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Der Überfall.

(Fortsetzung des Kapitels: »Für Altar und Thron«.)

Die Fledermäuse, welche in der alten, verfallenen Klause des Signor Lorenzo heimisch waren, konnten getrost ihre angeborene Scheu ablegen und, von Menschen oder Tierstimmen ungestört, das graue Gemäuer umflattern, so totenstill lag »Il Castello« wiederum inmitten der knorrigen Steineichen, so schläfrig ragte der halbverfallene Turmstumpf zum blauen italienischen Himmel empor. Was wollten auch helle Silberstimmen wie die der lieblichen Ginevra, was so muntere, sonore Laute, wie sie aus der Brust unseres Freundes Simone Moretto kamen, hier auf dieser Stätte, wo Melancholie, Einsamkeit, Verfall, Menschenscheu sich ein Stelldichein gegeben zu haben schienen, wie man effektvoller es sich gar nicht vorzustellen vermag? Selbst Cerbero, der getreue Wolfshund, dessen struppiges und schäbiges Fell die Symmetrie seiner Umgebung keineswegs störte, schien einzusehen, daß der Todeshauch totaler Vereinsamung, welcher verdorrend über diese verwahrloseste aller Menschenwohnungen dahinstrich, die einzige vernünftige und angemessene Atmosphäre sei, in welcher ein Hausgenosse des alten grauköpfigen Geizhalses zu atmen vermöge. Er lag unter dem halb blätterlosen Maulbeerbaum, der inmitten des Hofes stand und blinzelte mit einem Auge schläfrig empor, als wundere er sich, daß der Baum keinen Schatten zu spenden beliebte.

Wer etwa mitten aus dem Gewühle einer Großstadt oder selbst aus dem arbeitsvollen, geschäftigen Treiben einer ländlichen Meierei, plötzlich in dieses Eulennest versetzt worden wäre, gerade zu der Stunde, in welcher wir uns in dieses wenig einladende Domizil des alten Sonderlings begeben, der würde unwillkürlich sich versucht gefühlt haben, mit dem Fuße aufzustampfen oder mit dem Stocke gegen das rostige Eisengitter der Hoftüre zu schlagen, um den unheimlichen Bann dieser unnatürlichen Stille zu brechen. Es lag etwas Drückendes, Beängstigendes darin, eine Schwüle, wie sie kurz vor dem Eintritt eines recht kräftigen Gewitters sich einzustellen pflegt.

Wer weiß, wie nahe dieses Gewitter war? Wer weiß, ob nicht bald vernichtende Blitze den menschenfeindlichen, selbstsüchtigen Hypochonder dort oben mit ihrer elementaren Donnerstimme aus seiner Lethargie aufrütteln sollten?

Aber »Il Avarone« spürte von der ihn umgebenden Gewitterschwüle nichts. Er saß sinnend oben in seinem Eulennest, aber die Züge seines Gesichtes, das an einen ausgebrannten Krater erinnerte, in welchem noch verwitterte Spuren der einstigen feurigen Lava der Leidenschaften zu bemerken waren, sie drückten nichts weniger, als Besorgnis für die nächste Zukunft aus. Ein düsteres Brüten war es wohl zu nennen, in das Signore Lorenzo versunken war, indessen das Wetterleuchten hämischer Freude, das sichtlich genug von Zeit zu Zeit in seinem Gesicht aufzuckte, deutete auf einen gewissen Kitzel der Befriedigung, der in dem alten Manne spukte. Eine frappante Ähnlichkeit bot er in diesem Augenblicke mit einem alten, bösen Kater dar, der sich in wollüstigem Behagen krümmt und schnurrt, wenn man mit der Hand ihm über das Fell hinstreicht.

»Aasgeier!« murmelte er grinsend vor sich hin. »Wie sie lauern, daß der Tod ihnen die Hände mit den Goldfüchsen des alten, lieben, teuren Bruders und Oheims füllt. Cospetto di Bacco! Was gäbe ich darum, wenn ich das gelbe Metall, das den Menschen die Köpfe verdreht, mit in die Grube nehmen könnte. Mir könnt' es gleich sein, wer mein Geld kriegt, wüßt' ich nicht, daß die Narren sich seines Besitzes freuen würden. Es soll sich niemand freuen, wenn ich' s verhindern kann! Pah! Freude! Was nützt mir das blanke Gold, welche Freuden könnte ich mir wohl dafür erkaufen?! Ja früher, früher – – –«

Es ist ein wunderbarer, aber nicht so seltener Anblick, einen lebenssatten Greis, dessen Jugend nach dem Muster des Lutherschen Wahlspruches von »Wein, Weib und Gesang« geregelt gewesen, sich in die Erinnerungen an unwiederbringlich entschwundene Freuden versenken zu sehen. Die feinen Fältchen um den Mund vertiefen sich in erschreckender Weise, die welken Lippen formen sich zu einem imaginären Kusse und aus den Augen leuchtet ein mattes Feuer, das zu der jugendlichen Leidenschaftlichkeit sich etwa verhält, wie das Glimmen armseliger Koks zur vernichtenden Glut feurigen Stahls.

Plötzlich wurde der Faden seiner Gedanken durch ein Klopfen an der Türe unterbrochen. Der Alte fuhr aus seinem Brüten auf und blickte gespannt nach der Türe.

»Zum Teufel, Petronilla, bist du es? Wo hast du denn die Höflichkeit gelernt?«

Die Türe öffnete sich zwar, indessen war es nicht die Hexengestalt der alten Haushälterin, welche in dem Zimmer erschien, sondern die stramme, muskulöse Gestalt Jankals, des madagassischen Natursohnes.

Mit unverhehltem Erstaunen blickte Signore Lorenzo seinen stummen Diener an, der sich nach seiner heimatlichen Sitte, mit über der Brust gekreuzten Armen vor dem alten Harpagon und Roué verneigte. Und er hatte wohl Grund genug zur Verwunderung. Denn trotz der wahrhaft rührenden Anhänglichkeit, die Jankal seinem Herrn in der langen Zeit ihres Zusammenlebens geschenkt, war es nur selten, und dann bei ganz außerordentlichen Gelegenheiten, vorgekommen, daß der Madagasse unaufgefordert sich dem Alten in seiner Stube genähert hatte. Das Zusammentreffen zwischen Herrn und Diener hatte sich in den letzten Jahren fast ausschließlich auf die sehr seltenen Fahrten des Alten nach Foggia oder Manfredonia oder die nicht minder seltenen Streifereien desselben durch die Umgebung des »Schlosses« beschränkt, bei welchen Gelegenheiten es sich der treue Diener unter keiner Bedingung hätte nehmen lassen, seinen Herrn zu begleiten.

»Bei der heiligen Madonna, Jankal, was führt dich hierher zu mir?« rief Signore Lorenzo.

