Stanislaw Przybyszewski
Homo Sapiens
Stanislaw Przybyszewski

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IX.

Falk ging.

Er blieb auf dem Wege stehen.

Ob er nicht zurückkehren solle, sie auf seine Hände nehmen und auf ihr Zimmer hinauftragen?

Ja: sie bitten, nur vor ihrem Bett kauern dürfen, mit ihr zusammen wilde Gebete stammeln!

Er prüfte sich plötzlich, ob dies wirklich ein unüberwindliches Verlangen in ihm sei oder nur die Absicht Marit neue Suggestionen seiner großen Leidenschaft zu geben.

Ja: ob er wirklich dies Verlangen habe? Oder sei es gar nur eine Autosuggestion?

Er prüfte sich und prüfte, aber er konnte wirklich nicht unterscheiden. Er hatte so viele Pläne geschmiedet, wie er sie erobern könnte, so viele Worte sich selber vorgesprochen, so viele Gefühle erdichtet und erlogen, daß er nicht mehr unterscheiden konnte, was echt daran und was – hm, ja, wie sollte er es nennen – künstliches Wachstum war.

Die Suggestionen, mit denen er auf sie einwirken wollte, wurden zu Realitäten, oder sie nahmen wenigstens die Formen realer Gefühle an. Die Worte, die er früher mit dem Gehirne erfunden hatte, bekamen jetzt geschlechtliche Wärme: er hatte so oft Gefühle gespielt, bis er sie tatsächlich in sich erzeugt hatte.

Ihm kam es vor, als hätten sich gewisse Gehirnstellen einen neuen Blutumlauf geschaffen. Warum denn komme sein Herz in diese Zuckungen, wenn er jetzt Liebesworte wiederholte, die er früher kaltblütig ohne die geringste Spur von seelischer Erregung hundertmal gesprochen hatte?

Falk verlor sich in psychologische Untersuchungen über die Form einer Liebe, die durch Autosuggestion erzeugt werde.

Er dachte nach, wie er sie schildern würde. Ja, er könne an nichts anderes denken, er müsse sein Gehirn beruhigen.

Also: er habe einen Auftrag von einer psychologischen Zeitschrift, ja. Zeitschrift für wissenschaftliche Psychologie. Wie werde er es nun klar machen?

Nun: ein oft wiederholter, im Gehirne wiederholter Zustand hat sich mit neuen Blutbahnen verknüpft, auf diese so lange eingewirkt, daß ein regelmäßiger Blutumlauf entstanden ist, und so wurde der Gedankenzustand zu einem sinnlichen Zustande.

Ja so; das würde wohl stimmen. Es wurde ein sinnlicher Effekt durch reine Gedankensuggestion erzeugt.

Er hörte einen Wagen dicht an ihm vorbei rollen. An den Seiten brannten Laternen, und er sah, wie der Wagen an einer scharfen Straßenkrümmung umbog. Dann sah er nur noch die Lichter sich in schnellem Laufe weiter bewegen; er verfolgte sie, bis sie in dem Wald verschwanden. Unwillkürlich mußte er an die Irrlichter des Torfstechers denken.

Dann sah er sich um. Dort lag Marits Haus. Ja, er könnte hineingehen. Vielleicht erwartete sie ihn. Vielleicht würde sie sehr glücklich sein, wenn er jetzt so plötzlich erschiene. Vielleicht geht sie im Park herum, um sich abzukühlen. Oder ist an den See gegangen, um sich auf den großen Stein zu setzen, auf dem sie Beide so oft zusammen saßen, ja; dicht an dem Graben, an der Schlucht, wo der Boden ringsherum so tief aufgerissen war.

Merkwürdig diese Schlucht; ob das wohl ein altes Flußbett sein könnte?

Nun ging er; blieb stehen; ging wieder. Sein Gehirn war sehr ermüdet; und doch diese eigentümliche Tendenz zu grübeln!

Wieder dachte er an den psychologischen Aufsatz.

Nein, das ließe sich wohl besser für eine Novelle verwerten. Also: der Mann hat diese autosuggestive Liebe. Bien, gut! Nun aber hat er nebenbei noch eine wirkliche Liebe, die er beständig fühlt, ja ganz so, wie man ein krankes Organ in seinem Körper fühlt.

