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Was stehst du an dem Fensterrand?
Was fügst du trauernd Hand in Hand,
Und siehst, das Haupt so tief gebückt,
Mit nassem Aug' die Nelken an? –
Und hast dich heute so geschmückt,
Dein goldnes Kettlein angethan,
Und schlägst den Schleier um das Haar,
Und schlingst den Gürtel silberklar
Um's himmelblaue Sonntagskleid! –
O Amaranth! Mach' dir kein Leid!
Stell's Gott anheim, wie's gehen mag!
Hörst du vom Kloster das Geläut'?
Es kündet dir den Feiertag!
Hast gestern so dich drauf gefreut,
Und nun das heilige Mal so nah'
Stehlt säumend du in Thränen da?
Da hat der letzte Schlag verhallt,
Und leis sie aus der Kammer wallt,
Und schleicht zur Treppe mit Bedacht,
Daß ja bei ihres Trittes Laut
Der theure Vater nicht erwacht;
Es hat ja kaum der Tag gegraut.
Und aus dem schlummerstillen Haus,
Vom Traum von Seligkeit und Qual
Im müden Aug' den letzten Strahl,
Tritt sie zum dunkeln Wald hinaus.
O sel'ger Gang, am Feiertag
Zu wandeln durch die Waldesnacht,
Durch hoher Eichen Kronenpracht,
Durch saft'ger Buchen duft'gen Schlag,
Durch Wiesengründe, bronnenfrisch,
An junger Erlen schlankem Hag,
Zu wandeln zu des Herren Tisch!
Noch überall ist tiefe Ruh',
Die Himmelsaugen blicken matt,
Und fallen mählig brechend zu.
Es schläft im Wald noch jedes Blatt,
Und jeder Stamm, und jeder Stein,
Die Vöglein all' in Busch und Baum,
Die Blümlein all am Born und Rain.
Da ganz zuerst am Waldessaum,
Von Amaranthens Tritt geweckt,
Der Schlehdorn aus dem Traume schreckt;
Wie der sich frisch den letzten Schlaf
Vom thaubeperlten Haupt geschüttelt,
Das Amselnest ein Beerlein traf;
Und nebendran, vom Wind gerüttelt,
Der Erlen loses Volk erwacht;
Die haben kaum mit knapper Müh'
Die grünen Aeuglein aufgemacht,
So necken sie in aller Früh'
Auch schon den alten Tannenbaum,
Und kichern, wie im Schlaf er nickt,
Und zupfen ihn am Kleidessaum.
Doch wie er gram auch niederblickt,
Halb noch im Schlafe mürrisch zankt,
Sie halten scherzend ihn umrankt;
Da muß er endlich doch erwachen –
Was will er mit der Jugend machen?
Dieweil hat sich vom kleinen Schrecken
Die Amsel munter aufgerafft;
Zuerst hört's aus der Nachbarschaft
Die Drossel in den Brombeerstecken,
Und sagt viellieben guten Morgen
Der Haidelerch' im Gras geborgen;
Die hat die Wörtchen kaum gehört,
Hat sie zum Flug sich angeschickt,
Muß ja den Morgenstern noch grüßen.
Von ihrem Fittig aufgestört
Das Häslein aus dem Kraute blickt,
Und springt heraus mit flinken Füßen.
Es pickt der Specht die Fichte munter;
Eichhörnchen stutzt, und klettert schnell
Vom Wipfelnest in's Gras herunter,
Und wäscht mit Thau die Aeuglein hell.
Jetzt endlich gar der Guckguck schreit,
Zum Wachen ist's die höchste Zeit!
Ein jeder Baum sagt es dem andern;
Das wird zu Brüdern und zu Schwestern
Von nah' und fern aus allen Nestern
Ein grüßendes, geschäftig Wandern!
Das wird aus Dorn und Laubeshang
Ein tausendfältig süßes Locken!
