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Besorgnis? Nein. Auch nicht ein Schatten davon. Aber eine lebhafte Neugierde hielt mich und auch eine gewisse Furcht, daß Papiano eine schlechte Figur abgeben werde. Ich hätte mich darüber freuen sollen; dennoch, nein. Wer empfindet nicht Schmerz oder besser eine kalte Demütigung, wenn er einer von unerfahrenen Schauspielern aufgeführten Komödie beiwohnt?
»Er steht jetzt zwischen zwei Möglichkeiten, dachte ich: entweder er ist sehr geschickt, oder die Hartnäckigkeit, sich neben Adriana zu halten, läßt ihn nicht klar sehen, wohin er sich setzen soll; wir, Bernaldez und Pepita, ich und Adriana werden enttäuscht sein und seinen Betrug bemerken. Am ersten von allen Adriana, die ihm am nächsten sitzt; sie aber ahnt schon den Betrug und ist darauf vorbereitet. Vielleicht fragt sie sich in diesem Augenblick selber, da sie nicht neben mir sitzen kann, warum sie überhaupt da bleibt und einer Farce beiwohnt, die für sie nicht nur abgeschmackt, sondern auch unwürdig und frevelhaft ist. Dieselbe Frage richten sicherlich Bernaldez und Pepita an sich. Ist es möglich, daß Papiano sich keine Rechenschaft darüber gibt, oder daß er nicht gesehen hat, wie der Plan fehlging, mich neben die Pantogada zu setzen? Mißtraut er also so sehr seiner eigenen Geschicklichkeit? Wir werden ja sehen.«
Während dieser Überlegungen dachte ich in der Tat nicht an die Signorina Caporale. Plötzlich fing diese an zu reden, wie in einem leichten Halbschlaf.
– Die Kette, sagte sie, die Kette muß geändert werden ...
– Haben wir schon Max? fragte dringend der gute Herr Anselmo.
Eine kleine Weile danach ließ sich die Antwort der Caporale vernehmen.
– Ja, sagte sie mühsam, gleichsam mit Atemnot. Aber wir sind zuviel, heute Abend ...
– Das ist wahr! schnellte Papiano los. Jedoch glaube ich, daß wir so sehr gut sitzen.
– Ruhig! ermahnte Paleari. Hören wir, was Max sagt.
– Die Kette, fuhr die Caporale fort, scheint ihm nicht im Gleichgewicht. Hier, auf dieser Seite (und er hob meine Hand hoch), sind zwei Damen nebeneinander, Herr Anselmo täte gut, den Platz der Signorina Pantogada zu nehmen und umgekehrt.
– Sofort! rief Herr Anselmo aus, sich erhebend. Bitte, Signorina, setzen Sie sich hierhin!
Diesmal aber lehnte sich Pepita nicht dagegen auf. Sie war neben dem Maler.
– Dann, fügte die Caporale hinzu, die Signora Candida ...
Papiano unterbrach sie:
– Auf den Platz von Adriana, nicht wahr? Ich hatte schon daran gedacht. Sehr gut!
Ich drückte Adriana heftig die Hand, bis es ihr weh tat, als sie den Platz neben mir eingenommen hatte. Gleichzeitig drückte mir die Signorina Caporale die andere Hand, wie um mich zu fragen: »Sind Sie so zufrieden?« – »Aber natürlich, sehr zufrieden!« antwortete ich ihr mit einem anderen Händedruck.
– Ruhe! gebot in diesem Augenblick Herr Anselmo. Niemand hatte auch nur geatmet. Da! Der Tisch! Viermal Klopfen: Dunkel!
Ich schwöre, es nicht gehört zu haben.
Jedoch, kaum war die kleine Laterne ausgelöscht, da ereignete sich etwas, das mit einem Mal alle meine Vermutungen verwirrte. Die Signorina Caporale stieß einen gellenden Schrei aus, der alle übrigen von den Stühlen aufspringen ließ.
– Licht! Licht!
Was war geschehen?
