Wilhelm von Polenz
Der Pfarrer von Breitendorf Zweiter Band
Wilhelm von Polenz

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XVI.

Sehnsüchtig wartete der Pfarrer von Breitendorf am Sonntage in der Sakristei, daß sich gegenüber in der Loge ein paar wohlbekannte Frauengesichter zeigen möchten.

Schon hatte er vom Altare aus das Apostolikum gesprochen, und die Gemeinde war beim zweiten Liede, als endlich Martha Herberges spitzes Näschen neugierig über die Logenbrüstung guckte. Für einen Moment erhaschte Gerlands suchendes Auge dann auch ein liebliches Gesichtsoval unter blondem Haar, und ein Augenpaar, das sich schamhaft vor seinem Blicke senkte.

Gedanken recht weltlicher Natur waren es, die den jungen Geistlichen beschäftigten, während er die Stufen der Kanzel hinaufschritt.

Kopf an Kopf drängten sich die Zuhörer im Schiff und auf den Emporen. Es hieß sich sammeln; die Gemeinde verlangte ihre Predigt. Vor den beiden Frauen dort in der Loge wollte er auch nicht schlecht bestehen – er raffte sich zusammen, konzentrierte alle Kräfte auf seine Aufgabe.

In üblicher Weise verlas er das Evangelium, während sich die Gemeinde rauschend erhob, wie ein Mann, um stehend das Bibelwort anzuhören. Aber selbst in die Verlesung des heiligen Schrifttextes hinein glitten ihm Gedanken an jenes Augenpaar da drüben, das er jetzt auf sich gerichtet wußte. Er fühlte die Gegenwart seines lieben Mädchens – etwas von ihr schien sich der Luft mitgeteilt zu haben – er wußte sich in ihrer Atmosphäre.

Die Gemeinde merkte nichts von dem Kampf mit allerhand zerstreuenden Gedanken, den der Geistliche da oben ausfocht, während er ihnen mit klarer Stimme, fließend und eindringlich wie nur je, das Wort Gottes auslegte.

Gerland mußte sich Gewalt anthun, mit der Fürbitte, den Danksagungen und Abkündigungen nicht allzusehr zu eilen. Sein Herz bebte vor ungeduldigem Verlangen, ihre Hand zu drücken, von ihrem süßen Munde den Morgengruß zu vernehmen.

Nachdem er den Segen gegeben, während die Gemeinde die letzten Strophen des Schlußliedes sang, eilte er aus der Sakristei. Heute schritt er nicht, wie sonst, sofort zum Pfarrhause hinüber, vielmehr wartete er in der Nähe des Hauptausganges, bis die beiden die Kirche verlassen würden.

Dort kamen sie endlich, im Strome der andern Kirchgänger langsam vorrückend.

Martha grüßte ihn schon von weitem durch Kopfnicken. Gertrud blickte vor sich – kaum, daß sie seinen Gruß erwiderte; die Hand reichte sie ihm wohl, halb gezwungen, aber einen Blick konnte er nicht von ihr erhaschen, – Störte sie die Anwesenheit so vieler Menschen?

Er führte die beiden Frauen aus der Menge heraus. Klopfenden Herzens brachte er eine Einladung vor, im Pfarrhause einen kleinen Imbiß anzunehmen. Eigenhändig hatte er den Tisch gedeckt und alles zurecht gestellt, ehe er zur Kirche ging: den Tokayer und die böhmischen Oblaten, welche ihm neulich die Schwester aus der Stadt zugeschickt.

