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Um das Deutsche Eck.

Von der strahlenden Breite des Mainzer Rheinstromes her gesehen, ist der Taunus die in der Ferne düster ansteigende Bergwelt. Wiesbaden dagegen liegt in den Taunus eingebettet wie in einen weiten Becher, und die bürstenartigen Kämme des Bergzuges mit dem weißen Würfel des Jagdschlosses Platte, vor dessen Freitreppe die ehernen Hirsche liegen, sind die Wetterhöhen, über die der Westwind seine grauen Wolken treibt.

Wir waren in Bad Schwalbach angekommen. Aber setzen wir einmal unsere Fahrt am rechten Rheinufer fort. Auch das alte Caub (85,3 km) liegt auf schmalem Uferstreifen an der Schlangenlinie des Stromes. An dem grauglänzenden Taunusabhang ist das Schieferbergwerk noch in Betrieb, der Schiefer steht hier reichlicher an als an irgendeiner Stelle des Rheintales, obgleich er sich auch an anderen Stellen des Taunus findet und im Hunsrück den verwitterten Bestand ganzer Bergrücken ausmacht.

Bei Kaub füllt mitten im Rhein die Pfalz, die dem versteinerten Schiffe eines frühmittelalterlichen Odysseus gleicht, den Grundriß eines von der Flut des Stromes abgeschliffenen Schieferfelsens. Diese Inselburg war einmal eine Zollstelle, früher die Zuflucht einer fürstlichen Wöchnerin, die ihr Kind so in der Mitte des Rheines zur Welt brachte. Heut kommt es seltener vor, daß hier Schiffe anhalten, um Menschen an Land zu setzen. Doch unter den Bäumen des von schmalen Galerien umgebenen Burghofes haben rheinische Dichter und Maler manches bunte Fest gefeiert. Der Gilde der Fahrleute ist dieser Fels mitten im Rhein immer ein Stützpunkt gewesen. Der Feldmarschall Blücher, der alte Pommer, war sicherlich gut beraten, als er in der Neujahrsnacht auf das Jahr 1814 hier den Übergang seiner Truppen bewerkstelligen ließ. Kähne genug werden zusammengezogen worden sein. Auf der anderen Seite drüben war dann freilich ein sehr steiler Aufstieg. Dort begann der Marsch zur Mosel und zur Saar hinüber.

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Wir fahren auf der neuen Straße des rechten Rheinufers um die abgesägte Nase des Loreleifelsens herum. Das Tal wird breiter, es bekommt zwischen den Dörfern Camp und Osterspai (107,1 km) einen halbinselförmigen Vorsprung. Hinter Camp hält eine Fähre, die breit genug ist, nicht nur den Winzern und Bauern von ihren Feldern, Obsthainen und Weinbergen her die regelmäßige Überfahrt nach Boppard möglich zu machen. Jetzt ist man in wenigen Minuten am Ufer der langgedehnten, ehemals freien Rhein- und Reichsstadt Boppard (109,2 km) drüben, deren alte grobe Stadtmauern noch an vielen Stellen sichtbar sind. Eine schattige Allee setzt sich mit ihren Eichenpfosten und Ruhebänken bis in die jüngeren Anlagen fort. Aus den offenen Fenstern eines Schulgebäudes kommt Tellerklappern und fröhlicher Lärm der Knaben. Über die belebten Landungsbrücken hinweg sieht man die Biegung des Rheines, aus dem Winkel schauen die schiefergrauen Dächer und Türme des Wallfahrtsklosters Bornhofen (94,4 km) in das Bild.

Boppard an den »vier Seen«

Die Bopparder Gegend ist durch den kräftigen Haken, die langsamere Strömung und den seenartigen Anblick des Rheines ausgezeichnet. Diese Wasserlandschaft hat etwas Abgeschlossenes. Von der Höhe gesehen, ist diese Landschaft der Vierseenblick. Die Ellipsen des Stromes freilich sind immerfort von Schiffen durchzogen, und abends dient die Wasserfläche vor Boppard als Ankerplatz für Flotten von Kähnen und Schleppern. Der Fluß hat eine graue, meist ins Olivgrüne spielende Färbung, die sich von der Färbung der Landschaft eigentlich nur durch den Wasserglanz unterscheidet.

