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Die Mazzinisten.

Auf der Piazza del Castello in Turin, in dessen Mitte der alte, burgartige Palazzo Madama steht, saßen zwei Jahre später an einem hellen Septemberabende des Jahres 1864, in einem kleinen, nach französischem Stile eingerichteten Café, dessen überdachte Veranda ein köstlicher Aufenthalt für stille Beobachter des bunten Straßentreibens war, zwei elegant gekleidete Männer an einem kleinen Marmortischchen und ließen den Rauch ihrer Virginias mit jenem halb sinnenden, halb träumenden Bedachte sich zur Markise hinauf kräuseln, der den passionierten Raucher charakterisiert, wenn er sich, beim schwarzen Kaffee, in dem höchst angenehmen Stadium des dolce far niente befindet. Von den reglementsmäßigen Nachmittagsträumern unterschieden sie sich jedoch wesentlich darin, daß sie dem caffè nero und dem üblichen Kognak, welcher beiden zur Seite stand, keineswegs die gebührende Hochachtung zu zollen schienen, daß sie ferner nicht ein einziges Mal den Kopf auch nur um einen Zoll weiter vorstreckten, um einer schönen Turinerin, deren an diesem immer noch sonnigen Abende gerade besonders viele an dem Café di Parigi vorbei gingen, nicht selten verführerische Blicke in das Innere desselben hineinsendend, so lange nachzusehen, bis sie sich genau von der Schlankheit der Taille oder dem vorschriftsmäßigen Bau der kleinen Füßchen überzeugt. Auch lag gar zu wenig Sorglosigkeit in ihren Mienen. Diese gehört aber ganz entschieden auf die Züge des lebenskundigen Weltmannes, der seine Siesta auf der Veranda einer fashionablen Konditorei absolviert und das bunte Treiben der haute volée sowie der demi monde an sich vorbei ziehen läßt, wie der Theaterhabitué in seiner Proscenium-Loge die Evolutionen des Corps de Balet.

Im Gegenteil, sie schienen beide keineswegs zu träumen, sondern sehr ernstlich über etwas nachzudenken, und der Umstand, daß der eine von ihnen wiederholt seine goldene Taschenuhr zu Rate zog, ließ darauf schließen, daß sie noch einen Dritten erwarteten.

Der Letzterwähnte war ein junger Mann, der jedenfalls das dreißigste Lebensjahr noch nicht erreicht hatte. Wenigstens trug sein ganzes Wesen jenen Stempel jugendlicher Lebendigkeit, der sich bei den meisten Männern in späteren Lebensjahren allmählich verliert. Seine Kleidung machte dem trefflichen Pariser Schneider alle Ehre; dennoch lag in seiner Miene etwas Soldatisches, das durch eine kleine Narbe auf der linken Wange noch erhöht wurde und darauf hindeutete, daß seine schlanke, doch muskulöse Gestalt eigentlich in den bunten Rock, statt in den Pariser Modeanzug gehörte. Er trug Schnurr- und Knebelbart von reinstem französischen Kaliber, übrigens nicht das einzige Merkmal seiner Nationalität, denn diese sprach sich auch in seiner ganzen übrigen Erscheinung aus, wenn man mit dem Begriffe »französisches Wesen« etwas Leichtes, Bewegliches, Feuriges bezeichnen will.

Es wäre weit schwerer gewesen, ein Urteil über die Nationalität seines Genossen vom bloßen Anblick desselben zu fällen. Und doch mußte es für den Physiologen und Physiognomiker ein ganz besonderer Genuß sein, dieses interessante Gesicht zu studieren. Er war offenbar nicht älter als sein Genosse, aber in seinen Zügen lagen die Spuren wechselnder, romantischer Schicksale tief und deutlich eingegraben und aus seinen großen, dunkeln, leidenschaftsvollen Augen blickte jene Reife des Geistes, welche der Mensch sich weit seltener hinter Folianten und Tintenfässern, als auf den Schlachtgefilden des heißen Daseinskampfes anzueignen fähig ist.

Wir sind diesem interessanten Gesichte schon begegnet. Dieselben Leidenschaft sprühenden Augen sahen wir vor Jahren in dunkler Nachtstunde einem Manne entgegenblitzen, dessen steinernes Herz auch nicht eine einzige Person in seiner Umgebung jemals gelehrt hatte, ihn mit einem Blicke der Liebe zu betrachten. Damals hatte Haß und Verachtung gegen den – Pseudovater aus diesen Augen gesprochen. Und dieselben Augen sahen wir mit sinnendem, ernstem Ausdrucke in die regnerische Nacht hinausgerichtet, auf den Höhen von Aspromonte, während der eiserne Ring verderbenbringend sich dichter und dichter zusammenzog um den »Mann mit dem Löwenherzen und dem Büffelkopf«. Und zuletzt sahen wir sie träumend dahin schweifen von der Bastion der Citadelle von Reggio über das tiefblaue tyrrhenische Meer und die in flammendem Abendrot erglühende sizilische Küste. Damals spiegelten sich Erinnerungen an eine traute Heimat, an verlorenes Glück und begrabene Liebe in diesen Augen und die buntesten, wechselvollsten Nebelbilder der Vergangenheit zogen an ihnen vorüber …

Wie aber kommt der einstige Gymnasiast und spätere »Sergeant« Heribert Hilgard, dem wir zuletzt als tapfern »Capobombardiere« im roten Wollhemd der garibaldinischen Legionäre begegnet sind, nach Turin? Kaffee schlürfend im dolce far niente, auf der Veranda des Café di Parigio? …

