zuletzt bei Verwandten in Karlsruhe. Dort Freundschaft mit Cousine Anna Ettlinger (Schriftstellerin). Beginn systematischen Schreibens unter ihrer Anleitung. Anonyme Artikel zur Frauenfrage.

1888

Erste (anonyme) Buchpublikation: Kleine Geschichten für Kinder, Karlsruhe o.J. Von 1890 bis 1901 publiziert sie unter dem Pseudonym P. Berthold ( In der Trödelbude, Lahr 1890; 2. Auflage Gotha 1894).

September 1888

Übersiedelung mit der Mutter nach Frankfurt am Main, die Heimatstadt ihrer Mutter. Mitwirkung bei der Umstellung von privater, aus der Ghettozeit stammender, unwirksam gewordener individueller Wohltätigkeit in eine von Vereinen betriebene, die neuesten Erkenntnisse wirksamer Fürsorge berücksichtigende, soziale Hilfsarbeit, sowohl speziell in der jüdischen Gemeinde wie in der Stadt Frankfurt in Zusammenarbeit von den liberalkonservativen, großbürgerlichen, jüdischen Kreisen, denen Bertha Pappenheim von Geburt angehört, Kommunalbeamten, Sozialpolitikern, Philanthropen, den großen Körperschaften und, traditionell, den Frauen, beispielhaft eine Sozialgesetzgebung für das Deutsche Reich vorbereitend. In den neunziger Jahren entfaltet sich Bertha Pappenheim als energiereichste, zielsicherste, unbeirrteste und furchtloseste Persönlichkeit bei der Analyse der Schäden, Entdeckung ihrer Ursachen, Entwicklung von Hilfsmaßnahmen, Schulung weiblicher Hilfskräfte, Propagierung ihrer Ziele, Sammlung von Geldern und Koordinierung von Maßnahmen. Die Maßstäbe und Forderungen, die sie stellt, hat sie an sich selbst erprobt. Ab 1895 ist sie Heimmutter der Isr. Mädchenwaisenanstalt, die ab sofort keine Waisen mehr erzieht, sondern tüchtige junge Mädchen zu einem pflichtenreichen, selbständigen Leben (1895-1906); zugleich unterrichtet sie in dem von ihr gegründeten Verein Unentgeltliche Flickschule (1895), der schließlich 10 000 junge Frauen und Mädchen in Abendkursen im Flicken und Stopfen kostenlos unterweist, osteuropäische Jüdinnen in der Isr. Suppenanstalt. In zahlreichen Aufsätzen und Schriften, Vorträgen, Hausbesuchen und Schulungskursen sucht sie bei der Einfädelung der Frauen in die soziale ehrenamtliche und öffentliche soziale Hilfsarbeit Programm und Ziele der bürgerlichen Frauenbewegung durchzusetzen.

1899

Veröffentlichung des Schauspiels Frauenrecht sowie ihrer Übersetzung von Mary Wollstonecrafts Verteidigung der Rechte der Frauen (von 1792) als Handlungsanweisung für die bürgerliche Frauenbewegung, noch immer gültig nach hundert Jahren.

1900

Veröffentlichung der ersten spezifisch osteuropäisch jüdische weibliche Probleme behandelnden Schrift P. Berthold, Zur Judenfrage in Galizien.

1901

Gründung des Vereins Weibliche Fürsorge in Frankfurt am Main als Hilfe für speziell aus Osteuropa (Galizien) eingewanderter, in Frankfurt gescheiterter Jüdinnen. In der Folge systematischer Ausbau der Weiblichen Fürsorge (Bahnhofshilfe, Wohnheim, Säuglingspflege, Kindergarten, Berufsvermittlung, Rechtsbeistand u.a.) zu einer umfassenden jüdischen, weiblichen, sozialen Hilfsarbeit in enger Fühlung mit den Organisationen der jüdischen Frankfurter Gemeinde sowie den großen jüdischen Hilfsorganisationen, der Stadtverwaltung, der bürgerlichen Frauenbewegung sowie den großen sozialpolitischen Körperschaften.

