Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Platons Werke. Zweiter Theil
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

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Der Staatsmann

Sokrates • Theodoros • Der Fremd • Sokrates der jüngere

(257) Sokrates: Wahrlich viel Dank bin ich dir schuldig, o Theodoros, für die Bekanntschaft mit dem Theaitetos, und auch für die mit dem Fremden.

Theodoros: Und dreifachen wirst du vielleicht schuldig sein, wenn sie dir erst den Staatsmann werden fertig gemacht haben und den Philosophen.

Sokrates: Wohl! Sollen wir sagen, lieber Theodoros, daß wir dieses so gehört haben von dem ersten Meister in den Rechnungen und in der Meßkunst?

Theodoros: Wie so, Sokrates?

Sokrates: Daß er diese Männer alle gleich geschätzt hat, die doch ihrem Werte nach weiter von einander abstehen als nach dem von eurer Kunst benannten Verhältnis?

Theodoros: Gar schön bei unserm Gott dem Ammon, o Sokrates, und sehr recht hast du mir das aufgefaßt, und mir meinen Rechnungsfehler vorgeworfen. Und dich will ich ein andermal schon dafür heimsuchen; du aber, Fremdling, laß ja noch nicht ab uns gefällig zu sein, sondern wie es dir lieber ist, sei es zuerst den Staatsmann oder den Philosophen, nimm uns nach einander durch.

Fremder: Das müssen wir wohl tun, Theodoros; weil wir es einmal unternommen haben, dürfen wir nicht eher ablassen bis wir mit ihnen zu Ende gekommen sind. Allein wie soll ich es mit unserem Theaitetos halten?

Theodoros: Weshalb?

Fremder: Sollen wir ihn nun ausruhen lassen, und diesen seinen Mitschüler Sokrates zuziehen? oder was rätst du?

Theodoros: Wie du sagtest, ziehe diesen zu. Denn jung wie sie sind, werden sie jede Anstrengung leichter tragen, wenn sie dazwischen ruhen.

Sokrates: Mit mir, o Fremdling, scheinen ja beide eine gewisse Verwandtschaft zu haben. Denn von dem Einen sagt Ihr Ihr fändet seine Gesichtszüge den meinigen ähnlich, und an dem andern stellt schon der gleichlautende Name und die (258) Anrede eine Angehörigkeit dar. Und Verwandte muß man allewege auch im Gespräch gern kennen lernen. Mit dem Theaitetos nun bin ich selbst gestern im Gespräch begriffen gewesen, und jetzt habe ich ihn dir antworten gehört; den Sokrates aber keines von beiden, und ich muß doch auch diesen in Augenschein nehmen. Mir also soll er ein andermal, dir aber jetzt antworten.

Fremder: So sei es. Und du, o Sokrates, hörst du was Sokrates sagt?

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Und stimmst auch ein zu dem was er sagt?

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: Von deiner Seite scheint also nichts im Wege zu stehen, und noch weniger soll wohl von der meinigen im Wege stehen. Also nach dem Sophisten ist nun notwendig, wie mir scheint, daß wir den Staatsmann aufsuchen. Und sage mir, ob wir ihn auch als einen Kundigen setzen wollen, oder wie?

Der jüngere Sokrates: Allerdings so.

Fremder: Also müssen wir die Kenntnisse einteilen, wie da wir den ersten betrachteten.

Der jüngere Sokrates: Freilich wohl.

Fremder: Aber nicht, wie mich dünkt, Sokrates, nach demselben Schnitt.

Der jüngere Sokrates: Wie sonst?

Fremder: Nach einem andern lieber?

Der jüngere Sokrates: Das läßt sich hören.

Fremder: Wo findet nun aber wohl einer den Pfad der Staatskunst? Denn wir müssen ihn finden und ihn dann ausgesondert von den übrigen in eine eigne Idee ausdrücken, und die übrigen Ausgänge auch mit Einem andern Begriff bezeichnend bewirken, daß unsere Seele sich alle Erkenntnisse in zwei Arten denke.

Der jüngere Sokrates: Das wird nun schon, denke ich, dein Geschäft, Fremdling, und nicht das meinige.

Fremder: Es muß ja doch, o Sokrates, auch deines sein, wenn es uns klar geworden ist.

Der jüngere Sokrates: Schön gesagt.

Fremder: Ist nun nicht die Rechenkunst und einige andere ihr verwandte Künste ganz kahl von Handlung, und bewirkt uns bloß eine Einsicht?

Der jüngere Sokrates: So ist es.

Fremder: Die Tischerei aber und alle andern Handwerke haben die Erkenntnis in Handlungen einwohnend, mit ihnen zusammengewachsen und gemeinschaftlich zu Stande bringend die durch sie entstehenden körperlichen Dinge, welche vorher nicht waren.

Der jüngere Sokrates: Wie sonst?

Fremder: Auf diese Art also teile uns sämtliche Erkenntnisse, und nenne die eine handelnde, die andere lediglich einsehend.

Der jüngere Sokrates: Wohl, diese sollen uns bestehen als der einen gesamten Erkenntnis beide Arten.

Fremder: Setzen wir nun den Staatsmann, den König, den Herrn und noch den Hauswirt alles als Eins unter eine Benennung? oder sollen wir sagen dies wären soviel Künste als wir Namen genannt haben? Doch folge mir lieber hieher.

Der jüngere Sokrates: Wohin?

Fremder: So. Wenn einen von den öffentlich angestellten (259) Ärzten einer gut zu beraten weiß, der selbst kein solcher ist, muß man ihm nicht dennoch den Namen derselben Kunst beilegen, wie dem, welchem er Rat erteilt?

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Und wie? wer den Beherrscher eines Landes zurechtzuweisen versteht, werden wir nicht sagen, daß der, wenn gleich er nur für sich lebt, die Erkenntnis hat die der regierende selbst besitzen sollte?

Der jüngere Sokrates: Das werden wir sagen.

Fremder: Aber die Erkenntnis und Kunst des wahren Königes ist doch die königliche?

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Und wer diese besitzt wird der nicht, er mag nun ein Herrscher sein oder nicht, doch seiner Kunst nach mit Recht ein Herrscher genannt werden?

Der jüngere Sokrates: Billig wäre es wohl.

Fremder: Und Hausvater und Herr ist doch dasselbe?

Der jüngere Sokrates: Wie anders?

Fremder: Und wie? sollten wohl ein Hauswesen von weitläufigem Umfang und eine Stadt von geringem Belang sich bedeutend von einander unterscheiden was die Regierung derselben betrifft?

Der jüngere Sokrates: Wohl gar nicht.

Fremder: Also ist, was wir eben in Erwägung zogen, deutlich, daß es nur Eine Erkenntnis für dies alles gibt. Diese mag nun einer die königliche Kunst oder die Staatskunst oder die Wirtschaftskunst nennen, wir wollen nicht mit ihm darüber streiten.

Der jüngere Sokrates: Wozu auch?

Fremder: Allein soviel ist doch gewiß, daß jeder König mit den Händen und mit dem ganzen Leibe gar wenig zur Befestigung seiner Herrschaft vermag in Vergleich mit der Einsicht und der Stärke der Seele.

Der jüngere Sokrates: Gewiß.

Fremder: Mehr der einsichtigen wollen wir also doch lieber sagen als der handarbeitenden und überhaupt verrichtenden sei der König angehörig?

Der jüngere Sokrates: Wie anders?

Fremder: Also die Staatskunst und den Staatsmann und die Herrscherkunst und den Herrscher, dies alles wollen wir als dasselbige in Eins zusammenstellen.

Der jüngere Sokrates: Gewiß.

Fremder: Würden wir nun nicht weiter kommen, wenn wir nächst diesem die einsichtige Erkenntnis trennten?

Der jüngere Sokrates: Freilich wohl.

Fremder: Gib also recht Acht, ob wir irgendwo an ihr ein Gelenk bemerken.

Der jüngere Sokrates: Sage nur was für eins.

Fremder: Ein solches. Wir hatten doch eine Rechenkunst.

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Die doch auf alle Weise zu den einsichtigen Künsten gehörte?

Der jüngere Sokrates: Wie sollte sie nicht?

Fremder: Und wenn die Rechenkunst den Unterschied in den Zahlen eingesehen, schreiben wir ihr noch ein anderes Werk zu als nur das eingesehene zu beurteilen?

Der jüngere Sokrates: Woher wohl?

Fremder: Aber jeder Baumeister ist doch auch nicht selbst Arbeiter, sondern gebietet nur den Arbeitern.

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Und gibt also doch seine Einsicht dazu her, nicht seiner Hände Arbeit.

Der jüngere Sokrates: So ist es.

Fremder: Mit Recht also würde man sagen, er habe Teil an der bloß einsichtigen Erkenntnis.

(260) Der jüngere Sokrates: Freilich.

Fremder: Diesem nun meine ich, liegt doch ob, nicht nach abgeurteilter Sache am Ende zu sein und sich loszusagen, wie der Rechner sich lossagte, sondern allen und jeden Arbeitern das zweckdienliche anzugeben, bis sie das Aufgegebene vollendet haben.

Der jüngere Sokrates: Richtig.

Fremder: Einsehende sind also sowohl diese insgesamt als auch jene die der Rechenkunst folgen, und nur durch Beurteilung und Anordnung unterscheiden sich diese beiden Arten von einander.

Der jüngere Sokrates: Das scheinen sie.

Fremder: Wenn wir also die gesamte einsichtige Erkenntnis teilend, das eine Glied die beurteilende, das andere die gebietende nennten: so könnten wir sagen, das sei ganz angemessen geteilt.

Der jüngere Sokrates: Nach meiner Meinung wenigstens.

Fremder: Aber die etwas gemeinschaftlich verrichtenden, können immer zufrieden sein wenn sie unter sich übereinstimmen.

Der jüngere Sokrates: Wie sollten sie nicht?

Fremder: So lange es also uns beiden hieran nicht fehlt, wollen wir uns unbekümmert darum lassen, was Andere meinen.

Der jüngere Sokrates: Gerne.

Fremder: Wohlan denn, in welche von diesen beiden Künsten sollen wir den Herrscher stellen? Etwa in die beurteilende wie einen Zuschauer? oder sollen wir lieber sagen daß er zu der gebietenden Kunst gehöre, da er ja doch Herr ist?

Der jüngere Sokrates: Wie sollten wir nicht lieber dies?

Fremder: Die gebietende Kunst müssen wir also nun wieder betrachten ob sie sich wo trennt. Und mich dünkt allerdings, so ohngefähr wie die Kunst der eigentlichen Kaufleute sich absondert von der Kunst der Eigenhändler, so auch das Geschlecht der Herrscher von dem der Herolde sich auszusondern.

Der jüngere Sokrates: Wie das?

Fremder: Fremde Arbeiten, die ihnen zuvor verkauft worden, nehmen doch die Kaufleute und verkaufen sie zum zweitenmale wieder?

Der jüngere Sokrates: Freilich.

Fremder: So auch die vom Stamm der Herolde lassen sich fremde Gedanken auftragen, und tragen sie zum zweitenmale Andern auf.

Der jüngere Sokrates: Ganz richtig.

Fremder: Wie also? wollen wir die Herrscherkunst in Eins vermengen mit der dolmetschenden, Befehle ausrufenden, oder mit der Wahrsagekunst und Heroldskunst und vielen andern verwandten Künsten, denen ebenfalls ein Gebieten zukommt? oder sollen wir dem womit wir die Sache eben verglichen auch den Namen nachbilden, da ohnedies fast unbenannt ist die Gattung der Eigengebietenden? und also auf diese Weise teilen, daß wir das ganze Geschlecht der Könige in die selbstgebietende Kunst stellen, um die übrigen aber uns gar nicht weiter bekümmernd Andern überlassen ihnen einen Namen beizulegen? Denn nur auf den Herrscher ging unsere Untersuchung, nicht auf das entgegengesetzte.

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

(261) Fremder: Also da sich dies ziemlich von jenem unterscheidet, ausgesondert durch das Verhältnis der Fremdheit zur Eigentümlichkeit, so müssen wir auch dieses wiederum trennen, wenn es irgendwo nachgeben will, daß wir durchschneiden können.

Der jüngere Sokrates: Freilich.

Fremder: Und das scheint es ja zu wollen. Folge mir nur und schneide mit.

Der jüngere Sokrates: Wo denn?

Fremder: Wen wir uns nur immer als Herrscher denken, der ein Gebieten anwendet, werden wir nicht immer finden, daß der, damit irgend etwas entstehe, gebietet?

Der jüngere Sokrates: Weshalb sonst?

Fremder: Alles entstehende aber in zwei Teile zu sondern ist gar nicht schwer.

Der jüngere Sokrates: Wie doch?

Fremder: Nimmst du es nämlich insgesamt, so ist einiges davon beseelt, anderes unbeseelt.

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Und eben hiernach laß uns der einsichtigen Erkenntnis gebietenden Teil, wenn wir ihn zerschneiden wollen, zerschneiden.

Der jüngere Sokrates: Wonach?

Fremder: Indem wir einiges davon den Entstehungen des Unbeseelten zueignen, anderes denen des beseelten, und so wird das Ganze in zwei Teile geteilt sein.

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: Den einen Teil davon lassen wir liegen, den anderen nehmen wir auf, und nachdem wir ihn aufgenommen, teilen wir ihn wieder in zwei Teile.

Der jüngere Sokrates: Welchen von beiden meinst du aber sollen wir aufnehmen?

Fremder: Offenbar doch den über das lebendige gebietenden. Denn die königliche Kunst hat ja nicht etwa unbeseeltes anzuordnen wie die Baukunst: sondern edlerer Art besitzt sie an dem lebendigen und über dieses immer ihre Macht.

Der jüngere Sokrates: Richtig.

Fremder: Und die Entstehung und Ernährung des Lebendigen könnte man ansehn teils als vereinzelte, teils als eine gemeinschaftlich über das in Herden lebende Vieh sich erstreckende Sorgfalt.

Der jüngere Sokrates: Richtig.

Fremder: Aber den Staatsmann werden wir doch nicht mit wenigen einzelnen beschäftiget finden wie den Ochsenjungen oder Reitknecht, sondern mehr gleicht er einem der Pferdezucht und Rindviehzucht im Großen treibt.

Der jüngere Sokrates: Das leuchtet mir ein, nun es gesagt ist.

Fremder: Wollen wir also von Aufziehung des Lebendigen die gemeinsame Wartung vieler zugleich die Gemeinzucht oder Herdenzucht nennen?

Der jüngere Sokrates: Wie sich beides in der Rede am besten treffen mag.

Fremder: Sehr gut, Sokrates. Und wenn du dich davor hütest es nicht zu ernsthaft zu nehmen mit den Worten, wirst du wenn du älter wirst reicher sein an Einsicht. Jetzt also wollen wir es wie du rietest machen. Die Herdenzucht aber siehst du leicht wie die einer als zwiefach darstellen, und das jetzt im doppelten gesuchte uns dann nur in der Hälfte wird suchen lassen.

(262) Der jüngere Sokrates: Ich will es versuchen, und mich dünkt eine andere zu sein die Auferziehung der Menschen und eine andere die der Tiere.

Fremder: Recht wacker und frisch hast du das geteilt. Aber daß uns doch dies wo möglich nicht noch einmal begegne.

Der jüngere Sokrates: Was doch?

Fremder: Daß wir nicht ein kleines Teilchen allein von vielen und großen anderen aussondern, und nie ohne einen Begriff; sondern jeder Teil habe zugleich seinen eignen Begriff. Denn am schönsten ist das freilich aus allem übrigen gleich das gesuchte herauszusondern, wenn es sich richtig damit verhält; so wie du eben glaubend daß die Einteilung sich verhalte uns die Rede beschleuniget hast, weil du sähest, daß sie auf den Menschen losging. Aber Lieber, schnitzeln ist hier nicht sicher, sondern weit sicherer mitten durchschneiden. So trifft man auch mehr auf Begriffe, und darauf kommt doch Alles an bei Untersuchungen.

Der jüngere Sokrates: Wie meinst du das nur, Fremdling?

Fremder: Ich will versuchen es noch deutlicher zu erklären, Sokrates, aus Wohlgefallen an deiner Gemütsart. An dem jedoch was uns jetzt vorliegt ist unmöglich es ohne Mangel deutlich zu machen; laß uns aber versuchen die Sache noch um ein klein weniges weiter vorwärts zu bringen der Deutlichkeit wegen.

Der jüngere Sokrates: Was meinst du also hätten wir eben bei unserer Einteilung nicht recht gemacht?

Fremder: Dieses, wie wenn jemand das menschliche Geschlecht in zwei Teile teilen wollte, und täte es wie hier bei uns die Meisten zu unterscheiden pflegen, daß sie das Hellenische als Eines von allem übrigen absondern für sich, alle andern unzähligen Geschlechter insgesamt aber, die gar nichts unter einander gemein haben und gar nicht übereinstimmen, mit einer einzigen Benennung Barbaren heißen, und dann um dieser einen Benennung willen auch voraussetzen, daß sie Ein Geschlecht seien. Oder wenn einer glaubte die Zahl in zwei Arten zu teilen, wenn er aus dem Ganzen eine Myriade herausschnitte, die er als eine Art absonderte, und dann alles übrige ebenfalls mit einem Worte bezeichnen und wegen dieser Benennung hernach glauben wollte, dieses sei nun mit Ausnahme von jenem die andere Art davon. Besser aber und mehr nach Arten und in die Hälften hätte er sie geteilt, wenn er die Zahl in gerades und ungerades zerschnitten, und so auch das menschliche Geschlecht in männliches und weibliches. Lydier aber und Phrygier und so mehrere allen übrigen entgegenstellen und abschneiden könnte er dann, wenn er aufgeben müßte Teil und Art zugleich zu finden beim Zerschneiden.

(263) Der jüngere Sokrates: Ganz richtig. Aber eben dieses, Fremdling, wie kann einer das recht deutlich einsehen, daß Teil und Art nicht dasselbe sind, sondern jedes etwas anderes?

Fremder: O bester Mann, das ist keine schlechte Aufgabe. Wir aber sind schon jetzt weiter als billig von unserer vorgesetzten Rede abgeschweift, und du verlangst wir sollen noch weiter abschweifen. Daher laß uns jetzt nur, wie es sich gehört, zurückkehren; dieser Spur aber wollen wir ein andermal mit Muße nachgehn. Nur das nimm ja in Acht, daß du nicht etwa meinest hierüber etwas genau bestimmtes von mir gehört zu haben.

Der jüngere Sokrates: Worüber denn?

Fremder: Daß Art und Teil von einander verschieden sind.

Der jüngere Sokrates: Aber wie?

Fremder: Daß nämlich, wenn es eine Art von etwas gibt eben dieses notwendig auch ein Teil desselben Gegenstandes sein wird, wovon es eine Art genannt wird, daß aber, was ein Teil sei auch eine Art sein müsse, gar nicht notwendig ist. So sage immer lieber daß ich mich erklärt hätte als anders.

Der jüngere Sokrates: Das will ich tun.

Fremder: Sage mir nun aber auch das nächste.

Der jüngere Sokrates: Was doch?

Fremder: Wegen der Abschweifung, von wo sie uns hieher geführt hat. Ich glaube nämlich es war eigentlich als du befragt wie die Herdenzucht wohl zu teilen wäre so rasch antwortetest es gebe zwei Gattungen des lebendigen, eine die menschliche, und die aller übrigen Tiere insgesamt die andere.

Der jüngere Sokrates: Richtig.

Fremder: Und damals schienst du mir wenigstens, obschon du nur einen Teil herausgenommen, zu glauben, daß du alles übrige auch wieder als Eine Art zurückließest, weil du für Alle einerlei Namen hattest sie damit zu benennen, und sie Tiere hießest.

Der jüngere Sokrates: So war es auch.

Fremder: Allein so würde vielleicht, mein wackerster Sokrates, wenn es noch ein anderes verständiges Tier gäbe wie man die Kraniche dafür hält, oder irgend ein anderes solches auf gleiche Weise seine Benennungen bilden wie du, so daß es die Kraniche als Eine Gattung allem übrigen lebendigen entgegensetzte und sich selbst rühmend heraushöbe, alle übrigen aber mit Inbegriff des Menschen in Eins zusammenfaßte, und ebenfalls nicht besser als etwa Tiere nennete. Deshalb wollen wir uns bemühen dergleichen alles zu vermeiden.

Der jüngere Sokrates: Wie doch?

Fremder: Indem wir nicht gleich alles Lebendige insgesamt teilen, damit uns das weniger begegne.

Der jüngere Sokrates: Das darf es freilich nicht.

Fremder: Aber auch jenes Mal schon war auf dieselbe Art gefehlt worden.

Der jüngere Sokrates: Wie das?

Fremder: Unser gebietender Teil der Einsicht hatte es doch in der Gattung der Auferziehung des lebendigen mit dem in Herden lebenden zu tun. Nicht wahr?

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Also war uns schon damals das gesamte lebendige (264) eingeteilt in zahmes und wildes. Denn die es in der Art haben sich aufziehn und bändigen zu lassen nennen wir zahme, die dieses nicht haben, wilde.

Der jüngere Sokrates: Schön.

Fremder: Die Erkenntnis nun der wir nachspüren, hatte es und hat es noch mit den zahmen zu tun, und muß unter dem geselligen Vieh gesucht werden.

