Fritz Reuter
Ut mine Festungstid
Fritz Reuter

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KAPITTEL 15

Worüm ick mi äwer den Apostel Paulus un de Kapteihn sick äwer Schr...men sine Brud argert. Worüm de Kapteihn mit beide dörchlopene Stäwelsahlen in den deipen Dreck peddt un sick nahsten an en Pal stellt un up den Abend 'ne Brudschaft för't Heiligste un rode Hor un gräune Ogen för't Schönste erklärt un sick up de letzt mit de Königin Viktoria in England verlawt.

Nu wir dat woll nich mihr as billig west, dat wi uns dankbor un taufreden mit dat begnäugt hadden, wat uns de oll Herr General un dat Glück so schön in den Schoot rinnesmeten hadd; äwer de Minsch is nu einmal so, hei rückt un rögt an 'ne gaude Lag' ebenso as an 'ne slichte, hei will't ümmer noch anners un noch beter hewwen, un wenn nah buten tau nich vel tau rücken un tau rögen is, as in unsen Fall, denn fangt hei binnen an, mit allerlei Wünsch' un Hoffnungen un Afsichten sin Hart tau äwerlasten, un wir de Utführung von de Hoffnung ok so wid af as Kukuk von't Säbenstirn.

Na, ick bün ok allmeindag' en unrauhigen Gast west; äwer ditmal was ick't nich, de den Surdeig in den Backeltrog smet, ditmal was dat min oll Kapteihn.

Wi wiren nu all an de virteihn Dag' an Urt un Städ' un gungen regelmäßig morgens un nahmiddags bet an de lütte Lind' spazieren, ein achter'n anner, as de Gäus' in den Gasten, denn dat was sihr deip tau gahn, un ut de Allee dürwten wi nich rute; Herr Bartels satt denn middwegs von unsen Spaziergang an't Wagenhus up en Kugelhopen un – wenn't Weder dornah was – in'n Sünnenschin un kek uns nah de Beinen un spelte mit den Quast von sin »Kurzgewehr«. Schr...men hadden wi all den tweiten Dag wedder tau seihn kregen, un hei gung ok mit uns un wüßt vel tau vertellen, denn ut den philosophschen Kopp von den Unnersäukungsarrest her hadd sick up de Festung en poetischen rute puppt, hei hadd en grotes Heldengedicht schrewen: »Paulus«, un dat wüßt hei unglücklicher Wis' utwennig un deklamiert uns de schönsten Städen dorut vör; sei süllen nah de Melodie von den ollen Homer gahn, sei gungen äwer meistendeils nah de Melodie von Jehann Hinrich Vossen, as hei sick den Spaß maken ded un de Hexameters von Goethen und Schillern en lütten Lack anhängte:

»In Weimar und in Jena macht man Hexameter, wie die da;
Aber die Pentameter sind noch viel schlechterer.«

Schr...men sin »Paulus« was för mi un den Kapteihn all slimm, denn wi hadden nicks dorgegen uptauwisen, womit wi em wedder traktieren un dat Mul stoppen kunnen; äwer slimmer was't noch, wenn hei uns mit sine Brud kamm, denn von de Ort hadden wi irst recht nicks uptauwisen. Hei läd dat ordentlich dorup an, uns den Mund wätern tau maken, hei beschrew uns sine Leiwste von Kopp bet tau Fäuten, hei wis'te sei uns ut de Firn un tauletzt ok in de Neg' – un sei was för en philosophschen Kopp ok aller Ihren wirt –, hei malte uns dat so säut vör, wenn sei dreimal in de Woch so bi em set un hei ehr ut de Bäuker Bildung bibröcht, denn sei wir – as hei säd – »noch nicht auf der Höhe seiner Bildung angelangt«. Kortüm! Schr. stek uns allerlei Sticken un strigelte uns' Fleisch mit allerlei Durn- un Nettelwark.

De Kapteihn un ick, wi argerten uns, un wi deilten uns ihrlich in den Arger; ick argerte mi äwer Paulussen, un hei argerte sick äwer de Brud.