Einen Faustschlag! Die Signorina Caporale hatte einen fürchterlichen Faustschlag auf den Mund bekommen: das Zahnfleisch blutete ihr.
Pepita und die Signora Candida waren entsetzt aufgesprungen. Auch Papiano erhob sich, um die Laterne wieder anzuzünden. Sofort zog Adriana ihre Hand aus der meinen. Bernaldez, mit rotem Gesicht, er hielt nämlich ein Streichholz zwischen den Fingern, lächelte zwischen Überraschung und Ungläubigkeit, während Herr Anselmo in größter Bestürzung nur immer wiederholte:
– Ein Faustschlag! Aber wie erklärt sich das?
Auch ich fragte mich danach, ganz erregt. Ein Faustschlag? Also war der Wechsel der Plätze vorher nicht zwischen den beiden abgemacht worden. Also hatte die Signorina Caporale sich gegen Papiano aufgelehnt. Was nun?
Jetzt schob die Caporale den Stuhl fort, hielt ein Taschentuch vor den Mund und erklärte, nichts mehr von dem allen wissen zu wollen. Und Pepita Pantogada schrie:
– Danke, meine Herren, Danke! Hier gibts Faustschläge!
– O nein, o nein! rief Paleari. Meine Herrschaften, das ist eine neue, ganz außerordentliche Tatsache. Man muß nach einer Erklärung verlangen.
– Von Max? fragte ich.
– Ja, von Max! Haben Sie etwa, liebe Silvia, seinen Rat für die Ordnung der Kette schlecht interpretiert?
– Wahrscheinlich! Wahrscheinlich! rief Bernaldez lachend.
– Was denken Sie davon, Herr Meis? fragte mich Paleari, dem Bernaldez nicht gerade gefiel.
– O sicherlich, das scheint mir auch so, sagte ich.
Aber die Caporale verneinte es entschieden, den Kopf schüttelnd.
– Ja, und? fuhr Herr Anselmo fort. Wie ist das zu erklären? Max gewalttätig! Und wie lange noch? Was sagst du dazu, Terenzio?
Terenzio sagte nichts, von dem Halbdunkel geschützt: er zuckte mit den Achseln und damit gut.
– Weiter, sagte ich darauf zu der Caporale. Wollen wir nicht Herrn Anselmo zufriedenstellen, Signorina? Fragen wir Max um eine Erklärung: wenn er sich nun als neuer Geist zeigen wird ... als geringer Geist, dann lassen wir ihn gehen. Ists recht so, Herr Papiano?
– Sehr gut! antwortete dieser. Fragen wir, fragen wir nur. Ich bin dabei.
– Aber ich nicht! entgegnete die Caporale schlagfertig, zu ihm gewendet.
– Sagen Sie das zu mir? sagte Papiano. Aber wenn Sie ihn gehen lassen wollen ...
– Ja, es wäre besser, wagte schüchtern Adriana.
Aber sofort unterbrach sie Herr Anselmo:
– Da, die Furchtsame! Das sind Kindereien, zum Teufel! Entschuldigen Sie, ich sage das auch Ihnen, Silvia. Sie kennen den Geist gut, er ist Ihnen vertraut, und Sie wissen, daß dies das erste Mal ist, daß ... Es würde eine Sünde sein, ja denn, so unangenehm dieser Vorfall ist, die Phänomene zeigten heute Abend, daß sie mit ungewohnter Energie offenbaren wollten.
– Mit allzu großer! rief Bernaldez laut lachend und die Anderen zum Lachen reizend.
– Und ich, fügte ich hinzu, ich möchte nicht gern so einen Faustschlag auf mein Auge hier kriegen ...
– Ich ebensowenig! rief Pepita.
– Setzen! befahl darauf Papiano resolut. Folgen wir dem Rat des Herrn Meis. Versuchen wir, eine Erklärung zu erlangen. Wenn die Phänomene sich von neuem mit zu großer Heftigkeit enthüllen, werden wir aufhören. Setzen!
Und er blies die kleine Laterne aus.