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Laß uns also nicht so teilen wie damals, daß wir auf das Ende sehen oder eilen, um nur geschwind zur Staatskunst zu kommen. Denn deshalb ist es uns auch jetzt nach dem Sprichwort ergangen.

Der jüngere Sokrates: Nach welchem?

Fremder: Daß weil wir uns nicht genug verweilt und gut eingeteilt haben, wir später fertig geworden sind.

Der jüngere Sokrates: Da ist es uns ganz recht ergangen, Fremdling.

Fremder: Gut denn, so laß uns noch einmal anfangen die Gemeinzucht einzuteilen; vielleicht wird auch das worauf du ausgehst die gehörig durchgeführte Rede selbst dir nur noch schöner herausbringen. Sage mir also.

Der jüngere Sokrates: Was denn?

Fremder: Dieses, ob du wohl schon von jemand gehört hast, denn selbst weiß ich daß du nicht dabei gewesen bist wie die Fische im Nil gefüttert werden und in den Teichen des großen Königes. In Quellen aber hast du es vielleicht selbst gesehen?

Der jüngere Sokrates: Allerdings habe ich dies gesehen und jenes von Vielen gehört.

Fremder: Und wie Gänse und Kraniche zusammen weiden hast du, wenn du auch nicht die Thessalischen Ebenen durchstreift hast, doch wohl erfahren und glaubest es.

Der jüngere Sokrates: Wie sollte ich nicht!

Fremder: Deshalb aber habe ich dich dies alles gefragt, weil es Herdenzucht gibt auf dem Wasser und auch auf dem Trockenen.

Der jüngere Sokrates: Das gibt es allerdings.

Fremder: Dünkt dich also nicht auch, daß wir so sollten die Wissenschaft der Gemeinzucht teilen, um jedem von diesen beiden seinen eignen Teil anzuweisen, den einen die Schwimmtierzucht nennend, den andern die Landgängerzucht?

Der jüngere Sokrates: Mich auch.

Fremder: Zu welchem nun von beiden die Herrscherkunst gehöre dürfen wir nicht erst fragen; denn das sieht ja Jeder.

Der jüngere Sokrates: Freilich.

Fremder: Diesen Zweig der Herdenzucht aber, die Landgängerzucht kann wohl jeder teilen.

Der jüngere Sokrates: Wie?

Fremder: Wenn er geflügeltes und zu Fuß gehendes von einander trennt.

Der jüngere Sokrates: Vollkommen richtig.

Fremder: Und wie? ob es die Staatskunst mit dem zu Fuß gehenden zu tun hat, fragen wir danach erst? Oder meinst du nicht, daß auch der unverständigste dies bejahen würde?

Der jüngere Sokrates: Gewiß.

Fremder: Die Zucht des auf dem Lande gehenden nun muß wieder, wie die gerade Zahl wenn sie zerschnitten wird, in zwei Teilen erscheinen.

Der jüngere Sokrates: Offenbar.

Fremder: Nach der Seite nun wohin unsere Rede sich wendet glaube ich zwei gebahnte Wege zu sehen, einen schnelleren, wenn man einem großen Teil einen kleineren gegenüberstellt; (265) einen anderen der davon, was wir vorher sagten, daß man mitten durchschneiden müsse, mehr an sich hat, aber länger ist er freilich. Es steht also bei uns, welchen von beiden wir wollen, zu gehn.

Der jüngere Sokrates: Können wir denn nicht beide?

Fremder: Zugleich wenigstens nicht, du Wunderlicher, aber nach einander können wir es freilich.

Der jüngere Sokrates: Ich wähle also nach einander beide.

Fremder: Das geht auch gern; denn nur weniges ist uns noch übrig. Im Anfang freilich und als wir noch auf der Hälfte des Weges waren wäre die Aufgabe schwierig gewesen. Nun aber, da es dir so gefällt, wollen wir den längeren zuerst gehn. Denn so lange wir noch frischer sind, werden wir leichter darauf fortkommen. Die Einteilung nun siehe.

Der jüngere Sokrates: Sprich.

Fremder: Das Fußvolk unter den zahmen, was in Herden lebt, ist schon von Natur in zwei Teile geteilt.

Der jüngere Sokrates: Wonach?

Fremder: Daß einige ihrer Art nach ungehörnt sind, Andere hörnertragend.

Der jüngere Sokrates: Das ist deutlich.

Fremder: Teile also die Zucht des Fußvolkes so daß du jedem einen Teil gibst, und bediene dich dabei, wie wir auch schon früher getan, gleich der Erklärung; denn wenn du sie benennen willst wird es dir verwickelter geraten als gut ist.

Der jüngere Sokrates: Wie soll man also erklären?

Fremder: So, daß nachdem der gehenden Tiere Pflegekunst in zwei Teile geteilt worden, der einen Abteilung der gehörnte Teil des Herdenviehes angewiesen worden ist, der anderen der ungehörnte.

Der jüngere Sokrates: Dies sei nun so erklärt, denn es ist gewiß hinreichend deutlich gemacht.

Fremder: Dem Könige aber sehen wir doch gewiß an, daß er eine abgestutzte Herde ohne Hörner weidet.

Der jüngere Sokrates: Wie sollten wir das nicht sehen!

Fremder: Auch diese wollen wir also durchzureißen versuchen, um ihm das seinige zu geben.

Der jüngere Sokrates: Freilich.

Fremder: Sollen wir sie nun nach dem gespaltenen und ungespaltenen Hufe teilen, oder nach der reinen und vermischten Begattung? Du verstehst doch wohl?

Der jüngere Sokrates: Wie denn?

Fremder: Die Pferde und Esel haben es doch in der Art sich mit einander zu begatten?

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Was aber dann noch übrig ist von der einen Herde der zahmen vermischt sich nicht mit einander.

Der jüngere Sokrates: Richtig.

Fremder: Scheint dir nun die Sorgfalt des Staatsmannes auf Naturen von solcher vermischter Begattung zu gehen oder von reiner?

Der jüngere Sokrates: Von unvermischter offenbar.

Fremder: Diese müssen wir nun wie das vorige ebenfalls in zwei Hälften zerlegen.

Der jüngere Sokrates: Das müssen wir.

(266) Fremder: Nun aber ist uns schon das lebendige, sofern es zahm und gesellig ist, bis auf zwei Gattungen etwa ganz zerteilt; denn die Hunde lohnt es kaum als eine eigne Gattung unter den geselligen Tieren aufzuführen.

Der jüngere Sokrates: Freilich nicht. Wonach aber wollen wir die beiden scheiden?

Fremder: Wonach Ihr beide, Theaitetos und du, billig teilen müßt, da ihr euch mit der Meßkunst befaßt habt.

Der jüngere Sokrates: Wonach also?

Fremder: Nach der Diagonale und wiederum nach der Diagonale der Diagonale.

Der jüngere Sokrates: Wie meinst du das?

Fremder: Die Natur welche unserer Gattung eignet, ist die wohl für den Gang anders eingerichtet, als die Diagonale welche das zweifüßige Viereck bildet?

Der jüngere Sokrates: Nicht anders.

Fremder: Die Natur der übrig bleibenden Gattung aber vermag wiederum dasselbe wie die Diagonale unseres Viereckes, wenn sie doch auf zweimal zwei Füße eingerichtet ist.

Der jüngere Sokrates: Das ist sie freilich, und nun verstehe ich auch was du sagen willst.

Fremder: Überdies aber sehen wir nicht, daß uns etwas anderes, recht als käme es von solchen die im Lächerlichen Meister sind, begegnet ist mit dem eingeteilten?

Der jüngere Sokrates: Was doch?

Fremder: Daß mit unserer menschlichen Gattung gleichen Teil erhalten hat und also zwischen her läuft mit der edelsten unter allen zugleich die allerschlechteste?

Der jüngere Sokrates: Ich sehe wohl wie das gar närrisch herauskommt.

Fremder: Ist es denn aber nicht natürlich daß das langsamste zuletzt kommt?

Der jüngere Sokrates: Das freilich wohl.

Fremder: Und das bemerken wir nicht, daß noch viel lächerlicher unser König erscheint, indem er samt seiner Herde umherläuft und gleichen Schritt hält mit dem auf ein schlechtes Leben am meisten eingeübten?

Der jüngere Sokrates: Allerdings freilich.

Fremder: Aber nun eben, Sokrates, wird uns das noch besser deutlich was damals bei der Untersuchung über den Sophisten gesagt ward.

Der jüngere Sokrates: Was doch?

Fremder: Daß nämlich diesem Verfahren in der Rede weder an dem vortrefflicheren mehr liegt als an dem andern, noch sie das kleinere hintansetzt wegen des größeren, sondern immer ganz für sich die Sache zu Ende bringt wie es am richtigsten ist.

Der jüngere Sokrates: So scheint es.

Fremder: Nach diesem nun, damit du mir nicht zuvorkommst durch die Frage welches doch damals der kürzere Weg gewesen zur Erklärung des Königes, will ich selbst gleich vorangehn.

Der jüngere Sokrates: Sehr wohl.

Fremder: Ich meine nämlich, wir sollten gleich die Landgänger eingeteilt haben in zweifüßige und vierfüßige; und da wir dann die menschliche Gattung nur allein noch mit dem Federvieh zusammen die zweibeinige Herde bildend gefunden hätten, diese dann zerschneiden in einen nackten und einen gefiedererzeugenden Teil. Wäre sie nun so geteilt und dadurch die menschenhütende Kunst deutlich gezeigt worden, dann hätten wir unsern Staatsmann und König gebracht und wie den Wagenführer in den Staat hineingestellt, die Zügel desselben ihm übergebend, da hierin doch seine eigentümliche Kunst besteht.

(267) Der jüngere Sokrates: Sehr schön hast du mir wie die Hauptschuld die Erklärung ausgezahlt, und mir noch diesen Nebenweg wie die Zinsen beigelegt, wodurch sie nun ganz vollendet ist.

Fremder: Wohlan denn, fassen wir nun vom Anfang bis zum Ende alles noch einmal durchgehend die Namenerklärung der Kunst des Staatsmannes zusammen.

Der jüngere Sokrates: Wohl.

Fremder: Von der einsehenden Erkenntnis hatten wir also zuerst einen gebietenden Teil; von diesem nannten wir ferner durch Vergleichung darauf gebracht einen Teil den selbstgebietenden. Von dieser selbstgebietenden ward nun gar nicht als die kleinste Gattung die welche das lebendige aufzieht von uns abgeschnitten. Von dieser eine Art die Herdenzucht, von der Herdenzucht wiederum die Hütung der zu Fuß gehenden, und von dieser schnitten wir uns wieder besonders ab die Auferziehung der ungehörnten Gattung. Den nächsten Teil von dieser müßte nun einer wenigstens dreifach zusammenflechten, wenn er ihn in einen Namen befassen wollte, und müßte sie die Kunst der Hütung des unvermischt begatteten nennen. Von dieser ist nun der Abschnitt für die zweifüßige Herde der letzte übrig bleibende menschenhütende Teil, und selbst eben dieses gesuchte, was sowohl königliche als Staatskunst heißt.

Der jüngere Sokrates: Vollkommen richtig.

Fremder: Aber Sokrates, ist uns dies so wie du eben sagtest auch wirklich verrichtet?

Der jüngere Sokrates: Wie doch?

Fremder: Daß unser Gegenstand vollkommen richtig und befriedigend ist ausgeführt worden? oder fehlt nicht eben darin unsere Untersuchung daß die Erklärung zwar irgendwie gegeben, aber keinesweges vollkommen gründlich ist ausgeführt worden?

Der jüngere Sokrates: Wie meinst du das?

Fremder: Ich will versuchen uns beiden was ich denke jetzt noch deutlicher zu machen.

Der jüngere Sokrates: Das tue nur.

Fremder: Nicht wahr, unter vielen hütenden Künsten die sich uns eben gezeigt hatten war Eine die Staatskunst, die Sorgfalt für Eine gewisse Herde?

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Und unsere Erklärung bestimmte, sie wäre nicht die Zucht der Pferde noch anderer Tiere, sondern die Wissenschaft der Gemeindezucht der Menschen?

Der jüngere Sokrates: So war es.

Fremder: Laß uns nun den Unterschied zwischen allen übrigen Hütern und den Königen betrachten.

Der jüngere Sokrates: Was für einen?

Fremder: Ob nicht mancher Andere von einer anderen Kunst benannte mit jenem zugleich an der Aufziehung der Herde Anteil zu haben behauptet und sich anmaßt.

Der jüngere Sokrates: Wie meinst du das?

Fremder: Wie die Kaufleute, Ackerbauer, alle Speisebereiter, und nach diesen die Vorsteher der Leibesübungen und das ganze Geschlecht der Ärzte, diese weißt du wohl würden sämtlich mit jenen Hütern der menschlichen Dinge welche wir Staatsmänner genannt haben über diese Erklärung sich streiten, weil sie auch für die Erhaltung der Menschen sorgen, (268) und zwar nicht nur der zur Herde gehörigen Menschen, sondern auch der Herrscher selbst.

Der jüngere Sokrates: Und täten sie daran nicht Recht?

Fremder: Vielleicht, und das wollen wir eben sehen. Das aber wissen wir doch, daß mit dem Ochsenhirten sich über dergleichen Niemand in einen Streit einläßt; sondern er selbst der Hirte ist auch der Ernährer der Herde, er ist ihr Arzt, er ist gewissermaßen ihr Freiwerber, und der gesamten Hebammenkunst bei der Schwangerschaft und der Geburt der Jungen ist er allein kundig. Ja auch was Spiel und Tonkunst betrifft, soweit sein Vieh deren von Natur empfänglich ist, versteht niemand besser als er es aufzumuntern und anlockend zu besänftigen, indem er auf Instrumenten sowohl als mit dem bloßen Munde die seiner Herde angemessene Tonkunst ausübt. Und mit den übrigen Hütern ist es dasselbe. Nicht wahr?

Der jüngere Sokrates: Ganz richtig.

Fremder: Wie kann also unsere Erklärung des Königes sich richtig und untadelhaft erweisen, wenn wir ihn den Hüter und Auferzieher der menschlichen Herde nennen, ihn allein heraushebend aus zehntausend anderen die sich mit ihm darum streiten?

Der jüngere Sokrates: Auf keine Weise.

Fremder: Also war unsere Besorgnis vorher gegründet, als wir argwöhnten, wir möchten zwar wohl einige Züge des Herrschers angeben, keinesweges aber könnten wir den Staatsmann genau dargestellt haben, bis wir alle welche sich um ihn herdrängen und auf das Mithüten Anspruch machen weggeräumt, und ihn abgesondert von jenen ganz rein für sich allein hinstellen.

Der jüngere Sokrates: Vollkommen gegründet freilich.

Fremder: Dies also, o Sokrates, müssen wir bewerkstelligen, wenn wir nicht unsere Erklärung zuletzt wollen zu Schanden machen.

Der jüngere Sokrates: Das darf ja auf keine Weise geschehen.

Fremder: Also müssen wir wiederum von einem andern Anfang aus einen andern Weg gehen?

Der jüngere Sokrates: Was doch für einen?

Fremder: Wo wir auch wohl Scherz einmischen. Denn wir müssen einen ziemlichen Teil einer großen Geschichte zu Hülfe nehmen, und hernach eben wie vorher, indem wir einen Teil nach dem andern wegnehmen, zu dem eigentlich gesuchten selbst gelangen. Sollen wir das?

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: Aber auf die Geschichte sei mir ja recht aufmerksam wie die Kinder. Du bist ja doch erst seit wenigen Jahren über die Kindheit hinaus.

Der jüngere Sokrates: Sage nur.

Fremder: Solche alten Erzählungen also gab es und wird auch noch geben gar viele andere, und so auch die Erscheinung bei dem Streit welcher vorgefallen sein soll zwischen Atreus und Thyestes. Denn du hast doch gehört und erinnerst dich, was sich damals soll ereignet haben?

Der jüngere Sokrates: Das Zeichen von dem goldenen Lamme meinst du vielleicht.

Fremder: Nein das nicht, sondern das von der Änderung (269) im Auf- und Untergang der Sonne und der andern Gestirne, daß sie nämlich von wo sie jetzt aufgehen, dorthin damals untergingen, und aufgingen auf der entgegengesetzten Seite. Damals aber gab Gott dem Atreus ein Zeugnis, und wendete sie um in die gegenwärtige Ordnung.

Der jüngere Sokrates: Erzählt wird freilich auch das.

Fremder: Und auch von der Herrschaft welche Kronos führte haben wir von Vielen gehört.

Der jüngere Sokrates: Von gar Vielen.

Fremder: Und wie, daß vorher die Menschen als Erdgeborne entstanden und nicht erzeugt wurden einer von dem andern?

Der jüngere Sokrates: Auch das ist eine von den alten Sagen.

Fremder: Dies nun rührt insgesamt von demselben Umstände her, und außerdem tausenderlei anderes noch wunderbareres, wovon aber die Länge der Zeit sich einiges ganz verlöscht hat und das übrige zerstreut erzählt wird, jedes einzelne abgerissen von dem übrigen. Den Umstand aber, der an alle diesem Ursach ist, hat noch niemand erzählt. Jetzt aber muß er berichtet werden, denn zur Darstellung des Königes wird er sich uns wohl schicken, wenn er erzählt ist.

Der jüngere Sokrates: Wohl gesprochen! erzähle also ohne etwas zu übergehen.

Fremder: Höre denn. Dieses Ganze hilft auf seiner Bahn bisweilen Gott selbst mitführen und wälzen, bisweilen läßt er es wieder los, wenn seine Umläufe das ihm gebührende Zeitmaß schon erlangt haben. Dann aber wendet es sich von selbst wieder um nach der entgegengesetzten Seite, als ein lebendiges dem auch Vernunft zugeteilt ist von dem welcher es ursprünglich zusammenfügte. Dieses Rückwärtsgehen aber ist ihm notwendig aus folgender Ursache natürlich.

Der jüngere Sokrates: Aus welcher denn?

Fremder: Sich immer einerlei und auf gleiche Weise zu verhalten und dasselbe zu sein, das kommt nur dem göttlichsten unter allem allein zu, körperliche Natur aber steht nicht in dieser Reihe. Was wir nun Himmel und Welt genannt haben, hat freilich vieles und herrliches von seinem Erzeuger empfangen; indes ist es auch Körpers teilhaftig geworden, daher ihm denn aller Veränderung schlechthin unerfahren zu sein unmöglich ist. Nach Vermögen jedoch wird es immer eben da auf gleiche Weise nach Einer Richtung bewegt. Daher ist es der Umwälzung teilhaftig als der kleinstmöglichen Abweichung von der Selbstbewegung. Sich selbst aber immer zu drehen ist keinem wohl leicht möglich als dem alles Bewegte Anführenden. Diesem ist aber nicht statthaft jetzt so, dann wieder entgegengesetzt zu bewegen. Nach diesem allen also darf man von der Welt weder behaupten, daß sie immer sich selbst drehe, noch daß sie immer ganz von Gott gedreht werde, sintemal es nach zweierlei und entgegengesetzten Richtungen geschieht, noch auch, daß etwa irgend zwei (270) Götter von einander entgegengesetzter Gesinnung sie drehen; sondern was eben gesagt ist und allein übrig bleibt, daß sie jetzt von einer andern göttlichen Ursache mitgeführt wird, das Leben aufs neue erwerbend und eine von dem Werkmeister ihr zubereitete Unsterblichkeit empfangend; dann aber, wenn sie losgelassen ist, von sich selbst geht, so gut sie kann, in einem solchen Zustande sich selbst überlassen, daß sie wiederum viele Myriaden von Umläufen rückwärts durchwandern kann, weil sie bei vollständigster Größe und Gleichgewicht auf dem kleinsten Fuße einherschreitend geht.

Der jüngere Sokrates: Sehr einleuchtend ist alles gesagt was du bis jetzt ausgeführt hast.

Fremder: So laß uns zusammenrechnend den Umstand betrachten der sich aus dem Gesagten ergibt, und von uns als die Ursache alles wunderbaren angegeben wurde. Dies ist nämlich folgender.

Der jüngere Sokrates: Was für einer?

Fremder: Daß nämlich die Bewegung des Ganzen bisweilen nach der Seite wohin es sich jetzt wälzt sich bewegt, bisweilen nach der entgegengesetzten.

Der jüngere Sokrates: Wie doch eigentlich?

Fremder: Diese Veränderung muß man von allen Umwendungen, welche sich am Himmel ereignen, für die größte und vollständigste halten.

Der jüngere Sokrates: Das scheint allerdings.

Fremder: Daher ist auch zu glauben daß alsdann die größten Veränderungen entstehen für uns, die wir innerhalb desselben wohnen.

Der jüngere Sokrates: Auch das ist wahrscheinlich.

Fremder: Viele wichtige und mannigfaltige Veränderungen aber welche zusammentreffen, wissen wir nicht daß die Natur der Lebenden diese nicht leicht erträgt?

Der jüngere Sokrates: Wie sollten wir das nicht?

Fremder: Die größten Verheerungen also entstehen alsdann notwendig sowohl unter den anderen Tieren, als auch von dem menschlichen Geschlecht bleibt nur weniges übrig. Und für diese Überreste treffen dann viele andere wunderbare und neue Ereignisse zusammen; dieses aber ist das größte und begleitet die Umwälzung des Ganzen notwendig alsdann, wenn die der bisher bestandenen entgegengesetzte Richtung eintritt.

