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Taunusfahrten.

Wir wollen nicht den kürzesten Weg von Großstadt zu Großstadt. Wir biegen in die Allee, die zum Taunus will. Wir jagen nicht mehr. Auf einmal wölbt sich das Gefühl der Frische und des zarten Grüns, das über der weiten Landschaft schimmert, in das dunkle und doch von Lichtern durchspielte Schiff dieser langen, gleichmäßig emporgewachsenen Allee. Wir kommen dem Anstieg schon nahe, wir sehen von einem Buckel der Straße in ein Längstal hinab, aus dessen Äckern das Gebirge erst zu seiner vollen Höhe aufsteigt. Der Ansatz liegt sogar noch etwas tiefer als die kleine Stadt und ihr von Gärten umzäunter neuer Häuserzug mit den roten Dächern.

Zum zweiten und dann zum dritten Mal begegnet uns eine Schafherde, diesmal ist es auf freier Feldstraße. Welch ein dichtes Gewimmel der gelblichwollenen Fließe. Die Lämmer trotten mit den Mutterschafen hinterher. Zwei kleine schwarze Hunde galoppieren eifrig um die dumme halbblinde Herde und treiben sie immer wieder zusammen. Der Hirte ist ein athletischer junger Mensch, nur der alte Mantel und der Stab mit dem kleinen blanken, stählernen Blatt der Schaufel, das einen eigentümlichen Zapfen trägt, ist wie aus Urväterzeiten. Die Herde schlägt wie eine Flutwelle quer über den Feldrain. Auf dem Acker stehen hölzerne Tröge. Sofort ordnet sich das Gewimmel um die Längsstreifen der Tröge. Der Hirt wirft den Mantel ab und steigt in eine flache Grube von aufgeworfenem Lehm, die unter freiem Himmel liegt. Was er da zu graben hat, wissen wir nicht.

Wir haben Bad Soden (16,8 km) Die Kilometerangabe ist bei allen Orten gemacht und bezieht sich auf die Entfernung von Frankfurt a. M. hinter uns, das stille Städtchen, an dessen Hauptstraße vor einem Jahrhundert Graf Leo Tolstoi fast ein Jahr lang wohnte. In den Seitenstraßen stehen behagliche Häuser, einige mit schmiedeeisernen Balkonen, mit Veranden, mit gepflegten Beetgärten. Der Kurpark mit seiner Halle ist nahe. Dort sprudeln im Rasen die Quellen. Bad Soden ist dem Leben von Frankfurt und den Schornsteinen von Höchst nicht fern. Aber der Genius des Ortes ist ungestört. Auf den Bänken sonnen sich Leute, die Zeit haben, man spürt das Behagen der Stille, man ahnt das Behagen der Kurgäste, die nach dem Bad den beschaulichen Spaziergang durch den Park unternehmen, dann zu den Nelken- und Erdbeerfeldern, vielleicht auch zu dem Kastanienhain am Taunusabhang oder durch den Buchenwald zu den breiten abhängenden Wiesen, in denen die sieben Quellen von Kronthal laufen. Und wenn das Wetter schön ist, weiter hinauf nach Kronberg (15 km) und durch das ganze lange, liebe, alte Nest hindurch immer am Wald entlang nach Falkenstein (18,6 km), dessen Turm von der Höhe winkt wie ein Ziel aus längst geklärten Tagen.