»Verteufelt langweilige Geschichte das,« murmelte der zuerst Beschriebene der beiden, das Schweigen brechend, indem er wie ungeduldig an seiner dünnleibigen Zigarre kaute. »Ich glaube, wir werden Gelegenheit haben, auf unserm zugigen Balkon eine italienische Nacht in optima forma zu verleben, ehe es unser verehrter, leider unbekannter Freund für nötig hält, uns die neuesten Instruktionen des Signore Ma–«

Ein rascher Blick seines Gefährten, der, sich vorsichtig umblickend, den Finger wie zur Mahnung auf die Lippen legte, unterbrach die Suade des Ungeduldigen.

»Ei, ei Vicomte,« sagte Heribert in flüsterndem Tone, indem ein leichtes Lächeln über seine Züge flog, »Sie scheinen zu vergessen, daß es in einem Turiner Kaffeehause ebenso reichlich französische Mouchards und jesuitische Leisetreter mit sehr feinen und geübten Ohren geben kann, wie in Rom.«

Der Vicomte spülte die Fortsetzung seiner im Keime erstickten Rede mit einem Schluck Kognak hinunter und sagte, indem er die Beine nachlässig auf das efeuumrankte Geländer stützte, achselzuckend:

» Parbleu, Heribert, Sie haben nun so lange das rote Wollhemd getragen, haben die Luft dieses Stiefels von Europa im Absatz und den Schaft entlang eingeatmet, haben sich österreichische, wie piemontesische Kugeln des Öfteren um die Ohren sausen lassen und sind doch der pedantische und vorsichtige Germane geblieben!«

»Und doch geben Sie mir wohl zu, daß ich recht habe!«

Der Vicomte stieß einen leisen Seufzer aus.

»Recht? Eh bien, Sie mögen wohl recht haben, aber ich muß Ihnen ganz offen gestehen, daß meiner soldatischen Natur diese ewige Flüsterei und Lispelei nachgerade zuwider wird. Ich hoffte, hier in Turin etwas freier atmen zu können, als in Rom und in Paris. Wissen Sie, das könnte mir fast die Freude an unserer mir sonst recht sympathischen Mission verderben.«

»Ich meinerseits gestehe Ihnen ganz offen,« erwiderte Heribert, »daß meine Gefühle und Ansichten in diesem Punkte gerade entgegengesetzter Natur sind. Das Gebot des blinden Gehorsams, wie das der Vorsicht, welches uns regiert, halte ich für eine sehr erträgliche Notwendigkeit. Disziplin ist der beste Kitt der Armee, mein Herr Soldat! Aber unsere Mission hier in Turin ist mir keineswegs so sympathisch.«

»Nicht? Und weshalb?«

»Einfach, weil ich den Zweck derselben nicht recht einsehen kann. Und wenn der ehrsame Podesta Signore Rora auch Zeter und Mordio schreit, wenn meinethalben auch die schwarzen Sendlinge von Rom in ihrem eigenen Interesse unbewußt uns helfen, die Beichtstühle zu Hetzanstalten machen, wenn ganz Turin in Flammen der Wut und Erbitterung auflodert – sagen Sie mir, verehrtester Vicomte, was profitiert die republikanische Idee davon!?«

Der Franzose zuckte leicht mit den Achseln.

» Cher Monsieur Heribert,« sagte er dann, »Sie passen herzlich schlecht zum Mazzinisten im besondern, und vielleicht zum Republikaner überhaupt. Wer, wie ich, schon in der sogenannten ›roten Internationale‹ sich seine revolutionären Sporen verdient hat, der wird sehr leicht begreifen, daß Stagnation und süßes Nichtstun der Tod für die republikanische Idee ist. Man muß die trägen Massen bei günstiger Gelegenheit mit einem großen Löffel gehörig umrühren, damit die Gedanken und Aktionen ordentlich in Fluß kommen und, wie ihr Deutschen sagt, ›die Geister aufeinanderplatzen‹. Wenn Sie, Verehrtester, die italienische Geschichte der letzten Jahre ordentlich studiert haben, so werden Sie mir wohl zugeben, daß der Haß und Neid gegen Piemont in den übrigen italienischen Staaten allenthalben schlummert. Wo Sie auch hinhören, namentlich im Süden Italiens, überall können Sie offen oder versteckt den Ruf hören: Wir haben nur ein vergrößertes Piemont, kein Italien der Italiener!«

»Nun wohl,« erwiderte Heribert nachdenklich, »und meinen Sie wirklich, daß, wenn wir das Geheimnis von der beabsichtigten Übersiedelung der Regierung nach Florenz vor der Zeit bekannt machen, der Eindruck wirklich ein so gewaltiger sein wird, daß es uns leicht fallen wird, die Massen in Turin zum Dreinschlagen aufzustacheln. Und wenn dies gelingt, wird wirklich der Haß gegen Piemont und Turin, von dem Sie sprechen, zu offenem, zündendem Ausbruche gelangen und sich eine so allgemeine Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen kundgeben, wie Sie vorauszusetzen scheinen?«

