Franz Graf Pocci
Lustiges Komödienbüchlein
Franz Graf Pocci

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Zweiter Aufzug

(Trompetenstoß. Der Herold tritt auf.)

Herold. Hört's alle, holde Mägdlein, schöne Frauen,
Was König Purpur mich hieß kund euch tun:
Von heut' an darf man keine Spindel schauen,
Und alle Hände soll'n vom Spinnen ruh'n.
Ihr möget weben, stricken oder näh'n,
Wie's Frau'n und Mägdlein ziemt, doch nie gesehen
Werd' eine Spindel mehr; ich sag' es zweimal euch,
Damit ihr's alle, alle hört im Reich.
Die Rocken werft ins Feuer, kauft den Faden
Zum Linnenzeuge außer Land im Laden.
Dies ist des Königs strenges Aufgebot;
Wer nicht gehorcht, den trifft alsbald der Tod.
Von hoher Polizei wird inquiriert,
Und alle Häuser werden visitiert.
Drum wagt nicht, etwa heimlich gar zu spinnen,
Nicht eine wird der Strafe dann entrinnen.
Hört's alle! Wenn ich rede, aufgepaßt!
Sorgt, daß ihr auf der Tat nicht seid erfaßt.
Was ich verkünde in des Königs Namen,
Ist streng Gesetz und dabei bleibt es. Amen.

(Trompetenstoß. Ab.)

Romantischer Wald (wie im vorigen Aufzuge).

(Lautenklang sitzt schreibend unter einem Baum; Kasperl unfern von ihm, aus einer Flasche trinkend.)

Lautenklang. Der Stoff ist exponiert, der Knoten auch
Geschürzt und die Verwicklung soll nicht fehlen;
Einheit des Ortes, wie's die Regel will.
Was liegt noch an der Zeit? die fünfzehn Jahre,
Die nun verflossen, deckt der Zwischenakt.
Ich lebte mittlerweile gut am Hof des Königs,
Nichts fehlte mir in jeglicher Beziehung.
Dornröslein wuchs heran zur schönen Jungfrau,
Und hat die Kinderschuhe abgelegt.
Bisher hat mir der Held im Stück gefehlt,
Als Kind war die Prinzessin zu passiv;
Tritt sie aktiv von nun an in das Leben,
So ist dem Stück die Hauptperson gegeben.
Begierig bin ich selbst, wie sich's gestaltet
Und wie sich der dramat'sche Knoten löst;
Denn ist Prinzessin Röslein eingeschlafen –
Was soll gescheh'n, wird sie nicht aufgeweckt?
Wohlan, ich kehr' zurück ins Königsschloß,
Daß nicht ein Augenblickchen sei versäumt,
Der Katastrophe harrend, die sich naht.

(Vertieft sich in seine Dichtung.)

Kasperl. Der Stoff ist lobenswert, allein mit Schrecken bemerke ich, daß nun auch das Vakuum eingetreten ist. Die Flasche ist leer. Leerheit! Von jeher hab' ich dich gehaßt. Von einem dummen Kerl sagt man, er sei ein leerer Kopf, so halte ich denn eine leere Flasche auch für eine Dummheit. Uebrigens kann ich zufrieden sein; denn meine Geschäfte waren bisher nicht anstrengend, insofern nicht auch die Erfüllung der Selbsterhaltungspflicht zur Last werden kann, denn am Essen und Trinken hab' ichs keinerzeit fehlen lassen. Ich habe mich dadurch als einen echten Hofmann skalifiziert. Jetzt bin ich nur neugierig, wann a mal die Mordsschlaferei angeht, die uns die verflixten zwei Blocksbergbewohnerinnen prophuzeit haben, das heißt, wenn die Prinzessin sich an der Spindel sticht? Deshalb hat auch der König alle Spindeln im Lande verbieten lassen; allein, was einmal sein soll, das wird sein. Mir wär's einerlei, ein paar Jahre zu verschlafen; doch mein Herr sagt: Wie die Geschichte losgeht, läuft er davon und betrachtet sich alles romantisch von weitem. Auch gut! Wenn uns nur der gewisse Stoff nicht ausgeht!

Lautenklang. Es fließt mir heute wirklich aus der Feder,
Und leicht schreib' ich fünffüßige Jamben hin,
Doch leider ist mein Tintenfäßchen leer!
He, Kaspar, hast du's denn nicht aufgefüllt?