Alles das fährt der Wagen in Minuten, wo der Wanderer geruhig seinem Tag ein paar Stunden Zeit entnimmt. Aber er wäre auch freier als wir, nach Mammolshain hinaufzusteigen, das hell am Südhang des Gebirgs herunterwinkt und denselben weiten Blick in die Mainebene hat wie die berühmteren Ausflugsorte da oben. Aus Rittersitzen und Kuhdörfern sind sie entstanden, die kleinen Städtchen, an wohlgewählter Stelle. Nicht zufällig sind um die alten Gassen und Fachwerkhäuser so viel jüngere, von Gärten behütete Häuser, von Parks umschattete Landsitze aufgewachsen, die fast immer ein Stück Wald mit umschließen. Auf den Waldwegen wandern die Tauniden mit dem Stock in der Hand und der Anemone im Knopfloch, fußfreie Damen und ältere Herren mit Wetterhut. Wir parken auf dem Marktplatz in Königstein (20,7 km) und trinken einen Kaffee, nachdem wir gesehen haben, wie der Kurgarten schon seine weißen Gartentische ins Freie stellt und wie die alten Baumgruppen bereitstehen, von den Stadtleuten zugleich mit der Aussicht auf die Burg bewundert zu werden.

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Wir sind in das Bergland eingedrungen. Die Landstraße führt uns in Wiesentäler. Wir können anders wählen als der Fußgänger, der doch immer an seinen Ausgangspunkt denken muß. Im Stern der Wege wählten wir das Fischbachtal, das seine bewaldeten Hänge dunkel zusammenzieht. Im Dörfchen Schneidhain weicht ein Pflüger mit seinen Gäulen in die Gasse aus, die ihn auf seinen Acker führt. Langholz kommt auf dem Ochsenfuhrwerk die steile Straße herab, oben warnt uns ein dünnes, wahnsinniges Schellen. Wir sehen ein Geleise, greifen schon nach dem Türgriff. Braust ein Personenzug heran? Nichts zu sehen. Leeres Geleise rechts und links. Nur hinter einem Hügelvorsprung her kommt ein Pfeifen wie Angstgeschrei. Und nun dauert es eine ganze Weile, bis das kleine schwarze Ungeheuer vorüber ist. Es ist das Züglein der Höchst-Königsteiner Bahn, das aus der Zeit stammt, als Autos diesen Übergang noch nicht unsicher machten. Heil fährt es vorüber, wir können uns wieder dem Wald zuwenden, der frühlingshell durchlichtet bis an die schmalen Gassen von Eppstein (23,7 km) reicht. Die Burg da oben war auch einmal ein Hochhaus, gebaut von Herren, die für ihr Schloß den rohen waldbestandenen Fels zum Sockel nahmen. Jetzt sind dort unten an den Gassen die Wirtshausschilder den Besuchern keine geringere Verlockung als das Herumsteigen im dachlosen, stiegenlosen Gemäuer.

Der Einflußkreis einer anderen Stadt beginnt. Die Mädchen in ihren Schürzen, die Handwerksleute im Freien an der Straße künden mit ihrem Arbeiten schon den Sommer an, die Terrassen am Felsenhang erwachen aus der Verwilderung. Das Tal, dem großen Schienenfeld von Niedernhausen (31,4 km) zu, wird flacher. Es ist, als bekäme der Taunus einen härteren Charakter. Bauernkinder, ganz in blau, sind auf der Wiese. Über eine kleine Höhe schauen auf einmal wieder die Joche der Überlandleitung. Durch die niederen Häuserreihen des Dorfes fährt ein wenig staubig der blauweiße Wiesbadener Autobus die Landstraße hinauf zu seiner Haltestelle am Walde. Naurod (35,2 km) liegt im Tal, ein Dorf mit mehr alten, manchmal ein bißchen baufälligen, aber meist schönen Häusern, als Taunusdörfer sonst. Schmal wie ein Fischleib ragt das Türmchen auf der zierlichen, achteckigen Kirche. In den Gossen der Straße rinnt silbernes Quellwasser.