»Das ist ja reizend!« rief Martha in Ekstase. »Nach der Kirche hat man immer Appetit; das bringt, glaube ich, eine gute Predigt so mit sich. Erst Speise für die Seele, dann für den Leib! – Was meinst du, Trudel? – Zu nett vom Herrn Pfarrer, so an uns zu denken – nicht wahr? Wir nehmen's dankend an. Der Papa wird zwar böse sein – wir machen ihm irgend was vor. Was ist denn weiter dabei, 'mal bißchen zum Herrn Pastor nach der Kirche. Mir wurde schwach, werde ich sagen, ich brauchte eine Nervenstärkung; das ist außerdem auch wirklich wahr! Ich bin noch gar nicht ganz hergestellt von neulich.« –

Über solchen Reden des alten Mädchens war man zum Pfarrgarten gekommen. Gerland öffnete die kleine aus Holzstengeln gezimmerte Thür.

»Trudel, wie wird uns!« rief Martha, »zum ersten Male sollst du diese Schwelle überschreiten. Denke nur, das Pfarrhaus! – Das Haus, wo Pfarrer Gerland wohnt. – Ach, Kinder, Kinder, daß ich das noch erlebe!« –

Sie war bereits voraus gehüpft. »Ach, sieh nur, Trudel, das allerliebste Gärtchen! Das besorgt der gute Pastor alles selbst. Später wirst du ihm dabei helfen – nicht wahr? – Komm doch, Kind!«

Gertrud stand noch immer außerhalb der Thür, zaudernd. Gerland sah mit Befremden, daß sich in ihren Mienen etwas, wie Widerwillen, ausdrückte. Sie blickte zu Boden und rührte sich nicht.

»Trudel, mein Herzchen! – So komm doch herein! – Was steht du denn da, wie Petrus von ferne?« – Martha faßte das Mädchen an der Hand, und wollte sie hineinziehen; aber Gertrud schüttelte den Kopf.

»Trudchen – aber stell' dich doch nicht so an! Du betrübst ja den guten Herrn Pastor.«

Gertrud machte ihre Hand frei; sie schüttelte den Kopf von neuem. Ein paar Thränen fielen dabei auf ihre Wangen. Blitzschnell wandte sie sich, und ging.

»Kind – was soll das bedeuten!« Martha lief der Nichte nach.

Gerland stand wie vom Donner gerührt. Hatte er das Mädchen beleidigt? Wollte sie nichts mehr von ihm wissen, war sie launisch?

Martha kam noch einmal zu ihm zurück. Die gute Seele wollte ihren Freund trösten. »Es ist nichts! Machen Sie sich nur keine Sorgen, Herr Pastor. – Ich bringe das ins Gleiche.«

Dann, schon halb auf dem Sprunge zu Gertrud zurück, rief sie ihm noch zu: »Ich sage Ihnen, es wird nicht eher gut, bis sie nicht getauft ist.« –

Mit trüber Miene schloß der junge Geistliche seinen Tokayer und die böhmischen Oblaten weg.

Gertrud liebte ihn nicht – ihr Jawort reute sie – deutlich hatte sie es ihm zu verstehen gegeben.

Wo waren nun alle seine Hoffnungen? Er, der schon im stillen mit dem Gedanken geliebäugelt hatte, demnächst die Verlobungsringe anzuschaffen. –

Weinen hätte er mögen; denn begehrenswerter denn je erschien ihm das Mädchen. Er war noch nicht kalt geworden von der verstohlenen Szene in der Gartenlaube; von neuem siedete sein Blut, bei den Gedanken an jene Abendstunde. Es war ihm, als fühle er Frauenarme um seinen Nacken, ihren bebenden Leib an den seinen geschmiegt – den Hauch ihrer Lippen ihn umwehen.

War es denn möglich! Ein Mädchen, das sich so hingegeben – und jetzt – als habe sie nur gespielt! –

Es war doch vielleicht nur Laune, irgend eine kindische Grille. – War es ihre jungfräuliche Spröde, die sich aufgelehnt hatte – vielleicht nur Verlegenheit – weibliche Schamhaftigkeit, oder eine Mischung von alledem?

Wer konnte denn wissen, was in einer solchen Mädchenseele vor sich ging.