1903

Mehrmonatige Reise nach Galizien, um die Ursachen des Mädchenhandels kennenzulernen und Vorschläge für eine Verbesserung der Verhältnisse zu machen. Die Schrift, die Bertha Pappenheim 1904 vorlegt Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien macht sie in der jüdischen Weltöffentlichkeit mit einem Mal als kompetente Sachverständige gerade dieser spezifisch weiblichen jüdischen Probleme bekannt. Ihre zahlreichen, jetzt einsetzenden Reisen bestehen darin, begonnene Hilfsmaßnahmen zu koordinieren und ihnen gemeinsame Richtung und Ziel zu geben. Über den Dachverband des von ihr 1904 gegründeten, geleiteten Jüdischen Frauenbundes hält sie Kontakt und Fühlung zu allen bestehenden großen Hilfsorganisationen.

4. Mai 1905

Tod der Mutter.

Herbst 1905

Oktoberpogrome in Rußland. Bertha Pappenheims Haar wird schlohweiß.

Frühjahr 1906

Reise in die Pogromgebiete Rußlands für mehrere Monate, Besichtigung der Schäden, Aufbau lokaler sozialer weiblicher Hilfsarbeit sowie Überführung von 120 Pogromwaisen in den Westen zur Adoption. Durchführung ihrer Adoption. Aufgabe der Leitung des Isr. Mädchenwaisenhauses, um sich ganz diesen Aufgaben zu widmen.

7./8. Oktober 1907

2. Delegiertentagung des Jüdischen Frauenbundes in Frankfurt am Main (Skandal und Markstein zugleich).

25. November 1907

Einweihung des Heims des Jüdischen Frauenbundes in Neu Isenburg.

1908

Ausbau der lokalen Tätigkeitsbereiche des JFB: Gründung einer Ortsgruppe, der Jüdischen Bahnhofshilfe, der Stellenvermittlung für arbeitslose Jüdinnen. Auf dem Breslauer Frauentag des ADF (Allgemeiner Deutscher Frauenverein) wird von Bertha Pappenheim der Jüdische Frauenbund vorgestellt.

1909

Reise in den Balkan, in Rumänien Überreichung der Petition zur Bekämpfung des Mädchenhandels an die Königin Carmen Sylva. Reise nach Toronto auf den Weltkongreß der Frauen als Delegierte des Bundes Deutscher Frauenvereine sowie Rednerin und Kommissionsmitglied des Internat. Frauenbundes für Fragen der Ein- und Auswanderung.

1909

Im Frankfurter Stadt. Waisenamt stellvertretendes Mitglied auf dem Weg der Durchsetzung der Frauen von ehrenamtlicher Vereinstätigkeit in die öffentlichen Gemeindeämter (»über erfüllte Pflichten zu Recht«).

1910

Veröffentlichung: Memoiren der Glückel von Hameln, übertragen aus dem Jiddischen von Bertha Pappenheim nach der Ausgabe von Feilchenfeld, Privatdruck, »nur für den Kreis ihrer Familie« (Sie ist mit Glückel verwandt). Weitere Reisen auf Kongresse zur Bekämpfung des Mädchenhandels nach London, Leipzig, Madrid.

1911

Reise in den Orient (Palästina, Ägypten, Türkei).

1912

Rede Bertha Pappenheims auf dem Deutschen Frauenkongreß in Berlin zum Thema »Die Frau im kirchlichen und religiösen Leben aus der Sicht der Jüdin«, Reise nach Osteuropa.

1913

Veröffentlichung des Schauspiels Tragische Momente.

1914

Gründung des Weltbundes jüdischer Frauen im Mai 1914 in Rom. Präsidentin: Bertha Pappenheim. Wegen Ausbruch des 1. Weltkrieges wird er im August 1914 aufgelöst.

1916

Veröffentlichung ihres Erzählbandes Kämpfe.

1917

Gründung der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden als Spitzenorganisation der freien Wohlfahrtspflege. Gründung eines jüdischen Mädchenclubs im besetzten Belgien. Fabrikpflegerin für 300 ostjüdische Munitionsarbeiterinnen (Zwangsarbeiterinnen) in Frankfurt-Griesheim und Höchst.

1918

Mitglied des Deutschen Ausschusses für Gefährdetenfürsorge, das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 vorbereitend. Mitglied des von Rabbiner Nobel geleiteten Ausschusses über die neue jüdische Gemeindeverfassung, die die Frau dem Mann gleichstellt. Organisation der Hilfe für 80 000 russische und 50 000 polnische jüdische Pogromwaisen.

1919

Gründung der Frankfurter Arbeitsgemeinschaft der Tuberkulose unter den Juden.

1920

Veröffentlichung der Schrift Rückblick auf die jüdisch-soziale Frauenarbeit der Vereine »Weibliche Fürsorge«, »Heim des Jüd. Frauenbundes«, »Mädchenclub«, »Ortsverein des JFB« u. a.