Hier in den Wäldern um Naurod ist noch einer der wenigen Krater des einst vulkanischen Gebirges. An verborgenen Feuern vorbei rinnen die heißen Wasser im Innern der Erde. Die Landstraße geht nun in schönen, freien Biegungen. Der obere Teil des Tales mit seiner weiten Aussicht wird bald die Ausflügler locken, ihre Raststellen einzurichten. Seitenwege führen in die Wälder, hinauf zu den minderen Höhen des Taunus, zum Kellerskopf. Dann beginnt, von Wald und Haselsträuchern und Steinbrüchen gesäumt, das wasserreiche Tal von Rambach, das lange, arbeitsame Dorf, dessen Frauen Wäscherinnen sind und dessen Männer mit Fuhrwerken die Wäsche von Wiesbaden hin und her holen. Und wo dann das große Dorf Sonnenberg (40,8 km) unter dem schweren, viereckigen Turm der Burgruine endet, da beginnt auf einmal wie eine fröhliche, vielversprechende Welt mit lockeren Baumreihen und Gebüschen der Wiesbadener Kurgarten.

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Wenige Großstädte sind von einem so ausgestirnten Horizont umgeben wie Frankfurt. Es finden sich nicht viele Orte in Deutschland, wo die Wahl der Ausflugsziele leichter ist, die Art der Sommerfrischen vielgestaltiger, die Zahl der Heilquellen und der schiffbaren Ströme reicher. Dazu kommt, daß die Mittelgebirge zwischen Lahn und Main, zwischen Main und Neckar und die Höhenzüge auf der anderen Seite des Rheins immer wieder ihren besonderen Charakter haben. Jedes dieser Gebirge ist so beschaffen, daß man gern in ihm eine Zeit des Aufatmens verbringt.

Der Taunus in seinen mittleren und abgeflachten Partien ist weniger erschlossen als der Vordertaunus mit seinem kräftig zur Ebene abfallenden Saum. Wie gehört dieser Gebirgssaum zur Stadt! Manchmal ist es als schauten alle Fenster nach ihm aus. Er ist der Wetterprophet der Spaziergänger, die am Frühlingsabend durch die Alleen spazieren. Fern auf den Gipfeln des Feldbergs (28,9 km) und des Herzbergs ragen die Ausflugsziele, jene Türme, die in das Land bis zum Rhein hinein Sicht geben. Und vor dem Feldberg ragt, ein wenig niedriger nur, der schönste Berg im Taunus: der Altkönig. Dort erstaunen den Wanderer noch immer die Überreste einer dieser hohen Zufluchtsburgen, die von vergessenen Stämmen errichtet wurden. Vielleicht waren es Kelten, vielleicht germanische Ubier oder Katten aus der Wetterau. Von der Spitze des Frankfurter Domes gesehen, funkelt um das Haupt dieses Berges ein weißliches Band. Es sind die aus Quarzsteinen gebrochenen Mauern, gewaltige Volksarbeit wie die Pyramiden Ägyptens. Rohe, jetzt moosige Steinmauern von der Breite eines Fahrwegs, meist durch Balken gestützt, die engen Tore so gestellt, daß anstürmende Feinde gezwungen waren, den rechten Arm mit dem Schild über ihre Häupter zu erheben. Solcher Burgen gibt es im Taunus etwa siebzig. Nicht alle waren so geräumig wie diese. Sie wurden von römischen Generälen in langwierigen Feldzügen umgangen, ausgehungert, verwüstet und in den Bereich des großen Pfahlgrabens, des Limes, einbezogen. Dem suchenden Auge ist alles erkennbar: Toreingang und Bresche, geglühter Stein, Asche und Erdreich. Im Sattel des Gebirges aber steht, von weitem sichtbar wie vor zweitausend Jahren, das befestigte, von den Podien kleiner Siedlungshäuser umgebene Viereck der Saalburg (22,9 km) und vor ihrem Eingang die von Wilhelm II. errichtete Statue eines der römischen Soldatenkaiser.

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Aber auch der Odenwald, die Rhön und der Spessart erschließen sich immer mehr dem Besucher, der zum Wochenende nicht nur die Eisenbahn sondern auch das Auto benutzt, den Kraftomnibus oder das Rad. Junge Leute, die sich auf das Paddeln verstehen, werden auf dem Main und auf der Kinzig wie auf den Auen und Geländen des Mittelrheins viel Herrliches finden. Die ältere Generation aber bevorzugt für ihre freien Tage die weitbekannten, längst gefestigten, verwöhnenden und verwöhnten Kurorte. Wo immer man hier mit einem Hinweis kommen mag, ist es wie der Anschlag zu einer großen Symphonie.