Er liebt also gleichzeitig, das heißt er liebt beide. Nur: die eine ist zuerst ins Individuelle getreten und trat später ins Gehirn, die andre hat den umgekehrten Weg genommen, und das Urewige in unserm Helden fingt allmählich heftig an zu reagieren.

Ja, Falk fühlte deutlich, wie es reagierte; aber gleichzeitig empfand er eine große, satte Müdigkeit.

Jetzt war ihm Marit wieder ganz gleichgültig; nur ein Vorschmack des Geschlechtes, und schon war er satt.

Morgen werde freilich eine Reintegration eintreten; aber es war eine unleugbare Tatsache, daß er sich heute Abend, ja, heute Abend den 28. April satt fühle.

Also liebte er Marit nicht, denn dieses Gefühl hatte er niemals bei seiner Frau empfunden. Nein; niemals.

Ja, und die ganze Zeit nach der Umarmung vorhin: Er hatte deutlich gefühlt, wie eine Art Ha?, Scham, ja, Scham, wie nach einem Verbrechen, Scham vor sich selbst und vor ihr, zwischen ihnen hin- und herwogte.

War es Glück?

Nein!

War es Schmerz?

Ja, ganz gewiß: Schmerz und Scham! Aber die echte, die nicht suggerierte Liebe, die Liebe, die entsteht, weil sie entstehen muß, die Liebe, die kein Gehirn hat, kein Denkorgan, nur zwei Herzbeutel und eine Aorta, diese Liebe kennt keine Scham.

Nein, gewiß nicht! Er dachte an sein Liebesverhältnis zu seiner Frau. Sie nahmen sich, weil sie sich nehmen mußten, und waren glücklich. – Was ist es also?

Ja, was ist es?

Nun, bitte, Herr Erik Falk: Sie sind Angeklagter und Ankläger zugleich. Sie sind Herr Falk und Herr X.

Also, Herr X, Sie beschuldigen mich, daß ich ein Mädchen verführt und somit zerstört habe.

Nun hören Sie: Sie sind ein intelligenter Mensch, und ich kann vor Ihnen mit einem Arsenal von Gründen vorfahren.

Also: Hors la methode point de salut. Methodisch und systematisch, Herr X!

Primo entstand in mir die Suggestion, daß ich dies Mädchen besitzen muß. Da nun eine ähnliche Suggestion niemals vorher in mir entstanden ist, so muß ich sagen: Diese Suggestion ist eine außergewöhnliche, und in Folge dessen verdient sie eine ganz besondere Aufmerksamkeit.

Falk untersuchte pedantisch, ob er etwas nicht exakt genug präzisiert habe.

Ja, es ist also eine außerordentliche Suggestion. Wie sie entstanden ist, weiß ich nicht. Ich kann nämlich tausend Dinge nennen, die sie erzeugt haben mögen; ich nenne sie zuweilen auch, aber ich weiß, daß mein Gehirn mich belügt, daß ich sozusagen der Hahnrei meines Gehirnes bin, und so sage ich: den Ursprung dieser Suggestion kenne ich nicht. Ich vermag nur ihren Charakter zu erkennen: sie ist eine geschlechtliche Suggestion. Sie war es von Anfang an ...

Falk dachte an eine Reihe von Gefühlserlebnissen, die in dieser Richtung lagen.

Zuerst am dritten Tage ihrer Bekanntschaft: Sie war auf dem Bahnhof gewesen, um einen eiligen Brief in den Kasten des Zuges zu werfen. Er hatte sie in der Stadt getroffen, ja, an dem Eckhause, in dem der Uhrmacher wohnt. Sie wurde verlegen und er auch. Warum wurde er verlegen? Er hatte sich gleich erstaunt danach gefragt. Dann begleitete er sie und sprach viel; ja, worüber sprach er doch gleich? Richtig, über Religion.

– Halt, da liegt ein wichtiges Argument!

Herr X, bitte, können Sie mir sagen, warum ich gleich von Anfang an, ohne ein klares Bewußtsein des Endzweckes, mich drauf kapriziert habe, ihre religiösen Dogmen zu zerstören?

Ja, bitte sehr, sie kennen mich doch und wissen, daß es mir absolut gleichgültig ist, ob ein Mensch glaubt oder nicht. Sie wissen auch, daß ich selten von meinen Ideen spreche, weil ich es als unfein betrachte, Suggestionen aufzudrängen.

