Franz Graf Pocci
Lustiges Komödienbüchlein
Franz Graf Pocci

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Doktor Sassafras
oder
Doktor, Tod und Teufel

in drei Aufzügen

(1860)

Personen

       

Doktor Sassafras

Kasperl, sein Diener

Herr von Steinreich

Marie, dessen Nichte und Mündel

Schreiber, Sekretär bei Steinreich

Der Tod, auch Herr Knochenmayer

Der Teufel

Ein Bauer

Bedienter bei Steinreich

Ein Totengräber

Erscheinungen

Erster Aufzug

Des Doktors Studierstube.

(Bücher, medizinischer Apparat usw.)

Doktor Sassafras. Die Last der Arbeit erdrückt mich beinah'! Es ist wirklich etwas Erschreckliches, ein Arzt zu sein. Mit dem frühesten stehen schon die Hilfesuchenden vor meiner Türe; dann heißt's in der ganzen Stadt oder auf dem Lande herumfahren; kaum hab' ich mich mittags mit Speis' und Trank gestärkt, überlaufen mich die Patienten wieder in meiner Wohnung; dann abermals Visiten. Nachts, wenn die anderen Menschen ausruhen, bin ich auch nicht sicher, daß ich nicht irgendwohin geholt werde! Geld mache ich mir genug bei diesem Wirken, besonders seit ich die drei Heilmethoden exerziere: die Allopathie, die Homöopathie und die Hydropathie (vielleicht nehme ich auch noch die Heilgymnastik dazu). – Ich kuriere oder bringe die Leute um, wie sie wollen. Man bewundert meine Prognose, meine Diagnose – kurz man nennt mich einen zweiten Hippokrates oder Paracelsus!

(Kasperl tritt ein.)

Kasperl. Hochgelehrtester Herr Doktor! Da draußen steht schon wieder ein ganzes Rudel Patienten, die ein Rezept haben wollen von Ihnen. Einen haben's gar auf einem Wagerl herg'schoben; er hat keine Fuß mehr und möcht, daß Sie ihm was eingeben, damit ihm wieder neue anwachsen; einen Blinden haben's auch herg'führt, der möcht ein paar frische Augen. Nächstens kommen die Leut ohne Kopf, damit Sie ihnen einen aufsetzen.

Sassafras. Für jetzt ist es mir unmöglich, irgend jemanden zu empfangen. Ich muß zu einem Konsilium, welches eben bei dem alten Grafen Hohenfels gehalten wird. Wenn die Leute draußen ein Stündchen warten wollen, mag es sein. Ich denke, daß ich nicht zu lange ausbleibe, oder wenn du meinst, bestelle sie auf morgen her. (Ab.)

Kasperl (allein). So ist's recht. Geh'n S' nur fort, Herr Doktor. Jetzt hab' ich Gelegenheit, wieder einmal meine Praxis auszuüben. Ein dummer Kerl wird sich schon finden, der mich für einen Doktor ansieht, wenn ich ihm was weis mach'. Das ist ja ohnehin bisweilen Doktorenmanier, und je mehr man den Leuten vorlügt, für desto gescheiter halten's ein. (Ruft zur Türe hinaus.) Heda! Guter Freund, nur herein!

(Ein Bauer mit ungeheuer dickem Bauch.)

Bauer. Da bin i schon, Rexzellenz Herr Doktor.

Kasperl (spricht sehr hochdeutsch). Nun, was fehlt, juder Freund! Du hast ja einen ungeheuern Bauch. Hast du vielloicht die Wassersucht oder die Biersucht?

Bauer. Na, weder d' Wassersucht, noch d' Biersucht. Ich hab' schreckliche Schmerzen im Bauch, und weiß net warum. Aber die vorig' Wochen hab'n wir Kirta g'habt und da hab i halt so nachanander vierundzwanzig Knödl auf'm Kraut gessen. Ich glaub' die lieg'n mir noch im Magen. Wenn ein Knödl naus will, so möcht der ander a naus und so verstellt einer dem andern den Weg. Jetzt könnt's Enk denken, Rexzellenz Doktor, was das für a Metten in mei'm Bauch ist, wenn die vierundzwanzig Knödl miteinand raufen. I mein', i muß z'grund geh'n!

Kasperl. Wie kann aber ein Mensch so dumm sein, vierundzwanzig unvorsichtige Knödel zu verspoisen? Das ist ja eine Schwoineroi?

Bauer. Ja, mir haben's halt g'schmeckt und weil der Knödl rund ist, hab' i mir denkt, die kugeln leicht wieder aussi. Ich bin halt a dummer Bauer, der von die g'lehrten Sachen nix versteht.

Kasperl. Das ist aber ein sehr kritischer Fall. Das Glück ist, daß du auch Sauerkraut dazugegessen hast, weil die Säure doch etwas auflösend wirkt; sonst wärest du schon an einer Indischestion gestorben.

Bauer. Was is denn das für eine Krankheit, die Indischestion?

Kasperl. Das ist eine indische Krankheit. Da hilft nichts als den Bauch aufzuschneiden.

Bauer. Na, schneiden laß i mich net.

Kasperl. Dann mußt du sterben.

Bauer. Auweh, auweh! – was kost's aber, wenn der Herr Exzellenz Doktor mich kuriert hat.

Kasperl. Das kostet 30 fl. gradaus, und 5 fl. Trinkgeld.

Bauer. Das ist doch a bißl gar z' viel.

Kasperl. Wenn Er nicht will, so behalte Er sein Geld im Sack und seine Knödel im Bauch.

Bauer. O mein, o mein! I halt's net aus vor Schmerzen! – Meinetwegen schneid't 's halt zu, wenn's net z' weh tut. –

Kasperl. 's ist gleich vorbei. Ich muß nur mein Instrument holen. (Ab.)

Bauer (allein). Was muß denn das für a Strument sein? eppa gar a Trumpeten zum Blasen! – Mir ist's recht! Jetzt bin i amol g'faßt und ergib mich in mein Schicksal.

(Kasperl kommt mit einem großen Messer herein.)

Kasperl. So, setz er sich auf diesen Stuhl – und ruhig gehalten.

Bauer. Das ist ja a schrecklich's Messer? Ich halt's nit aus!

Kasperl. So, meint Er, daß für vierundzwanzig Knödl ein kleines Federmesserl genug wär'? Also ruhig! (Kasperl schneidet ihm den Bauch auf. Der Bauer schreit ungeheuer und zappelt mit den Füßen.) 's schon vorbei! Da schau Er einmal! (Die Knödel springen aus dem Bauch und tanzen auf dem Boden herum.)

Kasperl. Jetzt schnell das Pflaster drauf.

Bauer (aufseufzend) Ah, ah! Jetzt ist mir ganz leicht!

Kasperl. Die Knödl kannst wieder mitnehmen für ein anderes Mal.

Bauer. Na, na, dank schön! Die könnten mir schlecht bekommen. Da habt's die 30 fl. und 5 fl. Trinkgeld.

Kasperl. Gut, nur her damit, und jetzt marsch hinaus!