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Jetzt, wo es auf den Sommer zugeht, bringt sich unter den Taunusbädern besonders Bad Nauheim in Erinnerung. Dieses ebenso schöne wie starke und auf Ruhe gestimmte »Bad der Herzen« hat einen Triumph gefeiert: sein hundertjähriges Bestehen.

Dieses taunusfränkische Haufendorf mit dem Kirchturm über den schmalen Gassen steht noch heute so gesund und bescheiden da wie damals. Nur ist aus den Feldern ein Park geworden, und das Gesicht des Ortes zum Park hin sind saubere, fast städtische Alleestraßen mit Landhäusern, Hotels und Gärten. Es gibt da eine Stelle, die man mit ihren Arkaden und ihren Schaufenstern der Wiesbadener Wilhelmstraße vergleichen kann. Das wichtigste aber sind die langgestreckten, niederen Badehäuser mit ihren Schmuckhöfen, von denen der nach allen Seiten zugängliche Sprudelhof der größte ist. Dort im Mittelpunkt des Ortes steigt wie eine unablässig wehende Schaumfahne das salzige, heilkräftige Wasser aus dem von neptunischen Gestalten getragenen Becken vor. Sein Gestein trägt mit Recht den Namenszug des letzten hessischen Großherzogs, des kunstsinnigen Schöpfers der Mathildenhöhe in Darmstadt, und als Wappen den Löwen mit dem geschulterten Schwert. Dieses Becken aus Muschelkalk hat schon seine Patina. Die Mineralkraft des Wassers färbt es in eine schöne, erdige Rostfarbe ein.

Das Wahrzeichen von Bad Nauheim – der Sprudel

Am Rand dieser von Wellenspritzern bewegten Wasserfläche stehen gern die Menschen, das Trinkglas in der Hand, wenn sie auf ihrem Spaziergang vorüberkommen, auf dem Wege zwischen der Behausung und dem Weiher des Parks mit den buntgefiederten Enten. Die Unterhaltungen bewegen sich im Idyllischen. Sie werden durch keinen Einbruch der Großstadt gestört. Auch das Auto ist hier nur der schweigsame, eilfertige Diener. Geduld, Zurückgezogenheit und Gartenfreude bestimmen den Geist des Ortes. Sie bestimmen auch den fast tempelartigen Charakter der Hallen und Wandelgänge.

Freilich war vor hundert Jahren schon das Dorf Nauheim (33,1 km) in seinem Aussehen anders als Dörfer. Windmühlen drehten ihre Flügel wie in Holland. Aber ihr Triebwerk war nicht zum Körnermahlen, sondern zum Wasserpumpen da. Im Boden rinnen warme Quellen. Dank der Fürsorge der hessen-hanauischen Landgrafen waren Salzwerke erbaut worden. Salzpfannen waren schon aus früheren Jahrhunderten vorhanden. Das Holz, das man zum Sieden brauchte, wurde von kräftigen Gäulen aus den Wäldern des Vogelsberges herbeigefahren. Die Salinisten jener Zeit erkannten auch die Bedeutung der Luft und der Sonne für die Salzgewinnung. Sie bauten Tröpfelwerke, in denen das Salzwasser über Strohwände und Schwarzdornhecken lief. Daraus entstanden die Gradierwerke, die mit ihren hölzernen Strebepfeilern und ihren Galerien wie Baustücke einer großen Gotik aussehen. Die Gradierwerke zogen sich wie eine mehrfache Stadtmauer quer über die Felder. Ihre Türme stehen noch jetzt. Das Flüßchen Usa lief durch die Felder wie heute. Gleichgerichtet mit ihm lief ein unterirdischer Kanal, der die Salzwasser aufnahm; seine Schächte standen neben dem Feldweg wie eine Reihe alter Brunnen. Sehr tief im Unterirdischen müssen aus alten Meereszeiten unter Sand und Kies die Salzschichten liegen. Die heißen, zur Höhe strebenden Quellen waschen sie zu Grotten aus und nehmen aufgelöstes Salz mit sonstigen Beimischungen an die Oberfläche. Wenn dann oben der Wind durch die Gradierwerke geht, so weht er einen frischen salzigen Hauch über das Land.

