Stanislaw Przybyszewski
Homo Sapiens
Stanislaw Przybyszewski

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II.

– Mikita, mein teurer Bruder!

– Ja, ich bin es.

Beide Freunde umarmten sich herzlich.

Falk war sehr aufgeregt.

Er lief hin und her, kramte alle möglichen Sachen heraus und fragte unaufhörlich:

– Sag – sag, was willst Du haben? Bier? Schnaps ... Da, wart mal – richtig! Ich habe hier einen herrlichen Tokayer – von der Mutter bekommen – weißt Du, noch von Vaters Zeiten her. Er hat sich auf diese Dinge verstanden.

– So laß doch endlich. Setz Dich doch hin. Laß Dich sehen.

Endlich beruhigte sich Falk.

Sie sahen sich glücklich in die Augen und stießen mit den Gläsern an.

– Großartig! Aber Mensch, siehst Du schlecht aus. Du hast wohl viel geschrieben ... Potz Tausend! Dein letztes Buch – weißt Du, ich kam in eine solche Aufregung ... nein, war das merkwürdig! Ich kaufe mir das Buch, fange an auf der Straße zu lesen, bleibe stehen, das Buch packt mich derart, daß ich es auf der Straße auslesen muß und halb verrückt werde. Du bist doch ein ganzer Kerl!

Falk strahlte.

– Das macht mir große, große Freude. Du hast ja doch immer diese furchtbaren Ansprüche an mich gestellt. Also gefiel es Dir wirklich?

– Na!

Mikita machte mit der Hand einen weiten Kreis in der Luft.

Falk lachte.

– Da hast Du Dir eine neue Bewegung angewöhnt.

– Nun, weißt Du, sprechen kann man doch wirklich nicht mehr. Alle diese unerhört feinen Dinge, die lassen sich nur mit Gesten ausdrücken.

– Ja, Du hast Recht.

– Das ist nämlich die große Linie, verstehst Du, der große Zug, der heiße Unterstrom, das verstehen wenige. So bin ich in Paris zu Einem von den Großen gegangen, weißt Du, dem Oberhaupt der Naturalisten, oder wie sie da heißen ... Er verdient! Na ja, der Pöbel fängt jetzt an, das cinquième élément, das Napoleon in Polen entdeckte – la boue und ein paar Kartoffelstengel darauf zu kaufen. Früher waren es die Pfefferkuchenpuppen des Hoftapeziermeisters Seiner Apostolischen Majestät – Raffael hieß er, nicht wahr? Nun, jetzt sind es die Kartoffelmaler ...

Also ich frage das Oberhaupt, wozu man eigentlich das male, was in der Natur tausendmal besser sei und schließlich doch keine Bedeutung habe.

– Ach was! Bedeutung! Nämlich die Natur, verstehen Sie ...

Ja, ich verstand.

– Die Natur ist Bedeutung.

Aber doch nicht die Kartoffel?

Nun kam der Kartoffelmaler in eine große Begeisterung.

– Ja, grade die Kartoffel, das ist Natur, alles übrige Quatsch! Phantasie? Phantasie? Wissen Sie, Phantasie – lächerlich, Notbehelf!

Beide Freunde lachten herzlich.

Mikita dachte nach.

– Na aber jetzt sollen sie sehen. Herrgott, mein Kopf birst vor lauter Gedanken. Hätt ich tausend Hände, tausend Linien würde ich Dir vorfuchteln, dann würdest Du mich verstehen. Weißt Du, das Sprechen verlernt man nämlich. Ich war bei einem Bildhauer – na weißt Du, Du wirst Skizzen von ihm bei mir sehen ... Ich lag auf dem Bauch vor diesem Menschen. Ich sagte ihm: das ist herrlich! Was? Ich beschrieb ihm die Sache. Ach so, Sie meinen dies! Und nun beschrieb er in der Luft eine unerhört großartige Linie. Der hat es verstanden ... Aber Herrgott, ich rede, daß sich mir der Mund verdreht – wie geht es Dir? Nicht besonders, was?