Im Dunkeln suchte ich die Hand Adrianas, die kalt war und zitterte. Aus Achtung vor ihrer Furcht drückte ich sie zuerst nicht; ganz allmählich, nach und nach, tat ich es, gleichsam, um Wärme hineinzugießen und mit dieser Wärme das Vertrauen, daß jetzt alles ruhig vor sich gehen würde. Es konnte tatsächlich kein Zweifel mehr sein, daß Papiano, die Gewalttätigkeit vielleicht bereuend, zu der er sich hatte hinreißen lassen, seine Ansicht geändert hatte. Auf jeden Fall würden wir einen Moment der Ruhe haben; dann würden wir, ich und Adriana, vielleicht in diesem Dunkel die Zielscheibe Max' werden. »Gut, sagte ich zu mir, wenn das Spiel zu plump wird, werden wir es weniger lange dauern lassen. Ich werde nicht erlauben, daß Adriana gequält wird.«
Inzwischen hatte Herr Anselmo angefangen mit Max zu sprechen, gerade so als wenn er mit irgend jemand spräche, der in Wirklichkeit dort anwesend war.
– Bist du da?
Zweimal leichtes Klopfen durch den kleinen Tisch. Er war da!
– Wie kommt es, Max, fragte Paleari, im Ton liebenswürdigen Vorwurfs, daß du, so gut, so freundlich, die Signorina vorhin so schlecht behandelt hast? Willst du uns nichts sagen?
Diesmal bewegte sich der Tisch zuerst ein wenig, dann ertönten drei trockene und harte Schläge durch ihn. Dreimal Klopfen: also nein: er wollte es uns nicht sagen.
– Bestehen wir nicht darauf! sagte Herr Anselmo sich fügend. Du bist vielleicht noch ein wenig erregt, he, Max? Ich fühle es, ich kenne dich ... ich kenne dich ... Möchtest du uns wenigstens sagen, ob die Kette, so wie sie gebildet ist, dich befriedigt?
Noch hatte Paleari nicht diese Frage beendet, als ich rasch zweimal auf meine Stirn klopfen fühlte, wie mit der Spitze eines Fingers.
– Ja! rief ich sofort aus, das Phänomen verkündend; und ich drückte Adriana fest die Hand.
Ich muß gestehen, daß dieses unerwartete »Berühren« im selben Augenblick einen seltsamen Eindruck auf mich machte. Ich war sicher, daß ich, hätte ich rechtzeitig die Hand erhoben, die Papianos gepackt hätte, und dennoch ... Die zarte Leichtigkeit der Berührung und die Bestimmtheit waren auf jeden Fall wunderbar. Denn, ich wiederhole, ich hatte es nicht erwartet. Warum aber hatte Papiano gerade mich auserwählt, um seine Unterwerfung zu offenbaren? Hatte er mich mit jenem Zeichen beruhigen wollen, oder war es im Gegenteil eine Herausforderung und bedeutete es: »Jetzt sollst du sehen, ob ich zufrieden bin«?
– Bravo, Max! rief Herr Anselmo aus.
Und ich für mich:
– Bravo, ja! O was für einen Katzenkopf ich dir geben möchte!
– Und möchtest du uns nun, wenn es dir nicht mißfällt, begann der Hausherr von neuem, ein Zeichen deiner guten Gesinnung für uns geben?
Fünffaches Klopfen des Tisches kündigte an: Sprechet!
– Was bedeutet das? fragte die Signora Candida, erschreckt.
– Daß wir sprechen müssen, erklärte Papiano ruhig.
Und Pepita:
– Mit wem?
– Aber mit wem Sie wollen, Signorina! Sprechen Sie mit Ihrem Nachbarn zum Beispiel.
– Laut?
– Ja, sagte Herr Anselmo. Das bedeutet, Herr Meis, daß Max inzwischen irgendeine schöne Manifestation vorbereitet. Vielleicht eine Lichterscheinung ... wer weiß! Sprechen wir, sprechen wir ...
