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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Der Tod Jesu.

Obgleich das wirkliche Motiv des Todes Jesu ganz religiös war, gelang es doch seinen Feinden im Prätorium ihn als Staatsverbrecher hinzustellen. Wegen Heterodoxie hätten sie von dem skeptischen Pilatus eine Verurteilung nie erlangt. Konsequent dieser Anschauung ließen die Priester durch das Volk um seine Kreuzigung bitten. Diese Strafe war nicht jüdischen Ursprungs; wenn die Verurteilung Jesu nach mosaischem Gesetze erfolgt wäre, so hatte er gesteinigt werden müssen. Die Kreuzigung war eine römische Strafe, die für Sklaven bestimmt war und für Fälle, in welchen man den Tod noch schimpflicher gestalten wollte. Indem sie bei Jesu zur Anwendung kam, behandelte man ihn wie einen Straßenräuber, einen Banditen, einen verächtlichen Feind der Römer, dem man nicht einmal die Ehre des Todes durch das Schwert geben wollte. Der chimärische »König der Juden« wurde bestraft, nicht der heterodoxe Dogmatiker. Nach derselben Anschauung wurde die Hinrichtung den Römern überlassen. Bekanntlich verrichteten bei den Römern die Soldaten den Henkerdienst, weil das Töten ihr Handwerk war. Jesus wurde daher einer Kohorte Hilfstruppen übergeben und es entfalteten sich nun für ihn alle Scheußlichkeiten der von den neuen Eroberern eingeführten Marter. Es war ungefähr Mittag. Joh. XIX, 14. Nach Mark. XV, 25 wäre es erst 8 Uhr morgens gewesen, weil Jesus, nach seiner Mitteilung, um neun gekreuzigt wurde. Man zog ihm wieder seine Kleider an, die ihm zur Schaustellung ausgezogen worden waren, und da die Kohorte zwei Diebe, die ebenfalls hingerichtet werden sollten, bei der Hand hatte, so wurden die drei Verurteilten vereint und der Zug wandte sich dem Richtplatze zu.

Dieser Platz war eine Stätte Namens Golgatha, außerhalb Jerusalems gelegen, aber doch nahe dem Stadtthore. (Matth. XXVII, 33; Mark. XV, 22; Joh. XIX, 20; Epistel an die Heb. XIII, 12.) Das Wort Golgatha bedeutet Schädel; es entspricht ungefähr dem französischen Chaumont und bezeichnet vielleicht einen Hügel vom Aussehen eines kahlen Schädels. Wir kennen nicht genau die Lage dieses Hügels. Wahrscheinlich befand er sich nördlich oder nordwestlich der Stadt, auf der ungleichen Hochebene, die sich zwischen den Mauern und den zwei Thälern von Kedron und Hinnon erstreckt. Es ist dies eine ziemlich öde Gegend, die durch die Unannehmlichkeit der Nähe einer großen Stadt noch trostloser gemacht wird. Es geht nicht gut an, für Golgatha jene Stelle anzunehmen, die seit Konstantin von der ganzen Christenheit dafür verehrt wird. Diese Stelle reicht zu weit ins Stadtgebiet und man müßte annehmen, daß sie sich zu Jesu Zeit innerhalb der Stadtmauer befunden habe.

Der zum Kreuzestode Verurteilte mußte seine Leidensinstrumente selbst tragen. Doch Jesus, körperlich schwächer als seine zwei Genossen, konnte das seinige nicht tragen. Der Zug begegnete einem gewissen Simon von Kyrene, der vom Felde heimkehrte, und mit der ganzen Rohheit fremder Garnisonen zwangen ihn die Söldner, das verhängnisvolle Kreuz zu tragen. Vielleicht übten sie damit ein anerkanntes Frohnrecht aus; die Römer selbst wollten das schimpfliche Holz nicht tragen. Es scheint, daß Simon später der christlichen Gemeinde angehörte. Seine zwei Söhne Alexander und Rufus waren daselbst recht gut bekannt. (Mark. XV, 21.) Möglich auch, daß er es war, der Mitteilungen über den Umstand machte, dessen Zeuge er war. Von den Jüngern war in diesem Augenblick keiner um Jesum.