Es war auffällig genug zu bemerken, wie der Alte, der mit keinem Wesen, das darauf Anspruch machte, ein Mensch zu sein, in freundlicher Weise zu verkehren pflegte, dem Afrikaner gegenüber einen Ton anschlug, der tatsächlich einige Ähnlichkeit mit der Sprache der Freundschaft und Vertraulichkeit hatte. Vielleicht sah er in Jankal den einzigen Menschen, der nicht auf die Lires und Centesimi spekulierte, welche Lorenzo aufgehäuft, vielleicht auch fand er in dem Afrikaner alle die unauslöschlichen Erinnerungen an seine abenteuerlichen Streifereien über Land und Meer personifiziert.

Der stetige Ernst, der in den Augen des Natursohnes lag, erschien heute noch intensiver und ein unverkennbarer Ausdruck der Besorgnis lagerte auf seinen Zügen. Dies entging Signore Lorenzo keineswegs und nicht wenig gespannt wiederholte er daher an Jankal die Aufforderung, sich über das Ungewöhnliche seines Erscheinens zu erklären. Mit unbeschreiblichen Arm- und Fingerbewegungen und äußerst lebendigem, wechselndem Mienenspiel versuchte der Stumme seinem Herrn die Mitteilungen zu machen, die ihm auf dem Herzen lagen. Es war eine Gebärdensprache so erregter Natur, daß selbst ein völlig Uneingeweihter aus derselben die Wichtigkeit dessen hätte herauszulesen vermögen, was der Madagasse auseinanderzusetzen bemüht war.

Der Alte folgte gespannt allen Bewegungen Jankals. Er erhob sich von seinem Sessel, nachdem der Madagasse geendigt, und trat dicht vor ihn hin.

»Jankal,« sagte er nach einer kurzen Pause, während welcher er jeden Zug im Gesichte seines Dieners zu studieren schien, »hat dir der Giudice Raupen in den Kopf gesetzt und von Räubern vorgeschwatzt, die da kommen wollen, um in dieser armseligen Steinbaracke nach Goldschätzen zu suchen, und willst du ihm helfen, den lieben, alten Onkel in die Casa Moretto zu bringen, damit sein Neffe ihn dort bis zu seinem sanftseligen Ende pflegen kann?«

Jankal mochte wohl das plötzlich selbst gegen ihn, den anhänglichen Diener, in dem Herzen des Geizhalses aufsteigende Mißtrauen herausfühlen, welches der, halb in höhnischem, halb in eindringlich forschendem Tone gestellten Frage zugrunde lag. Er antwortete nur mit einem einzigen Blicke, indem er zugleich seine rechte Hand aufs Herz legte. Der Alte verstand, was er sagen wollte.

»Nun wohl, Jankal, ich glaube dir's, daß du derselbe treue Bursche bist, der du immer warst. Ich will nicht sagen, daß dich Simone Moretto erkauft hat, aber unnütze Angst hat er dir gemacht, das kannst du mir glauben. Die frommen Banditen des römischen Jesuitenkomitees, die mein schlauer Neffe im Tavoliere ausgespürt haben will, werden sich auf jeden Fall andere Orte aussuchen, um zu Gottes Ehre zu plündern, als dieses alte Steinnest, wo sie nichts finden würden, als einen armen, alten Mann. Oder meinst du,« setzte er mit spöttischem Lachen hinzu, »daß die Briganti entdeckt haben, daß die schöne Petronilla hier haust, an der sie ihr Mütchen kühlen könnten?«

Kaum hatte der Alte das letzte Wort gesprochen, als Jankal plötzlich, wie ein Jagdhund, der nahes Wild wittert, den Kopf lauschend in die Höhe richtete, zugleich den Finger auf die Lippen legend. Jeder Sinnesnerv in seinem Antlitz schien sich zu spannen, die Nüstern seiner Nase blähten sich auf und – mit einem raschen Sprunge stand er am Fenster.

»Was kommt dir bei, Jankal? Siehst du Gespenster?« rief der Alte.

Einem scharfen, in der Wildnis geübten Ohre, wie dem des Madagassen, konnte es nicht entgehen, daß in der Ferne deutlich das Getrappel galoppierender Pferde ertönte. Die Sonne war inzwischen schon tief hinuntergegangen und das Zwielicht warf seine unheimlichen Schatten über die öde Umgebung und den an das alte Kastell stoßenden Wald; schon bedurfte es eines scharfen Auges, um ferne Gegenstände vom Fenster aus unterscheiden zu können.

– – Ein lauter, heulender Ton erscholl unten im Hofe. Es war der struppige Wolfshund, der von seinem Lager unter dem einsamen Maulbeerbaum aufgesprungen und mit einem mächtigen Satze auf das Gitter der Hoftüre zugesprungen war.

Das Signal war gegeben – der Sturm konnte beginnen, – und er begann, furchtbar, gewaltig, vernichtend!

Laute Schüsse krachten in der Nähe des Kastells. Dann einen Moment tiefe, unheimliche Stille und wieder Schüsse, fernes Geschrei, Pferdegestampf bunt durcheinander. Totenbleich, einer grausen Megäre ähnlicher denn je, die grauen Haare frei in der Luft flatternd, kam Petronilla die Treppe heraufgestürzt.

»Signore, Signore Lorenzo,« kreischte sie, in tödlicher Angst die hageren, knochigen Hände ringend. »Die Briganten! Helft, rettet, Jankal, die Briganten!«

Es war ein abschreckender Anblick, den der alte Geizhals in diesem Momente des Schreckens und der Aufregung darbot. Er stand wie am Boden festgewurzelt. Das verlebte, an sich schon blasse Gesicht hatte im Augenblicke der Todesangst eine häßliche, fahlgelbe Farbe angenommen. Die Finger schlossen sich und öffneten sich abwechselnd wie im nervösen Krampfe und die dünnen, fleischlosen Lippen zitterten wie vor Frost.

»Schweig, alte Närrin,« rang es sich endlich mühsam aus seiner von der Angst zugeschnürten Kehle. »Woher weißt du, daß es uns gilt? Jankal, siehst du piemontesische Soldaten?«

Statt jeder Antwort drehte sich der Madagasse, der bisher, ohne eine Muskel zu rühren, lauschend am Fenster gelehnt, plötzlich um und mit einem eigentümlichen gurgelnden Laut, wie man ihn oft bei Stummen in Momenten der Erregung hört, sprang er auf Signore Lorenzo zu, faßte ihn mit seinen mächtigen Armen um den Leib, hob ihn in die Höhe, wie ein Kind und sprang in eiligen Sätzen mit dem keines Wortes mächtigen, zum Tode erschrockenen Manne die Treppe hinunter. Kreischend und die Hände ringend eilte Petronilla ihnen nach.