»Zweifellos,« erwiderte der Vicomte, nachlässig seinen Zigarrenstummel über die Brüstung der Veranda werfend. »Was das Aufstacheln anbetrifft, so sollen Sie einmal sehen, was passiert, wenn die ›Gazetta di Torino‹, deren Redakteur wir bereits gewonnen haben, die Nachricht von der Suppe bringt, die der Herr Ministerpräsident Minghetti und sein Kollege vom Ministerium des Äußern, Signore Visconti-Venosta, mit Freund Badinguet Badinguet ist bekanntlich der populäre Spottname für Napoleon III. zusammengebraut haben. Harnibieu! Eine Orsinibombe ist nichts gegen den Eklat, den das unter unsern werten Turinern geben wird. Sie wissen recht wohl, daß das neue Ministerium überhaupt den Herren Piemontesen lange nicht piemontesisch genug ist. Bedenken Sie ferner, welcher Schlag für Turin in sozialer und geschäftlicher Beziehung die Verlegung der Regierung nach Florenz sein wird. Nach Florenz – ha, ha, ha! Ja, wenn's Rom wäre, aber Florenz! Was hat diese egoistische, schlaue, energielose Bevölkerung für Italien jemals getan oder erlitten?«

»Nun wohl, aber da es doch einmal bekannt werden mußte, so sehe ich nicht recht ein, was unserer Partei an einer vorzeitigen Veröffentlichung des Vertrages zwischen Napoleon und der italienischen Regierung liegen kann.«

» Mon Dieu, das liegt doch klar genug auf der Hand,« rief der Vicomte lachend. »Die guten Turiner sind gar empfindsame Seelen und bilden sich nicht wenig auf ihre rühmlichen Antezedenzien ein. Da haben sie nun seit nahezu einem Menschenalter ihr und ihrer Söhne Blut für Italien opferbereit vergossen, haben ungeheuere Geldopfer gebracht, sind stets ein Mustervolk von Ruhe und Ordnung gewesen und nun – nun komplottiert dieses unpiemontesische Ministerium mit dem Dezembermann, der Rom absolut nicht eher räumen will, als bis er sichere Garantieen dafür hat, daß Italien den Plan aufgegeben hat, ›die ewige Stadt‹ mit der Gegenwart Viktor Emanuels zu beehren, wählt sich eine Stadt, etwas weit von der französischen Grenze hinter dem sicheren Appennin, und – ist nicht einmal gentlemanlike genug, den Herren Turinern rechtzeitig die Wohnung zu kündigen! Nun stellen Sie sich, cher ami, das verletzte Selbstbewußtsein der braven Turiner Urbevölkerung und der Altpiemonteser vor. Vergegenwärtigen Sie sich ihren Ärger über die Hinterlist, mit der man bei der ganzen Affäre zu Werke gegangen. Ja, wenn man ihnen offiziell und rechtzeitig von den Plänen der Regierung Mitteilung gemacht, wenn man einen freien Akt der Opferwilligkeit von ihnen gefordert hätte – wer weiß, ob nicht die angeborene Bonhommie und Pflichtgefühlsduselei der guten Leute es fertig gebracht hätte, daß der ganze Ärger rasch verpufft wäre und der allerdings ganz vernünftigen Überlegung Platz gemacht hätte, daß die Regierung eigentlich kaum anders handeln konnte. Aber so, gewissermaßen aus dem Hinterhalte überfallen, werden sich die Turiner mit Händen und Füßen wehren. Das Schüren wollen wir schon besorgen. Einerseits spiegeln wir den Leuten vor, daß die Regierung Leib und Seele an Napoleon verkauft habe und noch weitere Stücke des italienischen Bodens in den Besitz Frankreichs übergehen würden. Auf der andern Seite soll die ›Gazetta di Torino‹ einen glänzenden Panegyrikus auf den Plan der Regierung bringen, welcher die Turiner erst recht Gift und Galle speien machen und zur Opposition aufstacheln wird. Und dann – wenn's erst einmal ein Blutvergießen gegeben hat, wenn das sanfte, das ordnungsliebende, das loyale Turin sich durch recht gepfefferte Straßenskandale in der öffentlichen Meinung blamiert hat, dann sollen Sie mal sehen, wie alle die andern Städte und Provinzen und Mailand an der Spitze über das ›eigennützige Turin‹ mit Vorwürfen und Spott herfallen werden, und wie sie es der ehrsamen Stadt heimzahlen werden, daß sie früher so oft über die ›rohen Zustände im Süden‹ raisonniert hat – – Parbleu, was ist das, was gibt's, figliuola?« unterbrach der Vicomte plötzlich sein politisches Raisonnement.

» Fiori, Signori, comprate di fiori«, Blumen, meine Herren, kaufen Sie Blumen. ertönte es dicht am Geländer der Veranda und gleichzeitig zeigte sich auf den von der Mitte derselben auf den Platz herabführenden Stufen die Gestalt eines Mädchens, welches in der einen Hand ein mit Blumen gefülltes Körbchen trug.

Der Vicomte warf Heribert einen raschen Blick zu und murmelte: »Alle Teufel, – schließlich behalten Sie Neuling mir, dem alten Praktiker gegenüber, mit Ihrer Mahnung zur Vorsicht womöglich recht! Ist die kleine, schwarzäugige Hexe da unten aus dem Boden aufgestiegen?!«

Heribert war lächelnd aufgestanden und an die Brüstung der Veranda getreten. Er beugte sich über dieselbe hinab und blickte forschend in das Gesicht der hübschen, kleinen Turinerin.