– Nein, nicht besonders. Er habe viel Qual in der letzten Zeit ausgestanden. Diese tausend feinen Empfindungen, wofür es noch keine Laute gebe, diese tausend Stimmungen, die so momentan in Einem aufsteigen und die man nicht festhalten könne.

Mikita unterbrach ihn heftig.

– Ja, eben, grade dies. Siehst Du, der Bildhauer, der Prachtkerl – weißt Du, was er gesagt hat? Prachtvoll hat er es gesagt:

Sehen Sie, hier sind die fünf Finger, die kann man sehen und betasten – und nun spreizte er die Finger auseinander – aber hier, hier, das zwischen den Fingern, das kann man nicht sehen, kann man nicht betasten, und doch ist das die Hauptsache.

– Ja, ja, das ist die Hauptsache, aber lassen wir die Kunst.

– Du bist wohl ein wenig blasiert?

– Das nicht, aber zu Zeiten werde es doch ein wenig langweilig. Alles Leben nicht unmittelbar genießen zu können, sondern nur immer darauf hin zu leben, wie werde man es gestalten, wie werde man das verwerten können – und wozu eigentlich? Ihm werde schon ganz übel, wenn er daran denke, daß er kaum – fähig sei, Schmerz oder Freude nur als solche zu empfinden ...

– Du mußt einmal lieben.

– Mikita, Du? Das sagst Du?

– Ja, ja. Lieben. Das ist etwas, was nicht ideell wird, das läßt sich nicht mittelbar empfinden. Gibt es Glück, so könnte man in den Himmel springen, ohne zu bedenken, daß man sich dabei die Beine verrenken kann; gibt es Schmerz, so frißt es an Einem so reell, na weißt Du, das kann man nicht wegschreiben, das kann man nicht unter Gesichtspunkte ordnen ...

Mikita lächelte. – Ich bin nämlich verlobt.

– Du?! Verlobt?!

– Ja, und ich bin unerhört glücklich.

Falk konnte aus dem Erstaunen nicht herauskommen.

– Nun, das Wohl Deiner Verlobten!

Sie tranken die Flasche leer.

– Du, Mikita, wir bleiben doch den ganzen Tag zusammen.

– Freilich, selbstverständlich.

– Weißt Du, ich habe ein wunderbares Restaurant entdeckt ...

– Nein, Bruder, wir gehen zu meinem Fräulein.

– Ist sie denn hier?

– Ja, sie ist hier. In vier Wochen sollen wir uns heiraten. Zuerst nur noch eine Ausstellung in München, damit ich die nötigen Gelder habe, eine würdige Hochzeit zu feiern, ja, ein Fest, wie es noch kein Maleratelier gesehen hat.

Falk sträubte sich.

– Er habe sich so gefreut, heute, grade heute mit ihm allein zu sein. Erinnere er sich nicht mehr an die herrlichen heures de confidence mit den endlosen Disputen ...

Aber Mikita bestand hartnäckig auf seinem Vorschlag. Isa sei maßlos auf ihn neugierig. Er habe heilig versprochen, ihr das Wundertier von Falk in natura vorzuführen. – Nein, es ginge nicht mehr, sie mußten zu ihr gehen.

Falk mußte sich fügen.

Unterwegs sprach Mikita beständig von seinem großen Glück und gestikulierte lebhaft.