Gerland empfand es auf einmal wie eine Lücke, daß er so wenig mit dem innersten Wesen derjenigen vertraut war, die er schon seine Braut genannt hatte. Was wußte er denn eigentlich über ihren Charakter? – Daß sie ein liebes, süßes Ding war. – Das herauszufinden, hatte es eben nicht besonderer Menschenkenntnis bedurft, das hatten ihn seine Sinne gelehrt.

Aber von der Seele, die in diesem reizenden, unentweihten Frauenkörper wohnte – wußte er von der etwas?

Er hatte Ahnungen und Vermutungen, aber nicht mehr. – Beobachtungen hat er wohl gemacht, aber sie widersprachen sich. Einiges, was er an dem Mädchen erlebt, ließ auf die edelsten Herzenseigenschaften schließen: Menschenliebe, Opferfreudigkeit, Frömmigkeit. Aber dann hatte er wieder anderes an ihr gesehen, was ihm sagen mußte, daß sie eine Evastochter sei, wie andere. – Hatte sie denn nicht, zum Beispiel, den eignen Vater mehr als einmal hintergangen, um mit dem Geliebten heimlich zusammen zu kommen? Lag darin nicht Leichtsinn, Undankbarkeit, ja Falschheit? – Und woher wußte er denn, daß sie treu sei? Freilich, ihre guten Augen und ihr offenes, jede Regung ehrlich wiederspiegelndes Gesicht sprachen dafür – jedoch, wie viele Männer hatte weibliche Taubenmiene nicht schon getäuscht? – Sprach nicht ihr Benehmen am heutigen Morgen dafür, daß sie launisch und wetterwendisch sei? – Vielleicht war ihre Hingabe nichts weiter gewesen, als eine schnell verflogene Sinnlichkeit, an der die Seele keinen Anteil hatte?

Je länger er nachdachte, desto klarer wurde es Gerland, daß er gehandelt habe, wie ein Knabe. Mit verbundenen Augen war er in die Verlobung hineingegangen, als handele es sich um ein Spiel und nicht um die wichtigste Angelegenheit des Lebens. Von Frauen hatte er sich gängeln lassen.

Der junge Mann dachte in dieser Stunde innerer Einkehr über vieles nach, was in der letzten Zeit um ihn und mit ihm geschehen. Schweres mußte er sich vorwerfen. In diesem Augenblick herbster Selbstanklage erschien ihm sein Verhalten wie Frivolität.

Wußte er denn überhaupt, wie Gertrud innerlich zur größten aller Fragen stand: zur Religion?

Daß sie neuerdings die Kirche besuchte, in Marthas Begleitung, daß sie in seinem Neuen Testamente las, bewies gar nichts. Welchen Faktor in dem Leben des Mädchens bildete Gott? – Konnte er sich auf diese schwerwiegende Frage eine nur annähernd befriedigende Antwort geben? –

Er wurde dabei unwillkürlich an Marthas letzte Worte erinnert: »Es wird nicht eher gut, bis sie nicht getauft ist.« – Beinahe komisch war es gewesen, wie das alte Mädchen das so in der Hast hervorgestoßen hatte. – Aber sie hatte recht. Gertruds Taufe! – Darauf kam jetzt alles an; das war der Angelpunkt aller Fragen.

Davon hing ab, ob er im Amte bleiben könne. Also hing auch davon ab, ob er das Mädchen heiraten würde. –

Nein!

Ob er Gertrud heiraten würde, das hing davon nicht ab.

Diese Frage trat zurück hinter einer anderen, weit größeren: war sie das, wofür er sie hielt? – Und eine Ahnung, die der Gewißheit nahe kam, fügte ihm, daß sie noch besser sei, als all das Gute, was er von ihr dachte – dann mußte sie die Seine werden. Wenn es nicht anders ging, würde er sie auch ungetauft heiraten.

