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Achtes Kapitel

Ein Ball und eine Ohrfeige. Eine unerwartete Heirat. Dritte Heirat meines Vaters. Entführung. Sterbefälle.

Lange hatte meine Großmutter den Wunsch in sich genährt, das schöne Constanzchen Kleist mit ihrem ältesten Enkel Korff zu verheiraten. Constanzchen wußte viele Anbeter ihrer Reize um sich zu versammeln, aber niemand wünschte sie zur Gattin.

Nur der alte, reiche Starost Ropp warb um ihre Hand. Sie hatte es so einzuleiten gewußt, daß Großmutter und Eltern dieser Heirat entgegen waren; weil sie sich einen jungen schönen Mann wünschte und doch nicht unverheiratet bleiben wollte, so unterhielt sie im Stillen ein Verhältnis mit Ropp, ermahnte ihn zur Geduld, versprach, Großmutter und Eltern zur Einwilligung zu bewegen, und suchte indessen unter den reichen, jungen Leuten vergebens einen zu fesseln. Korff und ein Herr von Behr waren diejenigen, auf welche sich die Idee der Eltern, der Großmutter und der Schönen festsetzte. Doch beide hatten eine sehr unerwartete Wahl, an die niemand dachte, bei sich beschlossen. – Korff liebte und ward von der sanften Constanze Keyserlingk geliebt. Und Behr liebte im Stillen mich noch nicht elfjähriges Kind, ohne daß er sich dies merken ließ: nur brachten seine Bitten mich oft aus meinem entfernten Zimmer zum Tanz, bisweilen gar zu kleinen Spielen, und da wurde ich durch Behr immer mit in Gesellschaft gezogen, weil meine Großmutter und Tante Kleist Behr nichts abschlugen und er mich immer als Kind behandelte. Es wurde zu Korffs Ehren ein großer Ball bei meiner Großmutter gegeben, auf welchem das schöne Constanzchen Kleist als Königin des Festes reichlich geschmückt war.

Ich hatte den Schmerz, mit Louischen Keyserlingk, die nur ein Jahr jünger als ich – aber über einen Kopf kleiner war, gleich gekleidet zu sein. Ein weiß-atlassenes Flügelkleid, in dem Hals und Brust sehr entblößt waren, gab mir den Schmerz, mich noch unter die Kinder gezählt zu sehen, stand mir aber so wohl, daß meine Großmutter mit sichtlichem Wohlgefallen sagte: »Lottens Hals und Brust ist weißer, als ihr Kleid.« – Wir beiden jungen, gleichgekleideten Enkeltöchter mußten hinter dem Stuhle der Großmutter stehen, indessen alles fröhlich tanzte. Auf Bitte der Oberstin von der Recke erhielt ich die Erlaubnis, mitzutanzen, und Behr, welcher immer das schöne Constanzchen Kleist an Korff abzutreten schien, forderte mich nun oft zum Tanz auf. Ich hatte das Herz, ihn unvermerkt zu bitten, doch auch mit Louischen Keyserlingk zu tanzen, und versicherte dabei, daß sie nur ein Jahr jünger, als ich, sei und auch nicht mehr zu den Kindern gehöre. Behr lächelte, folgte meinem Winke und wurde von meiner Großmutter und beiden Tanten als Muster der Artigkeit gepriesen. Dies schmeichelte meinem Stolz. Aber bald erhielt dieser die Kränkung, mit Louischen Keyserlingk, noch ein paar jüngeren Mädchen, Niklas Keyserlingk und den drei Herren von Kleist zum entfernten Zimmer unter die Aufsicht der alten Matrone verwiesen zu werden. Mein junges, stolzes und eitles Herz fühlte sich gegen das schöne Constanzchen erbittert, denn deren Anmerkung, daß mir der Kopf ganz verdreht würde, hatte mich mitten im fröhlichen Tanze wieder aus dem Kreise der Erwachsenen verbannt.