Bauer. I bedank mi halt schön.

Kasperl. Drei Tag' nichts essen; trinken so viel Er will.

Bauer. Das laß i mir g'fall'n! G'horsamer Diener, Rexzellenz Doktor. (Ab.)

Kasperl (allein). Das hab' i wirklich net schlecht gemacht. Ja, Kuraschi ist die Hauptsach' für ein' Doktor. Es ist noch die Frag', ob das meinem Herrn eing'fall'n wär', der hätt' vermutlich dem Bauer ein kleines Abführungsmittel geben; aber so ist das Ding viel schneller gangen, und wenn der Kerl stirbt, so ist er wenigstens nit an die Knödl g'storben, sondern bloß an der Kur. Das g'schieht bei die Doktores auch nit selten, daß sie dem Patienten die Krankheit vertreiben, aber daß er nachher an die Mittel draufgeht, die s' ihm geben haben.

Sassafras (tritt ein). Das Konsilium ist vorbei. Mein Rat hat wieder den Ausschlag gegeben; mein Mittel wird helfen. (Zu Kasperl.) Ist unterdessen nichts vorgefallen, Kaspar?

Kasperl. Nein, gar nix, gnädiger Herr.

Sassafras. Ich werde nicht lange zu Hause bleiben können, weil ich zu Herrn von Steinreich gerufen wurde. Er soll an einem unheilbaren Uebel leiden. – Was, unheilbar? Das wollen wir erst sehen, wenn ich komme! Kaspar, wenn mich etwa irgend jemand sprechen wollte, so kannst du mir es gleich melden.

Kasperl. Wie Sie befehlen. (Ab.)

Sassafras (allein). Von Stufe zu Stufe steige ich! Ich werde bald einen europäischen Ruf haben. Was sind all diese Stümper von Doktoren im Vergleiche zu mir? Wer hat einen Blick in die Tiefe der menschlichen Natur, wie ich? – Keiner! – Wer weiß das Uebel gleich richtig zu fassen, wie ich? Keiner von allen! – Wer von ihnen kann seine Kraft messen mit jenen geheimen Gewalten, die das Leben der Menschheit befeinden? – Ich bin es! – Doch es ist Zeit, zu Herrn von Steinreich zu gehen. (Ab.)

(Der Tod erscheint aus der Versenkung.)

Tod. Herr Doktor Sassafras! auch ich bin da!
Vergiß nicht ganz, daß ich dir immer nah'.
Denn bald wird mir zu arg dein kühnes Treiben,
Dein Ordinieren und Rezepteschreiben.
Bei meinen alten Knochen, 's ist zu viel,
Mit mir zu wagen solch ein keckes Spiel.
Ich hab' ein altes Recht auf jung und alt,
Auf groß und klein und hol' was mir gefallt.
Du willst mir Einspruch tun, ha, ha! zum Lachen
Ist's! alles muß ja doch in meinen Rachen.
Und alles mäh' ich mit der Sense nieder,
Und alles wird zu Staub und Asche wieder.
Nun aber, weil bisher ich war so gütig,
Wird mir das Doktorlein gar übermütig.
Jetzt will aus einem andern Ton ich geigen
Und wer der Herr, dem Herrn Doktor zeigen.
Zuvor werd' selbst ich Sassafras besuchen
Und gütlichen Vergleich mit ihm versuchen;
Geht er nicht auf den Vorschlag willig ein,
So muß er selbst bald meine Beute sein.

(Verschwindet.)

Verwandlung

Prachtvolles Gemach im Hause des Herrn von Steinreich.

(Steinreich auf einem Armsessel sitzend. Vor ihm ein Tisch mit vielen Papieren darauf. Neben ihm steht Sekretär Schreiber.)

Steinreich. Aber heute werden Sie wieder gar nicht fertig mit Ihrem Vortrag, und ich bin so leidend.

Schreiber. Ich bedaure, Herr Baron; allein es liegt Ihnen ja selbst daran, daß Ihre Geschäfte täglich vormittags erledigt werden. Hier ist noch die Eingabe des armen Taglöhners mit Weib und sechs Kindern; er bittet um Nachlaß der Schuld oder Termin zur Rückzahlung.

Steinreich. Ei was! er soll zahlen; die Auspfändung soll ihren Lauf nehmen. Ich kann nicht alles verschenken. Soll ich selbst zum Bettelmann werden? O weh! was leid' ich wieder. Mein Herz, mein Herz!

Schreiber. Bedaure – aber bedenken Herr Baron: der Mann war ein halb Jahr krank und konnte sich nichts verdienen.

Steinreich. Das ist nicht meine Schuld. Wenn ich nicht ein so gutes Herz hätte – o weh, wie drückt's mich wieder! – so hätte ich ihn längst schon auspfänden lassen. Mein gutes Herz wird mich noch ganz und gar ruinieren.

Schreiber (für sich). Oh, du Heuchler! (Zu Steinreich) Also wirklich, Herr Baron?

Steinreich. Es bleibt dabei. Apropos! Vergessen Sie nicht, mir wieder 300 Flaschen Champagner zu bestellen von der Qualität, die ich neulich probiert habe.

Schreiber. Ich habe bereits an das Haus Cliquot geschrieben. Hier ist noch ein kleines Gesuch der Witwe Müller. Sie hat kein Bett mehr. Eine Lähmung der rechten Hand hindert sie zu nähen, so daß sie keinen Verdienst hat. Um Brot für ihre zwei Kinder zu kaufen, gab sie ihr Bett her und liegt nun auf dem Stroh. Sie bittet nur um ein paar Taler. Ihre Not ist groß.

Steinreich. Was den Leuten nicht alles einfällt! Ueberall soll ich helfen. Verschonen Sie mich mit solchen zudringlichen Betteleien. Ein für allemal!

Schreiber. Aber der Hunger tut weh.

Steinreich. Man soll sich nach der Decke strecken und nicht mehr wollen, als man hat. Der Mensch soll sich überhaupt an das Notwendigste beschränken.– Apropos! Ich hoffe, daß die Gänseleberpastete aus Straßburg angekommen ist; ich freue mich schon lange darauf.

Schreiber. Sie soll heute auf die Tafel kommen.

Steinreich. Bravo! – Ich muß mich durch gute Nahrung stärken; mein Herzleiden wäre mir unerträglich. Dies ist auch die Ansicht der Aerzte.

Schreiber. Nun habe ich die Ehre mich zu empfehlen.

Steinreich. Adieu! beinah' hätt' ich vergessen! Ist Doktor Sassafras bestellt, den ich noch konsultieren will?

Schreiber. Er wird diesen Vormittag seinen Besuch abstatten. (Ab.)

Steinreich (vom Stuhle aufstehend). Was nützt aller Reichtum, wenn man nicht gesund dabei ist? Alle Genüsse des Lebens könnte ich mir verschaffen; aber dieses Drücken da auf der linken Seite. Es muß mir am Herzen fehlen. Wenn's nur keine Verhärtung ist oder ein organischer Fehler! – Der berühmte Doktor Sassafras wird gewiß ein Mittel finden, mich zu kurieren. Ich will nichts sparen; mit Dukaten will ich seine Rezepte bezahlen, wenn ich nur gesund werde. Ah, meine Nichte!