Der jüngere Sokrates: Was für eines denn?

Fremder: Welches Alter jedes lebende Wesen hatte dies blieb ihm zuerst stehn, und alles sterbliche hörte auf je länger je älter auszusehn, vielmehr wendete es sich auf das entgegengesetzte zurück und wurde gleichsam jünger und zarter. Und die weißen Haare der Alten schwärzten sich, die Wangen der bärtigen aber glätteten sich wieder, und brachten jeden zu seiner schon vorübergegangenen Blüte zurück; eben so die Leiber der mannbaren Jugend glätteten sich und wurden jeden Tag und jede Nacht kleiner, bis sie wieder die Natur der kleinen Kinder annahmen, und ihnen an Leib und Seele ähnlich wurden. Nach diesem aber welkten sie dann zusehends und verschwanden gänzlich. Ja auch die Leichname der zur selbigen Zeit gewaltsam verstorbenen trafen die nämlichen Zufälle der Reihe nach insgesamt, so daß sie sich in der Schnelligkeit in wenigen Tagen verzehrten.

Der jüngere Sokrates: Was für eine Entstehung des Lebendigen (271) gab es aber damals, o Fremdling, und auf welche Weise erzeugte es sich aus sich?

Fremder: Offenbar, o Sokrates, gab es auf diese Weise erzeugtes in der damaligen Natur gar nicht; sondern das Geschlecht, wovon erzählt wird, es sei ehedem ein erdgebornes gewesen, das waren eben die damals aus der Erde zurückkehrenden, und wurde so erwähnt von unsern ersten Vorfahren, welche noch der auf Endigung des ersteren Umlaufes folgenden Zeit Grenze erreichten und am Anfange des jetzigen geboren wurden. Denn diese sind uns eben die Verkündiger geworden aller jener Geschichten, welche jetzt mit Unrecht von Vielen ungläubig verworfen werden. Das können wir glaube ich hieraus sehn. Denn damit daß die Alten wieder zur Natur der Kinder zurückkehren hängt ja zusammen, daß auch von den Verstorbenen und in der Erde Liegenden alle diejenigen wieder aufstehend von dort und auflebend jener allgemeinen Umwendung folgten als die gesamte Entstehung sich auf die entgegengesetzte Seite herumwälzte und daß sie als Erdgeborne nach eben diesem Verhältnis notwendig hervorkommend hievon ihren Namen und ihre Erklärung erhielten, so viele nämlich von ihnen Gott nicht schon zu einem andern Geschick erhöht hatte.

Der jüngere Sokrates: Offenbar folgt ja dies aus dem vorigen. .Allein das Leben welches währender Gewalt des Kronos wie du sagst gewesen ist, war dies zur Zeit jener Bewegungen oder der jetzigen? Denn die Veränderung an der Sonne und den Gestirnen muß offenbar mit beiden Bewegungen zusammentreffen .

Fremder: Sehr gut bist du der Rede gefolgt. Das aber wonach du fragst, daß nämlich den Menschen alles von selbst geworden, gehört wohl keinesweges zu der jetzt bestehenden Bewegung, sondern auch dieses war offenbar in der vorigen. Denn damals herrschte zuerst für die ganze Umwälzung Sorge tragend der Gott, wie jetzt aber waren strichweise die verschiedenen Teile der Welt gänzlich unter herrschende Götter verteilt. So auch die lebendigen Wesen nach ihren verschiedenen Gattungen und Herden hatten als göttliche Hüter unter sich verteilt die Dämonen, deren Jeder jedem welches er beherrschte für alles genügte, so daß keines wild war noch auch sie einander zur Speise dienten; und Krieg oder Zwiespalt schon gab es ganz und gar nicht unter ihnen, wie man auch unzählig viel anderes mit dieser Anordnung zusammenhängendes noch anführen könnte. Was aber von der Menschen mühelosem Leben gerühmt wird, wird dieserwegen erzählt. Gott selbst hütete sie und stand ihnen vor, wie jetzt die Menschen als ein anderes göttlicheres Lebendige andere Gattungen des Lebenden geringer als sie selbst hüten. Unter seiner Hut aber gab es keine bürgerliche Verfassungen noch (272) auch häusliche, daß man Weiber und Kinder hatte; denn aus der Erde lebten sie alle auf, ohne sich des vorherigen zu erinnern. Sondern dergleichen fehlte ihnen alles, Früchte aber hatten sie reichlich von Eichen und vielen anderen Gewächsen, nicht durch Ackerbau gezogene, sondern welche die Erde ihnen von selbst gab. Auch unbekleidet und ohne Lagerdecken weideten sie größtenteils im Freien; denn die Witterung war beschwerdenlos für sie eingerichtet, und weich war ihr Lager genug, weil reichliches Gras aus der Erde hervorwuchs. Wie also das Leben unter dem Kronos gewesen, o Sokrates, hörst du; das jetzige aber wie es heißt, unter dem Zeus, kennst du selbst. Könntest du nun wohl und wolltest entscheiden, welches von beiden das glückseligere ist?

Der jüngere Sokrates: Keinesweges.

Fremder: Willst du also, daß ich sie dir auf gewisse Weise vergleiche?

Der jüngere Sokrates: Gar sehr will ich das.

Fremder: Wenn also die Pfleglinge des Kronos, da sie so vieler Muße genossen und auch des Vermögens nicht nur mit Menschen sondern auch mit Tieren vernünftigen Umgang zu pflegen, dies alles recht gebrauchten zur Philosophie in ihren Unterredungen mit den Tieren und unter sich von jedem Wesen erforschend, ob es irgend ein besonderes Vermögen besitzend, etwas von den Andern verschiedenes wahrgenommen habe zur Vermehrung der Einsicht: dann ist wohl leicht zu entscheiden, daß die damaligen tausendmal glückseliger daran waren als die jetzigen. Wenn sie aber reichlich mit Speise und Trank gesättiget sich untereinander und den Tieren solche Geschichten erzählten, wie auch jetzt noch von ihnen erzählt werden: so ist auch so die Sache wenigstens nach meiner Meinung gar leicht zu entscheiden. Doch lassen wir das jetzt bis einer kommt der uns gründlich berichte, auf welche von beiden Seiten sich die Lust jenes Geschlechtes neigte in Beziehung auf Erkenntnis und Gebrauch der Rede. Weshalb wir aber diese Geschichte in Anregung gebracht, das muß jetzt erklärt werden; damit wir nächstdem nun zum folgenden fortschreiten können. Als nämlich alles dieses seine Zeit erfüllt hatte und eine Umkehrung erfolgen mußte, da auch das aus der Erde gekommene Geschlecht ganz aufgerieben war, nachdem jegliche Seele alle ihre Entstehungen durchgemacht und, soviel ihr bestimmt war, Samen für die Erde zurückgelassen hatte; alsdann ließ der Steuermann des Ganzen gleichsam den Griff des Ruders fahren und zog sich in seine Warte zurück. Die Welt aber bewegte nun wiederum rückwärts das Geschick und die ihr angeborene Lust. Alle also an ihren Orten mit dem höchsten Geist mitherrschende Götter als sie bemerkten was geschah, ließen gleichfalls alle Teile der Welt los von ihrer Aufsicht und Besorgung. Sie aber die nun im Zurückdrehn, des Endes und des Anfangs entgegengesetzten Schwung vermischend, (273) einen neuen Umschwung nahm, indem sie in sich selbst große Erschütterungen erregte, richtete dadurch wieder anderes Verderben an unter allerlei Arten des Lebendigen. Als nun, nachdem eine geraume Zeit vergangen war, teils Getümmel und Verwirrung nachließen, und von den Erschütterungen eine Stille eintrat, teils sie nun zu ihrem gewohnten eignen Lauf wohl geordnet eine bereitet war, ging sie Aufsicht und Macht selbst ausübend über alles in ihr und über sich selbst, ihres Werkmeisters und Vaters Lehren dabei sich nach Kräften erinnernd. Anfänglich nun führte sie dies genauer aus, zuletzt aber lässiger. Und hieran ist das körperliche in ihrer Mischung Schuld, dieses noch von der ehemaligen Natur her mit ihr Aufgezogene, weil es mit großer Unordnung behaftet war, ehe es zu der jetzigen Weltordnung gelangte. Denn von dem welcher sie eingerichtet besitzt sie alles Schöne; alles aber was widerwärtiges und unrechtes unter dem Himmel geschieht, stammt ihr selbst von ihrer vorigen Beschaffenheit her, und auch in die Lebendigen bringt sie es mit hinein. So lange sie daher unter Aufsicht des Steuermannes ihre lebendigen Bewohner ernährt, erzeugt sie in ihnen nur wenig schlechtes und viel dagegen Gutes. Ist sie aber von jenem getrennt, so besorgt sie in der nächsten Zeit nach ihrer Freilassung noch alles aufs herrlichste; je weiter aber die Zeit vorrückt und Vergeßlichkeit sich einschleicht bei ihr, um so mehr nimmt auch überhand der Zustand der alten Verwirrung, welcher am Ende der Zeit vollkommen aufblüht, so daß sie nur aus wenig Gutem und einem großen Anteil des Entgegengesetzten jede Mischung zusammensetzend in Gefahr des Verderbens gerät, sie selbst und alles in ihr. Weshalb denn alsdann schon der Gott welcher sie eingerichtet hat, wenn er sie in diesen Nöten erblickt, aus Besorgnis, daß sie nicht zertrümmere und durch die Zerrüttung gänzlich aufgelöst in der Unähnlichkeit unergründlichen Ort versinke, sich selbst wiederum an das Ruder stellend, alles was erkrankt und aufgelöst ist, durch Umwendung in den ihm eigentümlichen Umlauf wieder in Ordnung bringt, und so alles wieder bessernd die Welt unsterblich und unveraltet darstellt. Dieses nun ist nur als das Ende von allem bisherigen gesagt; was uns aber zur Darstellung des Königes dient finden wir hinreichend, wenn wir uns nur an das vorige der Rede halten. Nämlich sobald die Welt sich wiederum in die Bahn für das jetzige Werden hineindrehte, stand zuerst wiederum das Alter still, und neues dem damaligen entgegengesetztes brachte sie demnächst hervor. Nämlich die vor Kleinheit fast schon verschwindenden Leiber der lebendigen Wesen wuchsen wieder und die neu aus der Erde schon als alt und grau hervorgegangenen kehrten sterbend wieder in die Erde zurück, und alles Andere veränderte sich den Zustand des Ganzen nachahmend (274) und ihm folgend. Eben so also auch, was zur Empfängnis, Geburt und Ernährung gehört, erfolgte dem Ganzen nachgebildet notwendig. Denn nun durfte nicht mehr in der Erde aus andern Bestandteilen ein lebendiges gebildet werden; sondern so wie der Welt aufgegeben war selbstherrschend ihre Bahn zu leiten, auf dieselbe Weise war auch ihren Teilen, aus sich selbst soviel als möglich wäre sich zu bilden, zu erzeugen und zu ernähren, durch dieselbige Anordnung aufgegeben. Und nun sind wir eben bei dem angekommen, worauf diese ganze Rede ausging. Von den übrigen Tieren nämlich wäre es lang und weitläuftig zu erzählen, woher sich jedes und weshalb verwandelt, von den Menschen aber ist es kürzer zu fassen und mehr zur Sache gehörig. Denn von der Sorgfalt des uns beherrschenden und hütenden Dämons verlassen erfuhren die Menschen, da die meisten Tiere von irgend rauherer Natur ganz verwildert, sie selbst aber schwach und schutzlos geworden waren, von diesen vielerlei Leides, und wären in den ersten Zeiten völlig hülflos und kunstlos, weil die von selbst sich darbietende Nahrung ihnen ausgegangen, und sich deren selbst zu verschaffen sie noch nicht kundig waren, indem keine Art des Mangels sie vorher dazu genötiget hatte. Alles dieses nun brachte sie in große Not. Weshalb denn die in alten Sagen schon gerühmten Gaben uns von den Göttern mit der nötigen Belehrung und Unterweisung geschenkt wurden, das Feuer nämlich vom Prometheus und die Künste vom Hephaistos und seiner Kunstverwandtin, Saat und Gewächse wiederum von anderen; und alles was zur Ausstattung des menschlichen Lebens beigetragen, ist uns hieraus geworden, weil nämlich, wie gesagt ist, die Obhut der Götter den Menschen fehlte, und sie nun sich selbst führen und selbst für sich Sorge tragen mußten eben wie die ganze Welt, welcher wir zu allen Zeiten nachahmen und folgen, und eben daher jetzt so und dann wieder auf andere Weise leben und entstehen. Und hiemit soll die Geschichte ein Ende haben. Zu Nutz aber wollen wir sie uns machen um zu sehen wie sehr wir gefehlt haben bei Darstellung des Herrschers und Staatsmannes in unserer vorigen Rede.

Der jüngere Sokrates: Wie so? und was für ein großer Fehler meinst du daß uns begegnet wäre?

Fremder: Auf der einen Seite ein kleinerer, auf der andern ein gar starker und weit mehr und größer als damals.

Der jüngere Sokrates: Wie so?

Fremder: Daß wir nämlich, gefragt nach dem Herrscher und König aus dem gegenwärtigen Umlauf und Art des Werdens, vielmehr aus dem entgegengesetzten Zeitlauf den Hirten der damaligen menschlichen Herde beschrieben haben, und also einen Gott statt eines Sterblichen, daran haben wir gar sehr (275) gefehlt. Daß wir ihn aber als den Herrscher des gesamten Staates angegeben haben ohne zu bestimmen auf welche Weise, daran haben wir zwar an sich selbst ganz wahr geredet; aber wir haben es weder ganz noch deutlich genug ausgedrückt, und deshalb hiebei auch weniger als an jenem gefehlt.

Der jüngere Sokrates: Richtig.

Fremder: Wir dürfen also, wenn wir nun noch die Art und Weise des Herrschens im Staate bestimmt haben, alsdann wie es scheint hoffen, daß der Staatsmann uns vollständig erklärt sei.

Der jüngere Sokrates: Sehr schön.

Fremder: Deshalb nun haben wir auch die Erzählung beigebracht, damit sie zeigen sollte nicht nur von der Herdenzucht überhaupt, wie sich alle darum streiten mit dem jetzt gesuchten, sondern auch damit wir eben jenen selbst deutlicher erblickten, welchem, weil er allein nach Art und Weise der Hirten und Hüter für die menschliche Erhaltung Sorge trägt, auch allein dieser Name gebühren kann.

Der jüngere Sokrates: Richtig.

Fremder: Und ich meines Teils wenigstens denke, Sokrates, daß diese Abzeichnung eines göttlichen Hüters auch den Vergleich mit einem Könige noch weit hinter sich läßt, dahingegen unsere jetzigen Staatsmänner hier weit mehr den Beherrschten ihrer Natur nach ähnlich sind, und auch an ihrer Bildung und Nahrung bei weitem mehr Teil nehmen.

Der jüngere Sokrates: Freilich wohl.

Fremder: Suchen müssen wir sie aber doch um nichts mehr oder minder, sie mögen nun so oder anders geartet sein.

Der jüngere Sokrates: Was sollten wir nicht!

Fremder: So laß uns denn so wieder zurückgehn. Die wir die selbstgebietende Kunst über Lebendige genannt haben, und zwar nicht über einzelne, sondern die eine gemeinsame Sorgfalt ausübt über Viele, und die wir doch dort auch gleich die Herdenzucht nannten – Du erinnerst dich doch?

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Diese nun haben wir schon um etwas verfehlt. Denn wir haben den Staatsmann gar nicht mit befaßt und benannt, sondern unvermerkt ist er uns durch die Benennung entwischt.

Der jüngere Sokrates: Wie das?

Fremder: Daß jeder seine Herde aufzieht und ernährt, dies kommt wohl allen andern Hütern zu, dem Staatsmann gerade kommt es aber nicht zu, und doch haben wir eben davon den Namen hergenommen, da wir ihn sollten von etwas allen insgesamt gemeinschaftlichem hergenommen haben.

Der jüngere Sokrates: Ganz wahr sprichst du, wenn es so etwas gab.

Fremder: Wie sollte nicht doch das Pflegen etwas Allen gemeinschaftliches gewesen sein, wobei weder Futterung noch irgend ein anderes einzelnes Geschäft ausgeschlossen ist, und wir also, wenn wir sie Herdenwartung oder Pflege oder Besorgung nannten, alsdann den Staatsmann mit unter den übrigen verstecken konnten, da doch die Rede darauf deutete, daß dies geschehen müsse?

Der jüngere Sokrates: Richtig; aber die weitere Einteilung wie wäre die gegangen?

Fremder: Eben so wie wir vorher die Herdenzucht weiter (276) teilten für zu Fuß gehendes und unbefiedertes und für reinbegattendes und ungehörntes, eben so würden wir auch die Herdenwartung geteilt und unter dieser Erklärung dann die jetzige und die unter der Regierung des Kronos gleichermaßen mit begriffen haben.

Der jüngere Sokrates: Das ist deutlich. Ich sinne aber wie nun weiter?

Fremder: Haben wir nun den Namen der Herdenwartung so bestimmt: so wird offenbar keiner kommen und uns bestreiten, daß sie etwa gar keine Besorgung wäre; so wie damals mit Recht bestritten wurde, daß es keine Kunst unter uns gebe, die diesen Beinamen der aufziehenden und ernährenden verdiente, und wenn es eine gäbe, viele Andere weit eher und mehr dazu gehören würden als irgend ein Herrscher.

Der jüngere Sokrates: Richtig.

Fremder: Und Besorgung der gesamten menschlichen Gemeinschaft wird doch wohl keine andere Kunst mehr und milder zu sein behaupten wollen als die königliche und über alle Menschen sich erstreckende Herrschaft.

Der jüngere Sokrates: Richtig gesagt.

Fremder: Nächstdem aber, o Sokrates, merken wir nicht etwa, daß auch gegen das Ende wiederum verschiedentlich gefehlt ist?

Der jüngere Sokrates: Worin doch?

Fremder: Darin, daß wenn wir auch noch so bestimmt gesehen hätten, es gebe allerdings eine aufziehende Kunst für die zweibeinige Herde, wir sie doch nicht gleich sollten die königliche und Staatskunst genannt haben, als wäre sie bereits völlig fertig.

Der jüngere Sokrates: Warum nicht?

Fremder: Zuerst, wie schon gesagt, war der Name zu verändern und mehr auf die gesamte Besorgung als auf die bloße Zucht zu beziehen. Dann war auch diese noch zu zerschneiden; denn sie hat wohl nicht wenig Einschnitte noch.

Der jüngere Sokrates: Was für welche?

Fremder: Wie wir ja schon den göttlichen Hüter und den menschlichen Vorsorger von einander getrennt haben.

Der jüngere Sokrates: Richtig.

Fremder: Aber auch diese abgeteilte vorsorgende Kunst war notwendig wieder entzweizuschneiden.

Der jüngere Sokrates: Und wie das?

Fremder: In gewaltsame und freiwillige.

Der jüngere Sokrates: Wie so?

Fremder: Auch darin hatten wir vorher gefehlt, und einfältiger als billig, König und Tyrann in Eins zusammengestellt, da doch sie selbst und eines jeden von ihnen Art zu herrschen einander ganz unähnlich sind.

Der jüngere Sokrates: Richtig.

Fremder: Nun also wollen wir auch dies berichtigend die menschliche Vorsorgungskunst in zwei Teile teilen, nachdem gewaltsames darin ist oder freiwilliges.

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: Und die der Gewalttätigen nennen wir die tyrannische, die freiwillige Herdenwartung aber über freiwillige zweibeinige lebendige Wesen die Staatskunst bezeichnend, wollen wir nun den, der diese Kunst und Besorgung ausübt, als den wahrhaften und wirklichen König und Staatsmann aufstellen.

(277) Der jüngere Sokrates: Und hiemit, o Fremdling, wird uns nun doch wohl die richtige Darstellung des Staatsmannes ganz vollendet sein.

Fremder: Sehr schön, o Sokrates, stände es dann um uns. Aber das mußt nicht nur du allein, sondern auch ich muß es gemeinschaftlich mit dir glauben. Nun aber scheint mir wenigstens der König noch nicht seine völlige Gestalt zu haben, sondern wie die Bildhauer bisweilen wenn sie zur Ungebühr eilen ihre Werke größer anlegen als nötig und sie dadurch verzögern: so haben auch wir um nicht nur schnell sondern auch auf eine prächtige Art den Fehler unserer ersten Ausführung ans Licht zu bringen und in der Meinung, es gezieme sich dem König auch große Beispiele beizufügen, eine wundergroße Masse von Geschichte zusammengebracht und uns dann eines größeren Teiles derselben als nötig bedienen müssen. Darum ist unsere Darstellung gar lang geraten, und wir haben nicht einmal die Geschichte zu Ende gebracht. Sondern an unserer Rede mögen wohl wie an einem Gemälde die Umrisse gut genug gezeichnet sein, aber gleichsam die Deutlichkeit welche durch die Pigmente und durch die richtige Mischung der Farben entsteht ihr noch gefehlt haben. Und doch soll man noch besser als durch Malerei oder jede andere Handarbeit alles lebendige durch Vortrag und Rede denen darstellen die es fassen können, und nur den andern durch Nachbildung mit Händen.

