Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXX.

Sie erholte sich jedoch bald wieder. Die stählernen Nerven der Kalifornierin bemeisterten die eigne Natur. Sie reichte jetzt der Schwester die Hand und sagte: »So hält uns nun nichts auf der Welt mehr ab, endgültig zum Roten Kreuz überzutreten! Bist Du entschlossen?«

»Ich bins!« erwiderte Franziska, ein edles Feuer in den herrlichen Augen.

»O, darf ich mich nicht anschließen?« flehte nun auch Klärchen, »auch ich hoffe ja nichts mehr von diesem armen Leben; so laßt mich wenigstens sein, wo ihr seid, meine geliebten Freundinnen, laßt mich mit euch helfen, lindern, trösten!«

Cäcilie strich ihr zärtlich über das braune Haar und sagte: »Gewiß, mein Klärchen; könnten wir uns wohl eine liebere Genossin wünschen? Auch – fügte sie mit wehmütiger Schalkhaftigkeit hinzu – »bindet ja das Rote Kreuz nicht, und wenn sich später einmal Ihr Herzchen für einen andern Mann ...«

»O, da sei Gott vor!« unterbrach sie Klärchen beinahe heftig, »einmal wahrhaft, treu und glücklich geliebt und nie wieder!« –

In diesem Augenblick traf der alte, väterliche Freund der Familie Williams, Professor Swing, bei den Damen ein. Er war soeben der Droschke mit dem toten Offizier begegnet, und sein Gesicht war schmerzlich verzogen; seine treuen Augen standen voller Tränen.

»Des Höchsten Wille geschehe allerwegen«, sagte er traurig, aber des Menschen Herz kann doch den namenlosen Jammer kaum ertragen! Gar zu schwer heimgesucht ist unsere arme Stadt, gar zu viele Opfer sind diesen entsetzlichen paar Erdstößen erlegen. O, meine Lieben,« fuhr er immer schmerzlicher bewegt fort, »wenn ihr es sehen könntet, da unten, – die große, furchtbare Schädelstätte, die offen gelegten Häuser, die meist alle von einem jäh zerstörten freundlichen und innigen Familienleben zeugen, nun verlassen oder mit den erschlagenen, nicht mehr kenntlichen Bewohnern am Boden, – gerechter Gott«, rief er plötzlich laut aus, »womit, ach womit haben wir das alles verschuldet?!«

Eine trübe Pause trat ein, niemand wagte zu sprechen; denn noch immer lag es ja über allen, das drohende Verhängnis, das ja jeden Augenblick von neuem die Erde beben und alle noch lebenden Menschen zugrunde gehen lassen konnte. Ja, den drei Frauen war es jetzt eine Zeitlang so, als ob die ewigen Kanonenschüsse und unausgesetzten Dynamitexplosionen, die wie eine Nachäfferei der gewaltigen Katastrophe erschienen, geradezu den erneuten Zornesausbruch der Erde herausforderten! –

Endlich hub der Prediger wieder an: »Aber wie man doch bei einem so großen Unglück die Menschen kennen lernt, Menschen lieben und achten lernt, die einem früher gleichgültig waren oder die man gar mit Nichtachtung behandelt hat! Denken Sie sich nur, meine Damen, jener Spanier, Salvador Ruiz, den wir alle früher so oft – wenn auch nicht verspottet, so doch belächelt haben, – dieser Mann hat sich als der edelste, warmherzigste Menschenfreund erwiesen!«

Und als ihn nun die Frauen wirklich erstaunt anblickten, sprach er weiter: »Ja, die sämtlichen Wohn- und Wirtschaftsgebäude seiner großen Plantagen hat er mit Obdachlosen füllen lassen, und noch immer zieht er persönlich umher, neue Unglückliche zu suchen!«

»Großartig!« sagte Klärchen nur mit schwimmenden Augen.

»Und wie er dann für sie sorgt! wie gütig er sie verpflegt!« fuhr der Professor fort, »der Himmel segne und erhalte uns diesen Braven!«

»O, an seinem guten Herzen haben wir ja auch nie gezweifelt«, ließ sich jetzt Franziska vernehmen, »aber wenn er auch selber kein Dichter ist, – seine edle Handlungsweise sollte alle unsere Dichter herausfordern, ihn und seine Taten zu besingen!«

»Ja, das sollte sie!« sagte Cäcilie leise.

