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In der Übersetzung von
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Viel Mühe hat den Freunden des Platon von altem Schrot und Korn dieses Gespräch immer gemacht. Denn schwer schien es zu bestimmen, zu welcher Meinung über die Sprache er sich eigentlich bekenne, ob wirklich entweder zu der, welche die Sprache durch Verabredung und Vertrag entstehen läßt und also alles Einzelne in ihr für gleichgültig und zufällig ansieht, oder zu der, welche ihr als einem Naturerzeugnis innere Wahrheit und Richtigkeit zuschreibt; oder ob er vielleicht gar heimlich jene andere Meinung zum Rückhalt habe von einer göttlichen Einsetzung der Sprache. Eben so wie man immer nicht recht wissen kann im »Menon«, ob die Tugend bloß geübt werde, also durch Gewöhnung zu einer verabredeten Weise entstehe, oder vielmehr gelehrt, also eingesehen als innere Notwendigkeit, oder ob sie gar als eine Gabe der Götter über den Menschen komme nach ihrem Wohlgefallen und deshalb eigentlich das allein Gute sei. – Noch schwerer fiel es den großen Mann zu verteidigen über die ganz falsche Ableitung und Erklärung der Wörter, wo doch unter leider so vielen Beispielen kaum eines oder das andere auch nur Duldung, um nichts von Beifall zu sagen, finden kann. Denn wenn man auch entschuldigen will und bedauern, daß der bewunderungswürdige Mann aus Schuld der Zeiten so wenig lehrreiches und tüchtiges über einen so wichtigen Gegenstand zu sagen wußte: so reicht diese Auskunft doch nirgends hin, weil in der Tat die Unwissenheit zu groß ist, und sich auch wider unsern Willen immer etwas verachtendes einmischt in die Verwunderung darüber, daß derjenige, der so sehr darauf gedrungen, man solle wissen, wovon und wie sehr man nichts wisse, sich doch, wo er offenbar nichts wußte, in so leeres und unbedeutendes Spiel eingelassen habe. Dagegen ist nun freilich viel gewonnen durch die Entdeckung neuerer Zeiten, daß dem Platon eben auch dies alles nur Spiel gewesen und Scherz, und daß man wie in mehreren seiner Werke so auch hier nur keine erhabene Weisheit suchen müsse. Nur ist es auch bei dieser Ansicht wiederum schwierig, den tiefsinnigen Mann zu rechtfertigen wegen einer solchen Masse schwerfälligen und leeren Scherzes, und wegen des beispiellosen Verfahrens seine unglückliche Neigung zu Wortspielen auf eine so erstaunenswürdige Weise ausbrechen zu lassen; wie jeder Naturforscher erstaunen würde, von einer seltenen Steinart, die nur hie und da in kleinen Körnchen eingesprengt vorzukommen pflegt, plötzlich ein ganzes ungeheures Lager anzutreffen. Und eine schwere Untersuchung ladet diese Entdeckung auf, nämlich den Ernst von dem Scherz zu scheiden, wenn man den Platon nicht des schlechtesten Scherzes beschuldigen will, nämlich bei ernsthaften Dingen sich ernsthaft zwar zu gebärden, aber doch auch nur zum Scherz. Wer nun diese letztere Ansicht des Ganzen etwa nur auf Geratewohl aufgegriffen hat, und sich nun entweder mit diesem allgemeinen zu begnügen gedenkt, oder auf eben solche Weise auch Kennzeichen aufzufinden zur Beurteilung und Sonderung des Einzelnen, und so mit neuem Gaumen herumzuschmecken unter den alten Früchten und Zubereitungen, dem sei dies gern überlassen; uns aber ist nötig einen andern Weg einzuschlagen, und lieber, als ob noch nichts darüber gesagt wäre, dem Werke selbst nachzugehen, ob es uns nicht verraten will, was es eigentlich bedeute, und was auch jedes Einzelne darin uns wert sein soll.