Der jüngere Sokrates: Das ist wohl richtig. Wie du aber meinst daß wir noch nicht hinlänglich erklärt hätten, das mache mir deutlich.

Fremder: Es ist schwer, Bester, wenn man nicht ein Beispiel zur Hand nimmt irgend etwas größeres recht deutlich zu machen. Denn sonst mag wohl jeder von uns erst wie im Traume alles wissen und dann wieder gleichsam wachend alles nicht wissen.

Der jüngere Sokrates: Wie meinst du das?

Fremder: Gar wunderlich scheine ich gegenwärtig aufzuregen was bei dem Wissen in uns vorkommt.

Der jüngere Sokrates: Woher das?

Fremder: Eines Beispiels hat mir ja nun wieder auch das Beispiel selbst bedurft.

Der jüngere Sokrates: Was nun weiter? Sage es nur, und meinetwegen trage gar kein Bedenken.

Fremder: So will ich es denn sagen, da ja auch du bereit bist zu folgen. Von den Kindern wissen wir doch, wenn sie eben lesen lernen.

Der jüngere Sokrates: Was denn?

Fremder: Daß sie jeden Buchstaben in den kürzesten und leichtesten Silben bald genug bemerken und ihn da richtig auszusprechen verstehen.

Der jüngere Sokrates: Das gewiß.

(278) Fremder: Diese selbige aber in anderen wieder verkennen und dann fehlen in ihrer Vorstellung und Rede.

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: Ist es nun nicht so am leichtesten und schönsten sie zu dem zu führen, was sie noch nicht erkennen?

Der jüngere Sokrates: Wie?

Fremder: Daß man sie erst zu dem zurückführe, wo sie dasselbe richtig vorgestellt haben, und dann dieses neben das noch nicht von ihnen erkannte stelle, um ihnen durch Vergleichung die Ähnlichkeit und die selbige Beschaffenheit in beiden Verknüpfungen zu zeigen, bis das richtig vorgestellte neben alles noch unbekannte gestellt aufgezeigt ist und so aufgezeigt Beispiele abgibt, welche bewirken, daß von allen Buchstaben in allen Silben jeder wenn er verschieden ist auch verschieden, wenn er aber derselbe ist auch als derselbe immer auf gleiche Weise benannt werde.

Der jüngere Sokrates: Allerdings freilich.

Fremder: Das also haben wir zur Genüge gefaßt, daß ein Beispiel alsdann entsteht, wenn etwas, was dasselbe ist in einem andern getrennten, richtig vorgestellt und herbeigebracht, von jedem von beiden als gleichen eine und dieselbe richtige Vorstellung bewirkt.

Der jüngere Sokrates: Das leuchtet ein.

Fremder: Sollen wir uns also wundern, wenn unsere Seele, der es von Natur mit den Bestandteilen der Dinge überhaupt eben so ergeht, jetzt der Wahrheit gemäß über einzelnes in einigen Sicherheit gewinne, dann aber wieder über alle in anderen schwankt; und einige von ihnen doch in manchen Verbindungen richtig vorstellt, versetzt aber in weitläuftige und nicht leichte Verknüpfungen und gleichsam Silben von Gegenständen eben dieselbigen wieder nicht erkennt?

Der jüngere Sokrates: Gar nicht ist das zu verwundern.

Fremder: Denn von einer falschen Vorstellung anfangend könnte einer wohl auch nicht zum kleinsten Teile der Wahrheit gelangen und so irgend Einsicht gewinnen.

Der jüngere Sokrates: Gewiß auf keine Weise.

Fremder: Also wenn dies so beschaffen ist: so würden wir wohl nichts verstehen ich und du, nachdem wir zuerst versucht haben die Natur des gesamten Beispiels an einem kleinen auf etwas besonderes sich beziehenden einzelnen Beispiel zu erkennen, wenn wir uns nun daran gäben, indem wir zu dem Könige als dem größten schon den selbigen Begriff aus kleineren Dingen irgendwoher hinzubrächten, vermittelst des Beispiels auch zu versuchen die Besorgung derer in der Stadt nach der Kunst zu erläutern, damit wir nun statt im Traume es auch wachend haben.

Der jüngere Sokrates: Vollkommen richtig.

Fremder: So laß uns denn unsere vorige Rede wieder aufnehmen, (279) daß nämlich, weil mit dem königlichen Geschlecht so viele andere um die Besorgung im Staate sich streiten, wir diese alle absondern müssen um jenen allein zu behalten, und eben hiezu, sagten wir, bedürften wir eines Beispiels.

Der jüngere Sokrates: Und das gar sehr.

Fremder: Was für ein recht kleines Beispiel, welches aber doch dieselbige bürgerliche Verrichtung in sich schläfre, könnte einer nun wohl beibringen um das Gesuchte danach genau genug zu finden? Oder beim Zeus, Sokrates, sollen wir wenn wir nichts anderes bei der Hand haben eben so gern die Weberei nehmen? und auch die, wenn du meinst, nicht ganz? Vielleicht nämlich wird uns schon die hinreichen welche in Wolle arbeitet. Denn wenn wir auch nur diesen Teil von ihr herausnehmen, wird er uns wohl schon nachweisen, was wir wollen.

Der jüngere Sokrates: Warum also nicht?

Fremder: Und warum wollten wir nicht, wie wir vorher alles von jedem Teil wieder Teile abschneidend zerlegt haben, auch jetzt bei der Weberei dasselbe tun, und wenn wir alles so kurz als möglich schnell durchgegangen sind, wieder zu dem was uns jetzt brauchbar ist zurückkehren?

Der jüngere Sokrates: Wie meinst du das?

Fremder: Ich will dir durch die Ausführung selbst antworten.

Der jüngere Sokrates: Sehr gut gesagt.

Fremder: Alle Dinge also welche wir verfertigen oder erwerben dienen uns teils um etwas zu tun, teils sind sie, um etwas nicht zu leiden, Schutzwehren. Und von diesen Schutzwehren sind einige Heilmittel, sowohl göttliche als menschliche, andere Abwehrungsmittel. Und von den Abwehrungsmitteln sind einige Rüstungen für den Krieg, andere sind Einhegungen. Von diesen Einhegungen sind einige Vorbauungen gegen den Anblick, andere sind Sicherungen gegen Hitze und Ungewitter. Von diesen Sicherungen sind einige was wir Obdach, andere was wir Hülle nennen. Die Hüllen sind wieder teils Unterdecken, teils Anzüge. Von den Anzügen sind einige aus einem Stück, andere zusammengesetzt; die zusammengesetzten teils durchlöchert, teils ohne Durchlöcherung verbunden; und von den undurchlöcherten einige aus dem Baste der Pflanzen, andere von Haaren, und die härenen teils mit Wasser und Erde geklebt, teils durch sie selbst verbunden. Eben diese nun aus durch sich selbst verbundenem gefertigten Abwehrungen und Hüllen nennen wir Kleider; und die diese Kleider vorzüglich besorgende Kunst wollen wir, wie wir dort die den Staat vorzüglich besorgende die Staatskunst nannten, so auch diese von der (280) Sache selbst die Kleidermacherkunst nennen. Und wollen auch sagen daß die Weberei wiefern sie bei Verfertigung der Kleider bei weitem das wichtigste Stück ist, gar nicht als nur dem Namen nach von dieser Kleidermacherkunst unterschieden ist, so wie dort die königliche von der Staatskunst.

Der jüngere Sokrates: Vollkommen richtig.

Fremder: Und nun laß uns das weitere bedenken, daß nämlich diese so beschriebene Weberei der Kleider einer wohl für hinlänglich erklärt hatten würde, der nämlich nicht bemerken könnte daß sie von ihren nächsten Gehülfinnen noch nicht ausgeschieden, wenn gleich von vielen verwandten abgeteilt ist.

Der jüngere Sokrates: Von was für verwandten, sage.

Fremder: Du bist dem Gesagten nicht gefolgt wie es scheint. Also müssen wir wohl noch einmal zurückgehn vom Ende anfangend, ob du etwa das verwandte gewahr wirst was wir jetzt eben von ihr abgeschnitten haben, nämlich die Verfertigung der Teppiche welche wir absonderten, wiefern sie untergelegt jene aber angelegt werden.

Der jüngere Sokrates: Ich verstehe.

Fremder: Auch jede Bereitung aus Lein und Hanf und allem was wir in der Erklärung Pflanzenbast nannten, haben wir weggenommen; auch alles Filzen haben wir ausgeschieden und was mittelst Durchbohrung und Naht die Teile verknüpft, wovon das meiste die Lederarbeit ist.

Der jüngere Sokrates: Allerdings,

Fremder: Eben so die Bearbeitung der Häute zu Bedeckungen aus einem Stück, und alle Arten von Obdach sowohl welche die Baukunst und die Tischerei errichten um Strömungen abzuhalten, als auch was andere einhegende Künste hervorbringen um gegen Diebereien und gewalttätige Handlungen zu schützen, und alle welche sich damit beschäftigen Kisten und Deckel zu verfertigen und die Befestigungen der Türen, und alle welche sich abteilen lassen als Teile der Kunst die sich der Nägel bedient. Ferner haben wir die Verfertigung der Waffen abgeschnitten als einen Ausschnitt der großen und mannigfaltigen Kunst der Abwehrungsmittel; ja auch jene Kocherei, welche es mit den Arzneimitteln zu tun hat, haben wir gleich Anfangs gänzlich abgeschieden, und haben wie wir denken sollten nur eben die gesuchte gegen die Witterung schützende und wollene Umwürfe verfertigende allein übrig gelassen, welche die Weberei genannt wird.

Der jüngere Sokrates: So scheint es allerdings.

Fremder: Aber vollständig ist dies noch gar nicht erklärt, Kind. Denn wer ganz zuerst an Verfertigung der Kleider Hand anlegt scheint doch ganz das Gegenteil des Webens zu verrichten.

Der jüngere Sokrates: Wie so?

(281) Fremder: Das Weben ist doch ein Zusammenflechten?

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Jenes aber ist vielmehr eine Trennung des zusammenhängenden und zusammengefilzten.

Der jüngere Sokrates: Welches denn?

Fremder: Das Geschäft des Wollkämmers. Oder sollen wir wagen dies Weberei und den Wollkämmer wirklich Weber zu nennen?

Der jüngere Sokrates: Keinesweges.

Fremder: Und wenn jemand wiederum das Spinnen des Fadens zur Kette sowohl als zum Einschlag Weberei nennen wollte: so würde der sich auch eines ungewöhnlichen und falschen Namens bedienen.

Der jüngere Sokrates: Freilich wohl.

Fremder: Und wie alles Walken und Ausbessern sollen wir das gar nicht als eine Besorgung und Pflege der Kleider setzen? oder auch dies alles als Weberei aufstellen?

Der jüngere Sokrates: Keinesweges.

Fremder: Aber doch werden diese alle die Besorgung und Entstehung der Kleider wohl der Weberei streitig machen, den größten Teil freilich ihr überlassend, aber auch einen großen sich zuschreibend.

Der jüngere Sokrates: Freilich.

Fremder: Überdies ist noch zu glauben, daß dann auch die Künste welche die Werkzeuge verfertigen, mit denen die Geschäfte bei dem Gewebe verrichtet werden, auch werden Miturheberinnen sein wollen bei jedem Gewebe.

Der jüngere Sokrates: Ganz recht.

Fremder: Wird nun wohl die Erklärung der Weberei welche wir als den vorzüglichsten Teil gewählt, hinlänglich bestimmt sein, wenn wir sie unter allen Besorgungen für die wollenen Gewände nur als die schönste und größte angeben? Oder würden wir dann zwar wohl etwas richtiges sagen, bestimmtes und vollendetes aber nicht, ehe als wir auch diese alle abgesondert haben?

Der jüngere Sokrates: Gewiß.

Fremder: Dies ist also nun zu verrichten, was wir eben sagen, damit uns die Rede weiter gedeihe.

Der jüngere Sokrates: Freilich.

Fremder: Zuerst also laß uns zweierlei Künste bei allem was gemacht wird betrachten.

Der jüngere Sokrates: Was für welche?

Fremder: Die eine ist an einem Entstehen Mitursache, die andere die Ursache selbst.

Der jüngere Sokrates: Wie das?

Fremder: Solche Künste welche die Sache nicht selbst verfertigen, den verfertigenden aber Werkzeuge darreichen, ohne deren Anwendung das jeder Kunst anheimfallende nicht könnte verfertiget werden, diese nenne ich Mitursachen, die aber welche die Sache selbst verfertigen, Ursachen.

Der jüngere Sokrates: Das hat freilich Grund.

Fremder: Demnächst also wollen wir die von denen die Spinnrocken und Weberladen herrühren, und was für Werkzeuge sonst noch an der Entstehung der Bekleidungen Teil haben, alle Mitursachen nennen, die aber sie selbst behandeln und verfertigen, Ursachen.

Der jüngere Sokrates: Ganz richtig.

(282) Fremder: Von denen nun, welche Ursachen sind, wollen wir das Waschen und Ausbessern und alle ähnliche Besorgungen, weil die schmückende Kunst sehr ausgebreitet ist, als den hiehergehörigen Teil derselben zusammenfassen, und alle zusammen benennen nach der Walkerei.

Der jüngere Sokrates: Gut.

Fremder: Wiederum das Kämmen und Spinnen und alle Teile der Verfertigung des Kleides selbst wovon wir reden, diese alle bilden Eine Kunst von den allgemein angegebenen, welche die Wollenzeugbereitung genannt wird.

Der jüngere Sokrates: Wie sollte sie auch anders!

Fremder: Die Wollenzeugbereitung habe uns aber wieder zwei Abschnitte, deren jeder zugleich ein Teil von zwei Künsten ist.

Der jüngere Sokrates: Wie das?

Fremder: Das Kämmen und die eine Hälfte der Bearbeitung auf dem Webestuhl, und was sonst das vereinigte trennt, alles dies gehört, wenn man es in eins zusammenfassen will, freilich zur Zeugbereitung selbst; aber dann gibt es doch auch noch zwei sehr weit über alles verbreitete Künste, die verbindende und die trennende?

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Das Kämmen also und das eben erwähnte alles gehört zur trennenden. Denn das Trennen der Wolle und der Fäden, welches mit der Weberlade auf eine Art geschieht, mit den Händen auf eine andere, dies führt eben die jetzt genannten Namen.

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: Eben so werden wir wiederum einen Teil der verbindenden Kunst auch in der Wollbereitung finden, und wollen daher was von ihr zur trennenden gehört alles zusammenholen, und so die Wollenbereitung zerschneiden in einen trennenden und einen verbindenden Abschnitt.

Der jüngere Sokrates: So sei sie dann geteilt.

Fremder: Aber auch den verbindenden zur Wollbereitung gehörigen Teil, o Sokrates, wirst du teilen müssen, wenn wir recht genau die vorbeschriebene Weberei finden wollen.

Der jüngere Sokrates: So müssen wir es denn.

Fremder: Wir müssen es freilich, und sagen der eine Teil sei der drehende, der andere der flechtende.

Der jüngere Sokrates: Verstehe ich recht? Mich dünkt nämlich du nennst den, der es mit Verfertigung des Fadens zur Kette zu tun hat, den drehenden.

Fremder: Nicht zur Kette allein, sondern auch zum Einschlag. Oder werden wir irgend finden, daß dieser ohne Drehen entstehe?

Der jüngere Sokrates: Gewiß nicht.

Fremder: Teile aber auch wieder jeden von diesen; denn diese Teilung könnte dir sehr zu Statten kommen.

Der jüngere Sokrates: Wie denn?

Fremder: So. Das Werk des Wollkämmers in die Länge und in die Breite gezogen nennen wir den Wocken.

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Was nun hievon mit der Spindel zu einem starken Faden gedreht wird, das nenne das Gespinst zur Kette, und die Kunst die dieses sauber anfertiget, die drelle Spinnerei.

Der jüngere Sokrates: Richtig.

Fremder: Was aber nur lose zusammengedreht wird, und durch Einflechtung der Kette bei der Bearbeitung des Walkers die gehörige Weichheit erhält, dies Gespinst ist das für den Einschlag, und die Kunst der es anheimfällt wollen wir die weiche Spinnerei nennen.

Der jüngere Sokrates: Ganz richtig.

Fremder: Und nun ist der Teil der Weberei den wir bestimmen (283) wollten schon Jedem klar. Nämlich wenn der in der Wollenbereitung sich findende Teil der verbindenden Kunst durch gerades Einschießen des Einschlags in die Kette ein Geflecht hervorbringt, so wird nun das sämtliche Geflecht das wollene Gewand sein, und die hiezu gesetzte Kunst nennen wir die Weberei.

Der jüngere Sokrates: Ganz richtig.

Fremder: Gut. Warum haben wir aber nicht gleich geantwortet, die Weberei sei die Verflechtung des Einschlags und der Kette; sondern sind in einem weiten Kreise herumgegangen gar vieles unnützerweise beschreibend?

Der jüngere Sokrates: Unnützerweise scheint mir wenigstens nichts gesagt zu sein von dem was wir gesagt haben.

Fremder: Das ist wohl auch kein Wunder, aber es könnte dir doch so scheinen. Gegen dieses Übel nun, wenn es dir vielleicht in Zukunft öfter wiederkommen sollte, denn auch das wäre kein Wunder, höre eine Rede, die auf alles dergleichen angewendet zu werden wohl verdient.

Der jüngere Sokrates: Sage sie nur.

Fremder: Zuerst also laß uns überhaupt sehen was Übermaß und Mangel ist, damit wir mit Grund loben und tadeln, was in solchen Unterhaltungen ausführlicher als billig gesagt wird, und was entgegengesetzt.

Der jüngere Sokrates: Das wollen wir dann.

Fremder: Wenn also unsere Rede auf diese Dinge selbst ginge, würde sie den rechten Weg einschlagen.

Der jüngere Sokrates: Auf welche?

Fremder: Auf Länge und Kürze und überhaupt auf jedes Hervorragen oder Zurückbleiben. Auf alles dies geht aber doch eben die Meßkunst?

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Laß sie uns also in zwei Teile teilen, denn das bedürfen wir zu unserm jetzigen Behuf.

Der jüngere Sokrates: Sage nur wie die Teilung geschehen soll.

Fremder: So. Der eine bezieht sich auf ihr Teilhaben an Größe und Kleinheit in Verhältnis zu einander; der andere auf des Werdens notwendiges Wesen.

Der jüngere Sokrates: Wie meinst du das?

Fremder: Dünkt dich nicht natürlich, daß man sagen müsse das größere sei als nichts anderes größer denn nur als das kleinere? und das kleinere wiederum kleiner als das größere und als nichts anderes?

Der jüngere Sokrates: Das dünkt mich allerdings.

Fremder: Wie aber was die Natur des Angemessenen übertrifft oder davon übertroffen wird, in Reden oder auch in Handlungen, müssen wir das nicht auch beschreiben als ein wirklich werdendes, wodurch ja auch vorzüglich die Guten und die Bösen unter uns sich von einander unterscheiden?

Der jüngere Sokrates: Offenbar.

Fremder: Diese zwei verschiedenen Arten zu sein und beurteilt zu werden müssen wir also annehmen für das Große und Kleine, und nicht wie wir vorher sagten sie dürften in Beziehung auf einander sein; sondern vielmehr, wie es jetzt erklärt worden, ist die eine in Beziehung beider auf einander, die andere in ihrer Beziehung auf das angemessene zu setzen. Weshalb aber, wollen wir das wohl sehn?

Der jüngere Sokrates: Warum nicht?

Fremder: Wenn jemand nicht zugeben will, daß der Begriff des Größeren sich auf etwas anderes beziehe als auf das (284) kleinere, so wird er sich nie auf das angemessene beziehen. Nicht wahr?

Der jüngere Sokrates: Gewiß.

Fremder: Und würden wir nicht die Künste selbst und alle ihre Werke zerstören durch diese Rede? und wird uns nicht eben auch die jetzt gesuchte Staatskunst und die vorher erklärte Weberkunst verschwinden? Denn alle solche suchen was größer oder geringer als das Angemessene ist; nicht als nichtseiend, sondern als für ihr Geschäft verderblich zu vermeiden; und nur indem sie auf diese Weise das Angemessene bewahren vollbringen sie alles Gute und Schöne.

Der jüngere Sokrates: Wie könnten sie anders?

Fremder: Machen wir aber daß die Staatskunst uns verschwindet: so bleibt unsere Untersuchung der königlichen Wissenschaft ohne Ausgang.

Der jüngere Sokrates: Gewiß gar keiner.

Fremder: Sollen wir nun, wie wir bei dem Sophisten durchsetzten, das Nichtseiende sei, weil dahin allein die Rede sich retten konnte, so auch jetzt durchsetzen, das Mehr und Weniger müsse meßbar sein nicht nur gegen einander, sondern auch gegen die Entstehung des Angemessenen? Denn unmöglich kann weder ein Staatsmann noch irgend ein Anderer von denen die es mit Handlungen zu tun haben unbestritten ein wahrhaft Kundiger sein, wenn dies nicht zugestanden wird.

Der jüngere Sokrates: Also müssen wir auf alle Weise auch jetzt dasselbe tun.

Fremder: Nur noch größer ist diese Arbeit, o Sokrates, als jene, und wir erinnern uns doch noch an jene wie lang sie währte. Aber voraussetzen können wir darüber wohl dieses mit allem Recht.