Der Abhang des gegenüberliegenden Ufers mit seinen schräg gesetzten Feld- und Weinbergflächen und den Obstbaumreihen, die oft bis nahe an den Fluß hinuntersteigen, hebt sich in kräftiger Zeichnung von dem Blau und den weißen zerzausten Wolken des Frühsommertages ab. Die Böschung drüben ist ein rostfarbiges Band von Blätterpflanzen. Fischerboote liegen davor, die teerfarbenen Netze zum Trocknen aufgehängt. Für die Fischer, die von Holland her den ganzen Strom abfahren, sind die Arbeitsstunden erst in der Nacht oder ganz in der Frühe, ehe die Dampfer mit ihren schweren Schleppwellen kommen.

Die Dörfer und Uferstädte am Rhein haben wenig räumlichen Hintergrund, umso tiefer sind oft ihre geschichtlichen Hintergründe. Fast jede Ortschaft hat ihre einzige lange Hauptstraße. Und dort kann man zwischen den bescheiden erneuerten, zu Geschäftshäusern und Wirtschaften umgebauten Häusern immer wieder ein altes, stattliches Haus entdecken, das sein mit Ölfarbe gemaltes Fachwerk und seine geschnitzten Hauszeichen durch die Jahrhunderte bis auf den heutigen Tag bewahrt hat. Immer geht man vom Rheinufer durch alte Torbogen die schmalen Gassen hinauf, fast nirgends fehlt die Pfarrkirche aus der Zeit des strengen romanischen Baustiles oder die mehr auf Glanz und Heiterkeit gestimmte gotische Kirche. So ist es in Bacharach und Oberwesel, so ist es auch in Boppard. Hoch und düster steht die Severuskirche da, freundlicher die kleinere Karmelitenkirche, die reich an schönen Grabsteinen und Wappenschildern ist. Wer außer den Altertümern auch Weinwirtschaften schätzt, wird am ganzen Rhein entlang je nach der Größe des Städtchens seine Auswahl treffen können. Höhere Kategorie: die Rheinterrasse mit den schwarzgekleideten Kellnern. Dann das solide kleinbürgerliche Gasthaus. Aber auch die Trinkstube hinter dem Bäckerlädchen ist nicht zu verachten. In Boppard probiere man zuversichtlich den »Bopparder Hamm«.

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Nachts werden die Straßen am Rhein von den schweren Güterautos durchfahren. Die Schnellzüge brausen mit der Kraft von Granateinschlägen über den Häuserreihen hin. An Sommertagen kommen den Rhein herauf und herab die vollbesetzten funkelnden Autobusse aus Frankfurt und Wiesbaden, aus dem Industriegebiet, aus Holland. Hinter Boppard steht der Hunsrück mit einem Labyrinth von bewaldeten Bergkuppen und tiefeingeschnittenen Tälern in einem besonderen Winkel zum Rhein. Aus dem Bahnhof führt eine Seitenbahn ohne Umstände ins Gebirge. Sieben Tunnel sind zu durchfahren, fünf Brücken überspannen die Taleinschnitte, manche mit schwindelnd hohen, kühnen Bogen. Die Züge bringen den Reisenden in zwei Stunden nach dem einst pfälzischen, gleichsam in der Mitte des Berglandes gelegenen, vom Soonwald fast berührten Städtchen Simmern (98,2 km), sie geben ihm dort den Anschluß an die Bahnlinien, die in das Nahetal und zur Mosel hinabsteigen. Wer von Boppard zwischen den mit Blumen bewachsenen Felswänden aufwärts fährt, ist bald aus dem Bereich der Kirschbäume und der hier besonders steilen Weinberge, über den Talzungen mit ihren Teichen und Pfaden, bald auch über den Wäldern, die dann in eine von Schluchten zerschnittene Hochfläche übergehen.