»Wie kommst du hierher, Kleine? Warum hast du dich so dicht am Geländer entlang bis an die Treppe geschlichen?« fragte Heribert auf italienisch.

Eine Reihe blendendweißer Zähne glitzerten dem Fragenden hinter einem Paar korallenroter Lippen entgegen.

» Avete nessuno affano, Signore Tedesco«, Seien Sie ohne Furcht, Herr Deutscher. rief das Blumenmädchen, ihre kleine, für eine piemontesische Landschöne etwas auffällig weiße und zarte Hand wie zur Beschwichtigung erhebend, und lachte dabei über das ganze hübsche Gesicht. »Ich habe nichts Böses im Sinne gehabt. Können Sie keine Blumen für Ihre carina gebrauchen?«

Es war auffällig, daß das junge Mädchen, obwohl ihrer Tracht und ihrem Gebahren nach Turiner Blumenmädchen vom reinsten Wasser, dennoch in ihrem Italienisch einen fremdartigen Akzent verriet, welcher den beiden jungen Männern – der Vicomte war inzwischen gleichfalls näher hinzugetreten – keineswegs entging. Ebenso sonderbar war es, daß das Mädchen plötzlich, als gerade mehrere Straßenpassanten dicht an der Veranda vorbeigingen und einen flüchtigen Blick auf die an der Treppe stehende Gruppe warfen, verstohlen den Finger auf die Lippen legte und beide Männer mit einem eigentümlich ernsten Blicke streifte.

Der leichtlebige Vicomte dachte im ersten Augenblicke unwillkürlich an ein galantes Abenteuer und glaubte in dem sonderbaren Benehmen des Mädchens kleine, herausfordernde Koketterien zu sehen, wie man sie an den kleinen Floristinnen, welche abends die Straßen Turins durchstreifen, durchaus gewohnt ist. Die kleine, zierliche Gestalt ließ bei näherer Betrachtung erkennen, daß die jungen Männer es keineswegs, wie sie anfänglich geglaubt, mit einem Kinde, sondern mit einer Mädchenblume im vollsten Stadium der Reife, weit üppiger aufgeblüht, als irgendeines der im Korbe befindlichen duftenden Blümchen, zu tun hatten.

Der junge Franzose gehörte keineswegs zu den schüchternen Naturen und pflegte beim Anblick junger Damen, in deren Augen er einigermaßen etwas zu lesen glaubte, das wie Ermutigung aussah, immer nach augenblicklichen Impulsen zu handeln. Somit haschte er denn auch jetzt eiligst nach der kleinen Hand, welche die rosigen Lippen verschloß und neigte, ehe der »plumpe Deutsche«, der viel weniger Galanterie im Leibe hatte, ihm zuvorkommen konnte, seinen Apollokopf auf das Gesicht des hübschen Blumenmädchens hernieder, augenscheinlich, um seine eigenen Lippen an der Stelle zu substituieren, wo soeben noch der kleine Zeigefinger geruht hatte.

Schon ein uns nicht bekannt gewordener englischer Dichter von jedenfalls unbestreitbarer Weisheit sagt:

There is many a slip
'Twixt cup and lip.
Fr. Kind, der Verfasser des »Freischütz« sagt in seinem »Ankyos« ganz ähnlich:
Zwischen Lipp' und Kelchesrand
Schwebt der finstern Mächte Hand.

Dieser » Slip« blieb denn auch diesmal nicht aus. Die Hand der kleinen Blumenverkäuferin senkte sich mit überraschender Energie auf die Wange des galanten Vicomte und der knallende Laut wäre wohl noch hörbarer gewesen, hätte ihn nicht das herzliche Lachen Heriberts einigermaßen erstickt.

» Sapristi,« rief der Vicomte zurückfahrend, halb ärgerlich, halb belustigt. »Seit wann hat sich die keusche Diana auf den Blumenhandel gelegt? Weshalb machst du solche närrischen Grimassen, Mädchen, wenn du nicht willst, daß man sich dein kleines, trotziges Gesicht etwas näher besieht?! Danke deinem Himmel, daß der befrackte cameriere Kellner. drinnen im Saale deine kleine Extravaganz nicht gesehen hat. Du hättest meine Blamage büßen müssen!«

Das Mädchen lachte jetzt aus vollem Halse. Doch plötzlich wiederum ernst werdend, sah sie sich um, wartete einen Augenblick, bis ein Paar sie sorgsam lorgnettierende Flaneure vorbeipassiert waren, blickte dann zum Himmel auf und sagte:

» Ebbene Signori, halten Sie mich nicht mit Ihren dummen Späßen unnütz auf! Ich gehe, wenn Sie mir keine Blumen abkaufen wollen. Es gibt ohnehin bald ein Gewitter.«

Die Sonne war eben auf dem Punkte Abschied zu nehmen und der Himmel nahm daher bereits seine fahle Abendfärbung an, indessen konnte man ohne besondere wetterprophetische Begabung leicht erkennen, daß nach völligem Verschwinden des Tagesgestirnes eine der schönsten Herbstnächte sich über Turin senken würde, welche sich der anspruchsvollste Nachtwandler nur wünschen konnte. Von Gewitterluft war auch nicht die leiseste Spur vorhanden. Kein Wunder, wenn beide Männer einen Augenblick mit maßlosem Erstaunen in das hübsche Gesicht des Mädchens blickten. Doch lange dauerte dieses Erstaunen nicht. Es glitt plötzlich wie ein Blitz der Überraschung und des Verständnisses über das Gesicht des Vicomte. Einen Moment blickte er scharf in die Augen des Mädchens, dann sagte er langsam, jedes Wort deutlich betonend:

»Fürchtest du dich vor einem starken Gewitter, meine Schöne?«

»Ein starkes Gewitter reinigt die Luft,« war die rasche Antwort, welche eigentümlicherweise nun auch Heribert veranlaßte, näher an das Mädchen heranzutreten und ihr mit dem Ausdrucke außerordentlicher Überraschung und Spannung in das Gesicht zu blicken.