Nun sehen Sie, Herr X, bevor ich dessen bewußt war, arbeitete schon mein Geschlecht mit folgerichtiger Logik in mir und argumentierte so: So lange sie Religion hat, werde ich sie niemals besitzen, folglich ist das Religiöse in ihr der erste und wichtigste Angriffspunkt.

Sie können mir wirklich glauben, Herr X, ich kann Ihnen versichern, daß ich nicht einen Augenblick dran dachte, das Mädchen zu besitzen, bevor ich nicht an jenem Tage die Stimme des Blutes zu hören bekam.

Sehen Sie, es war grade am Kirchhof, dicht unter der Birke, deren Zweige über den Zaun hängen, da merkte ich plötzlich – es mag wohl etwas Persönliches in meine Rede gekommen sein – wie meine Stimme eine sonderbare Tendenz bekam, ins Flüstern, ins vertrauliche Raunen umzukippen, und dann fühlte ich ein eigentümliches Glühen um meine Augen, und die Haut unter den Augen fühlt ich sich in kleine Fältchen legen, wodurch der Ausdruck meiner Augen etwas faunhaftes bekommt.

Dies letzte fühlt ich deutlich, weil ich diese Fältchen zuerst bei meinem Vater gesehen habe, als er sich in unsre Gouvernante verliebte. Ich habe sie dann ganz vergessen, bis ich sie mal plötzlich vor drei Jahren in einer Art Vision wieder deutlich vor mir sah. Seitdem denk ich immer an sie.

Ja, nun wußte ich bestimmt: es ist das Geschlecht.

Und nun wuchs es in mir und wuchs unaufhörlich und ließ mir keine Ruhe, und nun muß ich; ja, ich muß! warum? ich weiß es nicht.

Ja, ja, ich kenne Sie, Herr X: Sie interessiert das Thema. Sie möchten Ihre Weisheit glänzen lassen, die Frage lösen und mit Gründen belegen.

Bien; ist gut. Ich kann nämlich folgendermaßen argumentieren: Die Periode des Weibes ist von dem Einfluß des Mondes abhängig.

Wieso? werden Sie erstaunt fragen.

Hören Sie also. Das erste Lebewesen war ein Seetier; der Mond hat bekanntermaßen einen großen Einfluß auf das Wasser, und selbstverständlich wird der Einfluß, der auf das Medium einwirkt, sich auch auf das Lebewesen, das in diesem Medium lebt, erstrecken. Das Lebewesen vererbt nun diesen regelmäßig wiederkehrenden Einfluß auf seine Nachkommen als eine fertig organisierte Eigenschaft: quod erat demonstrandum.

Ja, gut, sehr gut. Ich weiß, daß Sie durchaus nicht so entfernte Gründe ... »an den Haaren herbeiziehen« sagen Sie? nun gut, also an den Haaren herbeizuziehen brauchen; aber auch die nächsten Gründe haben denselben Wert.

Falk drehte sich um. Ihm war, als hörte er den Redakteur hinter seinem Rücken grinsen: Dann glauben Sie wohl am Ende an die vierte Dimension?

– Ja, wissen Sie, Herr Redakteur, Sie sind ein Mann der positiven Ideen und des positiven Lebensganges. Sie sind ein Rationalist und ein Materialist. Ich ehre Sie und schätze Sie sehr hoch; aber so lange Sie mir die Nicht-Existenz dreier Wesen zwischen Uns Beiden – »Uns« groß gedacht, weil wir uns gegenseitig zu schätzen wissen –ja, so lange Sie die nicht beweisen können, werd ich auch nicht aufhören, die Möglichkeit einer solchen Dimension zuzugeben.

Weil Sie das nicht sehen, noch riechen, noch hören? Nun, das ist kein Beweis. Man kann nämlich hundert Sinne in latentem Zustand haben, die sich später einmal im Menschengeschlecht entwickeln werden. Wissen Sie z. B., daß man neulich einen neuen Sinn gefunden, der sich Organsinn betitelt? Nun, man wird bald noch mehr neue Sinne finden, so z. B. einen Individualsinn, der das riecht und hört, was Sie selbst nicht riechen oder hören können.

