Wilhelm von Polenz
Der Pfarrer von Breitendorf Zweiter Band
Wilhelm von Polenz

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XX.

Gerland war in jener Zeit wie ein Wandersmann, vor dem sich, nachdem er lange unter verhangenem Himmel dahingeschritten, der Horizont verheißungsvoll auflichtet.

Mannigfache Erlebnisse hatten seine Erfahrung bereichert und sein Fühlen vertieft. Seine Stellung zu Gott hatte sich von Grund aus gewandelt.

Er suchte ihn nicht mehr in weiter Ferne; er quälte sich nicht mehr damit ab, ihn sich beweisen zu lassen, durch das was andere Zeiten und andere Menschen über ihn erdacht; er versuchte es nicht mehr, sich ein Bild von ihm zu machen, um dann vor diesem Bilde niederzuknieen. Er gab sich einfach dem Bewußtsein hin, ihn zu besitzen – überall, in allem – in sich und außer der eigenen Person – in der Welt. –

In der Thatsache, daß er lebte und dachte, im Gefühle seiner unsterblichen Seele, in seiner Gottsehnsucht selbst war Gott ihm gegeben. –

Und demgemäß hatte sich auch sein Begriff über den Weg zu Gott gewandelt.

Frömmigkeit, das war eben nicht ein Gut, das man erwerben und besitzen konnte, wie er früher gewähnt; die wahre Frömmigkeit lag im Suchen. Fromm waren nicht die, welche in den Augen der Welt dafür galten, nicht die auf den Resultaten fremden Ringens und Denkens bequem Ausruhenden. – Nein! die wahrhaft Frommen, das waren die allezeit Zweifelnden und aus Zweifeln sich zu neuem Glauben Emporringenden – die Ungenügsamen – Durstigen, die Tiefbohrenden und Wühlenden, deren Glück im Suchen bestand.

Jene andern, wie immer sie sich nennen mochten – saßen in wohlverschlossenen Häusern, in Festungen; eifrig waren sie bemüht, Ritzen und Löcher zu verstopfen, ja, viele arbeiteten daran, Fenster und Thüren zu verbauen, damit nur ja nicht das Himmelslicht und der frische Wind des Lebens in ihre dumpfe Behausung eindringe.

So sah er eine ganze Stadt vor sich stehen: Haus an Haus, Tempel an Tempel, Feste an Feste – in allen Größen und Stilarten, die Gebäude – mittelalterlich verschnörkelt, mit wunderlichen Anbauten – manche verfallene Ruine darunter – andere mühsam gestützt und mit modernem Aufputz versehen. Viel Flickwerk – eine hohle, untergrabene, altersschwache Pracht! –

Auch er hatte ein solches Haus bewohnt. Aber niemals hatte er sich recht glücklich darin fühlen können; unbehaglich war es ihm gewesen, ja oft unheimlich, wie in einer Leichenkammer. Modergeruch, altes Gerümpel, das Herdfeuer trübe strahlend und im Verlöschen begriffen, dumpfe, eingeschlossene Zimmerluft. – Und dabei das Ahnen und die Sehnsucht nach dem Licht, das überall durch Klinzen und Ritzen des morschen Bauwerkes eindrang. –

Und doch war der Entschluß schwer, das alte Nest zu verlassen. Er war darin geboren – alle seine Lieben hatten darin gelebt, waren selig darin verstorben. Die Geister entschwundener Generationen schienen ihn warnend zurückhalten zu wollen. Wie Schluchzen glaubte er es in den Lüften zu vernehmen, als er sich reisefertig machte. Ein Paar liebe Augen sah er thränengefüllt auf sich gerichtet. – So hatte ihn die Mutter angesehen, betrübt und vorwurfsvoll, wenn er als Kind ein Unrecht begangen.

Aber konnte er anders? – Es galt nicht sein Glück, nicht die Erfüllung frivoler Wünsche; es handelte sich darum, ob er ein ehrlicher Mensch bleiben dürfe. –

Zaghaft that er den Schritt über die Schwelle. Ihn fröstelte in der scharfen Morgenluft, die ihn draußen empfing. Unsicher setzte er einen Fuß vor den andern, noch oft zurückblickend voll Sehnsucht nach der Stätte, die er verlassen.