Der Vicomte nickte leicht mit dem Kopfe, sah seinen Gefährten mit einem vielsagenden Blicke an und flüsterte, indem er sich über den Korb des Mädchens beugte, wie um eine der Blumen auszusuchen, von denen er eine und die andere an die Nase hielt:

»Sprich, Mädchen! Du siehst, wir sind diejenigen, welche du suchst. Warum hast du dich nicht gleich zu erkennen gegeben?«

»Weil Sie mich nicht zu Worte kommen ließen,« erwiderte das Mädchen lächelnd.

»Kommst du von Signore Ormelli?« fragte Heribert gespannt.

»Ich komme von Signore Ormelli und – einer Dame.«

»Einer Dame?!« rief der Vicomte überrascht. » Sapristi, ich meinte, Signore Ormelli habe bereits schneeweißes Haar auf dem Kopfe!«

Das hübsche Mädchen kräuselte die Lippe etwas verächtlich.

»Mir scheint es,« sagte sie, »daß Sie, Signore, in jeder Dame nur einen Gegenstand zum Küssen sehen. Könnte Signore Ormelli mit der Principessa di Bentivoglio nicht auch andere Geschäfte haben, als die der Liebe?«

»Bentivoglio?!« riefen die beiden jungen Männer wie aus einem Munde.

»Ja, die Principessa ist hier,« erwiderte das Mädchen ruhig, »und Signore Ormelli ist durch sie abgehalten worden, hierher zu kommen, um, wie verabredet, Sie hier zu sprechen. Mein Auftrag lautet, Ihnen zu sagen, daß Sie, sobald als möglich, auf die Strada di Giovanni in das dem Herrn Vicomte jedenfalls bekannte Haus des Bäckers Asti kommen sollten, um daselbst alles weitere gemeinsam zu besprechen. So, das ist alles und nun halten Sie sich nicht allzu lange mehr auf, und Sie, Herr Vicomte, lassen Sie unterwegs die hübschen Damen in Ruhe, sonst verlieren Sie zu viel Zeit, welche jetzt für ernstere Dinge nötig ist. Buona notte, Signori!«

Und wie der Blitz, mit einem leichten, schelmischen Lachen war das niedliche Geschöpf die wenigen Stufen hinabgesprungen. Ebenso rasch war sie auch den Blicken der beiden jungen Männer entschwunden.

»Wetterhexe!« knurrte der Vicomte, sich seinen Henriquatre, wie in wohlgefälliger Erinnerung an die liebliche Erscheinung streichend. »Verteufelt schade, daß sie mir mit der kleinen Hand dazwischen kam. Diese kleine Mazzinistin hat ein Paar Lippen, die man nicht gern ungeküßt läßt. Aber wissen Sie, Freund, ich will in ein Mönchskloster gehen, wenn dieses reizende Geschöpf ein veritables Turiner Blumenmädchen ist!«

Heribert lehnte sinnend über das Geländer und schien mit seinen Blicken die Richtung verfolgen zu wollen, in welcher das Mädchen verschwunden war.

Ein eigentümlich träumerischer Ausdruck hatte sich auf seine Züge gelagert und es sah aus, als habe für den Augenblick die Erinnerung an die so plötzlich und unter so eigentümlichen Umständen vor ihm aufgetauchte Mädchenerscheinung jeden andern Gedanken, insbesondere das Bewußtsein von seiner gegenwärtigen Umgebung, vollständig verdrängt.

Wir haben schon, als wir den frühreifen Gymnasialprimaner Heribert kennen lernten, Gelegenheit gehabt, uns von der Schnelligkeit zu überzeugen, mit welcher die Leidenschaft das Herz des jungen Mannes zu entflammen fähig war, ebenso auch von der alle Schranken – selbst die der Dezenz und Sittlichkeit – niederreißenden Gewalt, mit welcher die gefährliche Flamme in seinem Herzen aufzulodern vermochte. Bei ihm galt das Dichterwort in vollstem Umfange:

Die Liebe kennt kein Maß der Zeit, – sie keimt
Und blüht und reift in einer schönen Stunde!

Er strich sich mit der Hand über die Stirn, warf noch einen Blick auf den Platz hinaus, welchen bereits vereinzelte Gaslaternen zu erleuchten begannen, obgleich die eigentliche Dunkelheit noch nicht eingetreten war, und wandte sich dann zu dem ihn mit etwas sarkastischem Lächeln betrachtenden Franzosen.

»Sprachen Sie zu mir, Vicomte?« fragte er.