Kasperl. No, versteht sich – heut' früh hab' ich's vollg'macht, schwarz bis an den Rand! – Es ist aber grad, als ob Sie Tinten saufen täten, mit der Schreiberei da. Bleib'n S' lieber z' Haus, wenn S' dichten wollen, da stell' ich Ihnen an ganzen Tintenkübel hin, oder nehmen's ein andersmal ein Bleisteften mit. Die Tintenklexer gehören in die Stuben, und wollen die Dichter singen, so sollen sie es wie die Vögerln machen. Aber – freilich, das will alles geschrieben sein, damit der Nachwelt auch nicht eine Silbe verloren geht. Kommen S', geh'n wir nach Haus, mir ist auch meine Unterhaltung ausgangen, da können wir alle zwei frisch füllen und nachher wieder spazieren wandeln miteinand. Der Vormittag ist noch lang genug bis Sie zur Hoftafel müssen und ich zum Domestikenfressen.

Lautenklang. Gemeinen Sinnes bleibst du stets doch, Kaspar!
Es wäre Zeit, daß du nach Höh'rem trachtest;
Hast du denn gar nichts noch von mir gelernt?

Kasperl. Oh, sehr, ja! Sehen's, die G'schicht ist a so: Wir beiden suchten Stoff. Nun, das wissen S' aber – denn Sie haben's ja selbst oft g'nug g'sagt – daß der Mensch aus Leib und Geist b'steht. Sie suchen Stoff für den Geist und ich für den Leib, da hat jeder seinen Teil und kann dem andern aushelfen.

Lautenklang. Pro domo spricht der Cicero nicht übel.
Fürwahr, gesunde Logik fehlt dir nicht,
Als humoristisch Element zu brauchen.

Kasperl. Jetzt machen's gar ein Element aus mir; da hätten wir also fünf Element: Feuer, Wasser, Luft, Erden und den Kasperl Larifari! Wieder eine neue Erfindung. Das müssen's dem König Purpur sagen, da kriegen's vielleicht einen Orden oder was!

Lautenklang. Ein Orden mir? Was denkst du denn, mein Freund?
Den Rittern und den Kriegern ist er Schmuck
Und Ehrenzeichen ihren schönen Taten.
Dem Dichter blüht des Lorbeerbaumes Blatt;
Wind' es zum Kranz und schmück' damit sein Haupt,
Mehr will er nicht – er fühlt sich reich belohnt.

Kasperl. Lassen's mi aus mit dem Lorbeerblattl, da wären ja die Dichter grad als wie die Kalbsköpf, die verziert man auch mit Lorbeerblattl'n, wenn's g'sott'n oder gebrat'n auf'n Tisch kommen.

Lautenklang. Unziemlich sehr ist dieses Bild, d'rum schweige!
Ich will ins Königsschloß zurück nun kehren.

(Ab. Kasperl singend hinter ihm.)

(Königin Hermeline und Prinzessin Röslein, die vorausläuft, einen Schmetterling zu haschen.)

Hermeline. Pfui, Röslein! Was läufst du so rasch voraus!

Röslein. Ach, Mutter, sieh, den schönen Schmetterling! Ich möcht' ihn fangen.

Hermeline. Das schickt sich nicht für dich. Du bist kein Kind mehr; bedenke, daß du nun ein Jungfräulein bist. Die sollen nicht den Schmetterlingen nachlaufen, sondern hübsch anständig spazieren geh'n.

Röslein. Die Jungfräulein sollen also keine Freuden mehr haben? Da wär' ich lieber ein Kind geblieben.

Hermeline. Jedes Alter hat seine Freuden. Du bist an deinem fünfzehnten Geburtstage dem ganzen Hofe vorgestellt worden; war dies nicht ein schönes Vergnügen für dich? Auch darfst du von nun an mit uns an der großen Tafel speisen.

Röslein. Da wollt' ich lieber nur Beeren mit den Vöglein im Walde essen, wenn mir alle Kindesfreuden verboten würden. Sieh doch. liebe Mutter, wie herrlich es hier ist! Leuchtet der Sonnenschein nicht mächtiger, als der güldene Thron im Schlosse? Ist der Gesang der Vögel nicht lieblicher als das Geschwätz der Hofdamen? Das Grün der Blätter, die Farbe der Blumen – übertrifft dies alles nicht den Schmuck des Hofes?