Ja, was sprechen? Ich sprach schon seit einer Weile mit der Hand Adrianas, und ich dachte, ach, ich dachte überhaupt an nichts mehr. Ich hielt dieser kleinen Hand einen langen, heftigen, eindringlichen und doch einschmeichelnden Vortrag, den sie zitternd und hilflos mit anhörte; schon hatte ich sie gezwungen, mir die Finger abzutreten, daß ich sie mit den meinen verflocht. Eine glühende Trunkenheit hatte mich ergriffen. Sie entquoll für mich der Qual, welche ihr die Anstrengung, ihr rasendes Feuer zu unterdrücken, verursachte, die sich dafür in süßer Zartheit ausdrückte, wie es die Reinheit ihrer schüchternen, sanften Seele wollte.
Während unsere Hände diese intime Unterhaltung führten, fing ich an, etwas wie ein Reiben an dem Querbalken zwischen den beiden hinteren Beinen des Stuhles zu merken; und ich geriet in Erregung. Papiano konnte mit dem Fuß nicht so weit reichen; falls doch, so hätte ihn der Querbalken zwischen den vorderen Beinen des Stuhles daran gehindert. Hatte sich etwas vom Tisch erhoben und war hinter meinen Stuhl gekommen? Aber dann hätte die Signora Candida, wenn sie nicht gerade ein Gespenst war, es merken müssen. Ich sagte, was ich fühlte.
– Wirklich? rief Papiano von seinem Platz aus, mit einer Verwunderung, die mir aufrichtig schien.
Nicht weniger Verwunderung zeigte die Signorina Caporale.
Ich fühlte, wie sich mir die Haare über der Stirn sträubten. Also war jenes Phänomen doch wirklich?
– Reiben? fragte begierig Herr Anselmo. Ists möglich? Ists möglich?
– Aber ja! bestätigte ich, fast ärgerlich. Und es geht weiter! Als wenn hinter mir ein kleines Hündchen wäre ... da!
Ein lautes Gelächter nahm diese meine Erklärung auf.
– Aber das ist ja Minerva! Das ist Minerva! rief Pepita Pantogada.
– Wer ist Minerva? fragte ich beschämt.
– Nun, meine kleine Hündin! erwiderte jene, noch immer lachend. Das kleine alte Viehchen, das sich unter allen Stühlen kratzt. Verzeihung! Verzeihung!
Bernaldez zündete wieder ein Streichholz an, und Pepita erhob sich, um das Hündchen zu nehmen, das Minerva hieß, und um es in ihren Schoß zu drücken.
– Jetzt erkläre ich mir, sagte Herr Anselmo enttäuscht, jetzt erkläre ich mir auch die Gereiztheit Max'. Es ist zu wenig Ernst vorhanden, heute Abend. Das ists!
Für Herrn Anselmo vielleicht ja; aber, die Wahrheit zu sagen, für uns war an den folgenden Abenden im Punkte Spiritismus auch nicht viel mehr Ernst vorhanden.
Wer konnte noch auf die Heldentaten des Max im Dunklen achten? Der Tisch knarrte, bewegte sich, sprach mittels harten und leichten Klopfens. Anderes Klopfen ließ sich unter der obersten Querleiste unserer Stühle vernehmen oder, hier und da, in den Möbeln des Zimmers, ein Raspeln, ein Schleppen und andere Geräusche; seltsames phosphoreszierendes Leuchten, gleich Irrlichtern, entzündete sich plötzlich und irrte umher; auch das Laken erhellte sich und bauschte sich wie ein Segel. Ein kleiner Rauchtisch machte verschiedene kleine Spaziergänge durchs Zimmer, einmal sprang er sogar auf den Tisch, um den herum wir im Kreise saßen. Die Guitarre flog, gleich als hätte sie Flügel bekommen, von der Kommode herab und klimperte über uns ... Mir jedoch schien, daß Max seine hervorragenden musikalischen Fähigkeiten besser mit den Schellen eines Hundehalsbandes offenbare, das im gegebenen Moment der Signorina Caporale um den Hals gelegt wurde; was dem Herrn Anselmo ein herzlicher und sehr liebenswürdiger Scherz des Max däuchte; aber die Signorina Caporale schätzte es nicht sehr.