– Ja, ja, das ist merkwürdig, wie ein solches Gefühl Einen aufwühlen kann. Das Unterste kommt zu Oberst, es ist als ob sich ungeahnte Tiefen aufschließen. Zehn Welten kommen hinein. Und dann, was sich so alles an Fremdem, Unbekanntem regt ... Empfindungen, so unfaßbar, daß sie kaum ein Tausendstel Sekunde im Gehirne aufblitzen. Und doch steht man den ganzen Tag unter dem Einfluß dieses Dinges. Und wie die Natur Einem erscheint! Weißt Du, in der ersten Zeit, als sie sich sträubte – ich lag wie ein Hund vor ihrer Tür, mitten im Winter, in der fabelhaftesten Kälte hab ich die ganze Nacht vor ihrem Zimmer geschlafen – und ich zwang sie. Aber gelitten hab ich! Hast Du einen schreienden Himmel gesehen? Nein! Also weißt Du, ich habe ihn schreien gesehen. Es war, als öffne sich der Himmel zu tausend Mundhöhlen und schrie nun Farbe in die Welt hinaus. Der ganze Himmel eine unendliche Reihe von Streifen; dunkelrot, so ins Schwarze hinüber. Geronnenes Blut ... nein! eine Kotlache, in der sich die Abendröte spiegelt, und dann ein schmutziges Gelb! Häßlich, ekelhaft, aber großartig ... Gott ja, Mensch! Dann das Glück! Ich reckte mich und reckte – hinauf, daß ich an der Sonne meine Zigarette anzünden konnte!

Falk lachte auf.

Mikita, der ihm kaum an die Schultern reichte! Der wunderbare Kerl ...

– Nicht wahr? Komische Vorstellung. Ich an die Sonne reichen! Weißt Du, als ich in Paris war, sahen sich die Franzosen nach mir um. Ich hatte nämlich einen Freund, und neben ihm sah ich wie ein Riese aus.

Sie lachten beide.

Mikita drückte ihm warm die Hand.

– Weißt Du, Erik, ich weiß eigentlich nicht, wen ich mehr liebe ... Siehst Du, Liebe zum Weibe, das ist doch etwas Andres, man verlangt etwas, und schließlich, nicht wahr? Man liebt doch auf etwas hin ... Und nun siehst Du die Freundschaft –ja, Du Erik das ist das Unfaßbare, das Feine, das zwischen den Fingern ... Und nun, wenn man so drei Monate ununterbrochen mit einem Weibe zusammen ist ...

Falk unterbrach ihn.

– Du kannst Dir nicht vorstellen, wie ich mich manchmal nach Dir gesehnt habe. Hier unter diesem Schreibergesindel gibt es auch nicht einen Menschen ...

– Kann mirs denken. Nun, jetzt wollen wir die Zeit ausnutzen.

– Ja, wir wollen immer zusammen sein.

Sie kamen an.

– Du Erik, sie ist furchtbar gespannt auf Dich. Mach Dich nur interessant, sonst blamierst Du mich. Sehr interessant, das verstehst Du gut, Du Teufelskerl!

Sie traten ein.

Falk überkam ein Gefühl, als hätte er eine große, glatte Spiegelfläche um sich.

Dann wurde es ihm, als müßte er sich an etwas erinnern, was er schon längst einmal gesehen oder gehört hatte.

– Erik Falk, stellte Mikita vor.

Sie sah ihn an, wurde sehr verlegen, und streckte ihm dann herzlich die Hand entgegen:

– Sie sind es.

Falk wurde lebendig.

– Ja, ich bin es. Ich sehe doch nicht so merkwürdig aus. Sie mußten wohl nach Mikitas Beschreibung ein seltsames Tier erwartet haben?

Sie lächelte.

Falk bemerkte Etwas, wie einen rätselhaften Schleier, durch den dies seltsame Lächeln durchschimmerte.

– Ich war ganz eifersüchtig auf Sie geworden. Mikita hat die ganze Zeit nur über Sie gesprochen. Er ist ja wohl auch nur Ihretwegen nach Berlin gekommen.

Sonderbar! Derselbe Schleier in den Augen. Ein Schimmer wie von einem intensiven Lichte, das sich erst durch schwere Nebel Bahn brechen mußte. Was war es?

Sie setzten sich hin.

Falk sah sie an. Sie ihn auch. Beide lächelten verlegen.