* * *

Simone Moretto hatte, wie wir uns erinnern, sogleich nach Ankunft auf dem Gute Taddeo Martinis, nachdem er Boten an die nächstliegenden Gendarmeriestationen abgesandt, auch dafür gesorgt, daß unter der Anführung des Großknechts vier stämmige Mandriani Viehhirten. in gestrecktem Galopp auf die Klause des alten Lorenzo zujagten, um Jankal in seiner Abwehr des erwarteten Besuchs der »vermaledeiten Schnapphähne« zu unterstützen. Noch hatte dieser kleine Reitertrupp den Saum des Waldes nicht erreicht, der sich in jenem Teil der Tavoliere bis dicht an die Einsiedelei Lorenzos hinzieht, als das Pferd des Führers strauchelte, zu Boden stürzte und seinen Reiter unter sich begrub. Es blieb den vier Vasallen des gefallenen Großknechts nichts anderes übrig, als schleunigst von ihren Pferden herabzuspringen und ihrem Führer zu Hilfe zu eilen. Diese Verzögerung an sich war eine Kalamität unter den obwaltenden Umständen, allein – es sollte noch schlimmer kommen. Niccolo, so hieß der einstige Ulanen-Unteroffizier, war durch den Fall und wohl noch mehr durch die Last des sich auf ihm wälzenden Pferdes betäubt und es kostete beträchtliche Mühe, ihn wieder ins Leben zurückzurufen.

Wären die um den Gefallenen und das augenscheinlich unbrauchbar gewordene Pferd beschäftigten Mandriani nicht von ihrer Tätigkeit, die sie übrigens mit unzähligen Flüchen und Anrufungen der heiligen Jungfrau begleiteten, so sehr absorbiert gewesen, hätte es ihnen unmöglich entgehen können, daß drüben, wo die ersten Ausläufer des Waldes begannen, hinter den Bäumen einige Gestalten sichtbar wurden, welche mit großer Aufmerksamkeit die Szene zu beobachten schienen. Doch einer der vier Hirten schien weniger unaufmerksam zu sein, als seine Gefährten, denn er blickte zwei oder drei Mal verstohlen nach der Richtung hin, wo die Gestalten sich gezeigt, und schwenkte, nachdem er einen raschen Blick auf seine Gefährten geworfen, zu wiederholten Malen in auffälliger Weise seinen Hut.

»Wißt ihr, was Not tut, compagni,« rief er endlich. »Wasser, Wasser, das wird Niccolo rasch wieder auf die Beine bringen. Sonst wird's Nacht, ehe wir nach dem alten Felsennest kommen, und die verteufelten Briganti sind schneller dort, als wir! Wartet, ich gehe und hole Wasser; eine Quelle ist nicht weit drinnen im Walde und ich bin rasch wieder zurück.«

Unser »hilfsbereiter« Freund galoppierte in den Wald hinein, vergaß jedoch zurückzukehren, und Signore Niccolo war längst im Besitze seiner sämtlichen Lebensgeister, als es den Sendboten Simone Morettos klar wurde, daß einer der Ihrigen mit den Briganten gemeinsame Sache gemacht hatte. Das Fluchen und Wettern über das Mißgeschick half nichts, es machte weder das lahme Pferd wieder brauchbar, noch brachte es das andere Pferd mit seinem Reiter wieder zurück. Natürlich war sich Niccolo über das Kritische der Lage vollständig klar. Er zweifelte keinen Augenblick daran, daß der entlaufene Mandriano den Banditen den Zweck und das Ziel der Kavalkade auseinandersetzen würde, und daß diese somit die beste Gelegenheit gewinnen würden, der kleinen Hilfstruppe des Richters auf dem Kastell zuvorzukommen. Ja, noch Schlimmeres stand zu erwarten. Was konnte Niccolo mit seinen drei Leuten ausrichten, wenn die nunmehr von seinen Plänen unterrichteten Briganten ihm und seinen Gefährten einfach den Weg nach Signor Lorenzos Klause abschnitten und alle vier auf dem kürzesten Wege in das Jenseits beförderten? Die letztere Annahme war so naheliegend, hatte soviel Wahrscheinlichkeit für sich, daß es in diesem Augenblicke wirklich sehr böse um den Succurs aussah, welchen der Richter Jankal zugedacht hatte. Niccolo konnte von Glück sagen, daß seine drei übrig gebliebenen Untergebenen nicht gleiche Anwandelung fühlten, zum Besten des papistischen Altars und des bourbonischen Thrones sich dem Raubgesindel anzuschließen, wie ihr verschwundener Kamerad. Soviel steht jedoch fest, daß die drei wackeren Mandriani, so viel sie auch fluchten, sich weder über die Flucht ihres Gefährten sehr zu wundern, noch sein Verhalten in hervorragendem Grade übel zu nehmen schienen.

Niccolo nahm eines der gesunden Pferde an sich, nachdem er dem gefallenen Tiere den Gnadenstoß gegeben, und erteilte dem einen seiner Getreuen den Auftrag, per pedes apostolorum nach der Meierei Il Prugnolo, so schnell ihn seine Beine tragen konnten, zurückzukehren, um dem Richter von dem unliebsamen Vorfalle Anzeige zu machen und, wenn möglich, weitere Hilfe zu holen. Daß der Abgesandte daselbst nicht ankam, haben wir aus dem Verlaufe der Ereignisse in Taddeos Hause gesehen und es unterliegt somit keinem Zweifel, daß der würdige Mandriano statt nach der Meierei, den Spuren seines entlaufenen Kameraden nachgegangen war.

Ein nicht unerwartetes, dennoch furchtbares »Zu spät« donnerte den unter dem Scheidegruße der sinkenden Sonne an der Einsiedelei des Geizhalses anlangenden drei Reitern in Gestalt zahlreicher Flintenschüsse entgegen. Der Hof des Castello war bereits von einigen zwanzig Briganten besetzt, eine andere, fast gleich starke Anzahl hatte eine Art Vorpostenkette rings um das Schloß gebildet und diese war es, welche die drei Männer mit so feurigen Grüßen empfing.

» Maledetto!« knirschte Niccolo, vom Pferde springend, nachdem er mit wohlgezieltem Schusse einen der Briganten zu Boden gestreckt. »Da soll der Teufel ins Schloß kommen, um dem alten Harpagone und seinem Heidendiener Hilfe zu bringen. Diesmal sind die verteufelten Briganti schneller gewesen, als wir! Drauf und dran, Jungens! Herunter von den Pferden, die uns doch nichts nützen, und laßt uns sehen, was zu machen ist. Gelingt es uns nicht auf irgendeine Art ins Schloß hineinzukommen, so wollen wir doch dieser Höllenbrut unsere Haut nicht billig verkaufen, so wahr ich Niccolo Benetti heiße!«

Es war ein ungleicher, aber dennoch wilder und blutiger Verzweiflungskampf, der sich jetzt entspann, denn Niccolo und seine Leute fochten wie die Löwen. Ersterer hatte soeben unter der Bande, und zwar an der Spitze der außerhalb des Hofes befindlichen Abteilung, jenen schwarzbärtigen, athletisch gebauten Mann mit dem wilden, trotzigen Gesicht erkannt, den Simone Moretto am Tage vorher mit blutender Kopfwunde in das Gehöft Taddeos hatte einbringen lassen und der während der Nacht mit dem »Schielenden« zugleich entwichen war.