Damit wir nun das wichtigere ruhiger betrachten können, mag es immer geraten sein erst alles einzeln anzusehen, um aufmerksam darauf zu machen, was ernsthaft gemeintes sei und was Scherz. Zuerst, was Allem zum Grunde zu liegen scheint, daß die Sprache das Kunstwerkzeug des Dialektikers ist, und daß das Benennen der Natur der Dinge gemäß geschehen müsse, dies klingt zwar wunderlich, wenn man es so überhin hört: aber es ist zu ähnlich mit andern Untersuchungen, welche wir schon kennen, und gar zu sehr nach den Grundgesetzen aller Platonischen Spekulation, als daß wir es nicht müßten für Ernst gelten lassen. Die Erläuterung aber, welche darauf folgt, durch mehr oder minder bekannte Eigennamen, welche auf Stand und Eigenschaften der Personen oder auf Begebenheiten in ihrem Leben zurückgeführt werden, diese ist offenbar nicht auf dieselbe Weise Ernst, indem Sokrates sie späterhin selbst vernichtet durch die Bemerkung, die Art, wie einzelne Menschen benannt werden, sei nicht die Art wie den Dingen ihre Benennungen zukamen, sondern man müsse sehen auf die Benennungen der Gattungen, des Allgemeinen und Ewigen. Dies nun ist wiederum offenbar Ernst, indem ja allerdings diese Namen die eine Hälfte des Kerns der Sprache bilden, wie sich dieser auch dem Hellenen gleich spaltete in Nennwörter und Zeitwörter. Wie aber nun das Gespräch dieser Spur weiter nachgeht, und die natürliche Richtigkeit der Nennwörter aufsucht zuerst in den Namen der Götter, welche so behandelt werden, daß man nicht recht sagen kann, sie hätten als Eigennamen mehr in den ersten Abschnitt gehört, dann in denen der Weltkörper und ihrer Verhältnisse, der Elemente, der Tugenden, der mancherlei anderen Erscheinungen des Gemütes und endlich der Angeln alles Denkens und Erkennens selbst, dies alles ist wiederum, wenn wir es so im Ganzen ansehn, offenbar Scherz. Das ergibt sich nicht nur aus der gewaltsamen Art mit den Wörtern umzugehn, aus dem ganz vernachlässigten Unterschied zwischen Stamm- und Beugungssilben und dem Vertauschen und Versetzen von Buchstaben, so daß oft ein kaum ähnlicher Laut herauskommt, so wie aus dem unbegrenzten Anteil, welcher der Verschönerungssucht zugeschrieben wird an der damaligen Gestalt der Wörter so daß nach des Sokrates Geständnis sogar schon von Anfang an etwas mit hineingesetzt worden, um die Bedeutung zu verbergen, also ganz gegen die vorausgesetzte Natur der Sprache: sondern noch weit mehr erkennt man den Scherz an den Äußerungen des Sokrates selbst; wie er spottet über diese Weisheit, als über eine ihm ganz fremde Eingebung, der er heute folgen, morgen aber sich davon reinigen wolle; wie er durch dasselbe Verfahren aus entgegengesetzten Wörtern einen gleichen Sinn herausbringt, und also zeigt, daß es sich selbst aufhebt; wie er sich hier beruft auf barbarischen Ursprung oder zerstörende Wirkungen der Zeit, und späterhin dies selbst für Ausreden eines solchen erklärt, der keine ordentliche Rechenschaft geben wolle. Allein diese scherzhafte Masse führt doch wieder auf etwas ganz ernsthaftes, nämlich auf den Unterschied zwischen Stammwörtern und abgeleiteten, auf die Untersuchung, was doch eigentlich das Objekt der Darstellung sei in der Sprache, zum Unterschied von dem mimischen und musikalischen Gebrauch der Stimme, und wie nun dem gemäß in den Buchstaben die ursprüngliche Bedeutsamkeit müsse gesucht werden. Und ernsthaft ist dieses gewiß, weil Platon den Sokrates eine Theorie dazu entwerfen läßt, welche ganz jenen dialektischen Grundformen entspricht, die er schon im »Phaidros« vorgetragen hat. Wie nun aber dieses beispielsweise an einzelnen Buchstaben erläutert und ihre Bedeutung aufgesucht wird, das kann man wieder kaum