Hermeline. Ich begreife nichts wie du zu diesen Grundsätzen kommst.

Röslein. Du redest mir von Grundsätzen, liebe Mutter! Davon weiß ich fürwahr nichts. Ich fühle nur mein Herz sich auftun, wenn ich heraustrete in Gottes herrliche Natur. Es wird mir so fromm zumut'; ich möchte immer hinknien und beten.

Hermeline. Das ist recht hübsch und lobenswert, allein die Schranken des Anstandes soll und darf eine Prinzessin nie überschreiten. Ich glaube immer, daß die Vorlesungen des Hofdichters Lautenklang dir den Kopf verdrehen. Du wirst mir zu phantastisch; du wirst zu sehr der Wirklichkeit und der Konvenienz entrückt. Ich werde diesem schädlichen Einflusse zu steuern wissen.

Röslein. Also auch dies soll eine verbotene Freude sein, daß ich mich an den Gedichten des Herrn Lautenklang erfreue? Ist die Poesie eine Sünde?

Hermeline. An und für sich nicht; allein sie kann es werden, wenn sie ein jugendlich Gemüt zu sehr aufregt. Lautenklangs Vorträge sollen sich von nun an darauf beschränken, dir die deutsche Literaturgeschichte kurz darzustellen; die Periode der Romantiker aber soll dir nur im Auszug gegeben werden. Ihre Richtung paßt nicht mehr für unsere Zeit, und man sollte mehr auf die Entwicklung des Verstandes wirken. Herz und Phantasie –

Röslein. Laß mir mein Herz, liebe Mutter, laß mir das Reich der Phantasie!

Hermeline. Pfui, Röslein! Es schickt sich überhaupt durchaus nicht für ein Mädchen, Phantasie zu haben; viel weniger für eine Prinzessin. Ich verbitte mir solche Ideen; hörst du? Ein für allemal!

Röslein (weint). Bin ich denn nicht gehorsam in allen Dingen? Hab' ich dir schon Kummer gemacht durch mein Herz und seine Träume?

Hermeline. Nein, liebes Kind; allein es ist einer Mutter Pflicht, dich vor Extravaganzen zu warnen. Ich mein' es so gut mit dir.

Röslein (fällt Hermelinen um den Hals). Liebe Mutter, wie lieb' ich dich! – – – Ich möchte mich dort in den Schatten legen und etwas schlummern, darf ich wohl?

Hermeline. Wir sind hier ungeseh'n; außer dem wäre es nicht schicklich. Ich erlaub' es dir.

(Röslein setzt sich und schlummert ein.)

Hermeline. Ja, schlumm're immerhin, mein teures Kind,
Und träume dich ins Reich der Phantasie!
Nur allzubald vielleicht wird an dein Herz
Des Lebens Wirklichkeit mit derbem Schlag
Anpochen rauh, so daß des Trostes Zuflucht
Dir nur dein innrer Reichtum bieten mag!
Oh, herbe Außenwelt für jung und alt,
Die oft in Zwiespalt jagt des Lebens Mächte,
Wenn Herzensdrang und Sehnen mit der starren
Beschränkung äußerer Gewalten ringen!
Und solchen Kampf möcht' ich der Tochter sparen,
Abschneiden möcht' ich rechter Zeit die Sehnsucht,
Die schlummernd in des Kindes Blütenkelch
Still ruht als des Verlangens Dämmerschein,
Weil ihr so oft nur bitt're Täuschung folgt.
Doch wie? – vergaß ich ganz der Feen Drohung,
Die sich in diesem Jahre soll erfüllen?
Weh' mir! denk ich daran, bricht's Mutterherz
Zusammen schier: »Dornröslein« heißt der Fluch!
Sconea, milde Fee, die du in erster Stunde
Dem Kinde Huld und Schutz hast angelobt,
Vermöcht' ich's, dich mit Mutterstimm' zu rufen
Und Mutterschmerz dir an das Herz zu legen!

(Es ertönt liebliche Musik.)