* * *

Der Hauptmann Davenport war auf Befehl des Generals Funston mit großen Ehrenbezeugungen auf dem Militärkirchhof beigesetzt worden. Funston selber mit seinem gesamten Stabe war dabei erschienen; Professor Swing hatte tief bewegt die Grabrede gehalten. Natürlich fehlten auch die drei Geschwister nicht, ebensowenig wie Mr. Truth; nur Klärchen war im Park bei ihren Schützlingen geblieben.

Die arme Cäcilie hatte von neuem schwer zu leiden; denn nicht allein, daß sie den so traurig erfolgten Tod ihres Jugendgespielen – ohne irgendwelche tieferen und zarteren Gefühle zu berühren – wirklich schmerzlich empfand, nein, noch viel stärker wurde ihr Gemüt getroffen durch die unaufhörliche, scharfe Beobachtung während der Feierlichkeit, eine Beobachtung, die, wie sie wohl wußte und fühlte, nur gar zu gern einen Ausbruch ihres geheimsten Gefühles wahrgenommen hätte.

Aber nichts dergleichen geschah. Wie alle wirklich vornehmen Frauen, hatte sich auch dieses holde Kind völlig in der Gewalt: vom ersten Augenblick ihres Erscheinens an hatte sie die schönen Augen niedergeschlagen und so ihre Seele ganz von ihrer Umgebung abgeschlossen. –

Am Schluß der Predigt wurde der Sarg von mehreren Offizieren in die Gruft versenkt; Soldaten feuerten die üblichen drei Salven übers Grab, und nun zerstreuten sich langsam die Anwesenden.

Williams nahm seine beiden Schwestern unter den Arm und wollte sich ebenfalls vom Kirchhofe entfernen, als ihm General Funston, an dessen Seite sich schon Swing, Truth und noch mehrere der angesehensten Bürger befanden, zurief: »Würden Sie mir wohl erlauben, ein Wort mit Ihnen zu sprechen, Mr. Williams?«

Dieser ließ nun die beiden Mädchen los und sagte zu ihnen: »So fahrt nur vorläufig allein! Ein Todesurteil wird es ja wohl nicht gleich sein; also komme ich nach, sobald ich kann!«

Die Schwestern aber, die wohl wußten, daß es sich durchaus um keine Gefahr für ihren Bruder, sondern im Gegenteil um etwas erfreuliches für diesen handelte, lächelten nur still und glücklich vor sich hin.

»Jawohl, General!« hatte Williams gleich nach dem Anruf des Kommandeurs erwidert.

»Wir haben nun, Gott sei Dank,« begann Funston, während alle Männer, zu einer stattlichen Gruppe vereinigt, weitergingen, »den furchtbaren Brand soweit unter Kontrolle, daß ich dem Präsidenten auf seine diesbezügliche Anfrage erwidern konnte, ich hätte keine weiteren Truppen nötig. Ruhe und Ordnung sind – soweit dies eben bei einem solchen Chaos überhaupt möglich ist – auch wiederhergestellt, und ich halte es daher an der Zeit, den bisher über die Stadt verhängten Großen Belagerungszustand wieder aufzuheben, oder mit anderen Worten: San Franzisko aufs neue in seine bürgerlichen Rechte einzusetzen; denn offen gestanden: von der Zivilverwaltung verstehe ich gar nichts!«

Williams staunte. Weshalb sagte ihm der Kommandeur dies alles? Wozu sollte ihm das?«

Aber der General, der diese Fragen in den Augen seines Begleiters wohl las, fuhr ruhig und langsam fort: »Also gebührt der neuen Stadt ein neuer Bürgermeister, zumal da der frühere seiner Verletzungen wegen unfähig ist, wieder in sein Amt einzutreten und es überhaupt nicht mehr will. Seit mehreren Tagen nun, Mr. Williams, habe ich mich mit Ihren Freunden hier, den ersten Bürgern der Stadt besprochen, und alle waren und sind noch einstimmig der Ansicht, daß Sie der beste Bürgermeister sein würden.«

»Ich?« sagte Williams förmlich erschrocken.