Der jüngere Sokrates: Was doch?

Fremder: Daß allerdings das jetzt angeführte nötig sein wird zur Darlegung des genauen selbst. Daß es aber zu unserm jetzigen Bedarf schön und genügend gezeigt ist, dazu scheint dieser Satz uns reichlich zu helfen, daß man doch auf gleiche Weise annehmen muß, alle Künste bestehen, und größeres und kleineres sei meßbar nicht nur gegen einander sondern auch gegen die Entstehung des Angemessenen. Denn wenn dies statt finden können auch jene bestehen, und bestehen jene so muß auch dieses sein; ist aber eines von beiden nicht, so kann auch keines von beiden jemals sein.

Der jüngere Sokrates: Das ist richtig; allein was folgt weiter?

Fremder: Offenbar werden wir nun die Meßkunst auf die Art wie jetzt erklärt ist teilen, indem wir sie in zwei Teile zerschneiden, als den einen Teil derselben alle Künste setzend, welche Zahlen, Längen, Breiten, Tiefen und Geschwindigkeiten gegen ihr Gegenteil abmessen; als den andern alle die es tun gegen das angemessene und schickliche und gelegene und gebührliche und alles was in der Mitte zwischen zwei äußersten Enden seinen Sitz hat.

Der jüngere Sokrates: Gar groß ist jeder von diesen Abschnitten und gar weit unterschieden einer vom andern.

Fremder: Denn was bisweilen, o Sokrates, viele preiswürdige Männer sagen in der Meinung etwas recht weises vorgetragen (285) zu haben, daß nämlich die Meßkunst auf alles werdende geht, das ist eben dies jetzt erklärte. Denn Messung findet gewissermaßen bei allem Kunstmäßigen statt. Weil sie aber nicht gewöhnt sind was sie betrachten nach Arten einzuteilen: so werfen sie diese so sehr von einander verschiedenen Dinge in Eins zusammen, und halten sie für ähnlich; eben so tun sie dann auch wieder das Gegenteil indem sie anderes gar nicht nach einer ordentlichen Teilung von einander trennen, da doch, wer zuerst die Gemeinschaft zwischen vielen bemerkt nicht eher ablassen sollte, bis er alle Verschiedenheiten in derselben gesehen hat, so viele nur ihrer auf Begriffen beruhen; und wiederum wenn die mannigfaltigen Unähnlichkeiten an einer Mehrheit erschienen sind, man nicht im Stande sein sollte eher sich zu scheuen und aufzuhören, bis man alles verwandte innerhalb Einer Ähnlichkeit eingeschlossen und unter das Wesen Einer Gattung befaßt hat. Dies sei nun aber hierüber und über Mangel und Übermaß zur Genüge gesprochen. Nur dies laß uns in Acht nehmen, daß wir zwei Arten der Meßkunst dafür gefunden haben, und laß uns erinnern worin wir sagten daß beide beständen.

Der jüngere Sokrates: Das wollen wir erinnern.

Fremder: Nach dieser Erklärung nun laß uns eine andere hinzufügen über das Gesagte selbst, und über jedes Verkehr in solchen Reden.

Der jüngere Sokrates: Was doch für eine?

Fremder: Wenn uns jemand fragte über die Zusammenkünfte derer, welche die Buchstaben lernen, ob wenn einer nach irgend einem Worte gefragt wird aus was für Buchstaben es bestehe, wir dann sagen wollen, die Frage geschehe mehr wegen des einen aufgegebenen, oder vielmehr damit er in allem was aufgegeben werden kann sprachkundiger werde.

Der jüngere Sokrates: Deshalb offenbar damit er es in allem werde.

Fremder: Und wie? unsere Frage über den Staatsmann ist sie uns mehr um seinetwillen selbst aufgegeben worden, oder damit wir in allem dialektischer werden?

Der jüngere Sokrates: Offenbar auch dies um es in allem zu werden.

Fremder: Gewiß wird doch wenigstens kein irgend vernünftiger Mensch die Erklärung der Weberei um ihrer selbst willen suchen wollen. Aber das glaube ich merken die meisten nicht, daß einige Dinge leicht zu erkennende zur Wahrnehmung gehörige Ähnlichkeiten an sich tragen welche es dann gar nicht schwer ist aufzuzeigen, wenn jemand einem, der Rechenschaft über etwas verlangt, nicht auf eine mühsame Weise, sondern ohne Erklärung leicht etwas darüber deutlich machen will; daß aber von den größten und wichtigsten es kein handgreifliches Bild für die Menschen gibt, durch dessen Aufzeigung, (286) wer die Seele eines Forschenden befriedigen will, wenn er es etwa irgend einem Sinne vorhielte, sie hinlänglich befriedigen könnte. Deshalb muß man darauf bedacht sein von jedem Erklärung geben und auffassen zu können. Denn das unkörperliche als das größte und schönste wird nur durch Erklärung und auf keine andere Weise deutlich gezeigt. Und hierauf bezieht sich alles jetzt gesagte; aber die Übung ist in allen Stücken leichter am geringeren als am größeren.

Der jüngere Sokrates: Sehr schön gesagt.

Fremder: Weshalb wir nun dieses alles vorgetragen laß uns ja nicht vergessen.

Der jüngere Sokrates: Weshalb also?

Fremder: Zunächst und gar nicht am wenigsten wegen eben jener Beschwerde über jene Weitläuftigkeit in der Erklärung der Weberei, die wir gar beschwerlich empfunden haben, und in der von der Umwälzung des Ganzen, und in der über das Sein des Nichtseienden beim Sophisten, indem wir bemerkten wie sehr lang dies alles war. Und über alles dieses haben wir uns Vorwürfe gemacht, besorgend daß wir außer dem langen auch ungehörig sprächen. Damit uns also dieses in Zukunft nicht wieder begegne, deshalb, sage, hätten wir alles bisherige erörtert.

Der jüngere Sokrates: Das soll geschehen; sprich nur weiter.

Fremder: Ich sage demnach, daß wir, du und ich, uns des jetzt gesagten zu erinnern und immer Lob und Tadel über Länge und Kürze, wovon wir auch jedesmal reden mögen, zu erteilen haben nicht nach Beurteilung der Längen in Vergleich mit einander, sondern zufolge jenes Teiles der Meßkunst welchen wir uns damals merken wollten, nach dem schicklichen.

Der jüngere Sokrates: Richtig.

Fremder: Aber auch nicht nach diesem allem. Denn weder der zur bloßen Belustigung angemessenen Länge werden wir anders bedürfen als nur sehr nebenbei. Und eben so auch die für die Untersuchung des unmittelbar Aufgegebenen, um es aufs leichteste und schnellste zu finden, gebietet unsere Rede uns nicht als das erste, sondern nur als das zweite zu lieben; am meisten aber und zuerst das Verfahren selbst in Ehren zu halten, daß man der Teilung nach Arten mächtig sei, und daher auch eine Rede, wenn sie gleich noch so lang müßte gesprochen werden um den Hörer erfinderischer zu machen, dennoch zu verfolgen und über die Länge nicht unwillig zu sein, und wiederum wenn sie nur kurz sein darf, eben so. Ferner auch, daß wer in solchen Verhandlungen die Länge der Reden tadelt und das Herumgehn im Kreise sich nicht will gefallen lassen, daß der keinesweges nur so geradezu das Gesprochene abzutun und zu tadeln habe, daß es zu lang sei, sondern auch zu bedenken, daß er zeigen müsse, wie (287) es kürzer könnte gewesen sein und doch die Unterredenden dialektischer gemacht haben und erfinderischer in der Kundmachung der Dinge durch die Rede; und daß wir auf anderes Lob und Tadel, wobei auf etwas anderes gesehen wird, uns gar nicht zu bekümmern haben vielmehr tun können als ob wir auf solche Reden ganz und gar nicht hörten. Und hievon sei es nun genug, wenn auch du so meinst. Sondern laß uns jetzt wieder zum Staatsmann gehn und das vorher durchgeführte Beispiel der Weberei an ihm versuchen.

Der jüngere Sokrates: Wohl gesprochen, und laß uns tun was du sagst.

Fremder: Nicht wahr, von vielen Künsten welche ebenfalls Hüterinnen sind, oder vielmehr von allen welche mit Herden zu tun haben ist der König uns schon abgesondert? Nur sind uns noch übrig, müssen wir sagen, die in dem Staate selbst zu den Mitursachen und Ursachen gehören, welche wir zuerst von einander trennen müssen.

Der jüngere Sokrates: Richtig.

Fremder: Nun weißt du wohl, daß es schwer ist sie in zwei Teile zu teilen; und auch die Ursache davon wird uns, denke ich, wenn wir weiter gehen nicht minder deutlich werden.

Der jüngere Sokrates: So wollen wir es denn so tun.

Fremder: Gliederweise wollen wir sie also wie die Opfer zerteilen, da es in die Hälften nicht gehen will. Denn in die möglichst nächste Zahl von dieser muß man immer zerschneiden.

Der jüngere Sokrates: Wie wollen wir das also jetzt machen?

Fremder: Wie vorher, wo wir doch alle welche nur Werkzeuge für die Weberei hergaben als Mitursachen setzten.

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Dasselbe müssen wir nun auch jetzt, und zwar noch mehr als damals tun. Die nur irgend ein, sei es nun kleines oder großes Werkzeug im Staat verfertigen, diese müssen wir insgesamt als Mitursachen setzen. Denn ohne diese könnte weder ein Staat noch eine Staatskunst jemals bestehen, aber keines davon können wir doch als ein Werk der königlichen Kunst ansehen.

Der jüngere Sokrates: Freilich nicht.

Fremder: Allein etwas schwieriges unternehmen wir zu tun durch Absonderung dieser Gattung von den übrigen. Denn von welchem Dinge man auch sagt, daß es Werkzeug für ein gewisses anderes sei, wird das immer ganz glaubhaft gesagt scheinen. Dennoch aber wollen wir von einer andern Sache im Staate dieses behaupten.

Der jüngere Sokrates: Was doch meinst du?

Fremder: Daß sie nicht dieselbe Eigenschaft hat. Denn nicht um Ursache zu sein daß etwas entstehe wird sie zusammengeschlagen, wie ein Werkzeug, sondern zu des bereits verfertigten Erhaltung.

Der jüngere Sokrates: Was meinst du doch für eine?

Fremder: Was für trocknes und nasses, für im Feuer gewesenes und nicht darin gewesenes auf mannigfaltige Weise verfertiget und mit Einem Namen Gefäß genannt wird, ein gar weitläuftiger Begriff, und der mit unserer gesuchten Wissenschaft, wie ich glaube, gar nichts zu schaffen hat.

Der jüngere Sokrates: Wie sollte er auch?

(288) Fremder: Ferner ist eine dritte von diesen verschiedene Art von Sachen häufig zu sehen zu Land und zu Wasser, teils weit umherirrend teils nicht, teils kostbar teils geringschätzig, Einen Namen aber führend, weil er insgesamt um etwas bei sich aufzunehmen ein Sitz für etwas wird.

Der jüngere Sokrates: Was doch meinst du?

Fremder: Was wir Fahrzeug nennen, und was gar nicht der Staatskunst Werk ist, sondern weit mehr des Zimmermanns und Töpfers und Metallarbeiters.

Der jüngere Sokrates: Ich verstehe.

Fremder: Und wie? sollen wir nicht als eine andere vierte Art diejenige angeben, wozu das meiste von dem vorher schon erwähnten gehört, alles was Kleidung ist, und die meisten Waffen und Mauern, und alles was aufgeworfen wird von Erde und Steinen, und tausenderlei anderes? Da es aber insgesamt um etwas zu umgeben und zu decken verfertiget wird, könnte man es im allgemeinen und mit allem Recht Bedeckung nennen und es bei weitem mehr für das Werk der Baukunst und der Weberei größtenteils und richtiger halten, als der Staatskunst.

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: Wollen wir nun etwa als das fünfte alles was zum Schmuck gehört aufstellen, und die Malerkunst, und was durch Anwendung dieser Kunst und der Tonkunst als Nachbildung nur zu unserem Vergnügen hervorgebracht und mit Recht unter Einem Namen begriffen wird?

Der jüngere Sokrates: Unter welchem?

Fremder: Spielwerk nennt man doch etwas?

Der jüngere Sokrates: Wie sollte man nicht!

Fremder: Und das wird sich eben als gemeinschaftlicher Name für dies alles schicken. Denn nie wird etwas davon eines Geschäftes wegen sondern nur zum Spiel gemacht.

Der jüngere Sokrates: Auch das verstehe ich wohl.

Fremder: Was nun aber dem allen Körper gibt, woraus und womit alle erwähnten Künste arbeiten, und was wiederum als mannigfaltige Gattung ein Erzeugnis vieler anderen Künste ist, sollen wir das nicht als das sechste setzen?

Der jüngere Sokrates: Was meinst du wohl?

Fremder: Gold und Silber und was sich sonst hämmern läßt, und was die Holzschläger und Scherer abschneidend den zimmernden und flechtenden Künsten liefern, und die Baumschäler welche den Gewächsen, so wie die Lederarbeiter welche den belebten Körpern die Haut abziehn, und alle Künste welche sich mit dergleichen abgeben, wie auch die den Kork und die Schreiberollen und die Riemen verfertigenden, was diese alle liefern um zusammengesetztes verschiedener Art aus allen Arten des nichtzusammengesetzten zu verfertigen: dies alles nennen wir als eins, den ursprünglichen und unzusammengesetzten Besitz für die Menschen, keinesweges aber ein Werk der königlichen Kunst.

Der jüngere Sokrates: Schön.

Fremder: Dann wieder das Gewinnen der Nahrung, und was in den Leib eingemischt durch seine Teile die Teile des Leibes irgend zu stärken ein Vermögen besitzt, dies nennen wir insgesamt als das siebente die Nahrung, wenn wir nicht einen (289) anderen schöneren Namen haben. Und wenn wir dies der Kunst des Landbaues und der Jagd und der Leibesübungen und der Heilkunst und Kochkunst anweisen, werden wir es richtiger stellen als unter die Staatskunst.

Der jüngere Sokrates: Das gewiß.

Fremder: Nun, glaube ich, daß fast alles was man besitzen kann, außer den zahmen Tieren in diesen sieben Arten zu finden ist. Sieh nur zu. Eigentlich nämlich sollte zuerst oben an stehn der rohe Stoff, nächst diesem das Werkzeug, das Gefäß, das Fahrzeug, die Bedeckung, das Spielwerk, die Nahrung. Wir übergehen aber wenn uns etwa manches unwichtige entgangen ist, was sich in eines von diesen größeren nicht fügen kann, wie die Idee des Geldes, der Insiegel und aller aufgedruckten Zeichen. Denn für diese ist keine unter jenen großen Gattungen ganz angemessen, sondern einiges davon würde sich zum Schmuck anderes zu den Werkzeugen, mit Gewalt zwar, aber doch ganz gewiß ziehen lassen und zusammenstimmen. Was aber zum Besitz der zahmen Tiere gehört, wenn man die Knechte ausnimmt, das wird die Herdenzucht wie wir sie vorher eingeteilt haben wohl ganz in sich befassen.

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: Nun sind also noch die Knechte und alle anderen Diener übrig, unter denen ich wohl ahnde daß sich uns auch die zeigen werden, die sich auch um das Geflechte selbst mit dem Könige streiten, wie vorher mit dem Weber die, welche das Spinnen und Wollkämmen und anderes erwähnte treiben. Die übrigen alle sind als Mitursachen bezeichnet schon mit den eben erwähnten Werken drauf gegangen und von dem königlichen und staatskünstlerischen Geschäft abgesondert.

Der jüngere Sokrates: Das scheinen sie wenigstens.

Fremder: Laß uns also die noch übrigen betrachten und zwar nahe hinzutretend, damit wir sie fester ins Auge fassen.

Der jüngere Sokrates: Das müssen wir freilich.

Fremder: Bei den hauptsächlichsten Dienern, von hier aus gesehen, werden wir freilich ein ganz entgegengesetztes Geschäft und Leben finden als uns jetzt ahndete.

Der jüngere Sokrates: Welche meinst du?

Fremder: Die erkauften verkäuflichen und auf diese Art erwerblichen, welche wir ohne Widerrede Knechte nennen, und von ihnen sagen dürfen daß sie am wenigsten Anspruch machen auf die königliche Kunst.

Der jüngere Sokrates: Wie sollten wir das nicht?

Fremder: Und wie? diejenigen Freien welche sich den eben erwähnten freiwillig zugesellen in der Dienstbarkeit, des Ackerbaues und der andern Künste Erzeugnisse einander zutragend und gegen einander ausgleichend, die einen auf dem Markte, die andern von Stadt zu Stadt ziehend über See und zu Lande, und Geld gegen Waren oder auch gegen sich selbst umsetzend, welche wir Geldwechsler und Kaufleute und Schiffsherren und Krämer nennen, sollten die sich wohl irgend dazu drängen zur Staatskunst zu gehören?

(290) Der jüngere Sokrates: Vielleicht wohl zu der der Kaufleute.

Fremder: Niemals aber werden wir doch die wir als Söldner dienen sehen und als Jedem bereitwillige Tagelöhner zugleich als solche erfinden, die auf die königliche Kunst Anspruch machen.

Der jüngere Sokrates: Wie sollten wir wohl!

Fremder: Und wie? etwa diejenigen, welche uns dergleichen Dienste zu leisten pflegen?

Der jüngere Sokrates: Wen? und was für Dienste meinst du?

Fremder: Die, zu denen das Geschlecht der Herolde gehört, und die sich auf öffentliche Schriften verstehen und uns damit oft Dienste leisten, und manche andere, die vielerlei anderes für die öffentlichen Gewalten mühsam auszurichten gar trefflich sind, wie sollen wir die nennen?

Der jüngere Sokrates: Wie du schon sagtest, Diener, nicht Herrscher in den Staaten selbst.

Fremder: Aber ich habe doch wohl nicht ein Traumgesicht gesehen, daß ich sagte, hier würden sich uns wohl die zeigen, welche ganz vorzüglich mit der königlichen Kunst im Streit begriffen wären? Wiewohl es freilich ganz ungereimt scheinen kann, diese in irgend einem dienenden Zustande suchen zu wollen.

Der jüngere Sokrates: Freilich wohl.

Fremder: Laß uns also noch näher an die noch nicht geprüften uns heranmachen. Da sind zuerst die welche an der Wahrsagekunst einen Teil einer dienenden Wissenschaft besitzen. Denn für Dolmetscher der Götter bei den Menschen werden sie ja gehalten?

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Eben so dann auch das Geschlecht der Priester erst kundig, wie die bestehende Meinung sagt von unserer Seite Geschenke an Opfern für die Götter nach ihrem Sinne zu schenken, und von ihrer Seite uns durch Gebete den Besitz des Guten zu erflehen. Und dies sind doch wohl beides Teile einer dienenden Kunst?

Der jüngere Sokrates: Offenbar ja wohl.

Fremder: Endlich also scheinen wir doch nun eine Spur, der wir nachgehn können, gefaßt zu haben. Denn Priester und Wahrsager haben ja ein sehr verständiges Ansehn, und genießen einer hohen Achtung wegen der Wichtigkeit ihres Geschäftes. So daß in Ägypten kein König ohne Priestertum regieren darf; sondern wenn auch etwa einer aus einem andern Geschlecht die Regierung gewaltsam an sich gerissen hat, so muß er doch notwendig noch nachher in dies Geschlecht eingeweiht werden. Auch unter den Hellenen findet man häufig, daß den höchsten obrigkeitlichen Personen die wichtigsten solcher Opfer zu verrichten übertragen sind. Ja auch bei euch liegt ja dies nicht weniger zu Tage. Denn wen das Los zum Archon, der König genannt wird, macht, dem sagt man wären hier die feierlichsten und altväterlichsten Opfer übertragen.

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: Diese also, die durchs Los ernannten Könige und (291) die Priester und ihre Diener und noch eine große Menge Anderer die uns jetzt erschienen sind müssen wir betrachten, nach gänzlicher Absonderung aller vorigen.

Der jüngere Sokrates: Welche meinst du nur?

Fremder: Einige gar wunderliche.

Der jüngere Sokrates: Wie so?

Fremder: Ein gar vielstämmiges Geschlecht wie sich gleich auf den ersten Anblick zeigt. Denn viele der Männer gleichen den Löwen und Kentauren und anderen der Art; gar viele aber auch den Satyrn und den schwächeren aber gewandteren Tieren; oft verwandeln sie sich auch aus einer Gestalt und Eigenschaft in die andere. Kurz jetzt, o Sokrates, glaube ich die Männer endlich erblickt zu haben.

Der jüngere Sokrates: Sprich nur. Denn du scheinst etwas gar wunderliches zu sehen.

Fremder: Freilich; denn wunderliches kommt Allen aus der Unwissenheit her. Ist mir doch noch jetzt dasselbe gar plötzlich begegnet. Denn ich war ganz zweifelhaft als ich den Chor, der mit den Staatsangelegenheiten sich beschäftigt, erblickte.

Der jüngere Sokrates: Welchen doch?

Fremder: Den größten Tausendkünstler unter allen Sophisten und den erfahrensten in diesen Künsten, den wir, wie schwer er auch von den wahrhaft königlichen und Staatsmännern abzusondern sein mag, dennoch absondern müssen, wenn wir das gesuchte recht klar sehen wollen.