Sconea (in rosigem Schimmer erscheinend).
Sconea hört, wenn Mutterliebe ruft!
Dein Röslein schütz ich, wie ich es verheißen,
Doch jeder Feenspruch muß sich erfüllen,
Denn in ihm liegt der mächt'gen Weihe Kraft;
Gut oder bös – es ist des Zaubers Recht.
Drum kann ich auch des Fluchs Gewalt nicht hemmen,
Der auf dem Haupte deines Kindes ruht:
Der Spindel Stich wird langen Schlaf ihr bringen –
Mein Segen aber bringt einst Morgenrot.
Der Blume Kelch, in myst'scher Ruh' geschlossen
(Ein Bild des Schlummers), wird sich einmal öffnen,
Des Duftes Blütenhauch wird ihm entsteigen
Gleich einem Minnelied zur Maienzeit.
Getrost sei denn, gedenke meiner Worte:
Des Zaubers Fluch wird sich in Segen wandeln!

(Verschwindet.)

Hermeline. Dank dir, o holde Fee, die du, ein Engel,
Mir milden Tau auf meine Wunde träufelst.
Ich will vertrau'n dir; mutig seh' entgegen
Ich dem Geschick, das unvermeidlich ist.

Röslein (erwacht.)
Wo bin ich? Mutter, welch ein schöner Traum
Hat mich gegrüßt: denk' dir, ich war ein Blümlein,
Das einsam still in einem Garten stand;
Ein böser Sturm erhob sich, mich zu brechen,
Da kam ein Engel, trug mich in den Himmel.

Hermeline. Fürwahr mein Kind, du sahst ein herrlich Bild;
Doch laß den Schlummer jetzt und seine Spiele,
Wir geh'n zurück, es steht schon hoch die Sonne.

Röslein. Sag', Mutter, was ist Leben, was ist Traum?
Zerschäumt das Leben nicht in lust'gen Träumen,
Und wird der Traum nicht einst der Wahrheit Leben?

Hermeline. Komm, laß das eitle Fragen, liebes Kind. (Beide ab.)

(Wiltrud und Scohlint fahren durch die Luft von zwei Seiten herab.)

Scohlint. Wiltrud!

Wiltrud. Scohlint!

Scohlint. Nun muß es sich erfüllen!

Wiltrud. Die Zeit ist um! Wie aber wird's geschehen?
Die Spindel ist im ganzen Land verpönt!

Scohlint. Ei, blinde Hexe, daß du's noch nicht weißt!
Die taube Alte, die im Königsschloß,
Vergessen schier, im grauen Erker wohnt
Und unbeachtet an der Spindel sitzt – –

Wiltrud. Bei Satans Dreifuß – daran dacht' ich nicht.
Wie aber lenken Röslein wir zu ihr?

Scohlint. Oft steigt das Mägdlein heimlich auf die Zinnen
Der Königsburg, um still hinauszuschau'n
Mit träumerischem Blick ins weite Land.
Ihr Auge wandert mit den Silberflüssen,
Versenkt mit ihnen sich in tiefe Seen
Und hanget gern am Tiefblau ferner Berge.
Ein Stufengang führt sie vorbei am Pförtlein
Des Erkers, wo die alte Spinn'rin schnurrt.

Wiltrud. Und wahr muß werden, was wir angedroht;
Der Giftqualm rauscht' es aus dem Hexenkessel,
Der Zauberspiegel zeigt' es uns im Bild.

Scohlint. Darum Geduld, Geduld! Es kann nicht fehlen;
Einmal lockt sie der Spindel Schnurren doch
Und in die Falle geht sie!

Wiltrud. Laß uns bleiben
Dem Orte nah, am Sieg uns zu erfreu'n.
Der sicher ist.

Scohlint. Der Augenblick ist da.

(Beide verschwinden.)

Gemach im Schlosse des Königs.

(König Purpur. Der Herold.)

Herold. Vollzogen ist, was du befahlst, ich meld' es:
Nachdem dein Aufgebot verkündigt ward,
Füllt bald darauf der Marktplatz sich mit Weibern
Und Mägdlein jedes Standes, haufenweise
Die Spindeln beizubringen. Von den Burgen
Des Reiches schleppen Boten schwerbeladen,
Allüberall her folgt man dem Befehle,
Das Frau'ngerät, das dein Geheiß verpönt.
Noch brennen Scheiterhaufen zur Vertilgung.
Wie manch Gespinst ward schleunig abgebrochen,
Wie mancher Faden ward entzweigerissen;
Ungern zwar mocht's gescheh'n, doch geschah's;
Wer wollte widersetzen sich der Drohung
Des Königs, die sein Herold hat verkündigt?