»Sie!« wiederholte der Kommandeur unbeirrt; »ich habe Sie sodann tagelang beobachtet, wie Sie sich selbst zum Wohle der Stadt die allerschwersten und niedrigsten Arbeiten mit der größten Freudigkeit auferlegt haben, und daher kann ich dieser Ansicht nur von ganzem Herzen beistimmen! Natürlich kann ich Sie nicht durch einen Machtspruch in dieses Amt dauernd einsetzen, denn das kann nur die Wahl der Bürger; wohl aber kann ich Sie provisorisch zum Bürgermeister ernennen und das tue ich hiermit im Einverständnis mit all diesen Herren!«

»Jawohl, Williams! – Kein Sträuben. – Kein Zaudern! – Annehmen! Annehmen!« so tönte es nun von allen Seiten; »niemand wird unser Frisko so großartig aufbauen helfen wie Williams!«

Aber das sonst so rosige Gesicht des Kaliforniers zeigte eine zunehmende Ängstlichkeit. Offenbar fürchtete er sich davor, irgend welche – und wären es die ehrenvollsten und schönsten – Fesseln tragen zu müssen. Noch mehr als Schönheit in jeder Form liebte er noch die Freiheit, und fast flehend sagte er daher: »Nicht doch, General, nicht doch, meine lieben Freunde, euer einstimmiges Anerbieten ehrt mich zwar hoch, aber laßt mich doch wo und wie ich bin! Es gibt ja soviel klügere und bessere Männer, geschulte, reife Politiker, – warum muß ich es denn gerade sein?«

Aber nun rief Truth aus der Menge heraus: »Williams, das ist nicht hübsch von Dir! Auf dieselbe Weise könnte sich auch jeder andere, dem wir die Leitung der Stadt antrügen, darum herumdrücken! Denke jetzt einmal daran, was Du mir damals in Deinem Hause, im Rauchsalon, so stolz, so freudig zuriefst: Unser Frisko bleibt trotzdem unser Frisko! Nun, Williams, dieses Frisko ist – leider! – nicht mehr, aber es steht in unserer Hand und vor allem: in Deiner Hand, es viel, viel herrlicher erstehen zu lassen! Denke auch an Deine edlen, vornehmen Schwestern, die – wie ich weiß – von Dir noch eine große Tat, das Schönste und Beste Deines Lebens erwarten, – o, wie werden sie Dir zur Seite stehen, Dir raten, helfen. Dich leiten!«

Bei den letzten Worten war wieder das alte Feuer in den schönen, ein wenig mattgewordenen Augen des Kaliforniers aufgeblitzt; schon schien er die Lippen öffnen zu wollen, um seine Zustimmung auszusprechen, aber noch einmal besiegte ihn sein Drang nach Ungebundenheit, nach Freiheit. Er schüttelte nur langsam den Kopf. Da nahm auf ein von Professor Swing gegebenes Zeichen, das der General nickend und leicht lächelnd erwiderte, dieser noch einmal das Wort. Mit vortrefflich gespielter Entrüstung und Strenge rief er aus: »Zum Donnerwetter nicht noch' mal! Noch herrscht hier Kriegszustand! noch hat mir jeder Bürger – bei Todesstrafe – unweigerlich Gehorsam zu leisten! Also befehle ich! Ihnen, Mr. Williams, befehle ich, binnen einer Stunde Ihr Amt als stellvertretender Bürgermeister anzutreten! Befehle ich, jetzt mit mir sofort nach meinem Hauptquartier zu gehen, um dort die Finanzen, die aus allen Städten unsres großherzigen Landes millionenweise einlaufenden Gelder zu übernehmen, und befehle ich vor allem, an allen Stellen, wo das Feuer nicht mehr wütet, sofort mit dem Wiederaufbau zu beginnen! Genügt Ihnen das?«

Williams hatte sich hoch aufgerichtet. Sein stolzes, gutes Gesicht war nun wieder rosig, und sein blaues Auge blitzte wieder. Die ganze Schar der Männer war jetzt auf dem höchsten Hügel der Kalifornia Street angelangt, von wo aus sie die ganze Stadt überschauen konnte; und während nun ihr Auge über Feuerschein, Ruinen und Trümmer glitt, sah ihr Geist schon wieder das erneute, verschönte San Franzisko, prangend in Jugend, Lebensfreude, und Liebeswonne, eine Stadt, die das Entzücken der Welt bildete! –

Die Hand des neuen Bürgermeisters ruhte in der des Generals. Kein Wort unterbrach die Weihe des Augenblicks.

 

Ende.


 << zurück