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Eine königliche Plauderstunde.

In einem mit auffälliger Anspruchslosigkeit ausgestatteten Kabinett des Königsschlosses in Turin – es erinnerte in der Tat mehr an das »Studierzimmer eines wohlsituierten Rentiers, als an das Arbeitszimmer eines Monarchen – saß an dem Tage, welcher auf die Vorgänge im Kellerraume der Strada di Giovanni folgte, der Re galantuomo einsam vor seinem mit Büchern und Broschüren bedeckten Schreibtische. Er hatte sich in seinen Ledersessel – keineswegs ein Muster von Bequemlichkeit oder Eleganz – zurückgelehnt. Seine rechte Hand, die auf das Knie herabgesunken war, hielt einen Brief, während er sich mit der Linken von Zeit zu Zeit, wie um sein Nachdenken zu unterstützen, über die massiv geformte Stirn fuhr.

In den letzten beiden Jahren hatte sich der König sehr verändert. Schon der Umstand, daß Victor Emanuel um diese Jahreszeit, die ihn sonst im idyllischen Genusse der ländlichen Freuden auf dem Monte d'oltre Po fand, in seiner Residenzstadt Turin weilte, und offenbar unter der Sorgenlast der Regierungsgeschäfte, deutete darauf hin, daß die äußeren Umstände, in welchen sich das junge Reich des Königs befand, es dem wackeren Regenten unmöglich machten, procul negutiis, den Freuden zu huldigen, die sein epikuräisch angehauchtes Gemüt weit angenehmer fand, als die Vorträge Minghettis oder Visconti-Venostas.

Wir wissen, daß Napoleon, der immer noch die Fäden der europäischen, insbesondere aber der italienischen Politik in der Hand hielt, Ratazzi in die Würde eines italienischen Ministerpräsidenten hineinlanziert hatte. Wunderbarer Weise lohnte diese Kreatur des französischen Imperators, nach »Besiegung« des Garibaldinischen Aufstandes, in der denkwürdigen »Schlacht« von Aspromonte seinem Herrn und Meister seine Protektion recht schlecht. Nachdem dieser Fabius Cunctator sich zu dem Schritte aufgerafft hatte, im August 1862 die Regierung zu einem energischen Schritte gegen Garibaldis »Aspirationen« zu veranlassen, war ihm der Kamm geschwollen. Durch den Minister des Auswärtigen, Durando, welcher bei dieser Gelegenheit kein großes diplomatisches Geschick und noch weniger Vorsicht in der Abfassung wichtiger Noten zeigte, erließ er am 10. September, also kaum zwei Wochen nach dem Einfangen des grimmigen Löwen von Caprera, eine sonderbare drohende Note an Frankreich.

»Das Gesetz,« hieß es darin u. a., »hat gesiegt, allein das Losungswort der Freiwilligen war diesmal der Ausdruck eines Bedürfnisses, welches sich heute dringender erweist, denn je. Die ganze Nation verlangt nach ihrer Hauptstadt. Sie hat dem unbedachten Drängen Garibaldis nur darum widerstanden, weil sie überzeugt ist, daß die Regierung des Königs das Mandat erfüllen werde, welches sie bezüglich Roms vom Parlament erhalten hat.« … Es sei hohe Zeit, daß die weltliche Herrschaft des Papstes entfernt werde, wenn nicht der Konflikt eine für den Katholizismus gefährliche Gestalt annehmen solle. Nur wenn die Mächte, namentlich Frankreich, dazu die Hand böten, könne Italien für Europa eine Bürgschaft der Ordnung bleiben!

Das war etwas grobe Speise für den verwöhnten Magen des französischen Imperators. Sie blieb übrigens für Italien ebenso wenig ohne Folgen, wie für Signore Rattazzi selbst. Napoleon beeilte sich, alle irgendwie italienisch gesinnten Männer in seinem Kabinett mit wahrhaft auffälliger Hast durch mehr klerikal-imperialistische zu ersetzen. An Stelle Thouvenels trat Drouyn de Lhuys, als Minister des Auswärtigen, an Stelle Benedettis Graf Sartiges, als Gesandter in Turin. Drouyn erklärte in einer Depesche nach Turin, am 26. Oktober 1862, die kaiserliche Regierung bleibe ihrer Sympathie für Italien, wie für die römische Kurie getreu. Sie suche die Gegensätze zu vermitteln, das sei stets ihre Politik gewesen, und bei dieser Politik beabsichtige sie auch auszuharren.

Die stärkste Drohung gegen Italien aber war die nunmehrige Wiederaufnahme des veralteten Napoleonischen Planes: Italien als eine Konföderation von drei Staaten mit europäischer Garantie für das päpstliche Erbteil St. Peters und mit dem Vikariat der Krone Piemont in den päpstlichen Nordprovinzen. Murat rührte sich wieder in Neapel. Natürlich, – auch hierbei stand Napoleon hinter den Kulissen, da er eben damit beschäftigt war, energisch gegen einen englischen Prinzen auf dem erledigten Throne Griechenlands zu protestieren, und somit es für praktisch hielt, dieser Eventualität Murat in Neapel entgegen zu setzen, um das Mittelmeer nicht England zu überlassen.

Rattazzi kann sich ruhig die Ehre zuschreiben, all diese Reibereien, dieses heftigere Aufeinanderplatzen der Geister wesentlich mit veranlaßt zu haben, und er kann sich auch bei sich selber dafür bedanken, denn die Angelegenheit klappte ihm sein Ministerportefeuille sehr rasch zu. Er trat einstweilen am 1. März 1862 von der politischen Bühne ab.

Wie sich doch ein Minister Über seinen Fall trösten kann! Rattazzis Trösterin war keineswegs die alles nivellierende Zeit, sondern – die Liebe, in Gestalt der Prinzessin Maria Solms-Bonaparte-Wyse. In Begleitung dieser schönen Dame drehte er dem undankbaren Hofe von Turin den Rücken, und zog sich, nicht grollend, sondern girrend an die Ufer des Lago Maggiore zurück. Da der Gatte der Principessa ihr und ihm den Gefallen tat, zu guter Stunde gerade damals zu sterben, so vermählte sich das glückliche Paar bereits im Januar 1864, was auf Rattazzis politische Abenteuer von 1867 einigen Einfluß übte.

