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VI.

Wie es sich wohl nun leicht denken läßt, betrachteten Eduard und seine Gattin schon bei der heutigen Mittagstafel Herrn Williams mit ganz andern Augen, denn die Worte des kleinen Naturforschers hatten ja diesen Mann förmlich mit einem – wenn auch nicht Heiligenschein – so doch Glorienschein umgeben. Natürlich hatte Eduard seinem Klärchen diese Worte schon vorher mitgeteilt, und das hübsche Frauchen hatte sich nur zu gern umstimmen lassen, denn auch auf sie hatte der Kalifornier anfangs einen starken und wohltuenden Eindruck gemacht.

Allerdings war Mr. Williams, als sich beide auf ihre Sitze niederließen, nicht zugegen; er kam auch erst beim zweiten Gange, rosig, lächelnd und frischer als je.

»Verzeihen Sie nur, meine lieben Gäste«, redete er das Paar sogleich an, »daß ich Sie so vernachlässigt habe, aber die ganze Gesellschaft hier auf dem Schiffe kam mir so sauertöpfisch, so abgestorben vor, und da habe ich einmal versucht, etwas Leben in die Bude zu bringen! Wie? Trinken Sie keinen Wein?« fuhr er fort, und als Eduard etwas verlegen erwiderte, er wäre gerade im Begriff gewesen, eine Flasche zu bestellen, rief er aus: »Nichts da! Das wäre ja noch schöner, wenn die Eingeladenen etwas bezahlen wollten! Nein, auch schon für diese Seereise bin ich Ihr Wirt, wie auch der Ihre, Herr Obermaschinist«, wandte er sich an Stockhausen, der aber nur aus seinem speckigroten, flammenden Gesicht brummig hervorquetschte: »Ich trinke überhaupt keine Spirituosen!«

»Auch recht«, entgegnete Mr. William lächelnd, »ganz wie es Ihnen beliebt! Es ist mir allerdings neu, daß Wein, die holde Himmelsgabe, zu den Spirituosen gehört –, es schadet ja aber nichts! Nun, dann sind meine anderen Herren Tischnachbarn freundlichst eingeladen!«

Einige dieser Herren nahmen an, andere lehnten ab, indem sie sich ebenfalls als Antialkoholiker bekannten, aber Mr. Williams achtete gar nicht mehr auf sie. Er hatte sogleich nach seiner Aufforderung die Weinkarte ergriffen, sich den Tischbedienten herangewinkt und bestellte nun bei diesem ein halbes Dutzend Flaschen eines edlen Gewächses.

Eduard bewunderte, Klärchen staunte. Denn wenn auch beide durch den Bericht des Professors auf die kalifornische Freigebigkeit und Großzügigkeit im allgemeinen und die dieses Mannes im besonderen schon etwas vorbereitet waren, so übertraf denn doch dessen augenblickliches Vorgehen alle ihre Vorstellungen.

Der Kapitän am andern Tische, der diesen Zug von »Wohltätigkeit« scharf beobachtet hatte und nun fürchtete, selber leer auszugehen, machte sich plötzlich durch so lautes Schnauben und Grunzen bemerklich, daß Mr. William schnell noch eine Flasche für ihn bestellte.

Noch ehe der Wein kam, wandte sich nun der Kalifornier wieder den »Eheleutchen« zu, wie er sie den andern gegenüber nur nannte.

»Eins muß ich Ihnen schon im Voraus sagen, meine lieben Herrschaften«, hub er an, »während des Tages werde ich in San Franzisko nur wenig Zeit haben, mich Ihnen zu widmen, denn ich habe der Verpflichtungen mancherlei. Deshalb will ich Ihnen gleich jetzt einen Plan machen, wie sie in wenigen Tagen am zweckmäßigsten unsere liebe Stadt besichtigen können. Also junger Mann, »Schreibtafel her!« wie Hamlet sagt, jaja, es ist am besten, Sie schreiben alles gewissenhaft auf, denn sonst vergessen Sie's wieder. Von meinem Hause – ich wohne Washington Street Nummer drei – begeben Sie sich zunächst nach der Market Street, der Hauptgeschäftsstraße, gehen diese ganz durch und kommen so zum Labour Monument, dem Denkmal der Arbeit, das Sie ganz besonders interessieren wird, weil es im Jahre 1899 von dem Künstler Douglas Tilden dem Herrn Peter Donahue, einem der Direktoren Ihrer großen Fabrik, der Union Iron Works, zu Ehren errichtet wurde. – Aber hier kommt unser Wein! Wir wollen das erste Glas der Zukunft weihen, einer Zukunft voller Glück und Wohlergehen, Frieden und Freundschaft!«

Alle, die an seinem Tische Wein erhalten hatten, stießen mit ihm an; hell und freudig, wie eine segensvolle Antwort auf seinen Wunsch, klang der Gruß der Gläser durch den Saal.