Er ging im Zimmer auf und ab, tief erregt, aber zufrieden mit sich. Ein Gefühl, wie es uns dann überkommt, wenn wir einer Lebensfrage furchtlos ins Angesicht geblickt haben. –

* * *

Den Nachmittag hatte sich Gerland für einen Spaziergang frei gehalten; aber dieser Plan wurde vereitelt. Als er das Zimmer verlassen wollte, trat Dornig auf.

Hochwürden von Färbersbach fragte sehr bald, nachdem er sich in Gerlands bequemsten Lehnstuhl niedergelassen hatte, ob nicht was zu rauchen da sei. Sobald Gerland diesen Wunsch des Amtsbruders erfüllt hatte, klagte der dicke Mann über Durst. Wehmütig resigniert gab Gerland seinen Tokayer preis, der für ganz andere Lippen bestimmt gewesen war.

Dornig schlürfte ein Glas nach dem andern behaglich hinunter, lobte das Getränk, fragte nach dem Preise der Cigarren und hüllte nach und nach das Zimmer in eine weißliche Dampfwolke. Die Hoffnung war gering, daß er seinen Posten im Lehnstuhl sobald aufgeben werde, und Gerland sah die Möglichkeit eines Spazierganges immer hinfälliger werden.

Daß Pfarrer Dornig den weiten Weg von Färbersbach nach Breitendorf ohne zwingenden Anlaß zurückgelegt habe, war nicht anzunehmen.

Nach einem bedeutungsvollen Räuspern begann Dornig: »Höre mal, Gerland, da ist eine Anfrage an mich herangetreten – die Sache ist mir eigentlich recht fatal – du wirst wohl wissen, daß eine gewisse Frau Finke in deiner Parochie kürzlich niedergekommen ist.«

»Jawohl! Es ist ein Knabe – drei Wochen alt ungefähr.«

»Ganz recht! – Also besagten Knaben zu taufen, bin ich gebeten worden. – Ich will dir auch gleich erzählen, wie das gekommen ist: Frau Finke hat Verwandte in Färbersbach, sie stammt aus einer sehr begüterten Familie – Seifenfabrikanten – du weißt wohl?«

»Um dergleichen kümmere ich mich wenig.« –

»Ja – und dann ist ja wohl auch irgend etwas vorgefallen zwischen dir und den Finkes – nicht wahr? – Differenzen, bei Gelegenheit eines Begräbnisses. – Ich habe so was gehört.« –

»Den Leichenschmaus habe ich abgeschlagen, das war alles!«

»Schön schön! – Mich geht das ja gar nichts an. Jedenfalls hat mich der junge Finke neulich ersucht, die Taufe bei seinem Jungen zu übernehmen – was ich dir hiermit mitgeteilt haben wollte. Die Sache ist mir natürlich fatal, weil 's in deiner Parochie ist – aber, was will man machen? Außerdem dachte ich, dir ein unangenehmes Tete-a-tete ersparen zu können. Sie haben nämlich das Ehepaar Wenzel zu Gevatter gebeten. – Ja, denke dir nur! Die Frauen sind eng befreundet, noch von damals her, als Wenzels beide hier waren – du weißt ja! Na – als ich das hörte, dachte ich dir einen Gefallen zu thun, und nahm an. Schwierigkeiten wirst du mir wohl nicht machen?« –

Natürlich war es Gerland nur lieb, nicht mit seinem früheren Kantor und der ehemaligen Pastorswitwe zusammen geführt zu werden. Auch sehnte er sich nicht im geringsten danach, mit dem Finkebauern und seinem Anhang irgend etwas zu thun zu haben. Anderseits verdroß es ihn doch, daß er von der Absicht der Eltern, das Kind von einem Auswärtigen taufen zu lassen, auf diese Weise erfahren mußte. Eine Meldung des Vaters beim Parochus wäre auf alle Fälle das Richtigere gewesen.

