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Es gibt zwei Möglichkeiten, vom Arbeitskreis zu sprechen. Die eine Möglichkeit wäre, Sie mit dem Wort »Arbeitskreis« als Tatsache zu überfallen. Ihnen zu sagen, was dieser Arbeitskreis soll, ohne zu bedenken, ob die Einstellung der hier Anwesenden so weit ist, daß wir uns mit Schlagworten verstehen können. Die zweite Möglichkeit wäre, ganz weit auszuholen. Mir wäre die zweite Möglichkeit die liebere. Es gibt für das, was Gefährdung, was Fürsorge, was Gefährdeten-Fürsorge, was Arbeitskreis bedeutet, ganz getrennte, bestimmende Gedankengänge. Es wäre zu erklären, was uns Veranlassung gab, neben anderen Stellen noch einen »Arbeitskreis für Gefährdeten-Fürsorge« zu schaffen. Ich könnte Ihnen vieles erzählen. Was ich in 40 Jahren sozialer Arbeit lebendig haben werden sehen, und was ich nicht habe werden sehen. Es wird aber nicht möglich sein, so weit auszuholen, wie es eigentlich wünschenswert wäre.
Wir wollen uns als erstes fragen: Was bedeutet Gefährdung? Versteht man dieses Wort so eng, so bedeutet es die Gefahr einer sexuell-sittlichen Entgleisung. Versteht man es weit, so ist darunter zu verstehen, jedes Abweichen von dem Wege, den das Gesetz, wie wir es jüdisch überliefert bekommen und weitergegeben haben, als Basis des Verhaltens fordert. Wenn wir Juden heute starker Anfeindung ausgesetzt sind, so ist das, weil auch bei uns die Reinheit der Sitten und die Gesetze der Sittlichkeit übertreten und umgangen werden. Ich betrachte jedes Außerachtlassen von Dingen, die zum Intakthalten der sittlichen Persönlichkeit notwendig sind, als unsittlich. Wenn wir heute hören, daß Menschen geschäftlich den Gesetzen zuwiderhandeln, so müssen wir sagen, auch das ist unsittlich; nicht nur die Dirne, die Frau, die ihren Mann betrügt, verdient dieses Wort. Die Juden, die sich irgendeiner Richtung nicht den allerhöchsten Ansprüchen sittlichen Lebens fügen, sind – nach meiner Auffassung – gefährdet und gefährdend: Nachsicht wäre hier von Übel. Es ist sehr schwer, nicht zu gefährden, wenn wir das große Gesetz, das vom Ner tomid, vom ewigen Licht ausgehen soll, als bindend anerkennen: wie leicht läßt man es außer acht.
In der Fürsorge haben wir es – das wissen wir alle – mit Menschen zu tun, die schwach sind, – wie wir alle mehr oder weniger auch. Das erfordert Nachsicht. Nachsicht in der Praxis, aber nicht in der Gesinnung. Keine Nachsicht haben dürfen wir gegen die gesunde Jugend und gegen uns selbst. Für uns muß das ewige Gesetz gelten, man nenne es Gewissen oder Tradition, man darf es nicht umgehen und umschreiben.
Wer sich unterfängt, Jugend führen zu wollen, muß den Weg der Strenge gegen sich selbst und der Nachsicht gegen andere gehen. Es ist heute furchtbar schwer, anderen das Ner tomid anzustecken, aber das ist unsere Pflicht. Heute glaube jeder Jude, die Berechtigung zu haben, sich selbst einen Weg zu weisen, sich nicht mehr wie früher einen Weg zu weisen, sich nicht mehr wie früher sittlicher Vorschrift zu fügen. Wenn man, wie ich vor 40 Jahren noch – unbewußt – übergossen vom Geist des elterlichen Hauses, geschützt durch den Jichus, soziale Arbeit begonnen hat, dann liegt es einem wie ein furchtbarer Schrecken auf der Seele, daß auch die Juden in den letzten Jahrzehnten von dieser Linie, die ihnen gewiesen war, abgewichen sind, auch auf sexuellem Gebiet. Ich habe das noch erlebt in deutschen jüdischen Gemeinden und mit noch größerem Schrecken im Ausland: In Ost und West. Das kann eine einzelne Frau nicht beheben – aber man hat dieser Frau nicht geglaubt. Man hat es ihr abgestritten, daß auch in der jüdischen Gemeinschaft uneheliche Mütter und Kinder vorhanden sind. Es hat damals viel bedeutet, das auszusprechen, und es war schwer, die Frauen zu bestimmen, daß wir uns zusammenschließen müssen, um diese Dinge abzustellen. Heute sind diese Gedankengänge in der gesamten Kulturwelt lebendig; sie sind gesamt-menschlich, aber diese Ideen und Forderungen strengster Sittlichkeit in die Welt getragen zu haben, war – das wollen wir nie vergessen – jüdisch.