Der jüngere Sokrates: Davon dürfen wir aber doch auf keine Weise ablassen.

Fremder: Gewiß nicht, wenn es nach mir geht. Sage mir also dieses.

Der jüngere Sokrates: Was doch?

Fremder: Ist nicht die Monarchie eine von den Regierungen des Staates?

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Und nach der Monarchie würde einer, glaube ich, die Obergewalt der Wenigen anführen.

Der jüngere Sokrates: Wie sollte er nicht?

Fremder: Und die dritte Gestalt der Staatsverfassung, ist das nicht die Regierung der Menge, welche Demokratie genannt wird?

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: Und werden diese nicht gewissermaßen aus dreien fünfe, wenn zwei davon sich aus sich selbst andere Namen hervorbringen?

Der jüngere Sokrates: Was für welche doch?

Fremder: Wenn man doch auf das gewaltsame und freiwillige sieht, auf Armut und Reichtum, auf Gesetz und Gesetzlosigkeit, welche darin Statt haben: so teilt man jede von den beiden in zweie, und benennt die Monarchie, als begriffe sie zwei Arten, mit zwei Namen, die Tyrannei die eine, die andere das Königtum.

Der jüngere Sokrates: Richtig.

Fremder: Und so auch den von Wenigen beherrschten Staat mit zwei Namen, Aristokratie und Oligarchie.

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: In der Demokratie aber mag nun mit Gewalt oder mit ihrem guten Willen die Menge über die welche das Vermögen in Händen haben regieren, und mag sie die Gesetze genau beobachten oder auch nicht; so pflegt sie doch niemals jemand mit einem anderen Namen zu benennen.

(292) Der jüngere Sokrates: Das ist wahr.

Fremder: Wie nun? Glauben wir nun irgend eine von diesen Staatsverfassungen sei richtig, in wie fern sie durch diese Bestimmungen bestimmt ist, durch die Anzahl, ob es Einer ist oder Wenige oder Viele, oder durch Armut und Reichtum, oder nach dem gewaltsamen und freiwilligen, und in wiefern sie schriftliche Satzungen hat oder ohne Gesetze besteht?

Der jüngere Sokrates: Warum nicht? und was sollte doch dagegen sein?

Fremder: Betrachte es nur genauer, indem du mir so folgst.

Der jüngere Sokrates: Wie doch?

Fremder: Ob wir bei dem anfänglich gesagten bleiben oder davon abgehn wollen?

Der jüngere Sokrates: Von welchem meinst du?

Fremder: Die königliche Regierung sagten wir sei eine Erkenntnis.

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Und nicht nur so eine aus allen, sondern eine sondernde und vorstehende nahmen wir erst aus den anderen heraus?

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Und aus der vorstehenden wiederum eine für unbeseelte Werke und eine für lebendige Wesen, und so sind wir immer weiter teilend bis hieher gekommen, ohne je die Erkenntnis fahren zu lassen, nur was für eine sie wäre, konnten wir immer noch nicht recht ausmitteln.

Der jüngere Sokrates: Richtig gesagt.

Fremder: Das sehen wir also doch, daß weder das Viele noch das Wenige noch das Freiwillige oder Unfreiwillige noch Reichtum oder Armut die Bestimmung darüber enthalten darf, sondern eine Erkenntnis muß es sein, wenn wir anders dem vorigen folgen wollen.

Der jüngere Sokrates: Daß wir das aber nicht tun sollten ist ganz unmöglich.

Fremder: Notwendig also müssen wir jetzt darauf Acht haben, in welcher von diesen nun wohl eine Erkenntnis sich finden kann über die Beherrschung der Menschen, die gewiß fast die schwierigste ist wie die wichtigste zu erwerben. Denn sie müssen wir sehen, um zu wissen was für Leute wir zu trennen haben von dem vernunftmäßigen Könige, als solche die sich zwar dafür ausgeben Staatsmänner zu sein, auch viele dessen überreden, es aber keinesweges sind.

Der jüngere Sokrates: Das müssen wir allerdings tun, wie auch unsere Rede uns schon vorher angedeutet hat.

Fremder: Meinst du nun etwa, die Menge im Staate sei im Stande diese Erkenntnis zu erlangen?

Der jüngere Sokrates: Wie sollte sie wohl!

Fremder: Aber in einer Stadt von tausend Männern könnten doch ihrer wohl hundert oder wenn auch nur fünfzig im Stande sein sie gründlich zu erwerben?

Der jüngere Sokrates: Die leichteste wäre sie dann wohl unter allen Künsten. Denn wir wissen ja daß unter tausend Männern nicht so viel von den übrigen in Hellas sich auszeichnende Brettspieler gefunden werden, geschweige denn Könige. Denn wer die königliche Kunst besitzt, den müssen wir, er mag nun regieren oder nicht, auch nach unserer vorigen Rede doch immer König nennen.

Fremder: Sehr gut erinnert. Und daraus, meine ich, folgt, (293) daß man die richtige Regierung bei Einem oder Zweien oder gar Wenigen suchen muß, wenn es eine richtige gibt.

Der jüngere Sokrates: Wie sollte man anders!

Fremder: Von diesen aber, mögen sie nun mit dem guten Willen der Beherrschten regieren oder wider ihren Willen, und nach geschriebenen Satzungen oder ohne solche, und dabei reich sein oder arm, müssen wir glauben, wie wir jetzt meinen, daß sie jegliche Regierung welche es auch sei nach der Kunst verwalten werden; so wie wir die Arzte nicht weniger dafür halten, sie mögen uns nun mit oder wider unsern Willen heilen, und dabei schneiden, brennen oder welchen Schmerz sonst uns zufügen, und mögen es nach geschriebenen Vorschriften tun oder ohne solche, und arm oder reich sein, in allen Fällen werden wir ihnen nichts desto weniger zugestehen daß sie Ärzte sind, so lange sie nur kunstgerecht dem Leibe vorstehn und ihn reinigen oder sonst irgendwie magerer machen oder auch fleischiger, wenn es nur zum Besten des Leibes geschieht um ihn besser zu machen aus einem schlechteren, und sie ihn, wie jeder der etwas pflegt sein zu pflegendes, erhalten. So werden wir sagen, denke ich, und nicht anders ergebe sich die richtige Bestimmung der ärztlichen und jeder anderen Aufsicht und Regierung.

Der jüngere Sokrates: Offenbar freilich.

Fremder: Notwendig ist also auch unter den Staatsverfassungen, wie es scheint, diejenige die richtige vor allen andern und einzige Staatsverfassung, in welcher man bei den Regierenden wahrhafte und nicht nur eingebildete Erkenntnis findet, mögen sie nun nach Gesetzen oder ohne Gesetze regieren und über Gutwillige oder Gezwungene und arm sein oder reich: denn hievon ist gar nichts niemals irgendwie für die Richtigkeit mit in Anschlag zu bringen.

Der jüngere Sokrates: Schön.

Fremder: Und wenn sie auch Einige töten oder verjagen, und so zu seinem Besten den Staat reinigen, oder auch Kolonien wie die Schwärme der Bienen anderwärts hinsenden und ihn kleiner machen, oder Andere von außen her unter die Bürger aufnehmen und ihn größer machen, so lange sie nur Erkenntnis und Recht anwendend ihn erhalten und aus einem schlechten möglichst besser machen, werden wir immer nach diesen Bestimmungen diese Staatsverfassung für die einzig richtige erklären müssen. Die wir aber sonst so nennen, dürfen wir gar nicht für ächte und wahrhafte angeben, sondern für Nachahmerinnen jener, von denen die wohlgeordneten sie besser, die anderen schlechter nachahmen.

Der jüngere Sokrates: Das übrige, o Fremdling, scheint ganz untadelig gesagt, daß sie aber auch ohne Gesetze herrschen sollen, ist hart anzuhören.

Fremder: Du bist mir um ein weniges zuvorgekommen durch deine Frage, o Sokrates. Denn eben wollte ich dich dasselbe fragen, ob du mit allem zufrieden wärest, oder ob dir doch (294) etwas zuwider sei von dem Gesagten. Nun liegt ja schon zu Tage, daß wir werden durchgehen müssen, wie es wohl damit stehen mag, daß auch ohne Gesetze könne richtig regiert werden.

Der jüngere Sokrates: Freilich.

Fremder: Auf gewisse Weise nun ist wohl offenbar, daß zur königlichen Kunst die gesetzgebende gehört; das Beste aber ist, wenn nicht die Gesetze Macht haben, sondern der mit Einsicht königliche Mann. Weißt du weshalb?

Der jüngere Sokrates: Sage weshalb du meinst.

Fremder: Weil das Gesetz nicht im Stande ist das für Alle zuträglichste und gerechteste genau zu umfassen und so das wirklich beste zu befehlen. Denn die Unähnlichkeit der Menschen und der Handlungen, und daß niemals nichts so zu sagen Ruhe hält in den menschlichen Dingen, dies gestattet nicht, daß irgend eine Kunst in irgend etwas für Alle und zu aller Zeit einfach darstelle. Das geben wir doch wohl zu?

Der jüngere Sokrates: Wie sollten wir nicht!

Fremder: Das Gesetz aber sehen wir doch, daß es eben hiernach strebt, wie ein selbstgefälliger und ungelehriger Mensch, der nichts will anders als nach seiner eigenen Anordnung tun und auch Niemanden weiter anfragen lassen, auch nicht wenn jemanden etwas neues und besseres gekommen ist außer der Ordnung die er selbst festgestellt hat.

Der jüngere Sokrates: Richtig. Genau so wie du jetzt gesagt hast macht es das Gesetz uns Allen.

Fremder: Unmöglich also kann sich zu dem niemals einfachen das richtig verhalten, was durchaus einfach ist.

Der jüngere Sokrates: So scheint es.

Fremder: Weshalb es nun doch notwendig ist Gesetze zu geben, wenn gleich das Gesetz nicht das richtigste ist, wollen wir davon die Ursache aufspüren?

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: Es gibt doch auch bei Euch, wie auch in anderen Städten, Übungen vieler Menschen zusammen im Lauf oder sonst worin aus Wetteifer.

Der jüngere Sokrates: Gar viele freilich.

Fremder: Wohl! wiederholen wir uns also was die welche diese Übungen kunstmäßig verstehen darüber anordnen, wo sie zu gebieten haben.

Der jüngere Sokrates: Was doch?

Fremder: Sie glauben doch es sei nicht möglich sie ganz genau im einzelnen auszuarbeiten, so daß sie jedem besonders das für seinen Leib angemessenste aufgäben; sondern etwas mehr aus dem Groben glauben sie müsse man im Allgemeinen für Viele die Anordnung des dem Leibe zuträglichen abfassen.

Der jüngere Sokrates: Schön.

Fremder: Daher messen sie denn Allen insgesamt gleiche Anstrengungen zu, und lassen sie zugleich anfangen und zugleich auch wieder aufhören mit Laufen, Ringen und den übrigen Leibesübungen.

Der jüngere Sokrates: So ist es.

Fremder: So laß uns denn auch vom Gesetzgeber glauben, der seinen Herden vorstehen soll in Sachen des Rechtes und ihres gegenseitigen Verkehrs, daß er nicht im Stande sein werde, indem er allen insgesamt gebietet, jedem Einzelnen genau das Gebührende anzuweisen.

(295) Der jüngere Sokrates: Wahrscheinlich ist es wohl.

Fremder: Sondern nur so dem Haufen insgemein und im Ganzen genommen und mithin den Einzelnen nur gewissermaßen aus dem Groben wird er Gesetze geben, sowohl die er schriftlich abfaßt, als auch wenn er in ungeschriebenen vaterländischen Gebräuchen gesetzgebend ist.

Der jüngere Sokrates: Richtig.

Fremder: Richtig freilich. Denn wie wäre einer wohl im Stande, o Sokrates, sein ganzes Lebenlang für jeden Einzelnen da zu sitzen, um ihm mit aller Genauigkeit das Gebührliche anzuordnen? Denn könnte das freilich einer von denen welche die königliche Kunst besitzen: so würde er wohl bleiben lassen, meine ich, sich selbst Schranken zu setzen, indem er diese sogenannten Gesetze schriebe.

Der jüngere Sokrates: Nach dem vorhin Gesagten freilich, Fremdling.

Fremder: Und noch mehr wohl, o Bester, nach dem was wir noch sagen wollen.

Der jüngere Sokrates: Und was wäre das?

Fremder: Dieses. Laß uns bei uns selbst sprechen, wenn ein Arzt oder einer der den Leibesübungen vorsteht verreisen wollte, und, wie er glaubte, geraume Zeit von denen die er zu besorgen hat abwesend sein, und dabei nicht glaubte, daß die Übenden oder die Kranken seine Anordnungen im Gedächtnis behalten würden: so würde er sie ihnen ja wohl lieber aufschreiben? oder wie?

Der jüngere Sokrates: Gewiß.

Fremder: Und wie wenn gegen seine Meinung die Reise kürzer währte und er wiederkäme, dann sollte er es nicht wagen gegen dieses Aufgeschriebene anderes anzuordnen, wenn sich für die Kranken etwas anderes besser eignete etwa der Winde wegen, oder weil sonst etwas in der Witterung über Erwarten anders als gewöhnlich erfolgt wäre? sondern sollte dabei beharren und meinen, das ehemals gesetzlich vorgeschriebene dürfe nicht übertreten werden, weder von ihm indem er anderes verordnete, noch von dem Kranken indem der etwas anderes als aufgeschrieben ist zu tun wagte, weil dies nämlich das heilkundige und gesunde wäre, was aber davon abwiche schädlich sein müßte und nicht kunstmäßig? Oder würde nicht in jeder Wissenschaft und wahren Kunst, welche es auch sei, auf alle Weise das größte Gelächter entstehen über solche Gesetzgebungen?

Der jüngere Sokrates: Auf alle Weise freilich.

Fremder: Wenn aber was gerecht ist und ungerecht, schön und häßlich, gut und böse, einer aufgezeichnet oder auch unaufgezeichnet den Herden der Menschen vorgeschrieben hat, wie sie eben Staatenweise geweidet werden nach den Gesetzen derer, die dies aufgeschrieben, dem sollte es, wenn er selbst der es kunstgemäß abgefaßt hat oder ein anderer ähnlicher wiederkäme, nicht freistehn anderes von diesem (296) abweichend zu verordnen? Oder müßte nicht auch dies Verbot um nicht minder als jenes in Wahrheit lächerlich erscheinen?

Der jüngere Sokrates: Wie sollte es nicht?

Fremder: Weißt du auch was hierüber die Meisten zu sagen pflegen?

Der jüngere Sokrates: Ich entsinne mich wenigstens dessen jetzt gleich nicht so.

Fremder: Es klingt gar schön. Sie sagen nämlich, wer bessere als die bisherigen Gesetze wisse, der solle Gesetze geben, wenn er nämlich seinen Staat dazu überreden kann, sonst aber nicht.

Der jüngere Sokrates: Wie nun? ist das nicht recht?

Fremder: Vielleicht. Wenn aber nun Einer ohne zu überreden das bessere erzwingt, beantworte mir doch wie dieser Zwang heißen soll? Doch lieber noch nicht, sondern zuvor in dem vorigen.

Der jüngere Sokrates: Was meinst du doch?

Fremder: Wenn einer der seinen Kranken nicht überredet, aber die Kunst recht inne hat, ihn besseres als das Geschriebene zu tun nötiget, sei es nun ein Kind oder ein Mann oder ein Weib; welchen Namen soll wohl dieser Zwang erhalten? Nicht jeden andern eher als den womit das gegen die Kunst gefehlte genannt wird, das ungesunde? Und kann nicht, wer hiezu gezwungen worden ist, alles eher mit Recht sagen, nur nicht daß ihm ungesundes und kunstwidriges widerfahren sei von dem zwingenden Arzte?

Der jüngere Sokrates: Du hast vollkommen Recht.

Fremder: Wie heißt uns nun das gegen die Staatskunst gefehlte? Nicht das Schändliche, das Böse, das Ungerechte?

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: Die nun gezwungen werden gegen das Geschriebene und Hergebrachte anderes gerechteres, besseres und schöneres als das bisherige zu tun; sprich wenn diese sich nun über solchen Zwang beklagen wollen, und ihre Klage soll nicht die allerlächerlichste unter allen sein, muß sie nicht eher jedes andere aussagen, als daß den Gezwungenen schändliches und ungerechtes und Böses widerfahren wäre von den Zwingenden?

Der jüngere Sokrates: Vollkommen richtig.

Fremder: Oder ist etwa wenn der zwingende reich ist, dann das erzwungene recht, wenn aber arm, dann ungerecht? Oder muß nicht vielmehr, habe einer nun mit Überredung oder ohne Überredung, Reicher oder Armer, nach den Schriften oder gegen die Schriften das Zuträgliche getan, dies auch hier die richtigste Bestimmung sein für die rechte Einrichtung des Staates, wie der weise und gute Mann die Angelegenheiten der Beherrschten einrichten wird; so daß wie der Steuermann immer des Schiffes und der Schiffsgesellschaft Bestes wahrnehmend ohne Schriften auszustellen, sondern seine Kunst zum Gesetz machend seine Mitschiffenden erhält, (297) so auch auf die nämliche Weise bei denen die so zu regieren verstehen diese die rechte Staatsverfassung sein wird, welche die Kraft der Kunst höher stellt als die Gesetze? Und was auch die mit Einsicht Regierenden tun das ist ohne Fehl, so lange sie nur das Eine große bewahren, daß sie nach Vernunft und Kunst denen im Staate immer das gerechteste austeilend im Stande sind sie zu erhalten, und immer zum Besseren vom Schlechteren hinzuführen nach Vermögen.

Der jüngere Sokrates: Es ist nichts einzuwenden hiegegen.

Fremder: Aber auch wohl dagegen wird nichts aufzubringen sein?

Der jüngere Sokrates: Wogegen meinst du?

Fremder: Daß nie eine Menge, von was für Menschen es auch sei, zu dieser Erkenntnis gelangen und im Stande sein kann vernunftmäßig einen Staat zu verwalten; sondern nur unter Wenigen und bei geringer Zahl oder dem Einen muß man jene Eine richtige Staatsverfassung suchen, die übrigen aber nur als Nachahmungen setzen, wie auch vorher gesagt wurde, deren einige besser andere schlechter jene nachahmen.

Der jüngere Sokrates: Wie meintest du doch das? denn ich habe auch vorher das nicht recht verstanden von den Nachahmungen.

Fremder: Wäre das denn nicht gar arg, wenn Jemand einen solchen Gegenstand aufregte und dann wieder hinwürfe ohne ihn durchzuführen, bis er den jetzt darin begangenen Fehler aufzeigte?

Der jüngere Sokrates: Welchen doch?

Fremder: Einen solchen haben wir zu suchen, der uns gar nicht gewohnt ist noch auch leicht zu sehen; dennoch müssen wir versuchen ihn zu fassen. Wohlan denn, wenn uns dies die einzige richtige Staatsverfassung ist, die wir beschrieben haben, so weißt du wohl müssen sich die übrigen dadurch erhalten daß sie sich der Schriften von jener bedienen, indem sie das beobachten was jetzt gelobt wird, wiewohl es nicht das richtigste ist.

Der jüngere Sokrates: Was doch?

Fremder: Daß keiner im Staate sich untersteht irgend etwas gegen die Gesetze zu tun, und der es sich untersteht mit dem Tode und auf das allerhärteste bestraft wird. Und dies ist auch wirklich das richtigste und schönste als das zweite, nämlich wenn man das erste vorherbeschriebene bei Seite setzt. Wie nun aber dieses geworden ist, was wir als das zweite angenommen haben, das laß uns nun zu Ende bringen. Nicht wahr?

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: Kehren wir also zu jenen Bildern zurück mit denen wir notwendig immer die königlichen Herrscher vergleichen.

Der jüngere Sokrates: Zu was für welchen?

Fremder: Zu dem edlen Steuermann und dem Arzte der wert wie Viele zu achten. An diesen nämlich wollen wir uns einen Entwurf davon bilden und den betrachten.

Der jüngere Sokrates: Wovon doch?

Fremder: Davon, als wenn wir Alle von ihnen dächten, daß (298) sie uns aufs ärgste mitspielten. Wem sie nämlich eben helfen wollten, dem hülfen sie, wen sie aber verstümmeln wollten von uns, den verstümmelten sie durch Schneiden und Brennen, und ließen sich noch Kosten dafür bezahlen wie Abgaben, von denen sie wenig oder nichts auf den Kranken verwenden und das übrige selbst mit ihren Leuten verbrauchen. Ja am Ende ließen sie sich gar noch von Verwandten oder Feinden des Kranken Geld geben und brächten ihn um. Und die Schiffer wiederum täten tausenderlei anderes dergleichen, ließen einen arglistigerweise an den Landungsplätzen einsam zurück, und würfen wenn sie Unglück auf dem Meere hätten die Waren über Bord oder verursachten anderen Schaden. Wenn wir also in dieser Meinung einen solchen Rat über sie pflögen, es solle keiner von diesen Künsten länger gestattet sein unumschränkt zu regieren weder über Knechte noch Freie, sondern wir wollten eine Gemeine aus uns selbst zusammenberufen entweder das gesamte Volk, oder die Reichen allein wo es auch denen die nichts von der Sache verstehn und Arbeitern anderer Art freistehn solle, ihre Meinung über Schiffahrt und Krankheit mit dazu zu geben, wie wir uns der Arzneimittel und der heilkünstlerischen Werkzeuge bei den Kranken zu bedienen hätten, und ebenso der Schiffe selbst und des Schiffgerätes zum Besten der Schiffe, und über die Gefahren bei der Schiffahrt selbst von Wind und Wellen und auch bei dem Zusammentreffen mit Seeräubern, und so auch wenn große Schiffe ein Gefecht auszuhalten haben mit anderen solchen. Was dann den Meisten gut dünkt über diese Dinge, mögen nun Ärzte und Schiffer oder mögen Unkundige dabei geraten haben, das schrieben wir auf spitzige Tafeln oder auf Säulen, oder auch ungeschrieben würde es als wohlhergebrachter Gebrauch festgestellt, und hiernach müßte dann von nun an die Schiffahrt betrieben und die Pflege der Kranken eingerichtet werden.