Die unangenehme Empfindung unterdrückend, sprach er mit dem Amtsbruder alles durch, was der Fall erforderte. Kirche, Altar, Gefäße, Becken, Küster sollten am betreffenden Tage zur Amtshandlung bereit sein.

»Du kommst freilich um einen großartigen Taufschmaus,« meinte Dornig. – Es war schwer zu sagen, meinte er das ernsthaft oder ironisch. – »Finke will sich vor den Verwandten seiner Frau nicht blamieren; er hat sich tüchtig in die Hände gespuckt. – Der Champagner ist in Berlin bestellt, wie man hört.«

Gerland war dem andern nun doch von ganzem Herzen dankbar, daß er ihn von der peinlichen Alternative befreit hatte, ein solches Fest mitzumachen, oder diese ganze Sippschaft durch eine Ablehnung von neuem vor den Kopf zu stoßen.

Dornig erhob sich dann bald. Mit einem entsagenden Blicke auf den Rest in der Tokayerflasche, meinte er, er werde wohl heute noch manches zu sich nehmen müssen.

»Wo willst du denn noch hin?« fragte Gerland.

»Nun, zu den Finkes. – Wir müssen doch noch allerhand durchsprechen, wegen der Taufrede und dergleichen.«

* * *

Pfarrer Gerland hatte sein dem Schuhmacher Herklotz gegebenes Versprechen gehalten. Schwester Elisabeth war bei der kranken Frau als Pflegerin angetreten.

Sie fand keine leichte Aufgabe vor; es galt nicht nur für die bettlägerige Wöchnerin zu sorgen, der Säugling, der keine Nahrung mehr bei der Mutter fand, wollte abgewartet sein, die drei anderen Kinder, denen seit Monaten schon die mütterliche Pflege gefehlt, mußten gereinigt und besorgt werden.

Wiederum hatte der Geistliche Gelegenheit, die sanfte Thatkraft der Schwester zu bewundern. Vor wenigen Tagen erst hatte sie den Fuß über diese Schwelle gesetzt, und schon zeigten die Kranke, die Kinder und das Zimmer ein ganz anderes, menschenwürdiges Ansehen.

Die Familie wohnte, schlief und aß in einem Raume. In der Kammer nebenan hatte der Schuhmacher seine Werkstatt. Er saß da auf seinem Schemel zusammengehockt, über und über beschmiert mit Pech und Fett, in einer widerlichen Atmosphäre von Schusterleim und Leder, hämmernd und flickend. Trotz seiner dürftigen Lage fehlte die Zeitung oder eine Broschüre selten neben dem Platze des Buckeligen.

Die Anwesenheit der Diakonisse in seinem Hause ignorierte der Mann. Er ließ sie arbeiten und schaffen, ohne es für nötig zu finden, je ein Wort des Dankes an das Mädchen zu richten. Die Besuche des Geistlichen ertrug er mit mürrischer Miene. Jede ihm erwiesene Wohlthat schien Herklotz als persönliche Beleidigung aufzufassen. Er gehörte zu jener Art verbitterter Käuze, welche nichts grimmiger hassen, als die Bethätigung menschlichen Edelmuts; weil solche Erscheinungen seiner pessimistischen Auffassung von Welt und Leben nicht entsprachen.

Um so mehr konnte sich Gerland an der innigen Dankbarkeit erfreuen, welche die Frau ihren Helfern entgegenbrachte.

Sie war ehemals frisch und gesund gewesen, jetzt verwahrlost, an Körper und Geist heruntergekommen. – Wunderbar war es, wie ihr versunkenes Gemüt, als der Zauberstab menschlichen Mitleids es berührte, aus dumpfem Schlafe erwachte.

Trotz Schwester Elisabeths eifriger Pflege wollte es mit ihrem körperlichen Zustande nicht recht vorwärts gehen, die Diakonisse sprach dem Geistlichen gegenüber die ernstesten Befürchtungen für die Kranke aus.