Nu müßt sick dat eines Dags drapen, dat uns 'ne öllerhafte Dam mit en jung, slank Mäten begegen ded, un wil dat nu de Fautstig so small was von wegen de Deipigkeit von den Weg, schrammten wi ein achter'n anner an de beiden Frugenslüd' vörbi. Mit de jung' Dam gung dat noch handlich, äwer mit de olle Dam, de en beten stark vüllig was, gung dat man swack, un de Kapteihn, de sin Lewsdag' ümmer sihr ritterlich gegen Damen west was un hüt taufällige Wis' sine Stäweln anhadd, wo de Bodden so tämlich rute was, läd up militärisch de Hand an de Mütz, säd en por verbindliche Würd' un peddte mit beide unversäkerte Beinen in den deipen Dreck, ick ströpte noch so knappemang vörbi, denn sei hadden dunntaumalen noch keine Kreolinen.

As wi en por Schritt wider gahn wiren, kamm de Herr Unteroffzierer Bartels pil up den Kapteihn los un säd: »Sie haben eben mit die Dam' geredt, das dürfen Sie nicht.« – De Kapteihn säd, hei hadd blot 'ne Höflichkeit tau ehr seggt. – »Höflichkeit oder Grobheit«, säd Bartels, »is ganz engal; Sie sollen überall nich mit keinem reden, und wenn Ihnen einer entgegenkommen tut, so sollen Sie auch nicht grüßen, denn sie kennen Ihnen nicht.« – Wer dat denn west wir? frog ick. – »Das darf ich Ihnen nicht sagen«, säd Herr Bartels. – »Na, denn will ich es dir sagen«, säd Schr., »das ist die Frau des Proviantmeisters Lucke, und die junge Dame ist ihre Tochter aus erster Ehe und heißt Aurelia Schönborn, und sie wohnen in der Kasematte, in die sie jetzt hineingehn.« – »Herr Schr.«, säd Bartels, »ich weiß recht gut, Sie kennen hier die ganze Menschheit auf der Festung; aber das muß ich den Herrn General mellen, daß Sie hier Instruktschonen for die beiden fremden Herrn ausgeben.«

Nu was äwer de Kasematt, wo de beiden Damen rinne gahn wiren, grad äwer von de lütte Lind', bet wo wid wi man gahn dürwten, un as wi bet an de gahn wiren, stellte sick de Kapteihn an de lütte Lind', slog den Grisen mit de säben Kragen dichter üm sick un kek nah de Kasematt räwer. – Schr. un ick gungen wedder taurügg, un Herr Bartels was taum irstenmal in grote Verlegenheit: süll hei den Kapteihn dor stahn helpen, oder süll hei mit uns den Weg entlang gahn? Tauletzt wählte hei den Middelweg, hei set'te sick wedder up den Kugelhopen un spelte mit den Quast, kek äwer mihr den Kapteihn as uns an. – Wi kemen wedder taurügg, de Kapteihn stunn an de Lind', wi gungen un kemen wedder, de Kapteihn stunn ümmer noch an sine Lind', blot dat hei sick dat bequemer makt un sick an den Pal lehnt hadd. – »Kapteihn, kumm doch mit!« – »Laßt mich!« säd hei, strek mit de Hand äwer dat gele Stoppelfeld, wat nu unner sine Näs' all gadlich begäng' würd, un läd sick noch drister an den Pal.

De Fristun'n was tau En'n, wi würden inslaten, un de Kapteihn gung mit groten Schritten in de Kasematt up un dal. »Ein dummer Kerl!« säd hei, »ein sehr dummer Kerl!« – »Bartels?« frog ick. – »Nein, Schr.«, säd hei, »der Hanswurst renommiert ordentlich damit, daß er eine Braut hat. Ist das eine Kunst, sich eine Braut anzuschaffen, wenn einer mit der ganzen Welt verkehren kann?« Dormit gung hei noch forscher up un dal. – »Kapitän«, säd ick, »heute war er im ganzen doch recht freundlich. Er hat mir seinen Paulus mitgegeben; sieh einmal hier, er hat gleich Bilder dazu gezeichnet.« – »So? Das will er auch können? – Ja, er weiß alles, er kann alles, er hat alles. Sein Dicktun ist unausstehlich! Und welcher anständige Mensch tut wohl mit seiner Braut dick? Charles, ich betrachte ein solches Verhältnis als das zarteste und heiligste, welches selbst den vertrautesten Freunden verschlossen bleiben muß; und der alberne Mensch bringt gestern sogar einen Schuh seiner Braut mit auf die Promenade, um uns zu zeigen, was für einen kleinen Fuß sie hat!«

