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– Warum bist Du gestern nicht zu Iltis gekommen? – Isa war ein wenig unsicher.
– Was sollt ich da? Ich setzte voraus, daß Du Dich auch ohne mich amüsieren kannst.
– Das ist häßlich von Dir; Du weißt doch, wie ich glücklich bin, wenn ich mit Dir zusammen in Gesellschaft gehe.
– Bist Dus?
Mikita sah mißtrauisch zu ihr herüber.
– Was meinst Du denn?
Sie wurde mißmutig. Aber plötzlich sah sie sein übernächtigtes, bleiches Gesicht zucken. Sie kannte das.
– Nein, das ist sehr häßlich von dir. Sie nahm seine Hand und streichelte sie.
Mikita entzog ihr leise die Hand. Er ging auf und ab.
– Aber was ist Dir denn?
– Mir? Nichts, nein, gar nichts.
Sie sah ihn an. Eine fiebrige Unruhe zuckte immer heftiger in seinem Gesichte. Es kochte Etwas in ihm, das jeden Augenblick ausbrechen konnte.
– Willst Du nicht zu mir kommen?
Er trat an sie heran.
– Was willst Du?
– Setz Dich neben mich, hier, ganz nah.
Er setzte sich hin. Sie nahm seine Hand.
– Was ist Dir, Mikita? Was?
– Nichts!
– Hab ich Dir weh getan?
– Nein!
– Siehst Du, Mikita, Du bist nicht aufrichtig zu mir. Du willst es mir nicht sagen, aber ich kenne Dich so gut: Du bist eifersüchtig auf Falk ...
Mikita wollte sie eifrig unterbrechen.
– Nein, nein; ich kenne Dich zu gut. Du bist eifersüchtig, und das ist furchtbar dumm von Dir. Falk ist nur interessant, er ist mir vielleicht der interessanteste Mensch neben Dir, aber ich könnte ihn niemals lieben, nein, niemals. Siehst Du, als Du gestern nicht kamst, wußt ich sehr gut, daß Du zu Hause sitzt und Dich mit Eifersucht quälst. Ich habe mich den ganzen Abend ununterbrochen gefragt, welchen Grund Du eigentlich hast? Hab ich Dir einen Anlaß zur Eifersucht gegeben?
Mikita fühlte sich beschämt.
– Du darfst nicht eifersüchtig sein. Das quält mich. Ich werde so müde davon. Schließlich werde ich ja gar nicht wagen können, auch nur ein Wort mit einem Menschen zu wechseln, aus Angst, daß Du mirs übel nimmst. Du darfst es nicht. Ich kann es einfach auf die Dauer nicht aushalten. Du hast keinen Grund dazu. Du zerstörst nur unsre Liebe.
Mikita wurde ganz weich und küßte ihr die Hand.
– Du demütigst mich mit Deinem ewigen Mißtrauen. Du mußt doch bedenken, daß ich auch ein Mensch bin. Man darf mich nicht so unausgesetzt quälen. Du warst so stolz auf meine Selbständigkeit, und jetzt suchst Du sie zu zerstören und mich zu einer Sklavin zu machen. Schließlich wirst Du mich noch einsperren wollen ...
Mikita war ganz verzweifelt.
– Isa, nein, nein! Ich bin nicht eifersüchtig. Aber Du weißt nicht, welche Bedeutung Du für mich hast. Ich kann ohne Dich nicht leben. Ich wurzle so ganz – ganz in Dir ... Du bist ...
Er machte eine weite komische Handbewegung.
– Du verstehst es nicht, Du hast nicht das rasende Temperament – dies ... dies ... na, weißt Du, Du kannst es nicht nachempfinden, wie es brennt und quält, wie es einem in die Augen fährt und blind macht für die ganze Welt ...
Sie streichelte ihm unaufhörlich die Hand.
– Nein, Du weißt es nicht, was Du für mich bist. Ich bin nicht eifersüchtig. Ich habe nur die rasende Angst, Dich zu verlieren. Ich kann nicht begreifen, daß Du mich lieben kannst – ich ...
Weißt Du, weißt Du – er richtete sich auf. Sieh doch nur den kleinen komischen Mikita an, Du bist ja höher als ich ...
– Laß doch, laß; ich liebe Dich; Du bist der große Künstler, der größte unter Allen ...
– Ja, siehst Du, Du liebst nur den Künstler in mir, den Menschen kennst Du nicht. Ich bin Dir als Mensch nichts, gar nichts ...