»Ich war so frei, Monsieur Heribert, Ihren angenehmen Gedankengang in rücksichtsloser Weise zu unterbrechen,« erwiderte dieser. »Tut mir verteufelt leid, cher ami, allein, einigermaßen, glaube ich, lag doch das von mir angeregte Thema nicht so ganz außerhalb Ihrer gegenwärtigen Gedankensphäre. Oder sollten Sie wirklich von der Freiheit Italiens und Giuseppe Garibaldi, dem Präsidenten der italienischen Republik geträumt haben?«

»Spötter! Ich dachte an die uns soeben mitgeteilte Botschaft Ormellis.«

»Und nebenbei auch so ein klein wenig an die Überbringerin derselben,« erwiderte der Vicomte lachend. » Eh bien, – ich nehme es Ihnen nicht übel, nur rate ich Ihnen, sich etwas in acht zu nehmen. Sie haben gesehen, daß die kleine Katze auch Krallen hat und ich sage Ihnen, Verehrtester, der Don-Juanismus hat hier in Turin seine gefährlichen Seiten. – Übrigens, um auf besagtes Kätzchen zurückzukommen, Sie sind doch auch der Meinung, daß die Kleine ein bißchen Maskerade mit uns gespielt hat. Die ist weder Blumenmädchen, noch Italienerin. Letzteres wenigstens ganz sicherlich nicht.«

»Sie können wohl recht haben, Vicomte,« erwiderte Heribert. »Ihr Dialekt läßt nicht auf die eingeborne Italienerin schließen!«

»Und ihre kleinen, weißen Damenhände erst recht nicht!« setzte der Vicomte hinzu. » Mais, wir wollen keine Zeit weiter verlieren mit irgendwelchen Hypothesen in bezug auf die hübsche Unbekannte. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn wir nicht das Vergnügen haben sollten, denselben schwarzen Augen und denselben kirschroten Lippen in der Strada di Giovanni in der nächsten Umgebung der schönen Principessa zu begegnen, und dann ist's vielleicht Zeit für Sie, der Kleinen genauer auf den Zahn zu fühlen. Andiamo! Bin wirklich neugierig, was die Fürstin veranlaßt hat, so plötzlich sich persönlich hier in Turin einzufinden!«

»Sie ist jetzt eine der eifrigsten Mazzinistinnen?« fragte Heribert.

»Mit Leib und Seele!« erwiderte der Franzose. »Trotzdem ihr Mazzini nicht den Gefallen getan hat, damals den Kopf Orsinis zu retten. Und ich versichere Sie, verehrtester Freund und Gesinnungsgenosse, daß wir eine einflußreichere und geschicktere Agentin, als diese, kaum haben können. Selbst der Zahn der Zeit ist bisher zu galant gewesen, von der Schönheit dieses Gesichtes irgend etwas hinwegzunagen, und dieses Gesicht – eh bien, Freund, darin steckt eben eine teuflische Macht. Seine Majestät in Paris kann davon ein Lied singen.«

»Besteht denn zwischen beiden immer noch dasselbe Verhältnis?« fragte Heribert überrascht.

Ein zynisches Lächeln umspielte den Mund des Franzosen, indem er achselzuckend erwiderte:

»Dasselbe Verhältnis?! – Ja und nein, wie Sie wollen, Verehrtester. In der einen Hinsicht ist es allerdings dasselbe, daß nämlich die schöne Eugenie allen Grund hat, ihre Eifersuchtsanwandelungen betreffs der Fürstin von Bentivoglio in Permanenz zu erklären, und daß Louis Napoleon nach wie vor in dem mit luxuriöser Wollust ausgestatteten Boudier dieser Kirke unter dem Einflusse des Sinnentaumels sich mehr Staatsgeheimnisse entlocken läßt, als er eigentlich vor seiner Vernunft verantworten kann. Indessen – die Principessa ist vielseitiger geworden!«

»Vielseitiger? Wie meinen Sie das?«

»Das kann ich Ihnen sehr leicht erklären, mon cher,« erwiderte der Vicomte lachend. »Aber am besten können wir das unterwegs besorgen. Lassen Sie uns aufbrechen, damit wir nicht allzuspät zur Konferenz kommen, die uns auf der Strada di Giovanni bevorsteht. Holla, cameriere, hier ist Geld!«

Der in französischem Stile befrackte Kellner kam eilfertig herbeigesprungen, und nachdem die beiden Freunde ihre Zeche in liberaler Weise berichtigt, worüber der Kellner durch die devotesten Bücklinge pflichtschuldigst quittierte, verließen Heribert und der Vicomte das Café, um sich in langsamem Promenadenschritt nach dem ihnen von dem Pseudo-Blumenmädchen bezeichneten Hause des Bäckers Asti zu begeben. Während sie über den Platz dahinschritten, weihte der Vicomte seinen Gefährten in einige pikante Geheimnisse ein, welche die mazzinistische Agitationstätigkeit der verführerischen Principessa betrafen.