Wir haben im Jüdischen Frauenbund immer wieder versucht, auf die Entgleisungen in unserer Gemeinschaft hinzuweisen und gleichzeitig auch immer wieder nachzuweisen, wie die große Linie geht, die wir einhalten müssen. Was müssen wir tun, um uns, soweit wir diese göttliche Linie fühlen, darüber klar zu werden und unsere Empfindung auf die zu übertragen, die den Weg nicht sehen oder nicht die Stärke und Fähigkeit haben, ihn zu gehen? Ich glaube, daß dieses Bemühen religiös genannt werden muß: mit rituellem Leben hat es nichts zu tun.
Wir wissen alle, daß die heutige Jugend es vielfach ablehnt, diesen Weg zu gehen. Fürsorge-Institutionen können sich begreiflicherweise nicht mit allen Formen des Abgleitens befassen. Es gibt für jeden Menschen eine Privatsphäre, die zu schonen ist und gibt andererseits Momente, die uns gerade bei jungen Menschen veranlassen, in ihr Leben einzugreifen. In der Gefährdeten-Fürsorge wollen wir sie bewahren, wollen in einer Zeit, da ihnen die Gefährdung noch nicht bewußt ist, an sie und für sie denken. Wenn wir keine Möglichkeiten sehen, heute allen das »Du sollst« beizubringen; – man mag dieses Wort religiös oder philosophisch auffassen – dann ist es nicht zu verwundern, wenn wir immer wieder Menschen unserer Gemeinschaft verlieren. Ich sehe eine Ursache für das Zusammenschrumpfen der Judenschaft auch darin, daß sie nicht mehr den Gedanken des ethischen sich Aufrechterhaltenwollens in die Tat umzusetzen vermag.
Ich hätte gewünscht, daß die Gefährdeten-Fürsorge als Arbeit fortwährend und uneingeschränkt dem Jüd. Frauenbund erhalten worden wäre. Die Entwicklung kam anders – vielleicht liegt auch darin ein Gesetz. Heute empfinde ich es als Umweg, daß auch anderen Organisationen, die nicht so konzentriert und einmütig diese Arbeit tun, Gefährdeten-Fürsorge machen. Außerordentlich bedauerlich ist es aber, daß einzelne Personen, denen die Gefährdungs-Erscheinungen auch immer wieder begegnen, nicht alle ihre Kraft einsetzen, sie einzudämmen.
Wir müssen uns in einer solchen Stunde fragen: wie verhalten wir – oft altmodisch genannten – Menschen uns zu den modernen Gedankengängen, die heute die Jugend, die Fürsorgerinnen etc. beschäftigen? Aus Gründen der Hygiene, der sexuellen Moral? Wenn wir auf dem Standpunkt stehen, daß wir dieses Recht nicht haben, dann wollen wir alle Gefährdeten-Fürsorge lassen. Sehen wir es aber als unsere Pflicht an, die Jugend vor Gefährdung zu behüten, – den einzelnen jungen Mensch, die jüdische Familie, die jüdische Gemeinschaft – dann erwachsen uns außerordentliche Pflichten. Ein Zwischending gibt es nicht. Hier ist eine Entscheidung, eine große Klarheit nötig. Sind wir durchdrungen von einer Mission der Juden und des Judentums zwischen den Völkern, so ist es unsere Pflicht, für Gesundheit der jüdischen Gemeinschaft an Geist und Körper zu sorgen. Wir können eine Kontinuität des Geistes nur anerkennen und verlangen, wenn wir die Kontinuität des Körperlichen, die Fortpflanzung auch als Wertvolles anerkennen. Dieser jüdische Gedanke gab uns Frauen die Kraft, einen Kreis, einen Arbeitskreis zu bilden, der in Liebe alle umfängt, die schwach sind und sie auf den einen Weg zu führen sucht, an dessen Ende das Ner tomid brennt. Das ist die Aufgabe eines Arbeitskreises für Gefährdeten-Fürsorge; sie verpflichtet jeden einzelnen. Es darf nicht sein, daß wir von hier auseinandergehen und Danke Schön! sagen und alles herrlich fanden.