für Ernst erkennen, indem die Art, wie Sokrates dabei zu Werke geht, Jedem, der, auch nur oberflächlich, Aufgabe und Auflösung gegeneinander hält, wie unsere Anmerkungen stellenweise tun müssen, sehr leichtfertig vorkommen muß, ja ihm selbst nur ins Blaue hinein und lächerlich erscheint nach seiner Versicherung. Und wer etwa meint, nur deshalb gerate alles so bunt und wunderlich, und werde absichtlich lächerlich gemacht, weil die Herakliteische Lehre als der Sprache zum Grunde liegend mit Gewalt solle erwiesen werden, der verhehle sich doch nicht, daß in den wenigen Beispielen aus welchen eine eleatische Denkungsart erhellen soll, alles abenteuerliche eben so sehr angehäuft ist. Wem aber etwa sonst die angegebenen Gründe des Urteils nicht genügen, der gehe nur, um Ernst und Scherz sicher zu scheiden, ganz einfältig dem »Euthyphron« nach, und halte sich überzeugt, wo dieser mit im Spiele ist, und die Weisheit auf diesen zurückgeführt wird, da befinde er sich gewiß im Gebiete des Scherzes. Auch hieraus wird sich denn nicht minder der Ernst erkennen lassen, von wo er ausgeht und wie weit er sich, unzugänglich jenem lustigen Gespenst, erstreckt. Es wird sich auf alle Weise gewiß dasselbige ergeben, daß Platon sich nur das Besondere jener Sprachbehandlung abgesteckt hat, um wer weiß welche Komödie aufzuführen, alles Allgemeine aber eben so ernsthaft zu nehmen ist wie der Kern eines jeden Platonischen Gespräches. Dies muß den nicht ganz unkundigen Leser des Platon schon geneigt machen, jenes vor der Hand auf sich beruhen zu lassen als eine nur aus dem Ganzen vielleicht verständliche Nebensache, das Verständnis des Ganzen aber, wenn es recht soll gewürdiget werden, bei dem andern Ende anzufangen, und in dem »Kratylos« eine ähnliche Anordnung zu vermuten, wie in dem »Euthydemos«, wo auch eine ironische Masse und eine ernsthafte Untersuchung wunderbar in einander gewebt sind.
Betrachten wir nun abgesondert von jenem den ernsthaften Inhalt des Werkes, so erscheint schon die Untersuchung über die Natur der Sprache nicht mehr als das einzige, wiewohl sie allerdings am meisten und wunderbar genug ins Auge fällt. Denn da sonst die Gegenstände der Platonischen Untersuchung in mehreren Werken wiederkehren, und nachdem sie zuerst behandelt worden, späterhin noch einmal aus einem andern Gesichtspunkt angesehn oder sonst in ein helleres Licht gesetzt werden, bis sie als ganz ins klare gesetzt in das große alles umfassende Werk aufgenommen werden: so haben wir gar keine Spur, daß jemals dieser Faden, von dem man wahrlich nicht sagen kann, daß er hier zu Ende gesponnen worden, wieder sei angeknüpft worden; und hätte das Schicksal uns dieses eine Gespräch mißgönnt, so würde der Gegenstand gänzlich fehlen, und wir würden sagen müssen, Platon habe sich zu der Sprache verhalten als ein ächter Künstler, vortrefflich nämlich verstanden sie zu gebrauchen und auf eine eigentümliche Weise für sich auszubilden, gar nicht aber etwas darüber zu sagen. Was freilich auch jetzt noch, ungeachtet dieser Verlust uns nicht getroffen, Viele meinen, wir aber keinesweges. Denn sehen wir zu, wie er die Meinung des Hermogenes angreift, und statt eines auf Geratewohl zusammengerafften nur durch Verabredung bestätigten die Sprache darstellt als ein nach Anleitung einer inneren Notwendigkeit und als Abbild einer Idee gewordenes, von dem gebrauchenden Künstler zu beurteilendes und zu verbesserndes Kunstwerkzeug, und wie er die Zusammensetzung und Verwandtschaft der Töne vergleicht mit der Verwandtschaft und den zusammengesetzten Verhältnissen der Dinge, und beide als neben einander laufende und einander entsprechende Systeme ansehen will, die also gewiß in einem höheren Eins sind, und wie er in der physiologischen Qualität der Töne den Grund alles bedeutsamen in der Sprache nicht etwa als Nachahmung des hörbaren, sondern als Darstellung des Wesens der Dinge aufzusuchen befiehlt: so müssen wir gestehen, dies gehört zu dem tiefsinnigsten und größten, was jemals über die Sprache ist ausgesprochen worden.