Rattazzi hatte also vorderhand »ausgespielt.« – Das Ministerium Farini-Minghetti trat an seine Stelle. Beide Männer, sowohl der Romagnole Farini, wie der Bologneser Minghetti, hatten wenigstens die Aussicht, vom Volke nicht mit scheelen Augen angesehen zu werden, denn beider Vergangenheit sprach von dem ernsten Verlangen, Rom zu gewinnen, beide hatten der Person, sowie der Politik Cavours nahe gestanden. Farini, welcher am 8. Dezember 1862 das Präsidium des Ministeriums übernahm, hatte eine etwas »bunte« Vergangenheit hinter sich, indem er 1845 unter Papst Gregor sich als antiklerikaler Insurgent im Apennin hervortat, um dann, schon 1848, der vertraute Sekretär des Pio Nono zu werden – während des letzteren liberalen Ära. Übrigens hatte beim gegenwärtigen Papste auch Farinis Kollege, Minghetti – der wenig beneidenswerte Finanzminister Italiens – eine gleiche Vertrauensstellung beim Papst inne gehabt. War Rattazzi über die römische Frage gestolpert, so muß man dem neuen Ministerium nachsagen, daß es danach gestrebt hat, Italien im Innern, namentlich in bezug auf den nervus rerum, stark und selbständig zu machen, um sein Ziel aus eigener Kraft, nicht auf dem Wege des blinden Zufalles, nicht mit fremder Hilfe zu erlangen. Dabei war das Ministerium keineswegs auf Rosen gebettet, denn der Antagonismus zwischen dem päpstlichen Hirtenstabe und dem königlichen Zepter ward immer schärfer, und es ward ein wahres Schachspiel von bissigen Maßregeln und Gegenmaßregeln, von beiden Teilen Zug um Zug aufgeführt. Die »tote Hand«, die Schätze der neapolitanischen Klöster mußten zu allererst fallen, und die Kuttenträger beiderlei Geschlechtes wurden von der Regierung mit mageren Pensionen abgefunden. Darob großer Zorn in Rom und Verbot der Beteiligung des Klerus am Nationalfeste seitens der Kurie.

Inzwischen fuhren sich auch die Aktionspartei und die Regierung in die Haare. Den Anlaß hierzu boten die Revolutionsversuche in Polen. Das Parlament verlangte ein Lebenszeichen von der Regierung. Italien sollte seine Stimme in der Sache hören lassen. So sah sich denn das Ministerium moralisch gezwungen, dem Hofe von St. Petersburg eine höfliche Note zugehen zu lassen, in welcher es sehr unzweideutig die Sympathien Italiens für die Leiden Polens ausdrückte. Durch diese selbständige Handlung hatte sich die Regierung nicht übel aus der Affäre gezogen. Denn als dieselbe durch England aufgefordert wurde, sich an der diplomatischen Aktion Englands, Frankreichs und Österreichs zu beteiligen, konnte der Minister des Äußeren, Graf Paolini, erklären, daß Italien bereits auf eigene Faust soviel getan habe, als es für notwendig und tunlich erachte, während es sich, in Anerkennung der Tatsache, daß es doch für Rußland eigentlich recht schwer sei, Polen nationale Konzessionen zu machen, nicht dazu hingeneigt fühle, »eine Parodie des Krimkrieges« aufführen zu helfen.

Natürlich gefiel den Heißspornen von der Aktionspartei diese Zurückhaltung des Ministeriums keineswegs. Was wäre den Mazzinisten und ähnlichen Brauseköpfen lieber und für ihre revolutionären Ziele geeigneter gewesen, als das Entflammen eines allgemeinen europäischen Kriegs! Natürlich war das abwartende Verhalten Italiens für solche Pläne und Hoffnungen ein gewaltiger Strich durch die Rechnung, konnte es doch vor allem Österreich unter diesen Umständen keinesfalls wagen, den nordischen Bären wegen der polnischen Angelegenheit am Fell zu zausen. Die Mazzinisten erließen Proklamationen über Proklamationen und entwickelten eine ungeheuere Rührigkeit. Und der gemäßigtere Teil der Aktionspartei, unter der Führung Garibaldis, welcher entgegen den Mazzinisten, immer noch felsenfest an Victor Emanuel hielt, auch er ließ seine Donnerstimme von dem Felseneilande Cabrera aus hören. Am 15. Dezember 1863 erließ Garibaldi eine Proklamation, und forderte darin die Schließung des Parlaments, Unterstellung aller Kräfte, aller Parteien Italiens unter die Diktatur Victor Emanuels, welcher allein sein Wort nie gebrochen habe. Die Völker Venetiens und Illyriens würden dann aufstehen; die Bollwerke Österreichs in Venetien würden fallen; Italien, wieder geachtet, werde seine Hauptstadt haben.

Allein das Ministerium wahrte seine stoische Ruhe, selbst als 22 Abgeordnete der Linken, hingerissen von der wütenden Aktionspartei, ihr Mandat niederlegten, und konfiszierte sämtliche Zeitungen, die ein neues Manifest Garibaldis brachten, worin er ein Zentral-Aktionskomitee niedersetzte.

Und was war das Resultat von alledem? Man könnte mit Shakespeare sagen: Much ado about nothing! Italien blieb tatsächlich ruhig und höchstens der eine Effekt war erzielt, daß die rebellierenden Polen auf die Unterstützung Österreichs gegen Rußland verzichten mußten.