Daran glauben Sie nicht?

Ja, dann erklären Sie mir folgende Tatsache. Ich träume, die Tür wird aufgerissen, ein Mann tritt herein. Ich springe erschreckt vom Bett: kein Mensch im Zimmer. Erst nach etwa drei Minuten kommt wirklich mein Bekannter. Nun bedenken Sie: das Haus, das ich damals bewohnte, war 100 Meter weit vom nächsten Hause entfernt.

Vor meinem Hause war eine Wiese, die alle Schritte fast unhörbar machte. Und doch hat etwas in mir die Schritte meines Bekannten auf eine Entfernung von drei Minuten gehört; also, mein Herr, eine Entfernung, auf die ein Mensch in wachem Zustand ganz unmöglich auch nur ahnend etwas hören kann.

Es hört also etwas in mir, was Ich nicht höre. Nicht wahr?

Ja, aber die Nichtexistenz – bitte, bitte; ich bin ganz ungeduldig. Sehen Sie, die können Sie mir nicht beweisen; aber trösten Sie sich, Sie sind trotzdem ein großer Mann, Sie können ruhig unserm Herrgott als Schaufel dienen, mit der er den Menschen Verstand in die Köpfe schaufelt.

Falk wurde müde; in seinem Gehirne fing sich Alles an zu verwirren. Er wiederholte sich nur, wiederholte seine eigenen Worte und Sätze.

Plötzlich sah er das Kloster vor sich.

Merkwürdig, daß er den Kirchhof vorher nicht gesehen hatte.

Marit! – Marit ...

Herr Gott, wie kam er nur jetzt auf Marit?

Er wurde nervös. Warum er sich nur so plötzlich an Marit erinnerte!

Er dachte nach, blieb stehen, ging in die Runde; merkte es, ging wieder, wurde ärgerlich; wurde wieder eifriger im Denken, Schweiß trat ihm auf die Stirn, plötzlich hatte er es.

Er war ganz glücklich.

– Sehen Sie, Herr Redakteur, Sie Allwisser, Sie drittes Auge unsers lieben Herrgotts, sehen Sie sich doch nur diesen Fall an. Ich bitte Sie, in welcher Beziehung steht Marit zu diesem Kloster?

Ja, selbstverständlich, sie war in einem Kloster erzogen; daran habe ich früher gedacht, nicht heute. Aber sagen Sie mir, wie kam wohl die Beziehung jetzt in meine Seele?

Sie wissens nicht; nun, ich werd es Ihnen sagen.

Sehen Sie, ich habe eine große Wut gegen die Klöster im allgemeinen, weil mir ein Kloster meine Marit verpfuscht hat. Und nun brauche ich ein Kloster nur zu sehen, und sofort denke ich an Marit. Und wenn ich hundert tausend Klöster sähe, würde ich immer und jedesmal an Marit denken.

Da drin in dem erstaunlichen Wundersinn hat sich sofort eine unlösliche Verbindung gebildet. Verstehen Sie?

Und dann ging ich, als ich darüber nachdachte, ganz unbewußt hier auf dem Wege in der Runde, bis ich es merkte. Wissen Sie, weshalb?

Weil ich beim denken im Zimmer herumzugehen pflege, und ich denke fast immer im Zimmer.

Sehen Sie, mein Herr, gehen Sie ins physiologische Laboratorium und merken Sie auf. Ich nehme hier eine Ratte, nun trage ich ihr ganze Gehirnteile ab bis an die Brücke; selbstverständlich wissen Sie wieder nicht, was Brücke im Gehirn heißt. Ja, das muß ein Mensch wissen, der Anspruch auf Bildung erhebt. Nun sehen Sie, die Ratte ist ganz dumm; sie fühlt nichts, hört nichts; sie empfindet nichts; sie ist einfach geistig tot. Nun sollen Sie ein Wunder schauen. Ich nehme eine Katze und prügle sie: die Katze miaut. Sehen Sie, sehen Sie: wie die Ratte unruhig wird, wie sie weglaufen will!

Wissen Sie nun, was der erstaunliche Wundersinn, der Individualsinn, ist?

Übrigens sind Sie mir der gleichgültigste Mensch von der Welt, verstehen Sie? Das heißt, sie sind ein Esel!