(Marie tritt ein.)

Steinreich. Mamsell Marie, ei, guten Morgen.

Marie. Guten Morgen, lieber Onkel.

Steinreich. Wie steht's? noch immer die Grillen im Kopf? Noch nicht zur Besinnung gekommen?

Marie. Wenn Sie meine Ueberzeugung Grillen nennen. Herr Onkel, so muß ich gestehen, daß noch keine Aenderung –

Steinreich. Was, Ueberzeugung? Einfältige Schwärmerei! Was willst du mit diesem Schreiber? Er ist kein Mann für dich.

Marie. An dem Totenbette der seligen Mutter haben wir uns die Hände gereicht für immer. Unser Bund ist durch den Segen der Sterbenden geheiligt.

Steinreich. Und ich will nichts davon wissen; aber du weißt schon längst, daß es meine Absicht ist, dich an den Baron Goldberg zu verheiraten.

Marie. Mein Herz ist mein freies Eigentum. Es gehört Schreiber, dessen Wert Sie selbst so oft gerühmt und anerkannt haben.

Steinreich. Ist dies der Dank, daß ich dich, armes Mädchen, zu mir genommen habe? Der dummen Geschichte soll ein Ende gemacht werden. Schreiber muß aus dem Hause, heute noch. Ich werde leicht einen anderen Sekretär finden.

Marie. Ich werde Ihnen stets für alle mir erwiesenen Wohltaten herzlich dankbar sein; allein damit ist gewiß nicht die Verpflichtung verbunden, mich zwingen zu lassen, daß ich Baron Goldberg heirate.

Steinreich. So magst du als alte Jungfer sterben. Fort von mir, auf dein Zimmer! – Ach, mein Herz, mein Herz! wie drückt's mich wieder!

(Ein Bedienter tritt ein.)

Bedienter. Doktor Sassafras.

Steinreich. Gut, laß ihn herein. (Bedienter ab.) (Zu Marie.) Fort, sag' ich! (Marie weinend ab.)

Sassafras (tritt ein). Herr von Steinreich haben mich rufen lassen?

Steinreich. Oh, wie froh ich bin, daß Sie mich besuchen. Ich bin sehr leidend.

Sassafras. Es würde mir eine große Freude sein, wenn ich durch meine Kunst zur Linderung Ihres Zustandes etwas beitragen könnte. Was fehlt Ihnen?

Steinreich. Ich leide, glaube ich, am Herzen. Meine außerordentliche Gutherzigkeit hat mich ruiniert.

Sassafras. Will nicht hoffen; allein es ist kein Zweifel, daß psychische Zustände von großem Einfluß auf den Körper sind. Die geistigen Qualitäten imprägnieren sich der Materie.

Steinreich. Seh'n Sie, Herr Doktor (auf die linke Seite die Hand legend), seh'n Sie, da tut's halt ungeheuer weh! Es ist mir oft, als wenn ein harter Klumpen drin wär'.

Sassafras. Können auch Kongestionen sein. Erlauben Sie; (befühlt die Stelle) ich finde keine Alteration des Herzschlages. (Lauscht mit dem Ohr daran.) Ich finde wirklich gar nichts Besonderes. Aeußerlich gar keine Verhärtung, kein Symptom, das bedenklich wäre. – Haben Sie Appetit?

Steinreich. Das Essen ist das einzige, das mit gut tut und meinen Zustand erleichtert.

Sassafras. Wie sieht's mit dem Schlaf aus?

Steinreich. Vortrefflich; aber bisweilen fühl' ich auch bei Nacht ein gewisses Drücken.

Sassafras. Erlauben Sie den Puls. (greift den Puls.) Sonstige Funktionen?

Steinreich. Alles in Ordnung. Aber da drin, da drin – –

Sassafras. Ich werde Sie einige Zeit beobachten müssen, Herr von Steinreich. So ein Fall bedarf längerer Aufmerksamkeit. Vorderhand werde ich Ihnen ein Rezept aufschreiben. Vermeiden Sie jede Aufregung.

Steinreich. Ach, aber mein gutes Herz läßt mir keine Ruhe.

Sassafras. In ein paar Tagen werde ich mir die Freiheit nehmen, wieder meinen Besuch abzustatten.

Steinreich. Kommen Sie recht bald wieder. Rechnen Sie auf meine Dankbarkeit. Adieu, adieu! Ich will jetzt einen kleinen Spaziergang in meinem Garten machen. (Ab.)

Sassafras (allein). Vortrefflich – der ist mein. Die Kundschaften, die an der Einbildung leiden, waren mir stets die liebsten. Ich kann ihn jahrelang hinhalten, geb' ihm unschädliche Mittel, schicke ihn auf Reisen und in Bäder – und – er muß tüchtig blechen. Ha, ha, ha! solche Patienten laß ich mir gefallen! Die gehören für unsere Erholung und füllen den Geldbeutel. Nun wieder ein paar Häuser weiter! Meine Praxis wächst mir beinahe über den Kopf; glücklich bin ich im Kurieren, also läuft mir alles zu und wo die Kunst nicht ausreicht, da hilft die Schlauheit. Sassafras, du wirst unsterblich! (Will hinaus; der Tod in schwarzer Kleidung als Knochenmayer tritt ihm durch die Türe entgegen.)

Tod. Halt! Unsterblicher!

Sassafras. Mein Herr, was wollen Sie?

Tod. Sie selbst will ich, Herr Doktor, wenn auch nicht jetzt, doch seinerzeit jedenfalls.

Sassafras. Wen habe ich die Ehre? Warum treten Sie mir in den Weg?

Tod. Ich habe mit Ihnen ein Wörtchen zu reden. Mein Name ist Knochenmayer.

Sassafras. Womit kann ich dienen? bedürfen Sie etwa meiner ärztlichen Hilfe? In der Tat, Ihr Aussehen spricht dafür.

Tod. Bitte recht sehr! Ich bin zwar klapperdürr und etwas blasser Physiognomie; allein ich erfreue mich doch der besten Gesundheit und bin so alt wie die ganze Menschheit.

Sassafras. Wie soll ich das verstehen? sprechen Sie deutlicher. Jedenfalls ersuche ich Sie, mich nicht umsonst aufzuhalten; meine Geschäfte – –

Tod (ihn unterbrechend). Haben keine Eile; wenn ich mit Ihnen zu reden habe.

Sassafras. Wie kommen Sie mir vor? (Will hinaus.)

Tod. Halt! keinen Schritt weiter!

Sassafras. Welche Kühnheit! – Ich bin Doktor Sassafras, Respekt vor mir!

Tod. Und ich bin Doktor Knochenmayer, Respekt vor mir!

Sassafras. Immerhin! ich kenne Sie nicht.

Tod (mit fürchterlicher Stimme). So lerne mich kennen, Elender! (Die Bühne verfinstert sich.)