Übrigens darf nicht unerwähnt bleiben, daß schon im März des Jahres 1863 das junge Ministerium von einem Unfalle betroffen wurde. Der Ministerpräsident Farini Ivar schon vor dem Antritte seines Postens längere Zeit leidend gewesen, und der einst gefürchtete Parlaments-Demosthenes hatte all seine Redegabe verloren. Bedenkliche Krankheitssymptome begannen sich im Laufe der Monate zu häufen. Es wurde bald klar, daß selbst die Denkfähigkeit des Ministerpräsidenten ganz auffällig im Abnehmen begriffen war und – das Gespenst der Gehirnerweichung war da, ehe man es sich versehen. Der Mann, der mit wirklich guten und lobenswerten Absichten seines Amtes gewaltet, beschloß sein Leben erst im Jahre 1866 im Irrenhause, während das dankbare Land der Familie Farini eine Gratifikation von 200;000 Lire, ihm selbst eine lebenslängliche Pension votierte.

Der Wahnsinn Farinis war kein düsterer. Er bewies nur, wie tief in die Seele eines jeden italienischen Staatsmannes jener Zeit sich der eine, damals alle bewegende Gedanke einprägte: Rom, jenes Strebeziel, um welches der ganze Kampf, der offene und der geheime, für das Kreuz von Savoyen sich drehte. Beständig war die irre Phantasie des Kranken mit der römischen Frage beschäftigt, und die glücklichsten Augenblicke für ihn waren die, wo der höhnende Genius des Irrsinns ihm vorspiegelte, daß das Haupthindernis der Verständigung, Antonelli, der Kardinal-Staatssekretär, jener Fuchs unter den Prälaten, getötet sei!

So veränderte sich denn die Physiognomie des italienischen Ministeriums aufs neue. Minghetti trat an die Stelle Farinis. Peruzzi behielt das Ministerium des Innern, und im Ministerium des Äußern ward Pasolini durch Viscontis-Venosta, einem Sprossen aus edlem Mailändischem Geschlechte, von melancholisch-weichem Gemüt, aber nicht ohne Entschlossenheit in Stunden der Krisis, ersetzt.

* * *

Der König legte das Schriftstück, welches er während seines Nachdenkens in der Hand gehalten, auf den Schreibtisch und setzte eine kleine Silberglocke, die unter den Büchern und Papieren auf dem Tische stand, in Bewegung.

Ein Kammerdiener trat ein.

»Ist jemand im Vorzimmer?« fragte der König.

»Signore Paolini, Majestät.«

»Ah, vortrefflich« – und ein Seufzer der Erleichterung entrang sich der Brust des Königs. »Ich will ihn sofort sehen!«

Mit einer Verbeugung verließ der Kammerdiener das Zimmer, und während der König, als Zeichen der zurückkehrenden besseren Laune, eine neue Regalia in Brand steckte, trat auch schon der uns wohlbekannte Vertraute, ja wir dürfen sagen der Freund Victor Emanuels ins Kabinett.

Paolini näherte sich mit Vertraulichkeit, aber doch offenbar mit herzlicher Hochachtung, dem Könige.

»Du bist willkommen, Paolini,« rief ihm der König mit begrüßender Handbewegung entgegen. »Was gibt's draußen?«

Das scharfe Auge des königlichen Geheimagenten flog über den Schreibtisch des Monarchen.

»Sire,« erwiderte er, »ich nahm an, daß mich Ew. Majestät erwarteten.«

» Diavoletto!« rief der König lachend, mit seiner etwa derben Faust auf den Tisch schlagend. »Hast du wieder einmal deine Spürnase in Tätigkeit gehabt? Was weißt du, oder was kombinierst du wieder? Heraus damit!«

Ein feines Lächeln erschien auf dem schlauen Gesicht Paolinis.

»Ich weiß, oder – entschuldigen Ew. Majestät – ich ahne, daß Sie meiner Dienste in einer Angelegenheit bedürftig sind, die – die.«

Der Monarch drohte lächelnd mit dem Finger.

»Spitzbube von einem Polizeispion! Ich glaube, diesmal bist du auf dem Holzwege. Du solltest wissen, daß ich jetzt andere Gedanken im Kopfe habe, als le donne mobile.«

»Mit Verlaub, Sire,« erwiderte Paolini sich verbeugend, »diesmal sind es Ew. Majestät, der sich irrt. Auch in der Politik bedarf man zuweilen der Hilfe eines treuen Dieners.«

»Eines Freundes, Paolini, eines Freundes!« rief der König mit warmer Betonung, indem er aufstand und seinem Vertrauten die Hand hinstreckte, welche dieser mit Ehrerbietung küßte.

»Ich sehe also, daß du schon einigermaßen instruiert bist. Setze dich nieder und sprich.«

Paolini folgte der Aufforderung des Königs, und auch dieser nahm wieder vor dem Schreibtische Platz.

»Sire, – ich hatte zwei Gründe, anzunehmen, daß Ew. Majestät mich rufen lassen würden,« sagte Paolini. »Erstens weiß ich, daß Ew. Majestät heute morgen ein Schreiben aus dem Mazzinistischen Lager erhalten, zweitens nahm ich an, daß Sie die ›Gazetta di Torino‹ von heute morgen gelesen haben.«

Es flog einen Augenblick wie ein Schatten über das ausdrucksvolle Gesicht des Königs.

»Was weißt du von dem Schreiben, Paolini, und wie kommst du dazu?« fragte er.

Fühlte er vielleicht, wie unsicher das Briefgeheimnis in seiner Umgebung sei?

Der Geheimagent Sr. Majestät schien die Gedanken des Königs aus seiner umwölkten Miene lesen zu können.

»Ew. Majestät kennen meine Instruktionen, die Sie mir selbst gegeben. Sie gehen allerdings weit, indessen –«

»Indessen – sie sind notwendig!« fiel der König ein. »Ich weiß das, ich weiß das. Ebbene, sage mir nur. Wie du zu deiner heutigen Weisheit kommst!«

»Sehr einfach, Sire! Bei der Sortierung der Morgenpost, die ich in Ew. Majestät Auftrag täglich besorge –«

»Um die Spreu vom Weizen zu sondern,« unterbrach ihn der König mit lautem Lachen, dessen üble Laune vor dem ursprünglichen Humor seines Naturells nur selten lange Stand zu halten pflegte.