– Aber der Mensch und der Künstler ist ja eins in Dir! Was wärest Du ohne Deine Kunst?
– Ja, ja; Du hast Recht. Nein, Isa, ich bin verrückt. Nimm es mir nicht übel, nein, um Gotteswillen nicht. Ich werde jetzt vernünftig sein. Aber ich kann nichts dafür. Du mußt es verstehen. Ich – ich lebe in Dir ... wenn ich Dich verliere, dann ... dann – habe ich nichts – nichts ...
Tränen liefen über seine Backen.
Sie umarmte ihn.
– Mein teurer, dummer Mikita. Ich liebe Dich ja ...
– Nicht wahr? Du liebst mich ja? Nicht wahr? Du ... Du ...
Er fuhr mit zitternden Händen über ihr Gesicht, er preßte sie an sich.
– Du wirst mich nie verlassen?
– Nein, nein.
– Du liebst mich?
– Ja.
– Sag, sag es mir noch einmal, tausendmal ... Du mein Einziges ... Du – Du kannst nicht begreifen, wie ich mich quälte, ja gestern; ich glaubte, mein Verstand geht mir durch. Ich wollte hinlaufen und konnte nicht ... Ich konnte nicht sitzen, nicht stehen ... Du, Isa, Du wirst mich nie verlassen? Nein, nein! Dann geh ich zu Grunde ... Dann – dann, weißt Du ...
Der kleine schmächtige Körper des Malers zuckte immer heftiger.
– Siehst Du, ich werde malen – Du weißt nicht, was ich kann ... ich werde Dir zeigen, was ich kann. Ich werde Dich malen, nur Dich, nur immer Dich ... Ich werde die ganze Welt zwingen, sich vor Dir zu verbeugen ... Alles, Alles kann ich malen – Gedanken, Akkorde, Worte ... und Dich, ja Dich ... Du sollst so stolz auf mich sein, so stolz ...
Er kniete vor ihr, seine Worte überstürzten sich, er stammelte und umfing ihre Knie.
Du mein – Du ...
Sie wurde unruhig. Es war ihr peinlich. Wenn er sich nur beruhigen möchte.
– Ja, ja ... Du bist mein großer Mikita. Ich bin ganz Dein, ganz ... aber Du darfst nicht mehr so häßlich sein ...
– Nein, nein; ich weiß, daß Du mich liebst. Ich weiß, daß Du mein bist ... Verzeih mir meine Lächerlichkeit ... ich werde nie mehr wieder ... Du hast es vergessen?
– Ja, ja ...
Er drückte sie so fest an sich, daß sie kaum atmen konnte.
Eine dunkle Unruhe wuchs und wuchs in ihr. Sie fühlte es kommen, und ein Angstschauer durchzuckte sie. Am liebsten möchte sie jetzt weglaufen ...
Sie löste sich los.
Aber er schien nichts zu merken. Die wilde, so lange aufgestaute Leidenschaft löste sich nun und brach jäh hervor.
– Ich bin so glücklich, so unendlich glücklich mit Dir. Du hast mir Alles gegeben, Alles ... Er stammelte und die heiße Gier kam über ihn.
– Ich bin Nichts, Nichts ohne Dich. Das habe ich gestern gefühlt, ich gehe auseinander ohne Dich ...
Er preßte sie immer heftiger an sich.
– Du ... Du ... Er keuchte heiß.
Sie fühlte seinen heißen Atem ihren Nacken brennen. Ihr Inneres schrumpfte wie ein leerer Schwamm zusammen. Die Angst wuchs in ihr hoch, lähmte sie, verwirrte sie ... O Gott, was sollte sie tun? Sie sah Falk vor ihren Augen. Es bäumte sich Etwas hoch auf in ihr und widerstrebte in wilder, verzweifelter Empörung.
– Sei mein! – Er bettelte ... Zeig, daß Du mich liebst ... Sie sah Mikitas Augen, die Augen eines Irren, die nichts sehen.
O Gott, Gott ... Noch einmal raffte sie sich auf. Sie wollte ihn wegstoßen und weglaufen, ihn nie mehr sehen ... nie mehr dies Ekle über sich ergehen lassen ... aber im nächsten Momente sank sie zusammen. Eine kranke Traurigkeit kam über sie. Sie konnte nicht widerstreben ... sie mußte ...