Schwächer allerdings und auch nur als eine Ausrede dessen, der nicht völlige Rechenschaft zu geben weiß, erscheint dasjenige, was Sokrates gegen Kratylos von der Notwendigkeit neben dem natürlichen auch noch ein willkürliches nur durch Verabredung verständliches Element in der Sprache anzunehmen vorträgt; allein wohl nur deswegen erscheint es so, weil es schwerer ist zu verstehen, und als nur angedeutet einer Fortsetzung bedarf. Denn wenn man erwäget, daß dieser ganze Beweis davon ausgeht, daß in der Bezeichnung ein besseres und ein schlechteres gesetzt wird, und zwar nicht das Bessere in der einen und das Schlechtere in der andern Sprache, indem jede, von den ersten Sprachelementen an, ein durchaus eigentümliches ist, sondern beides in derselben durch Vergleich dessen was innerhalb einer jeden sich verändert, also in Beziehung auf ihr Werden und Fortschreiten: so sieht man, daß das willkürliche darin, nach den eigenen Grundsätzen des Platon über das Werden, als ein leerer Schein verschwinden muß, sobald man nur aus dem, was er über das Verhältnis der Sprache zur Erkenntnis sagt, in seinem Geiste weiter folgert; so jedoch, daß wir unentschieden lassen müssen, ob er dieses nur vorläufig so aufgestellt habe, um den Leser das weitere selbst finden zu lassen, oder ob er selbst es bis dahin nur so gesehen, wie denn allerdings das Aufgehen des positiven in dem natürlich notwendigen bei unbekannteren Gegenständen nicht so leicht gesehen wird. Und dieses möchte denn dasjenige sein, worin Platon, ohne daß ihm etwas seiner unwürdiges begegnet wäre, aus Schuld der Zeiten vielleicht nicht so weit gekommen ist, als wir ihm den Weg vorzeichnen könnten. Wie dem aber auch sei, soviel ist deutlich, und jeder Unbefangene muß es sehen, nur durch die Aufhebung des Gegensatzes zwischen der Meinung des Kratylos und der des Hermogenes sollte sich Platons Ansicht von der Sprache darstellen, aber die Art und Weise jener Aufhebung ist nur eben angedeutet, und Platon selbst scheint die Ausführung des Gegenstandes nach dieser Ansicht für etwas auf der einen Seite nicht mehr auf der anderen noch nicht mögliches gehalten zu haben.
Allein je mehr diese Sache nur angelegt, gar nicht zu Ende gebracht erscheint, um so weniger eignet sie sich nach der Weise des Platon dazu, der Gegenstand eines eigenen Werkes zu sein; sondern eher würde sie nur irgendwo beispielsweise, etwa wie die Redekunst im »Phaidros«, angeregt worden sein. Daher muß nun Grund und Absicht des Werkes in noch andern Beziehungen gesucht werden, und Nachfrage angestellt, ob nicht in unserm Werke noch irgend etwas anderes sich findet, was hierüber Nachweisung geben könnte; und das zeigt sich dem Aufmerksamen bald. Denn wenn auch gleich die Darstellung der Natur der Sprache nicht zum Abschluß gedeiht: so wird doch als unmittelbare Folgerung aus den ersten Grundlinien derselben soviel deutlich ausgesprochen, das Verhältnis der Sprache zur Erkenntnis sei ein solches, daß erstere auf keine Weise, auch nicht wenn man ihren göttlichen Ursprung für einen Augenblick annehmen wollte, als Quelle der letzteren, und zwar weder der ursprünglichen, des