Vom Dunkel geschützt, war Scipio, der Bruder des Papiano, offenbar mit ganz besonderen Instruktionen auf der Bühne erschienen. Dieser war wirklich Epileptiker, aber kein solcher Idiot, wie der Bruder Terenzio und er selber es wollten glauben machen. Durch die lange Gewöhnung an das Dunkel mußte er das Auge dahin gebracht haben, daß er uns sehen konnte. Ich könnte nicht sagen, wie geschickt er sich in den Betrügereien erwies, die vorher mit seinem Bruder und der Caporale verabredet waren. Für uns, das heißt für mich und für Adriana, für Pepita und Bernaldez konnte er machen, was er wollte: genügen konnte er nur Herrn Anselmo und der Signora Candida; hier schien es ihm wunderbar zu glücken, da weder der eine noch die andere schwer zu befriedigen war. Herr Anselmo frohlockte; mitunter schien er wie ein Knabe im Marionettentheater; aber bei manchen seiner kindlichen Ausrufe litt ich direkt, nicht nur wegen der Beschämung, die es mir verursachte, einen gewiß nicht dummen Mann sich derartig unwahrscheinlich benehmen zu sehen, sondern auch um Adrianas willen, die Gewissensbisse empfand, sich auf Kosten ihres Vaters und seiner lächerlichen Gutmütigkeit zu amüsieren.
– Nein! rief mit einem Mal die Signorina Pantogada.
Und sofort Herr Anselmo:
– Sprechen Sie, sprechen Sie! Was ist es gewesen? Was haben Sie gefühlt?
Auch Bernaldez trieb sie eifrig an zu reden; Pepita rief:
– Hier, auf einer Seite, eine Liebkosung ...
– Mit der Hand? fragte Paleari. Zart, nicht wahr? Kühl, flüchtig und zart ... O, Max, wenn du willst, verstehst du schon fein zu den Damen zu sein! Sehen wir zu, Max, vielleicht kannst du die Liebkosung der Dame wiederholen?
– Hier ist es! Hier ist es! rief plötzlich Pepita lachend.
– Was meinen Sie? fragte Herr Anselmo.
– Jetzt wieder! Jetzt wieder! ... es liebkost mich!
– Ist es ein Kuß, Max? fragte Paleari.
– Nein! rief Pepita.
Aber ein schöner, schallender Kuß wurde ihr auf die Wange gegeben.
Unwillkürlich näherte ich Adrianas Hand meinem Mund; dann, nicht zufrieden, beugte ich mich, ihren Mund zu suchen; so wurde der erste Kuß, ein langer und stummer Kuß, zwischen uns gewechselt.
Was folgte? Es dauerte eine Weile, bis ich, verlegen vor Verwirrung und Scham, mich wieder sammeln konnte. Hatte man unseren Kuß bemerkt? Man lachte. Ein Streichholz, zwei wurden angezündet; dann auch die Kerze, jene selbe, die in der Laterne mit dem roten Glas stand. Und alle waren auf den Beinen! Warum? Warum? Ein heftiger Schlag, ein furchtbarer Schlag, wie von einer unsichtbaren Riesenfaust, donnerte im hellen Licht auf den Tisch. Alle erbleichten vor Schrecken, und mehr als die anderen Papiano und die Signorina Caporale.
– Scipio! Scipio! rief Terenzio.
Der Epileptiker war zu Boden gefallen und röchelte seltsam.
– Setzen! schrie Herr Anselmo. Er ist auch in Trance geraten! Da, da, der Tisch bewegt sich, hebt sich, hebt sich ... Die Levitation! Bravo, Max! Hoch!
Der Tisch erhob sich in der Tat, ohne daß einer ihn berührte, mehr als eine Spanne über den Boden und fiel dann schwer wieder herab.
Die Caporale, schwarzblau, zitternd, erschreckt, verbarg ihr Gesicht an meiner Brust. Die Signorina Pantogada und die Gouvernante flohen aus dem Zimmer, während Paleari in höchster Gereiztheit schrie:
– Hier geblieben! Zum Donnerwetter! Brecht nicht die Kette! Jetzt kommt das Beste! Max! Max!