Das gegenseitige Erkennen war ein rasches. Ebenso rasch stürzte der Brigant und einstige Besitzer von drei Pässen, welche jetzt bei dem Richter in sicheren Händen waren, auf den Großknecht los. Offenbar lag ihm viel daran, dem Richter seine Angehörigkeit zu der Bande der Briganten nach Möglichkeit zu verbergen, und es galt daher vor allen Dingen, den dem Richter ergebenen Mann, der einst gegen ihn zeugen könnte, für immer stumm zu machen.

Krachend dröhnte der Schuß aus des Briganten Pistole durch die Luft. Gleichzeitig sprang aus der dicht mit Schleedorn umwachsenen, halbverfallenen Stelle der Schloßmauer eine dunkle Gestalt hervor. Ein Stoß, ein lautes » Santa Madre«, und der Brigant lag am Boden. Eine nervige Faust packte den erstaunten Niccolo beim Arme und riß ihn mit sich fort in das Dunkel des Schleedorns.

Obgleich die Dunkelheit hereingebrochen war, so hätten doch die dicht am Schauplatz der soeben beschriebenen Szene befindlichen Briganten den Fall ihres Führers bemerken müssen. Sie hätten auch sehen müssen, wie dieselbe riesige Gestalt, welche soeben den Großknecht von der Prugnolo-Meierei ins Dickicht gezogen hatte, mit Blitzesschnelle wieder hervorsprang und den am Boden liegenden Briganten, der augenscheinlich betäubt zu sein schien, gleichfalls mit sich fortschleifte, – hätte nicht ein anderes Ereignis in demselben Moment ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen.

In dem Augenblicke nämlich, als der Brigant sein Pistol auf Niccolo abschoß, um gleich darauf von der Hand des Unbekannten zu Boden gestreckt zu werden, ertönte von der Richtung des Hofes ein so entsetzliches, grauenhaftes Geheul, daß selbst die sicherlich nicht nervenschwachen Söhne der Abruzzen ihre Augen dem Hofe zuwandten.

Was sie erblicken sollten, war abschreckend genug. Ein heller Feuerschein erglänzte an einem Fenster des oberen Stockwerkes und beleuchtete zwei Gestalten. Weit über die Brüstung hinausgebeugt lehnte der bleiche, schmächtige Geselle, den wir unter dem Namen des »Schielenden« kennen gelernt und umklammerte mit seinen dürren Fäusten die sich in den furchtbarsten Krümmungen windende und ringende Gestalt der alten Petronilla, die mit der einen Hand sich an der Gurgel des Banditen festgeklammert hatte, während sie mit der anderen – ihr Körper hing völlig aus dem Fenster heraus – das Fensterkreuz umspannt hielt und dabei gellende, kreischende Angstrufe in die Nacht hinaussandte.

Der grelle Feuerschein beleuchtete unheimlich die verzerrten, wut- und angstentstellten Züge der beiden Ringenden, und die knochigen Finger der alten Hexe schienen den dürren Hals des »Schielenden« in so eisernem Griffe zu halten, daß diese arme Sünderseele offenbar in Gefahr war, noch vor erhaltener Absolution in die heißen Regionen des Fegefeuers zu fahren. Der dürre Leib der alten Megäre, dessen Bekleidung, wohl infolge des schon vorher stattgefundenen Kampfes, nur noch eine sehr unvollkommene war, bot einen geradezu abscheulichen Anblick und hätte eine andere Gesellschaft, als die der unten im Hofe anwesenden Briganten – die augenscheinlich zu dem Abschaum der menschlichen Gesellschaft gehörten, obwohl sie quasi im Dienste der Kirche standen – veranlaßt, vor Ekel und Scham die Augen zu schließen.

Hier war freilich der Effekt ein anderer. Einige von ihnen stürzten die Treppe hinauf, andere eilten dicht unter das Fenster, aus dem die schöne Petronilla herabhing, und die meisten der außerhalb des Hofes befindlichen Banditen kamen, nachdem sie die beiden Gefährten Niccolos ohne große Mühe abgetan hatten, andere Gefahr aber für den Augenblick nicht befürchteten, gleichfalls eilenden Laufes herbeigestürzt.

» Cospetto di bacco!« brüllte ein bärtiger Geselle hinauf. »Hast dir ein schönes Bräutchen ausgesucht, bieco Il bieco bedeutet sowohl der Schielende, wie im Volksjargon der Unehrbare, der Lump., hi, hi, hi!«

»Um schöne Signorinas zu entführen, sind wir nicht hierher geschickt worden, bieco!« spottete ein anderer.

»Hättest dich lieber nach dem Geldkasten des alten Avarone umsehen sollen, junger Süßholzraspler, statt ihm seine liebliche Concubina abspenstig zu machen!«

Solche und ähnliche Spottreden mengten sich in das gellende Angst- und Wutgeschrei des alten Weibes und erhöhten das Abschreckende dieser unbeschreiblich widerwärtigen Szene.

Wir sahen, daß einige der Männer die Treppe hinauf geeilt waren. Sie fanden im Zimmer des alten Lorenzo das Unterste zu oberst gekehrt. Doch die stummen Zeugen der Entstehungsursache des Kampfes lagen klar genug zu Tage. In einer Ecke des Zimmer, wo ein alter, wurmstichiger Glasschrank stand, dessen Inneres mit einem Chaos von alten Waffen, Bogen, Tigerfellen, ausgestopften Schlangenleibern u. dgl. – alles Trophäen aus den Wanderjahren des alten Lorenzo – angefüllt und dessen unterer Teil völlig zertrümmert war, schimmerte und glitzerte es goldig hell. Schön genug und glänzend genug sah das edle Metall aus, das dort umhergestreut am Boden lag, denn eine Brandfackel beleuchtete den Haufen Goldes. Ein umgestürztes Licht, welches Petronilla in die Stube hineingebracht, um sich die wohlverwahrten Schätze des alten Avarone, der mit Jankal ihren Augen spurlos entschwunden war, etwas genauer anzusehen, hatte die Vorhänge des großen Himmelbettes in Brand gesetzt und die Flamme loderte lustig empor, das düstere Gemach mit erstickendem Rauche anfüllend.

Der schielende Spitzbube, der mit den Lokalitäten der alten Felsenklause einigermaßen bekannt zu sein schien, war sofort nach Ankunft der Bande in das Zimmer des alten Lorenzo gedrungen, während einige andere, da nirgends eine Spur von Widerstand sich zeigte, alle Räume des Hauses – freilich vergeblich – nach dem Herrn desselben und seinem stummen Diener durchsuchten. In dem Zimmer des Alten hatte der »Schielende« die alte Petronilla gefunden, mitten in der ebenso interessanten, wie von Erfolg gekrönten Beschäftigung, den unteren Teil des erwähnten Reliquienschreines mit einem Küchenbeil zu erbrechen.