Aber allmählich gewöhnte sich seine Lunge an diese kräftigere Luft, sein Auge an die neue Umgebung.

Weit lag die Welt um ihn her. Gegen den Himmel über ihn kein schützendes Dach. Er war von zu Hause her die bemalte Stubendecke gewohnt, auf der Engel und andere mystische Gestalten abgebildet gewesen. Jetzt sah er den wirklichen Himmel, der war wie Stahl undurchdringlich, ohne Anfang und Ende, blickte wie ein kaltes Auge gleichgiltig herab auf das Gewimmel der Menschenwelt. –

Aber unter seinen Füßen fühlte der Wandersmann festen Boden, eine harte, steinige Straße, die hinausführte in die lebenstrotzende Landschaft. Welch eine Mannigfaltigkeit der Formen, welche Wunder der Kraft! – Wie war die Luft voll vom kräftigen Duft der frisch umgebrochenen Scholle! – Und das alles hatte eine Berechtigung zum Leben, ein Recht zu wachsen, zu gedeihen, sich zu entwickeln, sich zu mehren. Die Freude war nicht verboten –; das Natürliche hieß nicht mehr schändlich. Nicht düstere Askese war der Wille des Schöpfers, nicht Furcht und Zittern, nicht Kreuzigung des Fleisches, nicht Knechtssinn! Für das Armesündergefühl war kein Platz in dieser freien Welt. Hier wurde die selbstbewußte Kühnheit, der kecke Mut des Entdeckungsreisenden erfordert, der nur den Anfang seines Pfades vor Augen hat und das Ziel ahnt, aber nicht weiß, was da zwischen Anfang und Ende liegen mag.

Das befriedigende Gefühl zog bei, ihm ein, daß er auf dem rechten Wege sei. Wenn er daran dachte, wie er vordem ängstlich umhergetappt war, so mußte er lächeln. Wie hatte er sich's doch unnütz schwer gemacht! – Und doch: er sagte sich, daß der Zickzackweg, den er genommen, zu seinem Besten gewesen sei. Er war hart geworden in vielen Kämpfen, und seine Lungen hatten sich geweitet. Er kam sich vor, wie einer, der in einem großen Schranke voll alter Reliquien gesucht, ein Fach nach dem andern aufgezogen – in Verzweiflung herumwühlend, und das Kleinod hatte er doch nicht gefunden. Armer Thor, der er gewesen! Wie konnte er finden, was er suchte? – In Fächern war es nicht aufzuheben, nicht mit Händen zu greifen. – ›Der Allerhöchste wohnet nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind‹. Warum suchen wir ihn denn außer uns? Er ist in uns selbst; wir selbst sind in dem, was wir suchen. ›Und zwar, er ist nicht ferne von einem jeglichen unter uns; denn in ihm leben, weben und sind wir. – Wir sind seines Geschlechts!‹ –

Den Geist Gottes in ein System zwängen, glich das nicht dem unsinnigen Thun derer, die den Wind in einem Sacke fangen wollten? – Eine Methode, diesen Geist zu erkennen, ihn zu sezieren und auseinanderzulegen, war das nicht ein Verbrechen an dem Wesen dieses Geistes?

›Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig!‹ Wie widerte ihn jetzt der öde Formalismus an, dessen Anhänger er gewesen. Jetzt, wo er all die papiernen Hüllen durchbrochen, begann er zu begreifen, was es heißt, Gott lieben. Mit dem Gefühle verglichen, das ihn nun dem Göttlichen gegenüber erfüllte, erschien ihm sein bisheriger Kultus wie Götzendienst. Gefürchtet hatte er sich vor diesem Gott, der hinter Wolken saß, gefürchtet hatte er auch den, welcher gesagt: ›Ein neu Gebot gebe ich Euch, daß ihr Euch untereinander liebet, wie ich Euch geliebt habe‹. Auch er war ihm ein Fremder gewesen; dieser Erde war ihr bester Sohn geraubt, der Menschheit war er entfremdet worden, für die sein großes Herz schlug, in einen kalten Himmel der Abstraktionen und Begriffe hatten sie ihn entrückt. –

Wohl empörte sich das Gefühl gegen solche Fälschung, aber der junge Theologe hatte sich dem mächtigsten Zwange gefügt, den es giebt: der Autorität und der Gewohnheit.