Drein wogen leis, wie Alphornklang,
Vom Thal herauf die Sonntagsglocken.
Und Amaranth? – Wo sie wohl geht?
Im Fichtengange tief sie steht,
Und schauet bleich, das Herze schwer,
Gleich einer Seherin umher.
Natur! Dein tiefstes Herz sie sieht!
Sie spürt es, wie beim Glockentone
Geheim ein Schauer dich durchzieht!
Sie ahnt vom Vater, Geist und Sohne,
Der, ewig Einer in der Dreiheit,
Dich schuf in gnadenvoller Freiheit,
Als seines Glanzes Widerschein,
Durchhaucht dein innersttiefes Sein!
Doch ach! Wie sie der Himmel auch
Mit Macht zu sich hinauf will heben,
Zu schwach ist seines Wehens Hauch,
Die Erde bleibt am Fuß ihr kleben,
Und Erd' und Himmel um sie streiten.
Bald ist ihr Gott allein ihr nah'
Mit seinen tiefsten Seligkeiten;
Bald hat die Erde sie umschlungen,
Und ruft ihr jauchzend: »Er ist da!«
Und kaum es ganz ihr Herz durchklungen,
Sieht sie ringsum im Waldesschlag
Die Wipfel ernst sich zu ihr neigen,
Und mahnend weht's aus Busch und Zweigen:
»Denk an den Herrn! 'S ist Feiertag! –«
Und doch! Je heißer sie sich müht,
Daß auf den Herrn allein sie sinne,
Nur um so voller, frischer blüht,
Wie Eichenreis im Maienregen,
Ihr um das Herz die erste Minne,
Daß fast es stockt in seinen Schlägen.
Und tief vom innern Streit durchglüht
Sie hastig bergesan sich müht,
Durch niedrer Büsche rauh Geranke;
Und wie sie droben von der Halde
Herniedersieht zum Klosterwalde,
Da kömmt ihr plötzlich der Gedanke:
Ein Herz, darin vor'm heil'gen Gang
So tiefe Lieb' zum Menschen wohne,
Es sei kein würdig Haus dem Sohne,
Und trauernd lehnt am Felsenhang
Zur Föhre sie das Haupt, und weint.
Aus dunkler Bucht zu ihr herauf
Des Klosters weiße Mauer scheint;
Grün hat den Thurm bis hoch zum Knauf
Des Epheu's reiches Blatt umsponnen;
Vor dem Portal rinnt klar der Bronnen;
Hell aus des Gärtleins niedrer Planke
Strahlt von dem Kreuz der Heiland erzen –
So ruht im dunkeln Menschenherzen
Ein heitrer, gläubiger Gedanke.
O Amaranth! Wie's Kirchlein winkt!
O steig' in's Thal, und zaudre nicht!
Siehst du, wie hell vom Kerzenlicht
Das Fenster durch die Lauben blinkt?
Und ruft dich nicht durch's Tannenrauschen
Der Orgel voller, klarer Mund?
Still wird die Höhe, still der Grund,
Die heil'ge Stimme zu belauschen,
Still jeder Wipfel, jeder Strauch,
Und Amaranth, wird stiller auch.
Es läßt ihr Haupt die finstre Föhre;
Wie unsichtbare, mächt'ge Hände
Ziehn sie der Orgel süße Chöre
Hinab in die geweihten Wände,
Und eilig steigt sie von der Halde
Den jähen Steg zur grünen Bucht.
Schon steht sie tief im Klosterwalde;
In hast'gem Drang den Pfad sie sucht,
Der schmal durch's wilde Gras gewunden;
Zur Treppe jetzt erschöpft sie tritt,
Und wandelnd in gehobnem Schritt
Ist im Portale sie entschwunden.
Drin kniet sie in der Nonnen Kreis,
Ein Röslein unter Lilien weiß.