Erfindens, noch der abgeleiteten, des Erlernens, könne angesehen werden; sondern wenn ein abhängiges Verhältnis statt finden solle, eher die Sprache nur als ein Produkt der Erkenntnis und als durch sie bedingt zu betrachten sei. Beachten wir nun zugleich dieses, wie in dem ironischen Teil die Etymologie gebraucht wird, um aus der Sprache die Herakliteische Lehre zu rechtfertigen, so daß Sokrates auch ernsthaft zugibt, diese Tendenz lasse sich nachweisen in der Sprache; ferner wie durch das Ganze hindurch eine fortgesetzte Polemik gegen jene Lehre sich erstreckt, mit welcher das Gespräch auch schließt, wie es mit dem Annehmen eines bleibenden und für sich bestehenden anfing: so haben wir unstreitig den Punkt gefunden, welcher hinreichendes Licht über das Ganze verbreiten kann, indem er uns einen solchen Zusammenhang desselben mit den vorhergehenden Gesprächen eröffnet, daß durch denselbigen Blick die Absicht des Werkes deutlich und auch der Platz bestimmt wird, den es in der Reihe der Platonischen Produktionen einzunehmen hat. Jene Warnung nämlich, daß die Sprache für sich nicht könne zur Erkenntnis führen, auch nicht aus ihr entschieden werden, welche von zwei entgegengesetzten Ansichten die wahre sei oder die falsche, ist offenbar polemisch, und setzt voraus, daß ein solches Verfahren irgendwo angewendet worden; und diese Polemik gehört wesentlich in jene Reihe von Bestrebungen, die Realität des Wissens und seine Ewigkeit und Unpersönlichkeit zu begründen, worin wir den Platon während dieser zweiten Periode begriffen sehen. Wo wir dieses Verfahren aufzusuchen haben, auch das scheint keine schwere Frage. So wie neben der wahren Philosophie auch unter den Schülern des Sokrates auf der einen Seite die bloße Empirie von einer niedern Denkungsart ausgehend bald wieder überhand nahm, und hiegegen Platon vorzüglich polemisiert im »Gorgias« und »Theaitetos«, indem er zeigt, daß die Idee des Guten nicht abstrahiert sei von dem Gefühl des Angenehmen, und die Erkenntnis nicht abstamme von der sinnlichen Wahrnehmung oder auch der richtigen Vorstellung: so nahm auch auf der andern Seite unter ihnen wieder überhand das gehaltlose Spiel mit den ebenfalls durch Gesinnungslosigkeit ausgeleerten Formen der Philosophie, welches kaum einen andern Gegenstand behält, an den es sich heften kann, als die Sprache. Auch diese Ausartung kann von den beiden Gegensätzen, welche Platon immer im Auge hat, nur dem einen, der Ionischen Lehre zufallen; sie muß aber im Zusammenhange mit dieser gedacht auf eine zwiefache Weise erscheinen. Einmal nämlich, in wiefern diese Lehre skeptisch ist gegen das Wissen als ein Bestehendes, und in sofern mißbrauchte sie die Formen der Sprache, um alles in unauflöslicher Verwirrung und in unstetem Schwanken darzustellen, welches eben dasjenige ist was Platon uns im »Euthydemos« in seiner Nichtigkeit vorhält, und was der in der megarischen und eretrischen Schule wieder auflebenden Sophistik zur Last fällt. Dann aber auch, in wiefern diese Lehre selbst dogmatisch sein will, und daher nicht übel tat, wenn sie es konnte, zu zeigen, daß auch die Sprache, wenn sie gleich die Gegenstände festzuhalten scheine, doch in diesem Geschäfte des Benennens selbst durch die Art ihres Verfahrens den unaufhörlichen Fluß aller Dinge anerkenne. Allein hiebei scheint uns fast die Geschichte zu verlassen. Denn daß die Sprache als Begründungsmittel oder Kanon der Erkenntnis auf gewisse Weise gebraucht worden, zeigt sich uns nicht eher als in der überwiegenden grammatischen Tendenz der stoischen Schule; und diese einzige Spur