Aber Falk konnte sprechen, was er wollte, denken, woran er wollte, um sich abzulenken und absichtlich zu zerstreuen: durch alles schimmerte ein heißer Untergrund: Marit – Marit ...

Plötzlich fühlte er einen heftigen Ruck: Denkt so ein normaler Mensch?

Er ging in Fieberschauern. Angst stieg in ihm auf. Ihm war, als rolle er in einen öden Abgrund und alles würde weggefegt von der Welt. Nun hörte das Denken auf, und nur das furchtbare fieberische Angstgefühl wurde immer wüster. – Alles schwarz, öde trostlos. Dann wurde wieder Licht in seinem Kopfe; das Leben, das nun kommen sollte, mit dieser Unruhe, dieser ewigen Qual und Sehnsucht, rollte sich vor seinen Blicken auf.

Ja, wozu denn? wozu?

Wozu das alles. Wozu quäle ich mich. Wozu all diese Anstrengung, dies ganze Hin- und Herrennen, nur um das lächerliche Gelüste des Geschlechtes zu befriedigen?!

Er lachte höhnisch.

Ist es nicht idiotisch?

Aber wieder fühlte er die Angst, eine unerhörte, wahnsinnige Angst, wie er sie niemals vorher gefühlt, und mit starren, aufgerissenen Augen keuchte er hervor:

Warum? Warum?

Er sprang über den Graben mit jähem Ruck, und kam zur Besinnung. Ihm war, als würde er von Bestien gehetzt.

Nun mußte er denken, ganz vernünftig und logisch denken; das würde ihn beruhigen.

Aber immer griff durch all sein Denken das furchtbare »Warum?« hindurch.

Er suchte sich das vorzustellen.

Er sei also ein Instrument in der Hand eines Dinges, das er nicht kenne, das in ihm tätig sei, das tue, was es wolle, und sein Gehirn sei nur ein ganz gewöhnlicher Handlanger.

Wenn er jetzt Marit verführe, so sei es nicht seine Schuld. Nein, durchaus nicht. Er müsse es tun; es sei seine fixe Idee.

Nicht wahr, Herr Falk? Es ist da eine ganz fest Ring an Ring gereihte Kette, an die sich immer neue Ringe mit Notwendigkeit anreihen.

Irgend eine psychische Spiralfeder, ein psychisches Uhrwerk wurde aufgezogen, durch tausend äußere Umstände aufgezogen, und nun müssen sich die Ringe und Räder meiner Handlung eben drehen!

Gut: ich widerstrebe, ich kämpfe dagegen. Aber selbst das Widerstreben ist von vorn herein bestimmt. Und da ich unterliege, so unterliege ich eben. Ich muß.

Ja: er sei Aktor und Zuschauer zugleich, sei zugleich auf der Bühne und sitze im Parkett. Nein: er sitze über sich und konstatiere mit einer Art Übergehirn, daß in seinem gewöhnlichen Gehirne etwas vorgehe.

Falk überkam eine furchtbare Traurigkeit.

Nein, wozu quäle er sich nur?

Er könne ja nicht ankämpfen, er müsse die Hände in den Schoß legen, er müsse alles gehen lassen, wie es wolle, nein, wie es müsse.

Ja, müsse, müsse ...

Falk war sehr abgespannt.

Wie ein Regenbogen nach einem Gewitter erschien ihm plötzlich das Gesicht eines Knaben. Ein Gefühl der Sehnsucht übermannte ihn, ein würgendes Mitleid mit sich selbst, eine Sehnsucht nach Menschen.

So kam er in die Stadt. Er mußte vor dem Hause des Landrats vorbei. Aus der Tür traten grade der Redakteur und der junge Arzt.

– Wohin sind Sie denn so plötzlich verschwunden?

Falk wurde etwas verwirrt.

– Er habe Fräulein Kauer nach Hause begleitet; der Kutscher sei nämlich sinnlos betrunken gewesen, und da wäre es nicht ratsam gewesen, ihm das junge Mädchen anzuvertrauen.

– Ob er nicht bei Flaum noch einen Schlafpunsch nehmen möchte.

Falk besann sich. Wieder fühlte er die lauernde Angst. Nur nicht allein sein; nein, um Gotteswillen nicht.

– Ja, das will ich sehr gerne.


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