Wilhelm von Polenz
Der Pfarrer von Breitendorf Zweiter Band
Wilhelm von Polenz

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XIII.

Superintendent Großer hatte die Geistlichen seiner Ephorie zu vertraulicher Besprechung eingeladen.

Der Gärtnergewendbauer mußte also den Schecken einspannen, um den Herrn Pfarrer nach der Kreisstadt zu fahren.

Man war etwa eine halbe Stunde von der Stadt entfernt, als Gerland vor sich auf der Chaussee einen korpulenten Mann in schwarzem Rock erblickte. Es war Dornig.

Gerland ließ Halt machen, als er auf gleicher Höhe mit dem Amtsbruder war, und fragte, ob er Dornig einen Platz im Wagen anbieten dürfe.

»Das will ich glauben!« rief der dicke Pfarrer. »Solche Rentiers, wie du, können fahren!« Er lachte sich erst über die eigene Bemerkung gründlich aus, wischte sich den Schweiß, der ihm bereits den Hemdkragen völlig durchweicht hatte, von Gesicht und Hals; dann stieg er ein, und nahm stöhnend Platz.

»Na, wie geht's denn in Breitendorf?«

Gerland dankte.

»Du hast ja jetzt auch eine Gemeindeschwester dort.« –

»Woher weißt du denn das?«

»Ja, von wem habe ich das doch gleich – richtig! Wenzel, dein früherer Kantor, erzählte mir's neulich! – Ich sehe ihn hin und wieder – man kann das natürlich nicht ganz vermeiden, wenn man an einem Orte lebt. Schließlich – die Frau ist eben früher doch auch Pastorenfrau gewesen. – Na, ich weiß ja schon – du bist auf alle beide nicht gut zu sprechen. Übrigens so schlimm sind die Leute wirklich nicht bei näherer Betrachtung. Er hält sich jetzt leidlich nüchtern; sie hat ihn höllisch unter der Fuchtel und hängt ihm die Schnapsflasche hoch. – Wir haben da so ein Skatkränzchen im Kretscham; die feineren Leute unter sich – verstehst du! Da kommt Wenzel auch manchmal dazu. Aber Punkt dreiviertel elf Uhr muß er nämlich zu Haus sein, sonst geht's ihm hundsschlecht. Sie führt den Pantoffel, aber so!« – Dornig machte eine beredte Geste mit der Hand. »Was sagst du dazu?«

Er brach in ein dröhnendes Gelächter aus, in das der Gärtnergewendbauer auf dem Bocke mit einstimmte. Die traurigen Ehe-Erfahrungen des ehemaligen Kantors von Breitendorf bereiteten dem Bauern offenbar vielen Spaß.

»Woas ho 'ch Se gesagt, Herr Paster!« meinte der Alte und wandte den beiden Geistlichen sein rotes Gesicht zu. »Zwischen dan beeden wor Liebschaft! Schun bein salgen Pfarrn Menken senen Labzeiten – ju ju – Se kin mersch heelig gleba. – Nu hoat ar sei Fett – Wenzel! – Dan giht's nu dreckch – die werd en schu oan dar kurzen Leine hoalen – ju ju! – Su mußt's ack kimina. – Eist de Wenzel, nu host de dei Fett wag!« – Und der Alte sank in stillem Gekicher ganz in sich zusammen auf seinem Bocke.

Dornig, in seiner plump vertraulichen Art, forschte, wie Gerland sein Hauswesen eingerichtet habe, seit die frühere Pastorswitwe ihn verlassen, wo er jetzt esse, ob er billiger oder teurer lebe.

»Sage 'mal, da soll ja dieser Doktor Haußner wieder im Lande sein?« –

»Jawohl!« meinte Gerland.

»Und die Tochter ist auch mit?«

»Ja!«

»So so! – die Tochter ist auch wieder da – – hm! Ich hörte darüber neulich, ganz zufällig. – Was für eine Art Person ist sie denn eigentlich – ich meine, ist sie ein nettes Mädchen?«

Gerland sah Dornig an. Eine merkwürdige Mischung von Neugier, Verschmitztheit, Phlegma und Verlegenheit spiegelten sich in dem fetten Gesichte wieder.

»Warum fragst du mich das?« sagte Gerland scheinbar kalt; er nahm sich zusammen.