sollte man fast glauben nicht verfolgen zu dürfen. Allein wenn man, damit wir uns nicht tiefer ins Einzelne und in verborgenen Anzeichen verlieren, nur bedenkt, wie vieles die Naturlehre der Stoiker aus dem Herakleitos entlehnt hat; wie Antisthenes als der Stifter nicht der Kyniker allein, sondern auch der Stoiker zu betrachten ist, nur daß diese mehr auf den Platon zurückgegangen sind, von welchem sich jener, durch persönlichen Zwist verleitet, weiter getrennt hatte, als vielleicht ihre wissenschaftlichen Ansichten notwendig gemacht hätten; wenn man hinzunimmt, daß Antisthenes das Werk des Herakleitos soll ausgelegt haben, ohne daß doch eine besondere Schrift von ihm darüber namhaft gemacht wird, dagegen aber mehrere unter seinen Werken vorkommen, welche offenbar die Sprache zum Gegenstand haben: so kann man kaum zweifeln, wer der eigentliche Gegenstand dieser Polemik sei.
Und hieraus erklärt sich auch bald, warum, ungeachtet der unmittelbare Gegenstand nur so unvollständig behandelt werden konnte, der »Kratylos« dennoch ein eignes Ganze geworden ist, und ein gerade so gebildetes. Nämlich das Verhältnis der Sprache zur Erkenntnis, worauf es vorzüglich ankam, beruht offenbar ganz auf der im »Theaitetos« vorgetragenen Lehre vom Unterschied der Erkenntnis und der richtigen Vorstellung. Denn die Sprache, wie sie wirklich gegeben ist, steht hier ganz auf derselben Linie mit der Vorstellung, ja ist eigentlich ganz eins und dasselbe mit ihr; eben so sind die Wörter Zeichen und Abbild der Dinge, eben so ist ein genauer und undeutlicher, reiner und unreiner, heller und dunkler Abdruck in ihnen möglich, eben so ist dem Irrtum in beiden sein Gebiet ausgespürt durch verwechselte Beziehung, ja sogar darin, daß auf die Zahlen als auf ein besonderes Objekt aufmerksam gemacht wird, stimmen beide überein. Dennoch wird Jeder der sich erinnert, welche Stelle dieser Unterschied im »Theaitetos« einnimmt, gestehen, daß das Wesentliche des »Kratylos« keinesweges als eine Abschweifung in jenes Gespräch konnte aufgenommen werden. Um so weniger auch darum, weil Platon eigentlich, um das zu sagen worauf es ihm ankam, auch das Resultat des »Menon« bedurfte, welches wir hier auch vorausgesetzt finden, daß nämlich die Erkenntnis eigentlich nicht durch Übertragung aus Einem in den Andern übergehe, sondern finden und lernen für Jeden dasselbe sei, nämlich Erinnern. Eben so knüpft sich das festzusetzende Verhältnis zwischen Sprache und Erkenntnis auch besonders noch an die Polemik gegen das wunderbare alles verwirrende Läugnen des Irrtums auf dem Gebiet der Vorstellung, welche Polemik wir im »Theaitetos« begonnen und im »Euthydemos« fortgesetzt finden. Nehmen wir nun den Reiz hinzu, den feindseligen Antisthenes mit einem vollen Maße Spottes zu überschütten; so sehen wir gleichsam den »Kratylos« aus dem »Theaitetos« und »Euthydemos« sich als ein eignes Ganze herausbilden, und durch seinen Charakter sowohl als durch das was sich dem unmittelbaren Gegenstande anhängt, seine Stelle in dieser Reihe Platonischer Werke sich sichern; denn er ist eben so wenig als der »Euthydemos« einer persönlichen Polemik allein gewidmet. Auch enthält er nicht nur Nachträge und Erläuterungen zu diesem und dem »Theaitetos« – wie zum Beispiel bald anfangs die bestimmt wiederholte Erklärung gegen den Protagoras von einem Punkt aus, wo er ihm, um das Gespräch weiter zu bringen, im »Theaitetos« selbst noch einen Ausweg gebahnt hatte, und gleich darauf die Art, wie er das eigentümliche Wesen der im »Euthydemos« dargestellten Sophistik beschreibt, und weiterhin, wo der im »Theaitetos« auch fallen gelassene Unterschied zwischen einem Ganzen und einem Gesamten aus dem Gegensatz des qualitativen und quantitativen erklärt wird, und mehr dergleichen Einzelheiten. Eben so wenig kann man sagen unser Gespräch lege nur die Einheit des theoretischen und praktischen eben so dar, wie wir sie durch den »Theaitetos« und »Gorgias« und ihr Verhältnis zu einander gefunden haben – wiewohl auch dies geschieht teils durch einzelne Andeutungen in dem etymologischen Teile, die sehr bestimmt an den »Gorgias« erinnern, teils durch die Art, wie auch hier zuletzt die Realität des Schönen und Guten an die des Wissens sich anschließt. Sondern außer allem diesem führt der »Kratylos« auch auf dieselbe Weise, wie es der Charakter dieser Reihe mit sich bringt, die wissenschaftlichen Zwecke des Platon weiter. Vorzüglich zweierlei ist hieher zu rechnen. Zuerst die Lehre von dem Verhältnis der Bilder zu den Urbildern, wobei in der Tat die Sprache und ihr Verhältnis zu den Dingen nur als Beispiel zu betrachten ist, wodurch aber Platon eigentlich eine Ansicht der Lehre von den Ideen und ihrem Verhältnis zur erscheinenden Welt zuerst aufgestellt hat, welche unmittelbar vorbereitend ist auf den »Sophistes«. Zweitens wird, so wie im »Euthydemos« die königliche Kunst aufgestellt ist, deren Gegenstand nur das Gute schlechthin sein kann, als das um seiner selbst willen seiende in der Identität des Gebrauchs und der Hervorbringung, alle andern einseitig nur hervorbringenden oder gebrauchenden Künste aber lediglich ihre Organe sind und ihre Untergebenen: so wird hier auf der andern Seite vorgestellt die Dialektik als die Kunst, deren Gegenstand das Wahre schlechthin ist in der Identität des Erkennens und Darstellens, alles andere hiehergehörige aber, und vorzüglich die Vorstellung und die Sprache nur ihr Organ. Diese Parallele nun zieht sichtlich das Band zwischen jenen scheinbar entgegengesetzten enger zusammen, und eine Stufe höher gestellt erblicken wir schon deutlicher auf dem Gipfel den Philosophen als die Einheit des Dialektikers und des Staatsmannes. Ja in dieser Beziehung ist auch noch auf eine besondere Art der »Kratylos« in Verbindung gesetzt mit dem »Gorgias« durch die wunderliche und dunkle, gewiß aber nur aus unserer Ansicht des Ganzen verständliche, Analogie, welche hier aufgestellt ist zwischen Gesetz und Sprache, indem wiederholt gesagt wird, die Sprache sei da durch ein Gesetz, so daß Gesetzgeber und Wortbildner fast als Eins angesehen werden. Herbeigeführt ist dies dadurch, daß, wie Hermogenes sagt, die Sprache sei nur als ein Werk der Willkür und der Verabredung anzusehen, Verabredung aber, auch stillschweigende, und Gesetz mehr in einander laufen bei den Hellenen als bei uns, eben so die Sophisten und die Aristippische Schule auch die sittlichen Begriffe für ein Werk der Willkür, und nur von außen durch die Anordnungen des Gesetzgebers und eben vermittelst der Sprache hineingebrachtes erklärten; Platon hingegen in dem sittlichen Urteil wie in der Sprache dieselbe innere Notwendigkeit findet, welche aber auch in beiden auf gleiche Art nur durch den Wissenden allein kann rein und vollkommen dargestellt werden. Und geht man dieser Andeutung nach: so eröffnet sich auch für das, was von dem willkürlichen Element in den Werken des Gesetzgebers gesagt wird, eine weitere Anwendung. Was nun den etymologischen größtenteils ironischen Teil betrifft, wiewohl sich hier ebenfalls, wenn auch nicht in den Etymologien, wenigstens doch in den Erklärungen derselben, manches ernsthaft gemeinte zerstreut findet: so würde man