Der Herr war mit Jankal auf und davon. Und zwar so rasch, so spurlos waren beide verschwunden, daß Petronilla, welche ihnen jammernd bis in das Erdgeschoß des Hauses gefolgt, dann aber in Todesangst vor den herannahenden Briganten wieder zurückgeeilt war, in der Tat glaubte, Jankal sei der leibhaftige Teufel und habe ihren geliebten Herrn in die dunkeln Tiefen des Inferno mit sich hinabgezogen.

Sie hatte darauf rasch die verlorene Geistesgegenwart wiedererlangt und sich in aller Eile klar gemacht, daß sie ja nun die alleinige Herrin des Schlosses war und mit Fug und Recht, trotz Simone, Ginevra und Konsorten, die langersehnte Erbschaft des alten Geizhalses auf sehr bequeme Weise antreten könnte. – Die Geldgier ist ein mächtiger Hebel im Menschenherzen und sie war auch in diesem Falle stark genug, alle Angst und Besorgnis für Leben und persönliche Sicherheit in dem Herzen der würdigen alten Dame verstummen zu machen. Überdies sagte sich Signora Petronilla, daß, wenn sie sich erst die Taschen mit dem Golde ihres verschwundenen Herrn gefüllt haben würde, sich auch ein Mauseloch finden müßte, um mit Sicherheit und im Vollbesitze ihrer rechtmäßig angetretenen Erbschaft den Händen der Banditen zu entschlüpfen. Und wenn sie auch denselben begegnen sollte! Sie war fest davon überzeugt, daß in diesem Falle die Herren Briganten in ihr sicherlich nicht die Besitzerin der Schätze des Geizhalses vermuten würden, nachdem sie ihnen unter Jammern und Heulen erklärt haben würde, daß ihr Herr samt seinem Diener spurlos verschwunden sei und sie, die arme, alte hilflose Matrone, schutzlos in dem einsamen Hause zurückgelassen habe. Es kam hinzu, daß Petronilla, trotzdem sie eine Evastochter war, doch nicht genug übertriebene weibliche Eitelkeit besaß, um sich für besonders schön und verführerisch zu halten. Dieses Bewußtsein inspirierte sie mit der Zuversicht, daß den Banditen kaum etwas daran gelegen sein würde, sich in den Besitz der Frau Petronilla, als solcher, zu setzen, eine Gefahr, welche allerdings sehr bedenklich gewesen wäre, hätte Petronilla auch nur einige von ihrer Stammmutter Eva ererbten körperlichen Reize besessen. Denn in solchen Dingen verstanden die tapferen Söldner des jesuitischen Reaktions-Komitees keinen Spaß, und manche glutäugige junge Neapolitanerin konnte, vorausgesetzt, daß die Schurken ihr das Leben gelassen, von dem feinen Verständnisse dieser Briganten für weibliche Schönheit und von der Zügellosigkeit ihrer tierischen Leidenschaften grausige, haarsträubende Dinge erzählen, deren Wiedergabe einfach unmöglich sein würde.

Zitternd vor Habgier, in völliger Vergessenheit der rings um sie herum sich abspielenden Ereignisse und doch in wilder Hast, um rechtzeitig mit dem geraubten Gute sich davon machen zu können, wühlte die Alte in den klingenden Goldstücken – ein abschreckendes Bild der zum halben Wahnsinn gesteigerten Habsucht, welche es sogar möglich machte, daß sie die ersten Stöße der Briganten gegen die Zimmertüre überhörte. Erst als diese sich krachend auftat, als der »Schielende« mit einem Satze mitten in der Stube stand und sein höhnisches Gelächter ihr in die Ohren schallte, – da sprang Petronilla auf und machte der wahnsinnigen Angst, der Verzweiflung über den mißlungenen Raubversuch in einem markerschütternden Hilfgeschrei Luft.

» Come può essere, Wie ist das möglich. alte Vettel!« rief der »Schielende« mit heiserer Stimme. »Der Alte fort und du bei seinem Gelde? Ha, ha, ha! Hat er dich hier herein gesetzt, um die alte Baracke und seine Schätze zu hüten und zu verteidigen?«

Nun trat der Trieb der Selbsterhaltung bei der alten Frau wieder in sein Recht, und in wilder Angst suchte sie auf die Türe zuzustürzen, um ins Freie zu entkommen. Allein sie hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Mit raschem Griffe packte sie der Brigant und drängte sie nach dem Fenster zu. Die Todesangst gab der alten Frau fast übermenschliche Kraft, und der schmächtige Bursche hatte Arbeit vollauf, um sein an sich schon nicht einladendes Gesicht vor weiteren Entstellungen durch die Fingernägel der wütenden Petronilla zu retten. Bei diesem Ringkampf geschah es, daß durch das Umstürzen der auf dem Boden stehenden Kerze der lang herabhängende Vorhang des Himmelbettes in Brand geriet. Die größte Eile war nunmehr notwendig, wenn anders der »Schielende« seine eigentliche Mission, die Aneignung der Goldfüchse, noch erfüllen wollte, ehe die ganze Stube in Feuer und Flammen aufging. So schob und drängte er denn Petronilla endlich bis dicht an das Fenster, um durch dasselbe die einzige Hüterin des Hauses auf möglichst bequeme Art zu entfernen, und es gelang ihm, wie wir gesehen haben, das unglückselige Opfer ihrer eigenen, ungezügelten Habgier über die Brüstung hinauszuheben, als sie in der Todesangst sich an der Gurgel des Banditen so festkrallte, daß dieser weder zu atmen, noch die Alte von sich abzuschütteln fähig war.

So fanden die eilig herbeigelaufenen Kameraden die Lage der Dinge. Rasch zogen sie Petronilla wieder in die Stube hinein und erst, als sie sowie ihr Angreifer auf dem Boden lagen, gelang es, die knochigen Finger der Alten von dem Halse des Schielenden zu befreien.

Schnell war Petronilla gebunden, und ein Knebel, den ihr einer der sauberen Gesellen in den Mund stopfte, ließ alsbald ihr Jammergeschrei verstummen. Eigentlich hätten sich die Banditen diese Mühe ersparen können, denn der Rauch begann in so mächtigen Wolken das Zimmer zu erfüllen, daß es kaum noch möglich war zu atmen, und während die Flammenlohe zum Fenster hinauszuschlagen begann, tat der Rauch sein Möglichstes, um menschliche Laute an dieser Stätte des Unheils zu ersticken. Petronilla wand sich in entsetzlichen Zuckungen am Boden, die Räuber kümmerten sich nicht mehr um sie. In fliegender Hast, Qualm und Feuer trotzend, oft auf wenige Sekunden zur Türe stürzend, um einen einzigen Atemzug frischer Luft zu schöpfen, füllten sie ihre Taschen mit dem Golde und den Wertpapieren, die sie nur irgend in dem brennenden Gemache finden konnten, während ihre Gefährten draußen, zu denen inzwischen die Nachricht von dem glücklichen Funde gedrungen war, teils wieder ihre Wachtposten außerhalb des Gehöftes bezogen, teils das Erdgeschoß des der Vernichtung anheimgefallenen Hauses nach Kostbarkeiten und sonstigen Dingen durchsuchten, welche als des Mitnehmens wert erachtet werden konnten. Es war eine Szene von unbeschreiblicher Wildheit, grausam kontrastierend zu der schläfrigen Ruhe, in welcher wir das alte, weltverlassene Kastell am Anfänge unseres gegenwärtigen Kapitels gefunden.