Endlich langten sie auf der Richtstätte an. Nach jüdischem Brauch reichte man dem Leidenden einen starkgewürzten Wein, ein berauschendes Getränk, das mit einem gewissen Mitleid dem Verurteilten zur Betäubung gegeben wurde. Es scheint, daß oft die Frauen Jerusalems den zu Tode geführten Verurteilten diesen Abschiedstrunk brachten; wenn aber keine kam, so wurde er auf Kosten der öffentlichen Kasse gekauft. Nachdem Jesu den Becher an die Lippen gesetzt hatte, wies er den Trank zurück. Mark. XV, 23; Matth. XXVII, 34, fälscht diesen Vorfall, um eine messianische Anspielung auf den 69. Psalm 22, zu gewinnen. Diese traurige Labung gewöhnlicher Verurteilter gebührte nicht seinem hohen Wesen. Er zog es vor, das Leben mit völliger Geistesklarheit zu verlassen, mit vollem Bewußtsein den Tod zu erwarten, den er gewollt und gerufen hatte. Dann zog man ihm die Kleider aus und heftete ihn an das Kreuz. (Matth. XXVII, 35; Mark. XV, 24; Joh. XIX, 23.) Das Kreuz bestand aus zwei in Form eines Ô verbundenen Balken. Es war nicht hoch, so daß die Füße des Verurteilten beinahe den Boden berührten. Man begann mit der Aufrichtung des Kreuzes; dann wurde der Leidende daran geheftet, indem man ihm Nägel durch die Hände schlug; die Füße wurden oft auch angenagelt, manchmal aber nur mit Stricken angebunden. (Luk. XXIV, 39; Joh. XX, 25-27.) Ein Holzklotz, der zwischen den Beinen des Verurteilten durchging und diesen stützte, war am Kreuzschaft in der Mitte angebracht. Ohne diesen wären die Hände ausgerissen und der Körper herabgefallen. Manchmal wurde auch zur Stütze der Füße unten ein Brettchen horizontal befestigt.

Jesus duldete diese Schrecken in ihrer ganzen Grausamkeit. Ein brennender Durst, eine der größten Qualen der Kreuzigung, verzehrte ihn. Er verlangte zu trinken. In der Nähe stand ein Gefäß mit Poska, einem Gemisch aus Essig und Wasser, dem üblichen Getränk der römischen Söldner. Diese mußten ihre Poska auf allen Expeditionen mitnehmen und dazu zählte auch eine Hinrichtung. Ein Soldat tauchte einen Schwamm in dieses Getränk und führte ihn dann, auf einen Stab gesteckt, zu Jesu Lippen, der ihn aussog. (Matth. XXVII, 48; Mark. XV, 36; Luk. XXIII, 36; Joh. XIX, 28-30.) Die beiden Diebe wurden ihm zu Seiten gekreuzigt. Die Exekutoren, denen gewöhnlich die Kleider der Hingerichteten überlassen wurden, würfelten darum und hielten, am Fuße des Kreuzes sitzend, Wache. (Matth. XXVII, 36.) Nach einer Überlieferung hatte Jesus folgende Worte ausgesprochen, die, wenn auch nicht auf seinen Lippen, so doch in seinem Herzen waren: »Vater, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun«. (Luk. XXIII, 34.)

Nach römischem Brauch wurde auf der Höhe des Kreuzes eine Inschrift in drei Sprachen, hebräisch, griechisch und lateinisch, angeheftet, lautend: »Der König der Juden.« Es lag in dieser Fassung etwas Peinliches und Verletzendes für die Nation. Die zahlreichen Vorübergehenden, die es lasen, ärgerten sich darüber. Die Priester machten Pilatus darauf aufmerksam, er hätte eine Fassung wählen müssen, die meldete, daß er sich König der Juden genannt habe. Doch Pilatus, dem die Sache schon überdrüssig war, schlug eine Änderung des Geschriebenen ab. (Joh. XIX, 19-22.)

Seine Jünger waren geflohen. Johannes erklärte trotzdem, er sei anwesend gewesen und am Fuß des Kreuzes gestanden. (Joh. XIX, 25.) Bestimmter läßt sich annehmen, daß seine treuen Freundinnen aus Galiläa, die Jesu nach Jerusalem gefolgt waren, um ihm auch hier zu dienen, ihn nicht verlassen haben. Maria Kleophas, Maria Magdalena, Johanna, das Weib des Kusa, Saloma und noch einige hielten sich in gewisser Entfernung und ließen ihn nicht aus den Augen. (Matth. XXVII, 55-56; Mark. XV, 40, 41; Luk. XXIII, 49, 55, XXIV, 10; Joh. XIX, 25. – Vgl. Luk. XXIII, 27-31.) Wenn Johannes zu glauben ist, so wäre auch Maria, Jesu Mutter, am Fuße des Kreuzes gestanden und Jesus hätte, als er seine Mutter und seinen Lieblingsjünger bemerkte, zu ihm gesagt: »Das ist deine Mutter,« und zu ihr: »Das ist dein Sohn.« Doch es wäre ganz unbegreiflich, warum die Synoptiker, die doch die anderen Frauen nennen, just die hätten nicht erwähnen sollen, deren Anwesenheit so hervorragend war. Vielleicht läßt sogar die Charakterstärke Jesu eine so persönliche Rührung unwahrscheinlich scheinen, in einem Moment, wo er nur noch an sein Werk dachte, nur noch für die Menschheit atmete.