»Gott – nur so! – Eigentlich geht's mich ja nichts an. Aber, schließlich, man interessiert sich doch für seine Freunde.« –

»Stammt diese Nachricht vielleicht auch aus derselben Quelle?« fragte Gerland, den Amtsbruder scharf anblickend.

»I Gott bewahre!« rief Dornig voll Eifer. »Du denkst wohl gar, ich lasse mir von den Wenzels was vorklatschen. Da kennst du mich falsch! Wirklich, um solche Sachen kümmere ich mich gar nicht!« –

Das Gespräch verstummte für einige Zeit. Eine Verstimmung war eingetreten zwischen den beiden ehemaligen Schulkameraden. Dornig war das Gefühl, Gerland verletzt zu haben, doch schließlich peinlich geworden; er fing von einem anderen weniger verfänglichen Stoffe an – die bevorstehende Konferenz der Ephoren.

»Die Sache soll ganz vertraulich sein, diesmal,« meinte Dornig. »Im Hause des Alten selbst!« – womit er den Superintendenten meinte. –

»Was will er denn eigentlich von uns?« forschte Gerland.

»Was wird's denn sein! Diaspora-Angelegenheiten. – Vom Konsistorium ist eine Verordnung gekommen – und dann will er uns wohl noch einiges in Sachen Fröschel mitteilen.«

»Wie – in Sachen Fröschel?« –

»Der Alte hat sich da wieder mal sehr geschickt aus der Affaire gezogen. Als sich Fröschel damals erschoß, dachte man doch, es würde ihm höllisch ans Bein laufen – ja, ich glaube, da hat's manche gegeben, die sich auf eine Superintendentenvakanz schon spitzten: die haben sich nun freilich geschnitten. Unser Alter ist auch nicht von gestern. Er muß einen sehr geschickten Bericht eingereicht haben. Oben scheint man ganz zufrieden gestellt. Auch in der Presse hat sich der Lärm schnell gelegt. Jetzt hört man schon gar nichts mehr von der Geschichte; und neulich hat der Superintendent ja auch eine Auszeichnung erhalten.«

»Der Superintendent – eine Auszeichnung?«

»Mensch, liest du denn gar keine Zeitungen! Den roten Piepmatz vierter. Jawohl! Vergiß nur nicht, ihm zu gratulieren.« –

Sie waren inzwischen in der Stadt eingefahren, und hielten bald vor der Superintendentur.

Gerland ging dieser Sitzung mit den unangenehmsten Empfindungen entgegen. –

Die beiden wurden in ein Zimmer gewiesen, in welchem eine längliche Tafel aufgestellt war. Eine Anzahl Geistlicher war bereits zur Stelle, unter ihnen Polani. Es gelang Gerland, den Pfarrer von Annenbad von der Gruppe loszumachen, bei der er gerade stand.

Er hatte sich längst vorgenommen, mit jenem zu sprechen. Was er neulich erfahren, daß es Polani gewesen sei, der dem toten Fröschel ein Kreuz aufs Grab habe setzen lassen, hatte in Gerlands Augen vieles gut gemacht. Eine solche That sprach dafür, daß unter dem glatten Äußeren dieses Mannes doch ein Herz schlug, welches tieferer Gefühle fähig war.

Polani hörte sich Gerlands Dankesworte an mit jenem ihm eigentümlichen müden, selbstironischen Lächeln. »Niemand sollte es eigentlich wissen,« sagte er »von wem das Kreuz stammt. Nun haben Sie's doch erfahren Gerland! Aber sprechen Sie wenigstens nicht davon, darum bitte ich Sie!«

Gerland versprach das. »Glauben Sie mir nur, lieber Gerland,« fuhr Polani fort, »ich habe diesen Fröschel ganz gut verstanden. Jeder von uns modernen evangelischen Theologen hat einmal da gestanden, wo Fröschel geendet ist, an der kritischen Wegekreuzung. Der Arme hat den Weg zur Kirche nicht zurückgefunden, das ist seine Tragik. Er büßt gewissermaßen für den ganzen Stand. O, ich habe Fröschel ganz gut verstanden! Er ist unseres Mitgefühls wert, vielleicht sogar unserer Abbitte. Aber öffentlich seine Partei ergreifen, geht nicht. Um des Beispiels willen darf das nicht sein! Das Kreuz auf seinem Grabe trägt keine Inschrift, wie Sie bemerkt haben werden. Dieses Kreuz sollte weiter nichts bedeuten als meinen Ausdruck des Mitfühlens für einen Mann und Amtsbruder, der über einen Stein gestürzt ist, vor welchem Gott unseren Fuß gnädig bewahrt hat.«

Gerland schüttelte Polani die Hand. Es gewährte ihm große Befriedigung, den Mann, den er einstmals hoch geschätzt, und den er später tiefer und tiefer in seiner Achtung hatte sinken lassen müssen, so sprechen zu hören.