In unserm Kinderkreise fing Fritz Kleist an zu triumphieren, daß seine Schwester Constanze nun die Wahl zwischen Korff und Behr habe und wir in kurzem Hochzeitsfeste sehen würden. In einem Augenblicke des Unmuts sagte ich: »Freilich ist Großschwester schöner noch geschmückt, als der Ochse, der vorgestern durch alle Straßen im Triumphe geführt wurde, aber ich glaube nicht, daß sich so viele Käufer, als beim Ochsen, finden werden. Es war die Art bei uns: wenn ein außerordentlich großer und schöner Ochse geschlachtet werden sollte, so wurde er mit Bändern und Blumen geschmückt und unter dem Schalle blasender Instrumente durch alle Straßen der Stadt geführt. (Anm. der Verf.) Korff aus Prekullen wird sich gewiß nicht melden. Großschwester kann froh sein, wenn Behr sie nimmt.« –

In voller Wut lief Kleist zu seiner Mutter, ihr meine boshafte Anmerkung zu hinterbringen. Diese kam wie eine Furie auf mich los, gab mir eine Maulschelle, fragte, wie ich zu der boshaften Anmerkung käme. – Ich sagte mit stolzer Bitterkeit, sie wisse, daß ich ein sehr dummes Kind sei, ich hätte nichts Beleidigendes sagen wollen; mir habe der Ochse mit Blumen geschmückt so gefallen, daß ich ihn nur meiner schön geputzten Kusine an die Seite setzen könnte. – Meine Tante erholte sich von ihrem ersten Zorn, zuckte die Achseln, sagte mit einem Seufzer: »Jawohl muß man Lottens Einfalt vieles zu gute halten. Und ich möchte nicht, daß meiner Schwestertochter Dummheit allgemein bekannt würde; schweigt also, liebe Kinder, über Lottens Albernheit, die einen solchen unsinnigen Vergleich machen kann. Aber wie bist du in Liebesgeschichten schon so erfahren, daß du wissen kannst, daß Korff aus Prekullen meine Tochter nicht werde heiraten?« – Ich sagte: »Zwei Hochzeiten sind mir lieber als eine; ich dachte, wenn Großschwester Herrn von Behr und mein Constanzchen Keyserlingk den Vetter Korff heiraten würde, da gäbe es denn viel zu tanzen – bald mit den Großen, bald mit Kindern wie heute.« Tante Kleist schien mit dieser Antwort zufrieden zu sein, aber mein guter Humor war fort. – Furcht vor dem andern Tag bemeisterte sich meiner und peinigte mich ebenso sehr als mein Unmut, nun für den ganzen Rest des Abends mit den Kindern in das letzte Zimmer verbannt zu sein.

Doch hatte ich diesen Abend noch einen Genuß; die Oberstin von der Recke kam in unser Zimmer, sah mich sehr liebreich an, streichelte meinen Hals, meine Arme, meine Wangen, küßte mich und sagte, daß sie auf ihre Güter reisen würde und wissen möchte, ob ich auch an sie denken werde. Ich küßte ihre Hand und sagte, daß ich sie sehr lieb hielte, Gott bitten wolle, daß sie meine Mutter werde, weil sie so gut sei. Sie fragte, woher ich es wisse, daß sie gut wäre. »Ja,« sagte ich, »Sie sind gut – denn bloß durch Ihre Vermittlung hat Großmama meinem lieben Onkel aus Nerft vergebens, Meine Großmutter hatte meinem Oheim nach seiner Heirat das Haus verboten, und nur die Vermittelung der Oberstin von der Recke versöhnte meine Großmutter mit Sohn und Schwiegertochter. (Anm. der Verf.) daß er die Tante geheiratet hat; und nun bekomme ich auch den guten Onkel zu sehen.« Die Witwe Recke fragte mich, ob ich es wollte, daß sie mich zu sich nehme und mich als ihr Kind erzöge. Ich küßte ihre Hand und sagte ihr ins Ohr, daß ich mich sehr glücklich fühlen würde, wenn ich bei ihr leben könnte, aber Großmama, die Tante Kleist und ihre Töchter müßten es nicht wissen, daß ich diesen Wunsch geäußert hätte. – Sie sagte mir wieder ins Ohr, mein Geheimnis sei in guten Händen, und sie würde meinen Wunsch nicht vergessen. Diese Versicherung gab mir fröhlichen Mut, und als ich des andern Morgens von meiner Großmutter wegen meiner ungezogenen Reden über das schöne Constanzchen gestraft wurde, so schwebte mir die fröhliche Aussicht meiner Erlösung durch eine neue Mutter vor der Seele, und ich ertrug meine Strafe mit einigem Trotze, gab sogar ein paar kecke Antworten, die mir neue Strafe zuzogen; wurde zu achttägigem Arrest verdammt und hatte in diesem Zwischenraume die Freude, die Nachricht zu erhalten, daß mein Vater mit der mir da schon sehr lieben Witwe von der Recke verheiratet worden sei.