Der jüngere Sokrates: Offenbar gar wunderliche Dinge erzählst du.

Fremder: Und jährlich würden Herrscher über die Menge bestellt entweder aus den Reichen oder aus dem gesamten Volke wen eben das Los träfe, und die bestellten Gewalthaber herrschten dann nach diesen Schriften die Schiffe steuernd und die Kranken heilend.

Der jüngere Sokrates: Das ist noch ärger.

Fremder: Sieh auch noch was nächstdem folgt. Wenn nämlich das Jahr eines Gewalthabers um ist, dann muß ein Gericht bestellt werden von Männern entweder vorzugsweise aus den Reichen oder aus dem gesamten Volk, und die gewählten (299) müssen dann diejenigen welche an der Regierung gewesen vor sich führen und sich Rechenschaft ablegen lassen; und wer Lust hätte könnte einen anklagen daß er nicht nach den Vorschriften dieses Jahr über die Schiffe gesteuert hätte und nicht nach alter urväterlicher Sitte. Und eben so mit denen welche die Kranken geheilt haben. Und welche dann für schuldig erkannt denen bestimmte man, was einigen sollte oder was sie bezahlen müßten.

Der jüngere Sokrates: Freilich; wer sich freiwillig dazu verstände unter solchen zu regieren, dem geschähe Recht, was er auch immer erleiden oder bezahlen müßte.

Fremder: Dann müßte noch ein Gesetz gegeben werden außer allen diesen, wenn von jemand herauskäme, daß er die Steuermanns- und Schiffahrtskunst oder das heilsame und die eigentlichen Lehren der Heilkunde von Luft und Wärme und Kälte zu erforschen suchte anderswie als aus den Vorschriften, und irgend etwas über diese Dinge erklügelte, daß der zuerst ja nicht ein Heilkundiger oder Schiffahrtskundiger heißen solle, sondern ein eingebildeter und sophistischer Schwätzer, und dann daß ihn als einen Verderber der Jugend und der sie überredete sich der Steuermannskunst und der Heilkunst nicht nach den Gesetzen zu befleißigen, sondern unumschränkt über Schiffe und Leute regieren zu wollen, daß ihn als einen solchen Jeder der Lust hätte verklagen und wohin er gehört vor Gericht laden könne. Und ergibt sich dann, daß er den Gesetzen und Vorschriften zuwider Junge oder Alte überredet habe, daß man ihn auf das äußerste bestrafe. Denn man dürfe nicht weiser sein als die Gesetze. Denn es brauche ja auch niemand unwissend zu sein in dem arzneikundigen und heilsamen und in dem steuermannskundigen und zur Schiffahrt gehörigen; sondern wer Lust habe könne ja die niedergeschriebenen Gesetze und die bestehenden väterlichen Gebräuche erlernen. Wenn man nun so wie wir es jetzt beschreiben in allen diesen Künsten verführe, o Sokrates, und mit der Kunst des Feldherrn und der gesamten Nachstellung jeder Art, und mit jedem Teil der sämtlichen Malerei oder der Nachahmung oder der Baukunst oder alles dessen was irgend zur Verfertigung der Gefäße gehört, oder des Landbaues und der gesamten Kunst mit den Gewächsen umzugehn; oder wenn wir auch eine Pferdezucht oder sämtliche übrige Viehzucht nach Vorschriften betrieben sähen, oder die Wahrsagekunst oder was sonst für Teile die dienende Kunst umfaßt, oder auch die Kunst des Brettspiels oder die gesamte Rechenkunst mit bloßen Zahlen und mit Flächen, Tiefen und Geschwindigkeiten, was würde wohl werden aus allem was so betrieben würde nach Vorschriften und nicht mit Kunst?

Der jüngere Sokrates: Offenbar würden uns alle Künste gänzlich untergehen und könnten sich auch in Zukunft gar nicht wieder erzeugen wegen des das Forschen untersagenden Gesetzes; so daß das Leben, welches jetzt schon schlecht genug ist, zu einer solchen Zeit gar nicht würde zu leben sein.

Fremder: Wie aber dann? Wenn wir dies nun durchsetzten, (300) daß alles erwähnte nach Vorschriften geschehe und über die Vorschriften uns ein durch Stimmenmehrheit erkorener oder einer den es zufällig träfe die Aufsicht führte, dieser aber unterstände sich dann, ohne sich um die Vorschriften zu bekümmern, aus Eigennutz oder aus besonderer Gunst abweichend von ihnen anders zu handeln ohne alle Einsicht: würde daraus nicht noch ein weit größeres Übel entstehen als das vorige?

Der jüngere Sokrates: Vollkommen wahr.

Fremder: Denn wer, meine ich, gegen die Gesetze, die doch auf langer Erfahrung beruhen, und bei denen immer einige Ratgeber verständig geraten und die Menge mit überredet haben sie so festzusetzen, wer so gegen diese zu handeln wagt, der werde statt eines Fehlers einen noch viel größeren Fehler machen, und uns alles Handeln noch weit ärger zerstören als die Vorschriften selbst.

Der jüngere Sokrates: Wie sollte er nicht?

Fremder: Daher ist dies nun für Alle, welche über irgend etwas einmal Gesetze und Vorschriften gestellt haben, der zweite Weg nach dem besten; daß sie hiegegen weder einen Einzelnen noch die Menge jemals das mindeste tun lassen.

Der jüngere Sokrates: Richtig.

Fremder: Nun sind das doch überall nur Nachbildungen des Wahren, was so von den Wissenden nach Vermögen aufgezeichnet ist.

Der jüngere Sokrates: Wie anders?

Fremder: Aber von dem Wissenden, dem wahrhaften Staatsmann, sagten wir doch, wenn wir uns recht erinnern, daß er mit Kunst gar vieles in seinem Geschäft vornehmen werde, ohne sich um das Geschriebene zu bekümmern, wenn ihm etwas anderes besser scheint als das was er selbst aufgeschrieben und etwa Entfernten geschickt hat.

Der jüngere Sokrates: Das sagten wir freilich.

Fremder: Wenn also auch ein Einzelner oder eine Menge die ihre bestehenden Gesetze hat gegen diese irgend etwas anderes einzurichten wagt, als wäre es so besser: so tun sie daran so gut sie können dasselbe was jener wahre tut.

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: Wenn sie aber nun Unkundige sind und doch dergleichen tun, so versuchen sie freilich das wahre nachzuahmen, sie werden aber alles gar schlecht nachahmen. Sind sie aber Kunstverständige, dann wäre es nicht mehr Nachahmung, sondern eben jenes wahreste und richtigste selbst.

Der jüngere Sokrates: Allerdings wohl.

Fremder: Von vorher aber steht uns doch fest, daß nirgends der große Haufen irgend einer Kunst sich zu bemächtigen im Stande ist.

Der jüngere Sokrates: Das steht fest.

Fremder: Gibt es also eine königliche Kunst, so kann der Haufe der Reichen und das Volk insgesamt diese Staatswissenschaft doch niemals besitzen.

Der jüngere Sokrates: Wie sollte das auch gehn!

Fremder: Also müssen jene Staaten, wie es scheint, wenn sie jenen wahren Staat des Einen kunstmäßig herrschenden (301) aufs beste nachahmen wollen, wenn ihre Gesetze einmal bestehen niemals etwas tun, weder gegen die geschriebenen noch gegen die väterlichen Gebräuche.

Der jüngere Sokrates: Das hast du sehr schön erklärt.

Fremder: Wenn nun die Reichen jenen nachahmen, so nennen wir einen solchen Staat Aristokratie; wenn sie sich aber um die Gesetze nichts bekümmern, dann Oligarchie.

Der jüngere Sokrates: So scheint es.

Fremder: Und wiederum wenn ein Einziger nach Gesetzen herrscht, den Wissenden nachahmend, so nennen wir ihn König, ohne also durch den Namen den, der mit Erkenntnis, von dem zu unterscheiden der nur nach guter Meinung den Gesetzen gemäß allein herrscht.

Der jüngere Sokrates: So machen wir es wohl.

Fremder: Und nicht wahr, wenn auch ein wahrhaft Kundiger allein herrschte, so wird er doch auf alle Weise mit demselben Namen König und mit keinem anderen genannt werden; weshalb auch die fünf Namen für die jetzt aufgestellten Verfassungen alsdann nur einer geworden sind.

Der jüngere Sokrates: So scheint es ja.

Fremder: Wie aber wenn ein Alleinherrschender weder nach Gesetzen noch nach Gewohnheiten handelt, sondern sich anstellt wie der Wissende, als müsse er nämlich auch gegen das vorschriftliche das Bessere tun, es leitet ihn aber Begierde oder Unkunde bei dieser Nachahmung, muß nicht jeder solcher ein Tyrann heißen?

Der jüngere Sokrates: Wie könnte er anders?

Fremder: Auf diese Weise also, sagen wir, entstehen uns der König und der Tyrann, die Oligarchie und Aristokratie und Demokratie, wenn die Menschen jenen Einen, den Alleinherrscher, verschmähen, und nicht glauben er könne jemals einen geben der einer solchen Macht würdig sei, so daß er mit Tugend und Erkenntnis regierend Allen was gerecht und gewissenhaft ist richtig austeilen wolle und könne, sondern er werde vielmehr jedem von uns wie er wolle Leides antun und ihn töten oder ihm sonst Schaden zufügen. Denn gäbe es nur einen wie wir ihn meinen: so würden sie wohl zufrieden sein unter ihm zu wohnen, der den genau genommen allein richtigen Staat glückselig beherrschte.

Der jüngere Sokrates: Wie sollten sie nicht!

Fremder: Nun aber, da es wie wir auch sagen in den Staaten keinen König so gibt wie in den Bienenschwärmen einer aufwächst, der sich gleich nach Leib und Seele einzig unterscheidet: so müssen sie eben zusammentreten wie es scheint um Schriften zu verfassen, und dabei der Spur des wahrhaften Staates nachgehn.

Der jüngere Sokrates: So scheint es.

Fremder: Wundern wir uns also noch, Sokrates, wie doch in solchen Staaten soviel übles geschehen kann und noch geschehen wird, da sie auf einem solchen Grunde beruhen, daß sie nach Schriften und Gewohnheiten, nicht nach Erkenntnis ihre Geschäfte verrichten, da ja jeder sieht, daß in jeder andern Verwaltung, wenn sie sich dessen bedienen wollte, alles (302) untergehn müsse wobei man so zu Werke ginge? Oder wollen wir uns vielmehr darüber wundern, wie stark doch ein Staat von Natur ist. Denn gar viele Staaten sind seit undenklicher Zeit in diesem Falle gewesen, und doch bestehen einige davon noch immer und gehen nicht zu Grunde. Viele freilich gehen auch unter wie leck gewordene Schiffe und sind untergegangen und werden noch untergehn wegen des Steuermanns und der Schiffsleute Schlechtigkeit, die in den größten Dingen die größte Unwissenheit besitzen, und ohnerachtet sie in Staatssachen von gar nichts etwas verstehen, doch meinen in allen Stücken unter allen Wissenschaften diese gerade am sichersten inne zu haben.

Der jüngere Sokrates: Vollkommen wahr.

Fremder: In welchem nun unter diesen nicht vollkommenen Staaten am wenigsten schwer ist zu leben, denn schwer ist es in allen, und welcher dagegen der unleidlichste ist, sollen wir das wohl untersuchen? Denn wenn es auch für das was wir uns jetzt vorgenommen haben nur eine Nebensache ist, so tun wir Alle wohl im Ganzen alles in solcher Hinsicht.

Der jüngere Sokrates: Wir wollen. Warum auch nicht?

Fremder: Dieselbige also von den dreien sage getrost sei zugleich ausgezeichnet vor allen die unleidlichste und auch die leidlichste.

Der jüngere Sokrates: Wie meinst du das?

Fremder: Nicht anders als die Alleinherrschaft sage und die Herrschaft der Wenigen und die der Menge, diese seien die drei, deren wir von Anfang an in der uns jetzt zugeflossenen Untersuchung erwähnten.

Der jüngere Sokrates: Das waren sie freilich.

Fremder: Diese schneiden wir nun einzeln entzwei und machen sechse daraus, indem wir die vollkommene gänzlich von ihnen abgesondert lassen als die siebente.

Der jüngere Sokrates: Wie das?

Fremder: Aus der Alleinherrschaft schneiden wir das Königtum und die Tyrannei, und wiederum aus der Herrschaft der Wenigen links die Aristokratie und dann die Oligarchie, und endlich die Herrschaft der Vielen setzten wir damals zwar nur einfach als Demokratie, jetzt aber müssen wir auch diese als zweifach setzen.

Der jüngere Sokrates: Wie aber und wonach wollen wir diese teilen?

Fremder: Gar nicht anders als die übrigen; denn wenn sie auch keinen zwiefachen Namen hat, so findet doch das nach Gesetzen herrschen und gesetzlos bei ihr eben so gut statt als bei den übrigen.

Der jüngere Sokrates: Das freilich.

Fremder: Damals nun als wir den vollkommnen Staat suchten, war uns dieser Schnitt zu gar nichts nutz, wie wir auch vorher gezeigt haben. Nachdem wir nun aber jenen ganz herausgenommen und die andern als notwendig gesetzt haben, so teilt nun doch das gesetzmäßige und gesetzwidrige jede von diesen in zwei Hälften.

Der jüngere Sokrates: Das erhellt wohl, nun die Erklärung davon gegeben ist.

Fremder: Die Alleinherrschaft nun, in gute Vorschriften die wir Gesetze nennen eingespannt, ist die beste unter allen Sechsen, gesetzlos aber beschwerlich, und die allerlästigste darin zu leben.

Der jüngere Sokrates: Das mag wohl sein.

(303) Fremder: Die Herrschaft der Wenigen nun wollen wir, wie denn Wenige das Mittel ist zwischen Eins und Vielen, so auch selbst für die mittlere nach beiden Seiten hin halten. Die Herrschaft der Menge aber für ganz schwach und weder im Guten noch im Bösen etwas großes vermögend im Vergleich mit den übrigen, weil nämlich die Gewalten in ihr unter Viele ins Kleine zerteilt sind. Darum, sind alle diese Staaten gesetzmäßig, so ist sie unter allen der schlechteste; sind sie aber insgesamt gesetzlos, dann ist diese die beste. Und sind alle zügellos, so trägt es den Preis davon in der Demokratie zu leben; sind sie aber wohlgeordnet, dann muß man am wenigsten in dieser leben; sondern in der ersten ist es dann bei weitem am besten und vorzüglichsten, mit Ausnahme der siebenten. Denn die muß man, wie einen Gott unter Menschen, aus allen anderen Staatsverfassungen aussondern.

Der jüngere Sokrates: So scheint es allerdings zu werden und zu folgen, und wir müssen tun wie du sagst.

Fremder: Also müssen wir auch Alle welche sich mit diesen Staatsverfassungen zu tun machen aussondern, daß sie nicht Staatsmänner sind sondern Parteimänner, und nur große Gaukelbilder regieren, selbst auch solche seiend und die als die größten Nachahmer und Tausendkünstler auch die größten Sophisten unter den Sophisten werden.

Der jüngere Sokrates: Ganz richtig scheint sich jetzt dieses Wort gegen die sogenannten Staatsmänner gedreht worden zu sein.

Fremder: Gut. Dies ist uns also, wie ich auch vorher sagte, ein Kranz von Kentauren und Satyrn zu schauen den wir von der Staatskunst absondern müßten, und nun endlich glücklich abgesondert haben.

Der jüngere Sokrates: So scheint es.

Fremder: Es ist uns aber noch etwas anderes schwierigeres als dieses übrig, weil es sowohl der königlichen Gattung näher verwandt als auch schwerer festzuhalten ist. Und es gemahnt mich als ginge es uns wie denen die das Gold reinigen.

Der jüngere Sokrates: Wie das?

Fremder: Erde und Steine und vieles andere sondern auch jene Arbeiter zuerst aus. Nach diesem aber bleibt ihnen noch in der Mischung das dem Golde verwandte auch kostbare nur im Feuer abzusondernde Erz und Silber, bisweilen auch Stahl, welches durch wiederholte Schmelzungen und Läuterungen mit Mühe abgesondert uns endlich das reine Gold an und für sich sehen läßt.

Der jüngere Sokrates: So sagt man ja daß es geschehe.

Fremder: Auf dieselbe Weise nun scheint auch jetzt das übrige zwar, was fremdartig und nicht befreundet ist schon von der Wissenschaft des Staates abgesondert, das kostbare und verwandte aber noch zurück zu sein. Dazu gehört nun die Kriegskunst und die Rechtswissenschaft, und jene mit der (304) königlichen Kunst in Verbindung stehende Rednergabe, welche durch überzeugende Empfehlung des Gerechten die Verhandlungen im Staate leiten hilft; welche man nun, so leicht es eben gehen will, ausscheiden muß, und dann erst jenen von uns gesuchten bloß und allein für sich aufzeigen kann.

Der jüngere Sokrates: Offenbar muß man irgendwie versuchen dies zu bewirken.

Fremder: Soviel als Versuch hinreicht soll er wohl ans Licht kommen. Und zwar durch die Tonkunst muß man versuchen ihn darzustellen. Sage mir also.

Der jüngere Sokrates: Was denn?

Fremder: Es gibt doch ein Erlernen der Tonkunst und überhaupt aller mit einer Geschicklichkeit der Hände verbundenen Künste?

Der jüngere Sokrates: Das gibt es.

Fremder: Und wie? ob wir nun irgend eine von allen diesen erlernen sollen oder auch nicht, sollen wir sagen daß auch dies eine Erkenntnis sei in Bezug auf eben diese Dinge, oder wie?

Der jüngere Sokrates: So, daß es eine sei, wollen wir sagen.

Fremder: Und daß sie eine andere sei als jene Künste selbst werden wir doch zugeben?

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Und sollte wohl keine von ihnen über die andere herrschen? oder etwa jene verschiedenen über diese letztere? oder sollen wir sagen, daß diese Aufsicht führend die übrigen insgesamt beherrschen solle?

Der jüngere Sokrates: Diese letztere, ob man etwas lernen soll oder nicht, über jene.

Fremder: Über die welche gelernt wird und lehrt behauptest du daß sie uns herrschen müsse?

Der jüngere Sokrates: Gar sehr.

Fremder: Und so auch wohl die ob man überreden soll oder nicht, über die welche zu überreden versteht?

Der jüngere Sokrates: Wie anders?

Fremder: Wohl. Wem sollen wir nun zuschreiben daß er mit Erkenntnis der Menge und des Volkes dieses zu überreden verstehe vermittelst sinnlicher Darstellung, nicht aber ordentlicher Belehrung?

Der jüngere Sokrates: Offenbar müssen wir auch dies der Redekunst zuschreiben.

Fremder: Zu wissen aber, ob man etwas bei diesem oder jenem durch Überredung oder durch Gewalt durchsetzen solle, oder vielleicht ganz und gar damit inne halten, welcher Wissenschaft sollen wir dies wiederum beilegen?

Der jüngere Sokrates: Offenbar der, welche über die sprechende und überredende herrscht.

Fremder: Und das wäre doch wohl keine andere, denke ich, als die des Staatsmannes?

Der jüngere Sokrates: Ganz richtig.

Fremder: Auch dies rednerische scheint sich also schnell abgesondert zu haben von dem staatskünstlerischen als eine andere Art, jener jedoch dienend?

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Was sollen wir nun aber von dieser Geschicklichkeit denken?

Der jüngere Sokrates: Von welcher?

Fremder: Der, wie wir mit allen Krieg führen sollen mit denen wir beschlossen haben Krieg zu führen? Sollen wir diese für eine kunstlose oder für eine künstlerische erklären?

Der jüngere Sokrates: Und wie könnten wir wohl die für kunstlos halten, welche die Feldherrnkunst und alle andern kriegerischen Verrichtungen ausüben?

Fremder: Die aber welche, ob man Krieg führen oder sich freundschaftlich auseinandersetzen solle, im Stande ist kundigerweise zu entscheiden, sollen wir diese für eine andere als jene setzen oder für dieselbe mit ihr?

Der jüngere Sokrates: Dem vorigen zufolge notwendig für eine andere.

Fremder: Also werden wir auch annehmen müssen, daß (305) letztere über die erstere herrscht, wenn wir es dem vorigen gemäß bestimmen wollen.

