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Sechzehntes Kapitel.

Wunder.

Nach der Anschauung der Zeitgenossen Jesu konnten nur zwei Beweismittel: die Wunder und die Erfüllung der Verheißungen, eine übernatürliche Mission bestätigen. Jesus und besonders seine Jünger brachten diese beiden Beweismittel im vollkommen guten Glauben an. Seit langem schon war Jesus überzeugt, daß die Propheten nur in Bezug auf ihn geschrieben hätten. Sich fand er in ihren heiligen Orakeln wieder, sich betrachte er als den Spiegel, in dem der prophetische Geist Israels die Zukunft gelesen hätte. Die christliche Schule versuchte zu beweisen – vielleicht schon bei Lebzeiten des Stifters – daß Jesus in allem dem entspräche, was die Propheten vom Messias verkündet hatten. (Z. b. Matth. I, 22; II, 5, 6, 15, 18; IV, 15.) In vielen Fällen war der Vergleich nur äußerlich und ist uns kaum erklärlich. Am häufigsten waren es zufällige und unbedeutende Einzelheiten im Leben des Meisters, die die Jünger an gewisse Stellen der Psalmen und der Propheten erinnerten, und in denen ihr Vorurteil ihnen sein Vorbild zeigte. (Matth. I, 23; IV, 6, 14; XXVI, 31, 54, 56; XXVII, 9, 35; Mark. XIV, 27, XV, 28; Joh. XII, 14, 15; XVIII, 9; XIX, 19, 24, 28, 36.) Die Exegese jener Zeit bestand fast nur aus Wortspielen, Citaten, die gekünstelt und willkürlich angewendet wurden. Die Synagoge hatte kein bestimmtes Verzeichnis der Stellen, die sich auf das künftige Reich bezogen.

Mirakel aber galten in jener Zeit als das unerläßliche Merkmal des Göttlichen und als Zeichen prophetischen Berufs. Die Legende von Elias und Elisa waren voll davon. Es wurde angenommen, daß auch der Messias viele Wunder wirken würde. (Joh. VII, 34; 4. Esra XIII, 50.) Einige Stunden nur von Jesu entfernt, in Samarien, schuf sich ein Zauberer, Namens Simon, durch seine Wunder eine fast göttliche Rolle. Als man später den Ruf des Appolonius von Tyana begründen wollte und beweisen, daß sein Leben die Reise eines Gottes auf Erden gewesen sei, glaubte man dies nicht anders vollbringen zu können, als in dem man für ihn einen großen Kreis von Wundern erfand (s. seine Biographie von Philostratus). Auch die alexandrinischen Philosophen, Plotin und die andern, sollen Wunder vollbracht haben. S. die Lebensbeschreibungen der Sophisten von Eunap, das Leben Plotins von Porphyr, das Leben Proclus von Marinus, das Leben Isidors angeb. von Damascius. Jesus mußte also zwischen den zwei Entschlüssen wählen: entweder auf seine Mission verzichten, oder Wunderthäter werden. Man darf nicht außer Acht lassen, daß das ganze Altertum – die großen wissenschaftlichen Schulen Griechenlands und ihre römischen Adepten ausgenommen – das Wunder gelten ließen; ferner, daß Jesus nicht nur daran glaubte, sondern auch keine Ahnung von einer, durch das Gesetz geregelte Naturordnung hatte. Sein Wissen war in dieser Beziehung dem seiner Zeitgenossen keineswegs überlegen. Mehr noch! eine seiner am tiefsten wurzelnden Ansichten war, daß der Mensch mit Glauben und Gebet alle Macht über die Natur habe. (Matth. XVII, 19; XXI, 21, 22; Mark. XI, 23, 24.) Die Fähigkeit, Wunder zu wirken, galt für eine ganz natürliche, von Gott verliehene Gabe, die nichts Überraschendes an sich hatte. (Matth. IX, 8.)