– Mikita hat erzählt, daß Sie immer Cognac haben müssen. Ich habe eine ganze Flasche gekauft, aber er hat sie schon zur Hälfte ausgetrunken ... Wie viel darf ich Ihnen eingießen?

– Gott, genug!

– Ja, ich weiß nicht ... Sie sind doch aus Rußland her, es soll dort Sitte sein, Cognac aus Litergläsern zu trinken.

– Sie glaubt nämlich, erklärte Mikita, daß in Rußland Bären ins Haus kommen, um die Überreste aus den Töpfen zu schlecken.

Sie lachten alle.

Das Gespräch ging hin und her. Mikita sprach fortwährend und fuchtelte dabei mit den Händen.

– Siehst Du, Erik, wir lieben uns nämlich bis zur Verrücktheit ...

Falk bemerkte bei ihr ein verlegenes Lächeln, als glitte ganz leise ein Schamgefühl über ihr Gesicht.

– Du darfst Herrn Falk damit nicht langweilen.

Ein feiner Streifen Unmut huschte über Mikitas Gesicht.

Sie streichelte diskret seine Hand; Mikitas Gesicht hellte sich auf.

Sie weiß mit ihm Bescheid, dachte Falk.

Das Zimmer war in einer sonderbaren, zinnoberroten Beleuchtung. Etwas von einem dicken Rot, wie wenn man feine Rotlagen übereinander schichtete und das Licht sich in ihnen brechen ließe.

War es dies Licht?

Nein, es lag um die Mundwinkel, nein! Feine Streifen um die Augen ... Wieder verschwand es und legte sich in eine zarte Vertiefung in der Kaumuskulatur ... nein, es war unfaßbar.

– Du bist so still, Erik, was fehlt Dir?

– Gott, sind Sie schön!

Falk sprach das absichtlich mit einer solchen Nuance von Unwillkürlichkeit, daß selbst Mikita getäuscht wurde.

– Siehst Du, Isa, der Mann ist offen, nicht wahr?

Seltsamer Mensch! Dies Gesicht ... Isa mußte ihn immer wieder ansehen.

– Was hast Du eigentlich den ganzen Winter gemacht?

Falk raffte sich auf.

– Mit Iltis gebummelt.

– Wer ist Iltis?

– Das ist ein Spitzname für einen großen Mann, erklärte Mikita.

Isa lachte. Das war ein sonderbarer Spitzname.

– Sehen Sie, Fräulein, Iltis ist mir persönlich ein sehr sympathischer Mensch, ein guter Mensch und hält es mit den Jungen. Manchmal werden sie ihm zu toll, dann schleicht er sich still davon ...

– Was ist er denn?

– Er ist Bildhauer. Das ist aber bei ihm furchtbar Nebensache.

Na ja, er interessiert uns nur als Mensch. Und als Mensch wird er von der fixen Idee beherrscht, daß Jemand sich auf seine persönliche Suggestion hin erschießen müsse. Hypnose ist nämlich sein Reitpferd. So kam es, daß wir eine ganze Nacht durchgetrunken hatten. Das verehrte Publikum, das uns für die Priester der Kunst hält ...

– Priester der Kunst! Großartig ... Musentempel und Klio ... Ha, ha, ha. Mikita freute sich ungemein.

– Ja: das Publikum kann sich nicht denken, wie oft das bei den Priestern der Kunst vorkommt. Nach einer solchen Nacht bekommen also die Priester Verlangen nach frischer Luft. Die kleinen Priester fielen unterwegs ab. Nur der große Hierophant ...

– Hierophant! Iltis ein Hierophant!

Mikita schüttelte sich.

– Also der Hierophant und ich gehen zusammen. Plötzlich bleibt Iltis stehen. Ein Mann steht an der Mauer und »starrt in die Höhe«, wie es bei Schubert heißt.

– Mann! sagt Iltis mit einer unglaublichen Vibration in der Stimme.