Der jüngere Sokrates: Das denke ich.

Fremder: Welche nun sollen wir wohl wagen einer so gewaltigen und großen Kunst als die gesamte Kriegskunst ist zur Herrin zu setzen, ausgenommen jene wahrhaft königliche?

Der jüngere Sokrates: Keine andere.

Fremder: Also nicht als die Staatswissenschaft dürfen wir, da sie ja nur eine dienende ist, die Wissenschaft des Feldherren setzen?

Der jüngere Sokrates: Nicht füglich.

Fremder: Wohl, laß uns nun auch die Wirksamkeit der Richter, welche gehörig richten, betrachten.

Der jüngere Sokrates: Das wollen wir.

Fremder: Vermag sie nun wohl etwas mehr, als daß sie in Bezug auf allerlei Verkehr alles gesetzliche was von dem gesetzgebenden Könige festgestellt ist zusammenfassend ihr Urteil fällt mit Hinsicht darauf was als Recht festgestellt ist und was als Unrecht, ihre eigentümliche Tugend darin beweisend, daß sie niemals durch Geschenke oder Furcht oder Mitleid oder irgend andere Feindschaft oder Freundschaft bewogen, irgend gegen des Gesetzgebers Anordnung die gegenseitigen Beschuldigungen schlichten will.

Der jüngere Sokrates: Nichts anderes; sondern wie du es erklärt hast, so weit geht eigentlich das Gebiet ihrer Wirksamkeit.

Fremder: Also auch von der Stärke der Richter finden wir daß sie nicht die königliche ist, sondern eine Wächterin der Gesetze und eine Dienerin von jener.

Der jüngere Sokrates: So scheint es ja.

Fremder: Und soviel ist zu sehen, wenn man alle die bisher beschriebenen Künste betrachtet, daß keine von ihnen sich irgend als Staatskunst gezeigt hat. Denn die wahrhaft königliche soll nicht selbst etwas verrichten, sondern nur über die, welchen Verrichtungen obliegen soll sie herrschen, als Anfang und Antrieb zu allem wichtigsten im Staat nach Zeit und Unzeit erkennend, die Andern aber sollen was ihnen aufgetragen ist verrichten.

Der jüngere Sokrates: Richtig.

Fremder: Deshalb auch herrschen auch die jetzt durchgenommenen weder über einander noch jede über sich selbst, sondern mit einem eigenen Geschäft hat es jede von ihnen zu tun, und führt daher auch ihren besonderen Namen von der Eigentümlichkeit dieses Geschäftes.

Der jüngere Sokrates: So scheint es wenigstens.

Fremder: Aber die über alle diese herrschende, die Gesetze und alles andere im Staate besorgende und alles auf das richtigste zusammenwebende, diese könnten wir doch wenn wir ihr Geschäft mit ihrem Namen umfassen wollten mit dem größten Rechte, wie mich dünkt, die Staatskunst nennen?

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: So könnten wir sie jetzt wohl auch nach dem Muster der Webekunst durchgehn, nun uns auch alle Gattungen die im Staate vorkommen können bekannt geworden sind?

Der jüngere Sokrates: Gar sehr gern.

Fremder: Also die königliche Zusammenflechtung scheint es müssen wir erklären wie sie beschaffen ist, auf welche Weise sie in einander flicht, und was für ein Gewebe sie uns dadurch liefert.

Der jüngere Sokrates: Offenbar.

(306) Fremder: Ein gar schwer darzulegendes Geschäft ist uns also nun notwendig geworden, wie es scheint.

Der jüngere Sokrates: Auf alle Weise doch muß es erklärt werden.

Fremder: Daß nämlich ein Teil der Tugend mit einer andern Art derselben gewissermaßen im Streit sein könne, werden die in Reden Streitbaren gar leicht angreifen können mit Bezug auf die geltenden Meinungen.

Der jüngere Sokrates: Das verstehe ich nicht.

Fremder: Vielleicht so. Die Tapferkeit denke ich doch hältst du dafür daß sie ein Teil der Tugend sei?

Der jüngere Sokrates: Freilich.

Fremder: Und die Besonnenheit für verschieden zwar von der Tapferkeit; aber auch sie für einen Teil derselbigen wie jene?

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Über diese beiden nun muß ich einen wunderbaren Satz aufzustellen wagen.

Der jüngere Sokrates: Was für einen?

Fremder: Daß die beiden auf gewisse Weise gar sehr mit einander in Feindschaft und Zwietracht stehn in gar vielen Dingen.

Der jüngere Sokrates: Wie meinst du das?

Fremder: Keinesweges freilich eine gewöhnliche Meinung. Denn man sagt ja daß alle Teile der Tugend unter einander freund sind.

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Laß uns also, aber recht wohl aufmerkend, zusehn, ob dies so ganz allgemein gilt, oder ob es nicht auf alle Weise etwas darunter gibt was mit dem Verwandten im Streit liegt.

Der jüngere Sokrates: Ja, sagtest du nur wie wir es untersuchen sollen.

Fremder: In allen Dingen müssen wir wohl alles das aufsuchen was wir schön nennen, es aber in zwei entgegengesetzte Arten aufstellen.

Der jüngere Sokrates: Erkläre dich noch deutlicher.

Fremder: Schnelligkeit und Schärfe, sowohl körperlich als in der Seele und in den Bewegungen der Stimme, und sowohl in diesen selbst als in den Bildern davon und allem was die Tonkunst nachahmend und die Malerkunst in Abbildern darstellt, hievon hast du wohl selbst schon etwas gelobt oder es Andere loben gehört.

Der jüngere Sokrates: Wie sollte ich nicht?

Fremder: Erinnerst du dich auch wohl auf welche Weise sie dies bei allen dergleichen Dingen tun?

Der jüngere Sokrates: Nein.

Fremder: Wenn ich nun nur im Stande wäre, so wie ich es denke es dir auch deutlich zu machen durch die Rede.

Der jüngere Sokrates: Wie solltest du das nicht?

Fremder: Du scheinst so etwas für leicht zu halten. Laß es uns also an den einander fast entgegengesetzten Gattungen betrachten. In gar vielen Handlungen nämlich und gar oft wenn wir uns der Schnelligkeit, Kräftigkeit und Beweglichkeit des Gedankens oder des Leibes oder auch der Stimme erfreuen, benennen wir dies alles lobend mit einem und demselben Namen, nämlich der Tapferkeit.

Der jüngere Sokrates: Wie so?

Fremder: Das ist kräftig und tapfer, pflegen wir ja zu sagen, und schnell und mannhaft und derb eben so, und so oft wir die erwähnte Benennung gemeinsam allen diesen Naturen beilegen, loben wir sie damit.

Der jüngere Sokrates: Ja.

Fremder: Wie aber die ruhige Art des Werdens, loben wir die nicht ebenfalls in vielen Handlungen?

(307) Der jüngere Sokrates: Und gar sehr.

Fremder: Und sprechen wir dieses nicht, indem wir das entgegengesetzte, wie von jenem, aussagen?

Der jüngere Sokrates: Wie das?

Fremder: So oft wir als ruhig und besonnen was im Gemüt vorgeht, bewundernd anführen, und was in Handlungen als langsam und sanft, und was an der Stimme vorkommt als gedämpft und tief, und jede gemessene Bewegung und alles in schönen Künsten wobei zur rechten Zeit Langsamkeit angewendet wird, dann legen wir diesem insgesamt nicht den Namen der Tapferkeit bei, sondern den der Anständigkeit.

Der jüngere Sokrates: Vollkommen wahr.

Fremder: Wiederum aber wenn beiderlei zur Unzeit geschieht, dann wenden wir um und tadeln auch beides, indem wir ihm auch so entgegengesetzte Namen beilegen.

Der jüngere Sokrates: Wie das?

Fremder: Was sich schärfer und schneller und härter als erfordert wird beweist, das nennen wir übermütig und wahnsinnig, das schwerfälligere und weichere aber feigherzig und träge. Und gewiß werden wir fast immer daß dies letztere nebst der besonnenen Natur und die tapfere in dem entgegengesetzten als feindselige Zwietracht hegende Kräfte sich weder mit einander vermischt finden in den für sie gehörigen Handlungen, noch auch werden wir diejenigen, welche sie in der Seele haben, anders als sehr uneins unter einander finden, wenn wir ihnen nachgehn.

Der jüngere Sokrates: Wo meinst du denn?

Fremder: In allem solchen was wir jetzt anführten, und wie du ja denken kannst in noch vielem anderen. Denn sie loben jeder nach seiner Verwandtschaft einiges als das ihnen eigentümliche, und tadeln das der Andersgesinnten als ihnen fremdartig, und geraten dadurch gar sehr und über viele Dinge in Feindschaft.

Der jüngere Sokrates: Das scheinen sie wohl.

Fremder: Oft nun ist die Uneinigkeit dieser Eigenschaften nur ein Scherz, in den wichtigeren Dingen aber wird sie die verhaßteste Krankheit unter allen für die Staaten.

Der jüngere Sokrates: In was für welchen meinst du?

Fremder: Wo es auf die Anordnung des gesamten Lebens ankommt. Denn die ausgezeichnet sanften sind auch immer darauf bedacht ein stilles Leben zu führen, indem sie ganz für sich nur ihre eignen Angelegenheiten besorgen, und sowohl zu Hause mit Allen auf diese Art umgehen, als auch mit andern Staaten gleichermaßen bemüht sind immer auf irgend eine Art Frieden zu halten. Und vermöge dieser Neigung, wenn sie unzeitiger ist als sie sollte, werden sie, wenn sie nach ihrem Willen handeln können, unvermerkt selbst unkriegerisch, wie sie auch die Jünglinge gleichfalls zu solchen machen, und fallen daher jedem Angreifenden anheim, wodurch sie dann in gar wenig Jahren mit ihren Kindern und dem gesamten Staate oft aus Freien unvermerkt Knechte geworden sind.

(308) Der jüngere Sokrates: Einen bösen und schlimmen Erfolg gibst du an.

Fremder: Wie aber die mehr zur Tapferkeit sich neigenden? reizen die nicht ihren Staat immer zu irgend einem Kriege an wegen ihrer mehr als gut ist heftigen Begierde nach einem solchen Leben, und verwickeln ihn dadurch mit vielen und Mächtigen in Feindschaft, ja bringen wohl gar ihr Vaterland ins Verderben und in die Knechtschaft und Gewalt seiner Feinde?

Der jüngere Sokrates: Auch das geschieht.

Fremder: Wie sollten wir also nicht sagen, daß hierin beide Arten immer viel Feindschaft und Streit gegen einander unterhalten von der heftigsten Art?

Der jüngere Sokrates: Auf keine Weise können wir das läugnen.

Fremder: Also was wir von Anfang suchten das haben wir gefunden, daß nicht unwichtige Teile der Tugend unter einander uneins sind von Natur, und auch die welche sie besitzen eben dazu machen.

Der jüngere Sokrates: Das scheinen sie in der Tat.

Fremder: Laß uns nun auch dies dazunehmen.

Der jüngere Sokrates: Welches?

Fremder: Ob wohl eine von den zusammensetzenden Künsten irgend eines ihrer Werke, wenn es auch das unbedeutendste wäre, gutwillig aus schlechtem und gutem bilden wird? oder ob nicht jede Kunst überall das schlechte nach Vermögen verwirft, und nur das tüchtige und gute nimmt, um aus diesem dann, Ähnliches und Unähnliches in Eins verarbeitend, eine bestimmte Kraft oder Gestalt hervorzubringen?

Der jüngere Sokrates: Wie sollte sie nicht das letzte?

Fremder: Also wird auch ihrer Natur nach die wahre Staatskunst niemals gutwillig aus guten und schlechten Menschen irgend einen Staat bilden, sondern offenbar wird sie sie erst durch Erziehung prüfen, und nach der Prüfung denen die sich darauf verstehen zum Unterricht und zur Besorgung übergeben unter ihrer eignen Anordnung und Aufsicht, wie die Weberei über die Wollkämmer und andere, welche die zu ihrem Gewebe notwendigen Vorarbeiten verrichten, immer die Aufsicht führen, ihr Geschäft begleitend anordnet und ihnen solche Arbeit aufgibt zu verrichten, wie sie glaubt daß zu ihrem Gewebe tüchtig sein werde.

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: Eben so scheint mir auch die königliche Kunst selbst die Oberaufsicht zu führen über alle gesetzliche Erzieher und Lehrer, und ihnen nicht zu gestatten etwas zu üben, was eine ihrer Mischung nicht angemessene Gesinnung hervorbringen könnte, sondern darin allein zu unterrichten befiehlt sie, und die welche nicht vermögen an tapferer und besonnener Gesinnung Teil zu nehmen und was sonst zur Tugend führt, sondern in Gottlosigkeit, in Frevel und Ungerechtigkeit durch die Gewalt einer bösartigen Natur hineingestoßen (309) werden, diese stößt sie aus durch Todesstrafen und durch Verweisungen, oder züchtiget sie durch die härtesten Beschimpfungen.

Der jüngere Sokrates: So soll es wenigstens sein.

Fremder: Die aber wiederum in Torheit und großer Niedrigkeit des Sinnes sich herumwälzen unterjocht sie in das Sklavengeschlecht.

Der jüngere Sokrates: Ganz richtig.

Fremder: Von den übrigen aber deren Naturen zu dem edleren mit Hülfe der Erziehung fähig sind gebildet zu werden und kunstmäßig Vermischung mit einander einzugehn, von diesen versucht sie die zur Tapferkeit mehr sich hinneigenden, deren derbere Gemütsart ihr als das für die Kette geeignete erscheint, und die anderen zum sittsamen, welche nach dem vorigen Bilde gleichsam das fettere, weichere, einschlagartige Gespinst sind, wie auch beide einander entgegenstreben, dennoch auf folgende Weise mit einander zu verbinden und zu verflechten.

Der jüngere Sokrates: Auf welche denn?

Fremder: Zuerst indem sie wie es der Verwandtschaft gemäß ist den ewigen Teil ihrer Seele durch ein göttliches Band vereiniget, und nächst dem göttlichen auch den tierischen durch ein menschliches.

Der jüngere Sokrates: Wie meintest du das wieder?

Fremder: Die wahrhaft wahre Vorstellung von dem Gerechten, Schönen und Guten und dessen Gegenteil, wenn sie wohl begründet der Seele einwohnt, nenne ich eben das göttliche in einem dämonischen Geschlecht.

Der jüngere Sokrates: Das gehört sich auch wohl so.

Fremder: Und von dem staatskundigen und guten Gesetzgeber wissen wir daß ihm allein gebührt, mit Hülfe der Muse der königlichen Kunst eben dies denen einzubilden, welche einer richtigen Erziehung teilhaftig geworden, wie wir eben von ihnen gesagt?

Der jüngere Sokrates: Man sollte es denken.

Fremder: Wer aber dies, o Sokrates, zu bewirken unvermögend ist, dem wollen wir nie den Namen beilegen dessen Bedeutung wir jetzt untersuchen.

Der jüngere Sokrates: Ganz richtig.

Fremder: Wie also? Wenn eine tapfere Seele jene Wahrheit ergreift, wird sie nicht gezähmt und begehrt dann vorzüglich mit dem Gerechten Gemeinschaft zu haben; hat sie aber jene nicht ergriffen, neigt sie sich dann nicht vielmehr zu einer wilderen Natur?

Der jüngere Sokrates: Wie anders?

Fremder: Und wiederum die sittsame Natur, wenn sie jener Vorstellungen sich bemächtiget, wird sie dann nicht das wahrhaft besonnene und sittliche wie es im Staate sein soll werden? wenn sie aber mit dem was wir meinen nicht in Gemeinschaft tritt, dann mit größtem Recht in den schimpflichen Ruf der Stumpfsinnigkeit kommen?

Der jüngere Sokrates: Allerdings.

Fremder: Aber für Böse unter sich oder auch für Gute mit Bösen wollen wir nicht sagen daß diese Verflechtung und Verbindung jemals haltbar sein, noch daß sich deren irgend eine Kunst im Ernst für solche bedienen werde.

Der jüngere Sokrates: Wie sollte sie auch!

Fremder: Aber den schon von ihrer Geburt an gutgearteten (310) und ihrer Natur gemäß gebildeten Gemütern allein werden diese Vorstellungen durch die Gesetze sich einbilden, und eben unter diesen dies nun das kunstmäßige Heilmittel und wie wir gesagt haben das göttlichere Band sein für die von Natur einander unähnlichen und entgegengesetzt fortstrebenden Teile der Tugend.

Der jüngere Sokrates: Vollkommen wahr.

Fremder: Die übrigen Bande menschlicher Art sind, wenn nur dieses göttliche vorhanden ist, weder schwer zu sehen, noch wenn man sie gesehen hat schwer in Anwendung zu bringen.

Der jüngere Sokrates: Wie so aber und welche sind es?

Fremder: Durch die Ehegesetze und Verbindungen der Kinder und auch einzeln durch die Verheiratungen und Ausstattungen. Denn die Meisten binden hiebei nicht richtig zusammen zum Behuf der Kindererzeugung.

Der jüngere Sokrates: Wie so?

Fremder: Daß auf Reichtum und Macht hiebei Jagd gemacht wird, weshalb sollte man sich nur die Mühe geben dies noch ernsthaft zu tadeln?

Der jüngere Sokrates: Für nichts freilich.

Fremder: Eher wäre es billig über diejenigen, welche hiebei auf die Abkunft sehen, etwas zu sagen, ob auch diese der Sache nicht gemäß handeln.

Der jüngere Sokrates: Das wäre wohl billig.

Fremder: Und freilich handeln sie nach gar keinem richtigen Grunde, wenn sie nur der augenblicklichen Bequemlichkeit nachgehend mit denen sich gefallen die ihnen ganz ähnlich sind, und die Unähnlichen nicht leiden mögen weil sie auf das Beschwerliche dabei allzuviel Rücksicht nehmen.

Der jüngere Sokrates: Wie das?

Fremder: Die Sittsamen und Bescheidenen suchen wiederum ihre Gemütsart, heiraten soviel es sich tun läßt nur von solchen, und geben auch ihre Töchter wiederum nur an solche aus. Eben so macht es auch das tapfere Geschlecht, und geht seiner Natur nach, da beide Arten hievon ganz das Gegenteil tun sollten.

Der jüngere Sokrates: Wie? und weshalb?

Fremder: Weil die Tapferkeit, wenn sie viele Geschlechter hindurch ohne sich mit der besonnenen Natur vermischt zu haben wieder erzeugt wird, anfänglich zwar sich durch Kräftigkeit hervortut, am Ende aber ganz in Tollheiten ausschlägt.

Der jüngere Sokrates: Wahrscheinlich.

Fremder: Und wiederum die schamhafte Seele wenn sie sich ganz unvermischt mit mannhafter Keckheit viele Geschlechter hindurch erzeugt muß träger werden als recht ist, und damit endigen ganz und gar zu verkümmern.

Der jüngere Sokrates: Auch das wird sich wahrscheinlich so ereignen.

Fremder: Diese Bande nun sagte ich wären gar nicht schwer zu knüpfen, wenn nur über das Schöne und Gute beide Arten dieselben Vorstellungen haben. Denn dies ist einzig und allein das ganze Geschäft jener königlichen Zusammenwebung, daß sie niemals lasse die besonnene und die tapfere Gemütsart sich von einander trennen, sondern sie durch Gleichgesinntheit und Ehre und Schande und öffentliche Meinung und durch Geiseln die sie einander ausgeben zusammenschlägt, und wenn sie so jenes glatte und feine Gewebe aus ihnen verfertiget hat, dann ihnen gemeinschaftlich alle Gewalten in den Staaten überläßt.

Der jüngere Sokrates: Wie das?

(311) Fremder: Indem sie wo nur Ein Herrscher nötig ist einen solchen der beides in sich vereiniget zum Vorsteher wählt; wo aber mehrere, da beides mit einander vermischt. Denn besonnener Herrscher Gemütsart wird zwar für das vorsichtige, gerechte und heilsame sorgen; aber einer gewissen durchgreifenden Schärfe und Keckheit des Handelns ermangeln.

Der jüngere Sokrates: Das dünkt mich freilich auch.

Fremder: Die Tapferkeit hingegen wird in Absicht auf Gerechtigkeit und Vorsichtigkeit hinter jener zurückstehn, aber im Handeln selbst sich sehr auszeichnen. Daß es aber um den Staat in allen Dingen was das Allgemeine und was die Einzelnen betrifft wohlstehn könne, wenn diese nicht einmal beide vorhanden sind ist ganz unmöglich.

Der jüngere Sokrates: Wie sollte es auch nicht!

Fremder: Dies also wollen wir sagen sei die Vollendung des Gewebes der ausübenden Staatskunde, daß in einander eingeschossen und verflochten werde der tapferen und der besonnenen Menschen Gemütsart, wenn die königliche Kunst durch Übereinstimmung und Freundschaft beider Leben zu einem gemeinschaftlichen vereinigend, das herrlichste und trefflichste aller Gewebe bildend, alle übrigen Freien und Knechte in den Staaten umfassend unter diesem Geflechte zusammenhält und wieweit es einem Staate gegeben sein kann glückselig zu werden, davon nirgend etwas ermangelnd herrsche und regiere.

Sokrates: Vortrefflich, o Fremdling, hast du uns nun auch den königlichen und Staatsmann dargestellt.


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