Das was des großen Stifters Macht bildete, hat nun der Unterschied der Zeiten für uns in etwas Anstößiges verwandelt; und wenn jemals der Kultus Jesu in der Menschheit sich verringern sollte, so wird es gerade deswegen erfolgen, was an ihn glauben gemacht hat. Die Kritik stößt bei derartigen geschichtlichen Erscheinungen auf gar keine Schwierigkeiten. Ein Wunderthäter von heute – wenigstens wenn er eine übergroße Naivität besitzt, wie dies in Deutschland bei gewissen Personen mit Wundmalen der Fall war – ist etwas Widerwärtiges, denn er thut Wunder ohne daran zu glauben, er ist ein Charlatan. Nehmen wir aber einen Franz von Assisi in Betracht, so verhält sich die Sache ganz anders. Der Wunderkreis von der Entstehung des Ordens des heiligen Franciscus ist weit entfernt, uns anstößig zu sein, im Gegenteil, er bereitet uns ein wahres Vergnügen. Die Stifter des Christentums befanden sich mindestens in einem ebenso vollständigen Zustand poetischer Unwissenheit, wie die heilige Klara und die tres socii. Sie fanden es ganz natürlich, daß ihr Meister Unterredungen mit Moses und Elias hatte, daß er den Elementen gebot, daß er Kranke heilte. Auch darf nicht vergessen werden, daß jeder Gedanke etwas von seiner Reinheit verliert, sobald er sich zu verwirklichen strebt. Es giebt keinen Erfolg, ohne daß die Zartheit der Seele dabei verletzt wird. So groß ist die Schwäche des Menschengeistes, daß die beste Sache gewöhnlich nur durch schlechte Gründe gewonnen wird. Die Beweisführungen der ersten Apologisten des Christentums beruhen auf recht armseligen Argumenten. Moses, Mohammed, Kolumbus haben nur dadurch die Hindernisse überwunden, daß sie stets der Menschen Schwäche berücksichtigten und nicht immer die wahren Gründe der Wahrheit angaben. Wahrscheinlich machte auf die Umgebung Jesu seine Wunder einen tieferen Eindruck als seine so hehren Predigten. Nehmen wir noch an, daß der Volksmund derartige Geschehnisse vor und nach Jesu Tod gewaltig übertrieben hat. Die Typen der in den Evangelien erzählten Wunder zeigen tatsächlich keine große Mannigfaltigkeit; sie wiederholen sich und scheinen nach einer geringen Zahl, dem Geschmack des Landes angepaßten Muster gemacht zu sein.

Es ist nicht möglich, unter den Wunderberichten, deren ermüdende Aufzählung die Evangelien enthalten, diejenigen Wunder, welche Jesu von der öffentlichen Meinung nur zugesprochen werden, von jenen zu sondern, bei denen er wirklich irgendwie thätig war. Besonders ist es uns nicht möglich zu wissen, ob die unangenehmen Einzelheiten, wie das Zusammenschauern und anderer dem Gaukelspiel gleichenden Züge historisch sind, oder nur die Frucht des Glaubens der Erzähler, die sich sehr mit Geisterseherei beschäftigten und in dieser Beziehung in einer der Klopfgeisterei unserer Tage ähnlichen Welt lebten. Luk. VIII, 45, 46; Joh. XI, 33, 38. – Apostelg. II, 2, IV, 31; VIII, 15; X, 44. Fast ein Jahrhundert lang träumten die Apostel und ihre Schüler nur von Wundern, s. Apostelg., die Schriften St. Pauls, die Auszüge Papias, bei Eusebius Hist. eccl. III, 39. – Vgl. Mark. III, 15; XVI, 17, 18, 20. Fast alle Wunder, die Jesus zu vollführen wähnte, scheinen Heilungen gewesen zu sein. Die Heilkunst war damals in Judäa was sie noch heute ist: keineswegs wissenschaftlich betrieben, sondern ganz der persönlichen Inspiration überlassen. Die seit fünf Jahrhunderten durch Griechenland begründete wissenschaftliche Heilkunde war zu Jesu Zeit den Juden Palästinas unbekannt. Unter solchen Umständen ist die Anwesenheit eines bedeutenden Mannes, der mit dem Kranken liebevoll verfährt und ihn durch einige sichtbare Zeichen seine Genesung versichert, oft ein wirkungsvolles Heilmittel. Wer wagt, zu behaupten, daß nicht in vielen Fällen – von recht charakteristischen Verletzungen abgesehen – die Berührung einer ausgezeichneten Person den Hilfsquellen der Pharmacie gleichkomme? Die Freude sie zu sehen heilt. Sie giebt, was sie kann: ein Lächeln, eine Hoffnung und das ist nicht vergebens.