Wohr was't, wat de Kapteihn säd; äwer wat argerte hei sick denn so sihr doräwer? Ick hadd doräwer ümmer von Harten lacht. – Nu las ick in Paulussen; äwer ick fung mi ok allmählich an tau argern; jede Satz fung so breitspurig an, as wenn de Weisheit sülwen einen bi den Kanthaken kreg, un wenn't dick En'n nahkamen süll, denn snappte dat af, as wenn einer mit 'ne Fleigenklapp nah 'ne Fleig' vörbi sleiht. Un denn de Versen! – »Kapteihn, hör mal. Rätetetätetetätete...« – »Ach was! laß das doch! Dieselbe Stelle hat er mir schon zweimal als ganz was Besonderes vordeklamiert.« – »Dann sieh doch das Bild einmal an, was dazu gehört.« – Dat was Paulus, as em Satan verfolgen deiht. Paulus lep all wat hei kunn, äwer Satan let nich locker un folgt em up Fledermusflüchten, un ut sinen langen Start schot hei ümmer mit höllische Blitzen up Paulussen dal. – De Kapteihn kek mi, sur, as wir hei in Essig leggt, äwer de Schuller, un weit de Kukuk, wat em hüt fehlen ded; hei was so vergritzt, as ick em meindag' noch nich seihn hadd. – »Ein erbärmlicher Kerl«, säd hei. – »Schr.?« frog ick. – »Ne, Paulus«, säd hei, »Schr...men sein Paulus; reißt aus, wenn's was gilt; sieht aber auch gerade so aus wie Schr. selbst. Ich wette drauf, er hat sich in seiner Eitelkeit vor den Spiegel gestellt und hat sich zuletzt selbst für den Paulus angesehn.«

Mit den Kapteihn was hüt abend nich tau reden, hei was so ut den Lim, as ick em meindag' noch nich seihn hadd, hei sach wedder so rod ut, as ick em in dat Berliner Gefängnis seihn hadd. – »Nasse Füße gekriegt«, säd hei un treckt sick de Stäweln ut. – »Haha«, dacht ick, »dorvon is dat ok«, un set'te lud hentau: »Hei hadd ok Vernunft bruken künnt, un wenn hei von sine Stäwel-Ümstän'n Bescheid wüßt, denn hadd hei ok nich nödig hatt, üm de oll Dam ehrentwegen mit beide Beinen dörch 'ne Pütt dörchtauwaden un sick nahsten mit de natten Fäut 'ne Stun'n lang an de lütte Lind' hintaustellen.« – »Charles«, frog hei, un sine Ogen lücht'ten ordentlich, »hast du die junge Dame gesehn?« – »Ja«, säd ick, un't wir en rank un slank Mäten west. – »Hast du ihr Haar gesehen?« – »Ja«, säd ick, 't wir rod west. – »Rot? – Das nennst du rot? – Ich sage blond! – Ich will auch zugeben: hochblond! Und das ist eine Farbe, die zu allen Zeiten von Dichtern und Malern gepriesen ist. Nicht der Sonnenstrahl vergoldet das Haar, das Haar vergoldet den Sonnenstrahl.« – »Wat Dausend! Wat heit dit?« – »Hast du den Teint der Dame gesehn?« – »Ja«, säd ick, »sovel as dat in'n Vörbigahn un dörch en gräunen Sleuer mäglich wir.« – »Weiß wie Alabaster!« röp hei ut. – »Ja«, säd ick, »äwer sei hadd Sommersprutten.« – De Kapteihn kek mi an, tog mit de Schullern un gung up un dal, äwer nah en beten stellte hei sick vör mi hen: »Charles, willst du mich ärgern?« – »Ne«, säd ick, »doran hadd ick nich dacht.« – »Warum führst du denn gerade den Umstand gegen mich an, der sonst allgemein für den Beweis eines zarten Teints gilt?« – »Gegen em«, frog ick, »wo so? – Ick hadd jo nicks nich gegen em seggt; ick hadd ok nicks wider gegen dat Mäten, as dat sei in't Gesicht so bunt utseg as en Kuhnenei.« – »Solche Vergleiche verbitte ich mir«, säd hei un lep wedder hastig up un dal. – Dit würd ümmer schöner, un nahgradens markt ick, wo dat fuchten was; ick säd also, hei süll dat man sin laten, un't wir jo doch ümmer 'n hübsch Mäten. Dat geföll em, un hei würd mit einmal wedder de oll Kapteihn vull Füer un Fett, wenn't sine Inbillung angahn ded: »Charles«, röp hei, »hast du ihre Augen gesehn?« – »Ja«, säd ick, »sei hadd blag'.« – Dat was em nu äwer nich naug: blag' Ogen hadden vele, sei müßt nu doch noch wat vörut hewwen. – »Blau?« röp bei; »ja blau; aber was für ein Blau? Ein Blau, so warm, daß es ordentlich einen grünlichen Schein annimmt. Der klare, blaue Himmel nicht allein; auch das traute Grün der Erde spiegelt sich in diesem Auge!« – Nu müßt ick äwer lachen, gegen minen Willen lachen, un ick säd, dat hadd ick meindag' noch nicht hürt, dat gräune Ogen schön wiren, un't wir woll von den gräunen Sleuer herkamen, dat hei sei för gräun anseihn hadd. – Nu was äwer dat Kalw ganz un gor in't Og slagen; hei hadd ümmer ungeheuern Respekt vör de Frugenslüd' ehr Ogen, grad es de nimodschen Dichters, de reden ok man ümmer blot von de Ogen, un dat äwrige von den menschlichen Liw', dat bammelt man blot so dorbi.