Aber Mr. Williams fuhr fort: »Sie gelangen dann bald zu dem berühmten Dreieck, das von den Straßen Market-, Kearny- und Thirdstreet gebildet wird. Hier erhebt sich gigantisch, fast überwältigend – hundert Meter hoch in die Luft das Spreckels-Gebäude, und ganz nahe dabei das Chronikle-Gebäude, fast ebenso hoch! Von dem obersten Stockwerke eines dieser beiden Prachtbauten können Sie ganz San Franzisko aus der Vogelperspektive überschauen und sich so ein vortreffliches Gesamtbild von der Stadt verschaffen, das heißt: ein greifbares, aber vorläufig noch unbeseeltes Bild, denn das beseelte Bild mit seinem warmen, roten, glühend pochenden Herzen darin von unserm geliebten Frisko –, das kann Ihnen erst die kalifornische Luft, die kalifornische Sonne geben!«

Die letzten Worte hatte dieser Mann so warm, ja leidenschaftlich gesprochen, daß Eduard nun schon anfing, die hohe, ganz unvergleichliche Liebe der Bewohner von San Franzisko zu begreifen, eine Liebe, von der dem Ingenieur schon bei den schwärmerischen Worten des kleinen Gelehrten eine Ahnung gekommen war.

»So,« ließ sich nun Mr. Williams weiter hören, »mit dieser allgemeinen Übersicht im Kopfe beginnen Sie nun mit der detaillierten Besichtigung, und da möchte ich Ihnen raten, zuerst die Kearnystraße hinunterzugehen bis zum Telegraph-Hill, von wo aus Sie einen ausgezeichneten Blick auf das weltberühmte »Golden Gate« genießen können. Sind Sie hiermit fertig, so begeben Sie sich zurück zur Marketstreet und suchen dort die Nummer Sechshundert und dreizehn auf; in diesem Hause nämlich befindet sich das Auskunftsbureau der Southern Pacific-Eisenbahn, wo Sie unentgeltlich eine Liste aller Sehenswürdigkeiten der Stadt erhalten können, denn« – fügte er lachend hinzu – »ich sehe zum tausendundeinten Male, daß ich bei keiner Sache, falls sie nicht ganz ernst und gewichtig ist, lange bleiben kann; da haben Sie wieder Frisco!« –

Eduard stimmte mit in sein Lachen ein, doch gleich darauf wurde er ernst und nachdenklich. Was der Kalifornier soeben gesagt hatte, erweckte ja nur ein Echo in seiner Seele: Er war ja schon selber heute morgen zu der Ansicht gekommen, als Mr. Williams so schnell von seiner Seite hinweggeeilt war, daß dieser Mann mindestens alle Viertelstunden etwas anderes beginnen mußte, und sollte dieser eigentümliche Charakterzug wirklich das Erzeugnis des Klimas, der Luft und Sonne von San Franzisko sein, so hielt der junge Ingenieur diesen Einfluß, mochte er auch noch so sinnlich angenehm und beglückend sein, – doch für wenig erstrebenswert, denn er schien ja zur Ungründlichkeit und zum Leichtsinn zu verführen. Schließlich sagte er sich aber, daß es vorläufig ungerecht wäre, überhaupt ein Urteil zu fällen, und er beschloß, ruhig abzuwarten und sich gegenwärtig an den vielen trefflichen Eigenschaften dieses großlebigen Mannes zu erfreuen.

Übrigens war er ihm doch dankbar für die wenigen Worte seiner Einführung in die fremde Stadt, denn mit dieser Auskunft konnte er sich wirklich leicht alles andere, was er zu schauen und zu wissen wünschte, verschaffen.

»Sagen Sie doch, Mr. Treubach,« redete diesen nun der Kalifornier von neuem an, »wer war denn das kleine Unikum, der »Zwerg Scheitel-Haar«, da unten, mit dem Sie vorhin so eifrig plauderten?«

Wieder mußte Eduard laut auflachen. Die Bezeichnung »Zwerg Scheitelhaar« war ja sehr drastisch, aber doch eigentlich recht treffend.

»Kennen Sie den nicht?« fragte er nun, nachdem er seine Heiterkeit mühsam niedergekämpft hatte, »kennt er Sie doch so genau!«

»Ach, ich bin ja auch bekannt wie ein bunter Hund!« warf Williams leicht hin, »aber zur Sache: wer ist es denn?«

»Professor Cyliax von der Stanford-Universität!« antwortete Eduard mit einem gewissen Stolz auf seine kalifornischen Ortskenntnisse.

»Donnerwetter!« rief nun Williams lebhaft aus, »alle Achtung, das ist ein berühmter Name! Also das ist Professor Cyliax, der ausgezeichnete Insektenkenner, dieses unscheinbare Humpelchen!«

Diesmal mußten alle lachen, die den Kalifornier gehört hatten, denn natürlich hatten die meisten schon den kleinen Naturforscher gesehen, und diese Benennung war wirklich schlagend.

Aber Williams rief seinem jungen Freunde über das Gelächter hinweg zu: »Sie, dem müssen Sie mich gleich nachher vorstellen, – vielleicht kann ich so manches für ihn tun!«

»Frisko!« sagte Eduard bei den letzten, großherzigen Worten leise vor sich hin. –


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