Sassafras. Weh mir, was ist dies?

Tod. Sieh' dorthin und erkenne mich! (Der Hintergrund hat sich mit schwarzen Wolken verhüllt, auf denen in Flammenschrift zu lesen ist:)

CONTRA VIM MORTIS NON HERBULA CRESCIT IN HORTIS.

(Zugleich hat der Tod sein Gewand abgeworfen und steht als Gerippe da.)

Tod. Der Mächtigste auf Erden steht vor dir!
Drum zitt're, der du dich bestrebst, zu lähmen
Die Allgewalt, die unerbittlich herrscht.
Doch ich will gnädig sein: die Hälfte dir,
Die Hälfte mein!
So magst du heilend wirken
Wo nicht, so bist alsbald du mir verfallen,
Bedenk es! Du kannst den Entschluß mir sagen,
Wenn ich bei dir erscheine nach drei Tagen!

(Sassafras sinkt zusammen.)

(Der Vorhang fällt.)

 
Zweiter Aufzug

Nacht. Ein Kirchhof.

(Der Totengräber gräbt ein Grab. Sassafras tritt nachdenkend ein.)

Sassafras. »Contra vim mortis non herbula crescit in hortis.« Wider den Tod kein Kräutlein gewachsen ist. Ich weiß es wohl. Aber dennoch! Er nannte sich den Gewaltigsten auf Erden, weil ihm alles unterliegen muß; allein es gibt doch noch einen Mächtigeren als ihn. Des Todes Gewalt ist auf dieses Leben beschränkt. Der Satan greift darüber hinaus; auch im Jenseits herrscht er, er ist also mächtiger. Wie? wenn ich mich mit diesem verbände?

Zwei Feinde der Menschheit. Den einen – den geringeren – bekämpfe ich; zu dem andern will ich mich jetzt halten. Meine Seele will ich ihm verschreiben, dafür wird er mir wohl seinen Beistand nicht versagen. Bei den Gräbern haust er. Hier will ich ihn zitieren. (Erblickt den Totengräber.) Heda, guter Freund!

Totengräber. Wer ruft mich?

Sassafras. Ich bin's. Du kennst mich ja.

Totengräber (kommt näher). Ah! Herr Doktor Sassafras! freilich kenn' ich Euch. Wie kommt Ihr selbst einmal hierher; gewöhnlich schickt Ihr mir nur Eure Patienten heraus.

Sassafras. Das ist eben kein Kompliment, das du mir machst.

Totengräber. Nehmt's nicht übel. Ich habe freilich nicht die rechten Manieren; allein bedenkt, daß ich hauptsächlich mit stummen Leuten Umgang pflege, die mir keine Antwort geben können, und denen ich eben sage, was mir gerade einfällt – wenn ich denn doch bisweilen schwatzen möchte

Sassafras. Glaub's wohl, alter Bursch', und hab' dir's auch nicht übelgenommen. – Hör' aber, ich möchte dich was fragen. Da hast du ein paar Taler; aber sag' mir die Wahrheit.

Totengräber. Danke, danke – hätt' aber keines Trinkgeld's bedurft. Ich sag' immer die Wahrheit; hab's ja allweil mit der allerlautersten Wahrheit zu tun, mit dem »Absterbens-Amen«. Da sind Lug und Trug zu Ende.

Sassafras. Es geht die Sage, daß es auf diesem Kirchhof nicht geheuer sei. Hast du jemals was bemerkt? Man erzählt sich, der böse Feind selber lasse sich bisweilen blicken.

Totengräber (hält den Finger an den Mund). Laßt uns still reden. Man soll's nicht wissen, und es soll nicht laut werden; – aber – aber 's ist halt doch so und läßt sich nicht leugnen. Dort hinter der Kapelle, im zerfallenen Kreuzgang ist eine Gruft, heißt das Teufelsloch: Wer den Mut hat – –

Sassafras. Findet dort, was er sucht.

Totengräber. Ei, wer wird aber auch den Teufel aufsuchen? Den muß man meiden. Oft in stillen Nächten, wenn ich schnell ein Grab zu schaufeln habe, da hör' ich's poltern und ächzen, und 's wischt bisweilen etwas über die Gräber hin; aber ich laß gewähren, kehr' mich nicht daran und bet' ein Vaterunser.

Sassafras. Ich habe Grund, der Sache nachzugehen.

Totengräber. Mag sein; solch gelehrten Herren, deren Ihr einer seid, mag's belieben, geheimen Dingen nachzuforschen.

Sassafras. Man muß solchen Rätseln auf den Grund zu kommen suchen.

Totengräber. Immerhin. Wünsch' guten Appetit zur Lösung. Ich meinerseits verlang nicht danach und 's wandelt mich keine Neugier an.

Sassafras. Hast recht, deinerseits. (Die Turmuhr schlägt elf.) Da schlägt's elf Uhr. Meinst du, ich könnte was entdecken.

Totengräber. Der Teufel ist alle Nacht los – mehr oder minder. Versucht's; aber wahrt Euch wohl, damit Eure Seele nicht Schaden leide.

Sassafras. Ich fürchte nichts. Der Teufel hat noch keinen bei lebendigem Leib gepackt. Nur mit der Seele hat er's zu tun. (Ab.)

Totengräber. Das ist noch die Frage, lieber Herr – oho, er ist schon fort! Die Doktoren sind doch kuriose Leute, und den Doktor Faust hat ja doch der Satan geholt, wie ich gehört. – Man soll nicht freveln; man soll dem bösen Feind aus dem Weg gehen und soll ein guter Christ sein. Was geht's mich an? – Das Grab dort muß am frühesten Morgen fertig sein. Also frisch an die Arbeit, damit ich noch ein paar Stündlein schlafen kann! (Gräbt wieder fort und singt.)

Was kümmert mich die ganze Welt,
Ich laß den Leuten Ehr' und Geld;
's ist alles nur ein eitler Schein,
Ein jeder muß ins Grab hinein.

Auf diesem meinen Gartenfeld,
Ist jedem wohl sein Grab bestellt:
Alt oder jung, arm oder reich –
Hier liegen sie beisammen gleich.

Ob König oder Bettelmann –
Im Leben keiner bleiben kann,
Zu jedem kommt die Totenpost
Und alle werden Würmerkost.

Bedächten sie's zu rechter Zeit,
So gäb's wohl minder Haß und Streit;
Denn hier hört alle Zwietracht auf,
Wenn sie da ruhen allzuhauf.

Wer weiß, wie lang ich's hier noch treib',
Bis selber fällt ins Grab mein Leib;
Und muß ich endlich auch hinein,
Sei gnädig Gott der Seele mein.

So, die Arbeit ist gescheh'n; jetzt darf ich ruhen. Also gut' Nacht, ihr da drunten. Ruht sanft, bis ihr aufersteh'n müßt; ich sollte wohl auf den Herrn Doktor warten; das wäre schicklich; aber ich mag nicht. In dies sein Geschäft will ich mich nicht mischen. Gott schütz' ihn und mög' ihm seine Neugier nicht anrechnen. Kuriose Leute, die gelehrten Herren! Ei, ei! (Geht ab.)