»Ganz recht, Sire,« erwiderte Paolini lächelnd. »Bei der erwähnten Gelegenheit fand ich den Brief mit dem Londoner Poststempel, und – ich erkannte die Handschrift. Ew. Majestät wissen, daß ich mich eines guten Gedächtnisses erfreue, und so erinnerte ich mich denn auch sogleich, daß es dieselbe Handschrift sei, um derentwillen ich schon vor der Aspromonte-Affäre wiederholt die Ehre hatte, von Ew. Majestät zu Nate gezogen zu werden, wenn es galt, gewisse Zusammenkünfte möglich zu machen, welche sonst vielleicht unser verehrtes Polizeioberhaupt in lobenswertem Eifer für Ew. Majestät Sicherheit durchkreuzt haben würde.«

»Nun denn, Schlaukopf, du hast recht. Es handelt sich um dieselbe Sache. Man meldet mir von London aus Besuch an.«

»Und was haben Ew. Majestät beschlossen?«

Der König zerrte ungeduldig an den Spitzen seines mächtigen Schnurbartes.

»Teufel!« rief er nach einer kurzen Pause. »Was soll ich tun? Soll man dem König von Italien vielleicht nachsagen, daß er sich vor mazzinistischen Dolchen fürchtet?«

»Mazzinistische Dolche sind vielleicht nicht so gefährlich und unangenehm, Sire, – wie französische Freundschaft!«

Der König war in sichtlicher Aufregung aufgestanden und schritt, mit nervöser Hast an seiner Zigarre kauend, in dem Kabinett auf und ab.

» Tortoraccio!« polterte er. »Verdirb mir die Laune nicht. Wenn ich an die französische Freundschaft denke, dann – nun, du weißt am besten, Paolini, daß ich manchen persönlichen Herzenswunsch habe aufgeben müssen, um des Glückes und – der Sicherheit meines geliebten Landes willen!«

» Vermente, Sire,« erwiderte Paolini mit einem leichten Seufzer. »Selbst Turin!«

Rasch blieb der König stehen, schritt dann auf den Sessel zu, nahm Platz und rückte dicht an den Inspektor heran. Seine buschigen Brauen waren zusammengezogen und es war ein ernster, fast drohender Blick, der in diesem Augenblicke den allwissenden Agenten traf.

» Cospetto di bacco!« rief er. »Haben die Spione selbst in die Aktenschränke meiner Minister Zugang?«

»Sire,« entgegnete Paolini, »nichts wäre einem getreuen Diener schmerzlicher, als das Bewußtsein, Ew. Majestät beleidigt zu haben. Aber – bedarf es denn des Spionierens, um das zu wissen, was die Spatzen auf den Dächern in ganz Italien pfeifen?«

»Wie meinst du das?«

»Geruhen Ew. Majestät dieses hier zu durchfliegen.«

Mit diesen Worten zog Paolini aus seiner Tasche ein Exemplar der »Gazzetta di Torino« hervor und überreichte es dem Könige.

» Si, si,« sagte Victor Emanuel, das Blatt entfaltend, »jetzt fällt mir ein, daß du heute schon einmal den Namen dieses Blattes erwähntest.«

»Lesen Sie den Leitartikel, Sire, und Sie werden meine Andeutung verstehen!«

Mit tiefem Stirnrunzeln durchflog der König die mit Rotstift angestrichenen Zeilen.

Es war ein mit begeisterten Worten abgefaßter Artikel, der das Volk von Italien mit der Tatsache der am 15. September mit Frankreich abgeschlossenen Konvention bekannt machte. In geschicktester Weise war die Sache so dargestellt, daß dieser Schritt der wichtigste auf dem Wege zur vollständigen Einigung Italiens sei. Der Panegyrikus auf Napoleon III. war fulminant, und eindringlich waren die Worte der Ermahnung an die Bevölkerung von Turin, daß sie stolz sein und ihre Ehre darin suchen müsse, mit Freuden sich in die Erfüllung der angehängten Klausel, welche die Verlegung der königlichen Regierung von Turin enthält, zu fügen. Es wurde darauf hingedeutet, daß kein Zweifel obwalte, daß Florenz zur Nachfolgerin Turins bestimmt sei, und erklärt, daß das getreue, loyale Turin aus vollstem Herzen zu diesem Opfer bereit sein werde, in dem edlen Entschlusse, allen Eigennutz schweigen zu lassen, wo es das allgemeine Wohl, die ruhmvolle Zukunft des Vaterlandes gelte.

Der Re galantuomo warf das Blatt mit einem grimmigen Fluche zu Boden.

»Ich will des Teufels sein«, rief er zornig, »wenn nicht wiederum Giuseppe Mazzini dahinter steckt. Auf welcher Weise konnte sonst diese Affäre vorzeitig bekannt werden!«

Der Inspektor zuckte mit den Achseln.

»Wie heißt der Redakteur en chef dieses Blattes?«

»Masati.«

»Kennst du diesen Menschen?«

»Nur oberflächlich, Sire.«

»Ist es denkbar, daß er mit den Mazzinisten unter einer Decke steckt?«

»Möglich ist es wohl, Sire; allein, ist es nicht ebensogut denkbar, daß unsere schwarzen Freunde in Rom die Urheber dieses Leitartikels sind? Ew. Majestät wissen, daß die jesuitischen Leisetreter allenthalben sehr feinhörige Spione haben.«

Der König schüttelte mit dem Kopfe.

» Improbabile,« sagte er, » improbabile. Diese Leute tun nicht so leicht etwas Zweckloses, und – die vorzeitige Veröffentlichung einer Tatsache, welche doch über kurz oder lang bekannt werden wird, kann den Jesuiten durchaus gar nichts nützen.«

»Ich glaube nicht, Sire, daß das Hauptgewicht auf das Bekanntgeben der Tatsache, als vielmehr auf die Art und Weise zu legen ist, wie und durch wen dieselbe bekannt gemacht wird. Ich kann Ew. Majestät nicht verhehlen, daß dieser Artikel der Gazzetta bereits an allen Ecken und Enden in Turin böses Blut gemacht hat. Täusche ich mich nicht, so haben schon gestern zweideutige Subjekte in verschiedenen Schenken niederen Grades Versuche gemacht, das Volk aufzuhetzen.«

Die Faust des Königs fiel schwer auf den Tisch.