Mit einem Male veränderte sich das Bild. Rufe erschallten draußen von den Vorposten her, eine auffällige Bewegung entstand unter den im Hofe befindlichen Briganten und teilte sich alsbald den innerhalb des Hauses ihr Zerstörungswerk fortsetzenden Männern mit.

»Rasch, rasch, compagni,« rief eine kräftige Stimme in das brennende Haus hinein. »Die Ketzerhunde sind uns auf der Fährte! Monterone ist nirgends zu finden! Laßt das elende Nest brennen und laßt uns fliehen, ehe die verteufelten Bersaglieri uns über den Nacken kommen!«

Prasselnd schlugen die gierigen Flammen, als wollten sie die Mahnung unterstützen, zum Himmel empor. Mit rauchgeschwärzten Gesichtern stürzten die Männer aus dem Hause und auf die draußen haltenden Pferde zu. Unter ihnen war auch der »Schielende«. Auf der letzten Stufe der Treppe blieb er noch einmal stehen und ein hämisches Lächeln verzerrte sein Gesicht.

» Cospetto!« murmelte er, »die Alte haben wir oben vergessen! Es wird ihr am Ende zu heiß werden. Die alte Vettel hätte mir beinahe den Garaus gemacht – ich will ihr rasch noch den Liebesdienst erweisen, den sie verdient.«

Mit wenigen Sätzen war er oben. Petronilla hatte sich durch ruckweise Bewegungen ihres Körpers bis dicht vor die Türe gewälzt und lag mit dem Kopfe nahe der Schwelle. – Grinsend beugte sich der häßliche Geselle über die Alte.

»Warte, Täubchen,« murmelte er, »ich will nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Du hättest mir vorhin beinahe den Atem genommen, ich will ihn dir wieder geben!«

Mit einem raschen Rucke hatte er Petronilla den Knebel aus dem Munde gerissen und mit ebenso flinker Hand ihre Glieder von den Fesseln befreit, welche die Briganten ihr angelegt.

Eile war in der Tat von Nöten, denn die Stube war nur noch ein Chaos von Rauch und Flammen, die sich durch die ausgebrannten Fenster in die Nachtluft hinaus Bahn zu brechen begonnen hatten, um in der frischen Luft neuen Atem zu ihrem Zerstörungswerke zu sammeln.

» II Bieco« hatte Lebenslust genug in sich, um sich nach Kräften mit seinem Rückzüge zu beeilen, dennoch versäumte er nicht, unten angelangt, die vom Elemente noch völlig unversehrte, schwere, eichene Tür sorgfältig zu verrammeln, während eben die letzten seiner sauberen Kameraden im Begriffe waren, den Hof zu verlassen, nicht ohne die ganze Stufenleiter von echt brigantinischen Kernflüchen auf das Haupt des saumseligen »Schielenden« herabzuwünschen.

»Laßt nur gut sein,« erwiderte dieser lachend, indem er sich den von der Unheilsstätte Fliehenden anschloß. »Ich komme schon noch zurecht! Mußte doch der Alten wieder den Mund öffnen, damit sie nicht stumm ins Fegefeuer fährt! Ha, ha! Schade, daß wir nicht hier bleiben können, um zu hören, wie Signore Lorenzos Liebchen ihr Totenlied singt!«

Selbst von den harten Abruzzen-Söhnen, welche gewohnt waren, ihr Gewissen sehr rasch mit einigen Tröpfchen priesterlichen Weihwassers von den ärgsten Teufeleien reinzuwaschen, wandten sich einige der Nächststehenden um, ein » mascalzone!« Schuft. zwischen den Zähnen murmelnd und den grausamen Hallunken mit verächtlichen Blicken messend. Allein es war weder Zeit zum Bessermachen, noch zum Moralisieren, vorausgesetzt selbst, daß die wackeren Gottesstreiter und Mordbrenner hierzu ernstlich Lust gehabt hätten. Die Nachricht, daß auf der Meierei Taddeos, wo sie ihre Gefangenen in sicherem Gewahrsam wähnten, nicht alles in Ordnung sei, daß Carabinieri daselbst erblickt worden seien, daß der Führer und Leiter der Expedition gegen das »Castello« spurlos verschwunden sei, hatte sich durch die Spione und Helfershelfer der Briganten, sowie durch die ausgestellten Vorposten rasch genug verbreitet, und diese Kunde war wohl geeignet, der gesamten Bande den Boden unter den Füßen heiß zu machen.

Und so zogen sie denn davon. Mit dem erhebenden Bewußtsein, ihre Pflicht für die »gute Sache« redlich erfüllt zu haben, verschwanden sie im Dunkel des Waldes, um in den wohlversteckten Schlupfwinkeln, die das Auge der schlauesten Bersaglieri nicht so leicht zu finden vermochte, ihren Raub zu teilen – – vielleicht auch um einen Teil desselben in der Kasse eines der naheliegenden frommen Klöster zu deponieren, dessen Brüder durchaus nicht skrupulös waren, wenn es galt, dem zusammengewürfelten Gesindel, das unter der römischen Flagge focht, Obdach in den sicheren Räumen ihrer Erdgeschosse zu gewähren und so der königlichen Polizei ein frommes Schnippchen zu schlagen. – – – Eine furchtbare Brandfackel beleuchtete den Weg der abziehenden Briganten, und es war ein Glück für sie, daß Simone Moretto mit seinen getreuen Carabinieri noch nicht an Ort und Stelle war, die Verfolgung der Bande wäre durch Mithilfe des weithin glänzenden Feuerscheines nicht wenig erleichtert worden.