Die Ingenieurkunst ist den Quellen nähergekommen. Sie fängt in Eisenrohren den weißen, milchig-warmen Sprudel, sie leitet ihn durch dunkle Kellergänge und läßt ihn zu den Badehäusern raketengleich emporsteigen. Drei große Sprudel geben die Grundmelodie. Aus ihnen mischt die Kunst der Ärzte und der Bademeister alle die Abstufungen des Heilbades. Wie einfach, denkt der Badegast. Der Wärter dreht nur ein paar Hähne auf, das Wasser strömt kräftig in die dunkle Eichenwanne, die Oberfläche des Wassers erreicht fast den Rand, sie zittert von den kleinen Kohlensäureentladungen. Nun taucht der Körper in das sanft kühle Bad, die Haut überzieht sich mit einem Pelzchen, lauter Luftperlen, die zusammen ein Wohlgefühl der Wärme geben. Dieses regelmäßig und in Ruhe genommene Bad bildet die Grundlage der tiefen Erholung, die für manchen Besucher schon am ersten Tag beginnt. Und es bleibt dann Wochen hindurch im Einklang mit den anderen angenehmen Dingen des Ortes, mit den stillen Straßen und dem weiten, grünen Park, mit den Gärten und den musikalischen Unterhaltungen, mit den Ausflügen über Land und der leisen Wehmut des Abschiedes im Bahnhof.

Wo liegt das Geheimnis von Bad-Nauheim? Es liegt in seinen Badehäusern, deren Wasserkünste sich jedem Krankheitsgrad anpassen. Es liegt aber auch in seiner Landschaft, die sanft und spannungslos ist wie ein Strand. Man empfindet sie wie die Küste eines unsichtbaren Meeres.

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Das Frankfurt näher gelegene Bad Homburg (17 km) macht ebenfalls in der weiten Welt von sich reden. Es wäre gut, wenn die Frankfurter sich an regelmäßigere Besuche des alten Städtchens vor der Höhe gewöhnten. Wenn nur die Elektrische billiger wäre! Dort liegt das Kurhaus genau im Mittelpunkt des langgezogenen Ortes. Das hat seine symbolische Bedeutung. Auch hier ist die Jahrhundertfeier nicht mehr fern. Für den Ausflügler, der sich weniger zum Baden als zum Spazierengehen nach Homburg begibt, liegt der Reiz in den Schönheiten des Kurparks und des noch älteren Parkes um das Landgrafenschloß. Aber keiner unterläßt es wohl im Vorüberspazieren von den freundlich dargebotenen Wassern der schön gefaßten, in Abständen aufgereihten Quellen zu kosten. Der Homburger Park unterscheidet sich durch sein Alter, aber auch durch seine Ausdehnung und durch seine exotischen Beigaben von dem ländlicheren Park von Bad-Nauheim. Die Kurverwaltung hat für die Besucher aus der Nähe und Ferne einen sorgfältig gedruckten Führer durch den Kurpark herausgegeben. Auf der Titelseite ist die Büste seines Schöpfers abgebildet, des berühmten Peter Lenne, des Gartenmeisters von Sanssouci, der auch über den quellenreichen Boden von Bad Oeynhausen, fern von uns an der Porta Westfalica gelegen, den großen Rasenteppich ausgebreitet hat, der dort mit seinen Blumensäumen den Mittelpunkt des Kurparkes bildet.