Jesus hatte ebensowenig wie seine Landsleute einen Begriff von rationeller medizinischer Wissenschaft; wie jedermann glaubte auch er, daß durch religiöse Ausübungen die Heilung eintreten müsse, und ein solcher Glaube war auch ganz konsequent. Dort wo die Krankheit als Strafe der Sünde galt (Joh. V, 14; IX, 1, 34), als Wirkung des Dämons (Matth. IX, 32, 33; XII, 22; Luk. XIII, 2) und nicht als Resultat einer physischen Ursache, war der beste Arzt der Heilige, der Macht über das Übernatürliche hatte. Die Heilung wurde als etwas Geistiges betrachtet; Jesus, der seine geistige Kraft fühlte, mußte sich dafür besonders begabt halten. Überzeugt, daß das Auflegen seiner Hände, die Berührung seines Kleides (Luk. IV, 40; VIII, 45, 46) den Kranken wohl that, wäre er hart gewesen, wenn er den Leidenden eine Linderung versagt hätte, deren Gewährung in seiner Macht war. Die Heilung der Kranken wurde auch als ein Zeichen des Reiches Gottes betrachtet und stets mit der Emanzipation der Armen verbunden. (Matth. XI, 5; XV, 30, 31; Luk. IX, 1, 2, 6.) Beide waren Kennzeichen der großen Revolution, die alle Übel fortfegen sollte.

Eine Art Heilung, die Jesus am häufigsten ausführt, ist der Exorcismus, oder die Teufelaustreibung. Man war damals merkwürdig leicht zum Glauben an böse Geister geneigt. Allgemein herrschte die Meinung – nicht nur in Judäa, sondern in der ganzen Welt – daß die Dämone sich des Körpers gewisser Personen bemächtigen und sie gegen ihren Willen zu thun nötigen. Ein persischer Div, der öfter in der Avesta erwähnt wird ( Vendidad XI, 26; Yaçna X, 18.), der »Div böser Begierden«, von den Juden unter dem Namen Asmodei angenommen (Tob. III, 8; VI, 14; Talm. v. Bab. Gittin 68 a), galt als Urheber aller hysterischen Störungen bei Frauen. Vergl. Mark. XVI, 9; Luk. VIII, 2; Evang. der Kindheit 16, 33; Syrischer Codex in Anecd. syrica von Land. I, 152. Epilepsie, Geistes- und Nervenkrankheiten, wo der Erkrankte nicht mehr sich selbst anzugehören scheint, Jos. Bell. jud. VII, VI, 3; Lucian, Philops. 16; Philostr.. Vita Apoll. III, 38; IV, 20; Aratäus, De causis morb. chron. I, 4. Gebrechen, deren Ursachen nicht ersichtlich sind, wie Taubheit, Stummheit Matth. IX, 33; XII, 22; Mark. IX, 16, 24; Luk. XI, 14. – sie alle wurden in derselben Art und Weise erklärt. Die bewundernswerte Abhandlung von Hippokrates »Über die heilige Krankheit«, die viereinhalb Jahrhunderte vor Jesu die wahren Grundzüge der Heilkunde in dieser Beziehung vorzeichnete, hatte einen derartigen Irrtum nicht aus der Welt geschafft. Man nahm an, es gäbe mehr oder minder wirksame Praktiken, um die bösen Geister auszutreiben. Der Stand eines Teufelbanners war ein regelrechtes Gewerbe, wie der eines Arztes. Tob. VIII, 2, 3; Matth. XII, 27; Mark. IX, 38; Apostelg. XIX, 13; Joseph. Ant. VIII, II, 5; Justin, Dial. cum. Tyrph. 85, Lucian, Epigr. XXIII. Es ist zweifellos, daß Jesus schon bei Lebzeiten in dem Rufe stand, die Geheimnisse dieser Kunst zu besitzen. (Matth. XVII, 20; Mark. IX, 24.) Es gab damals in Judäa viel Verrückte, sicherlich zufolge der großen Exaltation der Geister. Diese Verrückten ließ man frei umhergehen, wie das in jener Gegend noch heute geschieht; sie wohnten in Höhlen verlassener Gräber, die gewöhnliche Zuflucht der Vagabunden. Jesus übte auf diese Unglücklichen einen großen Einfluß aus. (Matth. VIII, 28; IX, 34; XII, 43; XVII, 14, 20; Mark. V, 1; Luk. VIII, 27.) Man erzählte sich hinsichtlich seiner Heilungen die seltsamsten Geschichten, in welchen der ganzen Leichtgläubigkeit jener Zeit freien Lauf gelassen wurde. Doch hier darf man die Schwierigkeiten nicht noch übertreiben. Die als Besessenheit hingestellten Störungen waren oft leichter Art. Heute noch hält man in Syrien für verrückt oder besessen – diese beiden Begriffe bilden ein »Medschnun« Die Worte » Daemonium habes« (Matth. XI, 18; Luk. VII, 33; Joh. VII, 20; VIII, 48; X, 20) müssen übersetzt werden: »Du bist blöde, verrückt«, so wie man im Arabischen sagt: Medschnun ente. Das Zeitwort ζαιμονάν hatte auch in der ganzen klassischen Zeit dieselbe Bedeutung. – Leute, die irgendeine Absonderlichkeit besitzen. Ein sanftes Wort genügt oft, um den Dämon zu vertreiben. Das war auch sicherlich das von Jesu angewandte Mittel. Wer weiß, ob nicht sein Ruf als Exorzist fast gegen seinen Willen sich verbreitete? Personen, die im Orient leben, finden oft zu ihrer Überraschung, daß sie nach Verlauf einiger Zeit den Ruf als Arzt, Zauberer, Schatzgräber gewonnen haben, ohne daß sie wüßten, welche Thatsachen zu diesen seltsamen Vorstellungen Anlaß geboten hätten.