Aber der Mann rührt sich nicht.

Iltis sprüht förmlich Funken mit seinen Augen.

– Paß auf! Der Mann ist hypnotisiert, flüstert er mir geheimnisvoll zu.

– Mann! Seine Stimme wird drohend und bekommt den Ton einer heiseren Trompete, mit der Jerichos Mauern erschüttert wurden ... Hier hast Du sechs Mark, kauf Dir einen Revolver und schieß Dich tot.

Der Mann streckt die Hand aus.

– Eine vollkommene Hypnose, raunt mir Iltis zu. Er legt mit einer unglaublich großartigen Handbewegung sechs Mark in die offene Hand des Mannes.

Im selben Nu macht der Mann einen Luftsprung:

– Nu brauch ick mir nich totschießen. Hurrah, das Leben!

– Feiger Schurke! brüllt ihm Iltis nach.

Mikita und Fräulein Isa lachten herzlich auf. Falk horchte. Es war da ein Schmelz in dem Lachen – ein ... woran erinnerte ihn das nur?

– Sehen Sie: wär ich ein Kultusminister, würd ich den feigen Schurken als einen wohlbestallten Professor der Psychologie anstellen lassen.

– Verstehen alle Russen so schön zu höhnen?

Sie sah ihn mit großen, herzlichen Augen an.

– Nein, Fräulein, ich bin kein Russe. Ich bin nur an der russischen Grenze geboren. Aber durch die enge Berührung mit den Slaven, die katholische Erziehung und dergleichen schöne Dinge bekommt man vielleicht Etwas in seinen Charakter, das die Deutschen sonst nicht haben. Dann – ja, wissen Sie, man bekommt dort so interessante Eindrücke ...

Falk fing an, mit einer Wärme von seinem Geburtsort zu sprechen, die seltsam von dem leise höhnenden Zug abstach, den er in seiner Stimme hatte.

– Prachtvolle Menschen! Auf ein Hundert können kaum zweie lesen, weil sie Polen sind und in der Schule gezwungen werden, dem süßen Wohllaut einer fremden Sprache zu lauschen.

Ja, man wolle durchaus die polnischen Kinder zu ehrsamen deutschen Bürgern erziehen, und Alles, was ehrsam sei, müsse sich bekanntlich der deutschen Sprache bedienen. Man prügle den Kindern mit einer echt preußischen Energie die wonnesame deutsche Sprache bei und die Fortschritte seien auch ganz eklatant.

– Die Kinder grüßen ja sogar schon mit einem Gruß, der eigentlich »Gelobt sei Jesus Christus« lauten sollte. Aber die gelenkige polnische Zunge weigert sich, solche barbarische Laut-Verbindung wie »Gelobt« auszusprechen, und so wurde der Gruß zu einem »Galopp Jesus Christus, Galopp!« umgewandelt. Warum der liebe Jesus Christus galoppieren soll, können die Kinder freilich nicht begreifen, aber bei einem deutschen Christus ist alles möglich. Der polnische ist ja doch ganz anders, und der polnische Gott versteht ja auch nur polnisch, wie ja auch bekanntlich das Paradies in Polen zu suchen ist.

Es war etwas in seiner Sprache, das sie so seltsam fesselte. Er konnte etwas ganz Triviales sagen, und doch sagte er es mit einer Nuance, einer Betonung ... Mikita sprach zu laut.

– Weißt du, Erik, wie wir noch im Gymnasium waren ... der eine Lehrer hatte eine kolossale Ähnlichkeit mit Iltis ...

Falk horchte halb zu. Während Mikita sprach, sah er sie von Zeit zu Zeit an. Jedesmal begegneten sich ihre Blicke und Beide lächelten.

Dies Gefühl hatte er noch nie empfunden. Es war, als ob sich Etwas in ihm anspannte, sammelte, – er fühlte eine Wärme und eine Energie ... das strömte und goß sich in sein Hirn.