– Ich liebe Dich ... ich bin krank nach Dir ... er stammelte wie ein Kind.
Und ein Ekel stieg in ihr auf. Ein ranziges Gefühl von Ekel, sie schauderte – aber sie durfte sich nicht wehren, sie fühlte keine Kraft mehr. Nur Falks Stimme hörte sie, sie sah seine Augen ... nein, sie hatte keine Kraft mehr ... Sie drückte die Augen zu und ließ es geschehen ...
– Du hast mich so glücklich gemacht ...
Das Glück verzerrte Mikitas nervöses, mageres Gesicht zu einer Grimasse.
Aber sie fühlte Ekel, ein würgendes Gefühl von Ekel, der ihr in jeden Nerv drang mit wachsender Empörung, mit einem Haß, den sie bis jetzt nicht kannte. Aber um ihren Mund spielte mechanisch ein liebenswürdiges Lächeln.
Und wieder ließ sie ihre Hand über die seine gleiten.
Sie kämpfte mit sich. Es wurde ihr ganz schwarz vor den Augen vor Scham und Empörung. Sie hatte Mühe, ein Wort zurückzuhalten, das sie ihm ins Gesicht schleudern möchte, weil er sie so brutal vergewaltigt hatte. Und der Gedanke an Falk bohrte in ihr und bohrte. Ein wütender Schmerz riß ihr den Kopf auseinander ...
– O Isa, ich bin so glücklich, so unerhört glücklich, heute ...
Sie bezwang sich und lächelte. Aber der Ekel füllte sie unablässig ... Alles wurde ihr zum Ekel, seine Worte, seine Hand ...
Aber Mikita dachte nur an sein Glück. Das Weib war sein, ganz sein. Sein Kopf wurde heiß vor Freude und Kraft.
Sie wollte nicht mehr denken, aber sie konnte den Gedanken an Falk nicht zurückhalten. Der Gedanke schmerzte sie, biß sie, goß ihr Haß und Scham in das Herz. Sie atmete schwer auf. Wenn er nur nicht käme. O Gott, wenn er nur nicht käme ...
– Kommt Falk heute zu Dir?
Mikita sah sie befremdet an.
– Wer? Falk?
Sie raffte sich auf.
– Ich möchte so gerne, daß er Deine Bilder sieht. Er hat sie doch noch nicht gesehen: Er ist ja der Einzige, der sie verstehen kann.
Mikita atmete erleichtert auf.
– Weißt Du, Isa; ich werde ihm jetzt schreiben, daß er gleich kommen soll.
Sie schrak auf.
– Nein, nein, nicht heute.
– Warum denn nicht?
– Ich will mit Dir allein sein heute.
Er küßte ihr innig die Hand und sah sie dankbar an.
Es lag etwas von hündischer Unterwürfigkeit da drin. Sie dachte an den großen Hund in ihrer Heimat, der sie so liebte und den sie nie los werden konnte.
Es war inzwischen dunkel geworden.
Was hatte er für ein Recht, sie so brutal zu vergewaltigen ... so ... nein ... nicht denken, nicht denken ... Doch, ja – sie fühlte sich beschmutzt, er hatte sie beschmutzt ...
Sie fühlte plötzlich seine Hand um ihr Handgelenk.
Sie schrak zurück. Seine Berührung war ihr widerwärtig.
– Mach Licht!
Mikita stand auf und zündete die Lampe an.
Dann heftete er starr seine Augen auf sie.
Sie hatte nicht mehr die Kraft, sich zu bezwingen. Es stürzte nun Alles auf sie ein: Falk, Mikita, der Ekel ... dieser furchtbare Ekel ... Es war plötzlich Angst in ihm, eine Angst, die auf einen Augenblick sein Gehirn lähmte.
Sie sah, wie sein Gesicht zuckte, wie seine Augen sich maßlos erweiterten.
– Du, was ist Dir? fragte er heiser.
– Nichts, nichts! Sie versuchte zu lächeln, aber es mißlang.
– Wie ... wie ... was ist Dir? Er fing an zu verstehen.
In diesem Augenblick läutete es heftig.
Er zuckte auf, konnte nicht verstehen, was das für ein Geräusch war.
– Du, es klingelt. Mach nicht auf, mach nicht auf, bat sie ängstlich.
Aber er lief hinaus.
Sie stöhnte auf. Nun kam er, sie wußte es. Er war es. Nun ... o Gott, es war ja Alles gleichgültig.
