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Eine Woche war herangekommen, regenträchtig und nebelbeladen.
Trübsinn und mürrisches Gehaben deckten gleich einer frostigen Moderschicht alles fröhliche Erregsame in den Räumen der Anstalt. Selbst die kleine, walzendicke, kugelrunde Pflegeschwester Augustina, die immer wie eine lustige Eule durchs Haus hin und her huschte und in anscheinend ewiger Bewegung war, lachte nur noch zwischen längeren Pausen und schnitt alle Augenblicke ein trostloses Bubengesicht. Dagegen war Schwester Medarda – von uns wegen ihrer hervorragenden inneren und äußeren Eigenschaften »Meerkatze« genannt – desto mehr in dem, ihr am besten zusagenden Element. Wo sie nur einen Kranken erspähen konnte, war sie wie der Wind hinter ihm her und malträtierte ihn mit ihren frommen Traktätchen, machte ihn mit ihrer ausdruckslosen, klappernden Stimme auf die entsetzlichen Gefahren der Welt und auf die Schönheit und auf den Kaffeetischfrieden eines Lebens in Gott aufmerksam. Letzteres bestand hauptsächlich in fleißigem Zur-Beichte-Gehen, Messehören und Lesen der Bonifaziusblättchen, deren unermüdliche Verteilerin und Anpreiserin sie war.
Vor dem Hause die dichte Regenwand, im Hause die Schwester Medarda, die uns kreuzspinnenartig auflauerte. Das gab eine Stimmung grau in grau.
Unter den vielen schwermütigen Brüdern gab es aber doch einen, der der festen Meinung war, daß auch an diesem Tage die Welt nur ein Zehnhellerstück koste.
Die Hände in den Hosentaschen, einen Walzer nach dem anderen pfeifend, ging er den langen, grauen Tag treppauf, treppab, schlüpfte in die verborgensten Winkel, stöberte dort die versteckten, griesgrämigen Gesellen wie die Sonne die Fledermäuse auf, schlug die Türen zu, daß die nervösen Patienten jämmerlich aufzuckten, tanzte durch die Säle, die für den Aufenthalt tagsüber bestimmt, stahl den schachspielenden Pfleglingen unbemerkt Figuren, riß entsetzliche Dissonanzen auf der Klaviatur des tausendjährigen Klimperkastens, und wenn man ihn scheltend und fluchend verfolgte, langte er lachend den Hut vom Nagel und juchezte mitten in den Regen und Nebel hinaus, als ob ihm Asthma und Husten etwas Unbekanntes wären. Und dieser tolle Bruder war ich.
War das ein herrliches Labsal für Seele und Körper, aus der drückenden Dumpfheit des Hauses ins Freie zu dürfen, hinein in den kräftigen Regen, der nach Sonne und zugleich nach Erde roch.
Kam da, beschützt von einem riesigen leinwandenen Regendach, die strotzige Gestalt der Schwester »Meerkatz« den schmalen Wiesenpfad heraufgeschnauft. Stehen da, wo dieser Pfad das zweite Rondeau schneidet, zwei prachtvolle Wacholderbäume wie dunkelernste Wächter.
An einem dieser hohen Urwaldenkel lehnte ein Pflegling der Anstalt und träumte anderen Verträumten nach, so dem Angelus Silesius, Franz von Assisi, Peter Hille und wie sie alle heißen mögen von diesem sonderbaren Heiligengesindel, das seinen Himmel schon durchaus auf der Erde haben wollte.
Hut, Wettermantel, ja selbst der Rock des Regenfreundes und Träumers waren schon durchnäßt, aber der verrückte Kerl unter dem Wacholder duselte noch immer fort. Doch als er gerade mit zärtlicher Stimme eine Strophe des schönsten Liebesliedes, das ein Dichter, Peter Hille, der deutschen Landschaft geschenkt hatte, vor sich hin deklamierte …
Soviel Maßlieb als da prangen,
Soviel Dornen als gestellt,
Muntere Vöglein, die da sangen,
Grüne Jäger auf dem Feld;
Wie dem Bächlein Wellen rinnen,
Soviel mal hab' ich mein Sinnen,
Liebste mein, auf dich gestellt.
Alle Perlen, die da prangen
Zart auf Seide …
Aber da bekam er plötzlich einen Klaps auf die rechte Achsel, ein fremder Arm schob sich unter den seinen und schwups stand er, im dämmerigen Schutz eines mächtigen Regenschirmes, neben der lieben Schwester Medarda, die ihn mit ihren wässerigen Kuhaugen freundlich anglotzte.
Die ernsten Wacholderbäume hörten nun folgendes Gespräch:
Der verträumte, verrückte Kerl: »Ja … Sie, Schwester … Sie …« Schwester Meerkatz: »Ja ja, ich! Und jetzt schaun S', daß mit mir zu Hause kommen, Sie sind ja pudelnaß. Na in der Kapelle werden S' schon trocken. Gehn S' nur gleich hinein. Grad wird der heilige Segen zu Ehren der gottseligen Rosamunda, deren Namenstag heute ist, angefangen haben. Er dauert eine Stunde. Wenn S' dann 'rauskommen, kriegen S' von mir einen feinen Extrakaffee!«
Der verträumte, verrückte Kerl (schon ganz ermuntert): »In die Kapelle, ich? Aber nein – oder ja, liebe Schwester, ich geh hinein, wenn …«
Schwester Meerkatz (liebevoll): »Wenn?«
Der verträumte, verrückte Kerl: »Wenn in der Kapelle ein Buffet steht, an dem man zu Ehren der gottseligen Rosamunda einen heißen Thee bekommt!«
Schwester Meerkatz (stößt empört den Arm des Patienten zurück): »Ketzer!«
Zwei Minuten später war von dem riesigen Regendach und der Nonnenkutte nichts mehr zu sehen.
Der verträumte, verrückte Kerl stand wieder im strömenden Regen und lachte, lachte sich halb tot.
Und dieser verrückte Mensch und lachende Ketzer war ich.