Manche Umstände weisen auch darauf hin, daß Jesus erst spät und mit Widerwillen zum Wunderthäter wurde. Oft verrichtete er seine Wunder erst nach langem Bitten, mit einer gewissen Übellaune und nachdem er den Bittstellern die Rohheit ihres Geistes zum Vorwurf gemacht hat. (Matth. XII, 39; XVI, 4; XVII, 16; Mark. VIII, 17; IX, 18; Luk. IX, 41.) Eine scheinbar unerklärliche Sonderbarkeit ist es jedoch, daß er seine Wunderthaten im Verborgenen ausübte und den Geheilten empfiehlt, keine Mitteilung davon zu machen. (Matth. VIII, 4; IX, 30, 31; XII, 16; Mark. I, 44; VII, 24; VIII, 26.) Wenn die Dämonen ihn als Gottessohn anrufen wollten, so verbat er ihnen den Mund zu öffnen; wider seinen Willen erkennen sie ihn an. (Mark. I, 24, 25, 34; III, 12; Luk. IV, 41.) Diese Züge sind besonders bei Markus charakteristisch, der vorzugsweise der Evangelist der Wunder und Teufelsaustreibungen ist. Es will scheinen, daß der Jünger, der die ursprünglichen Mitteilungen dieses Evangeliums lieferte, Jesu mit seinem Bestaunen der Wunder lästig wurde und daß der Meister, unwillig über einen ihm unangenehmen Ruf, oft zu ihm sagte: »Sprich nicht davon.« Einmal trat diese Mißstimmung schärfer hervor (Matth. XVII, 16; Mark. IX, 18; Luk. IX, 41), was die Pein erkennen läßt, welche die fortwährenden Forderungen schwacher Geister ihm bereitet hatten. Manchmal ließe sich auch annehmen, er sei des Wunderthuns überdrüssig und wolle den Wundern, die sozusagen unter seinen Füßen geschehen, so wenig wie möglich verlautbaren lassen. Verlangten seine Feinde ein Wunder von ihm, besonders ein himmlisches Wunder, eine freie Erscheinung, so verweigerte er es entschieden. (Matth. XII, 38; XVI, 1; Mark. VIII, 11.) Es läßt sich daher annehmen, daß ihm der Ruf als Wunderthäter aufgedrungen wurde, daß er zwar keinen großen Widerstand leistete, aber auch nichts that, um dieses Bestreben zu unterstützen, und daß er jedenfalls die Eitelkeit der öffentlichen Meinung bezüglich dessen gefühlt hat.