– Oh, das ist ja herrlich, das ist ja einfach großartig, wir wollten soeben an Dich schreiben. Mikita konnte sich kaum zusammenhalten. Nun, Isa, endlich ist Falk hier. Er versuchte krampfhaft sich zu bemeistern.
Ich freue mich; kannst mir glauben, daß ich mich freue. Na weißt Du, Erik ... na, das ist schön ...
Werden gemütlichen Abend haben ... Was willst Du? Wein, Schnaps, Bier ... Heh? Alles kannst Du haben ...
Meine Bilder willst Du sehen?... Herrgott – die dummen Bilder – Was ist daran zu sehen? Geh ins Leben – ja, – geh nur auf die Straße, das sind Bilder! ... Wozu denn diese dumme Kleckserei ... O Gott, wozu das Alles? ... Hast Du nicht gestern gesagt, daß man damit kein Weibchen locken kann?... Ja, ja, geh auf die Straße, nein! geh ins Nachtcafé, da sind Bilder! prachtvoll, weißt Du ... so ein Bild, wie ich gestern gesehen habe, das kann Dir kein Mensch malen ... Weißt Du, was ich gesehen habe?... War im Restaurant, ja, ein Restaurant, kein Café übrigens ... und, ja, da saß ich. Mir gegenüber ein Herr mit zwei Damen. Er machte der einen Dame den Hof und stellte telegraphische Übungen an, mit den Füßen, unter dem Tisch. Er aß Würstchen, verstehst Du, Jauersche Würstchen, glaub ich ... Da plötzlich: es war ein Moment ...
Mikita lachte heiser, daß er kaum verständlich war.
Ein Moment! Selten sieht man so was.
Also hör mal: das eine Mädel ... Mikita unterbrach sich beständig mit nervösem, unangenehmem Lachen ... packt den Teller mit den Würstchen und schmeißt ihn dem Galan ins Gesicht ... Das war ein Anblick, hundert meiner Bilder wert ... Die Sauce troff herab ... weißt Du, die schokoladenbraune Jauche, mit der man hier in Berlin alle Speisen zu begießen pflegt ... Die Würste flogen nur so herum ... Sah der Kerl aus!... Mikita wollte sich ausschütten vor Lachen ... das war ein Bild!
Falk konnte nicht verstehen, was mit Mikita los war. Er sah Isa an, aber sie lag auf der Chaiselongue und sah nach der Decke.
Wahrscheinlich wieder heftige Eifersuchtsszene.
– Weißt Du, was der Kerl machte? Mikita drehte nervös an den Knöpfen von Falks Rock. Nichts! Gar nichts! Er wischte sich ruhig die Sauce vom Gesicht ... Ja, das tat er ... Aber die Dame, mit der er die telegraphischen Übungen angestellt hatte, lachte sich halb tot ... Mit ihren erotischen Gefühlen war es vorbei ... Weißt Du, warum? – Weißt Dus? Mikita schrie kurz auf.
Weil er komisch wurde, komisch! Und wenn man einem Weibe komisch wird, dann ists vorbei ...
Falk wurde unangenehm zu Mut. Er dachte an seinen gestrigen Abschied.
– Verstehst Du, was das ist, einem Weibe komisch zu werden?... Aber, aber ... Mikita stotterte ... man wird es nicht für Alle ... Es gibt welche, für die man es nicht wird, Weiber, die lieben, die lieben!... Er beruhigte sich ... Siehst Du, diese Weiber vergessen sich und Alles um sich; sie sehen nicht, daß man komisch ist, – sie denken nicht, sie beobachten nicht ... Er fuhr wieder auf ...
Heh, Isa? Hab ich nicht Recht? Du bist doch ein Weib!
Isa versuchte die Situation zu retten; es war doch unerhört peinlich. Er war ja ganz verrückt ... Sie lachte.
– Ja, Du hast wohl Recht ... die Geschichte mit den Würstchen ist ja sehr amüsant. Was wurde nun weiter?
Mikita sah sie durchdringend an.
– Ja, weiter – richtig. Also der komische Mann war ganz ruhig, trotzdem alle Menschen vor Lachen sich auf die Tische legten ... Sein schöner hoher Kragen war zum Waschlappen geworden und sein steifes Oberhemd hätte man um ein Streichholz wickeln können ...