Er hatte sich doch wirklich interessant machen wollen. Ja wirklich. Es war Etwas in ihm, das eine verzweifelte Ähnlichkeit mit Absichten hatte, ja, Absichten, das Weib zu fesseln – sie zu unterhalten ...

Wer war dies Weib?

Wieder sah er hin, sie schien Mikita nicht anzuhören; um die Augen dies seltsame Glühen.

Wie alle die Linien ineinanderflossen hinter dem Schleier.

Er fühlte fast die Lust, etwas von ihrem Gesichte und ihren Augen abzulösen.

Mikita bekam plötzlich mitten in seiner Erzählung einen Ruck.

Er sah flüchtig auf sie hin. Ihre Augen waren auf Falk gerichtet.

Neugierde?... Ja?... Vielleicht nicht ...

Falk merkte Mikitas Unruhe und lachte plötzlich auf:

– Ja, es war merkwürdig. Dieser alte Fränkel – ja, wirklich ein Doppelgänger von Iltis. Weißt Du noch, Mikita, – damals an dem Sonntag. Wir schliefen; ich träumte von dem Chemiker, dem Grieser, der mir damals als ein Geistesriese vorkam. Er hat uns Beide düpiert.

Plötzlich wach ich auf. Jemand klopft an die Türe: Machen Sie auf!

Ich, in meinem verschlafenen Zustand, denke an Grieser. Aber es ist doch nicht Griesers Stimme.

– Wer sind Sie?

– Fränkel.

Ich überhöre Alles und denke nur an Grieser.

– Aber Sie sind doch nicht Grieser?

– Ich bin Fränkel. Machen Sie auf.

– Gott, machen Sie doch keinen Ulk. Sie sind nicht Grieser.

Ich höre nämlich, daß es nicht Griesers Stimme ist, mache trotzdem auf, bin aber so verschlafen, daß ich mich nicht zurechtfinden kann.

– Sie sind doch nicht Grieser?

Plötzlich werd ich wach und taumle erschrocken zurück. Es war wirklich Fränkel. O Gott! Und auf dem Tische lag Strauß' »Leben Jesu« ...

Mikita war nervös, aber alle die Erinnerungen erwärmten ihn wieder.

Es wurde ziemlich spät.

Falk fühlte, daß er nun gehen müsse, aber es war ihm unmöglich, ja physisch unmöglich, sich von ihr zu trennen.

– Du Mikita, wollen wir nicht in das Restaurant »zur grünen Nachtigall« gehen. Das wird Fräulein Isa interessieren.

Mikita schwankte, aber Isa schlug sofort ein.

– Ja, ja; ich möchte es sehr gern.

Sie zogen sich an.

Falk ging voraus.

Isa sollte die Lampe auslöschen.

Isa und Mikita blieben einen Augenblick zurück.

– Ist er nicht wunderbar?

– O, herrlich! Aber – lieben könnt ich ihn nicht. Sie küßte ihn heftig.

Unten setzten sich alle Drei in eine Droschke.

Es war eine helle Märznacht.

Sie fuhren durch den Tiergarten, sprachen kein Wort.

In der Droschke war es sehr eng. Falk saß Isa gegenüber.

Dies Gefühl hatte er nie empfunden. Es war ihm, als ströme ihm unaufhörlich eine Hitze in die Augen, ja, es war als sauge sein Körper ihre ... ihre Wärme in sich ein ... Als strahle sie ein saugendes Verlangen aus, das Etwas in ihm auflöste – zerschmelzen machte.

Sein Atem wurde heiß und kurz.

Was war es?

Er hatte wohl zu viel getrunken.

Aber nein!

Plötzlich begegneten sich ihre Hände.

Falk vergaß, daß Mikita da war. Er verlor auf einen Augenblick die Selbstbeherrschung.

Er zog ihre Hand an seine Lippen und küßte sie mit einer Inbrunst, einer solchen Inbrunst ...

Sie ließ es geschehen.


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