Wir alle stehen auf der Basis des lebendigen Lebens. Für die große Linie sind jedoch auch die Details sehr wichtig. Ich will nur eine Frage hier aufwerfen: Wie soll man sich den jungen Menschen gegenüber verhalten, die abgewichen sind? Wir können nur die eine Antwort finden, daß wir uns helfend und schützend vor diese einzelnen Personen zu stellen haben. Es handelt sich bei diesem Abgleiten durchaus nicht nur um die Mädchen. Dieselben Entgleisungen mit anderen Wirkungen und Rückwirkungen finden sich auch bei der männlichen Jugend. Aber fälschlicherweise beschäftigt man sich meist nur mit den Mädchen und stigmatisiert sie. Es ist sehr beschämend für die Männer, daß sie sich nur mit den »gefährdeten Frauen« befassen, als ob die Frau allein imstande wäre, diese Entgleisungen zu begehen. Ist es nicht genau so beschämend für die jüdische Gemeinschaft, daß auch ihre Männer nicht stark geblieben sind? Wir wissen ganz genau um die von der Natur gewollte Zweiteilung. Man hat heute Vormittag vom Geheimnis in jedem Menschen gesprochen und von naturwissenschaftlicher Seite ist uns gesagt worden, das sei nicht richtig. So materialistisch wollen wir nicht sein, daß wir dieses Unbenennbare, dieses Geheimnis beiseite schieben wollen. Wir können auf dieses große Geheimnis nicht verzichten, denn es kann außerordentlich beglückend sein, immer wieder – nach einem großen Kummer, bei schweren Entscheidungen – ein Geheimnis zu fühlen. Dies allein gibt uns die Kraft, das Leben zu ertragen und Nachsicht zu üben gegen die, die es nicht wissen und vielleicht nie wissen können. Es stellt uns auch die Aufgabe, uns zu verbinden, im Sinne dessen, was unsterblich ist.
Es ist sehr schwer auszudrücken, was ich in dieser erdgegebenen Aufgabe eines Arbeitskreises für Gefährdeten-Fürsorge als das Übererdgegebene empfinde und verständlich machen möchte. Man kann darüber nicht immer sprechen und nicht mit jedem. Es überkommt einen, man ruft die Gleichgesinnten zusammen und spürt dann diesen ganz merkwürdigen starken verbindenden Strom. Darum ein Arbeitskreis. Kreis heißt zusammenstehen, er hat keinen Anfang und kein Ende.
An Feiertägliches und Feierliches kommt man selten, aber jeder Tag bringt kleine praktische Pflichten. An jedem Tag können wir erfahren, beobachten, fühlen, daß wir Juden etwas zu tun haben. Der Weg wird Ziel, und das Ziel wird Weg.
Bedauerlicherweise hat sich die jüdische Fürsorgetätigkeit nicht so entwickelt, wie es wünschenswert gewesen wäre. Es ist das Traurige am Altwerden, wenn man sieht, daß das, was man sich gewünscht hat, durch sonderbare Abwandlungen zum Gegenteil geworden ist. Man hat z.B. gesehen, daß die Wohlfahrtsarbeit nicht allein freiwillig zu leisten ist. Man hat die herkömmliche, als Mizwoh aufgefaßte Wohltätigkeit, diese Berufung an die ganze Gemeinschaft, umzubilden versucht in eine disziplinierte Wohlfahrtspflege. Ich selbst habe danach gerufen und muß nun sehen, daß dieses herrliche Sichgeben und Nehmen aufgehört hat und einer Rationalisierung gewichen ist. Daß Fürsorgearbeit nicht mehr Berufung, sondern ein Beruf, an vielen Stellen sogar ein Geschäft geworden ist, das ist eine furchtbare Beobachtung, etwas was so weit abliegt vom Wege zum Ner tomid, daß man nur mit Schaudern daran denken kann. Wenn wir Frauen nicht wieder alles hergeben: Gut und Blut, Geist und Verstand, dann wird die Materialisierung der Wohlfahrtsarbeit nicht aufzuhalten sein, dieser jüdischen Aufgabe, die nur in höchster Geistigkeit und Liebe getan werden kann.