1923

Rede auf dem Weltkongreß jüdischer Frauen in Wien. Appell an die Kenessioh Gedauloh, die Rechtsstellung der orthodoxen Jüdin im Gesetz zu heben. Appell des Jüdischen Frauenbundes an den Völkerbund, eine Studie zu erstellen, die den Anteil der Juden am Mädchenhandel feststellt.

1924

Reden Bertha Pappenheims auf dem 6. Weltkongreß gegen Unsittlichkeit in Graz und der 2. Jüdischen Welthilfs-Konferenz in Karlsbad. Veröffentlichung ihrer Schrift Sisyphus-Arbeit. Reise-Briefe aus den Jahren 1911 und 1912. Teil I.

1925

Vortrag über jüdische Gefährdetenfürsorge auf dem vom Frankfurter Jugendamt veranstalteten Kongreß.

1926

Studienreise in die Sowjetunion. Besuch der jüdischen Agro-Joint-Siedlungen, die nach dem 1. Weltkrieg entstanden. Dazu der Aufsatz »Bemerkungen«. Publikation: Aus der Arbeit des Heims des Jüdischen Frauenbundes in Neu Isenburg 1914-1924.

1927

Gründung des Wyker Heimes des Jüdischen Frauenbundes für tuberkulosegefährdete jüdische Kinder. Rede auf dem VII. Internat. Kongreß zur Bekämpfung des Mädchenhandels in London. Rücksprache im Völkerbundssekretariat wegen der 1923 begonnenen Enquête über Mädchenhandel und deren antisemitischen Passagen.

1929-1930

Ausstellung von Bertha Pappenheims selbstgefädelten Glasperlenketten durch den Ortsverein des Jüdischen Frauenbundes (»Bei der Armenpflege trägt man keine Juwelen«, Bertha Pappenheim). Veröffentlichung ihrer Übersetzung des Maasse-Buches sowie der Frauenbibel (Zeenah-U-Reenah), die den Jüdinnen ihre bei der Assimilation an die christliche Umgebung verlorengegangene, jüdische, weibliche Tradition wiedergeben. Schlußansprache Bertha Pappenheims auf dem VIII. Internat. Kongreß zur Bekämpfung des Mädchenhandels in Warschau. Aussprache über den § 218 auf der Dürkheimer Sommertagung des JFB mit Bertha Pappenheims programmatischen Äußerungen zur jüdischen Ethik und ihrer Achtung vor dem Leben.

1931

Reise nach Altenburg/Thüringen, um dreißig Kinder aus verelendeten Familien (Hungerkatastrophe) für zwei Jahre in das Isenburger Heim zu holen.

1932

Teilnahme an einer Podiums-Diskussion über Antisemitismus in Berlin. Referat Bertha Pappenheims auf der Tagung in Münster über Gefährdetenfürsorge. Ausstellung ihrer Ketten im Kunstgewerbemuseum in Frankfurt.

1934

Rücktritt aus dem Gesamtvorstand des Jüdischen Frauenhundes. Reise nach England und Schottland, um eine Gruppe Isenburger Heimkinder in dortige Heime zu überführen.

1935

Der Stürmer zitiert aus Bertha Pappenheims Arbeiten zur Bekämpfung des Mädchenhandels. Sommer: Reise nach Wien, um ihre kostbare, 1125 Objekte umfassende Spitzensammlung dem Wiener Museum für Kunstgewerbe zu stiften. Anschließend Besuch in Bad Ischl. Ausbruch ihrer Erkrankung und Zusammenbruch. Operation im Jüdischen Krankenhaus in München. September: Reise nach Amsterdam, um mit Henrietta Szold (Jugend-Alijah) zusammenzutreffen. Im November: Reise nach Krakau, um das dortige Beth-Jakob-Schulwerk zu besichtigen und zu beraten bei seiner Weiterentwicklung (»Leitgedanken«).

Januar 1936

Verhör durch die Gestapo in Offenbach, danach bettlägrig, Übersetzung der Manuskripte von Mary Wollstonecraft sowie dem 2. und 3. Buch Moses der Zeenah-U-Reenah (beide verschollen).

28. Mai 1936

Tod Bertha Pappenheims.

Veröffentlichung ihrer Gebete. Nachwort von Margarete Susmann. Ausgewählt und herausgegeben vom Jüdischen Frauenbund, Berlin 1936.


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