(Der Teufel tritt ein. Ihm folgt Doktor Sassafras.)

Sassafras. Steh einmal! höllischer Geist! O sa miha aseffonila!

Teufel. Warum hast du mich gerufen? Was willst du?

Sassafras. Warum fliehst du mich? Elesiamini, elesiamini!

Teufel. Du hast Gewalt über mich, aber 's ist bald Mitternacht. Wenn der Tag anbricht, muß ich fort.

Sassafras. Aha, du fürchtest das Licht.

Teufel. Mein Element ist die Nacht. Also schnell, zur Sache: was begehrst du?

Sassafras. Ich suche deine Hilfe gegen den Tod, der mein Wirken beschränken will und mich mit sich selbst bedroht.

Teufel. Wie? ich sollte gegen meinen besten Freund zu Feld zieh'n? Den Tod laß ich immer gewähren, je mehr, desto besser; denn er liefert mir meine Beute.

Sassafras. Ich verlange deinen Beistand nicht umsonst. Ich verschreibe dir meine Seele, wenn du mir ein Mittel gibst, den Tod nur auf einige Zeit festzuhalten. Mittlerweile erreiche ich meinen Zweck, berühmt und reich zu werden.

Teufel (lacht). Das wäre wohl ein höllischer Spaß, wenn ich einmal meinem Kameraden einen Possen spielte; und du willst mir deine Seele überlassen? Was ist sie wert?

Sassafras. Immer so viel. daß du einen guten Braten daran hättest. Vielleicht mehr als ein Dutzend anderer; denn ich verkaufe dir eine tüchtige Portion Seligkeit.

Teufel. So sei's denn! Diesen Morgen noch findest du auf deinem Studiertische unsern Vertrag. Unterschreib' ihn mit deinem Blute, und er wird dann von meinem Boten abgeholt werden. (Versinkt.)

Sassafras. Ich hab's gewagt! – werd' ich's nicht bereuen? Jacta est alea! (Stürzt ab.)

Verwandlung

Heller Tag. Zimmer bei Herrn von Steinreich

(wie beim ersten Aufzuge.)

Steinreich (krank und erschöpft). Wie fühl' ich mich doch verlassen! den Sekretär Schreiber habe ich aus dem Hause gestoßen; meine Marie sehe ich kaum. Sie schließt sich aus Kummer fortwährend in ihr Zimmer ein. Was hab' ich an den Schmarotzern und Tafelfreunden? – Macht denn das Geld allein wirklich nicht glücklich? Und dabei noch dieses fürchterliche Leiden am Herzen! Es ist nicht zum Aushalten! Dieses Drücken ist peinigend. Meine Kräfte nehmen zusehends ab. Sollte ich etwa gar sterben müssen? Furchtbare Angst! Mein Gott! ich bin wirklich verlassen und allein! Ich will etwas in der Bibel lesen; vielleicht finde ich Trost. (Geht an den Tisch und schlägt ein Buch auf; liest.) »Wer nicht lieb hat, der kennet Gott nicht; denn Gott ist die Liebe.« – Evangelium Johannes. Die Liebe? – Liebe ich denn nicht? Lieb ich mich nicht selbst? (blättert) »Das ist mein Gebot, daß ihr euch untereinander liebet, gleichwie ich euch liebe« (bedeckt sich das Gesicht mit den Händen, blättert und liest weiter). »Sehet zu und hütet euch vor dem Geize!« – Weh mir – (mit der Hand an dem Herzen) Weh mir! Wie sticht's, wie drückt's da drinnen – Wer tröstet mich? Wer hilft mir? Ich bin verlassen! (Weint.) Ich habe lange nicht geweint. Diese Tränen erleichtern mich. Ich fühle etwas in mir, das meine Schmerzen mildert. Solch ein Gefühl, wie jemals ich kaum empfunden! Es wird mir so weich ums Herz! (Schellt an einer Glocke.) Ich war wohl zu hart mit Marien! Sie soll kommen. (Bedienter tritt ein.) Marie möge zu mir kommen; sag' ihr, ich habe ihr etwas Wichtiges mitzuteilen. (Bedienter ab.) Aber was soll ich ihr sagen? Ich habe ein gewisses Verlangen, das mir noch unerklärlich ist. Ist's der Tod, den ich fürchte, daß ich nach einer Hand begehre, mich am Leben festzuhalten? (Marie tritt ein.)

Marie. Sie haben befohlen, Herr Onkel?

Steinreich. Oh, nicht befohlen; ich habe dich ersuchen lassen, zu mir zu kommen.

Marie. Was soll ich Unglückliche bei Ihnen? Tränen werden Sie nicht erheitern in Ihrer Krankheit.

Steinreich. Komm näher, Marie! (Ergreift ihre Hand.)

Marie. Ihre Hand ist so warm! – Sie war immer so kalt.

Steinreich. Ich werde vielleicht nicht lange mehr leben! Mein Leiden am Herzen wird mich töten.

Marie. Gott möge es verhüten!

Steinreich. Und du sagst dies. Ich muß dir ja verhaßt sein, da ich den Schreiber verstoßen habe.

Marie. Er war in Ihren Diensten. Sie hatten die Macht, ihn wieder aus diesen zu entlassen.

Steinreich. Die Macht – nicht auch das Recht?

Marie. Darüber mag Ihr Gewissen entscheiden.

Steinreich. Mein Gewissen sagt mir: »Du hattest unrecht!«

Marie. Ich kann, ich will nicht urteilen. Lassen Sie mir meinen Schmerz. (Will gehen.)

Steinreich (hält sie zurück). Marie! Seit ich Schreiber fortgeschickt, seit du dich mir entziehst – weiß ich, was der Schmerz ist. Was nützen mich meine Geldsäcke? Sie gewähren mir keinen Trost; und du – meiner eigenen Schwester Kind – du, mein Trost – du hassest mich?

Marie. Oh, gewiß nicht, bester Onkel. Ich habe Sie stets geliebt als meinen Onkel, meinen Wohltäter! Ich werde nie vergessen, was ich Ihnen zu danken habe.

Steinreich. Oh, wie wohl tut mir dies! Es ist, als ob eine harte Kruste von meinem Herzen fiele: Meine Schmerzen schwinden! Ich fühle mich gesund.

Marie. Oh, geben Sie diesem Gefühle Raum, lieber Onkel! (Kniet vor ihn und küßt weinend seine Hände.) Ein liebend Kind kniet vor Ihnen. Was ist der Mensch ohne Liebe?

Steinreich. Ja, in der Tat, das ist ein wahres Wort! – Komm an mein Herz! Alles soll gut werden. (Umarmt sie.)

Marie. Teurer, bester Onkel!