Es hieße die rechte geschichtliche Methode verkennen, wollten wir hier zu sehr unser eigenes Widerstreben in Betracht ziehen und – um uns den gegen Jesu Charakter versuchten Einwänden zu entziehen – Thatsachen verschwiegen, die in den Augen seiner Zeitgenossen im Vordergrund standen. (Joseph, Ant. XVIII, III, 3.) Es ließe sich bequem behaupten, das wären nur Zusätze seiner Jünger, die tief unter ihrem Meister standen, die jedoch, da sie seine wahre Größe nicht zu erkennen vermochten, durch Gaukeleien, die seiner unwürdig waren, ihn zu erhöhen versuchten. Allein alle vier Biographen sind einstimmig darin, daß sie seine Wunderthaten preisen. Einer von ihnen, Markus, Dolmetscher des Apostels Petrus, legt solches Gewicht darauf, daß man, wollte man Christi Charakter einzig nach seiner Darstellung schildern, sich ihn als Teufelsbeschwörer voll höchst wirksamer Anziehungskraft vorstellen müßte, als einen mächtigen Zauberer, der Furcht erweckt und den man gern fern von sich hält. Mark. IV, 40; V, 15, 17, 33, 36; VI, 50; X, 32. – Vergl. Matth. VIII, 27, 34; IX, 8; XIV, 27; XVII, 6, 7; XXVIII, 5, 10; Luk. IV, 36; V, 17; VIII, 25, 35, 37; IX, 34. Das apokryphische sogenannte Evang. Thomas des Israeliten, übertreibt diesen Umstand bis zur widerwärtigen Absurdität. Vergl. »Wunder der Kindheit« bei Thilo, Cod. apocr. N. T. pag., CX. Anmerk. Wir wollen also ohne weiteres zugeben, daß Handlungen, die jetzt für Betrug oder Tollheit gelten würden, im Leben Jesu eine wichtige Rolle eingenommen haben. Darf man aber dieser unangenehmen Seite, die hehre Seite seines Lebens zum Opfer bringen? Hüten wir uns davor! Ein einfacher Zauberer von der Art des Magikers Simon hätte keine solche Revolution hervorbringen können, wie dies Jesus that. Hätte in Jesu der Wunderthäter den Moralisten und religiösen Neuerer verdrängt, so wäre aus ihm eine Schule der Geisterseherei hervorgegangen und nicht das Christentum.

Das Problem ist übrigens für alle Heiligen und Religionsstifter dasselbe. Was heutigestags als Krankheit betrachtet wird, z. B. Epilepsie, Hellseherei ec., das galt einst als Prinzip der Kraft und Größe. Die Heilkunde kennt die Krankheit, die Mohammeds Glück gemacht hat ( Hysteria muscularis Schönleins). Fast bis zu unseren Tagen sind alle Menschen, die für das Wohl ihrer Mitmenschen das Meiste geleistet haben – auch der treffliche Vinzenz de Paula – mögen sie nun gewollt haben oder nicht, Wunderthäter gewesen. Vom Grundsatz ausgehend, daß jede historische Persönlichkeit, der Handlungen zugeschrieben werden, die wir im neunzehnten Jahrhundert als thöricht oder schwindlerisch betrachten, ein Narr oder ein Schwindler gewesen sei, wird jede Kritik schief. Die alexandrinische Schule war eine edle Schule und dennoch übte sie eine extravagante Geisterseherei. Sokrates und Pascal hatten Hallucinationen. Thatsachen müssen eben durch entsprechende Ursachen erklärt werden. Die Schwächen des menschlichen Geistes erzeugen nur Schwäche. Große Dinge haben immer große Ursachen in der Natur des Menschen, mögen sie oft auch von Kleinigkeit begleitet erscheinen, die für oberflächliche Geister jene Größe verdunkeln.

Im allgemeinen läßt sich also behaupten, Jesus sei Wunderthäter und Teufelsbeschwörer wider Willen gewesen. Das Wunder ist gewöhnlich vielmehr ein Werk des Publikums, als desjenigen, den man es zuspricht. Angenommen, Jesus hätte sich entschieden geweigert, Wunder zu wirken, so würde die Menge statt seiner solche geschaffen haben; und das größte Wunder wäre das gewesen, daß er keine vollbracht hätte. Die Gesetze der Geschichte und Völkerpsychologie hätten eine stärkere Einbuße erlitten. Die Wunder Jesu waren eine Gewaltthat, die seine Zeit gegen ihn verübt hatte, eine Nachgiebigkeit, die ihm die vorüberziehende Notwendigkeit entrissen hatte. Auch ist der Teufelsbeschwörer, der Wunderthäter gefallen, doch der Religionserneurer wird ewig leben.

Selbst auf jene, die nicht an ihn glaubten, übten diese Handlungen einen Eindruck aus; sie strebten Zeugen dessen zu sein. (Matth. XIV, 1; Mark. VI, 14; Luk. IX, 7; XXIII, 8.) Die Heiden und die minder eingeweihten Leute empfanden ein Gefühl der Bangigkeit und trachteten, ihn aus ihrem Bereich fortzuschaffen. (Matth. VIII, 34; Mark. V, 17; VIII, 37.) Vielleicht, daß auch manche Arggesinnte daran dachten, seinen Namen zu Aufständen zu mißbrauchen (Joh. VI, 14, 15); doch die durchaus moralische und in nichts politische Richtung des Charakters Jesu rettete ihn vor dieser Verführung. Sein Reich lag im Kreise von Kindern, die eine gleichartige jugendliche Imagination und ein und derselbe Vorgeschmack des Himmels um ihn angesammelt hatte.


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