» Affè di Dio! So sind's eben doch die Mazzinisten! Sieh her, Paolini« – und mit diesen Worten griff er hastig nach dem Schreiben, über welchem wir ihn eingangs dieses Kapitels angetroffen, und schüttelte zornbebend das Papier, als habe er in diesem Augenblicke einen enragierten Anhänger Mazzinis in persona am Kragen – »sieh her, Paolini, in diesem Briefe verlangen sie wieder eine Unterredung mit mir. Vertrauend auf meine Gutmütigkeit, mit der ich sie stets geschont, weil mein Herz nicht minder warm, wie das ihre, für die Freiheit, d. h. die wahre, geregelte Freiheit Italiens schlägt, wenn auch unsere Wege tausendmal auseinander gehen, fordern sie wieder meinen persönlichen Schutz für ihren Agenten, der mit mir über die venetianische Angelegenheit unterhandeln soll. Sie wollen dort in Venetien wühlen und wühlen, bis das Volk selbst gegen Österreich aufsteht und sich mit den Polen und den andern Unzufriedenen gegen Österreich verbindet. Nun – mort de ma vie – ich hätte wahrlich mit ihnen unterhandelt, ja ich wollte eben heute morgen deine Hilfe, Paolini, um den Mann, den sie mir wieder auf den Hals schicken wollten, sicher zu mir her zu geleiten, damit er sich nicht bei der offiziellen Polizei kompromittiere. Ich hätte gern mit ihm gesprochen und ihm ruhig auseinander gesetzt, daß es meiner königlichen Ehre widerspricht, die Hand zur Rebellion in meinem eigenen Lande zu bieten, daß sich vor mir eine neue, politische Perspektive auftut, welche mir klar den Weg zeigt, den meine Regierung zu gehen hat, um auf ehrenhafte Weise zu unserem gemeinsamen Ziele zu gelangen. Aber – maledetto – in diesem Briefe wird deutlich angedeutet, daß sie mir den Beweis liefern wollen, wie leicht und wie geräuschlos sie es fertig bringen können, die Massen zu erregen. Nun halte das zusammen mit dem, was du mir soeben gesagt hast, und mit diesem verteufelten Leitartikel in der Gazzetta. Verstehst du nun, wie das zusammenhängt, und glaubst du nun, daß wir den Streich, und was etwa noch daraus folgen wird, Giuseppe Mazzini und nicht dem Pater Bekx oder Antonelli und Konsorten, zu verdanken haben?«

Der Inspektor blickte nachdenklich vor sich hin.

»Sire,« sagte er nach einer kurzen Pause, während welcher Victor Emanuel finster vor sich hinstarrend gesessen hatte – »ich sehe allerdings, daß Sie in diesem Punkte vollständig recht haben, und ich fürchte, daß wir ernste Unruhen zu erwarten haben. Doch was gedenken Ew. Majestät zunächst zu tun?«

Der Monarch griff aufs neue zu dem Briefe und durchflog nochmals flüchtig den Inhalt desselben.

»Paolini,« sagte er endlich, und seine ruhige Stimme zeigte, daß er seiner Erregung Herr geworden, zugleich auch, daß er entschlossen war, fest und unverrückt an dem Entschlusse festzuhalten, welchen er gefaßt. »Du wirst dich von hier sobald wie möglich nach dem Hotel Europa begeben. Dort wirst du heute vormittag im Speisezimmer einen Herrn im Alter von etwa 26 Jahren, von deutlich französischem Exterieur finden, mit dunklem Henriquatre und einer Narbe im Gesicht –« hier blickte der König nochmals in den Brief. – » Si, si, so ist er beschrieben. Ebbene – diese Persönlichkeit wird eine rote Nelke im Knopfloch tragen. An den wende dich und sage zu ihm das eine Wort Benedig. Alsdann wirst du aus seinem Gebahren erkennen, ob du den richtigen Mann vor dir hast oder nicht.«

Der Inspektor machte sich die betreffenden Notizen.

»Und welche Botschaft, Sire,« fragte er dann, »soll ich dem Unbekannten ausrichten? Denn – verstehe ich recht, so soll mir der Betreffende unbekannt bleiben.«

»So unbekannt, wie er mir dem Namen nach selbst ist. Es könnte deiner polizeilich geübten Spürkraft natürlich sehr leicht fallen, sehr bald die Lebensgeschichte dieses Mannes, vielleicht auch die seiner Urgroßmutter herauszukriegen, allein – du verstehst mich, Paolini.«

»Sire,« entgegnete der Getreue, sich von seinem Sitze erhebend, mit einer leichten Verbeugung. »Ich verstehe Sie vollkommen. Ew. Majestät wollen, trotzdem Sie sich den Zumutungen der Mazzinisten gegenüber verneinend zu verhalten beabsichtigen, doch das in Sie gesetzte Vertrauen nicht täuschen, und der Person des republikanischen Parlamentärs gegenüber Schonung üben.«

» Veramente, das will ich, Paolini. Genau so, wie du gesagt hast, und ich will, daß du dem Abgesandten Giuseppe Mazzinis deutlich und klar in meinem Namen sagst, daß ich stets der treueste Sohn meines Vaterlandes sein werde, daß es manchen Punkt gibt, wo meine Ansichten mit denen des Exilierten sympathisieren, daß ich aber zunächst nicht absoluter Herr der mich umgebenden Umstände bin und ferner auch die königliche Würde, die mir von meinen Vorfahren überkommen, zu wahren habe. Indessen wünsche ich ausdrücklich, daß du deine Neugierde in diesem Falle vollständig bezähmst. Verstehst du mich ganz, Paolini?«

Der Inspektor lächelte etwas ironisch.

»Ew. Majestät scheinen anzunehmen, daß meine Dienste, die ich Ihnen zu leisten die Ehre und Freude hatte, mir die Neugierde zur zweiten Natur gemacht.«

Victor Emanuel gehörte keineswegs zu den bekannten hohen Herren, mit denen das Kirschenessen nicht zu den Annehmlichkeiten gehört. Er konnte einen kleinen, wohlgezielten Stich recht gut vertragen, wenn er bei Laune war.