Purpur. So kann beruhigt ich sein; denn wenn im Lande
Nicht eine Spindel mehr, wie wär' es möglich,
Daß Röslein sich an einer Spindel stäche?
Bei aller Milde ist oft Strenge nötig,
Wenn sich's um Dinge handelt, die gefährlich.
Du weißt's: des Volkes Wohl liegt mir am Herzen,
Doch auch der Dynastie bin ich verpflichtet,
Die seit Jahrhunderten dies Reich beherrscht.
Spinnt nicht das Weibervolk, so bleibt noch andres
Genug zu tun im Haus und in der Küche,
Und 's ist kein Grund vorhanden zur Beschwerde.

Herold. So denk' auch ich, mein König; 's ist kein Zweifel,
Daß Ihr in Eurem Rechte seid, und sollte
Es einer wagen, etwa drob zu murren,
Den Kopf zu schütteln, schlagt den Kopf ihm ab,
Damit er schweige, mag er sein, wer immer.

Purpur. Geh' nur zur Königin, entbiet' sie her,
Damit der Mutter Herz ich ganz beschwicht'ge.

Herold. Wie ihr befehlt!

(Geht ab.)

Purpur (allein).
Der Sorge wär' ich ledig!
Was ist ein König doch mit Kümmernissen
Jedweder Art bedroht! Ist hier geordnet,
Taucht wieder dort ein neu Geschäft empor.
Bald ist's der Staat, bald ist's das eigne Haus
Und sonst'ge Angelegenheit, Krieg oder Frieden,
Verwaltung jeder Art nimmt stets in Anspruch.
Sieh da, Hermeline!

(Hermeline tritt ein.)

Purpur. Sei zur guten Stunde
Willkommen mir. Nun leg' die Sorgen ab;
Gescheh'n ist, was zu tun war, frei das Feld.

Hermeline. Dein trefflich Herz erkenn' daran ich wieder,
Daß deine Weisheit Fürsorg' hat getroffen.
Nicht eine Spindel mehr im ganzen Land?

Purpur. Nicht eine, dafür sorgt die Polizei! –
Doch Röslein?

Hermeline. Lautenklang ist jetzt bei ihr.
Ich trug ihm auf, sie nicht zu exaltieren
Durch Schwärmerei und durch romantisch Wesen.
Kulturhistorisch soll er auf sie wirken,
Damit ihr Geist in guten Schranken bleibe,
Nicht etwa frei hinschweife in Regionen,
Die ihre zarten Nerven affizieren.

Purpur. Vortrefflich! selber muß ich dir gesteh'n:
Des Dichters Richtung bin ich müd' und satt.
Auf gute Art werd' ich ihn bald entfernen
Von meinem Hof und geb' ihm die Pension.
Der Zeiten Umschwung hab' ich auch erfaßt,
Begriffen, was die Welt jetzt will. Der Fortschritt
Läßt sich nicht hemmen und man will Reales;
Romant'sche Träumerei'n sind aus der Mode,
Mir liegt daran, das Technische zu fördern.
Die Spindel hab' ich abgeschafft, Maschinen
Zum Spinnen sind ein trefflicher Ersatz;
So treff' zwei Fliegen ich mit einem Schlag.
Gefährliches entfernend führ' ich ein,
Was aller Welt jetzt Nutzen bringen mag.

Hermeline. So fügt zum allgemeinen Besten sich,
Was eigne Zwecke fördert.

Purpur. Meine Räte
Versamml' ich nun, Staatszwecke zu verhandeln,
Und in zwei Stunden geht's zum Abendtisch.

(Beide ab.)

Verwandlung

Enges Erkerstübchen

(Eine alte Frau sitzt an der Spindel. Zu ihren Füßen ein knurrender Kater.)

Die Alte (singt).
Ich sinn' und spinne manches Jahr
Den Faden fein wie Frauenhaar;
Die Welt dreht sich in einem fort,
Doch alles bleibt am alten Ort.
Sie dreht sich fort im Schwindel
Wie in der Hand die Spindel.
Als Eva Adam nahm zum Mann,
Sie auch das Spinnen gleich begann;
Sie spann und webte Hemdlein schon
Für Kain, ihren ersten Sohn.
Die Welt dreht sich im Schwindel
Wie in der Hand die Spindel.
Und also tat das erste Weib,
Es spann zu seinem Zeitvertreib,
Und dies war bei den andern all,
Die ihm nachfolgen, auch der Fall.
Die Welt dreht sich im Schwindel
Wie in der Hand die Spindel.