»Sehen Sie, cher ami,« sagte der Vicomte, indem er seinen Arm durch den seines Begleiters zog und seine Stimme ein wenig dämpfte. »Man opfert auf dem Altare des Vaterlandes gar manche Dinge. Daß sich viele Ihrer enthusiastischen, schönen Landsmänninnen zur Zeit der deutschen Befreiungskriege ihre goldigen Zöpfe abschnitten und verkauften, um ein Scherflein zur Herstellung von Freikorps und dergleichen beizutragen, ist Ihnen ja bekannt. Nun, zieht man die allen Evastöchtern angeborne Eitelkeit in Betracht, so muß man die Größe dieses Opfers in vollstem Maße anerkennen. Unsere Principessa hat die glühendste Vaterlandsliebe gewissermaßen mit der Muttermilch eingesogen; das Ziel ihres ganzen Lebens ist, alle ihre Kräfte einzusetzen für die endliche Einigung Italiens unter dem Symbole des savoyischen Kreuzes, und von dem Augenblicke an, wo Orsini sein Attentat mit dem Tode büßte, war das Herz dieses Weibes tot für jede andere Liebe, als die zu ihrem Vaterlande Italien. Dem Manne, den ein Weib mit solch feuriger Seele liebt, opfert sie alles – auch ihre Ehre! Naturgemäß konnte sie auch nicht zögern, für Italien, das sie nunmehr allein noch liebte, dieses kostbare Kleinod gleichfalls zu opfern. So strickte sie denn ihre Netze um Napoleon. Sie kennen den guten Geschmack des Gesellschaftsretters ja recht wohl, und können sich, daher denken, daß einem so berückend schönen Weibe diese Aufgabe keineswegs sehr schwer fallen konnte. Kein Wunder, wenn fortan Mazzini durch seine schöne Verbündete fast von allem unterrichtet war, was in den Tuilerien geplant und ausgeführt wurde, und es unterliegt für uns Eingeweihte auch nicht dem leisesten Zweifel, daß Mazzini den ihm jetzt von allen Seiten zuerteilten Nimbus der »Allwissenheit« in erster Linie der Fürstin von Bentivoglio verdankt. Soweit die Patriotin Camilla. Das Weib war inzwischen auch nicht vollständig erstorben und Sie wissen, – l'appetit vient en mangeant! Weiber sind und bleiben geborene, Intrigantinnen und Diplomaten – was nebenbei so ziemlich dasselbe ist – und wenn sie sich hier und da nicht als solche zeigen, können Sie zehn gegen eins wetten, daß es einzig und allein nur an der Anregung von außen, an der Gelegenheit, ihre Fähigkeiten zu zeigen, gemangelt hat. So fand die Fürstin einen ganz hervorragenden Geschmack an der diplomatischen Geheimniskrämerei und es wuchsen ihr die Schwingen, als sie immer mehr und mehr zur Erkenntnis der eminenten Vorteile gelangte, welche sie der italienischen, resp. der mazzinistischen Sache durch – ihre Reize verschaffte. Sie sagte sich, daß Napoleon sicherlich nicht der einzige sei, der auf ihre Verführungskünste reagieren würde, und auch keineswegs der einzige, auf den zu reagieren der Mühe wert sei. So wurde denn die Principessa vielseitiger, wie ich Ihnen schon angedeutet habe. Aus der stillen Verehrerin Orsinis und der beredten Förderin italienischer Interessen bei Freund Badinguet, wurde die Fürstin Camilla Republikanerin, Mazzinistin und geheime Revolutionsagentin par excellence, und erstreckte ihre Wirksamkeit sogar bis nach Rußland. Ein kleines, rotes Ziegelhaus auf Wassili Ostrow in St. Petersburg, auf der vierzehnten Linie Die in dem Stadtteil Wassili Ostrow in St. Petersburg gelegenen Straßen, oder richtiger Häuserreihen werden »Linien« genannt und führen fortlaufende Nummern, statt Namen. gelegen, könnte interessante Geschichten von sehr animierten Soireen erzählen, bei denen die Fürstin in strahlender Schönheit präsidierte, Mitglieder unseres sogenannten »starken« Geschlechtes bis zum Wahnsinn in sich verliebt machte und dabei fleißig in Sachen der russischen Nihilisten konspirierte.«

Der Vicomte hielt hier einen Augenblick inne. Über sein schönes Gesicht, auf welchem bisher fortwährend die Ironie, Satire und eine gewisse Frivolität ihr buntes Spiel getrieben, flog in diesem Moment ein Schatten nachdenklichen Ernstes, wie er auf den Zügen eines so raffinierten Welt- und Salonmannes wohl nur selten beobachtet werden dürfte.

»Es ist wahrhaftig Selbstironie,« sagte er mit verändertem Tone, »wenn wir uns den Frauen gegenüber das starke Geschlecht nennen. Bah – wo bleibt unsere Stärke gegenüber den Verführungskünsten eines schönen Weibes! Ach, wenn Sie wüßten, welche Flammen dieses Weib in der Brust eines Mannes anzufachen vermag, welche Qualen und welche Seligkeiten sie zu bereiten versteht, sie würden's begreifen, daß ein Mann Ehre, Stellung und Lebensglück aufs Spiel setzt, um ihr Sklave zu werden, wenn sie es so haben will … Ich weiß es, bei Gott, ich weiß es!«

Heribert blickte erstaunt auf seinen erregten Begleiter, von dem er bisher gewohnt war, alles in spielender, mokanter und ironisierender Weise behandelt zu sehen.

»Sie waren damals in St. Petersburg, Vicomte, und haben die Fürstin von Bentivoglio dort kennen gelernt?« fragte er.