wie mild und treu, oder wie unbarmherzig und übertrieben die spottende Nachbildung ist, am besten beurteilen können, wenn uns die erwähnten Schriften des Antisthenes, besonders die vom Gebrauch der Wörter übrig geblieben wären, wo wir auch wahrscheinlich den Euthyphron wieder finden und Aufschluß über ihn erhalten würden. Denn wenn er nicht eine Person aus einem verspotteten Gespräch ist, so ist gar nicht abzusehen, wie er hieher kommt. Was aber das vorzüglichste ist, wir würden dann besser sehen können, was für andere Beziehungen hier noch mögen versteckt liegen. Denn gewiß ist auch hier nicht alles auf den Einen gerichtet, der der Gegenstand des Spottes ist, sondern wie wir es auch bei dem »Euthydemos« gesehen haben, auch Selbstverteidigung wird manches sein. Dies ist hier um so einleuchtender, da die Art, wie Platon die Sprache spielend gebraucht, Tadler genug mag gefunden haben, unter denen zumal, welche manches von diesem Spiel nicht sehr verschiedenes ernsthaft gebrauchten zu Beweisen ihrer Meinungen. Auch von dieser Seite muß es natürlich sein, hier das Spiel recht auf die Spitze getrieben zu sehen, und gleichsam das letzte epideiktische dieser Art in unserem Gespräch zu finden, worin wunderliche Erklärungen, die anderwärts her genommen sind durch noch wunderlichere eigene überboten werden. Dieser etymologische Teil ist nun das Kreuz des Übersetzers geworden, und es hat ihm lange zu schaffen gemacht, einen Ausweg zu finden. Überall die griechischen Wörter hineinzubringen, schien unerträglich, und besser, den einmal deutsch redenden Sokrates deutsches deutsch ableiten zu lassen. Dagegen war dies mit den Eigennamen nicht möglich zu machen, sondern hier mußte die Ursprache beibehalten werden, und indem nun beide Verfahrungsarten neben einander stehen, wird der Leser wenigstens Gelegenheit haben sich zu freuen, daß nicht irgend eine ausschließend durch das Ganze hindurchgeht. Wie nun aber hier in Masse heraustritt was sonst nur einzeln vorkommt: so tritt dagegen, man kann es nicht läugnen, die Kunst der dialogischen Komposition etwas zurück; und wenn man den »Kratylos« mit dem »Euthydemos« vergleicht, dem er in so mancher Hinsicht am nächsten steht, so schlingt sich weit schöner in letzterem der Spott und der Ernst durcheinander. Hier hingegen scheint Platon fast ermüdet zu sein von der Fülle des philologischen Scherzes, so hart und abgebrochen sind im letzten Teile des Gespräches die Übergänge; bald kehrt er nach kurzen Abschweifungen zu dem vorigen zurück, mehr als ob es ein neues wäre, als mit Beziehung auf das schon gesagte; bald bringt er wirklich neues vor, aber völlig unvorbereitet hart an das vorige gesetzt, auf eine Art von welcher man, wenn man bei dergleichen Stellen allein stehen bleibt, fast zweifeln möchte, ob sie platonisch wäre. Von da an vorzüglich, wo die Bedeutung der Buchstaben aus einander gesetzt worden, wird dies recht merklich. Allein das Ganze läßt keinerlei Zweifel an seiner Ächtheit zu, und man kann höchstens sagen, Platon sei von da an nur ungern zu seinem Gegenstande zurückgekehrt und habe was noch zu sagen war, so leicht als möglich hingeworfen. Von den Personen des Dialogs ist leider wenig zu sagen; Hermogenes als nicht reicher Bruder des reichen Kallias bekannt auch aus dem Xenophon; Kratylos wird nicht nur als Schüler des Herakleitos, sondern auch als Jugendlehrer des Platon genannt, eine Nachricht die freilich die Autorität der Aristotelischen »Metaphysik« für sich hat, zum Glück aber zu wenig Einfluß auf unser Gespräch, als daß wir nötig hätten sie hier genauer zu prüfen.