Dieses ganze morsche Gerüst, auf dem er gestanden, brach jetzt zusammen. Eines der bemalten Bretter nach dem andern wurde vor seinen Augen weggeschwemmt, von den Frühjahrsgewässern, die ihn umtosten.

Seit jenen Zeiten, wo er als junger Student Gott auf den Knieen angefleht hatte, er möge ihm Glauben schenken, war manche Wandlung mit Gerland vor sich gegangen. Viel Laub war grün geworden und war wieder abgewelkt an seinem inneren Menschen. Wenn er jetzt zurückschauend stehen blieb auf seinem Pfade, mußte er staunen. Hatte ihn Gott nicht wunderbar geführt? – Freilich das Ideal, welches ihm damals vorgeschwebt, hatte er nicht erreicht; ein rechtgläubiger Kirchenchrist war er nicht geworden. Aber für seine Innenanschauung hatte er das gewonnen, was er sein Lebenlang blind tastend gesucht: das Christentum. –

Vieles war an ihm vorübergegangen in den letzten Jahren: Erscheinungen, Eindrücke, Menschen, Lehren, Zweifel und Wünsche – eigne und fremde Gedanken. – Er hatte Herz und Kopf offen gehalten, hatte die Augen gebraucht. All das Erlebte, Gesehene und Gedachte hatte einen Niederschlag gebildet tief im Grunde seiner Seele. Und dieser Niederschlag hieß Glaube – Glaube an das Leben. – Zuversicht: was immer geschehen mag, ich kann nicht verloren gehen! – Das Gefühl der Unsterblichkeit, die Verwandtschaft mit dem, was uns umgiebt, des Zusammenhanges mit dem Urquell, aus dem wir stammen, und das Gefühl der Verantwortung vor sich selbst und vor den Gesetzen des Alls. –

Seiner selbst war er sich bewußt geworden – ein Mann war er geworden.

Und damit wich das Gefühl der Furcht aus seiner Seele, das, wie er sich gestehen mußte, bisher das Motiv nur zu vieler seiner Handlungen gewesen. Zur Furcht war er ja auch erzogen worden von früh an. Furcht war ihm beigebracht worden vor den Menschen, Furcht vor der Natur, Furcht vor den Verhältnissen – ja selbst seinem Gotte müsse er sich in Furcht nahen, war ihm gelehrt worden.

Und als er nun endlich zu begreifen anfing, daß Furcht, in welcher Gestalt auch immer, das Schmählichste aller Gefühle ist, welches einen Menschen beseelen kann, da ward es ihm, als fielen ihm die Schuppen von den Augen. Der Begriff der Knechtschaft war es gewesen, der ihn so lange von seinem Gotte fern gehalten hatte. Gott wollte keine Knechte; nicht kriechend und um Gnade bettelnd sollten wir uns ihm nahen, sondern frei, erhobenen Hauptes, mit offenem, klarem Blicke; denn so allein konnten wir ihn erkennen.

Das eigne Ich unterdrücken, das verderbt ist von Anfang und zu nichts Gutem tauglich! riefen rings theologische Stimmen in allen Tonarten. – Nein! Das eigne Ich zur Geltung bringen, auf die Innenstimme lauschen, die unsterbliche Seele zu Gott entwickeln, das war die neue Anschauung, die täglich in ihm an Kraft gewann.

Und dabei fühlte er eine bisher nicht geahnte Harmonie sein Wesen erfüllen und einen langersehnten Frieden Einzug in seine Seele halten. Sein Leben in Einklang mit Gott setzen! Konnte es etwas Natürlicheres und Vernünftigeres geben? –

Und war es denn so schwer, Gottes Willen zu erkennen? –

Freilich, wenn man die verklausulierten Lehren der Professionstheologie zu verstehen versuchte, das war ein schweres Stück Arbeit, von dem ihm noch die Tropfen auf der Stirn standen. – Nein! Nicht Gesetze, von Fremden erklügelt, die großen Weltgesetze, wie sie der gottsuchenden, frommen Seele sich offenbarten, und das Gefühl der Verantwortlichkeit vor diesen ehernen Gesetzen, das Gewissen, mußten die Richtschnur ergeben, auf der das echte Gotteskind unverzagt vorwärts schreiten durfte, voll Selbstbewußtsein, im festen Vertrauen auf des Vaters Güte. –



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