Unterdessen hatte meine Bemerkung, daß Korff meine Kusine Keyserlingk heiraten würde, meine Großmutter aufmerksam gemacht, und sie sprach mit ihrem Enkel, äußerte ihm den Wunsch, ihr Alter dadurch zu beglücken, daß er ihre älteste Enkelin Constanze Kleist, heirate. Korff hatte den Mut, meiner Großmutter zu sagen, daß er sich freue, daß seine Großmutter ihn mit einer Enkelin verheiraten wolle. Constanzchen Keyserlingk sei die Wahl seines Herzens, seine Mutter und Großmutter mütterlicher Seite wünschten diese Heirat, und nun fehle zu seinem Glücke nichts, als daß auch sie ihren Segen gäbe, denn er glaubte, des Herzens seiner Constanze gewiß zu sein. Nach einigen unangenehmen Erklärungen wurde diese Heirat beschlossen, schnell und in der Stille vollzogen. Tante Kleist konnte unter scheinheiligen Glückwünschen ihren Unwillen nicht verbergen. Tante Keyserlingk fühlte sich glücklich, ihren Liebling so wohl versorgt zu sehen. Meine Großmutter hoffte nun auf Herrn von Behr; dieser entfernte sich von der Stadt und sagte, als man ihn zur Heirat mit dem schönen Constanzchen ermunterte, sein Vater habe andere Absichten mit ihm, und Constanzchen, die nun alle ihre Hoffnungen scheitern sah, faßte den Entschluß, mit ihrem alten, reichen Liebhaber zu entfliehen. Meine Wärterin war die Vertraute dieser Flucht; diese vertraute mir das bevorstehende Glück des Hauses an, daß wir bald einen Teufel los sein würden; ich möchte nur fleißig beten, daß Gott die Flucht befördere. – Fast die ganze Dienerschaft meiner Großmutter wußte die bevorstehende Entführung. Jeder hielt sie geheim, und als das allgemein verhaßte Constanzchen schon einige Stunden weit mit dem alten Liebhaber entflohen war, da erst wurde meine Großmutter aus ihrem Schlafe mit der Nachricht erweckt, man fürchte, das gnädige Fräulein habe sich von Starost Ropp entführen lassen. Ein ärgerer Auftritt, als der bei der Heirat meines Oheims aus Nerft erfolgte, und das sonst so geliebte Constanzchen war nun im Bann. Die Familienfreude war allgemein, denn Tante Kleist und ihre Kinder wurden von allen gehaßt; aber in Zeit von drei Monaten erlitt meine gute Tante Keyserlingk Verluste, die Fremde und Verwandte zur innigsten Teilnahme reizten.

Ihr hoffnungsvoller Sohn Niklas Keyserlingk wurde durch seinen Lehrer wegen eines kleinen Fehlers gefuchtelt; der Lehrer schlug seinen Zögling so unvorsichtig, daß er in vierundzwanzig Stunden an Kopfschmerzen starb. Das schöne, liebliche Louischen wurde, weil sie krumm stand, von ihrer Gouvernante von sich gestoßen; sie fiel rückwärts auf die Spitze eines Ofens, bekam eine Wunde am Kopfe und war in zwölf Stunden tot. Kaum war der hoffnungsvolle Sohn zu Grabe getragen, so weinte die trostlose Mutter an der Leiche der geliebten Tochter. Alle ihre Hoffnungen, ihr bester Trost war nun der, daß die glücklich verheiratete Tochter bald Mutterfreude genießen würde. Aber auch diese Hoffnung verwandelte sich in Tränen! Denn das seelengute Constanzchen starb in bittern Mutterwehen, nachdem sie acht Tage gelitten hatte, ohne dem geliebten Gatten und den trostlosen Eltern ein Kind hinterlassen zu können; denn das Kind ging mit der sanften Dulderin zu Grabe. Meine Großmutter ertrug diese Sterbefälle mit ihrem gewohnten, festen Sinne. Meine Tante litt mit Ergebung, aber ihre Gesundheit welkte hin, und sie lebte nur für den jüngsten Sohn.


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