Die Missetäterin, weißt Du – das Weib, für das man nie komisch werden kann war ganz blaß, und ich merkte, daß sie zitterte. Sie sah ganz so aus wie ein Hund. So hat Goya die Menschen gesehen –ja, der herrliche Goya, der einzige Psychologe auf der Welt. Er sah nur das Tier im Menschen, und Tiere sind sie Alle: Hunde und Esel ...
Aber das Mädel hatte Temperament, sie hatte Geschlechtselan, sie liebte ihn, ja, sie liebte ihn ...
Was? Das interessiert Dich nicht? Das nicht? Interessiert Dich nicht ein Eifersuchtsgefühl, das zum Verbrecher macht? Die Eine wirft Jauersche Würstchen auf den Kopf, die Andere wird zur Vitrioleuse. Aber das ist dasselbe Gefühl! Das ist stark, das ist mächtig, das ist Leben und Liebe! Heh? ... Bei Einer äußert sich das so, bei der Andern eben anders ... Meine Mutter hatte ein Dienstmädchen, das Tag und Nacht Romane las ... Glaubst Du nicht, daß an dem Mädel eine kolossale Bertha von Suttner verloren gegangen ist? Nicht wahr? nicht wahr?
Falk wurde unruhig, was fehlte ihm?
Siehst Du, Kerl, wozu braucht man da Bilder zu sehen? ...
Ja, richtig, die Pointe ... Der Kerl ging mit den Damen ruhig und würdevoll aus dem Restaurant. Aber plötzlich auf der Straße ... na, das solltest Du gesehen haben ... das gibt Sensationen ... mit einem Ruck flog das Mädel von der wuchtigen Ohrfeige gleich in den Rinnstein ... Aber sie erhob sich und ging an ihn heran und bettelte um Verzeihung ... Er stieß sie weg, aber sie rannte hinter ihm her und heulte und bettelte.
Mikita kam in immer größere Aufregung.
– Weißt Du, was ich gemacht habe?
Ich ging an ihn heran, ich zog meinen Hut bis an die Erde und sagte ihm: Erlauben Sie, gnädiger Herr, daß ich Ihnen meine höchste Bewunderung ausspreche.
Ja, weißt Du – Mikita war in einem höchst beunruhigenden Maße aufgeregt ...
– Aber was fehlt Dir um Gotteswillen, Du bist ja krank ... was hast Du denn? Mikita unterbrach Falk heftig.
– Ich? krank? ... Bist Du verrückt? Na aber, siehst Du, das hatte der Mann doch gut gemacht! Nicht wahr? Unterjochen muß man das Weib, mit der Faust, mit der Peitsche ... Erzwingen, erzwingen muß man sich Liebe ...
Er stotterte und wurde plötzlich still.
Es trat eine peinliche Stille ein.
Falk wurde unruhig. Er ließ seine Augen abwechselnd von Mikita zu Isa schweifen. Aber im Grunde mußte er sich eingestehen, daß die Szene ihn freute. Schändlich!
Isa setzte sich plötzlich auf und sagte langsam:
– Du hättest an dieser Stelle sehr gut Nietzsche zitieren können: »Vergiß die Peitsche nicht, wenn Du zum Weibe gehst!« Sonst klingt das, was Du da sagtest, beinahe wie ein Plagiat.
Es lag etwas ungemein Wegwerfendes in ihrer Stimme.
Falk sah sie erstaunt an. War es ein Bruch? – mit Mikita? ... Dieser Haß ...
Mikita wachte auf und lachte plötzlich.
– Donnerwetter, das hat Nietzsche gut gesagt, ganz verteufelt gut ... Aber was ist Euch denn? ... Ihr wurdet ja ordentlich feierlich ... Ich bin ja auch ganz verrückt.
Er wurde sehr freundlich.
– Nimm mir nur nicht übel, daß ich so aufgeregt bin, aber ich glaube wirklich, daß ich ein Delirium habe – die ganze Nacht hab ich mit dem Kerl gekneipt ... Das bekommt mir nicht gut ... Mein Onkel starb an dem schönsten Deliriumexemplar, das überhaupt in einem menschlichen Gehirne aufwachsen kann. Sein Delirium war üppig wie eine Palme, wie eine große Palme, unter der man nicht ungestraft wandeln kann, wie unsere Geistesheroen zu singen pflegen.
Er ging herum und machte sich mit den Bildern zu schaffen.