Steinreich. Ich bedarf keines Doktors mehr! – Ich bin ja gesund. Der Druck, das Stechen am Herzen ist verschwunden! Wie froh, wie vergnügt bin ich! – – Schnell, Marie, schicke zu Schreiber, er soll augenblicklich herkommen! Er soll dein Mann werden! Den Armen will ich geben! Ich habe ja kein Herzleiden mehr! – Komm, mein Kind! laß uns zusammen in den Garten gehen. Die frische Luft wird mich vollends stärken. Ja, ich will lieben, ich muß lieben! Wie konnte ich bisher so verblendet sein? Dank dem Himmel, daß er mir die Augen geöffnet und mein Herz erweicht hat. Es ist, als ob ein harter Stein darinnen gelegen wäre. Geschmolzen ist er nun wie ein Eisklumpen, der zerfloß. Komm, mein Kind! Wir wollen deine Verbindung mit Schreiber besprechen, und unverzüglich soll er dich aus meiner Hand als Gatte empfangen, und ihr beide sollt meinen Reichtum mit mir teilen.

Marie. Oh, wie glücklich könnte ich werden! Allein Schreiber ist entfloh'n; er hat mir einen Abschiedsbrief zurückgelassen, aus dem nur Verzweiflung spricht.

Steinreich. Ich will alles aufbieten, daß man ihn finde. (Beide ab.)

Verwandlung

Zimmer des Doktor Sassafras.

(Kasperl tritt ein.)

Kasperl. Mein Herr muß einen schweren Patienten zu traktieren haben; denn er ist die ganze Nacht ausblieben. Hätt' ich das vorausgewußt, so hätt' ich mich auch im Wirtshaus ein bißl länger unterhalten und aufgehalten und die Polizeistund' nit so gewissenhaft eingehalten. Oho; jetzt wär' ich bald aus dem »halten« nimmer rauskommen.

Ja, meine Gewissenhaftigkeit ist aber schon musterhaft. Ich bin so gewissenhaft, daß ich nicht einen Tropfen im Krug lassen kann; so pünktlich, daß ich nicht einen Wurstzipfel auf'm Teller liegen lass'; so genau, daß ich nicht einen Kreuzer im Sack behalten kann; so dienstfertig, daß ich mit meinem Dienst und mit meiner Arbeit schon fertig bin, eh' ich damit ang'fangen hab', das heißt: I tu' lieber gleich gar nix! Kurz – ich bin das Muster eines menschlichen Exemplars. Der erste Mensch Adam war nichts im Vergleich zu mir, seinem Nachkommen! Und der muß doch das Muster aller Menschen gewesen sein, weil er der erste war. Er hat in einen süßen Apfel gebissen; aber ich muß gar oft in einen sauern beißen; seine Evakathl hat ihm die Frucht gereicht; aber meine Evakathl such' ich noch. Wenn ich einmal fünfundzwanzig Jahr treu gedient hab' – so sagt mein Herr – nachher laßt er mich auch heiraten. Bis dahin bleib' ich ledig: 's ist freilich a bißl lang hin; allein der Mensch muß Geduld haben! – Aha! da kommt er. –

(Sassafras tritt ein.)

Kasperl. Guten Morgen, guten Morgen! – Ja, wo waren wir denn die Nacht über? Hab'n S' wieder einen hinausbuxiert aus dem irdischen Jammertal?

Sassafras. Schweig' Narr! Laß mich allein.

Kasperl. Kein Fruhstuck? Kein Kaffee?

Sassafras. Fort, aus dem Zimmer! Ich habe zu studieren.

Kasperl (für sich). Auweh! Steht ein Gewitter am Himmel in aller Fruh. (Zu Sassafras.) Ich geh' schon. (Ab.)

(Sassafras eilt auf sein Schreibpult hin, von welchem er ein Blatt Papier nimmt.)

Sassafras. Der Teufel hat diesmal nicht gelogen. Hier ist der Vertrag. Woll'n sehen, wie er lautet. (Liest.) »Ich Doktor Christophorus Sassafras verschreibe meine Seele dem höllischen Feinde, dem Könige des Reichs der Nacht und des ewigen Jammers« – des ewigen Jammers, das ist wohl viel, allein diese Ewigkeit kann eine relative sein, keine absolute; also weiter: »dafür empfange ich von besagtem höllischen Feinde die Gewalt, den Tod in Banden zu halten, solange es mir gefällig ist.« Gut, aber wer bürgt mir, daß ich diese Macht wirklich habe?

(Es donnert, aus der Versenkung erscheint ein Armsessel. Eine Stimme ruft:)

»Wer sich auf diesen Stuhl setzt, bleibt solange gebannt, bis du ihn wieder entlassen willst.«

Sassafras. Und der Tod wird sich also fangen lassen?

Stimme. Er wird es.

Sassafras. Wenn nicht, so gilt auch der Vertrag nicht.

Stimme. Unterschreibe.

Sassafras. Auf die Gefahr hin kann ich's. – So, ich ritze mir die Hand mit dem Messer. Ein Tropfen Blut genügt, daß ich meinen Namen schreibe. (Schreibt. Donner. Zugleich fliegt ein Rabe zum Fenster herein und entführt das Blatt.)

Kasperl (tritt gleich darauf ein). Herr Doktor! Dadraußen steht ein schwarzer Herr und möchte seine Aufwartung machen.

Sassafras. Sein Name?

Kasperl. Er hat g'sagt, daß er Doktor Knochenmayer heißt. No, der sieht aber aus – wie's leibhaftige Elend!

Sassafras. Der ist mein Mann! Laß ihn sogleich herein. (Kasperl ab.)

Sassafras. Schlag auf Schlag! Des Teufels Maschinerie ist gut.

(Tod als Knochenmayer tritt ein.)

Tod. Hier bin ich.

Sassafras. Oh, ich bin ungemein erfreut über Ihre Pünktlichkeit, Herr Knochenmayer.

Tod. Hast du es überlegt? Halbpart! Die eine Hälfte der Kranken dein, die andere mein; oder du selbst gehörst mir.

Sassafras (mit Verstellung). Obschon meiner Praxis und meinem Rufe als Arzt großer Eintrag geschieht, bleibt mir nichts als einzuwilligen, da ich selbst so bald nicht deine Beute werden möchte. Wollen wir das Geschäft auch zu Papier bringen?

Tod. Es wäre nicht übel; denn es ist immer besser, so etwas schwarz auf weiß zu haben.

Sassafras. Ja, schwarz auf weiß; dies ist ohnedies deine Wappenfarbe auf Särgen und Totenfahnen. – Nimm auf diesem Stuhle dort Platz; einstweilen schreibe ich.

Tod. Es tut wirklich meinen alten Knochen wohl, wenn sie bisweilen ein bißchen ausruhen können. (Setzt sich in den Stuhl.)

Sassafras. So, Freundchen, jetzt bleibe sitzen, bis es mir gefällig sein wird, dich wieder loszulassen.

Tod. Wie? Was soll das heißen? (Will aufstehen.) Ich kann nicht aus dem Stuhle? Welch ein abgeschmackter Scherz!

Sassafras. Kein Scherz, sondern voller Ernst. Die Menschheit wird nun für einige Zeit von dir befreit sein, und Doktor Sassafras wird seine Triumphe feiern; denn er hat den Tod gebunden.