Die Gedanken des Vicomte schienen in die Ferne zu schweifen. Er fuhr sich nach einer kurzen Pause mit der Hand über die Stirn und sagte mit seltsam vibrierender Stimme:

»Kennen gelernt? Ja, ich habe sie kennen gelernt; ich war damals Attaché bei der französischen Gesandtschaft in St. Petersburg und hatte soeben erst die Nase in die diplomatische Schule hineingesteckt. Gezwungenermaßen, das können Sie mir glauben, weil der Vicomte de Résancourt Ein Pseudonym. aus Familienrücksichten in die Fußstapfen seiner edlen Vorfahren treten mußte, obgleich ihm der ganze kaiserliche Humbug in den Tuilerien bis in den Tod verhaßt war. Und – und, nun ja, da lernte ich die Fürstin von Bentivoglio kennen, und, was soll ich's leugnen, ich lernte sie lieben, lieben bis zum Wahnsinn. So wurde aus dem Gesandtschaftsattaché ein Konspirator und Revolutionsagent vom reinsten Wasser. Ja, sehen Sie, so ›stark‹ war ich diesen schönen Augen gegenüber und diesen Küssen von den weichen Korallenlippen. Daß ich Republikaner geworden, das wundert mich eigentlich gar nicht, denn ich glaube, das stak mir immer einigermaßen im Blute. Aber daß ich ein Heuchler und Spion wurde, daß ich nicht offen aus den Reihen der Anhänger des Dezembermannes heraustrat und ihm das Geschenk seiner Gunst vor die Füße warf, daß ich vor der Welt blieb, was ich war, der Vertraute der französischen Diplomaten und alleruntertänigste Diener Seiner Kaiserlichen Majestät, in Wahrheit aber mich als Werkzeug der Fürstin und Mazzinis gebrauchen ließ – das hat allein dieses Weib mit dem unwiderstehlichen Venusgürtel fertig gebracht. – – – Bah, ich bin jetzt kalt geworden, habe mich an den Gedanken gewöhnt und mir die Gabe beigelegt, alles mit der nötigen Portion ›holden Leichtsinns‹ zu betrachten, für den Ihr großer Goethe schwärmte. Nur die Erinnerung an die Monate des Glücksrausches vermag mich noch so ein bißchen aufzuregen. Verzeihen Sie, wenn ich zu elegisch geworden. Das paßt verzweifelt schlecht zu unserer augenblicklichen Situation!«

»Ja, aber, verehrter Vicomte,« erwiderte Heribert, »ich gestehe Ihnen ganz offen, daß Sie mich neugierig gemacht haben. Ist die Geschichte Ihrer Bekanntschaft mit dieser Kirke Geheimnis, dann will ich nicht indiskret sein, sonst aber –«

»Sonst aber möchten Sie gern dieselbe als warnendes Exempel kennen lernen!« unterbrach ihn der Vicomte wieder mit dem alten, leichtfertigen Tone. » Bon, dieses Vergnügen sollen Sie haben, aber nicht jetzt, denn wir sind bald an unserem Ziele, und wenn ich meine Gedanken erst wieder auf die Erinnerung an jene Petersburger Tage fixiert habe, möchte ich mich nicht gern wieder unterbrechen. Erinnern Sie mich heut abend im Hotel daran. Solche Geschichten hören sich bei einem Glase Bordeaux viel besser an, als hier in diesen engen Gassen, wo es bereits sehr nach Knoblauch zu stinken beginnt. Schöne Gegenden das, in welche sich unsere gute Sache verkriechen muß! Erinnert sehr stark an Carbonari-Höhlen. Übrigens paßt das ganz vortrefflich zu den Plänen und Absichten unserer schönen Fürstin Camilla. Es ist nämlich ihr Steckenpferd geworden, die Reste des Carbonaribundes, der ja als solcher freilich nicht mehr existiert, aber doch weit mehr als die Uneingeweihten wissen, in den Köpfen der Anhänger von Jungitalien spukt, wieder zu sammeln und das alte Gebäude wieder aufzubauen.«

»Das dürfte doch wohl schwer halten,« entgegnete Heribert, »Ich sollte meinen, daß für unsere Zeiten der Carbonaribund seinen Zweck und damit seine Lebensfähigkeit völlig verloren habe.«

»Glauben Sie das nicht, cher ami,« sagte der Vicomte kopfschüttelnd. »Das Volk ist wie ein Kind in solchen Sachen und liebt das Spiel oder richtiger die Spielerei. Mit einer Dosis von Mystizismus und wohlorganisierter Geheimtuerei läßt es sich weit leichter regieren und diese Carbonariidee war und ist noch ganz ungeheuer populär im Volke, so lange sich Namen wie Mazzini und Garibaldi daran knüpfen. Doch – wir werden sehen. Dort ist das Haus des würdigen Bäckers Asti, der augenblicklich die Ehre hat, die schönste Geliebte des französischen Kaisers zu beherbergen. Ich bin wirklich sehr neugierig, was die Fürstin uns zu sagen hat.«

Gleichgültig vor sich hinpfeifend schritt der Vicomte neben Heribert auf ein kleines, unscheinbares Haus zu, durch dessen grüne Jalousien nur an einem einzigen Fenster ein mattes Licht schimmerte. Nur ein sehr aufmerksamer Beobachter hätte den Ausdruck seelischer Erregung in seinen Zügen lesen können. Doch diese Erregung war in Wahrheit vorhanden und sein Herz schlug rascher, je näher er dem Hause kam. Gedachte er wohl der süßen Stunden, welche dieses Weib ihm noch vor einem Jahre gewährt, und stellte er sich in Gedanken vor, wie dieselbe Frau schmeichelnd ihre schönen Arme um den Nacken des kaiserlichen Roués in den Tuilerien schlang, alles um des einzigen Zieles willen: Sieg dem Kreuze von Savoyen!?


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