Herrgott, was sind Bilder? Ein Mensch, der genug an sich und an der ganzen Welt hat, sollte eben daran genug haben und nicht klecksen ...
Also Bilder willst Du sehen ... na ja, da mußt Du eben morgen kommen, wenn Licht da ist ... Ja, Licht muß ich haben, Millionen Quadratmeilen Licht in jedem Auge, um das zu sehen, was kein Mensch sieht. Ja, kein Mensch ... was ich nicht gesehen habe ... was ich noch sehen muß, ja muß!...
So hatte Falk Mikita noch nie gesehen. Das war nicht normal ...
– Aber was ist Dir? Wozu spielst Du diese Komödie mit mir?
– Was mir ist? Was mir ist? Glücklich bin ich! Glücklich wie noch nie!
– Aber dann brauchst Du doch nicht zu schreien!
– Ja, zum Donnerwetter, ich muß schreien, denn manchmal bekommst Du einen lustigen Zug um den Mund, als ob Du mir nicht glaubtest ... Was, Isa? Sind wir nicht glücklich?!
Aber Isa hatte jetzt genug. Jetzt prostituiert er noch das ganze Verhältnis ... Nein, es war zu viel ...
Sie erhob sich, zog sich an, und ohne ein Wort zu sagen, ging sie aus dem Atelier.
Mikita sah ihr verständnislos nach.
Er war wie zerschmettert. Dann wandte er sich zu Falk um.
– Geh Du auch! Geh geh! Ich bin zu aufgeregt, ich muß allein bleiben ... Geh, geh! schrie er ihm zu.
Falk zuckte mit den Achseln und ging. Unten holte er Isa ein.
Als Mikita allein war, verriegelte er die Tür, blieb mitten im Atelier stehen und rannte plötzlich mit seinem Kopf gegen die Wand.
Der Schmerz ernüchterte ihn.
Ich werde also wirklich wahnsinnig.
Er taumelte auf das Sofa. Der Kopf schmerzte ihn. Plötzlich wurde es ihm schwarz vor den Augen, ein Schwindelgefühl erfaßte ihn.
Das war gräßlich! Er hatte das wehrlose Weib vergewaltigt, sie gegen ihren Willen genommen. Sie gab sich, weil sie sich geben mußte, aus Pflicht, aus ... aus ...
Und er schrie mit allen Kräften:
– Schwein Du!
Seine Unruhe wuchs über ihn hinaus. Er fühlte jede Fiber in sich zittern, eine wachsende Wut staute sich in seinem Innern; er hatte das Gefühl, daß er auseinandergehe, daß Alles in ihm ausgerenkt sei, und eine furchtbare Angst hatte ihn befallen.
Es steht schlimm mit Dir, es steht schlimm mit Dir, wiederholte er unablässig.
Er packte seine Brust mit beiden Händen.
Ein wehrloses Weib vergewaltigt, eins, das nur Ekel vor ihm empfand! Warum gab sie sich hin? Weil er sie darum bat? Weil – weil ... Herrgott! Sie gab sich aus Liebenswürdigkeit hin.
Und ein Gedanke schoß ihm durch sein Hirn: Jetzt gibt sie sich Falk hin, weil er sie darum bitten wird, weil sie ihn befriedigt sehen will, weil – weil ...
Er wieherte vor Lachen, wälzte sich auf der Chaiselongue und brach dann plötzlich in ein konvulsives Weinen aus.
Er hörte sich weinen.
Und wieder wuchs ihm die Unruhe brandend in sein Gehirn, er raffte sich auf, er mußte sie zurückholen, damit Falk sie ihm nicht nehme.
Mechanisch faßte er die Mütze, er riß die Tür auf, stürzte die Treppen hinunter, rannte die Straßen entlang, bis an ihr Haus, und dann hinein: jagend, zitternd ...
– Ist Fräulein Isa zu Hause?
– Nein!
Er blieb vor dem Hause stehen. Alles stürzte in ihm zusammen.
Er wollte gehen, aber die Füße wollten ihn nicht tragen.
Er würde sicher nicht einen Schritt tun können.
Was nun, was nun? wiederholte er mechanisch.
Er blieb stehen, konnte sich auf Nichts besinnen.
Dann las er über die Straße weg: Restaurant-Café ...
Aha! Café ... Ja, bis in das Café hinein – dann sitzen, nicht wahr?... Sitzen im Sofa, Café trinken ... Zeitungen lesen ...