Tod (versucht wieder aufzustehen, rüttelt gewaltig am Stuhle). Verflucht! Mich zu binden? Mich zu bannen? Das hat noch niemand gewagt! Wer gab dir diese Macht, Elender?

Sassafras. Gleichgültig, wer! Es ist einmal so: du bist und bleibst mein Gefangener.

Tod. Weh dir, wenn ich wieder in Freiheit bin! Das ewige Gesetz der Natur kann nicht untergehen.

Sassafras. Der Tod ist nicht von Ewigkeit her; denn auch die Sünde ist es nicht und einmal kommt der Tag, an welchem du selbst des Todes sein wirst!

(Der Vorhang fällt.)

 
Dritter Aufzug

Kirchhof. (Wie im zweiten Aufzug.)

(Totengräber sitzt auf einem Grab.)

Totengräber. Jetzt möcht' ich wissen, zu was ich noch auf der Welt bin? Seit vier Wochen stirbt kein Mensch mehr in der ganzen Gegend. Es ist schier zum Verhungern für mich, seit alles zum Doktor Sassafras lauft, der alles kuriert. Nicht einmal die alten Leute sterben; auch ihnen gibt er Mittel, die sie – soll' man glauben – wieder jung machen. Ich werde mir aber auch von ihm ein Rezept verschreiben lassen gegen Hunger und Not. Wenn er die zwei Krankheiten des Menschengeschlechtes kurieren kann, dann hab' ich allen Respekt vor seiner Kunst! – Wie? Sollt' er etwa gar damals, als er sich hier nach dem bösen Feind erkundigt hat, mit ihm einen Pakt geschlossen haben? Ei, Firlefanz, das geht nicht. An solche Geschichten glaub' ich nicht. Die Zeiten vom Doktor Faust, die sind längst vorbei; die Leute sind gar gescheit worden und der Teufel hat sie ohnedies in seinen Klauen. Ei, wer verirrt sich denn da wieder einmal hierher?

Schreiber (tritt verzweifelt auf, ohne den Totengräber zu erblicken). Weh mir! Wo find' ich Trost, wo find' ich Ruhe? Nur im Grabe. Was bleibt mir anderes, als der Tod? Mein einziges Lebensglück wurde mir entrissen; meine Marie soll ich nie besitzen! Die Verzweiflung zerrüttet mein Inneres! Ich will meinem Leben ein Ende machen. (Zieht eine Pistole hervor.)

Totengräber (für sich). Oho! das wär' doch zu arg. So etwas kann selbst der Totengräber nicht zulassen. (Tritt vor und greift nach der Pistole.) Halt, guter Freund!

Schreiber. Wer wagt's, meinen freien Willen zu hindern?

Totengräber. Ich bin so frei. Ich hab' das Recht, nach Eurem Totenschein zu fragen; denn ich bin der Totengräber.

Schreiber. Lies in meinem Herzen, da steht er geschrieben.

Totengräber. Die Schrift zu lesen hab' ich in der Schule nicht gelernt; aber wo anders steht geschrieben: »Du sollst nicht töten.«

Schreiber. Mein Leben ist mein Eigentum; ich kann darüber verfügen.

Totengräber. Nein, mein Herr! Ihr habt Euer Leben weder gekauft noch eingetauscht. Es gehört dem lieben Herrgott, der's Euch anvertraut hat als ein heilig Amt.

Schreiber. 's ist zum Lachen! Der Totengräber hält mir eine Predigt zu seinem eigenen Nachteil.

Totengräber. Der Totengräber hat ein bißl gesunde Vernunft und glaubt an unsern Herrgott.

Schreiber. Der hat mich verlassen.

Totengräber. Ei, und wißt Ihr das so gewiß?

Schreiber. Mein einziges Glück hat er mir geraubt! Hinausgestoßen bin ich aus dem Leben.

Totengräber. Das müßt' Ihr mir näher explizieren. Unser Herrgott stößt keinen Menschen aus dem Leben hinaus so mir nichts dir nichts. – Kommt – nehmt Vernunft an! Glaubt dem Totengräber, der nur mit dem Tode zu tun hat. Aus den starren Gesichtern der Menschen, die ich da eingrabe, habe ich schon viel gelesen und hab' gar manches gelernt, wenn ich auch ein schlichter alter Mann bin, der nicht studiert hat. Kommt mit mir, ich bitt' Euch!

Schreiber. Ich bin verlassen, ich bin unglücklich! Du wolltest mich retten.

Totengräber. Wenn einer ins Wasser gefallen, kann er sich an einem schwachen Brettlein halten.

Schreiber. Wahrhaftig, du hast mir meine Besinnung wiedergegeben. Es ist wahr: der Mensch soll nie verzweifeln.

Totengräber. Aha! Kommt die Vernunft wieder? Ihr hattet sie zu Hause gelassen. Geht mit mir in meine armselige Hütte. Wartet ein bißchen ab, was der liebe Herrgott mit Euch vor hat.

Schreiber. Ich will dir folgen. (Beide ab.)

Der Teufel (erscheint aus der Tiefe). Verfluchter Pakt mit dem Doktor! Die Lust, seine Seele zu gewinnen, hat mich übertölpelt und ich habe nicht bedacht, daß wenn der Tod gebunden, er mir keine Seelen mehr liefern kann. Vermaledeiter Kontrakt! Ich muß ihn brechen – lieber laß ich den Doktor laufen. Er gehört doch mir; denn sein Hochmut und seine Geldgier führen ihn der Hölle zu, ohne daß er daran denkt. Zwar ein bißchen später; aber was tut's? Uebrigens kann ich ja dem Tod für seine Befreiung die Bedingnis setzen, daß er mir den Herrn Doktor bald zuführt und ihm bei Gelegenheit den Kragen umdreht. Auch der Bursch da, der gerade mit dem Totengräber verhandelt, hätte sich ohne weiteres erschossen und wäre mir schnurgerade in den Rachen gelaufen, säß' der Tod nicht ohnmächtig in dem verdammten Lehnsessel, den ich erfunden habe. Bei den höllischen Flammen! So geht's nimmermehr. Ich laß den Tod wieder los. (Versinkt.)

Verwandlung

Zimmer des Doktor Sassafras.