Hüt abend würd dat nicks mihr mit mi un den Kapteihn, wi kemen nich mihr äwerein. Un doch! Ick les' de erhabenen Stellen von Paulussen, de Schr. wollweislich rod anstreken hadd, un de Kapteihn lep in de Kasematt rümmer un deklamiert dortau mit de Hän'n.

Wir ick verstänniger west un hadd ick von lütt up mihr up Mutter Roßsch un Mutter Snursch ehren Rat hürt un hadd mi mihr mit de menschlichen Krankheiten un mit Smeren un Püstern afgewen, denn hadd ick dat mit en Stock fäuhlen müßt, dat minen ollen Kapteihn wat in de Knaken satt un dat hei sick 'ne Krankheit vermauden was; so äwer gung ick ruhig tau Bedd un dacht an nicks Slimmes; äwer den annern Morgen süll ick wat gewohr warden.

Den Morgen wakte ick tidig von einen Spektakel up, un as ick mi in de Höcht richtete, dunn satt min oll leiw' Kapteihn steidel in'n Bedd un röp ümmer ut vullen Hals': »Viktoria! Viktoria!« – »Kapteihn, wat is 'e los?« – »Viktoria, ich bin dein Albert!« – »Gotts dausend nich mal tau!« – Ick also ut dat Bett herute, un dor sach ick denn dat Unglück: hei satt dor brunrod in't Gesicht un slog mit de Arm üm sick un wüßt von sinen Sinnen nicks. – »Viktoria, ich bin dein Albert!« kamm denn mal herute, un denn mal wedder: »Charles, verdammtes Kuhnenei! Schmeiß doch den Hampelmann von Schr. heraus! Da steht er und zeigt mir immer den Schuh seiner Braut. – Rot sind sie nicht – blond – bloß blond!« Un so gung dat nu hen un her.

Na, ick wüßt mi ok nich wider tau raden, ick gaww em en Glas koll Water un lep unnen runner un röp nah de Wach, dat de den Stabsarzt besorgen süll. – De kamm denn ok mit de Wil un let em en gaud Deil Blaud af, bet hei ruhiger würd; äwer de »Viktoria« wull hei nich vergeten, de brummelte hei noch ümmer vör sick hen. – »Was hat er denn mit der Viktoria?« frog de Stabsarzt. – »Je«, säd ick, »dat wüßt ick ok nich; ick künn mi dat äwer woll denken, wo dat tausam hängen ded: hei hadd in de Zeitungen lesen, dat de Königin Viktoria in Engelland den Prinzen Albert frigen wull, un wil dat hei nu ok Albert mit Vörnamen heiten ded, hadd hei sick dat mäglich inbildt, dat hei de richtige Albert wir, un dat dat för em in'n ganzen taudräglicher wir, wenn hei Prinzregent von Engelland würd, as dat hei hir noch länger up de preuß'schen Festungen rümmer set.« – Na, dat gaww nu ok de Stabsarzt Bifall un ordnierte dat an, dat hei in dat Lazarett kamm.

Un so gung denn min oll Kapteihn von mi af, un ick müßt nu blot mit Schr...men un Paulussen spazieren gahn un des Abends allein in min Kasematt sitten.


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