– Aber wie, Max! rief Papiano, vor Schrecken erschauernd und wie angenagelt. Dann eilte er zum Bruder, um ihn zu schütteln und wieder zu sich zu bringen.
Die Erinnerung an den Kuß war für den Augenblick in mir erstickt durch das Staunen über diese wahrhaftig seltsame und unerklärliche Offenbarung, der ich beigewohnt. Wenn, wie Paleari behauptete, die geheimnisvolle Kraft, die in diesem Augenblick unter meinen Augen, bei hellem Licht gewirkt hatte, von einem unsichtbaren Geist herrührte, so war jener Geist offenbar nicht der des Max: es genügte, Papiano und das Fräulein Caporale anzusehen, um sich davon zu überzeugen. Jenen Max hatten sie erfunden. Wer also hatte gehandelt? Wer hatte jenen furchtbaren Faustschlag auf den Tisch geschleudert?
Dinge, wie ich sie in den Büchern des Paleari gelesen, sprangen mir wild durch den Kopf, und mit Schaudern dachte ich an jenen Unbekannten, der sich im Wassergraben der Mühle Stia ertränkt hatte, und dem ich das Beileid der Seinigen und der Fremden genommen hatte.
– Wenn er es wäre! sagte ich zu mir. Wenn er gekommen wäre, um mich hier zu finden und sich zu rächen, indem er alles enthüllte ...
Paleari, der allein weder Wunder noch Schrecken empfunden, gelang es noch nicht, sich davon zu überzeugen, wie ein so einfaches und gewöhnliches Phänomen, nämlich das Heben des Tisches, nach den Wundern, denen wir vorher beigewohnt, auf uns einen solchen Eindruck gemacht hatte. Für ihn war es von sehr geringer Bedeutung, daß das Phänomen sich bei hellem Lichte gezeigt hatte. Dagegen konnte er sich nicht erklären, wie Scipio sich überhaupt hier in meinem Zimmer befinden konnte, während er ihn zu Bett glaubte.
– Es befremdet mich, sagte er, weil sich gewöhnlich dieser arme Kerl um nichts kümmert. Aber man sieht, daß diese unsere mystischen Sitzungen eine gewisse Neugierde in ihm geweckt haben: er wird gekommen sein, um zu kundschaften, er wird heimlich eingetreten sein und dann ... bums, erwischt! Denn es ist unleugbar, wissen Sie Herr Meis, daß die außerordentlichen Phänomene der Medialität großenteils in der epileptischen, kataleptischen und hysterischen Neurose ihren Ursprung haben. Max nimmt von allen, auch uns entzieht er ein gut Teil nervöser Energie und gebraucht sie zur Erzeugung der Phänomene. Das ist festgestellt! Ist Ihnen nicht auch, als ob man Ihnen etwas entzogen hätte?
– Noch nicht, um die Wahrheit zu sagen.
Fast bis zur Morgendämmerung warf ich mich auf dem Bett umher, von jenem Unglückseligen phantasierend, der unter meinem Namen auf dem Friedhof von Miragno beerdigt worden war. Wer war es? Woher kam er? Warum hatte er sich getötet? Vielleicht wollte er, daß man sein trauriges Ende erfahre, vielleicht war es eine Wiedergutmachung, eine Sühne ... und ich hatte es ausgenutzt! Mehr als einmal, ich gestehe es ein, wurde mir im Dunkeln eiskalt vor Furcht. Jenem Faustschlag dort auf den Tisch in meinem Zimmer hatte nicht nur ich gehört. Hatte er ihn hingehauen? Und war er nicht noch hier, in dem Schweigen, anwesend und unsichtbar neben mir? Ich horchte auf, wenn irgendein Geräusch in meinem Zimmer an mein Ohr drang. Dann wieder schlief ich ein und hatte furchtbare Träume.
Am Tage danach öffnete ich die Fenster dem Licht.