Die etwas stachlige Bemerkung seines Faktotums gab ihm daher sogar einen Teil seiner heiteren Laune zurück.

Er beantwortete dieselbe mit einem schallenden Gelächter.

» Birbante!« rief er, mit dem Finger drohend.

»Bring' dich nicht in des Teufels Küche! Du weißt recht gut, daß deine getreuen Dienste, die du die Ehre hattest mir zu erweisen, vermöge deiner angeborenen Schlauheit, dir manche süße Stunde eingetragen haben. He?«

»Sire,« erwiderte Paolini ausweichend, »das Vergnügen, Ew. Majestät dienen zu können, stellt alle anderen Vorteile in den Schatten.«

» Bene, bene,« erwiderte der König lachend. »Weiß schon, daß du so schwer zu fassen bist, wie ein glatter Aal. Doch, wie gesagt,« fügte er ernster hinzu, »ich wünsche, daß der Mann mit samt seiner Nelke im Knopfloch ungeschoren bleibt.«

»Ihr Wunsch wird getreulich erfüllt werden, Sire, und ich mache mich sogleich nach dem bezeichneten Hotel auf.«

»Halt, Paolini,« rief der König dem Inspektor, der im Begriffe war, sich zurückzuziehen, nach, »noch eine Frage. Sieht es wirklich stürmisch in Turin aus?«

Paolini zuckte mit den Achseln.

»Es ist eben genau so, wie ich Ew. Majestät vorhin andeutete. Eine sichtbare Aufregung geht durch alle Schichten des Volkes. Doch wie weit heute morgen die Sache gediehen ist, das habe ich noch nicht zu beobachten Gelegenheit gehabt.«

»Ist die Polizei instruiert?«

»Ich sprach gestern noch mit dem Polizeidirektor, Sire, also ehe dieser verhängnisvolle Leitartikel in der Gazzetta erschienen war. Er schien auch dieselbe Beobachtung gemacht zu haben, wie ich, doch nahm er die Sache sichtlich auf die leichte Achsel.«

»Was hältst du von ihm?«

Paolini blickte einen Augenblick aufmerksam auf seine Stiefelspitzen und blieb die Antwort schuldig.

»Nun, Paolini,« fragte der König lächelnd, »diese stumme Antwort kann ich mir wohl als Diplomatenantwort auslegen?«

»Sire – Sie wollen mich gnädigst entschuldigen, indessen – es ist mir nicht leicht, hier ein Urteil zu fällen. Ich halte den Polizeidirektor von Turin für einen der ergebensten und treuesten Diener Ew. Majestät, indessen –«

»Indessen, daß die Herren Mazzinisten dicht unter den Fenstern von Sr. Majestät Palast spazieren gehen und ihn ungestört zu freundschaftlichen Rendezvous einladen dürfen, das spricht nicht gerade für große Findigkeit und Energie des Herrn Polizeidirektors,« ergänzte der König, indem ein spöttisches Lächeln seine wulstigen Lippen umspielte. »Nicht wahr, das war es doch so ungefähr, was der vorsichtige Signore Paolini sagen wollte und wohl auch gesagt hätte, wenn eine Krähe sich nicht scheute, der andern die Augen auszuhacken?«

»Ich kann nicht leugnen, Sire,« erwiderte Paolini, die Neckerei, welche der König, wie üblich, seiner Äußerung angehängt hatte, unbeachtet lassend, »daß ich so etwas ähnliches sagen wollte. Wir können uns die Tatsache nicht verhehlen, daß die Anhänger Mazzinis hier in Turin ein wohlbesetztes und wohlverstecktes Nest haben müssen, welches auszuheben der Polizei noch nicht gelungen ist.«

Das Gesicht des Königs rötete sich ein klein wenig und er blickte einen Augenblick nachdenklich aus dem Fenster.

Vielleicht existierten auch zwischen dem Könige und seinem Vertrauten kleine Geheimnisse, und vielleicht wußte der König genauer als Paolini, warum der Polizeidirektor von Turin und seine Organe eine so auffällige Ungeschicklichkeit in dem Aufspüren des »Mazzinistennestes« an den Tag legten! Chi lo sa?

Offenbar schien dem scharfen Auge Paolinis die flüchtige Verlegenheit seines Souveräns keineswegs zu entgehen. Ein rascher, forschender Blick aus seinen Augen flog zu dem Könige hinüber – doch der Inspektor war Hofmann genug, um seinen Gedanken keinerlei wörtlichen Ausdruck zu geben.

Der König ließ das Thema fallen.

»Mich wundert es,« sagte er, sich wieder umwendend, »daß Minghetti mir gestern nicht die geringsten Andeutungen gemacht hat.«

»Sire,« entgegnete Paolini mit einem Lächeln, das nicht ganz frei von Spott war, »vergessen Sie nicht, daß Signore Minghetti mitten in den Flitterwochen steckt und – die schöne, neapolitanische Principessa, welche er geheiratet hat, jedenfalls seine Aufmerksamkeit von den Turiner Verhältnissen einigermaßen ablenkt.«

»Zum Teufel mit allen Frauenzimmern,« knurrte der König in komischem Zorne. »Daß sie auch überall die Hand im Spiele haben!«

Der getreue Leporello antwortete nur mit einem vielsagenden Räuspern.

Unter andern Umständen hätte vielleicht der König, welchem diese stumme Ironie seines Vertrauten keineswegs unverständlich war, diesen in seiner üblichen derb-humoristischen Weise gehörig gezaust. Heute jedoch schien die Scherzlaune des Landesvaters nur ganz sporadisch auftreten zu wollen.

Er zog die buschigen Brauen finster zusammen und trommelte mit den Fingern ungeduldig auf dem Tische.

» Maledetto!« rief er endlich, während einer Pause dieses Ungeduldskonzertes. »Sollte denn wirklich der altbewährte Ordnungssinn meiner braven Turiner diesmal nicht Stich halten?«

Paolini zuckte mit den Achseln.