Und wie sie eine Zeit gefleht,
Sie still zum Seitengange geht,
Vom Geist der Demuth bang durchzittert,
Und kniet zum Stuhle, drin vergittert
Ein hoher Greis das Ohr ihr neigt.
Dieweilen aus der Sakristei
Mit den geheimnisvollen Gaben
Ein Jüngling zum Altare steigt,
Das Auge klar, die Stirne frei,
Voran zwei blühend schöne Knaben.
Zur Orgel singen hell die Nonnen,
Die heil'ge Messe hat begonnen.
O du Geheimniß wunderbar!
Zum Golgatha wird der Altar,
Drauf nie versinkt der Kreuzesstamm.
Dran bringst, als ewig blutend Lamm,
Verkläret auf des Vaters Thron,
Ein Hoherpriester du dich dar,
Du ewiglich barmherz'ger Sohn,
Der immer bei dem Vater war!
Und trägst den Preis der neunten Stunde
Alltäglich aus der Ewigkeit
An tausend Orten in die Zeit,
Zum immer neuen Sühnebunde.
Denn ach! Viel Tausend der Getauften,
Der Gnade durch dein Blut Erkauften
Der Lästrung Dorn um's Haupt dir flechten,
Mit Stricken deine Lehre knechten,
Und reichen dir am Rohr den Schwamm,
Den sie getränkt mit bitterm Spott,
Und schauen frech zum Kreuzesstamm,
Und höhnen dich: Seht her, ein Gott!
Und stoßen dir den Speer in's Herz.
Dich aber läßt darob der Schmerz
Bis an den letzten Tag nicht ruhn,
Und ewiglich fleht deine Lieb'
Für sie zum Vater: »Herr, vergieb!
Sie wissen nicht, was sie mir thun!« – –
Die Orgel schweigt, der Chor verhallt.
Wer ist's, der jetzt aus dem Portal
Die Stufen dort herniederwallt?
Es webt sein Gold der Sonnenstrahl
In ihres Schleiers Silberfaden.
O heil'ger Christusfrieden du!
Wen hast du schöner je geschmückt
Mit deinem Lächeln von der Gnaden?
Sie trägt das Haupt in freier Ruh',
Die Hände über's Herz gedrückt;
Und o! Im klaren Antlitz blüht
Vielsüßer Minne Frühlingsaue,
Drob aus des Auges Seligkeit
Der heitre Stern des Glaubens glüht.
O Amaranth! Du hohe Fraue!
Wer war der Held in deinem Streit?
Sieh'! langsam kömmt am Waldessaum
Sie durch die Wiese jetzt gegangen.
Was bleibt am alten Eichenbaum
So inniglich ihr Auge hangen?
Von duft'gen Schossen ganz verzweigt
Blickt draus des Heilands Bild hervor;
Und in das Moos das Knie sie neigt,
Und streckt zu ihm die Hand empor.
Zum Bild von Holz das Aug' sie hebt,
Ihr Herz zu Ihm im Himmel schwebt:
»Als armes Kind ich niedersank,
Voll Leid und Streit, zur heil'gen Bank.
Wie stand ich auf so stark und reich!
Wer ist dir an Erbarmen gleich?«
»Mit ihrem Grün die Waldesau,
Mit ihrem Duft, und Lied und Thau,
Wie ist sie arm gen meine Zier!
Du Heiland selber wohnst in mir!«
»Und o! An den nun nimmermehr
Ich denken wollt', zu deiner Ehr',
Du hast ihn liebend mir gewährt!
Er lebt in mir durch dich verklärt!«
»Und kömmt durch ihn mir Seligkeit,
Ich nehm' sie hin von dir geweiht;
Und soll durch ihn mir Leid geschehn,
Mit dir ist gut in Trauer gehn.«
»Wie schlägt mein Herz nun doch so still!
Nun nimmermehr ich bangen will.
Du nahmst uns auf in deine Hut!
Wie du es willst, so ist mir gut!«