Die Hauptquelle im Bad Homburger Park

Die Kurterrasse von Bad Homburg gibt einen Blick in die Tiefe des Parks. Dort am Springbrunnen beginnen die Wege zu den Brunnen, zu den Golfplätzen und zu den geliebten kleinen Denkmälern.

Am Rand der Wiese steht mit roten Säulen und goldenem Dach die Pagode, ein Geschenk des Königs von Siam. Dankgeschenke an die Genien des Ortes, die manchem Dichter sangen und manchen Großen dieser Erde sorgenlose Tage gaben, sind die englische Kirche, die russische Kapelle, auch die von Kaiser Wilhelm II. im schweren romanischen Stil erbaute Kirche, deren Glockenklang an Feiertagen wie ein eherner Baldachin über der Landschaft schwebt.

Unter den hohen Kastanienbäumen der Brunnenallee reihen sich die Ruhebänke. Und wer hinter dem Obelisk des letzten Landgrafen das Gebüsch auf freundlichen Pfaden durchschreitet, der kommt zum Strandbad, dessen Schwimmbecken mit grünlichem Mineralwasser gefüllt sind. In offener sommerlicher Landschaft entfaltet sich hier ein leuchtendes, wasserfunkelndes Bild.

Was dem Homburger Kurgast den kleinen Führer durch den Kurpark besonders wertvoll macht, das ist, daß er einen Abschnitt über die Vogelwelt dieser Anlagen enthält. Von April bis Mitte Juni veranstaltet diese Sängerschar, die von vielen Durchzüglern besucht wird, ihr tägliches Freikonzert. Und wenn man dann noch das Verzeichnis der Bäume und Sträucher, der Blütenstauden und der tropischen Pflanzen durchblättert, zählt man über zweihundert Sorten.

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Obgleich die Kurstadt Wiesbaden (36,8 km) eine Großstadt für sich ist und in ihrem Rang gewiß nicht angetastet werden soll, wird sie nichts dagegen haben, doch als Ausflugsziel und Erholungsort zur weiteren Umgebung von Frankfurt gerechnet zu werden. Wiesbaden, eben als Kurstadt, die es doch in erster Linie ist, hat seinen hohen Rang nicht nur wegen der Heilanzeigen, d. h. wegen der Besonderheit ihrer heißen Quellen, die gegen rheumatische und innere Leiden helfen. Manche seiner Einrichtungen gehen auf die Römer zurück. Um den einst offenen Kochbrunnen, der das Herzstück Wiesbadens ist, lagen die Gasthäuser und Badehäuser schon immer, – seit Römerzeiten bis ins Mittelalter und wieder seit dem Dreißigjährigen Krieg. Doch die moderne Weltstadt hat mit ihren oft prächtigen Einrichtungen einen gänzlich anderen Gesamtcharakter als Nauheim oder Homburg. Noch größer ist natürlich der Unterschied gegenüber den kleineren, gleichsam zurückgezogenen Badeorten der Nachbarschaft. Die in einem weiten Kessel der Taunushöhen gelegene, nach Westen und Norden erhaben umrandete, breit gelagerte Stadt mit den schieferfarbenen Dächern und den schmalen spitzen Türmen erfreut sich schon vom Bahnhof her einer verlockenden Auffahrt. Vor hundert Jahren errichtete diese Stadt der schlangentränkenden blühenden Hygieia, der Tochter des Aeskulap, vor dem Kochbrunnen, der Winters und Sommers seine Dampfwolken emporsendet, das anmutige Standbild. Die Größe des Bahnhofs von Wiesbaden ist der sichtbare Triumph dieser Stadt. Er ist Kopfbahnhof, er ist eigentlich nur in einem Winkel der großen kontinentalen Schnellzugsstrecken gelegen, aber alle Schnellzüge machen in ihm Halt, – er ist unumgänglich! Wiesbaden, die elegante Kurstadt, liegt in der Reihe der Großstädte des Rheinlandes wie der Sonntag in den Wochentagen. Die geräumige Auffahrt vor dem Bahnhof führt gleich zu den beiden großen Straßenzügen, zwischen denen die eigentliche Stadt sozusagen in der Schere liegt.