Das ermutigte ihn auch, sich an Polani zu wenden mit der Befürchtung, welche Dörings Worte in ihm wachgerufen. War es denn wirklich so? Sollte Fröschels Selbstmord heute noch einmal zur Besprechung kommen? –

»Es ist richtig!« erwiderte Polani. »Der Superintendent will diese Angelegenheit berühren. Aber Sie brauchen nichts zu befürchten, Gerland. Es wird kein Wort fallen, das Sie oder irgend einen Freund des Toten verletzen könnte. Der Herr Superintendent gedenkt die Sache in irenischem Sinne zu behandeln – rein in irenischem Sinne.« –

Polani wurde hier von einem Amtsbruder angeredet. Er entschuldigte sich bei Gerland, dem die Gedanken im Kopfe herumwirbelten. ›Im irenischen Sinne – also, im irenischen Sinne wird er über Fröschel sprechen!‹

Es war Gerland, als sähe er das Gesicht des kleinen Mannes, der jetzt in einsamer Kirchhofsecke lag, vor sich – das spöttische Zwinkern der Augenlider und den bitteren Zug um die müden Lippen. –

Die Diözesanen waren inzwischen vollzählig erschienen, Gerland sah manches bekannte Gesicht wieder. Diakonus Schwenker, Fröschels Nachfolger in Annenbad, Pfarrer Roßbach und andere – selbst Pfarrer Valentin war von Göhdaberg herabgekommen.

Gerland riß sich aus einer Unterhaltung los, in die ihn Roßbach verwickelt hatte, als er das weißumrahmte Gesicht seines alten Freundes erblickte.

Er hatte den Alten kaum begrüßt, als die Schultern und Rücken der Amtsbrüder sich beugten; der Ephorus war eingetreten.

Der Herr Superintendent hielt zunächst seinen Rundgang. Mit prälatenhafter Würde teilte er Ansprachen aus, schüttelte hier und da eine Hand, machte eine launige Bemerkung, die pflichtschuldigst belacht wurde. Der Oberhirte war gut gelaunt. Von diesem und jenem der Amtsbrüder wurde er beglückwünscht zur neuen Auszeichnung. Er nickte leutselig zu solchen Bemerkungen, dankte mit vielsagendem Lächeln, bescheiden jedes Verdienst ablehnend.

Auch Gerland wurde ganz gegen Erwarten von Seiten des Superintendenten durch eine besonders freundliche Ansprache ausgezeichnet. Es würde ihn nicht erstaunt haben, wenn sein Oberer ihn völlig links hätte liegen lassen, nach den Auseinandersetzungen, die neulich zwischen ihnen stattgefunden. –

»Nun zum Geschäft, meine Herren Amtsbrüder!« – rief der Superintendent, nachdem er mit den Begrüßungen durch war.

Man eilte zu den Plätzen und hörte zunächst das Einleitungsgebet an, welches der Ephorus sprach.

Der erste Teil der Tagesordnung betraf mannigfache Vorkommnisse aus der letzten Zeit: Todesfälle, Vakanzen, Neubesetzungen in der Diözese. Dann wurden verschiedene Verordnungen von seiten des Provinzial- und Landeskonsistoriums verlesen und besprochen.

Nachdem dieser Teil mit der dem Superintendenten eignen Breite zu Ende geführt war, machte der Prälat eine Pause – er schien seine Gedanken zu sammeln. Gerland ahnte, was kommen werde.

»Noch einmal, liebe Amtsbrüder,« begann der Ephorus endlich und legte sein Gesicht in ernste Falten, »noch einmal muß ich auf einen traurigen Fall zu sprechen kommen, mit dem, im Beginne dieses Jahres, der Herr unsere Diözese heimgesucht hat. Sie alle werden wissen, welches Ereignis ich damit meine: den Selbstmord unseres unglücklichen Amtsbruders Fröschel, weiland Diakonus in Annenbad.« –

Wieder eine Pause.