Wenn man erst die Station Buchholz erreicht hat, so hat man als Ziel schon die Mosel vor sich. Vor der Wandertafel stehend, kann man da drei Wege wählen, den längeren, schattigsten durch die Ehrbachklamm, den anderen an den Dörfern Buchholz und Hirschwiesen vorbei über die Höhen, und den dritten, der vor Hirschwiesen hinabsteigt in ein steiniges, von oben unsichtbares Tal, das fast noch als ein Stück Urwald seinem Bach zur Mosel folgt. Das Dorf Udenhausen bleibt in der Ferne liegen. Der Pfad führt am Donnerloch und an der Grünen Mühle vorbei. Diese drei Wege bilden gleichsam die Sehne des Dreiecks, in das zwischen Rhein und Mosel der vordere Hunsrück ausläuft.

Wie ein Zypressenhain liegt der von Tannen ernst umschlossene Friedhof von Hirschwiesen auf der Höhe, die Kirche des Dorfes ragt wie eine helle Arche aus der Hügelwelle. Linker Hand aber glänzt die ganz in schwarzen Schiefer gekleidete Wallfahrtskapelle des Fleckens Windhausen über die Wiesen. Die Bauern haben die Kapelle mit alten, aus Schloßbesitz stammenden Bildern und dem zeitlich neugeschmückten Standbild der berühmten schwarzen Muttergottes wieder herrichten lassen. Nun sieht man öfter wieder an den Sonntagen die kleinen Scharen von Wallfahrern auf der Landstraße und den Wiesenpfaden. Man kann von dem Dörfchen in einer halben Stunde in die Ehrbachklamm hinabsteigen. Seit alter Zeit wird dieser tief in die Wälder geschnittene Felsweg, an dem in weiten Abständen die Mühlen liegen, von der Burg Schöneck und von der Rauscheburg bewacht. Die Ehrenburg (139,1 km über Koblenz) sperrt den Zugang zum Moseltal. Kühn und weitläufig ist sie auf den Fels gebaut. Man könnte in ihrem tausendjährigen Turm fast bis zum Dach hinaufreiten, ähnlich wie in einem der Türme des Heidelberger Schlosses.

Aber der Autofahrer hat von Boppard her die Wahl, das alte Nest Brodenbach auch auf einem anderen, zwar weiteren, doch noch großartigeren Wege zu erreichen. Er fährt aufwärts bis zur Fleckertshöhe und biegt bei Halsenbach ins Land. Oben dreht sich die Landschaft weit und ungeheuer. Sie ist wie das Dach der Hochfläche. Man blickt von ihrem First bis zu den fernen, taubengrauen Kuppen der Eifel hinüber. Auf weitgeschwungener Straße wird er die sauberen Dörfer Liesenfeld, Gondershausen, Beulich und Morshausen berühren, um endlich auf vielen Kehren zur Mosel hinabzusteigen. Er schaut abwärts in die Wälder und gewahrt ihre Zerklüftung. Selten leuchtet da unten aus dem grünen Meer ein weißer Giebel.

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Es wäre schön, in dem behaglichen Brodenbach eine Rast auf der Gasthausterrasse zu machen, dann mit der Fähre nach Löf überzusetzen und in das Moseltal nach Cochem, Beilstein und Trier einzuschwenken. Wer weiß, ob wir das nicht eines Tages bis ins Luxemburgische nachholen. Aber den Autofahrer interessiert es heute mehr, daß es von Brodenbach nur ein paar Flußbiegungen moselabwärts bis zum Deutschen Eck und nach Koblenz ist.

Wie der Steven eines Panzerschiffs streckt sich das Deutsche Eck

Das Rheintal der Koblenzer Gegend mit den breiten Spaltungen des Stromes, mit den Inseln vor Mallendar und Vallendar, mit der vom Westerwald ins Tal hinuntersteigenden und den Fluß überschreitenden Starkstromleitung, die an einen Gänsemarsch von überlebensgroßen Schellenbäumen erinnert, ist das seeähnliche Becken, in dem die zwei Nebenflüsse Mosel und Lahn nacheinander den Hauptstrom verstärken.