Der Arbeitskreis soll ein Zusammenstehen von Männern und Frauen (beamteten und nicht beamteten) bedeuten, die im höchsten Sinne bereit sind, den einzig richtigen Weg zu gehen. Die der Jugend sagen, es gibt Momente, wo Du stillehalten mußt, denn Du bist nicht nur einer, Du gehörst dem Ganzen.
Heute sind in der jüdischen Gemeinschaft Verfall und Degeneration genau so eingetreten, wie bei der Umwelt. Wenn wir als jüdische Gemeinschaft bleiben wollen – und ich meine, wir sollten bleiben wollen, um des Weges, des unerreichbaren Zieles, um des Geheimnisses willen – dann müssen wir denen helfen, die am Wege bleiben. Sie sollen und brauchen nicht am Wege bleiben.
Aus unserer täglichen Arbeit wissen wir, wie ungenügend und unzulänglich wir sind. Es fehlt nicht nur an Geld, sondern auch an der Bereitschaft, zu helfen, an der Bereitschaft, zusammenzustehen. Wir sind nicht mehr eins. Wir haben am Sinai gemeinsam das Gesetz empfangen, aber heute geht jeder, jede Organisation für sich. In solchen Augenblicken bedauere ich, daß wir keine Kirche, keine religiöse Autorität haben. Wo ist bei uns jemand, der etwas sagt oder zu sagen hat, – sagen sie es, weil sie auf diesem als richtig erkannten Wege vorausgehen oder weil sie glauben, besser zu sein? Wir haben keine Disziplin, sind alle so gescheit, und es entsteht ein zerrupftes, zerpflücktes, uneinheitliches Leben, das einem – ich gehöre dazu – bis in die Seele zuwider ist.
Seien Sie nicht zufrieden mit sich selbst und mit Ihrem Nachbar. Richten Sie sich nach der merkwürdigen Stimme, die wir Gewissen nennen, von der ich glaube und weiß, daß jeder sie hat. Von da aus müssen wir Gefährdeten-Fürsorge machen.
Seit 4 Wochen weiß ich und muß es an dieser Stelle sagen, daß man 2 jüdische Kinder verschenkt hat, an Christen verschenkt, und daß 2 andere jüdische Kinder von ihren Müttern beiseite geschafft worden sind. 2 jüdische – uneheliche – Mütter unter 20 Jahren haben ihre Kinder geboren und getötet. War wirklich keine Möglichkeit da, diese Kinder zu erhalten? Wenn das möglich sein kann, daß kein Geld, kein Vertrauen, kein Wille da ist, dann bedarf es unserer ganzen unerhörten Liebe, um so etwas wieder unmöglich zu machen.
Der Arbeitskreis hat die Aufgabe, technisch und innerlich solchen Auffassungen und Geschehnissen eine Mauer entgegenzusetzen. Daß wir heute in der jüdischen Gemeinschaft Kindesmörderinnen haben, bedeutet eine tiefe Schmach für uns alle.
Es gibt Dinge, in denen das gesunde Gefühl der Frauen maßgebend sein soll und wieder maßgebend werden muß, aber nicht wir Alten, sondern die Jungen sollen es machen. Sagen Sie es in den Gemeinden, daß wir das bißchen Geld, das wir heute noch haben, nicht in die Verwaltung stecken dürfen, sondern daß es der lebendigen Arbeit gehört.
Die Details der Gefährdeten-Fürsorge, die unser Arbeitskreis und jeder an seiner Stelle zu tun hat, sind so trocken und einfach. Aber doch haben Sie im letzten Ende mit zu tun, was meine Ausführungen Ihnen sagen wollten. Jeder ist dafür verantwortlich, auch der Lehrer, die Rabbiner, aber besonders wir Frauen. Wir haben sonst nicht das Recht, in jüdischen, gemeindlichen Dingen mitzusprechen. Wir dürfen nicht ruhig sein, bis wir den Weg, an dessen Ende das Ner tomid brennt, wiedergefunden haben.