»Die Befürchtungen, die wir damals an den überaus betrübten Fall knüpften, die berechtigten Sorgen wegen der möglichen Folgen dieses Ereignisses für die Diözese – liebe Amtsbrüder – haben sich, Gott sei Dank, nicht bewahrheitet. Schnell ist das Geschrei verstummt, das sich in der Presse einer gewissen kirchenfeindlichen Richtung gegen uns erhob – auch Rom und seine Anhänger haben aus dem Vorfalle keine Waffen gegen uns schmieden können – und ein hohes Kirchenregiment hat sich nach eingehender Prüfung der Sache überzeugt, daß die Schuld nirgend anders zu suchen war, als bei dem Thäter selbst, der sich durch seine That freilich jeder Verantwortung vor menschlichen Tribunalen entzogen hat.

»Und so haben sich denn alle billig Urteilenden von der Überzeugung durchdrungen, daß uns irgendwelche Vorwürfe in dieser Angelegenheit nicht treffen. Denn es ist ja eben klar erwiesen, daß Fröschel bei seinem Thun die volle Zurechnungsfähigkeit nicht besessen hat.

»Das Ungewitter ist vorübergezogen, die Wolken sind zerstreut. Man hat uns nichts anhaben können, nicht das geringste! – Ihr gedachtet es böse zu machen, Gott aber gedachte es gut zu machen. – Fester denn je steht der rechte Glaube unter uns aufgerichtet, und wir ruhen gesichert auf diesem Felsengrunde. Die Zaghaften und Kleingläubigen unter uns, und auch unsere Feinde und Widersacher, müssen es jetzt unumwunden anerkennen: viel zu fest ist das Gefüge unserer Kirche, als daß der Abfall eines Verirrten ihr etwas anhaben könnte.

»Im Gegenteil, aus Bösem ist Gutes geworden. Der Herr hat es herrlich hinausgeführet, wunderbar sind seine Wege. ›Groß und wundersam sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott, gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Heiligen!‹« –

Superintendent Großer wollte damit die Konferenz beschließen, aber aus der Mitte der Diözesanen erhob sich Pfarrer Roßbach.

Er bat um Verzeihung, daß er, obgleich einer der jüngsten, es wage, nach dem verehrten Herrn Superintendenten das Wort zu ergreifen – aber es dränge ihn dazu; er könne nicht zurückhalten mit seinen überschwellenden Empfindungen, und er glaube, im Sinne aller Anwesenden zu handeln, wenn er dem Herrn Superintendenten ihrer aller wärmsten Dank – innigste Anerkennung – tiefste Bewunderung ausspräche für die schöne, echt christliche, priesterliche, taktvolle, homiletische Art und Weise, mit welcher der Oberhirte in dem Falle Fröschel vorgegangen sei. – Wie er in dieser überaus schwierigen Angelegenheit durch Weisheit und Vorsicht große Gefahren von der Diözese abgewendet habe.

»Dafür, Herr Superintendent, unser aller tiefgefühlten Dank! Mit Ihnen fühlen wir uns stolz und geehrt durch die hohe Auszeichnung, die Ihnen, so wohlverdient, kürzlich zu teil geworden ist. Ich weiß es, ich spreche aus der Seele aller hier versammelten Amtsbrüder, wenn ich Gott den Herrn anflehe, Sie uns noch recht lange zu erhalten teurer Herr Superintendent, zum Segen der Diözese, zu Schutz und Schirm der guten Sache, zu Nutz und Frommen der Kirche.« –

Der Superintendent war tief ergriffen, Thränen in den Augen, stammelte er Worte des Dankes. Pfarrer Roßbach empfing zustimmende Händedrücke. –

Die Versammlung lief nach diesem Abschluß schnell auseinander. Die Auswärtigen gingen in den Gasthof zum gemeinsamen Mittagsmahl. Bei Tisch fiel es auf, daß Polani und Roßbach fehlten. Jemand wollte wissen, daß sie vom Superintendenten zum Mittagessen aufgefordert worden seien.

»Aha!« rief Dornig. »Das ist die Quittung für Roßbachs Rede – 's ist nur gut, daß Polani endlich einen Konkurrenten im Schustern gefunden hat.« –

Wenn den beiden, Polani und Roßbach, in der nächsten Viertelstunde die Ohren klangen, so stammte das jedenfalls nicht von guter Nachrede seitens der Amtsbrüder. –



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