Gerland begann die Frage zu erwägen, ob ein Arzt zu konsultieren sei. Ehe er zu Doktor Herzner in Färbersbach schickte, nahm er noch einmal Rücksprache mit dem Ehemann der Kranken. Herklotz meinte, er habe bereits genug Geld für Medizin und Kurkosten zum Fenster hinausgeworfen; Doktoren, das sei nur eine Einrichtung für die Reichen.

Gerland machte dem Manne folgenden Vorschlag: er wolle den Doktor einstweilen aus der eignen Tasche bezahlen; Herklotz könne es ihm später, wenn er bei Kasse sei, abtragen.

Der Buckelige erwiderte darauf nichts; nur der verbissene Mund und der heimtückisch gehässige Blick ließen ahnen, wie er das Angebot im Innern beurteile. –

Der Geistliche schrieb also an Doktor Herzner und bat ihn, herüber zu kommen.

Der Färbersbacher Doktor ließ nicht lange auf sich warten; an einem der nächsten Tage kam er zu Fuß an. In seiner Begleitung befand sich Dornig.

»Nun!« meinte Gerland, da er den Amtsbruder zum zweiten Male in wenigen Tagen über seine Schwelle treten sah, »du kommst wohl, um den Rest Tokayer bei mir auszutrinken, Dornig?«

»Breitendorf hat jetzt ganz besondere Anziehungskraft für den,« bemerkte Doktor Herzner mit schelmischem Augenzwinkern.

»Wollen Sie gleich still sein!« schrie Dornig, und faßte dem Arzte nach der Kehle. – Es gab eine regelrechte Katzbalgerei zwischen den beiden, in welcher der fette Pastor vor dem sehnigen Doktor bald den kürzeren zog

Gerland achtete nicht besonders auf den Zwist, da er es schon gewohnt war, die beiden sich in den Haaren liegen zu sehen.

Man begab sich auf Gerlands Wunsch sofort zu der Wöchnerin. Dornig trennte sich auf dem Wege von den beiden.

»Schon wieder zu den Finkes?« fragte Gerland. Dornig bejahte mit schlecht verhehlter Verlegenheit.

»Er ist hinter einer Schürze her!« sagte der Arzt, sobald Dornig außer Hörweite war.

»Dornig!« rief Gerland erstaunt.

»Haben Sie nicht bemerkt vorhin, wie er sich das Haar glatt strich vor Ihrem Spiegel. – Und neulich hat er mich ausgehorcht, wie man wohl am schnellsten mager werden könne, ja ja! – Er geht auf Freiersfüßen, der dicke Dornig. – Sie stammt aus Färbersbach. Es scheint ein tüchtiger Batzen Geld dahinter zu stecken. Seifenfabrikant ist der Alte. Ihre Schwester ist hier an einen gewissen Gutsbesitzer Finke verheiratet, bei dem die Betreffende gegenwärtig lebt. – Das Goldfischchen will er sich angeln!« –

In der Dorfstraße kam ihnen die Diakonisse entgegen. Freundlich lächelte ihr Gesichtchen unter der Schwesterhaube hervor.

Man forderte die Schwester auf, sofort mitzukommen. Unterwegs ließ sich der Arzt das Leiden der Patientin beschreiben. Gerland befremdete die Unverfrorenheit, mit der Herzner das junge Mädchen nach allen Details der heiklen Krankheitsgeschichte ausfragte; aber noch mehr erstaunte ihn die ruhige, natürliche, jeden unanständigen Gedanken von vornherein ausschließende Art und Weise, in der die Schwester Antwort stand.

Man betrat das Haus; der Arzt machte sich sofort an die Untersuchung. Sie dauerte lange und schien äußerst qualvoll für die Kranke.

Herzner war mit dem, was die Schwester bisher gethan, zufrieden. Dann schrieb er ein Rezept, das er dem Geistlichen zeigte. »Um ihr das Sterben zu erleichtern,« erklärte er.



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