»Ew. Majestät werden verzeihen, wenn ich Zweifel hege. Sie werden selbst begreifen, Sire, daß die Idee einer Verlegung der Hauptstadt aus tausend Gründen wohl geeignet ist, das Blut der Piemontesen in Wallung zu bringen.«

»Bei der heiligen Jungfrau, das weiß ich selbst am besten,« rief der König erregt. »Mich selbst fesseln tausend Ketten an Turin. Aber – ich bin nicht Herr der Verhältnisse. Welche Ketten könnten dieser heimtückischen, französischen Feile widerstehen? Bei Gott, Paolini, es ist eine schwere Aufgabe, König von Napoleons Gnaden zu sein!«

Paolini sah mit Besorgnis auf seinen Gebieter. Er hatte nicht oft Gelegenheit gehabt, diese durchaus joviale und nicht selten zu offenbarem Phlegma hinneigende Natur in solch stürmischer, maßloser Erregung zu sehen.

»Sire,« sagte er, einen Schritt näher tretend, »fast bedauere ich es, Ew. Majestät so ungeschminkt die Sachlage dargestellt zu haben. Vielleicht hätte ich vorsichtiger sein und vor allem daran denken sollen, daß ich mich irren kann. Es ist ja nicht unmöglich, daß ich zu schwarz gesehen habe. Ja, ich glaube sogar ganz sicher, daß alles vollständig ruhig geblieben wäre und unsere Turiner sich mit gewohnter Loyalität in das Unvermeidliche gefügt hätten, wenn –«

»Wenn diese mazzinistischen Topfgucker nicht vorzeitig die Sache ausspioniert und an die große Glocke gehängt hätten, ehe es möglich war, die öffentliche Meinung von Turin, von ganz Piemont vorzubereiten und sich an die Großmut der Leute zu wenden,« fiel ihm der König ärgerlich ins Wort. »Nein, nein, Paolini, dieses ›Wenn‹ ändert nichts an der Tatsache, daß du mit deinen oft erprobten Falkenaugen ganz richtig gesehen hast. Es wird einen Skandal in der Stadt geben, voilà tout, und wir wollen froh sein, wenn die Geschichte nicht ernst wird. Wie steht's mit den Soldaten? Weißt du etwas darüber?«

»Der Herr Kriegsminister hat offenbar keinerlei Besorgnisse gehegt, Sire. Ich fürchte, wir können einer etwaigen Revolte nicht viel mehr als einige Hände voll neapolitanischer Rekruten entgegenstellen. Von den alten Bataillonen ist nichts in die Stadt hereingezogen worden.«

»Nun denn, so werden wir sehen, was wir mit diesen anfangen können,« rief der König, dessen energische Natur, angesichts der drohenden Gefahr, nur wenige Augenblicke sich damit begnügte, in leeren und zwecklosen Zornausbrüchen sich Luft zu machen, mit fester Stimme. »Ich werde schlimmstenfalls den Leuten zeigen, daß, wenn der König um des allgemeinen Besten willen in einen sauern Apfel beißen muß, das Volk von Turin es für seine Ehrenpflicht halten muß, diesem Beispiele der Entsagung zu folgen. Paolini, wenn du hinausgehst, so sage Tommaso, daß sofort ein Bote zum Kriegsminister gesandt werden soll. Ich muß ihn sofort sprechen. Und –«

Ein Klopfen an der Türe unterbrach den König in seinen weiteren Instruktionen.

Auf einen Wink desselben trat Paolini an die Türe, öffnete dieselbe und ließ den vertrauten Kammerdiener des Königs, den uns bekannten alten Tommaso, eintreten.

Es schien keine freudige Botschaft zu sein, welche dieser auf den Lippen hatte. Sein von Natur etwas olivenfarbiges Gesicht zeigte eine sichtliche Blässe und seine Augen blickten mit einem sehr deutlichen Ausdrucke von Erregung bald auf Victor Emanuel, bald auf Paolini.

» Cospetto di bacco!« rief der König, seinen Kammerdiener anblickend, mit einem gewissen Grade von »Galgenhumor« in der Stimme. »Soll ich heute bis Mittag noch viel mehr solcher Gesichter sehen, wie das deine, Tommaso? Das wird ein hübscher Tag. – – Heraus mit der Sprache, Alter! Was gibt's?«

»O, Sire,« erwiderte Tommaso mit tonloser Stimme, in seinem breitesten Savoyarden-Patois. »Ich fürchte, es gibt Lärm in der Stadt. Mein Sohn Filippo, der die Osteria auf der Strada di Roma hält, hat mir eben seine Frau und seine Kinder ins Haus geschickt. Ich soll sie inzwischen beherbergen, weil er sie in der Osteria, die heute seit frühem Morgen von aufgeregten Arbeitern gefüllt ist, nicht für sicher hält. Es soll noch wilder in anderen Osterien zugehen. Die Leute trinken Vermouth in Massen, es gehen Leute in den Schenken umher, welche die Bürger aufreizen, in Massen nach dem Stadthause zu ziehen und beim Podesta Klage zu führen, weil –«

Hier stockte Tommaso und blickte offenbar in größter Verlegenheit auf Paolini, als erwarte er Hilfe von dessen diplomatischer Redegewandtheit.

» Ebbene!« rief der König. »Was soll der Podesta von Turin? Was sprechen die Leute? Ich will alles hören, Tommaso!«

»Sire,« erwiderte der Kammerdiener nach einigem Zögern, »die Leute reden mehr durcheinander, als ein einfacher Verstand zusammenreimen kann. Man spricht von Sr. Kaiserlichen Majestät Napoleon III., man spricht von Ew. Majestät, von –«

»Und was, wie spricht man von mir?« fiel der König ihm hastig ins Wort.

Nach einigem verlegenen Achselzucken stammelte Tommaso: »Man sagt, Ew. Majestät hätten Piemont an den Kaiser von Frankreich verkauft und wollten Turin für immer verlassen!«

Anfangs schoß bei diesen Worten ein greller Zornesblitz aus den Augen des Königs. Doch mit einem wunderbar schnellen Übergange von zorniger Erregung zu lauter Heiterkeit, welche bei dieser urwüchsigen Natur durchaus nichts Ungewöhnliches war, brach er in ein stürmisches Gelächter aus.