Das Staatstheater in Wiesbaden

Die eine dieser beiden, die Rheinstraße, ist parallel zum Rhein gelegen, wenn auch seitwärts vom Rhein und mit den Rheindampfern nur durch die Autos und Autobusse verbunden. Früher war es der grüne Omnibus, der behaglich den weiten Weg durch die schattige Adolphsallee zum Biebricher Ufer fuhr. Dann war es die Pferdebahn. Ihr folgte die fauchende Dampfbahn, endlich die Elektrische. Den Prospekt der Rheinstraße mit ihren Platanenreihen schließt die Ringkirche, die nun wieder der Ausgangspunkt der Straßenstrahlen in den Rheingau und in das Vorgelände des Taunus ist. Die andere Straße aber ist die Wilhelmstraße, eine der luftigsten und stattlichsten Promenaden, die man sich denken kann, an der einen Seite die lückenlose Reihe eleganter Hotels, Bankhäuser und Geschäftshäuser, auf der anderen Seite die Allee. Vor dieser Allee bietet jetzt der ehemalige Reitweg die beste Gelegenheit zum Ruhenlassen der Autos. So ist hier einer der unauffälligsten und originellsten Parkplätze entstanden. Ein Vergnügen, hier auszusteigen und im warmen Frühlingswetter an einem der aufs Trottoir gestellten Tischchen zu sitzen, mitten in einem wohlerzogenen, ausruhenden Publikum ein Eis zu essen. Hier an der Wilhelmstraße erreicht die in ihren älteren Gassen noch ziemlich verwinkelte Stadt am »Warmen Damm«, dessen Teich im Winter nur ausnahmsweise zufriert, den Saum des Kurgartens. Die Stadt bietet aber Großstädtisches nicht nur an ihren Randstraßen, zu denen auch die Taunusstraße gehört: prächtige Hotels mit eigenen Bädern, belebte Gaststuben. Sie bietet denen, deren Wünsche auf das Einfache gehen, angenehme kleinere Gasthöfe, bescheidene saubere Badehäuser und gemütliche Ecken, in denen Wein, Weck und Wurst, die rheinischen »W« in ausgezeichneter Güte zu haben sind.

Wie einst das schlichte, im klassizistischen Stil erbaute alte Kurhaus, so wendet auch das an seiner Stelle in größerer Form errichtete neue Kurhaus seine Säulenvorhalle dem von Platanenreihen eingefaßten weiten Vorhof zu, dem sogenannten Bowlinggreen. Der Staketenzaun um diesen herrlichen Freiluft-Saal ist verschwunden. Dieser große Teppichgarten mit seinen leuchtenden Beeten hat jetzt keine seitlichen Eingänge mehr. Mancher alte Kurgast wird dort seine geliebte sonnige Ruhebank vermissen. Aber von den Kaskaden rauscht noch immer das Wasser in breiten silbernen Schleiern, und die Kolonnaden an den Seiten geben noch immer dem Garten die großzügige Einfassung. Dem schattenreichen Kurgarten wendet das Kurhaus seine Rückseite zu, die eigentlich gar keine Rückseite, sondern eine Terrasse ist. Einer der prunkenden Säle des Hauses enthält die berühmten grauen Marmorsäulen und die glitzernden Kronleuchter des einstigen Spielsaals, der in alten Reisebeschreibungen und Kupferstichen eine Rolle spielt.

