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4.

An dem Abend, der diesem verschimpften Wetter vorangegangen war, hatte ich mit Elisabeth die ersten Worte gewechselt. Wir waren uns nach dem Nachtmahl beim Spaziergang auf der Terrasse begegnet. Eine Patientin, die wir beide kannten, hatte uns einander bekannt gemacht und wir waren dann in ruhigem Alltagsgeplauder eine halbe Stunde lang auf der Terrasse auf und ab geschritten.

Elisabeths Stimme war ganz eigen. Sie paßte zu diesen großen vorstehenden Augen, die, wenn sie auf irgend etwas fester ruhten, den dunkelblauen Glanz der Waldglockenblume bekamen. Die Worte des Mädchens klangen, wie hinter einem Vorhang gesprochen, ein klein wenig bedeckt und nie laut und erregt, und doch war es mir, als lege es in manchen seiner Sätze die heimliche Glut seiner jungen Seele hinein, die aus seinen Augen leuchtete. Dann bekamen die Worte Hoheit und Größe und machten die Sprache klingend und schön.

Den schlanken, miederlos elastischen Körper trug Elisabeth etwas vorgebeugt; etwas Suchendes lag in dieser Haltung. Das Haar, reich und dunkelblond, in schlichter Scheitelfrisur getragen, verlieh dem Kopfe einen demütig-lieben Ausdruck, so wie ihn Schwind seinen Märchenprinzessinnen gab. Das Gesicht selbst umrahmt vom schweren Haargesträhl, hatte energische Züge, geglättet durch den Hauch der Jugend, dem unvergeßlich, der darin zu lesen verstand.

Die Hände, geprägt mit dem Stempel eines schönen Charakters, habe ich später Gedichte genannt.

Das Fräulein, das uns einander bekannt machte und neben uns beiden einherging, war ein lustiges Wiener Mädel, dessen frisches, helles Herz es nicht zuließ, daß sich seine Inhaberin über ihr junges Siechtum kränkte.

Dieses Mädchen trug viel laute Naturfröhlichkeit in sich und gab davon ohne Neid und Ziererei. Es erzählte uns harmlose, humorvolle Geschichtchen aus dem fernen Wien und aus den nächst der Heilanstalt liegenden Dörfern und verfolgte nebstbei mit dem gutmütigen Spott des Wiener Kindes die an uns vorbei promenierenden Patienten, die uns voll Neugier betrachteten, waren wir doch eine neue Gruppe auf dem abendlichen Korso der Insassen der Heilanstalt, deren Kreis zu eng gezogen war, um einer Beachtung zu entgehen.

Ich hörte den lustigen Erzählungen neben mir nur mit halbem Ohr zu; daß außer uns dreien noch andere Leute auf der Terrasse waren, sah ich überhaupt nicht. Alle meine glücklichen Sinne waren bei dem süßen Mädchen, das an meiner rechten Seite dahinwandelte.

Selbst als unser leichtes Gespräch einen ernsteren Ton gewann, indem eines nach dem andern von uns dreien von seiner Krankheit zu erzählen begann und dabei oft Worte fallen ließ, die wie blitzende Streiflichter in das vergangene Leben des Erzählenden fielen und den Inhalt seiner Persönlichkeit den Zuhörenden sekundenlang zur Schau stellten, horchte ich nicht aufmerksamer zu, als Elisabeth in ihr Dasein leuchtete, oder vielmehr, ich horchte nicht auf den Sinn ihrer Worte, sondern nahm nur ihren sanften, melodischen Klang als ein Liebes in mir auf. War es mir doch ganz gleichgültig, wer Elisabeth war, woher sie den Weg genommen und wohin dieser führte. Gut und schön war es, daß ich an ihrer Seite gehen durfte; nach allem anderen fragte ich nicht.

Das Glück ist scheu und verträgt keine Neugierde.

Merkwürdig! Mir kam es vor, als würde Elisabeth das gleiche denken und als stellte sich ihre Seele wie ich in dieser Stunde nicht hinter ihre Worte.

Und so glaubte ich, wenn ihr weißes Mullkleid mich streifte, es sei dies ihre Seele, die der meinen begegnete und sie keusch und innig grüßte.

Als ein Glockenschlag und das Hereinwinken der Aufsichtsnonne das Ende des Abendspazierganges anzeigten, fragte ich ganz unvermittelt Elisabeth:

»Sind Sie schon lange krank?«

Sie wendete sich voll zu mir und sah mir ins Gesicht.