Wir wollen in das Lahntal. Aber wir benutzen den Aufenthalt in der schönen Stadt Koblenz (115,4 km), dieses langgestreckte Rheinufer kennenzulernen, das mit dem steilen Giebel des Deutschordenshauses beginnt. Schwarze Rheinkähne liegen zu Füßen des ehernen Reiterdenkmals, dessen Postament wie der Steven eines versteinerten Panzerschiffes in das Wasser beider Ströme hinausragt. Dann beginnt die Allee. Sie führt an den Landungsbrücken entlang, in einigem Abstand begleitet sie die lückenlose Reihe der schmalen Häuser, die am Gasthof zum Riesen, dem Geburtshaus von Joseph Görres, endet. Es wird sich empfehlen, dem in dieser Häuserreihe gelegenen Rheinmuseum einen Besuch zu machen. Es ist nur ein kleines zweistöckiges Haus, aber das erste Museum eines Flusses in Europa.

Ein Spaziergang in den mit Denkmälern geschmückten Anlagen vor dem mit Museumssälen ausgestatteten ehemals kurfürstlich-trierischen Schloß mag den Aufenthalt beschließen. Für ein Bad im Rhein ist besonders die Schiffsbrücke zu empfehlen. Gerade die Schiffsbrücke mit ihrem regen Wagen- und Fußgängerverkehr, mit ihren zusammengekoppelten Eisenkähnen, mit dem Ausfahren des am linken Stromufer gelegenen Teils und dem Hindurchrauschen der Dampfer und der Schleppzüge. Diese Koblenzer Brücke macht immer einen besonders lebendigen, garnicht altertümlichen Eindruck, und doch ist sie wohl die letzte dieser Art auf dem Rhein. Wer in seiner Jugend noch die Schiffsbrücken bei Kehl, Mannheim, Mainz und Köln erlebt hat, der wird nun als Autofahrer über die Vergänglichkeit vielhundertjähriger Einrichtungen im Zeitalter der Technik keine überflüssigen Bemerkungen mehr machen. Aber er wird mit Vergnügen von einer Einrichtung der Koblenzer Schiffsbrücke Gebrauch machen, die es, von Basel abwärts am ganzen Rhein nicht mehr gibt, nämlich den Badezellen mitten in der stärksten Strömung. Auf der Ehrenbreitsteiner Seite der Schiffsbrücke befindet sich die kleine Badeanstalt mit den von kräftigen Holzgittern eingefaßten Kammern. Steige dort auf der glatten, dunkel beschatteten Fußtreppe in das gelbfunkelnde, kühle Wasser hinab und lege dich waagrecht in die Strömung, du wirst die volle Kraft des Stromes spüren und diese Begegnung mit dem Rhein in einer besonders tiefen, erfrischenden Erinnerung behalten.

Um nun in das Lahntal zu kommen, gibt es zwei gleichwertige Möglichkeiten. Die eine ist die, am Ehrenbreitstein und an dem Kloster Arenberg (106,3 km) vorbei über die Höhe zu fahren, schön ist von oben eine Rückschau in das breite farbige Tal. Aus ihm steigt die Festung Ehrenbreitstein in ihrer breit zugeschnittenen Form als ein gepanzerter Klotz empor, die Wälder treten zusammen und öffnen sich wieder zu neuer Fernsicht. Ein ländliches Herrenhaus steht da bei alten Grenzsteinen. Schon beginnt der Bereich von Ems. Das Herrenhaus ist zum Klubhaus für den Golfplatz des Badeortes geworden. Es ist einer der größten Golfplätze in Deutschland, sechs Kilometer lang, von Kennern angelegt in waldgesäumten Bergwiesen.