Nr. 12 Berlin / Dezember 1930 VI. Jahrgang
Der Warschauer Internationale Kongreß zur Bekämpfung des Mädchenhandels
An den Vorstand des Jüd. Frauenbundes, z.Hd. von Frau Bettina Brenner, Leipzig.
Es scheint mir nicht nur für die im J.F.B. organisierten Frauen, sondern für die jüdische Welt im allgemeinen wichtig, zu erfahren, wie sich der VIII. Internationale Kongreß zur Bekämpfung des Mädchenhandels in Warschau dargeboten hat. Ich berichte deshalb.
Um zuerst von dem Rahmen der Veranstaltung zu sprechen, ist zu erzählen, daß die bekannte polnische Gastlichkeit sich in liebenswürdiger Weise gezeigt hat. Die Gastlichkeit des polnischen Nationalkomitees, die besonders durch die »Dames Chauvinesses« (Stiftsdamen) in dem Stiftungshaus der Gräfin Potocka Formen so feiner, persönlicher Kultur trug, ließ alle begeisterten Worte des Dankes in den drei Kongreßsprachen nur eben das ausdrücken, was alle Teilnehmer empfanden. Auch große Empfänge in prächtigen, kunstgeschmückten Räumen brachte die offizielle Note, die solchen Zusammenkünften eigen ist, ihre äußere Wirkung, wenn auch nicht ihre innere Bedeutung zu unterstreichen.
Vom allgemeinen Standpunkte gesehen, bewegten sich die Verhandlungen in den bekannten, herkömmlichen Geleisen von Frauen- und Kinderschutz: Paßfragen, Repatriierung von Prostituierten, Schutzalter, Auslandsstellungen für Mädchen, besonders als Artistinnen usw.
Neu aufgenommen war der nicht fernliegende Gedanke der Bekämpfung des Zuhälterwesens, der nach den Wegen und Umwegen, die einer Resolution vorgeschrieben sind, noch vieler Jahre bedürfen wird, um seine Keimfähigkeit zu beweisen!
Auch die Abolition der Reglementierung, die Aufhebung der Bordelle, diese Grundforderung jeglicher ernst gewollten Bekämpfung des Mädchenhandels, ist nach vieljährigen Kämpfen noch nicht in allen Ländern anerkannt. Es war nur ein winziger Ansatz einer etwas lebhafteren Bewegung in der Versammlung, als Prof. Uhde (Graz) mit dem ihm eigenen Pathos eine Entschließung verlangte, demzufolge der Völkerbundskommission für Frauen- und Kinderschutz kein Antrag empfohlen werden sollte, der nicht mit der abolitionistischen Linie übereinstimmt. Aber auch dieser Wunsch, der im Augenblick, da er ausgesprochen wurde, nur von ideologischer Bedeutung war, konnte sich durch die Stellung der lateinischen Länder (die wie der Osten, der Balkan u.a. nicht ohne Bordelle auskommen zu können glauben) und durch die ängstliche Haltung einiger Nationalkomitees in der Abstimmung nicht einmal zu einer warmen Einstimmigkeit, zu einer Resolution verdichten.
Mit diesen wenigen, uninteressanten Worten wäre der Kongreß im allgemeinen genügend charakterisiert, und indem ich noch beifüge, daß der nächste Kongreß in Berlin stattfinden soll, wäre der Bericht erschöpft, wenn nicht gerade von diesem Kongreß für die jüdische Welt mehr und anderes zu erwarten gewesen wäre.
Wenn ich nun in diesem Zusammenhang den in unserem Frauenkreise zum Kennwort gewordenen Begriff der Sysiphus-Arbeit gebrauche, so wissen Sie, daß ich damit die Stellung der Juden im Mädchenhandel und zu seiner Bekämpfung meine.
Ich setze als bekannt voraus, daß der Internationale Kongreß zur Bekämpfung des Mädchenhandels in Warschau 1930 der Ausgangspunkt hätte werden können, sich jüdischerseits zu unleugbaren Tatsachen zu bekennen und einen sauberen Bekämpferwillen zu dokumentieren, in einem Lande und in einem Kreise, in dem die