»Ja, drei Jahre; aber jetzt geht es mir schon sehr gut und der Direktor gibt mir Hoffnung auf eine vollständige Heilung.«

Und ich antwortete, indem ich ihr ebenfalls voll ins Gesicht sah: »Auch bei mir sind es schon drei Jahre, daß ich krank bin; aber auch ich fühle mich viel besser und hoffe, ganz gesund zu werden.«

Ich sagte dies so froh und festlich, als hätte ich der Welt das größte Glück zu verkünden gehabt. Darauf gaben wir uns die Hände und gingen voneinander, das eine links, das andere rechts die auseinanderlaufenden und uns trennenden Treppen hinauf. Oben auf dem Gange, in den die Stiegenhalle mündete, drehte ich mich noch einmal zum stummen Gruße um, und siehe, auch Elisabeth stand auf der anderen Seite mir zugekehrt, und winkte, nur mir bemerkbar, mit der Hand den Schlafgruß für mich und meine Seele!

Vorsichtig schlich ich durch die mit Patienten angefüllten Räumlichkeiten; vorsichtig, damit ich ungesehen blieb und mich niemand zu einem Spiele einlud, war ich auf die Loggia hinausgetreten, die, breit in zweiter Stockhöhe aus dem Hause vorspringend, nur den Himmel zum Dache hatte, der jetzt wie ein wetterschwarzes, tosendes Meer anzusehen war. In dem vom Mantel der Finsternis umhüllten Laubgetürm des die Anstalt von drei Seiten einschließenden Hochwaldes spielte der Sturm ein schauerliches Orgelkonzert. Der Regen trommelte zur Schlacht zwischen Himmel und Erde eine wilde, verzweifelte Angriffsparole. In meinem Wettermantel eingepackt, stand ich an die Standbalustrade der Loge gelehnt und starrte in den Kampf hinaus, der hier in nächtlichem Dunkel erbittert ausgefochten wurde.

Solch ähnlichen Kampf hatte auch mein inneres Leben bis vor wenigen Tagen noch geführt, stumm, verbissen, in der Nacht des maßlosen Grolles, und das Schlachtfeld, meine arme Seele, war mit Leichen froher und schöpferischer Gedanken besät, die diesem erbitterten Kampf zum Opfer fielen, gerade so, wie es morgen früh ungezählte Blätter- und Blütenleichen geben wird, die in dieser häßlichen Nacht kalt, starr und leblos wurden. Und dann dachte ich mit tiefer Bewegung an die Umwandlung meines Ich, als ich Elisabeth das erstemal gesehen, wie die Ruhe und der Frieden mit ihr gekommen waren und wie die Freude an allen Dingen, der Drang, in ihre fremden Erlebnisse einzudringen, sich mit ihnen gleich zu fühlen im Erschauen der Welt, in jener Stunde aufgewacht war, in der ich das blaue Leuchten der Augen Elisabeths auf mir ruhen fühlte. Unwillkürlich schaute ich auf und siehe; inmitten der starren Finsternis der wolkenverballten Wand vor mir sprühte ein Stern und leuchtete mit hellem Grüßen zu mir herüber.

Ich schaute und schaute und indes ein starkes, reines Gefühl der Liebe zur Erde meine Seele erfaßte, sprach ich mit lauter Stimme, die wie Gesang bebte, in das Dunkel hinein:

»Elisabeth, ich habe dich lieb! Meine Liebe flammt so hell und unentwegt wie dieser frohe Stern dort oben in Nacht und Sturm!«

In dieser Nacht schrieb ich beim Scheine des grünumflorten Nachtlämpchens folgendes Gedicht:

Aus Angst und Qual der Stunden
Des Tages floh ich in die Nacht.
Die sollte mich gesunden,
Drauf war mein Herz bedacht.

Doch als so schwarz und schaurig
Mich Stille, Nacht und Schlaf umgab,
Da ward mein Herz gar traurig
Und dünkte sich im Grab.

Doch wie voll Not ich schaute
Zum Himmel aufwärts, furchtumtost,
Auf ihm ein Stern erblaute,
Der gab mir Licht und Trost.

Es sprach sein hell Gefunkel:
»Bedenk' es, o du zager Mann,
Daß dir im tiefsten Dunkel
Ein Lichtlein leuchten kann!«

Dies sprach das Sternlein leise
Zu meiner Bängnis dunklem Quell,
Und siehe – rings im Kreise
War es auf einmal hell.

O Sternlein dein Erglühen
In jener schwarzen, langen Nacht
Brachte mein Herz zum Blühen
Und hat es gut gemacht.


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