»He, Freund Paolini,« rief er, sich mit dem Taschentuche die tränenden Augen wischend, und dem »Inspektor« mit der alten, ihm innewohnenden, schelmischen Heiterkeit zublinzelnd. »Das ist also des Pudels Kern! Hörst du, wie die Leute von dem alten Savoyarden denken, den sie ihren Re galantuomo nennen? Nun – wo solche insensazzetta den Grund zur Bewegung bildet, wird es wohl nicht schwerer sein, Ruhe zu schaffen. Doch,« fügte er, ernster werdend, hinzu, – »trotzdem werden wir unsere Maßregeln ergreifen müssen. Tommaso, sende sofort einen Expreßboten zum Kriegsminister und einen zum Polizeipräfekten. Ich will beide sogleich sprechen. Zu Handgreiflichkeiten ist es doch noch nicht gekommen? Oder hast du etwas derartiges gehört, Tommaso?«

»Meine Schwiegertochter erzählte mir, Ew. Majestät, daß ein Haufe von Leuten im Redaktionsgebäude der ›Gazzetta di Torino‹ ein Paar Fenster eingeschmissen, sich aber auf das Andrängen einiger Gendarmen sehr bald zerstreut habe.«

Ein grimmiges Lächeln zuckte bei dieser Nachricht über das Gesicht Victor Emanuels.

» Tanto meglio!« sagte er lachend. »Der Bursche – wie heißt er doch gleich?«

»Masati, Sire.«

»Richtig, Masati. Nun, dieser Masati hat mit dem Verlust von ein Paar Fensterscheiben seinen naseweisen Leitartikel nicht zu teuer bezahlt. Er wird wohl vermutlich seine Glaserrechnung nach London an Giuseppe Mazzini zu senden haben. Doch weiter darf die Sache nicht gehen. Es ist gut, Tommaso,« fügte er zu dem Kammerdiener gewendet hinzu. »Ich danke dir für deine guten Nachrichten und nun eile, deinen Auftrag zu erfüllen.«

Der Kammerdiener verließ mit einer Verbeugung das Kabinett.

»Und nun, Paolini,« wandte sich der König an sein Faktotum, »gehe an die nicht leichte Arbeit.«

Das Gesicht Victor Emanuels hatte bei diesen Worten den Schimmer der Heiterkeit, welcher während der Unterredung mit Tommaso in demselben geleuchtet, wieder verloren. Ein tiefer, fast melancholischer Ernst lagerte auf seinen Zügen, während er zu Paolini sprach:

»Vergiß auch nicht, dem Herrn Agenten Mazzinis zu sagen, daß Victor Emanuel recht wohl weiß, wem Turin die Schande zu verdanken hat, wenn es heute den altbewährten Ruhm einer ruhigen, ordnungsliebenden, loyalen Stadt einbüßt, und daß dieses Bewußtsein wahrlich nicht dazu beitragen kann, seine Sympathien für die angeblichen hohen Freiheitsideen der Mazzinisten zu vermehren. Einen Schlag gegen die Monarchie geführt,« fügte er mit eindringlicher Stimme, seine Hand auf die Schulter Paolinis legend, hinzu, »könnte ich eher vergeben, denn der Republikanismus ist ein Prinzip, das ich zum mindesten achten, wenn auch nicht teilen kann. Aber einen unnützen Schlag gegen die Ehre meines geliebten Piemont – vergebe ich nicht! Und nun gehe, Paolini. Alle meine übrigen Instruktionen bleiben beim alten. Ich verlasse mich darauf, daß ich über jeden Vorgang rasche und ausführliche Nachricht erhalte.«

Paolini beugte sich auf die Hand ehrfurchtsvoll nieder, welche Viktor Emanuel ihm hinstreckte, und küßte dieselbe.

»Sire,« sagte er mit Wärme, »glauben Sie mir, daß Italien stets wissen wird, was es an seinem Könige hat. Das sind Wolken, Sire, die über den Horizont hinziehen, ihn aber nicht für immer verdunkeln können. Um so heller wird alsdann im Sonnenglanze das Kreuz von Savoyen strahlen!«

»Gott gebe es,« sagte der König, in sichtlicher Rührung die Hand seines Getreuen drückend. »Der Könige Metier war von jeher ein hartes; härter, als die Leute für gewöhnlich sich denken. Aber – ich habe ja einen strammen Rücken und kann schon eine ansehnliche Last tragen. Addio, Paolini!«

Und er winkte dem Inspektor freundlich zu.

Der König war allein. Wieder zog jene Wolke von Schwermut über seine Züge, während er aus Fenster trat und in den sonnigen Septembertag hinausblickte.

Er hatte viel, viel erreicht. Vor seinem sinnenden Geiste zogen die stürmischen Ereignisse der jüngstvergangenen Jahre vorbei, der tatenreichen, ruhmreichen und blutigen Jahre, welche Italien unter seinem Zepter vereinigt. Vereinigt?

Ja, bei diesem Gedanken stiegen wieder finstere Schatten aus dem Schachte der Erinnerung empor!

Noch dominierte die Mitra und der Krummstab in Rom, noch flatterte die Fahne der Habsburger über der Lagunenstadt. Was gilt's in das Feld zu führen, um dieses Endziel der wahren Einigung Italiens zu erreichen? Waffengewalt, Energie, dynastische Selbständigkeit – oder List, Unterwerfung unter den Druck der Umstände, geduldiges Warten, diplomatische Ränke?

Des Königs Blick schweifte bei diesen Gedanken vom Fenster weg auf die eine Wand des Kabinetts, an dem das Bild eines Mannes, mit scharfausgeprägten Zügen, wohlgepflegtem Henriquatre und kleinen, halb listigen, halb schläfrigen Augen, hing. Unwillkürlich ballte sich die Faust Victor Emanuels und ein leiser Fluch entrang sich den zornig zusammengekniffenen Lippen.

Es war das Bild des Franzosenkaisers!


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