Wiesbaden ist das typische Übergangsbad. Anders als die meisten Bäder, deren Saison nicht vor Mitte Mai beginnt, zieht Wiesbaden schon beim ersten leisen Beginn des Frühjahrs die Besucher an. Diese Stadt hat einen langen, blumenbunten Frühling. Und was anderswo der Herbst genannt wird, wandelt sich hier in einen langen, feurigen Nachsommer. Da in dieser Kurstadt die Gäste nicht nach Hunderten, sondern nach Zehntausenden zählen und ihre gesunde, lebensfrohe Begleitung mitzubringen pflegen, so begnügen sich nicht alle Besucher mit den stillen Spaziergängen an dem von Büschen umsäumten Bach, der eifrig plaudernd von Sonnenberg herkommt und den Kurgarten in seiner ganzen Länge durchwandert. Was in Baden-Baden die Oos, das ist in Wiesbaden der Rambach, an dessen Ufer auch hier die Gärten gepflegter Landhäuser stoßen. Aber in den letzten Jahren ist das Nerotal mit dem bequemen Aufstieg zum Neroberg ein Park geworden, ein erweiterter Kurgarten. Und das Opelbad oben auf dem Berge, nur wenige Schritte unter dem Aussichtstempel gelegen, der den Fernblick bis weit zum Melibokus und bis zum Donnersberg erlaubt, ist eines der schönsten Freiluftbäder der Welt.

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Wiesbaden ist ein Inbegriff, es ist mehr als eine Stadt. Zu ihm gehört seine nach allen Seiten an Reizen unerschöpfliche Umgebung. Und diese ist nicht nur Taunusbergland, sie ist auch Hügelland und Eingang in den Rheingau. Es gehören dazu die sanften, waldigen Quertäler, die den Rheingau mit dem inneren Taunus verbinden. Was die Zugänge zum Rhein betrifft, so kann man von der Ringkirche aus den Weg über Schierstein nehmen, oder den schöneren am Chausseehaus vorbei. Zwischen den Gutshöfen des Tales liegen die Mauern des alten Clarissinnen-Klosters Clarenthal aus der Zeit des Kaisers Adolf von Nassau, am Chausseehaus aber leuchten die grünen, langen Golfplätze. Dann geht es quer über die Schwalbacher Eisenbahn durch den von Sonnenflecken überstreuten Buchenwald bis Georgenborn, an der langen Parkmauer vorbei, hinter deren Portalen das verlassene Millionärschloß Buchenhof sich verbirgt. Man schaut durch die Schneisen des Waldes in die weite Senke des Rheingaues hinab. Da liegt Frauenstein und Rauenthal, wo der Weinbau beginnt. Der milchweiße, perlmutterglänzende Fluß in der Ferne scheint das Land in der Mitte zu teilen. Auch drüben ist noch Rheingau, dem Namen nach ist er freilich schon ein Teil der Pfalz. Die Fahrt geht nun in kurzen Kurven nach Schlangenbad hinunter.

Ganz in den Wäldern liegt Schlangenbad

Schlangenbad (46,2 km) liegt sozusagen auf der Zungenspitze eines schmalen Bergeinschnittes mitten in den Wäldern. Aber es hat Sonne genug. Seine kleinen Villen, seine mit Altanen geschmückten Häuser, seine wohlgeordneten Hotels verheißen angenehme Tage. Der an einer einzigen Straße schlangenmäßig gewundene Ort steht selbst noch auf einem Boden, der wie in ältesten Zeiten von kleinen, bronzefarbenen, ungefährlichen Schlangen bewohnt wird. Der Höhepunkt ist ein helles Kurhaus mit bunten, üppigen Gartenanlagen. Schlangenbad ist wie ein einziges großes Kanapee für Ruhebedürftige und Nervöse. Es ist ein Wildbad, eine sogenannte einfache Therme, der im ganzen Rheinland nur noch das Wildbad bei Trarbach an der Mosel ähnlich ist. Seine neun Brunnen sind beliebt wegen ihrer milden Wirkung. Sie liefern täglich eine Million Liter des ein wenig fade schmeckenden Quellenwassers, das sich lauwarm anfühlt, nur ein wenig kühler als das Blut. Das schönste hier in den Wäldern ist das Schwimmbad. Es liegt ganz im Freien und sein Wasser ist mild und azurblau wie der Himmel.


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