Kasperl (tritt ein). Schlipperment, in dem Haus bleibe ich nimmer. Seit der klapperdürre Kerl bei uns logiert, ist's nimmer zum Aushalten. Wo den mein Herr aufgegabelt hat, das weiß der Kuckuck. Vermutlich ist's ein vornehmer Patient, den er in der Kur hat. Ich glaub, der Kerl ist ein Narr, weil'n der Doktor gar nit aus dem Sessel rauslaßt. Da klappert er aber und rasselt, daß alles kracht im ganzen Haus. Ich darf gar nit ins Zimmerl nein, wo er logiert, und aushungern muß'n der Doktor auch; denn ich hab' noch kein' Bissen Essen zu ihm hineingetragen. Nicht einmal eine Fleischbrüh' darf ihm die Köchin geben. So was hab' ich noch nit erlebt. Und mit mei'm Herrn ist's auch vorbei, seit er so berühmt geworden, weil er alle Leut' kuriert und wenn s' schon halbtot sind. Er reißt s' raus, daß s' wieder kerng'sund werd'n. Den macht noch der Hochmut zum Narren. (Es erhebt sich ein Sturm.) Oho, das auch noch? Die G'witter kann ich so nit leiden; denn das Einschlagen fürcht' ich ungeheuer. (Donner und Blitz.) Hui, ist das wieder eine Metten. Ich werd' gleich ins Bett schliefen und unter die Bettdecken. (Es wird ganz dunkel.) Auweh, auweh! Wenn nur der Herr Doktor z' Haus wär'! Auweh, auweh! (Läuft fort.)

Sassafras (stürzt herein, einen Leuchter in der Hand mit brennendem Lichte). Was für ein furchtbares Gewitter! Es ist, als ob alle Teufel los wären. Eine Höllenangst ergreift mich, und ich weiß nicht warum? Bin ich ein Kind geworden? Ich habe doch vor dem Teufel in Person nicht gezittert. Ich höre Geisterstimmen, die mein Inneres durchschauern. (Sinkt in die Knie.)

(Im Hintergrunde werden verschiedene Erscheinungen sichtbar, geisterhafte Gestalten, die sich auf Tod und Vergangenheit beziehen.)

Geisterchor. Gelöst sind die Banden, er ist wieder frei,
Da eilen geschäftig die Diener herbei;
Die Uebel der Menschheit: die Sünden, der Krieg,
Die Pest und wer sonst ihm geholfen zum Sieg.

Er greift nach der Sense und mäht immerfort,
Durchwandert die Erde, vergißt keinen Ort;
Und wo er erscheinet, da schwindet das Licht;
Er herrscht auf der Welt bis zum letzten Gericht.

(Die Erscheinungen verschwinden.)

Der Tod (mit Sense und Sanduhr tritt ein).

Sassafras (liegt besinnungslos auf dem Boden).

Tod. Erwache aus deiner Ohnmacht, Ohnmächtiger! In deiner Torheit wähntest du, ein Bündnis könne Bestand haben, das mit der Weltordnung im Widerspruch steht! Du elender Wurm hast es gewagt, diesem Weltgesetze Trotz zu bieten, dem auch der Satan mit all seiner höllischen Macht nichts anhaben kann. Ich bin der Vermittler des Menschengeschlechtes, daß es eingehen könne aus irdischer Vergänglichkeit in das unvergängliche Leben – in die Ewigkeit.

Sassafras (der sich allmählich wieder aufgerichtet hat). Ohne Tod kein Leben! Ich wußte es, allein der Stolz hat mich verblendet. Der Eigennutz hat mich irregeführt!

Tod. Nun heißt es: Arzt heil' dich selber!

Sassafras. Contra vim mortis non herbula crescit in hortis. Auch ich bin dir verfallen.

Tod. So ist's – der Satan selbst hat Euern Kontrakt zerrissen; denn er war nicht imstande, sein Wort zu halten.

Sassafras. Also wäre ich gerettet?

Tod. Der Ewige, Allbarmherzige wird richten!

Sassafras. So führe mich vor seinen Richterstuhl! Auf dieses Leben verzichte ich!

Tod. Es sei! (Umfaßt den Doktor und versinkt mit ihm.)

Verwandlung

Garten.

(Bedienter bei Steinreich tritt hastig ein.)

Bedienter. Wenn die Welt nicht bald untergeht, so will ich nicht Peter heißen; da ich aber wirklich Peter getauft bin, so muß die Welt untergehen und warum muß sie untergeh'n? Weil Dinge geschehen und Ereignisse vorfallen, die auch dem außerordentlichsten Verstand, wie z. B. dem meinigen, gebieten, stillzustehen oder vielmehr, weil ein vernünftiger Mann, wie der alte Sokrates, wenn ich nicht irre, zu sagen pflegte, sagen muß: »Nun stehen die Ochsen am Berge.« Warum stehen aber die Ochsen am Berge? – – Weil sie nicht hinauf- und hinüberkönnen. Im vorliegenden Falle des bevorstehenden Weltunterganges steht aber mein Verstand still, weil er die Umwandlungen und Verwandlungen, die in diesem Hause vorgegangen sind, nicht begreifen kann, ohne daß ich etwa dabei meiner Begriffskapazität zu nahe treten und meine Bescheidenheit unterschätzen wollte. Erstens: Ist mein Herr, vormals ein harter Mann, in einen weichherzigen Wohltäter verwandelt worden. Oh, Mirakel! Zweitens: Ist Fräulein Marie, die seit einiger Zeit in Schmerz und Tränen zerflossen, ja beinah aufgelöst war, seit ein paar Tagen wie umgewandelt und einer Blume sozusagen zu vergleichen, die halbverwelkt den Kopf hängen ließ und durch einen Sommerregen erfrischt von neuem aufblüht. Drittens – und dieses ist nicht minder außerordentlich verwunderlich – hat der Totengräber – ich sage der Totengräber – einen Brief gebracht, worüber Herr von Steinreich und Fräulein Marie in einen solchen Freudenjubel geraten sind, daß – –

(Steinreich, Marie und Schreiber an der Hand führend.)

Steinreich. Gott sei gedankt! Er hat alles zum Guten gelenkt.

Marie. Wie er immer zu tun pflegt, wenn es die Menschen auch nicht einsehen wollen.

Schreiber. Ich bin beinah verwirrt über die Umgestaltung meines Schicksals! Meine Marie!

Steinreich. Ja, bester Schreiber, Marie wird Ihre Frau und ihr beide seid meine lieben Kinder.

Schreiber. Ihrer Güte, Herr von Steinreich, weiß ich nicht dankbar genug zu sein.

Steinreich. Ihr Dank soll in der aufrichtigen Reue bestehen, daß Sie sich so weit vergessen konnten – –

Schreiber. Meinem Leben selbst ein Ende machen zu wollen.

Marie. Still davon! Diese Erinnerung sei begraben auf immer.

Steinreich. Ja, begraben und vergessen! – Allein des Totengräbers wollen wir nicht vergessen, dem wir die glückliche Lösung zu danken haben.

Marie. Er ward das Werkzeug der göttlichen Vorsehung.

Steinreich. Und nun laßt uns alles zu eurer Vermählung vorbereiten: denn im Laufe dieser Woche noch soll sie stattfinden und, wenn ihr wollt, so lade ich auch den Herrn Doktor Sassafras zum Hochzeitsschmause.

Bedienter. Die Einladung kann ich nicht besorgen. Denn der Doktor ist vom Schlag getroffen worden und seligen Endes verblichen.

Steinreich. Fürwahr! Da heißt es: Auch die Aerzte müssen sterben und »wider den Tod kein Kräutlein gewachsen ist«. – Kommt, Kinder, laßt uns zu Tische gehen!

(Der Vorhang fällt.)

Ende.


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