Von dieser kleinen Gruppe Frauen abgesehen, die aus der Ferne sein Blick tröstete, hatte Jesus nur den Anblick menschlicher Niedrigkeit und Dummheit vor sich. Die Vorübergehenden insultierten ihn. Er vernahm um sich dummes Gespöttel und seinen letzten Schmerzensschrei in boshafte Wortspiele verwandelt. »Ach!« sagte einer, »das ist der, welcher sich Gottessohn genannt hat! Möge sein Vater kommen und ihn befreien, wenn er will!« – »Er hat anderen geholfen,« hieß es wieder, »und kann sich selbst nicht helfen. Wenn er König von Israel ist, so steige er herab vom Kreuz und wir wollen an ihn glauben! – Wohlan,« sagte ein dritter, »du, der du den Tempel Gottes zerstörst und ihn wieder in drei Tagen aufrichtest, hilf dir selber!« (Matth. XXVII, 40 ec.; Mark. XII, 29 ec.) Einige mit unklarer Vorstellung seiner apokalyptischen Ideen wähnten, er rufe Elias an und sagten: »Laßt uns sehen, ob Elias kommen und ihn befreien wird.« Auch die neben ihm gekreuzigten Diebe scheinen ihn verspottet zu haben. Matth. XXVII, 44; Mark. XV, 32. Lukas, in seiner besonderen Neigung für bekehrte Sünder, hat hier die Tradition verändert. Der Himmel war düster (Matth. XXVII, 45; Mark. XV, 33; Luk. XXIII, 44); die Erde, wie in Jerusalems ganzer Umgebung trocken und öde. Einen Moment sank sein Mut – wie manche Berichte melden – eine Wolke verbarg ihm das Antlitz seines Vaters; er bestand eine Agonie der Verzweiflung tausendmal bitterer als alle anderen Qualen. Er sah nur die Undankbarkeit der Menschen; er bereute vielleicht für ein so arges Geschlecht zu leiden und rief aus: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!« Aber noch einmal siegte sein göttlicher Instinkt. In dem Maße, wie das Leben im Leibe erlosch, flammte seine Seele auf und kehrte allmählich zu ihrem himmlischen Ursprung zurück. Er wurde sich wieder seiner Sendung bewußt; er sah in seinem Tode das Heil der Welt; er verlor das häßliche Schauspiel zu seinen Füßen aus den Augen und, innig vereint mit seinem Vater, begann er am Marterholz das göttliche Leben, das er für unendliche Zeiten in dem Herz der Menschheit führen sollte.

Die besondere Grausamkeit der Kreuzigung bestand darin, daß man auf dem Schmerzenspfahl noch drei bis vier Tage leben konnte. Die Blutung der Hände hörte bald auf und war nicht tödlich. Die wahre Todesursache war die unnatürliche Körperlage, die eine fürchterliche Störung des Blutumlaufes, entsetzliche Kopfschmerzen und Herzleiden und schließlich Gliederstarre herbeiführte. Gekreuzigte von kräftiger Konstitution starben nur vor Hunger. Die eigentliche Absicht dieser grausamen Strafe war, den Verurteilten nicht durch bestimmte Verletzungen direkt zu töten, sondern den Sklaven mit durchbohrten Händen – von denen er keinen guten Gebrauch gemacht hatte – an den Pranger zu stellen und an dem Holz verfaulen zu lassen. Sein zarter Körperbau bewahrte Jesu vor dieser langsamen Agonie. Mancher Umstand weist darauf hin, daß schon nach drei Stunden das Platzen eines Herzgefäßes einen raschen Tod brachte. Einige Augenblicke bevor er seinen Geist aufgab, hatte er noch eine kräftige Stimme. (Matth. XXVII, 46; Mark. XV, 34.) Plötzlich stieß er einen fürchterlichen Schrei aus, aus dem die einen vernahmen: »Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist;« andere, mehr mit der Erfüllung der Prophezeiung beschäftigt, geben ihn mit den Worten wieder: »Es ist vollbracht!« Sein Haupt neigte sich auf die Brust und er verschied. (Matth. XXVII, 50; Mark. XV, 37; Luk. XXIII, 46; Joh. XIX, 30.)

Ruhe nun in deiner Glorie, edler Vollbringer! Dein Werk ist vollendet, deine Göttlichkeit begründet. Fürchte nicht mehr durch einen Fehler den Bau deines Strebens zusammenbrechen zu sehen. Fortan außer dem Bereiche der Gebrechlichkeit, wirst du von der Höhe göttlichen Friedens auf die unendlichen Folgen deines Wirkens herabsehen. Um den Preis einiger Stunden der Leiden, die deine große Seele nicht einmal berührt haben, hast du dir die vollkommenste Unsterblichkeit erkauft. Jahrtausende wird die Welt von dir reden! Panier unserer Widersprüche, wirst du das Zeichen sein, um das der heftige Kampf durchkämpft werden wird. Tausendmal mehr lebend, tausendmal mehr geliebt seit deinem Tode, als während der Tage deines Erdenwallens, wirst du in einer Weise zum Eckstein der Menschheit werden, daß deinen Namen aus der Welt vertilgen so viel hieße, wie die Welt in ihrer Grundveste erschüttern. Zwischen dir und Gott soll nicht mehr unterschieden werden. Gänzlicher Überwinder des Todes, nimmst du von deinem Reiche Besitz, wo dir auf der hehren Bahn, die du dir vorgezeichnet hast, Jahrhunderte lang Verehrer folgen werden.


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