Ja – wäre doch der brave Simone Moretto zu rechter Zeit gekommen, vielleicht wäre noch Rettung möglich gewesen für das unglückselige Geschöpf, das in diesem Augenblicke mit den langen, hagern Fingern, von den Furien der Todesangst zur Wut der Verzweiflung angespornt, den Griff der Türe umspannte, bald laut kreischend, bald leise wimmernd wie ein hilfloses Kind, an dem morschen Holzwerk so gewaltig rüttelte und schüttelte, daß es fast ein Wunder war, wie das altersschwache Schloß ihren Anstrengungen widerstehen konnte. Doch keine Hilfe war in der Nähe. Die grausame Ironie des Schicksals hatte jetzt Petronilla, die so oft im Stillen ihren Herrn in die Gräber seiner Ahnen gewünscht, die so oft gierig nach den aufgespeicherten Schätzen des Alten ausgelugt und die Hände seiner Verwandten durch intrigante Machinationen jeder Art von dem Geldkasten des alten Harpagon ferngehalten – die Schicksalsironie hatte nunmehr wirklich Petronilla zur Herrin des Schlosses gemacht – in letzter Stunde! Oben lagen noch wenige Stücke von dem schimmernden Golde, das Petronilla in so hohem Grade geblendet, daß sie die eigene Sicherheit übersah. Auch diese von den Räubern in der Hast ihres Rückzuges hinterlassenen Stücke ihrer Beute gehörten jetzt dem vor Angst halb wahnsinnigen Weibe, das dort unten furchtbar mit dem Tode rang. Greife doch zu, Dame Petronilla! Keine »erbschleichenden« Verwandten stehen jetzt zwischen dir und dem Golde! Nein – aber die züngelnden, todbringenden Flammen sind die Barriere! … Umsonst – umsonst erschallen die halberstickten Wehrufe in dem raucherfüllten Treppenhause. Der Weg ins Freie ist versperrt und hinter der Unglücklichen wütet das zerstörende Element, seine feurigen Zungen entlang dem hölzernen Treppengeländer, immer näher und näher der in unsäglichen Qualen sich Windenden entgegenstreckend … Jetzt stürzt sie zu Boden, die gierige Flamme hat ihr Kleid erfaßt, sie wirft sich auf den Rücken, das rauchgeschwärzte Gesicht mit den Händen bedeckend. Noch ein lauter, gellender Aufschrei, mit der letzten Kraft des Lebens, das noch in ihr flackert, – dann stürzt die zusammenbrechende Treppe polternd über ihr zusammen, und über dem Haufen brennender Balken rast die Flamme wiederum mächtig empor, welche – für sie – die Hand der Nemesis entzündet!

* * *

Wie wir es nach der Schilderung der Greueltaten jenes uns unter dem Namen des »Zerbinotto« bekannt gewordenen Scheusals getan, so möchten wir auch an dieser Stelle unsere Leser fast um Entschuldigung bitten, daß wir so ausführlich bei diesem Brigantenstückchen verweilt, welches stark an romantisches Fabulieren im Stile des »Rinaldo Rinaldini« erinnern mag. Ja wir fühlen uns zu dieser Bitte um Indemnität um so mehr veranlaßt, als wir leider auch in der Folge unsere Feder vor ähnlichen Schilderungen beim besten Willen nicht werden reinhalten können, wenn wir die erste Pflicht eines getreuen Chronisten, wahr und aufrichtig zu sein, ohne Scheu erfüllen wollen. In dem heiligen Kampfe, der mit dem glänzenden Siege des »Kreuzes von Savoyen« endete, wirken so viele, so bunte und so gegensätzliche Faktoren mit, und unter ihnen sind die blutigen Agitationen des bourbonisch-papistischen Komitees in Rom so gewichtige, sind die Schauertaten der von Rom entsendeten Meute in den schönen Gauen des neapolitanischen Landes so hervorragende zur richtigen Beurteilung der damaligen Zeitverhältnisse in Italien, daß wir uns nicht scheuen, nein, daß wir stolz darauf sind, ohne Rücksicht den Schleier von jenen Begebenheiten zu reißen, den allerlei politische und pietistische Rücksichten, den falsche Prüderie und andere ängstliche Bedenken so lange darüber ausgebreitet gehalten, daß das große Publikum kaum die allgemeinen Umrisse, nur wenige Eingeweihte aber die nackten Tatsachen in ihrer ganzen Abscheulichkeit kennen gelernt haben. Und wer da zweifelt, daß wir wirklich Wahrheiten und Tatsachen berichten, der ziehe die Natur des Landes, die Verwilderung und Demoralisation der Bevölkerung, die sozialen Zustände, die grobheidnische »Religion« in Betracht – und seine Zweifel werden schwinden. Wir haben schon in der Einleitung zu unseren dem Brigantenwesen gewidmeten Schilderungen daraus hingewiesen, wie die durch keinen Unterricht kultivierte Phantasie des Volkes, bewundernd die Heldentaten des Raubgesindels mit den goldigsten Farben der Poesie ausschmückte, und somit selbst allen Greueltaten, in seiner durch die Pfaffen trefflich genährten Borniertheit, den denkbar weitesten und besten Vorschub leistete. Es liegen uns haarsträubende Beweise dafür vor, daß selbst die Landeskinder des edlen »Dezembermannes«, welche das sonnige Italien, speziell Rom, mit ihrer Gegenwart beglückten, ihre Arme schützend über das Raubgesindel ausbreiteten. Pro forma feuerten sie wohl dann und wann ein paar Musketen gegen die Gottesstreiter ab und fingen einige der sauberen Vögel ein. Indessen, was taten sie mit ihnen? Sie übergaben sie den Händen der päpstlichen Schergen, die ihrerseits natürlich nichts eiligeres zu tun hatten, als die ganze Gesellschaft laufen zu lassen und sie mit heißen Segenswünschen aufs neue auf die friedlichen Bewohner Neapels zu hetzen. Ja, die Herren Franzosen waren bekanntlich immer galante Leute und – auch hierbei kann man sagen: cherchez la femme! – Keine Regel ohne Ausnahme. Dieser Satz gilt selbstverständlich auch hier und kann somit der in Gedanken die Kinder von la belle France bereits verdammende Leser sich fest davon überzeugt halten, daß es auch genug französische Offiziere gab, welche ehrenhaft genug waren, ihrer Entrüstung über die Greuel der päpstlicherseits sanktionierten Banditen ganz offenen Ausdruck zu geben. Ja wir wüßten sogar einige zu nennen, welche point d'honneur genug besaßen, päpstliche Ordensdekorationen, die ihnen gütigst offeriert worden waren, mit umgewendeter Post an Se. Heiligkeit zurückzusenden. Indessen – der Durchschnitt des galanten französischen Offizierkorps konnte weder den schmeichelnden Prälaten, noch – last, not least, – den von schönen Lippen kommenden Bitten päpstlich-legitimistisch gesinnter Damen der französischen Aristokratie widerstehen!! Der Einfluß schöner Frauen in der Politik gehört zu den allbekanntesten Dingen und somit brauchen wir uns also betreffs der Galanterie jener Franzosen nicht übermäßig zu wundern. Wie gefällt aber dem Leser das Bild einer schwarzäugigen, neapolitanischen Mutter, welche den Säugling in ihrem Arme herzt und küßt und keinen zärtlicheren Liebesnamen für ihn zu finden weiß, als » brigantino di mamman!?« Mamas kleines Brigantchen.