In der Tiefe des weit vorgewölbten Abhanges hier oben verrät sich schon das Lahntal. Auf der anderen Seite drüben sind die kühlen Buchenwälder, die würzigen Dickichte, die zum Bereich des alten, weitbekannten Oberlahnsteiner Forsthauses gehören. Davor liegt in ihrem stillen parkartigen Hain, zwischen Zypressen, babylonischen Weiden und Lebensbäumen, die Grabkapelle der Freiherren vom und zum Stein. Hier auf dem alten Besitztum seiner Familie, die 700 Jahre lang im Lahntal ansässig war, liegt der große Staatsmann Freiherr Karl vom Stein begraben. Dieser Ruheort bei dem Dörfchen Frücht da drüben verdient ein Heiligtum der Deutschen genannt zu werden. Noch immer heißt ein großer Teil des Waldes, der zwischen Rhein und Lahn die Burgen Lahneck und Marksburg umflutet und sich auf den Höhen über dem Flusse stundenlang mit seinen Pfaden hinzieht, der Steinische Wald. Man kann auch ihn jetzt im Auto durchfahren, um Ems zu erreichen. Wer die stark gewundene Landstraße von Braubach oder Oberlahnstein heraufkommt, wird besonders schöne Forsten kennenlernen. Die Waldwiesen sind gesäumt vom wilden Apfelbaum und Wildkirschen, von Schlehen, Heckenrosen und Weißdorn. Unter den Buchen webt das Immergrün seine glänzenden Teppiche. Walddörfer liegen da oben versteckt, die in früheren Jahren vom Blei- und Silberbergbau lebten. Hinter Braubach sind die hohen steinigen Halden, Schornsteine ragen, wo man sonst gewohnt ist, Weinberge zu sehen. Einer der seltsamsten Eindrücke ist das tief eingeschnittene, zur Lahn hinabziehende Tal von Friedrichssegen. Dieses ganz von Gruben durchzogene, mit Dörfern besetzte Tal hatte einst glückliche Tage. Die Gruben sind stillgelegt, ihre schon fast unzugänglichen Eingänge sind von farblosen Pilzen und Nachtpflanzen bewachsen. Die Dörfer zerfallen, die noch nicht alte Kirche ist eine Ruine in üppigem Holundergestrüpp. Die Wege liegen unter Gras und Moos, die Gärten sind von Unkraut überwuchert. Alles ist im Zerfall, die Leute sind fortgezogen, viele in die Städte, andere nach Südamerika. Vielleicht wird hier neues Leben erstehen, sobald der Silberbergbau in Deutschland sich wieder lohnt.

Die wiederhergestellte Marksburg über Braubach

Um das Oberlahnsteiner Forsthaus wölben sich mächtige Kastanienbäume. Knorrige Eichen stehen im Wald. Wer von Koblenz kam und sich die Zeit nahm, über die Lahnbrücke zu fahren und in Oberlahnstein (115,4 km) einen Halt einzulegen, der wird eine Stadt gefunden haben, die in ihrem Alltagsleben nicht weniger lebendig ist als alle rheinischen Städte. Aber noch heute ist diese Stadt umhaucht von einem Märchenatem, der sich in diesen steinigen und schattigen Straßen gleichsam immer aufs neue bildet. Einst konnte man sich hier das beste Sauerwasser frei in der »Viehpütz« holen. Und die hier aufgewachsenen, jetzt altgewordenen Leute erzählen: man konnte sich auch das Geld auf der Straße holen, nämlich, solange es so viele Hufeisen auf der Straße zu finden gab wie damals, als der Fuhrverkehr noch groß war. Hier bekommen im Herbst, am Martinstage, die Rüben glühende Augen und drei Beine und wandern den Berg hinauf und hinab. Noch immer fährt dort beim Schützenfest der König durch die Stadt, und in der Fastnachtszeit mag sich jeder wählen, was er sein will, Schellengeck oder Kaiser oder Schornsteinfeger. Am Pfingstfest sieht man über den Straßen die Girlande mit der Krone aus Hunderten von Eierschalen. Diese Stadt hat noch ihre sieben mittelaltertümlichen Stadttürme und große Teile ihrer dicken, altersgrauen Stadtmauern. Die ehemals kurmainzische Zollburg von St. Martin und das gotische Rathaus stehen unversehrt. Die Rheinlandschaft hier mit ihren Brücken gehört zu den schönsten. Auf dem flachen, grünen Rheinufer steht mit ihren hohlen Türmen die alte Johanniskirche, einsam wie seit Jahrhunderten, und am anderen Ufer drüben liegt der Ausflugsort Kapellen mit der zierlichen weißen Neugotik der Burg Stolzenfels. Die Nähe der Wälder macht noch heute die Kinder von Oberlahnstein zu fröhlichen Waldläufern hoch über dem von Eisenbahnschienen gepanzerten Talgrund.

Burg Rheinstein


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