(Röslein guckt zur halbgeöffneten Türe herein.)

Die Alte (singt fort.)
Ihr Mägdlein lernt das Spinnen gut;
Die Spindel sticht, da fließet Blut.
Ihr lieben schönen Jungfräulein,
Das Spinnen will gelernt auch sein.
Die Welt dreht sich im Schwindel
Wie in der Hand die Spindel.

Röslein (eintretend). Ei, wie schön du singst?

Alte. Wer ist da? Ein lieb Jungfräulein! Wie kommst du herauf in mein einsames Loch?

Röslein. Ich bin dem Schnurren deiner Spindel gefolgt.

Alte. Das freut mich, denn ich habe schon viele Jahre kein menschlich' Wesen geseh'n.

Röslein. Wie kommt das, gutes Weib?

Alte. Ich bin ein altes Hofmöbel, das längst aus den Gemächern entfernt wurde.

Röslein. Du bist ja ein menschlich' Wesen.

Alte. So halb und halb, wie man's nehmen will. Ich bin die Spindel, mit der die Mutter des Königs Purpur spann. Als sie starb, ward ich da heraufgestellt und schnurre aus alter Gewohnheit noch immer so fort.

Röslein. Ei wie? Sorgt niemand für dich?

Alte. Siehst du den Kater? Er ist mein Freund und fängt Mäuse, die wir zusammen verzehren.

Röslein. Pfui! wer wird auch Mäuse essen?

Alte. Liebes Kind, es ist alles nur Gewohnheit. Wenn es üblich wäre, Mäuse auf die Tafel zu setzen, so würden sie aller Welt schmecken. Verzehrt man doch viele andere Tiere, die nicht so appetitlich und sauber sind, wie die niedlichen Mäuslein.

Röslein. Ich könnte mich doch nicht daran gewöhnen. Sieh' da, was hast du für eine schöne goldene Spindel!

Alte. Gib acht, gutes Mädchen, du könntest dich daran stechen, denn sie ist an beiden Enden spitz.

Röslein. Ach, ich möchte gar zu gern auch ein bißchen spinnen.

Alte. Hast recht, das Spinnen ist was Schönes. Sieh nur die Spinnen, wie sie die Fäden ihres Netzes bilden, und die Raupe, wie sie sich einspinnt und aus ihrer Puppe der bunte Schmetterling ersteht; und wie die Vöglein ihre Nester spinnen – kurz, alles spinnt und spinnt und spinnt – –

(Unterdessen hat Röslein nach der Spindel gelangt.)

Röslein (mit einem Schmerzensschrei). Weh mir! Ich habe mich gestochen!

(Die Alte und ihr Kater verschwinden unter wehmütiger, schnurrender Musik. Es wird plötzlich dunkel. Röslein sinkt bewußtlos nieder. Wiltrud und Scohlint erscheinen, jede eine brennende Fackel in der Hand. Beide sprechen in feierlichem Tone.)

So schlummere, schlummere manches Jahr,
Dornröslein mit dem goldnen Haar –
Schlaf gut, du allerliebstes Kind,
Gerächt sind Wiltrud und Scohlint.

Und all ihr andern in dem Haus,
Vom König bis zur kleinen Maus,
Schlaft alle; denn so will's der Fluch,
Der Zauberinnen Rachespruch!

Wer wird euch wecken aus der Nacht,
Die wir in dieses Schloß gebracht?
Für euch gibt's wohl kein Morgenrot
Und euer Schlummer ist der Tod!

(Sconea erscheint im hellen Schimmer, die Fackeln der bösen Feen erlöschen.)

Sconea. Sconea spricht's: Es währt die Nacht
Nicht ewig! wie die Blum' erwacht,
Geküßt vom ersten Sonnenstrahl,
Wird's Röslein auch geweckt einmal.
Die Minne tut's mit holdem Mund
Und sie zerstört der Rache Bund.

(Die bösen Feen versinken.)

(Unter leisem Donner fällt der Vorhang.)


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