Solche und ähnliche Szenen fanden die wenig beneidenswerten norditalienischen Offiziere, welche nach Neapel auf die Hetzjagd gegen die Briganten gesendet wurden, auf Schritt und Tritt, und sie hatten also nicht nur gegen Briganten, nein, auch gegen tief eingewurzelte Vorurteile, Ansichten, Gefühle zu kämpfen, die dem ganzen Volke, der ganzen Zeit einen eigenartigen Stempel aufdrückten. Wer da meint, wir malten allzu schwarz, oder richtiger allzu rot, der lasse sich Stückchen von dem durch vier Mordtaten geadelten Galeerensklaven Nardi erzählen und von dem sauberen »General« Crocco, dessen Avancement zu diesem militärischen Range in der Zelle eines Karmeliterklosters begonnen, von wo er zunächst gleichfalls auf die Galeere wanderte. Beide, ersterer unter dem Titel und Namen eines Obersten Amati, gaben im März 1861 in der inneren Basilicata mit der roten Kokarde das Zeichen zu Mord und Plünderung der Liberalen. Der Bourbonen-Franz, schrien sie, stehe bereits mit seinen Getreuen in der Hauptstadt, wohin eine französische Flotte ihn gebracht, und das österreichische Heer sei im Anzuge. Wer zu klug war, dies zu glauben, der mußte seine Weisheit sofort mit dem Tode büßen. Der »süße Pöbel«, der vorher in den Beichtstühlen – ähnliche Sachen passierten wunderbarerweise mit Vorliebe nach der Osterbeichte – gehörig instruiert worden war, öffnete im Rücken der verschanzten Nationalgarde der Bande Amatis ein Tor von Venosa und half plündern. Bischöfliches Tedeum, Glockengeläute, Illumination. – – Die angesehensten Einwohner, langsam am Strange erstickend, waren Zeugen der Plünderung ihrer Häuser, der Mißhandlung ihrer Familien. Endlich erschienen einzelne Truppenabteilungen, vor denen die feigen Plünderer retirierten. Die Fahnen mit dem Bilde der Madonna, Franzens, seiner Mutter, seiner Gattin wurden im Stich gelassen; die Bilder Viktor Emanuels und Garibaldis erschienen wieder aus ihren Verstecken. Aber die Kämpfer für Altar und Thron fanden sich sofort an anderen Orten zusammen, um ihr heiliges Werk wieder aufzunehmen. Die rohesten Leidenschaften waren entfesselt und die Keuschen unter den Weibern suchten der Schändung in den gierig nach ihnen haschenden Armen der geilen Banditen durch einen Sprung aus dem Fenster zu entgehen. Selbst reiche Lösegelder retteten nicht immer vor dem Tode!

Mit solchen Elementen arbeitete die Kurie – diese natürlich stets nur versteckt – und die französischen Legitimisten. Solche Massen schmutzigen Gesindels warfen sich dem langsam aber sicher einherrollenden Siegeswagen der italienischen Freiheit und Einheit entgegen und suchten den Triumph des »Kreuzes von Savoyen« zu hintertreiben! – Freilich waren's Pygmäen, die den bergabrollenden Marmorblock in seinem Laufe hemmen wollten, indes das Nagen von Ratten vermag auch dem stolzesten Bau gefährlich zu werden, wenn nicht rechtzeitig ein geschickter »Kammerjäger« seine Giftpillen ausstreut. – – – Wir glauben, daß der Leser wohl einsehen wird, daß wir nicht aus bloßer »Lust zu fabulieren« oder um ihm ein Stückchen »Schauerroman« zu kosten zu geben, unsere Blendlaterne mit etwas rücksichtsloser Ausdauer auf diese Nachtvögel haben scheinen lassen. Vielleicht ergreift ihn mit uns nach Kenntnisnahme der aktenmäßig erwiesenen Tatsachen, welche dieser Phase der neuesten italienischen Geschichte zugrunde liegen, dasselbe heilige Feuer der Entrüstung, das den General Pinelli beseelte, als er, noch vor dem Falle der Feste Gaëta, in den höchsten Gebirgen um den Gran Sasso d'Italia die ersten Banden der Briganten mit äußerster Anstrengung und mit anerkennenswertem Erfolg gehetzt. »Treibt sie,« rief der heißblütige General seinen Soldaten zu, »treibt sie aus ihren Felsennestern! Seid unbarmherzig, wie das Schicksal. Gegen solche Feinde ist Mitleid ein Vergehen. Feig niederkniend, wenn sie euch zahlreich sehen, fallen sie euch, wenn sie euch für schwach halten, in den Rücken, alle Verwundeten grausam erstechend. Gleichgültig gegen jedes politische Prinzip, nur nach Raub gierig, sind sie nicht die Söldlinge des Statthalters Christi, sondern die des Satans. Wir werden sie vernichten, den priesterlichen Vampyr zertreten, der mit seinen garstigen Lippen seit Jahrhunderten das Blut unserer Mutter Italien schlürft! Mit Feuer und Eisen Wollen wir das Land von ihnen reinigen!«

Freilich, unsere Entrüstung dürfte so wenig helfen, wie s. Z. der Feuereifer des wackeren Generals. In Rom, wie in Paris, schrie man Zetermordio ob der »Unmenschlichkeit« und »Barbarei«, welcher Pinelli das Wort predige, und die Folge war – daß der General sofort zurückberufen wurde!

Nun, der Herrgott sorgt dafür, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. So groß die Übel waren, an denen Italien litt, so ernst die Gefahren, die es bedrohten, – Italien besaß soviel Lebenskraft und Elastizität, daß es jedes Hindernis überwinden konnte. Niemals vielleicht hatte eine Nation eine so glückliche und kräftige Kindheit als die italienische. Sie besaß ein tapferes Heer, das zu jeder neuen Probe bereit, volles Vertrauen auf sich selbst hatte und ungeduldig der Stunde wartete, wo es auf dem Felde des Entscheidungskampfes Lorbeeren pflücken könne. Italien besaß eine Jugend, die, von hochherzigen Beispielen begeistert, zum großen Teil schon die Gefahren und Mühsale des Feldzuges gewöhnt war. Italien war die Mutter eines Helden, der durch die Macht seines Wortes, durch sein Beispiel und seine antike Tugend die Massen entzündete, sie zu Kampf und Sieg fortriß und aus jedem Mann einen Soldaten, aus jedem Soldaten einen Helden machte. Endlich aber herrschte über das Königreich Italien ein Fürst, der, von allen seinen uns in einem früheren Kapitel bekannt gewordenen Eigenheiten abgesehen, die Liebe verdiente, welche er genoß, ein Fürst, um den sich nicht byzantinischer königlicher Pomp, nicht der Schrecken gemißbrauchter Gewalt, nicht knechtische entartete Junker, sondern der freie Volkswille, der Glaube und die Liebe einer ganzen Nation scharte, die jeden Augenblick bereit war, seinem Rufe zu folgen und für ihn und Italien den letzten Tropfen Blut zu vergießen.

Alles das lag in der einen Wagschale, und die andere mit all ihren Pfaffen, ihren Briganten, ihrer mangelhaft organisierten Verwaltung, – an sich zweifellos schwere Gerichte, – schnellte federleicht in die Höhe. Was half alles Wühlen, was halfen alle Kontreminen der Leute in Kutte und Tonsur, was half die Freundschaft des französischen Abenteurers auf dem Throne – – über dem Quirinal zu Rom weht heute doch das Banner mit dem »Kreuze von Savoyen!«


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